Deutsche Bibelgesellschaft

Richterzeit und Entstehung des Königtums

Thema

Für eine historisch wahrscheinliche Beschreibung der in den Büchern Richter und Samuel berichteten Epoche ist die Forschung in besonderer Weise auf Hypothesen angewiesen. Hier wird – in deutlich später entstandenen Texten – die Binnenperspektive des sich formierenden Israel geschildert, wozu kaum außerbiblisches Material vorliegt. Von den neuen Entwicklungen in Kanaan haben die Großmächte wenig Notiz genommen, und aus den archäologischen Daten lassen sich die Gründe für historische Prozesse kaum ablesen.

Biblische Darstellung

Der biblische Bericht geht davon aus, dass sich Israel, seine zwölf Stämme über Ost- und Westjordanland verteilt, im Lande Kanaan einrichtete. Auf militärische Bedrohungen wurde so reagiert, dass ein charismatischer, von Gottes Geist erfüllter Richter den Heerbann zusammenrief und mit Gottes Hilfe die Feinde vertrieb. Nach der Abwehr der Gefahr gingen alle Kämpfer wieder zu ihren Orten zurück. Eine zentrale Führungsinstanz gab es nicht, jedoch sprachen die Richter Recht in Israel (Ri 1-16). Mit der Zeit rissen indes Zustände ein, die einen König vermissen ließen (Ri 17-21). Auch der letzte Richter Samuel (1Sam 1-7) konnte die alte Ordnung nicht mehr aufrechterhalten, so kam es zur Entstehung von Sauls Königtum (1Sam 9-15). Doch Saul handelte nicht nach dem Willen Gottes, so dass er verworfen wurde und das Königtum an David überging (1Sam 16-31). Dieser baute das Reich Israel auf, das sein Sohn Salomo zu überragender Größe führte (2Sam 1-1Kön 11).

Rekonstruktion der Richterzeit

Diese Darstellung ist erkennbar an theologischen Interessen orientiert, was sich beispielsweise an der schematischen Darstellung der Philistergefahr (Ri 2,11-19) erkennen lässt.

Amphiktyoniehypothese

Zur Rekonstruktion dessen, was sich historisch tatsächlich in dieser Zeit zwischen 1200 und 1000 v. Chr. ereignet hat, wurde von M. Noth die sogenannte Amphiktyoniehypothese formuliert. Danach gab es bereits in dieser Zeit die Vorstellung eines aus 6 oder 12 Stämmen bestehenden Israel, das sich um ein zentrales Lade-Heiligtum sammelte, zu gemeinsamen Festen zusammenkam und ein einheitliches Recht hatte. Die Pflege dieses (apodiktischen) Rechts oblag den kleinen Richtern, während die großen Richter militärische Aufgaben hatten.

Dieses Erklärungsmodell wird inzwischen als nicht mehr tragfähig angesehen, weil festgestellt werden musste, dass es mehr als einen zentralen Kultort gab. Zudem ist das System der zwölf Stämme Israels wohl als eine spätere Konstruktion anzusehen, die von den Geschichtsschreibern in die Frühzeit zurückprojiziert wurde.

Neue Hypothesen

Unter dem Eindruck archäologischer und ethnologischer Forschungen und soziologischer Modelle sind neue Hypothesen formuliert worden. Danach gab es im Kanaan der frühen Eisenzeit eine Vielzahl tribaler Gesellschaften (lat. tribus, Stamm), die erst langsam eine ethnische und religiöse Zusammengehörigkeit entwickelten. Der Zusammenhalt wurde auch durch die Formulierung von fiktiven Familienzusammenhängen („Erzeltern“) erzeugt. Diese segmentären Gesellschaften gelten als akephal (gr. ohne Haupt), sie hatten keine gemeinsame Leitungsinstanz. Die Ältesten regelten die Angelegenheiten ihrer Sippen. Bei Problemen, die diesen Horizont überstiegen, entschied ein Kollegium der Ältesten; die Stämme unterstützten sich bei militärischen Aktionen untereinander. Nur einzelne „Richter“ konnten kurzfristig ihren Einfluss ausbauen (vgl. Abimelech in Ri 9) und sicherten so möglicherweise den Zusammenhalt des gesamten Systems.

Das Grundproblem dieser Überlegungen ist, dass unbeantwortet bleibt, auf welche Weise Israel zur Ausbildung eines Einheitsgedankens kam. Ebenso ist ungeklärt, wie sich der vom Süden herkommende Gott JHWH bei den unterschiedlichen Segmenten der Gesellschaft durchsetzen konnte.

Beginn des Königtums

Die Gründe für die Ausbildung eines Königtums in Israel werden implizit bereits in den biblischen Berichten angedeutet: In der südlichen Küstenebene hatten sich zu Beginn des 12. Jh. nach dem Niedergang der ägyptischen Vorherrschaft die Philister festgesetzt. Sie bauten stetig die wirtschaftliche und militärische Macht ihres Fünfstädtebundes (Gat, Gaza, Aschkelon, Aschdod, Ekron) aus. Gegen diese Gefahr hatten sich die Stämme zu wehren.

Saul

Wahrscheinlich war Saul, der erste so bezeichnete König Israels, Führer einer vergleichsweise kleinen Widerstandsgruppe gegen die Philister. Seine Herrschaft reichte kaum über Mittelpalästina hinaus. Sie war noch nicht auf eine zentrale Organisation gestützt, sondern eine Weiterentwicklung des charismatischen Führertums aus der Richterzeit.

David

Nachdem Saul und sein Sohn Ischbaals gestorben waren, wurde Sauls Gefolgsmann David König. Allerdings handelte David ursprünglich im Auftrag der Philister, für die er das palästinische Bergland besetzen sollte. Es gelang ihm, sich aus dem Einflussbereich der fremden Fürsten zu befreien und das Gebiet des Stammes Juda und den Stadtstaat Jerusalem in seine Herrschaft einzubeziehen. Später wurde auch mit Israel im Norden ein Herrschaftsvertrag geschlossen (2Sam 5,3). So entstand ein kurzlebiges Staatsgebilde, das nach dem Tod von Davids Sohn Salomo wieder auseinanderbrach. Nach der Formierung des einheitlichen Reiches Israel konnte David die Herrschaft bis ins Gebiet östlich des Jordan ausdehnen, doch diese Erweiterung war nicht lange zu halten.

Bedeutung des Königtums

Die besondere Bedeutung des Königtums Davids lag vor allem darin, dass er nach Sauls Anfängen ein monarchisches Staatswesen in Israel eingeführt hatte. Zur Ausbildung eines organisierten „Staates“ kam es aber erst deutlich später im 9. Jahrhundert. Wichtig ist auch, dass mit der Einbeziehung der früher unabhängigen Stadt Jerusalem ein geographischer und kultischer Mittelpunkt für Israel geschaffen wurde. Dies wurde noch dadurch verstärkt, dass die Lade nach Jerusalem überführt wurde (2Sam 6); möglicherweise hatte damit David erstmals ein zentrales Heiligtum geschaffen. In der Folge dieser Entwicklung kam es dann auch zu einer religiösen Prägung der Königsvorstellung, wie sie aus Ps 2 und 89 spricht. Das Königtum wurde nun an die Gottesvorstellung gebunden, was die Legitimation des Herrschers unterstützte. Gleichzeitig wurde der Dynastiegründer David idealisiert, was das biblische Geschichtsbild beeinflusste und später zu einer der Wurzeln der Messiaserwartung wurde.

Doch scheint es so, als hätten bestimmte Überzeugungen der vorstaatlichen Zeit die Entwicklung überdauert. Die Stämmegesellschaft war ohne zentrale Machtinstanz ausgekommen; und dieses Bild blieb im Gegenüber zum neuen Staat lebendig und war später möglicherweise grundlegend für die Kritik der Propheten am Königtum oder einzelnen Herrschern (vgl. Hos 8,4).

Literatur

M. Noth, Das System der zwölf Stämme Israels, 1930.

M. Weippert/B. Janowski, Art. Königtum, NBL 2, 1995, 513-520.

W. Dietrich, Die frühe Königszeit in Israel. 10. Jahrhundert v. Chr., Biblische Enzyklopädie 3, 1997

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