Deutsche Bibelgesellschaft

Apokalyptik

Begriff

Der Begriff „Apokalyptik“ leitet sich von der Überschrift der neutestamentlichen Offenbarung des Johannes ab. Dort heißt es in 1,1, dass Gott dem Johannes durch seinen Engel mitgeteilt habe, was in Kürze geschehen soll. Das griechische Verbum ἀποκαλύπτω, apokalypto, bedeutet dabei „offenbaren“; es geht um noch unsichtbare Dinge, die am Ende der Geschichte geschehen werden.

Texte

Innerhalb des AT findet sich apokalyptisches Gedankengut vor allem in der jüngsten Schrift, dem Buch Daniel. Auch die Kapitel Jes 24-27 sind als Apokalypse bezeichnet worden; in Sach 9-14 finden sich ebenfalls Vorstellungen, die als früh-apokalyptisch gelten können. Besonders in der zwischentestamentlichen Literatur wird apokalyptisches Gedankengut sehr häufig formuliert, die Hauptzeugen dafür sind die Bücher 1. Henoch, 4. Esra und syrischer Baruch. Auch in neutestamentlicher und frühchristlicher Zeit hält dieser Traditionsstrom an, kanonische Zeugnisse dafür sind die sogenannte synoptische Apokalypse Mk 13 (mit Parallelen) und die Apokalypse des Johannes.

Merkmale

Apokalyptische Texte unterscheiden sich von anderen vor allem durch zwei Merkmale: Zum einen werden die Apokalypsen einem bekannten Verfasser zugeschrieben, der aber nicht Autor des Buches sein kann (z. B. Henoch, Esra). Es handelt sich demnach um pseudepigraphe (= falsche Verfasserangabe) Schriften. Zudem werden oft fiktive Prophezeiungen berichtet, die erkennbar erst nach dem Eintreffen des geweissagten Ereignisses abgefaßt wurden. Diese vaticinia ex eventu wie auch die Pseudonymität sollen einerseits die Autorität der Schrift erhöhen. Zum anderen binden sie die Aussagen an wichtige Stationen der bisherigen Geschichte Israels, deuten diese also im Rückblick.

Geschichtsbild

Die Geschichte, ihr Verlauf und ihr bevorstehendes Ende, ist das eigentliche Thema der apokalyptischen Literatur. Dabei weiß man zwar, dass der Geschichtsverlauf unwiderruflich auf sein Ende zuläuft. Oft wird sogar versucht, durch Kombination bestimmter Zahlen den genauen Termin der Endzeitereignisse zu errechnen (vgl. Dan 12,11f.).

Doch im Gegensatz zu landläufigem Verständnis liegt darin nicht das primäre Interesse der apokalyptischen Denker. Ihnen geht es viel eher darum, zu erweisen, weshalb sich die menschliche Geschichte von der Schöpfung an in ihren Lebensbedingungen für die Frommen immer mehr verschlimmert. Gerade die Verschlechterung beweist aber, dass die Kehre zu einem neuen, unvergleichlich besseren und gerechteren Weltalter bevorsteht, die Wende zum neuen Äon. Im Danielbuch (Kap. 2; 7) führt dieser Denkansatz zur Darstellung eines Schemas von vier Monarchien, die sich einander ablösen. Babylonier, Meder, Perser und Griechen entfernen sich sukzessive immer mehr vom Ideal jeder menschlichen Herrschaft, dem goldenen Zeitalter, bis schließlich am Ende dem vierten Reich und seinem völlig verderbten Herrscher alle Macht genommen wird. Sie wird nach Dan 7 dem Menschensohn übertragen, der dann mit den Heiligen Höchsten eine ewige, gerechte Herrschaft ausüben wird. Der irdisch-menschlichen Geschichte entspricht dabei eine übergeschichtliche Ebene innerhalb der himmlischen Hierarchie. Die Kämpfe, die die einzelnen Völker zu führen haben, werden im Himmel durch die jeweiligen Völkerengel ebenso geführt und letztlich entschieden.

Gottesbild

Dieses Denken geht im Unterschied zu vielen anderen Texten des AT von einem zweifelsfrei monotheistischen Gottesbild aus. Doch der eine Gott wird dabei so transzendent gedacht, dass es der Ausbildung einer Engellehre bedarf. Engel werden nötig, um die vielfältigen Verflechtungen zwischen göttlichem Geschichtsplan und irdischer Realgeschichte verstehen zu können. Hinzu kommt, dass apokalyptisches Denken grundsätzlich universalistisch ist. Die anderen Völker spielen in der Weltgeschichte eine eigenständige Rolle, sind nicht einfach nur Randerscheinungen oder Werkzeuge. Auch die Einschätzung Israels hat sich geändert. „Israel“ als Volk, das sich in besonderer Nähe zu Gott weiß, sind nun nur noch die Frommen, die am Bunde festhalten. Sie werden, das ist im Danielbuch gut erkennbar, zur Zeit der Abfassung verfolgt. Ihnen gibt aber die Perspektive Trost, dass die Heftigkeit der Verfolgungen die Nähe der endzeitlichen Wende belegt. Diese Heilsaussicht gilt auch über den Tod hinaus. Nach Dan 12 wird es am Ende der Zeiten eine allgemeine Auferstehung geben, die für die einen zu ewiger Verdammnis, für die anderen zu ewigem Leben führt.

Schriftauslegung

Eine Besonderheit der apokalyptischen Literatur ist auch, dass sie die Existenz von autoritativen Schriften voraussetzt. Diese werden angesichts der nahenden Endzeit ausgelegt und nach dem Verständnis der Apokalyptiker erstmals verdeutlicht. So widmet sich Dan 9 der Auslegung der Zahl von 70 Jahren, die nach Jer 25,11f. als Dauer der Herrschaft Babylons über Israel verhängt sind. Im 1. Henochbuch wird breit das Thema der gefallenen Engel aus Gen 6,1-4 entfaltet.

Herkunft

Die Frage nach dem Hintergrund dieser Gedankenwelt lässt sich kaum beantworten. Zwar weiß man, dass es im persischen Bereich ähnliche Vorstellungen (so von der Abfolge der vier Herrschaften) gab, auch die Idee der Auferstehung wurde wohl zuerst in Persien formuliert. Doch die israelitische Apokalyptik wird auch aus eigenen Traditionen gespeist. So finden sich in den Texten Fortentwicklungen prophetischer Sprachmuster wie auch aus der Weisheit stammende Themen; die Autoren selbst haben sich als „Weise“ bezeichnet (Dan 12,3). Hinzu kommt sicher die Erfahrung der Brutalität und Übermacht der griechischen Herrschaft, als Israel im 3. und 2. Jahrhundert Spielball zwischen den ägyptischen Ptolemäern und syrischen Seleukiden war. Unter dem Seleukiden Antiochus IV. Epiphanes war gar der Tempel in Jerusalem entweiht und zu einem Ba'al-Zeus-Heiligtum umgewidmet worden. Dabei wurde der König von Judäern unterstützt, die ihre Religion für hellenische Einflüsse öffnen wollten. Dies rief Opposition hervor. Während die Makkabäer mit Waffen für die Erhaltung des Bundes kämpften, kombinierten apokalyptische Kreise vorhandenes Gedankengut und eigene Überlegungen über Wesen und Begrenzung von Herrschaft so, dass die bedrängten Gruppen Trost fanden, um die dunklen Zeiten zu überstehen. Die dabei gefundenen Antworten waren offenkundig so überzeugend, dass bis ins 3. nachchristliche Jahrhundert Apokalypsen formuliert wurden. Ohne die hier geprägten Gedanken von einer kommenden Königsherrschaft Gottes, einem endzeitlichen Kampf mit einem widerwärtigen Herrscher („Antichrist“) und dem Kommen des Menschensohns ist die Entstehung vieler neutestamentlicher Gedanken kaum vorstellbar.

Das rabbinische Judentum wie auch die christliche Großkirche lehnten später jedoch die Apokalyptik ab, so dass einzig das Danielbuch als alttestamentliche Apokalypse erhalten ist. Die anderen bekannten apokalyptischen Bücher wurden in der äthiopischen oder syrischen Kirche überliefert, auch in Qumran wurden bis dahin unbekannte apokalyptische Schriften gefunden.

Literatur

K. Koch, J. M. Schmidt, Apokalyptik, 1982.

B. U. Schipper, G. Plasger (Hg.), Apokalyptik und kein Ende? Biblisch-theologische Schwerpunkte 29, 2007.

M. Tilly, Apokalyptik, UTB 3651, 2012.

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