Deutsche Bibelgesellschaft

Die Entstehung des Pentateuch

Problemstellung

Die Frage nach der Herkunft der fünf dem Mose zugeschriebenen Bücher bewegt die Bibelwissenschaft schon lange. Bereits in der Reformationszeit wurde darauf hingewiesen, dass Mose nicht ihr Verfasser sein könne, da er ja schwerlich über seinen eigenen Tod berichten konnte (Dtn 34). Während dieses Argument damals noch mit Hinweis auf die prophetische Gabe des Religionsstifters abgewehrt werden konnte (vgl. Dtn 34,10), brach sich im 18. und 19. Jahrhundert die Erkenntnis Bahn, dass der Pentateuch nicht das Werk eines Schriftstellers sein kann. Folgende Beobachtungen am Bibeltext waren der Hintergrund dieser Überlegungen:

  • Zu Beginn der Genesis werden zwei verschiedene Berichte über die Schöpfung mitgeteilt, Gen 1,1-2,4a und 2,4b-3,24.
  • Die Berichte unterscheiden sich nicht nur durch Stil und Sprachgebrauch, sondern vor allem durch die Verwendung zweier Gottesnamen: יהוה, JHWH, und אֱלֹהִים, Elohim.
  • Auch in anderen Texten konnten deutliche Unterschiede in Stilistik und Sprachgebrauch festgestellt werden. So heißt der Gottesberg von Ex bis Num Sinai, im Dtn dagegen Horeb.
  • An verschiedenen Stellen finden sich Erzählungen, die offenbar aus zwei Versionen eines ähnlichen Berichts zusammengesetzt worden sind, so vor allem beim Sintflutbericht Gen 6-9 und der Plagenerzählung Ex 7,14-11,10.

Urkundenhypothese

Daraus wurde geschlossen, dass der Pentateuch aus zwei Quellen, oder Urkunden, entstanden sein müsse, die miteinander zu einem Erzählstrang kombiniert worden waren (sog. [ältere] Urkundenhypothese). Die dieser These zugrundeliegende exegetische Methode ist die der Literarkritik, der es darum geht, von der vorliegenden Gestalt der Texte ausgehend ihre schriftlichen Vorstufen bis hin zur Erstverschriftung des ältesten Textteils zu erhellen.

Fragmenthypothese

An verschiedenen Stellen wurde dann festgestellt, dass Dichtungen (etwa die Stämmesprüche Gen 49) oder gesetzliche Regelungen (so das Heiligkeitsgesetz Lev 17-26) den Erzählverlauf unterbrechen; das Buch Deuteronomium wiederholt gar ganze Stücke der vorhergehenden Bücher. Daraus wurde gefolgert, dass der Pentateuch aus verschiedenen Einzelstücken, Fragmenten, entstanden sei, die als ursprünglich unabhängige Einheiten zusammengestellt wurden (sog. Fragmentenhypothese).

Ergänzungshypothese

An anderen Stellen entdeckte man redaktionelle Texte, die offenbar nachfolgende Berichte theologisch interpretieren sollen, so zum Beispiel Ex 19,3-8 vor der Sinai-Offenbarung. Dies führte im Verbund mit den anderen Beobachtungen zu der Überlegung, dass nur eine vorgegebene Hauptquelle oder Grundschrift durch anderes Material ergänzt wurde (sog. Ergänzungshypothese).

Neuere Urkundenhypothese

Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde dann als erster Konsens von Julius Wellhausen die grundlegende neuere Urkundenhypothese formuliert: Danach bildeten zwei wegen des verwendeten Gottesnamens Jahwist (J) und Elohist (E) genannte Quellen den Grundstock des Pentateuch. Sie seien im 9. und 8. Jh. entstanden. Kurze Zeit später sei im Zusammenhang mit Joschijas Reform im 7. Jh. der Grundstock des Deuteronomiums (D) entstanden. Diese beiden Komplexe wurden dann um 550 durch einen Redaktor verbunden. Der so aus JE und D zu einer dritten Quelle geformte Komplex JED sei dann noch später (um 400) durch einen Redaktor um die Priesterschrift (P), eine ebenfalls ursprünglich selbständige Quelle, erweitert und in die heutige Form gebracht worden. Diese Hypothese wurde gelegentlich insofern modifiziert, als man annahm, dass P vor D an JE angefügt worden sei.

Diese Hypothese wurde in der folgenden Zeit verfeinert durch die Ergebnisse der Formgeschichte und Traditionsgeschichte, die nach den vor-schriftlichen Vorstufen und Prägungen von Texten fragten. Dies führte zu dem Ergebnis, dass in den einzelnen Quellen vielfach älteres Material erhalten ist. Bei den Verfassern handelt es sich also mehr um Sammler denn um Autoren. Dabei haben diese Sammler aber durch die Einführung eigener Formulierungen das Material in je eigener Weise gedeutet. Vor allem aber habe der Jahwist durch seine Anordnung der Stoffe, die sich an alten Glaubensbekenntnissen Israels (vgl. Dtn 26,5-9) orientierte, dem Pentateuch (bei Erweiterung um das Buch Josua: Hexateuch) erst seine besondere Form gegeben.

Offene Fragen

In den letzten Jahrzehnten wurde der in dieser Theorie formulierte Konsens vor allem in der deutschsprachigen Forschung weitgehend aufgegeben. Die neueren Diskussionsbeiträge sind sich meist darin einig, dass am Anfang der Traditionsbildung nicht umfassende Quellenschriften, sondern kleinere Erzähleinheiten standen. Damit werden Beobachtungen der alten Fragmenten- oder Erzählkreishypothese wieder aufgenommen. Strittig ist dann aber, wie und wann aus diesen kleinen Einheiten der Pentateuch oder aber noch größere Erzählbögen bis zur Landnahme oder zum Exil zusammengewachsen sind. Dabei werden vor allem folgende Fragen diskutiert:

  • Das Alter des Jahwisten. Die Datierung in das 9. Jh. ist aufgegeben worden, man setzt diese Quelle jetzt vielfach kurz vor dem Exil, exilisch oder noch später an. Das Siglum „J“ wird bei E. Zenger und anderen nun für ein neu angenommenes Jerusalemer Geschichtswerk verwendet, das erstmals Väter- und Exodusüberlieferungen zusammengestellt habe und bis ins Josuabuch reichte. Manche Forscher gehen allerdings davon aus, dass es eine umfassende Quelle „J“ gar nicht gegeben hat.

  • Die Existenz einer Quelle „Elohist“. Sie wird von manchen Forschern noch angenommen und als Reaktion auf den Untergang des Nordreichs verstanden. In den meisten neueren Entwürfen wird ihre Existenz aber inzwischen verneint. Die früher der Quelle E zugeschriebenen Texte weisen wohl nicht auf ein eigenes Werk hin, sondern sind eher als eine Ergänzungsschicht zu J aufzufassen, wobei auch hier wieder ältere Stoffe aufgenommen wurden. Die Datierung dieser Redaktionsarbeit ist damit abhängig von der Datierung der Grundschicht „J“. Verwirrend ist, dass das Siglum „E“ nun auch für eine angenommene frühe Exoduserzählung Ex 2-Jos 12 verwendet wird (so R. G. Kratz).

  • Die Existenz der priesterlichen Quelle P wird meist nicht in Frage gestellt, da sehr typische sprachliche und inhaltliche Merkmale dafür sprechen. Unklar ist, wie weit P ursprünglich gereicht hat, ob sie mit der Sinaioffenbarung an ihr Ziel gekommen ist oder auch Landgabenotizen hatte. Manche Forscher nehmen nur P als eigentliche Quelle des Pentateuch an, die dann nachexilisch redaktionell erweitert wurde (E. Otto).

  • Ein von R. Rendtorff und E. Blum formuliertes Modell geht davon aus, dass es keine Quellen innerhalb des Pentateuch gibt. Ähnlich der alten Fragmentenhypothese seien „größere Traditionseinheiten“ (z. B. Ur- und Vätergeschichte etc.) unabhängig voneinander gewachsen und tradiert worden. Dabei wurden gleiche Stoffe von unterschiedlichen Trägergruppen mit je eigenen Intentionen gesammelt oder neu formuliert. Erst nach dem Exil, unter dem Druck der persischen Herrschaft, die eine Art „Grundgesetz“ von jedem Volk verlangte, seien die unterschiedlichen Komplexe in Stufen zusammengefasst und überarbeitet worden.

  • Andere Positionen gehen noch weiter und rechnen nicht mehr mit größeren Überlieferungseinheiten, sondern mit einer Vielzahl von Fortschreibungsprozessen (C. Berner).

  • Die ursprüngliche Zusammengehörigkeit von Genesis/Vätererzählung und Exoduserzählung wird hinterfragt (R. G. Kratz, K. Schmid, J. C. Gertz). Die beiden Überlieferungen weisen so viele inhaltliche Differenzen auf, dass sie getrennt entstanden sein müssen und erst später zu einem Erzählbogen zusammengefügt wurden. Bei der Datierung dieses Vorgangs gibt es unter den Forschern keinen Konsens.

  • Diskutiert wird außerdem, ob nicht statt eines Pentateuch eher ein ursprünglicher Hexateuch anzunehmen ist, ob also die Erfüllung der Verheißungen an die Väter im Josuabuch nicht notwendiger Bestandteil der Geschichtskonzeption sein müsse.

  • Schließlich wird auch überlegt, ob nicht der Pentateuch überhaupt erst nachträglich aus dem Textgefüge Gen-2Kön isoliert worden sei (K. Schmid).

Die einzelnen Modelle können hier nicht im Detail wiedergegeben werden; das ist Aufgabe einer „Einleitung in das AT“. Dass es in der gegenwärtigen Forschung keinen Konsens über die Entstehung des Pentateuch gibt, liegt daran, dass in jedem Entwurf bestimmte, durch die biblischen Texte vorgegebene Probleme, offen bleiben. Diese offenen Fragen stützen jeweils die Argumentation konkurrierender Thesen. Zudem ist auch innerhalb der Vertreterschaft einer Theorie die Abgrenzung und Zuordnung der Stoffe sehr uneinheitlich. Ein Ende der Diskussion um die Entstehung des Pentateuch ist daher nicht abzusehen. Hinzu kommt, dass in Qumran Texte gefunden wurden, die zwar Stoffe und Themen aus dem Pentateuch enthalten und ebenfalls ein hohes Alter aufweisen (etwa die Tempelrolle), aber nicht in den Pentateuch aufgenommen wurden. Offenbar sind die Probleme noch komplexer.

Literatur

H.-J. Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments, 1988.

E. Zenger u.a., Einleitung in das Alte Testament, 9., aktualisierte Auflage 2016, hg. von Chr. Frevel (Literaturnachweise!).

W. Dietrich u .a. (Hg.), Die Entstehung des Alten Testaments, 2014.

K. Schmid, Der Pentateuch und seine Theologiegeschichte, ZThK 111, 2014, S. 239-270.

VG Wort Zählmarke
Deutsche Bibelgesellschaftv.4.26.9
Folgen Sie uns auf: