Deutsche Bibelgesellschaft

7.9. Die Schrift an Diognet (Diog)

Übersicht über die Schrift an Diognet

1,1f. Einleitung
2,1-4,6 Die Ablehnung der sogenannten Götter der Griechen und des „Aberglaubens der Juden“
5,1-6,10 Das Leben der Christen in der Welt als ihre Art der Frömmigkeit
7,1-9 Der vom Schöpfer gesandte Schöpfungsmittler als das den Christen anvertraute Geheimnis
8,1-11 Die Offenbarung Gottes durch das Kommen seines Sohnes
9,1-6 Die Sendung des Sohnes als Rettung aus der Zeit der Sünde
10,1-8 Mahnung und Verheißung
11,1-12,9 Nachtrag

Die Zuordnung von Diog zu den Apostolischen Vätern ist umstritten, da die Schrift nach Inhalt und wahrscheinlicher Entstehungszeit bereits in eine spätere Phase der Geschichte der frühen Kirche gehört. Da Diog aber in alle einschlägigen Ausgaben der Apostolischen Väter aufgenommen ist, soll sie auch hier besprochen werden.

Der Verfasser und Abfassungszeit

Der Verfasser der Schrift wendet sich in 1,1 an den „hochzuverehrenden Diognet“, einen am Christentum interessierten Heiden. Die weiteren Ausführungen zeigen, dass er stellvertretend für einen größeren intendierten Leserkreis steht. Trotzdem bleibt die Widmung bemerkenswert, denn die Anrede verrät, dass es sich um eine höhergestellte Person gehandelt hat. Der Verfasser erhofft augenscheinlich, dass Diognet für die Verbreitung der Schrift sorgen werde.

Der Autor von Diog bleibt für uns um Dunkeln. Man kann aus der meisterhaften Handhabung der Rhetorik und gewissen inhaltlichen Akzenten nur schlussfolgern, dass er ein gebildeter, sozial privilegierter Heidenchrist war. Wann er Diog verfasst hat, bleibt unsicher. Die wahrscheinlichste Datierung setzt die Schrift an das Ende des 2. Jh. Einige Indizien sprechen für Alexandria als wahrscheinlichsten Abfassungsort.

Literarischer Charakter

Obwohl die Schrift häufig als Diognetbrief bezeichnet wird, handelt es sich nicht um einen Brief, denn es fehlen alle Elemente eines solchen. Dem Verfasser geht es um eine positive Darstellung des christlichen Glaubens und des Lebens, das die Christen aufgrund dieses Glaubens führen. Dabei behandelt er einige Themen, die zum klassischen Inventar der Apologetik gehören: Die Ablehnung der griechischen Götterverehrung und des jüdischen Kultes, die Welt- und Todesverachtung der Christen und die Neuheit des Christentums. Am Ende seiner Schrift wirbt der Autor dann ausdrücklich um den Glauben Diognets. Man wird Diog als ein apologetisch-protreptisches Schreiben bezeichnen können.

In der Handschrift, auf die die modernen Textausgaben zurückgehen, hatte der Abschreiber notiert, dass seine Vorlage zwischen 7,6 und 7,7 sowie 10,8 und 11,1 beschädigt war. Dort fehlt also Text. Die Kap. 11 und 12 werden allgemein als ein späterer Zusatz zur ursprünglichen Schrift angesehen. Sie wenden sich an christliche Adressaten und verfolgen wohl die Absicht, das Schreiben als rechtgläubig zu reklamieren. Die deutlichen sprachlich-stilistischen und inhaltlichen (Logoschristologie, positive Aufnahme des AT) Differenzen zu den Kap. 1-10 machen die Abfassung durch einen anderen Verfasser so gut wie sicher.

Inhalt

Aus der Argumentation in Kap. 2-4 lassen sich drei Grundannahmen des Verfassers über Gott ableiten: 1. Gott ist keine empfindungslose und taube Materie (Ablehnung der Verehrung von Götterbildern); 2. Gott ist bedürfnislos (Ablehnung des jüdischen Kultes); 3. Gott kann nicht an partikularen Daten festgemacht werden (Ablehnung der jüdischen religiösen Gebräuche und der Beschneidung als Bundeszeichen). Bei seiner Ablehnung des Judentums partizipiert der Autor kräftig am antiken Antijudaismus.

In 4,6 kündigt er an, vom Geheimnis der besonderen Frömmigkeit der Christen reden zu wollen. Es folgen Ausführungen über das Leben der Christen in der Welt. Sie folgen dem Grundtenor, dass unter den Christen eine der Welt überlegene Moral gepflegt würde, die Welt sie aber verfolge (5,10f.). Die Christen leben in der Welt, aber haben im Himmel Bürgerrecht (5,9; vgl. 6,8). Hier wird eine gewisse Distanz sichtbar, die sich aber nicht in Aktivitäten niederschlägt (6,4). Vielmehr halten die Christen, wie die Seele den Körper zusammenhält, die Welt zusammen (6,7). Man gewinnt den Eindruck, dass hier jemand schreibt, der (etwa im Gegensatz zu Paulus) die Distanz zur Welt im Wesentlichen innerlich versteht.

Wie die Kap. 2-4 lassen auch die eigentlich theologischen Ausführungen (Kap. 7-10) starken philosophischen Einfluss auf den Verfasser erkennen. So knüpft vor allem 8,8 („Gott war immer ein solcher, und er ist es, und er wird es sein.“) trotz aller im Kontext geäußerten antiphilosophischen Polemik an mittelplatonische Gedanken an. In dieses philosophisch geprägte Gottesbild passt, dass in der Christologie alle jüdischen Titel fehlen. Der Verfasser vermeidet auch alle Passionsaussagen und redet stattdessen von der Sendung des Sohnes. Nur innerhalb der soteriologischen Passage 9,1-6, die offenbar an Paulus anknüpft, findet sich die Rede vom Lösegeld für uns (9,2). Paulinischer Einfluss findet sich dann auch in 10,1ff. Wie beim Apostel ist das geforderte Handeln der Christen als Reaktion auf das vorgängige Liebeshandeln Gottes verstanden. Bei der inhaltlichen Füllung wird dann wieder der philosophische Einfluss sichtbar, wenn der Verfasser von der Nachahmung Gottes spricht (10,4-6).

Bemerkenswert ist der Umgang mit dem Vorwurf, das Christentum sei ein junges Phänomen und deshalb weniger glaubwürdig als die altehrwürdigen Religionen (vgl. 1,1). Die sonstige frühchristliche Apologetik versucht einen Altersbeweis anzutreten, indem sie Mose und die Propheten für das Christentum okkupiert. Dieser Weg ist dem Verfasser der Schrift an Diognet aufgrund seiner Stellung zum Judentum versperrt. Er benutzt deshalb ein sogenanntes Revelationsschema, d. h. Gott hat seinen Heilsplan schon „von Anfang an“ gefasst, aber nur seinem Sohn mitgeteilt (8,9-11). Erst zum von ihm gewählten Zeitpunkt hat er ihn in der Sendung des Sohnes offenbart (9,2; vgl. 8,11).

Insgesamt lässt die Theologie der Schrift an Diognet eine gewisse Nähe zur Gnosis und zu Markion erkennen. Das gilt vor allem für die krasse Abwertung des Judentums und die Gotteslehre. Hier findet sich dann aber auch die entscheidende Differenz. Der Verfasser von Diog redet in klarem Gegensatz sowohl zur Gnosis als auch zu Markion breit vom Schöpferhandeln Gottes und der Schöpfungsmittlerschaft des Sohnes (7,2; 10,2).

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Die Texte auf dieser Seite sind mit freundlicher Genehmigung übernommen aus:

Cover der Bibelkundes des Neuen Testaments von Klaus-Michael Bull

Bull, Klaus-Michael: Bibelkunde des Neuen Testaments. Die kanonischen Schriften und die Apostolischen Väter. Überblicke – Themakapitel – Glossar, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 8. Aufl. 2018.

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