Manasse (König)
(erstellt: Mai 2024)
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Manasse, Sohn und Nachfolger des judäischen Königs Hiskija (→ Hiskia
1. Name
Der Personenname Manasse (hebr. Mənaššæh, griech. Μανασσης Manassēs) ist ein Partizip der Wurzel NŠJ „vergessen“ im D-Stamm. Dementsprechend ist der Name faktitiv wiederzugeben im Sinne von „vergessen machend“. Fraglich ist, ob der Personenname Manasse als Kurzform gedeutet werden kann und somit ein theophores Element weggefallen ist. Als Kurzform wäre Manasse ein Trostname „vergessen machend ist X“ (Zadok 1988, 125). Gott hätte somit den Tod eines Familienangehörigen durch die Geburt eines neuen Kindes vergessen gemacht. Auf diese Deutung weist auch die volksetymologische Deutung Manasses in Gen 41,51
2. Manasse in der Bibel und in außerbiblischen Quellen
2.1. Biblischer Befund
Trotz der großen Verdienste seines Nachfolgers Joschija (→ Josia
Diesem verwerflichen König widmen die Autoren der → Königsbücher
Da die Angabe der Inthronisation Manasses nach 2Kön 20,21
Nach 2Kön 21,18
Auf Manasse folgte im Jahr 642 / 641 v. Chr. sein zweiundzwanzigjähriger Sohn Amon, der nach zwei Jahren bereits gewaltsam beseitigt wurde (2Kön 21,18-26
Im Großen und Ganzen wiederholt 2Chr 33,1–10
Trotz dieser Bedenken ist eine Inhaftierung Manasses durch einen assyrischen Großkönig und eine anschließende Rehabilitierung durchaus möglich, da ein solches Verfahren auch bei anderen Vasallenkönigen praktiziert wurde. Ein Gefängnisaufenthalt Manasses in Babylon ist allerdings nur für das Jahr 648 v. Chr. denkbar, als Assurbanipal den Aufstand in Babylon niedergeworfen hat. In diesem Fall könnte Manasse in Babylon seine Loyalität unter Beweis gestellt haben (Rainey / Notley 2006, 249f.). Gelegentlich wird demgegenüber vorgeschlagen, dass Manasse an einer antiassyrischen Revolte im Jahr 671 v. Chr. gegen den assyrischen Großkönig beteiligt war, worauf die allerdings nur fragmentarisch erhaltene akkadische Inschrift vom Nahr el-Kelb (Koordinaten: 210.370; N 33° 57' 26", E 35° 35' 47"
Selbst wenn Manasse tatsächlich kurze Zeit in Babylon inhaftiert war, dann stellt sich sofort die Frage, weshalb er danach von seinem kultischen Verhalten abwich und eine Kultreform durchführte. Die kultischen Neuerungen beschränkten sich zudem nur auf Jerusalem und vielleicht noch das unmittelbare Umland (2Chr 33,15-16
- 1.Es ist unwahrscheinlich, dass fast jeder judäische König des 8. / 7. Jh.s v. Chr. eine Kultreform veranlasst hat (Hiskija, Manasse, Joschija).
- 2.Die Kultreform wurde nach den Grundsätzen der Tora durchgeführt, auch wenn Manasse noch gar nicht die Tora kennen konnte.
- 3.Der Bericht der Kultreform folgt logisch auf die Erzählung der Inhaftierung und Bekehrung Manasses in Babylon. Wenn es aber historisch zu keiner Gefangenschaft Manasses kam, ist folglich auch die Kultreform ohne eigentliche Begründung.
- 4.Darüber hinaus darf man das ermittelte Jahr 648 v. Chr. kaum zum Wendepunkt in der Herrschaft Manasses stilisieren, ab dem der Aufschwung begonnen habe. Vielmehr startete der assurloyale König Manasse seine Konsolidierungspolitik bereits in der ersten Hälfte des 7. Jh.s v. Chr., und nicht erst nach einer zweifelhaften „Bekehrung“.
- 5.Außerdem müsste man voraussetzen, dass sein Sohn Amon diese kultischen Veränderungen wieder zurückgenommen hat, damit Joschija eine Kultreform nach den Vorgaben der Tora durchführen konnte.
- 6.Schließlich ist das Konzept einer Bekehrung in der chronistischen Konzeption eher selten anzutreffen. Vielmehr folgt in der Regel auf eine gute Regierungsphase eines Königs eine schlechte Zeitspanne (Ben Zvi 2013, 125f.).
Insofern ist es kaum plausibel, dass Manasse seinen religionspolitischen Kurs nach der Rettung aus der Kerkerhaft durch Jhwh abgeändert hätte, zumal schon der Gefängnisaufenthalt unsicher ist. Im Kontext der Chronikbücher hat die angebliche Kultreform Manasses jedoch ein zweifaches Gewicht: Denn die theologische Deutung der Bekehrung Manasses kann zum einen die lange Regierungszeit dieses schlimmen Südreichkönigs erklären, zum anderen kann sie in nachexilischer Zeit ein Beispiel für rechtes Verhalten sein. So wie sich der schlimmste Davidide bekehrt und damit Unheil abgewehrt hat, gilt dies dann auch für alle nachfolgenden Generationen.
In der chronistischen Tradition finden sich außerdem weitere Angaben über die Verdienste Manasses. So darf Manasse – offenbar mit Genehmigung des assyrischen Großkönigs – seine Hauptstadt Jerusalem mit einer äußeren Mauer um die Davidstadt im Tal um den Ofel (→ Jerusalem
Durch die Verlegung von Heeresobersten in alle befestigten Städte Judas (2Chr 33,14
2.2. Außerbiblischer Befund
Vermutlich haben die Judäer bei anderen militärischen Operationen Assurs ebenfalls mitgewirkt, auch wenn die assyrischen Quellen darüber nichts verlauten lassen. Es ist durchaus denkbar, dass Juda bei allen Ereignissen, die von den „Königen des Landes Ḫatti“ berichten, eingeschlossen ist. Dann hätte Juda beim Bau des Handels- und Verwaltungszentrums Kar-Asarhaddon in der Nähe von → Sidon
Bisweilen wird angenommen, dass der Tribut Manasses sogar geringer als derjenige der anderen Vasallen ausfiel (Grabbe 2005, 101). Gemäß einer Tributliste (K 1295 = ABL 632) mussten die → Moabiter
3. Das Königtum Manasses im Spiegel der Palästinaarchäologie
3.1. Allgemeine Problematik
Auch wenn Manasse mehr als ein halbes Jahrhundert über Juda geherrscht hat, kann man die archäologischen Hinterlassenschaften dieses wichtigen Königs kaum identifizieren, da sich die → Keramik
Allerdings gibt es wenige seltene Formen, die erst ab dem 7. Jh. v. Chr. sicher belegt sind, auch wenn diese nur schwer von anderen Formen zu unterscheiden sind (Faust 2008, 181f.). Insofern wurde bislang die erste Hälfte des 7. Jh.s v. Chr. bei Surveys meistens unterbewertet. Denn nur wenn auf einem Ort neben der typischen Keramik des 8. / 7. Jh.s v. Chr. auch eindeutige Scherben des 7. Jh.s v. Chr. belegt sind, kann man diese Siedlung dem 7. Jh. v. Chr. zuordnen.
Spätestens zur Zeit Manasses hat es zudem einen gewissen assyrischen Einfluss auf die Keramikproduktion in Juda gegeben. Allerdings war der Prozess der Akkulturation minimal und bestenfalls graduell, so dass kaum von einer wirklichen Assyrisierung gesprochen werden kann. Außerdem legt die geringe Anzahl an lokal produzierten assyrischen Imitaten nahe, dass vermutlich lediglich die Oberschicht assyrisch inspirierte Keramik verwenden wollte (Na’aman / Thareani-Sussely 2006, 72f.).
3.2. Entwicklung Jerusalems
Schon einige Zeit vor Hiskija wurde vermutlich der Südwesthügel Jerusalems als extramurales Siedlungsgebiet genutzt, bevor eine Verteidigungsmauer das neue Areal umschloss (Na’aman 2014, 11–13). Vermutlich ist die neu entstandene Nekropole im → Hinnomtal
Vermutlich wurde die südöstliche Maueranlage ebenfalls von Manasse errichtet, da die äußere Mauer (Kenyon NC) und der Wehrgang zwischen beiden Mauern über Gebäuden aus Stratum 12 verlaufen. Demnach muss diese Anlage aus Stratum 11 und somit aus der Manassezeit stammen (De Groot 2012, 161f.). Vielleicht wurde diese obere Mauer aber auch noch in den letzten Jahren Hiskijas zum Schutz gegen die befürchtete assyrische Invasion erstellt.
Die untere Ostmauer (W501) im Talgrund (Areal A und J), die vermutlich von Hiskija gebaut wurde, gab man hingegen auf. Lediglich die obere Mauer (W219) wurde von Manasse wiederhergestellt (De Groot 2012, 161), worauf 2Chr 33,14
Gelegentlich wird der Bau des Siloamtunnels (→ Jerusalem
Der Grund für das rasche Wachstum Jerusalems im 8. / 7. Jh. v. Chr. wird unterschiedlich bestimmt. Meist wird dieser Siedlungsschub auf Flüchtlinge aus dem Nordreich zurückgeführt. Oft wird sogar vermutet, dass nach dem Untergang des Nordreiches ein regelrechter Flüchtlingsstrom vom Norden in das Südreich einsetzte (Finkelstein 1994, 177; dagegen aber Na’aman 2014, 4–14). Ab dem Jahr 701 v. Chr. scheint es darüber hinaus zu einer Flucht aus den von Sanherib zerstörten Gebieten der → Schefela
Auffälligerweise sind bislang in Jerusalem keine Überreste von öffentlichen oder administrativen Gebäuden belegt. Trotzdem kam es gerade im 7. Jh. v. Chr. zu einem regen internationalen Austausch in Jerusalem. Es hat den Anschein, dass die judäische Hauptstadt vor allem ein Handelszentrum war (Grabbe 2005, 82), in dem Händler aus verschiedenen Ländern ihren Geschäften nachgingen, worauf zwei Beobachtungen hinwiesen. Zum einen importierte man → Fisch
Im archäologischen Befund von Jerusalem finden sich darüber hinaus zahlreiche Hinweise auf Luxusgegenstände, die von der städtischen Elite genutzt wurden, was ebenfalls auf einen wirtschaftlichen Aufschwung Judas im 7. Jh. v. Chr. hinweist (Tatum 2003, 298–301).
3.3. Allgemeiner wirtschaftlicher Aufschwung
Schon bald nach der Fast-Katastrophe von 701 v. Chr. scheint es zu einer wirtschaftlichen Erholung in Juda gekommen zu sein, auch wenn der Verlust der Schefela zunächst zu einem herben Rückschlag in der wirtschaftlichen Entwicklung Judas führte.
Um Jerusalem herum entstanden zu dieser Zeit zahlreiche landwirtschaftliche Gehöfte zur Versorgung Jerusalems mit Lebensmitteln. Außerdem beschützte ein Ring von Festungen die Hauptstadt Judas. Vermutlich produzierten die am nächsten zu Jerusalem gelegenen Höfe Wein, die ferneren Olivenöl, während aus der judäischen Wüste und dem Negev der Getreide- und Viehbedarf gestillt wurde (Faust / Weiss 2005, 82) (Abb. 9). Darüber hinaus gab es einige Satellitenstädte um Jerusalem, auf die hin die einzelnen Gehöfte orientiert waren (Moyal / Faust 2015, 284-287). Neben den Satellitenstädten mit ihren dazugehörigen Gehöften gab es mit Tel Moẓa (Koordinaten: 1654.1335; N 31° 47′ 40″, E 35° 9′ 50″
Gelegentlich wird zwar vermutet, dass die Palastanlage von Rāmat Rāḥēl bereits aus der Zeit Manasses stammt. Die neueren Ausgrabungen haben aber gezeigt, dass zu Beginn des 7. Jh.s v. Chr. an diesem Ort lediglich ein Wachturm (Stratum VB) stand, der mit anderen Wachtürmen um Jerusalem vergleichbar ist. Stratigraphisch ist dieser Wachturm mit weiteren Gebäuden unterhalb von Stratum VA zu verbinden, so dass es sich bei Rāmat Rāḥēl nur um ein administratives Zentrum zur Erhebung der landwirtschaftlichen Abgaben gehandelt haben wird. Nur wenn man das folgende Stratum VA mit Manasse verbindet, könnte man Rāmat Rāḥēl als königliches palastähnliches Landgut Manasses mit Park und einer Gartenanlage deuten (Knauf 2005, 170). Dies ist aber nach den neuen Ausgrabungen unwahrscheinlich.
Aufgrund des Verlustes der fruchtbaren Schefela scheint Manasse auf die semiariden Gebiete des nordöstlichen → Negevs
Manasse knüpfte an die Erfolgsgeschichte des 8. Jh.s v. Chr. an, worauf einige Ostraka aus Ḫirbet Ġazze hindeuten, die die Anwesenheit von Händlern auf der Durchreise (Ostrakon 2), den Unterhalt der Festung (Ostrakon 7) und die Entrichtung von Abgaben (Ostrakon 10) belegen (Na’aman 2012). All dies zeigt, dass es zur Zeit Manasses einen staatlichen Verwaltungsapparat gab, der den Handel an der südlichen Route kontrollierte. Manasse war aber nicht nur am Negev als wichtiges Zwischenglied im internationalen Handel interessiert. Vielmehr nutzte er effektiv das landwirtschaftliche Potenzial der semiariden Gebiete, da viele Orte weiterhin besiedelt und weitere Orte im 7. Jh. v. Chr. neu gegründet wurden (Finkelstein 1994, 176).
Im Tal von Beerscheba wanderte im 7. Jh. v. Chr. das administrative Zentrum von Tell es-Seba‘ möglicherweise nach Ḫirbet el-Ġarre und die Handelsinfrastruktur nach Tell el-Milḥ, während Bī’r es-Seba‘ (N 31° 14' 15'', E 34° 47' 35''
Juda spezialisierte sich in der Zeit Manasses vor allem auf → Getreide
Oft wird vermutet, dass die für den Olivenanbau geeigneten Gebiete der Schefela schon bald von den Assyrern an Juda zurückgegeben worden seien, damit das regionale Wirtschaftssystem wieder in Gang gesetzt werde. Die Judäer hätten folglich bereits unter Manasse die Schefela von den Assyrern zurückbekommen (Fantalkin 2004, 252), damit Juda im Auftrag Assurs effektiv die Herstellung von Olivenöl hätte betreiben können. Für eine Übernahme der Schefela durch Manasse könnte der Umstand sprechen, dass sein Sohn bzw. Enkelsohn Amon eine Mutter aus Bozkat in der Schefela hatte. Allerdings setzt eine solche Interpretation eine wirtschaftspolitische Agenda Assurs in der südlichen Levante voraus, die sich kaum mit validen Daten stützen lässt. Darüber hinaus sind die typisch judäischen Artefakte (→ Pfeilerfigurinen
Hinzu kommt, dass das Zentrum der Olivenölverarbeitung im 7. Jh. v. Chr. von judäischen Städten ins philistäische Ekron wechselte, wo die Produktion monopolisiert wurde. Auf diese Weise wurden andere mögliche Produktionsstätten wie → Tell Bēt Mirsim
Einige Orte in der judäischen Wüste wurden schon zur Zeit Hiskijas im 8. Jh. v. Chr. gegründet (Vaughn 1999, 75-78). Da es bei den jeweiligen Orten keinen Siedlungshiat zwischen der Hiskija- und der Joschijazeit gibt, scheint die judäische Wüste auch in der Manassezeit besiedelt worden zu sein. Die Besiedlung der judäischen Wüste am Ende der Eisenzeit mag neben der Balsamproduktion und Balsamverarbeitung mit der Gewinnung von Rohstoffen des → Toten Meeres
Vielleicht hat man bereits unter Manasse bei → En-Gedi
Aus alledem folgt: Die effektive Einbindung Judas in das überregionale Wirtschaftssystem der Südlichen Levante förderte den Handel und Export mit lokalen landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Mit der positiven wirtschaftlichen Entwicklung war darüber hinaus der Bau von Festungen und städtischen Zentren, die den Handel unterstützten, sowie eine stärkere Zentralisierung und Urbanisierung Judas verbunden (Ben Zvi 1996, 32). Die zentralistische Wirtschaftspolitik Manasses kennt aber auch Gewinner und Verlierer. Vor allem diejenigen, die die Produktion und den Handel kontrollieren und steuern konnten, fuhren weit mehr Gewinne ein als die Arbeiter auf den Feldern und in den Plantagen. Insofern verschärften sich die sozialen Spannungen. Außerdem kam nun Juda, das bis in die Mitte des 8. Jh.s v. Chr. von der Außenwelt weitgehend abgeschirmt war, durch die unterschiedlichen Handelskontakte mit verschiedenen fremden Völkern zusammen (Crouch 2014, 59-82). Dies barg freilich die Gefahr in sich, dass aufgrund des Kontaktes zu Fremdmächten religiöser Synkretismus Einzug halten könnte, was schließlich dem judäischen König Manasse von den biblischen Autoren vorgeworfen wird.
Insgesamt ist im 7. Jh. v. Chr. von einem wesentlich höheren Lebensstandard der Bevölkerung als in früheren Zeiten auszugehen. Selbst in den semiariden Gebieten in der Peripherie kann man ein gewisses Maß an Wohlstand feststellen. Trotz des gestiegenen Wohlstandes waren die sozialen Unterschiede zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen relativ groß, was auch mit dem Bevölkerungswachstum zusammenhängt (Knauf 2005, 167). Der Reichtum teilte sich folglich auf viele Personen auf. Mit dem wirtschaftlichen Aufblühen waren allerdings als Kehrseite der Medaille wesentlich mehr und höhere → Tribute
3.4. Zentralisierung der Politik und Bürokratie in der Manassezeit
Zur Zeit Manasses kam es zu einem breiten Anwachsen der Schriftlichkeit in Juda. Während judäische Bullen aus dem 8. Jh. v. Chr. noch nicht beschriftet waren, weisen judäische Siegel im 7. Jh. v. Chr. kurze Inschriften auf. Ein höheres Maß an Schriftlichkeit belegen auch die vor allem im Negev gefundenen Ostraka, die auf verschiedene Schreiber zurückzuführen sind. Insofern darf man aus diesem Befund sicherlich folgern, dass gegen Ende des 7. Jh.s v. Chr. selbst in den peripheren Regionen wie dem Negev mit einer weit verbreiteten Schriftlichkeit jenseits von Tempel und Palast zu rechnen ist (Faigenbaum-Golovin et al. 2016, 4666f.). Zumindest gibt es in dieser Zeit ausweislich der vielen Ostraka erste Ansätze für eine funktionierende staatliche Bürokratie und Administration. Man wird somit von einer weit fortgeschrittenen Staatlichkeit Judas, und nicht mehr von einem unorganisierten Häuptlingtum ausgehen dürfen. Vermutlich hängt die verstärkte Schriftlichkeit mit der Einbindung Judas in das globalisierte Wirtschafts- und Verwaltungssystem der südlichen Levante zusammen.
Außerdem wurde das Gewichtssystem in Juda im 7. Jh. v. Chr. standardisiert, was wohl auf staatliche Initiative zurückzuführen ist, auch wenn es Ansätze zu einer Vereinheitlichung bereits im 8. Jh. v. Chr. gegeben haben könnte (Lehmann 2012, 301). Das judäische Gewichtssystem (→ Maße / Gewichte
Gelegentlich werden die sogenannten lmlk-Krüge nicht nur mit Hiskija, sondern ebenfalls mit Manasse verbunden (Lehmann 2012, 300f.). Intakte lmlk-Krüge (→ Siegel / Stempel
Unter Manasse blieb Juda ein loyaler Vasallenstaat, zumal Assur sicherlich einen Vasallenkönig nicht eine derart lange Zeit geduldet hätte, wenn seine Loyalität zweifelhaft gewesen wäre. Die assurfreundliche Politik Manasses hat Juda in der ersten Hälfte des 7. Jh.s v. Chr. Frieden und Wohlstand beschert, auch wenn die innen- und außenpolitischen Möglichkeiten relativ eingeschränkt waren. Vermutlich stand an der Seite des judäischen Königs nach dem Jahr 701 v. Chr. zunächst ein assyrischer Verwaltungsbeamter (qīpu), der die Geschicke im abhängigen Staat Juda kontrollierte (Miller 2006, 150), um einer zukünftigen Revolte vorzubeugen. Da Juda von Assur als Pufferstaat gegenüber äußeren Feinden betrachtet wurde, durfte man gezielt auch Festungen an der Landesgrenze errichten (→ Befestigungsanlagen
Möglicherweise ging durch den Verlust der Schefela insgesamt judäisches Krongut verloren. Dann wäre die Daviddynastie zusätzlich geschwächt worden, während die Macht der Clans wuchs. Aus diesem Grund musste Manasse zunächst den lokalen Sippenverbänden einige Zugeständnisse einräumen. Allerdings konnte das judäische Königshaus schon bald erneut Krongut in der Peripherie gewinnen, um wirtschaftlich unabhängig von den lokalen Clans auf dem judäischen Bergland zu werden. Bisweilen wird vermutet, dass zahlreiche Bewohner von Jerusalem mit staatlicher Förderung in die ländlichen Gebiete umgesiedelt wurden (Halpern 1996, 323f.), um dort die Wirtschaft anzukurbeln. Offenbar wurden von diesen neuen Siedlungen regelmäßig → Steuern
Nach der schnellen wirtschaftlichen Erholung Judas konnte Manasse die Zugeständnisse wieder zurückfahren und eine Zentralisierungspolitik verfolgen, worauf drei Beobachtungen hindeuten:
- 1.Die zahlreichen Festungen im Negev dienten vermutlich nicht nur der Kontrolle der Handelswege, dem Schutz der Besiedlung und der Sicherung der Grenzen des assyrischen Vasallenstaates Juda, sondern auch der Gewährleistung der inneren Sicherheit im Gebiet des Negev (Keel 2007, 473). In diesen Festungen waren zumindest in der zweiten Hälfte des 7. Jh.s v. Chr. auch ausländische Söldner (→ Heer
) stationiert, was darauf hinweist, dass antimonarchische bzw. antizentralistische Bewegungen unter der eigenen Bevölkerung ausgeschaltet werden sollten. Das von Manasse unschuldig vergossene Blut könnte sich folglich auf die gewaltsame Unterdrückung von innenpolitischem Widerstand gegen seine zentralistische Politik beziehen. - 2.Insgesamt scheint auch der archäologische Befund anzudeuten, dass der Einfluss der Clans unter Manasse zurückgegangen ist. Denn die Größe der Familien ist in Juda ausweislich der Grabanlagen, der Töpfe (→ Gefäße
) und der → Öfen kleiner geworden, ohne dass ein funktionaler Unterschied auszumachen wäre (Halpern 1996, 326f.). Hier zeigt sich folglich ein Trend zu einer Individualisierung der Familienmitglieder und einer Zurückdrängung der Macht der Clans. - 3.Durch den Feldzug → Sanheribs
wurden darüber hinaus die wichtigsten zentralen Verwaltungsorte zerstört (Lehmann 2012, 297f.), was ebenfalls der Zentralisierung auf Jerusalem hin dienlich ist.
Möglicherweise wurde somit bereits unter Manasse die Zentralisierung des Südreichs vorangetrieben, nachdem er die wirtschaftliche Konsolidierung Judas erreicht hat. Da in Jerusalem kaum Hinweise auf eine königliche Bürokratie zu finden sind, stattdessen aber zahlreiche Wohnbereiche der Oberschicht, ist anzunehmen, dass die städtische Elite der Händler und Handwerker zunehmend an Bedeutung gewonnen und die Geschicke Jerusalems nachhaltig bestimmt hat (Steiner 2001, 285f.). Die schnelle Ermordung Amons durch die Höflinge könnte folglich darauf zurückzuführen sein, dass die einflussreiche Jerusalemer Elite ihre Interessen offenbar nicht genügend vertreten sah. Im Anschluss daran hat jedoch das „Volk des Landes“ den erst achtjährigen Davididen Joschija auf den Thron gehievt und damit die Absichten des Hofstaates durchkreuzt. Es ist anzunehmen, dass die Clans des Landes eine zentralistische Politik aufgrund der damit verbundenen Schwächung der segmentären, egalitären Clanstrukturen ablehnten (Tatum 2003, 304-306).
4. Die Kultfrevel Manasses
In der Bibel werden die politischen und wirtschaftlichen Erfolge der Konsolidierungspolitik Manasses überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Im Gegensatz dazu wird sein kultisches Fehlverhalten gebrandmarkt. Nach den biblischen Autoren, die 2Kön 21
Auffälligerweise gibt es einige Formulierungen in 2Kön 21
- 1.Nach 2Kön 21,5
verehrte Manasse das Himmelsheer (→ Sterne / Sternbilder / Sterndeutung ). Zumindest das Königshaus musste sich dem assyrischen Kult öffnen, da im Rahmen des Vasallenvertrages bei Jhwh und den assyrischen Göttern geschworen werden musste. Die Astralisierung des Kultes geht jedoch auf westsemitische Einflüsse zurück und ist eigentlich nicht auf die Assyrer zurückzuführen (Miller 2006, 156-158), zumal die Assyrer den unterworfenen Völkern ihre Kultpraxis nicht aufgezwungen haben (Berlejung 2012, 32-38). - 2.Im Tempelgebäude selbst reaktivierte Manasse vermutlich einheimische Gebräuche, indem er ein Götzenbild der → Aschera
im Heiligtum aufstellte (2Kön 21,7 ). - 3.Die von Manasse verübten mantischen Praktiken (→ Divination in Israel
) nach 2Kön 21,6 geben auffälligerweise Dtn 18 stark gekürzt wieder. Da die biblischen Autoren dem Südreichskönig Manasse möglichst viele Frevel unterschieben möchten, haben sie Dtn 18 sicherlich nicht absichtlich gekürzt. Somit darf angenommen werden, dass hier eine historische Erinnerung vorliegt. - 4.Nach 2Kön 21,9
habe Manasse das Volk zu Gräueln verführt, die diejenigen der Nationen, die Jhwh aus dem Verheißungsland vertrieb, noch übertroffen haben. Die Ausweitung der Kultfrevel von Manasse auf das Volk widerspricht der eigentlichen Absicht der biblischen Autoren, so dass auch hier eine historische Erinnerung angedeutet sein könnte. - 5.Schließlich wird nur dem Südreichskönig Manasse vorgeworfen, unschuldiges → Blut
vergossen zu haben (2Kön 21,16 ; 2Kön 24,4 ). Da Manasse auf diese Weise das Land profanierte und damit die Heiligkeit verschwand, kann später dieser Frevel von Joschija nicht mehr behoben werden. Das Vergießen von unschuldigem Blut durch Manasse kann sich auf unterschiedliche Dinge beziehen (Ausschaltung der politischen und religiösen Opposition, assyrischer Fron- und Heeresdienst, Vertreibung der Judäer vom Erbland, korrupte Rechtsverfahren, vgl. Kellenberger 2015, 221-227).
- 1.Der biblische Glaube an den ewigen, unkonditionierten → Bund
mit der Daviddynastie (2Sam 7 ) spricht dagegen, dass Juda nur aufgrund des Kultfrevels eines einzigen Davididen scheitern kann (Abb. 16). - 2.Im Gegensatz zum Nordreich wäre hier mit Manasse nur ein einzelner König für den Untergang Judas verantwortlich.
- 3.Für die zweite und endgültige Eroberung und Zerstörung Jerusalems im Jahr 587 v. Chr. wird Manasse nicht explizit verantwortlich gemacht.
- 4.In 2Kön 21
werden drei unterschiedliche Konzeptionen angewendet, wie man die religiöse und nationale Katastrophe Judas erklären könnte: Auf der einen Seite ist Manasse aufgrund seiner kultischen Vergehen für den Untergang Judas alleine verantwortlich (2Kön 21,11 ). Auf der anderen Seite wird das ganze Volk Israel beschuldigt (2Kön 21,15 ). Eine vermittelnde Position behauptet, dass Manasse Juda zum Bösen verführt habe (2Kön 21,9 .11 .16 ).
Alles in allem ist die einseitig negative Abqualifizierung Manasses selbst in der Bibel nicht einheitlich durchgeführt. Insofern verwundert es nicht, dass auch die spätere Wirkungsgeschichte ein sehr ambivalentes Bild von Manasse zeichnet (s. unten 6.).
5. Gründe für die negative Wertung Manasses
Die negative Wertung Manasses mag mit verschiedenen Dingen zusammenhängen, die teils sogar einen Anhalt am historischen Manasse haben. Die Ursachen für die biblische Abqualifizierung Manasses können demnach unterschiedlich erklärt werden:
- 1.Als loyaler assyrischer → Vasall
war Manasse ohnehin suspekt und konnte nicht das gleiche Gottvertrauen wie Hiskija verdienen. - 2.Möglicherweise war Manasse tatsächlich für den Verfall des Jhwh-Kultes in Juda verantwortlich (van Keulen 1996, 211), auch wenn eine solche Position angesichts der typisch deuteronomistischen Wortwahl der biblischen Autoren fragwürdig ist.
- 3.Manasse konnte aufgrund seiner langen Regierungszeit als Negativ-Folie zu Joschija instrumentalisiert werden (Ben Zvi 1991, 360). Denn bei einer langen Herrschaft, die man nur noch vom Hörensagen kannte, konnte sich vieles verschlechtern.
- 4.Der Eigenname Manasse deutet eine Abqualifizierung bereits an (Stavrakopoulou 2005, 253), da Manasse zum einen mit der Wurzel NŠJ-D „vergessen machen“ verbunden werden kann, und da Manasse zum anderen der Name eines nordisraelitischen Stammes ist (→ Stämme Israels
). Nicht umsonst tritt Manasse in die Fußstapfen der Nordreichskönige Jerobeam I. und Ahab. - 5.Möglicherweise ging durch den Verlust der Schefela judäisches Krongut verloren. Dann wäre die Daviddynastie zusätzlich geschwächt gewesen, während die Macht der Clans zunächst wuchs und die lokalen Clanheiligtümer aufgewertet werden mussten (Lehmann 2012, 305). Für diese Missstände konnte Manasse tatsächlich verantwortlich gemacht werden.
- 6.Nachdem Juda wirtschaftlich aufblühte, konnte Manasse die Macht der Clans durch eine zentralistische Wirtschaftspolitik beschränken, so dass es zu sozialen Spannungen und auch zu Blutvergießen kommen musste.
Im Gegensatz zur polemischen Missdeutung Manasses durch 2Kön 21
6. Rezeption Manasses in der frühjüdischen Literatur
In der Wirkungsgeschichte wird Manasse vor allem für seine → Blutschuld
Trotzdem gibt es auch im frühjüdischen Schrifttum die Tradition, dass sich Manasse bekehrt habe (Abb. 18), wovon das apokryphe „Gebet Manasses“ ein beredtes Zeugnis abgibt. Allerdings habe sich Manasse zuvor erst an seine Götzenbilder um Hilfe gewandt und erst als diese versagten, habe er Jhwh angerufen. Der Jerusalemer Talmud weist noch darauf hin, dass Engel im Himmel durch die Schließung aller Fenster versucht hätten, das Gebet Manasses von Gott abzuschirmen (jSanh 10.2; Text Talmud
Im Talmud wird zudem diskutiert, ob Manasse nach Jer 15,4
Die Wirkungsgeschichte zeichnet folglich ein sehr ambivalentes Bild von Manasse (Abb. 20), wobei der negativen Konnotierung auch immer wieder positive Interpretationen an die Seite gestellt werden. Auf diese Weise zeigt sich, dass es sich bei Manasse um eine schwierige Figur handelt, die als Versager, aber auch als Held gedeutet werden kann.
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Abb. 1 König Manasse (Sankta Maria Kyrka in Åhus, Schweden). © Alte Meister
- Abb. 2 Juda zur Zeit Manasses. © E. Gaß 2022 auf Basis der Karte aus Welt und Umwelt der Bibel 2/1997 (Jean-Benoît Héron)
- Abb. 3 Idolatrie Manasses (Jan Luiken, 1712. De schriftuurlyke geschiedenissen en gelykenissen van het Oude en Nieuwe Verbond, Den Hague). © Alte Meister
- Abb. 4 Gebet Manasses (Bernard Picart, 1728. Taferelen der voornaamste geschiedenissen van het Oude en Nieuwe Testament en andere boeken, Den Hague). © Alte Meister
- Abb. 5 Assyrische Dominanz in der südlichen Levante zur Zeit Manasses (rosa: Vasallenstaaten). Aus: Bagg 2011 (mit Bearbeitung von E. Gaß)
- Abb. 6 Manasse-Siegel. © N. Avigad Pl.18
- Abb. 7 Steuereingänge unter Manasse. © E. Eshel 152
- Abb. 8 Nordwestmauer (rot: Hiskija; blau: Manasse). Aus: Geva 2003a, 193 (mit Bearbeitung von E. Gaß)
- Abb. 9 Wirtschaftssystem um Jerusalem im 7. Jh. v. Chr. (blau: Weinanbau, grün: Olivenanbau, gelb: Getreideanbau). © E. Gaß 2022
- Abb. 10 Königliche Domänen um Jerusalem. Aus: Moyal / Faust 292 (mit Bearbeitung von E. Gaß)
- Abb. 11 Wirtschaftssystem im Beerscheba-Tal. Aus: Höhn 113 (mit Bearbeitung von E. Gaß)
- Abb. 12 Doppeltoranlage von Ḫirbet Ġazze als Handelszentrum. Aus: Faust 2012, 181 (mit Bearbeitung von E. Gaß)
- Abb. 13 Allgemeines Wirtschaftssystem in der südlichen Levante im 7. Jh. v. Chr. (blau: Weinanbau, grün: Olivenanbau, gelb: Getreideanbau). © E. Gaß 2022
- Abb. 14 Verlagerung der Olivenölproduktion nach Ekron. © E. Gaß 2022
- Abb. 15 Idolatrie Manasses (David Martin, 1700. Historie des Ouden en Nieuwen Testaments). © Alte Meister
- Abb. 16 Verheißung an David durch Nathan (Matthias Scheits 1672). © Alte Meister
- Abb. 17 Zersägung Jesajas (Historienbibel, Wien um 1470). © Alte Meister
- Abb. 18 König Manasse im Exil (Marten de Vos 1550-1603). © Alte Meister
- Abb. 19 Bekehrung Manasses im Gefängnis (Jan Luiken, 1712. De schriftuurlyke geschiedenissen en gelykenissen van het Oude en Nieuwe Verbond, Amsterdam). © Alte Meister
- Abb. 20 Manasse (Johann Michael Dilherr, 1659. Tugendschaz und Lasterplaz, Nürnberg). © Alte Meister
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