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27. Mai 2018, Apahapsili, im Hochland von Westpapua in Ostindonesien: „Wai-jo hu-je – hinter den Bergen lebten wir, finster war es – wai-jo hu-je – Gott hat uns gefunden, hell strahlt jetzt sein Licht!“ singen sie im Rhythmus ihrer alten Tanzlieder. Mit Blumenkränzen im Haar und leuchtend farbigen Tragnetzen auf dem Rücken tanzen Frauen und Kinder an der Spitze eines langen Zuges. Hinter ihnen eine Reihe kräftiger Männer. Auf Stangen tragen sie schwere Kisten. Den Zug beschließen rund hundert Gemeindeleiterinnen und Gemeindeleiter in festlichen Gewändern. Wie einst das Volk Israel die Bundeslade mit den Zehn Geboten nach Kanaan brachte, so tragen sie die in ihre Sprache übersetzte Bibel in einen Festgottesdienst hinein. Eine Kiste voll mit frisch gedruckten 2000-seitigen Yali-Bibeln, eine andere mit einer reich bebilderten, 250-seitigen Yali-Kinderbibel. Singend begrüßen Tausende im Schatten von Bäumen versammelte Festgäste den Zug. Mir wird ein meterlanges brennendes Bambusrohr in die Hand gedrückt. Gemeinsam mit meinem Übersetzungsteam entzünden wir damit eine mitten in der Gemeinde aufgepflanzte riesige Fackel. „Hu-wai je-hu – Gottes gute Botschaft geht auf wie die Sonne – hu-wai je-hu!“ singt die Gemeinde. Es beginnt eine mehr als dreistündige Feier.

Immer wieder tritt jemand aus den Reihen der Gemeinde nach vorn. Einer betet im Wechsel mit der Gemeinde einen Psalm, auswendig. Eine Frau spricht mit der Gemeinde alle 10 Gebote, wieder ohne abzulesen. Ein Chor nach dem anderen tritt auf. Viele haben für diesen Tag ein Lied gedichtet. Alle bringen zum Ausdruck: Gottes Botschaft ist uns nicht fremd – oder wie sie es in ihrer eigenen Sprache sagen: „Die Allah Wene hat unsere Herzen gegessen!“ Als ich gemeinsam mit dem Übersetzungsteam schließlich eine Bibel erhebe, um sie der Gemeinde zu überreichen, wogt eine Gruppe von Tänzern heran und umkreist die Gemeinde. Das Klirren ihrer Pfeilbündel und ihre Freudenschreie vermischen sich mit dem Gesang der Gemeinde: „Was dem Bauern der Grabstock und dem Jäger Pfeil und Bogen, das ist uns die Allah Wene!“

Beginn der alttestamentlichen Übersetzung

1991 hatten mich einige führende Yalis gebeten, mit ihnen das Alte Testament zu übersetzen. Die Bibel ist für sie wie ein Spiegel ihres eigenen Lebens mit all ihren Fragen, ihrem Kampf ums Überleben, ihrer Sehnsucht nach gesundem und heilem Leben. „Das kneift uns in unserem Bauch, wenn wir es lesen,“ sagten sie und ließen nicht locker, bis wir uns zu den ersten Übersetzungsübungen zusammensetzten. Ein Abenteuer! Denn ein Verb hat bis zu 1.000 verschiedene Verbformen und wörtliche Übersetzungen klingen zunächst wie reines Kauderwelsch:

„Wir erschießen sie denkend sind sie gekommen sollst du sagen hat er gesagt dieses uns mitzuteilen ist er gekommen“ – soll heißen: „Er schickte uns die Nachricht vom Angriff der Feinde.“ Vor allem aber gibt es keine abstrakten Begriffe, kein Wort zum Beispiel für Liebe, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit. Also lernte ich von ihnen, dass man in ihrer Sprache nicht trauert (viel zu abstrakt!), sondern „es gärt im Bauch.“ Man erteilt keinen Auftrag (wieder zu abstrakt!), sondern „man drückt jemanden den Grabstock in die Hand und sagt ihm, er solle den Garten gut bestellen.“ Diese Sprache nötigt dazu, konkret und anschaulich zu sprechen. Erlösung ist „das Lösen des Bandes, mit dem meine Hände gebunden sind.“ Da man viele Dinge, von denen in der Bibel die Rede ist, im Hochland von Papua einfach nicht kennt, wird etwa der junge Wein, den man auf keinen Fall in alte Schläuche füllen soll (Markus 2,22) zum „frischen Wasser“, das man nicht „in brüchigen Bambusrohren“ aufbewahren soll. Übersetzungen in die Yali-Sprache können nur in tage- und nächtelangen Palaverrunden entstehen und müssen noch und noch auf Präzision und Treue zu den biblischen Ursprachen Hebräisch, Aramäisch und Griechisch wie auf Verständlichkeit für die Hörer geprüft werden. Das machte den Übersetzungsprozess zu einer breiten Bewegung, an der Hunderte beteiligt waren. Wenn ein Buch der Bibel übersetzt war, kamen manche Yalis über tagelange Märsche durch die dichten Bergwälder, um sich Vorabdrucke zu erbitten. Ich stand oft nächtelang, um mit einer einfachen Matritzenmaschine Tausende Seiten abzuziehen, die ich zu kleinen Büchlein band. In Predigten, Bibelarbeiten und Nacherzählungen der Texte hörten wir dann, wie weit sie verstanden wurden, ob vielleicht andere Begriffe genommen wurden, als wir sie gewählt hatten. Das trug zum einen zur Qualität der Übersetzung bei. Zum andern wurde dieses Buch von Anfang ihr eigenes. Die meisten Texte wurden im Laufe der Jahre sieben, acht Mal redigiert, bevor sie der Indonesischen Bibelgesellschaft zur letzten Korrektur übergeben wurden.

Sammlung von Mythen und Märchen

Während der Übersetzungsarbeiten hatten meine Yali-Kollegen immer wieder ausgerufen: „Das kennen wir aus den Erzählungen unserer Väter und Mütter!“ Ein ums andere Mal entdeckten sie Berührungspunkte zwischen dem biblischen Stoff und ihren mündlich überlieferten Traditionen. Sie fingen an sie zu sammeln und aufzuschreiben. Es entstanden Märchenbücher und Mythensammlungen. Anstelle eines durch Schulen und Regierung oft vermittelten Gefühls der Minderwertigkeit ihrer Sprache wuchs allmählich Freude an den reichen Ausdrucksmöglichkeiten der Yali-Sprache und das Gespür, nur in der eigenen Sprache wirklich zu Hause sein zu können. In den 200 über die Berge und Täler verstreuten Yali-Gemeinden fingen Männer und Frauen an, Lieder in ihrer eigenen Sprache zu dichten. Ein umfangreiches Yali-Kirchengesangbuch wurde neben der Bibel zum beliebtesten Buch. Nicht zuletzt ist der Wunsch, die Bibel lesen zu können, ein starkes Motiv zur Teilnahme an Alphabetisierungskursen. Nachdem sich zu Beginn der 2000-er Jahre die Grundschulversorgung dramatisch verschlechterte, besuchen Tausende die kirchlichen Lesekurse. Da sie in ihrer eigenen Sprache lesen lernen, können sie oft schon nach zwei Monaten die ersten Texte lesen, was Grundschüler auf den indonesischen Schulen oft nach sechs Jahren noch nicht können.

21.400 Bibeln gedruckt

Die ersten Versuche der Übersetzung der Bibel in die Yali-Sprache begannen bereits in den 60-er Jahren. Pfarrer Dr. Siegfried Zöllner war es in beispiellos geduldiger und sorgfältiger Arbeit gelungen, die Sprache, die bisher kein Nicht-Yali kannte, gründlich zu analysieren. Sie ist mit ihren etwa 100.000 Sprechern eine der am meisten gesprochenen unter den insgesamt 270 Sprachen Westpapuas. Zöllner übersetzte gemeinsam mit Yalis das Neue Testament. Es erschien 1988 im Druck. 1998 hatte ich mit insgesamt etwa einem Dutzend einheimischer Kollegen etwa die Hälfte aller alttestamentlichen Texte übersetzt. Wir ließen sie gemeinsam mit dem Neuen Testament in einer 1.200-seitigen Ausgabe drucken. Auf Drängen der Yali-Gemeinden erfolgte von 2010 an die Vervollständigung der Übersetzung. Sie wurde in diesem Jahr als die fünfte Komplettbibel unter den vielen Sprachen Papuas in einer Auflage von 14.400 Exemplaren gedruckt. Gleichzeit erschien die Yali-Kinderbibel in einer Auflage von 7.000 Büchern. Finanziert wurden die Drucke durch die Protestantische Kirche in Papua, die Weltbibelhilfe, die Indonesische Bibelgesellschaft, das Ev. Bibelwerk im Rheinland, die von Cansteinsche Bibelanstalt in Westfalen, den Kirchenkreis Schwelm und Lokalregierungen in Papua. Mit lautem „wah, wah, wah“ bedankten sich die Yali-Gemeinden für die Bibel, die sie auch gerne ihre geistliche Speise nennen, in ihrer Sprache „Gottes Süßkartoffel“. „Wie Jesus die Süßkartoffel brach, um sie mit seinen Jüngern zu teilen, so wollen auch wir mit unseren Geschwistern in Afrika und Europa teilen,“ sagten sie und überreichten uns am Ende des Festgottesdienstes einen dicken Umschlag mit sage und schreibe 2.000 Euro Spendengeldern für die Vereinte Ev. Mission. Wir dankten mit einem lauten „wah, wah, wah“, überwältigt davon zu erleben, dass die Allah Wene auf ein fruchtbares Stück Land gefallen ist.

 

Friedrich Tometten ist Pfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen und von der Vereinten Evangelischen Mission nach Papua entsandt. Von 1988 bis 1997 hat er mit Familie dort gelebt und gearbeitet. Seit 2008 ist er im Rahmen regelmäßiger mehrwöchiger Aufenthalte in Papua in der theologischen Ausbildung tätig. Pfarrer Tometten hat in jahrelanger Arbeit zusammen mit einem Team die Übersetzung der Bibel in die Yali-Sprache vervollständigt.

 

Fotos: Björn Heimann

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