Deutsche Bibelgesellschaft

Offenbarung 15,2-4 | Kantate | 28.04.2024

Einführung in die Offenbarung

In den letzten 30 Jahren hat die Forschung zur neutestamentlichen Johannesapokalypse erheblich an Dynamik gewonnen. Sowohl in Hinsicht auf die Fragen nach Verfasser, Adressaten, Abfassungszeit und literarischer Integrität dieser Schrift als auch im Blick auf den theologischen Skopus dieses letzten Buches des Neuen Testaments sind neue Vorschläge vorgelegt worden.

1. Verfasser

Angesichts des Sachverhalts, dass die Johannesapokalypse an die sieben christlichen Gemeinden in der römischen Provinz Asia, dem westlichen Teil der heutigen Türkei, gerichtet ist (Apk 1,4.11), darf davon ausgegangen werden, dass der – unter dem Namen „Johannes“ auftretende – Verfasser derselben eben in jenem Teil des Imperium Romanum beheimatet gewesen ist. Eine Forschungsmehrheit geht davon aus, dass es sich bei dem in Apk 1 eingeführten „Johannes“, einer konkret faßbaren, zur Zeit der Abfassung der Apk lebenden und im Rahmen einer christlichen Gemeinschaft oder eines Gemeindeverbandes theologisch-prophetisch wirkenden historischen Gestalt, um denjenigen handelt, dem die in der Apk verzeichneten Offenbarungen zuteil geworden sind bzw. der die Apk in ihrer Gesamtheit geschaut hat. Eine Forschungsminderheit versteht mit guten Argumenten die Apk als eine pseudonyme Schrift – nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, dass zahlreichen frühjüdischen Apokalypsen dieses Merkmal der Pseudonymität eignet. Der namentlich unbekannte Apokalyptiker habe seine Apokalypse verfaßt und dann der Gestalt des „Johannes“, einer herausragenden Figur aus der theologischen Vergangenheit der in der Apk angeschriebenen sieben Gemeinden, in den Mund gelegt und der Apk damit eine fiktive Vorzeitigkeit implementiert. Nach Meinung des Verfassers handelt es sich bei diesem „Johannes“ um den heros eponymos, die jenen theologisch prägende Gründungsfigur des „johanneischen Kreises“, eines in der Provinz Asia zu lokalisierenden Gemeindeverbandes, dem auch das Johannesevangelium und die drei Johannesbriefe zuzurechnen sind.

2. Adressaten

Die Apk ist adressiert an sieben im Westen der römischen Provinz Asia ansässige christliche Gemeinden. Zugunsten der Annahme, dass diese Gemeinden bzw. die in jenen organisierten Christen einer umfassenden, von staatlicher Seite autorisierten Christenverfolgung ausgesetzt wären, läßt sich in der Apk selbst keinerlei Textsignal namhaft machen. Vereinzelte Hinweise, die gegenwärtige Bedrängnisse von Seiten der nichtchristlichen Umwelt der in Apk angeschriebenen Christen zu indizieren scheinen, lassen sich, wenn überhaupt, auf einzelne, auf lokaler Ebene ergriffene behördliche Maßnahmen gegen die Christen deuten; Belege für staatlich organisierte und propagierte provinzweite oder gar reichsweite antichristliche Maßnahmen gegen jene bietet die Apk hingegen nicht. Viel eher scheint es so zu sein, dass sich die Adressaten der Apk zur Zeit der Abfassung der Apk mit ihrer nichtchristlichen Umwelt weitestgehend arrangiert hatten und sich – zumindest in ihrer Mehrheit – als ein durchaus integrativer Teil der jeweiligen pagan geprägten Stadtgesellschaft verstehen wollten. Würde die Abfassung der Apk, wie die gegenwärtige Mehrheit der Forschung dies vorschlägt, in die Zeit der Regentschaft des römischen Kaisers Domitianus (81–96 n.Chr.), konkret in die Zeit zwischen 90 und 95 n.Chr. datiert, so ließen sich für eine solche Annahme durchaus gute Gründe anführen: Nach einer Phase der politischen Instabilität nach dem Tode Kaisers Nero, des letzten Kaisers der julisch-claudischen Dynastie, im Jahr 68 n.Chr. – hinzuweisen ist hier in Sonderheit auf das sog. „Dreikaiserjahr“ 68/69 n.Chr., in dem mit den Imperatoren Galba, Otho und Vitellius gleich drei Imperatoren vergeblich versuchten, sich auf dem römischen Kaiserthron zu etablieren – übernahm im Jahr 69 n.Chr. mit Flavius Vespasianus der im ersten jüdischen Krieg 66–70 n.Chr. siegreiche römische Feldherr die Macht. Jenem gelang es, die Verhältnisse zu stabilisieren und die flavische Dynastie zu etablieren. Flavius Vespasianus (69–79 n.Chr.) und seine Söhne Titus (79–81 n.Chr.) und Domitianus (81–96 n.Chr.) beruhigten die innen- und außenpolitische Lage und trugen, vor allem auch durch eine umfassende Wirtschafts- und Strukturförderung, wesentlich zu einer nach Jahren der Stagnation wieder wachsenden Prosperität des gesamten Imperium Romanum und damit natürlich auch der Provinz Asia und ihrer Einwohner bei.

Vor diesem Hintergrund will nicht verwunderlich scheinen, dass auch die christlichen Einwohner derselben keiner Anlaß sahen, sich, soweit es ihr christlicher Glaube aus ihrer Sicht zuließ, in die Gesellschaft ihrer jeweiligen Stadt zu integrieren und sich der kultisch-religiösen Verehrung des – nach Röm 13,1–7 ja immerhin von Gott eingesetzten – amtierenden römischen Regenten zumindest nicht von vornherein und in Fülle und Gänze zu verschließen. In noch weitaus stärkerem Maße gilt dies, wird die Abfassung der Apk in die Zeit der Regentschaft des Kaisers Hadrianus (117–138 n.Chr.) datiert. Dieser als „Reisekaiser“ bekannte römische Herrscher bereiste die Provinz Asia mehrere Male und zeigte allein durch seine Anwesenheit vor Ort und die aus diesem Anlaß den örtlichen Kommunen jeweils zur Verfügung gestellten Geldmittel, dass ihm daran lag, die Wohlfahrt dieser Provinz und ihrer Einwohner in sehr konkreter Weise zu fördern. Im Zuge eines umfassenden verwaltungstechnischen Restrukturierungsprogramms des gesamten östlichen Teils des Imperium Romanum wurde Hadrianus mit der Gottheit Zeus Olympios kultisch-religiös verbunden und als irdische Erscheinung desselben sowohl im öffentlichen als auch im unmittelbar privaten, sogar im familiären (!) Raum als Hadrianos Olympios, Retter und Schöpfer verehrt. Dass sich auch die christlichen Profiteure dieser kaiserlichen Wohlfahrtspolitik veranlaßt gesehen haben, sich an der kultisch-religiösen Verehrung gerade auch dieses Herrschers aktiv zu beteiligen, kann letzten Endes nicht wunder nehmen.

3. Entstehungsort

Die Apk gibt an, an einem Sonntag auf der Insel Patmos, einer der Provinz Asia vorgelagerten Insel, empfangen worden zu sein (Apk 1,9f.). Die Begründung, die der Apokalyptiker für seinen Aufenthalt auf Patmos liefert, läßt mehrere Deutungen zu:

  1. 1.Der Apokalyptiker befand sich auf dieser Insel in einer – womöglich zeitlich begrenzten – Verbannung. Dieser lange Zeit den Forschungsconsensus repräsentierenden These widerspricht jedoch, dass Verbannte in der Regel an Verbannungsorte verbracht worden sind, die sich in erheblicher räumlicher Entfernung von ihrem Wohnort befanden. Wenn der Apokalyptiker in der Provinz Asia lebte und wirkte, will Patmos als Verbannungsort eher unwahrscheinlich erscheinen.
  2. 2.Der Apokalyptiker befand sich auf Patmos, um dort das Evangelium zu verkündigen.
  3. 3.Der Apokalyptiker besuchte diese nur sehr dünn besiedelte Insel, um sich geistlich inspirieren zu lassen.

Unter den sieben in der Apk aufgelisteten Städten, in denen die angeschriebenen christlichen Gemeinden ansässig sind, sind in Sonderheit Ephesus, Hauptstadt und Regierungssitz der Provinz Asia, Pergamon und Smyrna als politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentren hervorzuheben, die sämtlich auch bedeutsame Heiligtümer beherbergten, in denen ehemalige oder aber auch amtierende römische Kaiser provinzweit kultisch-religiös verehrt worden sind. Die mit diesen provinzialen Kulten jeweils verbundenen Spiele sorgten dafür, dass diese Städte auch als touristische Ziele in Erscheinung getreten sind. Einer schlüssigen Antwort harrt die Frage, warum der Apokalyptiker nur diese sieben christlichen Gemeinden angeschrieben hat, wiewohl doch davon auszugehen ist, dass zur Zeit der Abfassung der Apk in dieser Provinz mehr als diese sieben existierten. Will man nicht mit der Zahl „sieben“ als einer heiligen Zahl argumentieren und annehmen, dass diese sieben Gemeinden pars pro toto für alle provinzialen christlichen Gemeinden ständen und in der Apk somit sämtliche asianische Gemeinden angeschrieben wären, ließe sich immerhin denken, dass es sich bei diesen sieben Gemeinden um solche handelte, die dem Gemeindeverband des „johanneischen Kreises“ zuzurechnen seien bzw. diesen Gemeindeverband eigentlich konstituierten. Daraus folgte: In der Apk schriebe ein Prophet oder Theologe des „johanneischen Kreises“ an die eben zu diesem Kreis sich zählenden Christen.

4. Wichtige Themen

In der Apk ruft der Apokalyptiker zentral dazu auf, standhaft und treu im Glauben zu bleiben, sich der paganen Mehrheitsgesellschaft und ihren „bürgerlichen“ Verlockungen, in Sonderheit der Teilhabe an der kultisch-religiösen Kaiserverehrung vollständig zu verweigern und dafür auch gesellschaftliche Nachteile und Repressionen in Kauf zu nehmen. Nur derjenige – so seine These – der diesen Weg der vollständigen Separation gehe, werde des in Bälde zu erwartenden, in der Errichtung eines neuen Himmels und einer neuen Erde gipfelnden endgültigen Heils teilhaftig und erhalte die Möglichkeit, in heilvoller Gemeinschaft mit Gott und seinem Christus in Ewigkeit zu leben. Diejenigen, die sich in die pagane Mehrheitsgesellschaft integrieren, haben hingegen die ewige Vernichtung zu gewärtigen.

Literatur:

  • D.E. Aune, Revelation, 3 Bände, Dallas/Nashville 1997/1998 (WBC 52.52A.52B)
  • T. Witulski, Die Johannesoffenbarung und Kaiser Hadrian. Studien zur Datierung der neutestamentlichen Apokalypse, FRLANT 221, Göttingen 2007.

A) Exegese kompakt: Offenbarung 15,2-4

Im „apokalyptischen Hauptteil“ Apk 4–22, der unmittelbar an die in Apk 2f. gebotenen sieben „Sendschreiben“ anschließt, greift der Apokalyptiker das Thema der Glaubenstreue und der Standhaftigkeit, d.h. der Verweigerung gegenüber einer – aus der Sicht des Apokalyptikers zum Verlust der eigenen christlichen Identität führenden – Integration in die pagane Mehrheitsgesellschaft in unterschiedlichen Zusammenhängen auf. In Apk 15,2-4 kommt er auf die Konsequenzen einer solchen gelebten und durchgehaltenen Glaubenstreue und Standhaftigkeit zu sprechen.

2Καὶ εἶδον ὡς θάλασσαν ὑαλίνην μεμιγμένην πυρὶ καὶ τοὺς νικῶντας ἐκ τοῦ θηρίου καὶ ἐκ τῆς εἰκόνος αὐτοῦ καὶ ἐκ τοῦ ἀριθμοῦ τοῦ ὀνόματος αὐτοῦ ἑστῶτας ἐπὶ τὴν θάλασσαν τὴν ὑαλίνην ἔχοντας κιθάρας τοῦ θεοῦ. 3καὶ ᾄδουσιν τὴν ᾠδὴν Μωϋσέως τοῦ δούλου τοῦ θεοῦ καὶ τὴν ᾠδὴν τοῦ ἀρνίου λέγοντες·

μεγάλα καὶ θαυμαστὰ τὰ ἔργα σου,

κύριε ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ·

δίκαιαι καὶ ἀληθιναὶ αἱ ὁδοί σου,

ὁ βασιλεὺς τῶν ἐθνῶν·

4τίς οὐ μὴ φοβηθῇ, κύριε,

καὶ δοξάσει τὸ ὄνομά σου;

ὅτι μόνος ὅσιος,

ὅτι πάντα τὰ ἔθνη ἥξουσιν

καὶ προσκυνήσουσιν ἐνώπιόν σου,

ὅτι τὰ δικαιώματά σου ἐφανερώθησαν.

Offenbarung 15:2-4NA28Bibelstelle anzeigen

Übersetzung

2 Und ich sah etwas wie ein gläsernes Meer, vermischt mit Feuer; und (sah) die, welche sich als Sieger erwiesen hatten über das Tier und über sein Bild und über die Zahl seines Namens, an dem gläsernen Meer mit Harfen Gottes stehen.

3 Und sie singen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes und sprechen: Groß und wunderbar sind deine Werke, o Herr, Gott, Du Allmächtiger! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, Du König der Völker!

4 Wer sollte Dich nicht fürchten, o Herr, und Deinen Namen nicht preisen? Du allein bist heilig, alle Völker werden kommen und vor Dir anbeten, Deine gerechten Taten sind offenbar geworden!

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

V. 2: Das Objekt des „Siegens“ bzw. „Überwindens“ wird hier nicht im Akkusativ geboten, sondern mit der Präposition ἐκ c.gen. konstruiert. In der Forschung wird darüber nachgedacht, ob sich diese  außergewöhnliche Formulierung auf semitisierenden Einfluss zurückführen lässt oder ob der Apokalyptiker an dieser Stelle bewusst einen Soloecismus (eine grammatische Inkongruenz) eingebaut habe, um mit diesem etwa bei M. Fabius Quintilianus belegten rhetorischen Mittel die Wichtigkeit des von ihm hier Ausgeführten in besonderer Weise zu unterstreichen. Mit dem Syntagma ἀριθμὸς τοῦ ὀνόματος αὐτοῦ (θηρίου) ist angespielt auf die Ausführungen in Apk 13,18; hier wird die „Zahl des Namens“ des ersten der beiden in Apk 13 auftretenden Tiere als „sechshundertsechsundsechzig“ angegeben. Dieser Quantifizierung liegt das Verfahren der Gematrie zugrunde, das in Sprachräumen zur Anwendung kommen kann, in denen die einzelnen Buchstaben eines Alphabets zugleich als Zahlzeichen fungieren. Werden die einzelnen Buchstaben eines Namens als Zahlzeichen wahrgenommen, so lässt sich auf dem Wege der Addition der Zahlenwerte, die die einzelnen Buchstaben jeweils transportieren, die „Zahl“ eben dieses Namens kreieren.

V. 4: Das im griechischen Text begegnende dreimalige ὅτι wird hier im Sinne eines Spiegelstriches begriffen und bleibt daher in der Übersetzung unberücksichtigt. Letzten Endes liefern die mit dieser Konjunktion eingeleiteten Sätze die Begründung für die zuvor rhetorisch angefragte Furcht Gottes und den in eben dieser Weise rhetorisch angefragten Lobpreis.

2. Literarische Gestalt, Kontext und Schwerpunkt der Interpretation

In diesem Text treten die „Sieger“, die „Überwinder“ auf und bringen, indem sie das Lied des Mose und des Lammes intonieren, Gott einen Lobgesang dar; sie preisen dessen Schöpfungsmächtigkeit, besingen seine Gerechtigkeit und seine Heiligkeit und erwarten, dass am Ende der Tage alle Völker kommen und, ihnen gleich, Gott die Ehre erweisen werden. Interessant ist, dass der Apokalyptiker in 15,2 erst- und einmalig auf das Objekt des „Siegens“ bzw. des „Überwindens“ zu sprechen kommt; begegnen die Begriffe „Siegen“ bzw. „Überwinden“ bereits gehäuft in den die sieben „Sendschreiben“ jeweils abrundenden „Überwindersprüchen“, somit also bereits in Apk 2f., so schweigt sich der Apokalyptiker dort über das Objekt solchen „Siegens“ bzw. „Überwindens“ aus, um dieses dann in 15,2 umso deutlicher zu benennen. „Besiegt“ bzw. „überwunden“ worden sind: Das Tier, dessen Bild und die Zahl seines Namens. Für das Verständnis der Apk ist die Frage, welche konkrete menschliche Gestalt sich hinter diesem Tier verbirgt, von nicht unerheblicher Bedeutung. Die Ausführungen in 13,18 - ὁ ἔχων νοῦν ψηφισάτω τὸν ἀριθμὸν τοῦ θηρίου, ἀριθμὸς γὰρ ἀνθρώπου ἐστίν, καὶ ὁ ἀριθμὸς αὐτοῦ ἑξακόσιοι ἑξήκοντα ἕξ („Wer Verstand hat, berechne die Zahl des Tieres, denn es ist die Zahl eines Menschen, und seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig“) – geben zu der Vermutung Anlass, dass der Apokalyptiker hier ein doppeldeutiges Rätsel formuliert hat: Die „Zahl des Tieres“ umschreibt einerseits eine mythologische Figur, andererseits eine konkrete menschliche Gestalt. Letztlich wird man, zieht man die Darstellung in Apk 13 insgesamt zu Rate, nicht fehlgehen, hinter der Gestalt dieses Tieres den zur Zeit der Abfassung der Apk amtierenden römischen Kaiser zu vermuten, dem in der römischen Provinz Asia in erheblichem Maße religiös-kultische Verehrung entgegengebracht worden ist. Während die Vertreter der These, die Apk sei in der Zeit der Regentschaft des Kaisers Domitianus abgefasst worden, eben diesen mit der Figur des Tieres identifizieren, sprechen durchaus gute Gründe dafür, dass es sich bei dieser Gestalt um Kaiser Hadrianus handelt (siehe oben, Einführung in die Offenbarung). Entscheidender als diese Identifikation ist jedoch der Sachverhalt, dass der Apokalyptiker dieses Tier, d.h. also den amtierenden römischen Regenten, als den irdischen Agenten des Drachen (vgl. Apk 12), der zunächst im Himmel ansässigen, dann jedoch aus diesem entfernten satanischen und widergöttlichen himmlischen Macht, entlarvt. M.a.W.: Gänzlich anders als etwa Paulus in Röm 13,1-7 stellen das Imperium Romanum und der  amtierende princeps keine von Gott selbst zum Wohl der Menschen eingesetzten Institutionen und Figuren dar, denen zwar keine göttliche Verehrung zukommt, deren Anordnungen aber doch zumindest Gehorsam zu leisten ist. Der Apokalyptiker begreift das Imperium Romanum und den amtierenden princeps als in Wahrheit – erkennbar natürlich nur für denjenigen, der, wie eben er, ‚hinter die Kulissen‘ zu blicken vermag – satanische Einrichtungen. Um nun des ihnen bereits zugebilligten Heils nicht verlustig zu gehen, sind die Christen aufgefordert, sich sowohl der kultisch-religiösen Verehrung des Satans selbst  – möglich wäre es, hier etwa an die Gottheit Zeus zu denken – als auch des amtierenden römischen Kaisers als seines irdischen Agenten radikal zu verweigern. Sie sind gerufen, von Versuchen, sich als aktives Element in die pagane Mehrheitsgesellschaft zu integrieren, explizit Abstand zu nehmen. Wer – dies ist die Warnung, die der Apokalyptiker in seinem Werk insgesamt ausspricht – sich dieser Integration nicht voll und ganz verweigert, der geht seiner christlichen Identität verlustig und verliert damit seine Teilhabe am endzeitlichen Heil. Göttliche Verehrung kommt einzig und allein dem Gott des Alten Testaments als dem Schöpfer der Welt und dem Herren der Geschichte (15,3) und dem ἀρνίον Christus als seinem „himmlischen“ Agenten zu. Hymnen sind ausschließlich an Gott und an Christus zu adressieren, nicht jedoch an den Drachen oder den amtierenden römischen Kaiser. Letzten Endes wird diese Erkenntnis sich durchsetzen, werden alle Völker kommen und den bereits im Alten Testament verkündigten Schöpfer des Himmels und der Erde anbeten (15,4). Inwieweit sich der Apokalyptiker mit seinem radikalen Verweigerungskurs bei den Rezipienten seines Werkes durchzusetzen vermochte, muss freilich dahingestellt bleiben. Die Geschichte der Kirche wie auch die Geschichte der Kanonisierung der Apk zeigen, dass er eine Minderheitenposition vertreten hat.

3. Theologische Perspektivierung

Diese in ihrer Kompromisslosigkeit im Neuen Testament nur noch mit dem im Johannesevangelium und im ersten Johannesbrief begegnenden Dualismus zwischen christlicher Gemeinde und sie umgebender „Welt“ zu vergleichende Verkündigung fordert Christen zu allen Zeiten dazu auf, ihre Sicht der sie umgebenden politischen Institutionen und Figuren und ihr Verhältnis zu ihnen immer wieder neu zu reflektieren und darauf achtzugeben, im Rahmen ihres Umgangs mit ihnen nicht der eigenen christlichen Identität verlustig zu gehen. Da, wo Staat und Gesellschaft als Mächte in Erscheinung treten, die für sich eine unbedingte Verehrung einfordern, ist ihnen in aller Entschiedenheit und kompromisslos entgegenzutreten. Nicht übersehen werden sollte jedoch, dass diese eschatologische zugleich auch eine die Gegenwart betreffende Perspektive impliziert: Der, der am Ende der Zeit angebetet wird und bestehen bleibt, ist auch der, der in der Gegenwart da ist, begleitet und trägt.

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Die Exegese spitzt die Textaussagen sehr auf ein für die ganze Apk nachgewiesenes Motiv zu: die zu starke Integration von Christinnen und Christen in die umgebende nicht christliche Mehrheitsgesellschaft. Es ist ein wichtiges Grundmotiv. In der Predigtvorbereitung für diese Perikope, zumal für den Sonntag Kantate, befriedigt dieses im zweiten Teil von Vers 2 und in der Luther-Übersetzung im Wort „Urteile“ in Vers 4 anklingende Motiv nicht. Eher erscheint die Auffälligkeit, dass hier das „Objekt“ des Lobes, der Hymnen und der Anbetung beschrieben wird, hilfreich: Die Geretteten, Standhaften besingen und beschreiben Gott. Die Beschreibung ruht, passend zum Sonntag Kantate, auf zwei in Stichworten zitierten innerbiblischen Hymnen auf. Für die Predigtvorbereitung erscheint es auch nötig, die mit großer Wahrscheinlichkeit für die meisten Predigthörenden bestehende Fremdheit der Textaussagen zu berücksichtigen. Hier bietet die Exegese hilfreiche Hinweise zu denen, „die den Sieg behalten hatten“ und zur Gematrie. Dennoch bleibt eine Lücke spürbar, wenn nicht auch die Situierung des Textes im Geschehen der Johannes-Offenbarung angedeutet und der Einstieg mit dem gläsernen mit Feuer vermengten Meer erklärt wird.

2. Thematische Fokussierung

Gesang kann ein unmittelbarer Ausdruck der Gottesbeziehung sein. Konkurrierende Musikstile haben doch das gemeinsame Ziel, Gott und die Gottesbeziehung zu feiern, Gott Ehre zu geben, zu verkündigen. Die Konkurrenz kann direkt angesprochen werden; als wichtiges Nebenthema kann Versöhnung der oft unversöhnlich vorgebrachten Argumente für verschiedene Stile – zwischen Generationen, Milieus, inner- und außerkirchlich – auftauchen. 2024 werden 500 Jahre erstes evangelisches Gesangbuch gefeiert, so sind die Themen auch durch das Jubiläum präsent.

Insofern kann der Gesang zweier völlig unterschiedlicher Hymnen in Vers 3 als Ausgangssituation genommen werden: Was bietet das (erste) Mose-Lied aus Ex 15 für die Gegenwart an? Zielt es auf innerweltliche „Überwindung“ und Rettung? Was ist das Besondere, Abweichende an den Christushymnen – vielleicht die zusätzliche Dimension von „Wahrheit“ und die am Kreuz orientierte Soteriologie? Die Exegese verweist auf die johanneische Schule; dann könnte mit dem Lied des Lammes eher an Joh 1 als an den Philipper- (Phil 2,5-11), Epheser- (Eph 1,3-14) oder Kolosserhymnus (Kol 1,15-20) gedacht werden; für die Predigtvorbereitung könnten diese Hymnen vielleicht einmal gelesen werden.

Und damit ist man unmittelbar beim eigenen, am Predigtort üblichen und einen selbst prägenden Liedgut. Exemplarisch könnte man sich auf Lieder besinnen, die in beiden Zusammenhängen aussagestark sind oder waren. Bei allem Verlust von Liedkultur und Traditionsabbruch zeigen Statistiken, dass neben anderen Quellen Lieder der Konfirmandenzeit prägend blieben. – Das ausgewählte Liedgut kann nun wieder auf die in der Exegese aufgeführten Motive (Überwindung, Standhaftigkeit, Anpassung u.a.), ebenso auf Fragen der Gottesdarstellung, von Dank, Lob, auch Klage geprüft werden.

Alternative Wege der Predigtvorbereitung wären die Bezüge zur Apokalypse als Thema der Gegenwart und Hoffnungen zu einem „Überwinden“ und „Bestehen“, der Kontrast zwischen Sieg-Niederlage-Vorstellungen in der Johannes-Offenbarung und den sanfteren kirchlichen Konzepten der Gegenwart, die Weiterdeutung von Tier, Namen und Zahl bis hin zur Gegenwart, die Anbetung der Völker und das Verhältnis der Religionen, die auch in der Perikope gefunden werden.

3. Theologische Aktualisierung

Der Text kann als Ausgangspunkt genommen werden, um über gegenwärtiges Singen und Beten, auch über die ‚Sprache der Religion‘ zu predigen: Sieg, Größe, Wunder, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Furcht, Preisen, Heiligkeit, Anbetung, Offenbarung, dazu individuelles Bestehen und universale Geltung klingen in den Versen an; eine kurze „Wortfeldbesinnung“ kann der oder dem Predigenden in der Vorbereitung helfen. Lieder aus Tradition und Gegenwart können danebengestellt, ausgewählte „große“ Begriffe mit konkreter Bedeutung gefüllt werden.

Eine eigene konstruktive Spannung geht von der Situation der Singenden im Predigttext aus: Sie haben überwunden, waren treu, nun können sie in Fülle Gott preisen. Verheißung – der Lohn des Überwindens – und Anspruch sind hier eng verbunden; erst auf das Überwinden folgt der Lobpreis. Der Gefahr zu großer Überforderung muss jedoch begegnet werden. Zusätzlich steht die Perikope innerhalb der Johannes-Offenbarung als eine kurze ‚Insel der Ruhe‘; schreckliches Geschehen geht im Buch weiter und deutet so auf die stete Unvollkommenheit der „diesseits“ erreichten Situation.

4. Bezug zum Kirchenjahr

Dennoch geht von einer solchen kraftvollen „Insel der Ruhe“ eine Wirkung aus: Sie bestärkt, weiter an dem als gut Erkannten zu bleiben, hier der Treue zu Gott. Dasselbe gilt für viele Lieder, die die Glaubensgeschichte hindurch Wirkung entfaltet haben und weiter entfalten: in jüdischer Tradition, von den Gesängen der ersten Christinnen und Christen über Verfolgungs- und Missionsgeschehen, verschiedenste monastische Liedtraditionen, Ketzer- und Kirchengesänge, Reformation, Pietismus, bis zu Liedbewegungen, charismatischen und anderen Traditionen, Kirchentags- und immer wieder erneuertem Liedgut. An Kantate im Osterfestkreis daran zu erinnern, lokale, persönliche oder allgemeine Tendenzen auszulegen ist zwar „wohlfeil“, erscheint aber angemessen.

Mit dem Wochenspruch „Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder“ (Ps 98,1), dem Wochenpsalm 98 und den Wochenliedern EG 302 und EGE 19 ist die Grundlage für einen sehr fröhlich gestimmten Gottesdienst gelegt. Die mit der Exegese vorbereiteten Mahnungen haben darin durchaus ihren Platz. Die AT-Lesung berichtet von der heilsamen Wirkung der Musik (1 Sam 16,14-23, David kommt zu Saul), nicht ohne unheilvollen Unterton. Der Tugendkatalog Kol 3,12-17 als Epistellesung enthält wie der Predigttext lauter „große“ Worte und die Aufforderung zum Lobgesang. Jesu Aussage in der Evangelienlesung Lk 19,37-40, auch wenn die singende Menge schwiege, sängen die Steine weiter, steht den impliziten Drohungen „der Pharisäer“ entgegen.

Der Sonntag Kantate ist immer wieder die Möglichkeit, einer angeblichen evangelischen Verkopftheit die Schönheit und Unmittelbarkeit des musikalischen Ausdrucks entgegenzusetzen. Der Predigttext bietet die Gelegenheit zur Bündelung einer musikalisch-gottesdienstlichen Inszenierung in der Auslegung z. B. der Gottesaussagen des Textes, zumal im Jubiläumsjahr des ersten ev. Gesangbuchs.

5. Anregungen

Für die Predigt bieten sich die verschiedensten Modelle einer Kombination von Musik und Text von der Einbettung von Musik oder Liedstrophen bis hin, wo möglich, zu einem Kantaten- oder Konzertgottesdienst an; in letzteren beiden könnte mit dem Predigttext auf die Tradition des Gesangs als Ausdruck von Dankbarkeit und Hoffnung verwiesen und dann der Kantatentext o.ä. thematisiert werden.

In kleineren Rahmen kann das, vielleicht sogar persönlich mit Gitarre vorgetragene ‚neue‘ Wochenlied EGE 19 „Ich sing‘ dir mein Lied“ eine Predigt zu persönlichen Erfahrungen mit Musik / Gesang als Glaubensausdruck einleiten. Und wie viel mehr an Assoziationen ist durch Lieder o.ä. möglich, von Kindergottesdienst und Jugendarbeit, Kirchentagen, Konzerten, Lobpreis, Tauf- und Hochzeitsliedern, Gemeinschaftserfahrung bis zu erst einmal gänzlich unreligiösen Erfahrungen der gemeinsamen Lieder von Verliebten, der aufbauenden Wirkung härtester Rock- ebenso wie Kunstlieder, einem gerade verbreiteten Popsong oder Schlager (aus der Vorauswahl für den Eurovision Song Contest, 7.-11. Mai 2024?) oder anderen musikalischen Bezügen. Eine gesungene Predigt? Duett oder Quartett? Gemeindegruppen? Zentral ist, dass das Anliegen einer Predigt, zu verkündigen und etwas zur Gottesbeziehung beizutragen, nicht untergeht.

Autoren

  • Prof. Dr. Thomas Witulski (Einführung und Exegese)
  • Dr. Andreas Ohlemacher (Praktisch-theologische Resonanzen)

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