Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Dezember 2010)

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1. Die Krise der Republik

Der Aufstieg Roms zur den gesamten Mittelmeerraum bestimmenden Großmacht im 2. / 1. Jahrhundert v. Chr. warf auf der Basis der bestehenden republikanischen Verfassung erhebliche Probleme auf; diese Probleme wurden nach einem Jahrhundert der Bürgerkriege erst durch die Begründung des Prinzipats einer Lösung zugeführt. Die 107 v. Chr. veranlasste Reform der römischen Militärverfassung durch den Feldherrn und Staatsmann Gaius Marius (156–86 v. Chr.) und die damit einhergehende Ersetzung der Miliz- durch eine besoldete, gut ausgebildete und länger dienende Berufsarmee, häufig rekrutiert aus unteren sozialen Schichten, führte zur sog. Heeresclientel, d.h. zu einer engen Bindung der Soldaten an ihren jeweiligen Feldherren, von dem die nunmehrigen Berufssoldaten in ihrer aktiven Zeit eine Beteiligung an der in den Eroberungszügen gemachten Beute und nach ihrer Entlassung aus dem aktiven Dienst eine angemessene Versorgung erwarteten. Diese enge Bindung belastete jedoch die politische Verfassung in erheblichem Maße. Denn für die Feldherrn ergab sich nun die Möglichkeit, mit den ihnen ergebenen und von ihnen zumindest z.T. finanzierten Truppen eigene Interessen auch gegen den Willen von Senat oder Volksversammlung durchzusetzen. Das Zeitalter der Bürgerkriege ist von diesen „privaten“ Armeen ehrgeiziger Politiker geprägt. Darüber hinaus erwies sich die Tatsache als problematisch, dass diejenigen Soldaten, die, aus unteren sozialen Schichten stammend, im Militär Karriere gemacht hatten, nicht mehr bereit waren, sich nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst wieder in die gesellschaftliche Hierarchie einzuordnen.

Zusätzlich wurde die Republik durch die etwa 133 v. Chr. beginnende gesellschaftliche Auseinandersetzung zwischen den Optimaten und den Popularen belastet. Die Popularen wollten die sozialen Gegensätze in Rom durch eine umfassende Agrarreform überwinden (Gracchische Reformen 133 v. Chr.), scheiterten jedoch. Einen ersten Höhepunkt erreichte diese Auseinandersetzung, als L. Cornelius Sulla Felix (138 / 134–78 v. Chr.), einer der Führer der Optimaten, das durch den beinahe gleichzeitigen Tod der beiden amtierenden consules entstandene Machtvakuum nutzte und sich zum Diktator aufschwang (82–79 v. Chr.), nach der kurzzeitigen Errichtung einer Terrorherrschaft jedoch freiwillig zurücktrat.

Immer wieder nutzten erfolgreiche Feldherrn diese insgesamt instabile Situation, um ihre eigene Machtposition zu festigen. So zeigt etwa das erste Triumvirat des Cn. Pompeius Magnus gemeinsam mit C. Julius Caesar und M. Licinius Crassus 60 v. Chr. deutlich die strukturelle Schwäche der späten Republik; die „außerordentlichen“ Imperien des Pompeius, an die Octavianus dann anknüpfte, gaben ersterem eine zuvor nicht dagewesene Machtfülle in die Hand. Nach dem Tod des Crassus und seinem Sieg über Pompeius 48 v. Chr. und weiteren siegreichen Gefechten gegen mit Pompeius verbündete republikanische Kräfte wurde Caesar zum Missfallen seiner republikanischen Gegner de facto zum Alleinherrscher des Imperium Romanum. Diese auf Dauer angelegte Machtfülle in der Hand eines einzelnen musste einen Gegenschlag zumindest unter dem Deckmantel des Versuchs der Wiederherstellung der Republik provozieren – an den Iden des März 44 v. Chr. wurde Caesar ermordet, ohne dass jedoch seine Idee einer politischen Neuordnung des römischen Reiches ausgelöscht werden konnte. M. Antonius (86 / 83–30 v. Chr.), ein Vertrauter Caesars, und C. Octavianus (63 v. –14 n. Chr.), Caesars Großneffe und Haupterbe, schlossen sich zusammen und vernichteten die Republikaner 42 v. Chr. in der Schlacht bei Philippi. 40 v. Chr. kam es zum Vertrag von Brundisium, in welchem die Interessensphären zwischen diesen beiden und ihrem Mitregenten M. Aemilius Lepidus geteilt wurden, ohne dass jedoch die Spannungen zwischen Antonius und Octavianus ausgeräumt werden konnten. Octavianus besiegte Antonius 31 v. Chr. schließlich in der Seeschlacht von Actium und wurde zum unumschränkten Herrscher innerhalb des Imperium Romanum.

2. Die Begründung des Prinzipats

Am 13. Januar 27 v. Chr. begann in Rom ein mehrtägiger Staatsakt, der den Ausnahmezustand des Bürgerkriegs auch offiziell beendete. Formal wurde damit die alte Ordnung der Republik wiederhergestellt, tatsächlich aber eine völlig neue, monarchische Ordnung geschaffen: das spätere römische Kaisertum in Gestalt des Prinzipats mit republikanischer Fassade. Auf Vorschlag des L. Munatius Plancus verlieh der Senat Octavianus am 16. Januar den neu geschaffenen Ehrennamen Augustus („der Erhabene“).

In den Jahren nach Actium stand der Alleinherrscher vor drei großen Aufgaben: den Staat neu aufzubauen, das Reich nach innen und außen zu sichern und die Nachfolge zu regeln, um seinem Werk auch über seinen Tod hinaus Dauer zu verleihen. Da Octavianus all das gelang, markiert der Staatsakt vom Januar 27 v. Chr. nicht nur den Beginn seiner 40-jährigen Regierungszeit als princeps, sondern auch den einer ganz neuen Epoche der römischen Geschichte. Konkret stand Octavianus nach seinem Sieg bei Actium vor folgendem Problem: Er musste eine Staatsordnung schaffen, die für das in mehr als 400 Jahren gewachsene, republikanische Rechtverständnis der Römer akzeptabel war und zugleich der Tatsache gerecht wurde, dass sich die tatsächliche Macht seit 70 Jahren weg vom Senat, den Konsuln und den anderen republikanischen Institutionen mehr und mehr hin zu den Befehlshabern der Legionen verlagert hatte. Octavianus ging es nun darum, diese außerordentliche Gewalt der Militärdespoten in eine ordnungsgemäße umzuwandeln, sie also rechtlich in das bisherige Staatsgefüge einzufügen.

Die einfache Wiederherstellung des alten republikanischen Staatswesens kam für ihn aus zwei Gründen nicht in Frage: Zum einen war die staatstragende Bevölkerungsschicht der Republik, der Senatsadel, durch die Bürgerkriege weitgehend vernichtet worden. Zum anderen erforderte die Ausdehnung des Reiches eine große Zahl von Legionen. Dies hätte deren Befehlshaber immer wieder in die Lage versetzt, sich zum imperator ausrufen zu lassen und die Macht an sich zu reißen. Es galt, die Befehlsgewalt, das imperium, über das Gros des römischen Militärs in einer Hand zu vereinen: Die sog. Heeresclientel musste monopolisiert werden. Dabei kam Octavianus zugute, dass sich nach der außerordentlich instabilen und die gesellschaftlichen Kräfte aufbrauchenden Vergangenheit auch die traditionell antimonarchisch eingestellte römische Bevölkerung bereitfand, die militärische Macht in den Händen eines Mannes zu konzentrieren. Zudem ging Octavianus bei der Einführung der neuen staatlichen Ordnung sehr diplomatisch vor: Er strebte – zumindest augenscheinlich – nicht die Position eines Monarchen an, sondern zeigte sich nach außen darauf aus, die republikanische Ordnung zumindest formal wiederherzustellen; dieses Vorgehen beschreibt er propagandistisch geschickt in seinem Tatsachenbericht (res gestae Divi Augusti):

In meinem 6. und 7. Konsulat (d.h. 28 und 27 v. Chr.), nachdem ich den Bürgerkriegen ein Ende gesetzt hatte, habe ich, der ich mit Zustimmung der Allgemeinheit zur höchsten Gewalt gelangt war, den Staat (d.h. die Republik) aus meinem Machtbereich wieder der freien Entscheidung des Senats und des römischen Volkes [!] übertragen. Für dieses mein Verdienst wurde ich auf Senatsbeschluss Augustus genannt. […] Seit dieser Zeit überragte ich zwar alle an Einfluss und Ansehen; an Macht aber besaß ich hinfort nicht mehr [!] als diejenigen, die auch ich als Kollegen im Amt gehabt habe.

Gleich nach seiner Rückkehr vom Schlachtfeld suchte Octavianus die Unterstützung der führenden Familien der republikanischen Zeit und ging daran, das Ansehen der republikanischen Institutionen zu stärken. So ließ er einerseits aus dem Senat 190 Mitglieder ausschließen, die als nicht standesgemäß galten, vermehrte die Zahl seiner Mitglieder zugleich aber auch, indem er verdiente Personen in den Patrizierstand erhob. Er selbst nannte sich – betont bescheiden – princeps senatus, Erster unter den Senatoren, um seine Stellung als primus inter pares, Erster unter Gleichen, herauszustellen. Daraus entwickelte sich die Bezeichnung „Prinzipat“ für die Herrschaftsform des Octavianus. Gleich zu Beginn des Staatsaktes vom Januar 27 v. Chr. schließlich legte Octavianus die gesamte außerordentliche Militärgewalt über die Provinzen zurück in die Hände des neu aufgestellten Senats, der nun wieder das zentrale Herrschaftsorgan des Imperium bildete. Die Republik war formal wiederhergestellt.

Die Realität hinter dieser Fassade sah allerdings anders aus: Octavianus legte sich zwar nicht den Königstitel zu, aber er ließ sich im weiteren Verlauf des entsprechenden Staatsaktes von den bestehenden republikanischen Ämtern und Gewalten all jene übertragen, die ihm in ihrer Bündelung zu einer monarchischen, königsgleichen Stellung verhalfen (u.a. Oberbefehl über das Heer, Führung der Außenpolitik, Recht zum Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen). Darüber hinaus übertrug der neugebildete Senat ihm die Herrschaft über die Hälfte der Provinzen zurück, und zwar insbesondere über diejenigen Gebietskörperschaften, die an den Rändern des Imperiums lagen und in denen daher das Gros der Legionen stand. Da Octavianus – vertreten durch nunmehr kaiserliche legati Augusti pro praetore – die Befehlsgewalt (imperium proconsulare) über sie behielt, blieb er also Militärmachthaber und alleiniger Patron der Heeresclientel – dies aber nun im Rahmen der Gesetze. Das Reich gliederte sich fortan in kaiserliche und senatorische Provinzen.

Ein weiteres republikanisches Element der neuen Staatsordnung war die Rückkehr zur jährlichen Neubesetzung der Magistrate. Eines der zwei Konsulate nahm der princeps in den nächsten Jahren allerdings regelmäßig für sich in Anspruch. Dies änderte sich mit der Revision der Prinzipatsverfassung 23 v. Chr. Bis auf zwei Jahre verzichtete Octavianus von da an auf das Konsulat. Stattdessen ließ er sich auf Lebenszeit die tribunicia potestas übertragen. Damit gewann er das Recht, den Senat und die Volksversammlungen einzuberufen, diesen Gesetze vorzuschlagen, sein Veto gegen Senatsbeschlüsse einzulegen und sogar den consules Amtshandlungen zu verbieten. Um auch den Magistraten in Rom und Italien Anweisungen geben zu können, wurden der tribunicia potestas des Octavianus alle konsularischen Sonderrechte hinzugefügt, die einem republikanischen Volkstribunen eigentlich nicht zustanden. Damit wurde die tribunicia potestas zur Quelle der kaiserlichen Macht in Rom und Italien. Durch die Aufgabe des ständigen Konsulats verlor Octavianus jedoch seine Weisungsbefugnis gegenüber den proconsules des Senats und damit auch gegenüber den senatorischen Provinzen. Um diese wiederherzustellen, ließ er sich eine übergeordnete prokonsularische Gewalt (imperium proconsulare maius) übertragen.

Mit der Revision der Prinzipatsverfassung legte Octavianus zwar formal das Konsulat nieder, behielt aber faktisch alle Befugnisse eines consul. Durch seinen Verzicht auf das Konsulat hatte er jedoch beinahe alle äußeren Rangabzeichen verloren, die auf seine zentrale Stellung hindeuteten. Um dies auszugleichen, wurden dem princeps 19 v. Chr. die konsularischen Ehrenrechte zuerkannt. Octavianus verzichtete also augenscheinlich auf die absolute Macht, indem er die Mitglieder des Senats daran teilhaben ließ, behielt aber in Wirklichkeit alle wichtigen Funktionen in Staat und Militär in seiner Hand.

Die sakrale Würde des princeps wurde weiter gestärkt, als im Jahre 13 oder 12 v. Chr. M. Aemilius Lepidus starb, einstiger Mitregent mit Octavianus und Antonius. Lepidus hatte nach seiner Entmachtung lediglich das Amt des pontifex maximus behalten dürfen. Nun übernahm Octavianus auch dieses Amt; als oberster Priester des römischen Staatskultes konnte er nun auch alle Belange der religio Romana in seinem Sinne regeln. Im Jahr 2 v. Chr. verlieh der Senat Octavianus schließlich den Titel pater patriae, mit dem er deutlich machen konnte, dass ihm gegenüber allen Reichsangehörigen die gleiche Autorität zustand wie jedem römischen Familienoberhaupt, dem pater familias, über die Seinen.

3. Reaktionen und Folgen

Die Neuordnung des Staatswesens wurde nicht von allen Römern widerspruchslos akzeptiert. Insbesondere die patrizischen Familien des alten Senatsadels, die Octavianus als Emporkömmling ansahen, konnten sich mit ihrer de facto-Entmachtung nur schwer abfinden. Verschwörungen wie die von Maecenas’ Schwager A. Terentius Varro Murena und des Fannius Caepio, die im Jahr 23 oder 22 v. Chr. aufgedeckt wurde, zeigen, dass Octavianus’ Politik noch lange Zeit erheblichen Widerstand hervorrief. Dass das neue Herrschaftssystem schließlich doch akzeptiert wurde, lag sicher nur zum Teil daran, dass Octavianus den republikanischen Institutionen und den althergebrachten Rechten und Sitten, dem mos maiorum, seinen Respekt erwies. Ausschlaggebend war schließlich wohl der Sachverhalt, dass der Prinzipat zum Vorteil vieler funktionierte – ganz im Gegensatz etwa zu den Ordnungsmodellen Sullas oder → Caesars – und dass es zu Octavianus keine realistische Alternative gab. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Faktor für den Erfolg der neuen Herrschaftsordnung war die Zeit: Octavianus regierte nach der Erringung der Alleinherrschaft noch mehr als 40 Jahre, länger als jeder seiner Nachfolger. Die Römer gewöhnten sich in dieser langen Zeit an die Herrschaft des princeps. Als der Kaiser starb, waren kaum noch Römer am Leben, die die alte Republik noch bewusst erlebt hatten. So setzte mit der Errichtung des Prinzipats eine lange Periode des inneren Friedens und des Wohlstands ein. Octavianus’ neue Ordnung sollte 300 Jahre – bis zur Herrschaft des Diocletianus – Bestand haben.

4. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Neuordnung

Eine ebenso anspruchsvolle Aufgabe wie der Umbau der Staatsverfassung war die innere und äußere Stabilisierung des Reichs, seine wirtschaftliche Erholung, die Wiederherstellung von Recht und Ordnung in Rom und den Provinzen und die Sicherung der Grenzen. Die Voraussetzungen für einen allgemeinen Wirtschaftsaufschwung waren nach Actium besser denn je in den vorangegangenen Jahrzehnten. Octavianus konnte mehr als ein Drittel der rund 70 Legionen entlassen, d.h. etwa 80.000 der 230.000 Mann, die 31 v. Chr. noch unter Waffen gestanden hatten. Ein solches Heer wäre für Friedenszeiten nicht nur zu groß und zu kostspielig gewesen; es hätte immer auch eine potentielle Gefahr dargestellt, so viele Soldaten unter Waffen zu belassen. Anders als 12 Jahre zuvor musste er für die Abfindung der Veteranen nicht auf Konfiskationen zurückgreifen, sondern konnte mit Hilfe des erbeuteten ägyptischen Staatsschatzes zugunsten seiner Veteranen Landkäufe tätigen. So entstand in Italien und den Provinzen eine breite Schicht ihm ergebener Bauern. Auch seine Anhänger in Rom – etwa im neuen Senat – wurden mit Geld und Posten bedacht. So entwickelte Octavianus selbst neue gesellschaftliche Gruppen, die von der prinzipatorischen Staatsordnung profitierten und sie daher stützten.

In die Provinzen, die bis dahin immer wieder von Kontributionen, Truppenaushebungen und durchziehenden Heeren heimgesucht worden waren, kehrte allmählich ein gewisser Wohlstand zurück, denn der Prinzipat stellte Rechtssicherheit her und verhinderte vor allem die bis dahin übliche Ausplünderung durch die ehemaligen Magistrate der Republik. Diese hatten sich in den Provinzen stets für die Kosten schadlos gehalten, die ihr politisches Engagement in Rom verursachte. Der Geschichtsschreiber Velleius Paterculus fasste die Wirksamkeit von Octavianus’ Politik wenige Jahre nach dessen Tod folgendermaßen zusammen: „Die Äcker fanden wieder Pflege, die Heiligtümer wurden geehrt, die Menschen genossen Ruhe und Frieden und waren sicher im Besitz ihres Eigentums.“ Tacitus, ansonsten einer der schärfsten Kritiker der Prinzipatsordnung, erkannte die Stabilisierung der Wirtschafts- und Lebensverhältnisse als deren größtes Verdienst an.

5. Kultisch-religiöse Verehrung des princeps

Um den religiösen Traditionen der Republik auch in diesem Punkt zu entsprechen, gab sich Octavianus im Blick auf seine kultisch-religiöse Verehrung zumindest in Rom und Italien äußerst bescheiden. Eine entsprechende Verehrung seiner eigenen Person zu Lebzeiten ließ er lediglich in den Provinzen, hier insbesondere in den Provinzen im Osten des Imperium Romanum zu, in denen die kultisch-religiöse Verehrung des amtierenden Herrschers bereits in der Tradition der Herrscherkulte der vorrömischen (Stadt-)Königtümer verankert gewesen ist. Die Divinisierung des Octavianus erfolgte erst nach seinem Tod, entsprechend der römischen Tradition auf Beschluss des Senats.

Die Analyse der in der römischen Provinz Asia, einer senatorischen Provinz, praktizierten kultisch-religiösen Verehrung der amtierenden principes gewährt einen instruktiven Einblick in die im Imperium Romanum insgesamt gängige Praxis der kultisch-religiösen Kaiserverehrung. Wohl um 29 v. Chr. beantragte der asianische Provinziallandtag, die für die kultisch-religiöse Kaiserverehrung zuständige Delegiertenversammlung der Städte der Provinz, bei Senat und Kaiser die Erlaubnis zur Einrichtung eines ausschließlich dem princeps Octavianus gewidmeten, von der Gesamtheit der Provinz getragenen Kultes. Die Gründe für diesen Antrag sind in dem wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung nicht nur dieser Provinz im Gefolge des Sieges des Octavianus über Antonius und der damit einhergehenden Stabilisierung der politischen Verhältnisse im Imperium Romanum zu suchen – dem für diesen Wohlstandszuwachs Verantwortlichen soll die angemessene, nämlich kultisch-religiöse Verehrung zukommen. Zugleich werden bei diesem Antrag aber auch handfeste politische Gründe eine Rolle gespielt haben – die Provinz Asia, die in den vorangehenden kriegerischen Auseinandersetzungen auf der Seite des Antonius stand, war darum bemüht, dem neuen princeps ihre politische Loyalität zu bezeugen und ein gutes Verhältnis zu ihm zu gewinnen.

Kaiser und Senat gaben dem Antrag statt; auf Betreiben des Octavianus selbst wurde der zunächst ausschließlich seiner Person zugedachte Kult entsprechend der altrömischen Haltung der religiösen modestia allerdings zu einem Kult der Dea Roma und des Divi filius Augustus transformiert. Im Mittelpunkt des Kultes sollte dem Willen des Octavianus zufolge also die Dea Roma stehen, ein vom princeps selbst geschaffenes Symbol der festen Vereinigung des Reichsgedankens mit dem Kaisergedanken. Darüber hinaus genehmigten Kaiser und Senat die Einführung eines mit diesem Kult verbundenen → Agon; als Kultort wurde die Stadt → Pergamon bestimmt, die sich in einem Bewerbungsverfahren gegen Mitbewerber durchgesetzt hatte.

Dieses Beispiel lässt folgende, auch für die Zeit nach Octavianus in Geltung stehende Paradigmen der kultisch-religiösen Kaiserverehrung deutlich werden:

a) Die kultisch-religiöse Kaiserverehrung war und blieb in der Regel eine Angelegenheit des Provinziallandtages.

b) Der Einrichtung eines entsprechenden Kultes ging in der Regel eine provinziale Initiative voraus, meist motiviert durch entsprechende vorausgehende Aktivitäten des entsprechenden Kaisers zum Wohl der beantragenden Gebietskörperschaft, nur sehr selten durch entsprechende mit der Einrichtung dieses Kultes verbundene zukünftige Absichten der Provinzialen. Dass ein Kaiser selbst die Einrichtung eines ihm gewidmeten Kultes einforderte, war und blieb die absolute Ausnahme.

c) Sehr häufig ließen sich die Kaiser im Rahmen einer ihnen gewidmeten kultisch-religiösen Verehrung lediglich als theoi synnaoi, d.h. in Ergänzung zu anderen traditionellen Gottheiten verehren. Dies gilt insbesondere für die frühe Kaiserzeit. In der Provinz Asia lässt sich ein Abweichen von dieser Gewohnheit erst bei → Hadrianus (117–138 n. Chr.) beobachten.

d) Im Rahmen der kultisch-religiösen Kaiserverehrung wurden üblicherweise keine ontologischen Differenzierungen zwischen den amtierenden principes und den mit diesen verehrten traditionellen Gottheiten vorgenommen. Die Kaiser wurden zumindest in den östlichen Regionen des Imperium Romanum als Götter verehrt, ein Sachverhalt, der sich folgerichtig aus den lediglich relationalen Implikationen des griechischen theos-Begriffs ergibt. In Rom selbst verboten die ontologischen Implikationen des lateinischen divus-Begriffs die kultisch-religiöse Verehrung des amtierenden princeps; je nach Lebensleistung wurde er hier erst nach seinem Tod divinisiert und unter die Götter erhoben.

6. Die principes nach Octavianus

Diese von Octavianus eingeführte Prinzipatsverfassung blieb im wesentlichen bis in die Zeit des C. Aurelius Valerius Diocletianus, der von 284–305 n. Chr. regierte, konstant, wurde von den jeweiligen Regenten aber durchaus unterschiedlich interpretiert. Während etwa M. Ulpius → Traianus, römischer Kaiser von 98–117 n. Chr. bewusst an die Tradition des Octavianus anknüpfte, setzten sich andere wie etwa C. Caesar Augustus Germanicus, besser bekannt als Caligula (37–41 n. Chr.) insbesondere auch im Blick auf die kultisch-religiöse Verehrung der eigenen Person zu Lebzeiten deutlich von ihm ab; letzterer wandelte den augusteischen Prinzipat im Prinzip in ein hellenistisch-orientalisches Gottkönigtum um.

Mit dem Prinzipat des Octavianus, in dessen Regentschaft die Geburt Jesu fällt (Lk 2,1), beginnt die Herrschaft der principes aus dem julisch-claudischen Herrscherhaus, die über seinen ebenfalls im Neuen Testament (Lk 3,1) erwähnten Stiefsohn Tiberius Iulius Caesar Augustus (→ Tiberius; 14–37 n. Chr.), den oben bereits erwähnten C. Caesar Augustus Germanicus (→ Caligula; 37–41 n. Chr.) und Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus (→ Claudius; 41–54 n. Chr.; im Neuen Testament in Apg 11,28; Apg 18,2) bis hin zu Nero Claudius Caesar Augustus (→ Nero; 54–68 n. Chr.) reicht. Nach dessen Sturz und nach der Überwindung politischer Wirren – innerhalb des sog. „Vierkaiserjahres“ 68 / 69 n. Chr. ließen sich mit L. Livius Ocella Servius Sulpicius Galba, M. Salvius Otho und Aulus Vitellius insgesamt drei am Sturz Neros beteiligte Männer zu Kaisern ausrufen – stabilisierte der im ersten jüdischen Krieg (66–70 n. Chr.) erfolgreiche Truppenführer Titus Flavius → Vespasianus die politischen Verhältnisse und begründete als Kaiser Caesar Vespasianus Augustus (69–79 n. Chr.) die flavische Dynastie, die von seinen Söhnen Titus Flavius Vespasianus (→ Titus; 79–81 n. Chr.) und Titus Flavius Domitianus (→ Domitianus; 81–96 n. Chr.), einem angeblichen Christenverfolger, weitergeführt wurde. Mit dem kurzen Interregnum des Marcus Cocceius → Nerva (96–98 n. Chr.) wurde das dynastische Prinzip durch ein Adoptivkaisertum ersetzt, das bis zur Machtübernahme des severischen Herrscherhauses 193 n. Chr. bestand hatte. Als wichtige Adoptivkaiser müssen der oben bereits erwähnte M. Ulpius Traianus (98–117 n. Chr.), P. Aelius Hadrianus (117–138 n. Chr.), → Antoninus Pius (138–161 n. Chr.) und der „Philosophenkaiser“ Marcus Aurelius (161–180 n. Chr.) gelten; insbesondere unter ihrer Regentschaft stabilisierte und festigte sich das Imperium Romanum in einer Weise, die später kaum mehr in dieser Weise erreicht worden ist.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Fitzler, K. / Seeck, O., Art. Iulius (Augustus) 132: C. Iulius C. f. Caesar, später Imp. Caesar Divi f. Augustus, in: PRE X 1, 275–381

2. Quellen

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  • Heinemann, M. u.a. (Hgg.), 7. Aufl. 1986, Sueton, Cäsarenleben (KTA 130), Stuttgart
  • Heller, E. (Hg.), 1982, P. Cornelius Tacitus, Annalen (Sammlung Tusculum), München / Zürich
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  • Veh, O. (Hg.), 1987, Cassius Dio, Römische Geschichte (BAW.GR), Zürich / München

3. Weitere Literatur

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  • Clauss, M. (Hg.), 1997, Die römischen Kaiser. 55 historische Portraits von Caesar bis Iustinian, München
  • Eck, W., 3. Aufl. 2003, Augustus und seine Zeit, München
  • Gradel, I., 2002, Emperor Worship and Roman Religion, Oxford
  • Grant, M., 1975, Roms Caesaren. Von Julius Caesar bis Domitian, München
  • Kienast, D., 3. Aufl. 1999, Augustus. Prinzeps und Monarch, Darmstadt
  • Price, S.R.F., 1990, Rituals and Power. The Roman imperial cult in Asia Minor, Cambridge u.a.
  • Scarre, C., 1996, Die römischen Kaiser. Herrscher von Augustus bis Konstantin, Deutsch von N. Gatter, Düsseldorf
  • Syme, R., 2003, Die römische Revolution. Machtkämpfe im antiken Rom, neu herausgegeben von C. Selzer und W. Walter, Stuttgart

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