Deutsche Bibelgesellschaft

Johannes 13,1-15.34-35 | Gründonnerstag | 28.03.2024

Einführung in das Johannesevangelium

Das Johannesevangelium ist wie ein Fluss, in dem ein Kind waten und ein Elefant schwimmen kann.

Robert Kysar

Das Evangelium „nach Johannes“ ist das tiefgründigste und theologisch wie kulturgeschichtlich wirkungsvollste der kanonischen Evangelien. Es unterscheidet sich in Stoff, narrativer Gestalt, Sprache und Theologie signifikant von den Synoptikern. Die Erklärung dieser Besonderheiten sowie die Frage nach seinen Quellen und seinem historischen und theologischen Wert gehören zu den schwierigsten und umstrittensten Fragen der Forschung.

Joh ist wie Mk eine kerygmatische Erzählung vom Wirken, Sterben und Auferstehen Jesu, d.h. ein Evangelium. Es ist programmatisch aus nachösterlicher Perspektive gestaltet, aus der durch den Geist gewirkten „Erinnerung“ (Joh 2,22; 12,16), und es trägt diese Perspektive bewusst in die Erzählung der Geschichte Jesu und seines Todes (19,30), so dass alle Einzel-Episoden schon im Licht des Ganzen des Christusgeschehens, im ‚österlichen Glanz‘, zu lesen sind.

Joh enthält eigentümliche Stoffe (Prolog, Abschiedsreden, ausgedehnte Reden und Dialoge Jesu mit Nikodemus, der Samaritanerin oder Pilatus), Erzählungen wie das Weinwunder (Joh 2), Lazarus (Joh 11), die Fußwaschung (Joh 13). Wichtige synoptische Stoffe (z.B. Geburtsgeschichten, Gleichnisse, Bergpredigt, Endzeitrede) fehlen. Die Tempelreinigung (Joh 2,13-22) ist aus dem Passionskontext an den Anfang umgestellt, der Todesbeschluss des Hohen Rates (Joh 11,45-54) erfolgt ebenfalls schon vor der Passion als Antwort auf die Lazarus-Erweckung. Dies weist auf eine bewusste Umgestaltung der älteren Jesusüberlieferung hin, die auch geschichtliche Sachverhalte in großer Freiheit anders erzählt. Dies zeigt sich auch in der anderen Sprache Jesu, die im Grunde die Sprache aller anderen Figuren und des Autors ist. D.h., auch in Jesu Worten und Reden spricht faktisch der joh Autor.

1. Verfasser

Das „Evangelium nach Johannes“ ist wie alle kanonischen Evangelien anonym überliefert. Die Überschrift ist im 2. Jh. nachgetragen. Traditionell wurde es ab dem späten 2. Jh. dem Apostel und Zebedaiden Johannes zugeschrieben, der mit der Figur des „Jüngers, den Jesus liebte“ (Joh 13,23) identifiziert wurde. Diese Zuschreibung ist erklärlich, weil man diesen ‚Lieblingsjünger‘ (LJ) mit dem ‚unbekannten‘ zweiten Jünger aus Joh 1,35-40 identifiziert hat und (aufgrund von Mk 1,16-20 oder Apg 3-5) in diesem den Zebedaiden Johannes sah. So ‚wurde‘ der LJ zum Augenzeugen der ganzen Erzählung und das Evangelium bekam ‚apostolische‘ Würden. Nach der Johanneslegende (bei Irenäus u.a.) soll dieser Johannes als Greis sein Werk in Ephesus in Kleinasien geschrieben haben, nach Clemens v. Alex. ist es als „geistliches“ Evangelium in Ergänzung und Vertiefung zu den drei eher „leiblichen“ Erzählungen der Synoptiker abgefasst.

Aufgrund von Stoff, Sprache und erzählerischer Gestalt ist allerdings höchst unwahrscheinlich, dass der galiläische Fischer im hohen Alter das Werk verfasst hat. Und selbst wenn er der Autor wäre, wäre schwer erklärlich, warum es sich von der älteren Tradition so unterscheidet.

Nur das wohl als ‚Nachtrag‘ angefügte Kapitel 21 führt die Abfassung auf den LJ zurück, in Joh 1-20 ist dieser zwar an wenigen Stellen ab dem letzten Mahl (13,23; 19,25-27; 20,1-10) Petrus an die Seite gestellt, doch eher als ‚ideale Figur‘, die Jesus näher ist und ihn besser versteht. Der eigentliche „Autor“ ist in Joh 1-20 der „erinnernde“ Geist (Joh 14,25f). Wenn hinter dem LJ auch eine ‚reale‘ Figur im Umkreis der joh Gemeinden stand (wie 21,22f nahelegt), ist fraglich, ob dieser mit einer bekannten Gestalt zu identifizieren ist. Das Joh wäre in dann Fall posthum von Schülern (21,24f) herausgegeben. Wenn der Autor des Joh mit dem von 1-3Joh identisch ist, wäre der autoritativ schreibende „Presbyteros“ aus 2Joh 1; 3Joh 1 am ehesten mit dem bei Papias von Hierapolis (Eus., h.e. 3,39,4) als Traditionsträger in der Asia erwähnten „Presbyteros Johannes“ zu identifizieren. Die spätere Zuschreibung an den Zebedaiden wäre dann in einer Verwechslung oder eher intentionalen Überblendung der Namen erfolgt.

Schriftzitate und Anspielungen belegen eine gute Kenntnis des AT, das aber höchst selektiv benutzt wird. Analog ist auch für die übrigen Traditionen eine sehr eigenständige Verwendung anzunehmen. Nichts ist nur ‚abgeschrieben‘, Joh 20,30f bezeugt eine bewusste Auswahl des Autors aus den ihm verfügbaren Stoffen. Daraus folgt aber: Die Eigenständigkeit in Stoff und literarischer Ausgestaltung belegt keine ‚Unabhängigkeit‘ von der synoptischen Tradition. Jede Rekonstruktion schriftlicher Quellen (z.B. einer ‚Semeia‘-Quelle mit Wundergeschichten oder eines eigenen Passionsberichtes) ist m.E. unmöglich, doch sind neben den Synoptikern (v.a. Mk) mündliche und schriftliche Gemeindetraditionen anzunehmen, die aber alle eigenständig umgestaltet sind. Der Autor kennt das Mk (wie z.B. die Anspielungen auf die Gethsemane-Episode in 12,27f; 14,31 und 18,11 zeigen) und setzt die Kenntnis auch bei seinen Lesern voraus (s. 3,24), evtl. kennt er auch Lk oder Stoffe daraus, eine Kenntnis des Mt ist nicht zu belegen. Er ist gleichfalls vertraut mit jüdischen Bräuchen und wohl auch mit Gegebenheiten in Jerusalem. Vielleicht ist er ursprünglich ein Palästiner, der dann im Zuge des jüdischen Krieges nach Kleinasien kam.

2. Adressaten

Das Joh ist wohl in Gemeindekreisen entstanden, die auch in 1-3Joh greifbar sind. Diese Gemeinden (oder die ‚Joh. Schule‘) in Kleinasien sind erst im letzten Drittel des 1. Jh. greifbar, sie hatten eigene Traditionen, aber nahmen auch synoptische und paulinische Motive auf. Ein Teil der joh Christusgläubigen entstammte wohl der Diasporasynagoge, und die traumatischen Spuren einer erfolgten Trennung (aposynagogos: Joh 9,22; 12,42; 16,2) sind wahrnehmbar, hingegen waren andere wohl Nichtjuden („Griechen": Joh 7,35; 12,20). Der Kontext steht also ein Verband ‚gemischter‘ Gemeinden, wohl im urbanen Raum, in dem neben diesen joh Christusgläubigen auch anders geprägte Gruppen koexistierten (z.B. Apk, Eph, Pastoralbriefe).

Nach den Abschiedsreden erscheinen die Adressaten selbst verunsichert ‚in der Welt‘, so dass Jesu Wort und das ganze Joh im Durchgang durch die Geschichte Jesu eine Antwort darauf bietet. Zugleich ist das Joh nicht nur als konkretes Wort an einen begrenzten, gar ‚sektiererisch‘ abgeschlossenen Gemeindekreis zu lesen, vielmehr zielt es auch auf Lesende in einem weiteren Rahmen, ja auf die Welt der Bücher, wenn es in 1,1 die Genesis überbietend aufnimmt und in 21,25 mit einem Hinweis auf viele Bücher endet.

3. Entstehungsort

Die Herausgabe des Evangeliums wird seit der altkirchlichen Tradition in Ephesus angesetzt. Dies ist im Joh und den drei Briefen nicht positiv zu belegen, und sachlich wäre jeder urbane Kontext im östlichen Mittelmeerraum denkbar, doch weist das frühe Zeugnis des Papias von Hierapolis, Polykarp u.a. auf den Raum Kleinasiens, ebenso die frühe Verbindung mit der dort situierten Apokalypse. Andere Vorschläge (Alexandrien wegen der Rede vom Logos; Syrien wegen vermeintlicher Nähe zu gnostischen Traditionen; Ostjordanland wegen der Bedeutung der ‚Juden‘) sind ebensowenig zu belegen. Kleinasien bleibt die wahrscheinlichste Option.

4. Wichtige Themen

Wichtige Themen der exegetischen Interpretation sind die hohe Christologie: Jesus ist der eine Offenbarer Gottes, ja er ist ‚Gott‘. Er gibt Leben, gibt den Geist. Sein Tod ist ‚Vollendung‘ der Schrift und des Willens Gottes (19,30), seine Sendung (ans Kreuz) der Erweis der ‚Liebe‘ Gottes zur Welt (3,16). Auffällig ist die ‚Vergegenwärtigung‘ der Eschatologie: Das ‚ewige Leben‘ ist schon jetzt im Glauben gegeben (5,24), das Gericht ergeht jetzt in der Begegnung mit Jesus (3,18). Zentrale Bedeutung hat der Geist, der als ‚Beistand‘ (Paraklet) der nachösterlichen Gemeinde diese begleitet, erinnert und zum Zeugnis befähigt. Joh entwickelt eine Art, von Vater, Sohn und Geist in personaler Unterscheidung zu reden, die bereits in die Richtung der späteren Trinitätslehre führt. Das alles wird in Bezug auf die Schriften Israels entfaltet, die nach Joh sämtlich von Jesus zeugen. Daher beansprucht der joh Jesus Exklusivität als Offenbarer (1,18; 14,6), während alle anderen Wege, auch der der nicht an Jesus glaubenden Schüler Moses (9,28) nicht „zum Vater“ führen. Die schroffe antijüdische Polemik ist z.T. Ertrag der schmerzhaften Trennungs- und Identitätsbildungsprozesse. Für die Gemeinde ergibt sich daraus eine innere Trennung von der ‚Welt‘, der mit einer (Familien-)Ethik der (nicht nur, aber vorrangig) auf die eigene Gruppe gerichteten Liebe begegnet wird.

5. Besonderheiten

Das Joh will, dass seine Leser:innen besser und tiefer verstehen. Diesem Ziel dient die literarische Ausgestaltung durch ein eine Vielzahl literarischer Gestaltungsmittel: die Vor-Information durch den Prolog lässt die Leserschaft stets ‚wissender‘ sein als die textlichen Figuren, deren ‚dumme‘ Fragen oft Verwunderung auslösen. Die Wundergeschichten sind durch textliche Verweise so ausgestaltet, dass sie nie nur als Bericht eines vergangenen Ereignisses gelesen werden können, sondern stets auf das Ganze des Heilsgeschehens bezogen sind. Explizite und implizite Erzählerkommentare und Erläuterungen lenken den Blick auf textliche und theologische Bezüge. Narrative Figuren bieten Identifikationsangebote und provozieren durch ihre Ambivalenz zur Stellungnahme. Miteinander vernetzte, z.T. breit symbolisch ausgestaltete Metaphern (wie Wasser, Brot, Hirte, Weinstock, aber auch Geburt, Familie, Tempel, Garten) verstärken das Wirkungspotential des Textes und laden die Lesenden ein, ihn „zu bewohnen“ (Ricœur). Als subtiler literarischer Text spiegelt das Joh nicht nur die hohe Kunst seines Autors, sondern wurde selbst zur Weltliteratur.

Literatur:

  • Meyers KEK: Jean Zumstein, Das Johannesevangelium, Göttingen 2016; C.K:Barrett, Das Evangelium nach Johannes, Üs. H. Balz (KEK Sonderband), Göttingen 1991.
  • Martin Hengel, Die johanneische Frage, WUNT 67, Tübingen 1993.
  • Jörg Frey, Die Herrlichkeit des Gekreuzigten. Studien zu den johanneischen Schriften 1, WUNT 307, Tübingen 2013: https://www.mohrsiebeck.com/buch/die-herrlichkeit-des-gekreuzigten-9783161527968?no_cache=1
  • Francis Moloney, The Gospel According to John, Sacra Pagina 4, Collegeville MN 1998; Marianne Meye Thompson, John: A Commentary, NTL, Louisville KN 2015.

A) Exegese kompakt: Johannes 13,1-15.34-35

Liebe bis zur Vollendung

Der Predigttext ist zusammengesetzt aus der Fußwaschungs-Episode (ohne die dort angefügten Jesusworte) und dem erst später in Jesu ‘Abschiedsrede’ formulierten Liebesgebot. Da die Episode in V. 15 mit einer Jesusrede abbricht, kann das Gebot aus V. 34f. hier gut angefügt werden. Da es in beiden Fällen um das Motiv der Liebe Jesu und deren Vorbildhaftigkeit geht, ist dies sachgemäß.

1Πρὸ δὲ τῆς ἑορτῆς τοῦ πάσχα εἰδὼς ὁ Ἰησοῦς ὅτι ἦλθεν αὐτοῦ ἡ ὥρα ἵνα μεταβῇ ἐκ τοῦ κόσμου τούτου πρὸς τὸν πατέρα, ἀγαπήσας τοὺς ἰδίους τοὺς ἐν τῷ κόσμῳ εἰς τέλος ἠγάπησεν αὐτούς. 2Καὶ δείπνου γινομένου, τοῦ διαβόλου ἤδη βεβληκότος εἰς τὴν καρδίαν ἵνα παραδοῖ αὐτὸν Ἰούδας Σίμωνος Ἰσκαριώτου, 3εἰδὼς ὅτι πάντα ἔδωκεν αὐτῷ ὁ πατὴρ εἰς τὰς χεῖρας καὶ ὅτι ἀπὸ θεοῦ ἐξῆλθεν καὶ πρὸς τὸν θεὸν ὑπάγει, 4ἐγείρεται ἐκ τοῦ δείπνου καὶ τίθησιν τὰ ἱμάτια καὶ λαβὼν λέντιον διέζωσεν ἑαυτόν· 5εἶτα βάλλει ὕδωρ εἰς τὸν νιπτῆρα καὶ ἤρξατο νίπτειν τοὺς πόδας τῶν μαθητῶν καὶ ἐκμάσσειν τῷ λεντίῳ ᾧ ἦν διεζωσμένος. 6Ἔρχεται οὖν πρὸς Σίμωνα Πέτρον· λέγει αὐτῷ· κύριε, σύ μου νίπτεις τοὺς πόδας; 7ἀπεκρίθη Ἰησοῦς καὶ εἶπεν αὐτῷ· ὃ ἐγὼ ποιῶ σὺ οὐκ οἶδας ἄρτι, γνώσῃ δὲ μετὰ ταῦτα. 8λέγει αὐτῷ Πέτρος· οὐ μὴ νίψῃς μου τοὺς πόδας εἰς τὸν αἰῶνα. ἀπεκρίθη Ἰησοῦς αὐτῷ· ἐὰν μὴ νίψω σε, οὐκ ἔχεις μέρος μετ’ ἐμοῦ. 9λέγει αὐτῷ Σίμων Πέτρος· κύριε, μὴ τοὺς πόδας μου μόνον ἀλλὰ καὶ τὰς χεῖρας καὶ τὴν κεφαλήν. 10λέγει αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς· ὁ λελουμένος οὐκ ἔχει χρείαν εἰ μὴ τοὺς πόδας νίψασθαι, ἀλλ’ ἔστιν καθαρὸς ὅλος· καὶ ὑμεῖς καθαροί ἐστε, ἀλλ’ οὐχὶ πάντες. 11ᾔδει γὰρ τὸν παραδιδόντα αὐτόν· διὰ τοῦτο εἶπεν ὅτι οὐχὶ πάντες καθαροί ἐστε.

12Ὅτε οὖν ἔνιψεν τοὺς πόδας αὐτῶν [καὶ] ἔλαβεν τὰ ἱμάτια αὐτοῦ καὶ ἀνέπεσεν πάλιν, εἶπεν αὐτοῖς· γινώσκετε τί πεποίηκα ὑμῖν; 13ὑμεῖς φωνεῖτέ με· ὁ διδάσκαλος, καί· ὁ κύριος, καὶ καλῶς λέγετε· εἰμὶ γάρ. 14εἰ οὖν ἐγὼ ἔνιψα ὑμῶν τοὺς πόδας ὁ κύριος καὶ ὁ διδάσκαλος, καὶ ὑμεῖς ὀφείλετε ἀλλήλων νίπτειν τοὺς πόδας· 15ὑπόδειγμα γὰρ ἔδωκα ὑμῖν ἵνα καθὼς ἐγὼ ἐποίησα ὑμῖν καὶ ὑμεῖς ποιῆτε.

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34Ἐντολὴν καινὴν δίδωμι ὑμῖν, ἵνα ἀγαπᾶτε ἀλλήλους, καθὼς ἠγάπησα ὑμᾶς ἵνα καὶ ὑμεῖς ἀγαπᾶτε ἀλλήλους. 35ἐν τούτῳ γνώσονται πάντες ὅτι ἐμοὶ μαθηταί ἐστε, ἐὰν ἀγάπην ἔχητε ἐν ἀλλήλοις.

Johannes 13:34-35NA28Bibelstelle anzeigen

Übersetzung

1 Vor dem Passafest aber wusste Jesus, dass seine Stunde gekommen war, aus dieser Welt zum Vater zu gehen, [und] wie er die Seinen, die in der Welt waren, geliebt hatte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung. 2 Und während eines Mahls - der Teufel hatte schon Judas Iskariot, Simons Sohn, ins Herz gegeben, ihn auszuliefern, 3 [Jesus] aber wusste, dass ihm der Vater alles in die Hände gegeben hatte und dass er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehen werde –  4 da steht er vom Mahl auf, legt die Obergewänder ab und umgürtete sich, indem er ein Leinentuch nahm. 5 Dann gießt er Wasser in das Waschbecken und fing an, die Füße der Jünger zu waschen und mit dem Leinentuch, mit dem er umgürtet war, abzutrocknen. 6 Er kommt nun zu Simon Petrus. Der sagt zu ihm: „Herr, du wäschst meine Füße?“ 7 Jesus antwortete und sprach zu ihm: „Was ich tue, weißt du jetzt nicht, du wirst es aber danach erkennen.“ 8 Petrus sagt zu ihm: „Nicht in Ewigkeit sollst du mir die Füße waschen!“  Jesus antwortete ihm: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir.“ 9 Simon Petrus sagt zu ihm: „Herr, nicht meine Füße allein, sondern auch die Hände und den Kopf.“ 10 Jesus sagt zu ihm: „Wer gebadet ist, hat es nicht nötig, sich zu waschen, sondern er ist ganz rein; und ihr seid rein, aber nicht alle.“ 11 Denn er kannte den, der ihn ausliefern würde, darum sagte er: „Nicht alle seid ihr rein.“ 12 Als er nun die Füße gewaschen und seine Obergewänder [wieder] genommen und sich zu Tisch gelegt hatte, sagte er zu ihnen: „Erkennt ihr, was ich euch getan habe? 13 Ihr nennt mich ‚der Lehrer‘ und ‚der Herr‘, und ihr sagt es mit Recht, denn ich bin es. 14 Wenn nun ich eure Füße gewaschen habe, der Herr und der Lehrer, so seid auch ihr verpflichtet, einander die Füße zu waschen. 15 Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit auch ihr tut, wie ich an euch getan habe.“

34 „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. 35 Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

V. 1 kann als vollständiger Satz (mit finitem Verb ἠγάπησεν) gelten, doch ist das logische Verhältnis von εἰδὼς und ἀγαπήσας schwer zu bestimmen. Das eingefügte ‚und‘ lässt die beiden Umstandsangaben nebeneinander stehen.

V. 1 εἰς τέλος – „bis zum Ende“ oder „voll und ganz“, „bis zum Äußersten“ – vgl. Joh 19,28-30.

V. 2b-3 ist eine Ellipse, die in den Satz eingeschoben ist.

V. 10: Hier liest die Mehrzahl der Handschriften zusätzlich „außer die Füße“. Nach inneren Kriterien der Textkritik (lectio brevior-Regel) ist dies ein Zusatz, der die Notwendigkeit der Fusswaschung bzw. später der Taufe festhalten wollte. Der Kurztext ist vorzuziehen. 

2. Literarische Gestalt und Kontext

Dass V. 1-3 sprachlich ‚überladen‘ sind, könnte (aber muss nicht) Indiz einer redaktionellen Tätigkeit sein. Die Sprachgestalt verdeutlicht, dass nach 12,50 eine Zäsur und hier ein ‚Prolog‘ vorliegt, der den neuen Einsatz des zweiten Teils des Joh (‚Buch der Passion‘) markiert.

Der Abschnitt beginnt mit einer „Überschrift“, die die „Vorzeichen“ für alles Folgende (bis Joh 21) gibt: Jesu „Stunde“ (vgl. 12,23), sein Vorauswissen darum, und das Motiv seiner Liebe bis zur Vollendung (vgl. 19,28-30). Die Fußwaschung ist eine Veranschaulichung dieser Liebe.

Die Handlung ist knapp (V. 4-5) und lebendig erzählt, mit Formen des historischen Präsens und kurzen Wortwechseln. Das Tempo verlangsamt sich beim Dialog mit Petrus und Jesu weiterer Belehrung. Darauf liegt der Akzent. Dabei lassen sich eine symbolische (V. 6-10) und eine exemplarische (V. 12-15) Deutung der Fußwaschung unterscheiden. Zielt die erste auf Jesu Werk zugunsten seiner Jünger (Soteriologie), so zielt die zweite auf die imitatio, das entsprechende Handeln der Jünger (Ekklesiologie, Ethik). Dies ist auch in dem Liebesgebot V. 34f. thematisiert. Beide Deutungen gehören zum überlieferten Text und sind nicht gegeneinander auszuspielen. Es gibt keine Soteriologie ohne gleichzeitige Betrachtung der Gemeinschaft der Nachfolgerinnen und Nachfolger und ihres Verhaltens.

Petrus ist (neben Judas; vgl. V. 18.21-30) der einzige namentlich genannte Jünger. Auffällig ist, dass er hier zwei Missverständnissen nacheinander verfällt: Zuerst lehnt er es ab, sich von Jesus die Füße waschen zu lassen, dann reicht es ihm nicht aus V. 8f.). Er versteht nichts (V. 7). Doch steht er damit nicht allein, vielmehr ist dies die Situation aller Jünger vor Ostern. Erst „danach“ (V. 7) werden sie verstehen (vgl. 2,22; 12,16). Dieses nachösterliche Verständnis ist die Deutung des Christusgeschehens, das sich im ganzen Joh niederschlägt.

3. Historische Einordnung

Die Episode eröffnet die joh Passionsgeschichte bzw. zunächst den Komplex der „Abschiedsreden“  oder -gespräche (Joh 13-17). Jesu öffentliches Wirken war mit 12,36 beendet und wurde in 12,37-43 und 44-50 abschließend kommentiert. Mit diesem Ende kam die Proklamation der „Stunde Jesu“ (12,23), seines Todes, diese wird V. 1 wieder erwähnt.

V. 1 erwähnt auch das bevorstehende Passafest, doch ist das Mahl hier kein Passamahl. Nach Joh stirbt Jesus ja selbst als das „wahre Passalamm“, zu der Zeit, da im Tempel die Passalämmer geschlachtet wurden – d.h. einen Tag vor dem in den Synoptikern gegebenen Datum. Die hier zugrunde liegende Vorstellung ist eher die eines Symposions von Freunden, die auf Liegepolstern zu Tische „liegen“ und dabei Gespräche führen. Dieses Setting ist dann auch der Hintergrund der folgenden „Abschiedsreden“ Jesu (13,31-17,24).

Der Ort des Geschehens (in Jerusalem, oder außerhalb, in Bethanien?) bleibt offen. Von der aus den Synoptikern bekannten Stiftung eines Erinnerungsmahls, von Brot und Wein, ist nicht die Rede. Die bekannten „Einsetzungsworte“ fehlen. Das muss nicht bedeuten, dass der Evangelist das Herrenmahl nicht kannte oder gar „antisakramental“ ablehnte (so z.B. Bultmann), denn in Joh 6 (V. 11, dann besonders V. 48-58) ist die Mahlthematik aufgenommen. Dennoch bietet Joh in kühner Abweichung von den Synoptikern einen anderen Inhalt beim letzten Mahl Jesu: statt der Mahlhandlung die Fußwaschung, statt dem neuen Bund ein neues Gebot.

Dies wirft historische Fragen auf: Wahrscheinlich ist, dass der irdische Jesus mit seinen Jüngern ein Passamahl feierte (Mk 14,17-25). Dort haben auch die Deuteworte und der eschatologische Ausblick (V. 23-25) ihren Ort. Dass er bei diesem Mahl oder in einem anderen Rahmen „auch“ die Fußwaschung vornahm, ist historisch fraglich. Die Berichte lassen sich nicht harmonisieren. Es gibt auch keine Belege dafür, dass die Fußwaschung ein Ritus der frühen Gemeinde oder der johanneischen Gemeinde gewesen und von da in den Text gelangt wäre. Erst später wurde der Akt in der Kirche imitierend aufgenommen, als Wirkung des Joh. Daher ist eher zu vermuten, dass die Erzählung vom Evangelisten fiktional gestaltet, ja „erfunden“ ist, als eine symbolische Erzählung, deren Handlung den Weg Jesu in den Tod und damit die Vollendung seiner Liebe symbolisch abbildet und vorwegnimmt. Die hier erzählte Handlung Jesu deutet seinen Todesweg – damit ist sie in ihrer Funktion analog zu den synoptischen Deuteworten.

4. Schwerpunkte der Interpretation

Was ist Fußwaschung in der Antike? Ein Missverständnis ist angesichts neuerer Forschungen auszuräumen: Es geht nicht primär um Statusverzicht, Erniedrigung oder Sklavendienst. Das Waschen der Füße war in der Antike Teil der Körperpflege mit Wellness-Aspekten, Akt der Gastfreundschaft und des Erweises von Ehre und Liebe von Kindern gegenüber Eltern, Schülern gegenüber Lehrern oder auch in einer intimen (Ehe-)Beziehung. Es war keineswegs nur Sklavendienst, sondern konnte auch als Akt persönlicher Zuwendung Gästen vom Hausherrn selbst gewährt werden. Ungewöhnlich ist in unserem Kontext, dass der Akt nicht vor dem Essen, beim Eintreffen, sondern während des Essens erfolgt. Er hat mithin keine „hygienische“ Funktion, sondern eine rein symbolische – die erst „danach“ (V. 7), nach Ostern verstehbar wird, oder eben in der Darstellung des Joh, wo der Akt Vorausdeutung des Weges Jesu in den Tod ist.

Der Schlüssel zur Deutung liegt in der Rede von der „Liebe“ Jesu zu den Seinen (V. 1; vgl. V. 34). Diese kommt in dem erzählten Akt zum Ausdruck, ebenso wie in seinem Todesweg, wenn die Lebenshingabe „für seine Freunde“ in 15,13 im Horizont antiker Freundschaftsethik als Akt der ultimativen Freundesliebe gedeutet wird. Nach Joh geht Jesus diesen Weg bewusst und freiwillig, im Wissen um seine „Stunde“ und sein Ziel. Er ist nicht Opfer der Ränke anderer, auch nicht Opfer eines „Verrats“ oder gar des Teufels. Er ist und bleibt souverän.

Die beiden Missverständnisse des Petrus spiegeln zwei Aspekte der Deutung:

  1. 1.Jesu Handeln zugunsten der Jünger, sein Todesweg, ist notwendig, unabdingbar, sie müssen dieses an sich „geschehen lassen“.
  2. 2.Dieses Handeln genügt. Die Zusage des Lebens im Glauben an Jesus ist gültig; sie muss und kann nicht durch eigenes Streben verlängert, vergrößert, ergänzt werden.

Die ethische Deutung thematisiert die imitatio Christi. Jüngerschaft ist Nachahmung. V. 34f. formulieren umgekehrt den Erkenntnisprozess: Am Handeln der Nachfolger wird die Zugehörigkeit zu Christus erkennbar. Liebendes Handeln aufgrund des Gebots Jesu und in Analogie zu seinem Handeln macht die Zusammengehörigkeit von Jesus und seinen Nachfolgern erkennbar, ja es hat „missionarische“ Wirkung, insofern andere daran „erkennen“.

5. Theologische Perspektivierung

Ein Vorbild „nachzuahmen“ bedeutet in der Antike nicht, die gleichen Handlungen zu tun. Das wäre bei Vorbildern wie Sokrates, Alexander d. Gr. oder Caesar nur den wenigsten möglich. Imitatio Christi bedeutet auch nicht, dass die Jünger wie Jesus in den Tod (das Martyrium) gehen oder gar konkret anderen Glaubenden die Füße waschen sollen. Eine Fußwaschung durch Bischöfe oder als Gemeinde-Aktion wäre Unfug – es geht um die Nachahmung der Intention und der Haltung des Vorbildes.

Mit den geläufigen theologischen Kategorien von Rechtfertigung „allein aus Glauben, ohne Werke“, der strikten Differenzierung von Rechtfertigung und Heiligung oder dem Schema Indikativ / Imperativ lässt sich das ethische Denken im Joh nicht fassen. Liebe ist hier das ganz natürliche Ethos einer Familie (Gottes), zu der alle Glaubenden gehören. Damit ist vorausgesetzt: „Wer glaubt, der liebt“, und (nach 1 Joh) „wer den Bruder nicht liebt, liebt Gott nicht“. Der Tenor ist aber nicht negativ (was ist, wenn die Bedingung nicht erfüllt ist?), sondern positiv motivierend (im Blick auf die Hingabe Jesu „für uns“).

Das johanneische Gebot der „Geschwisterliebe“ bringt nicht die Weite der synoptischen bzw. jesuanischen Nächstenliebe oder gar Feindesliebe zum Ausdruck. Dies lässt sich evtl. aus der Situation der joh Gemeinden erklären, in denen es primär um innergemeindliche Spannungen (1 Joh) und die Frage der Einheit (Joh 17,20f) ging. Aber der Horizont der Liebe endet im Joh nicht an der Grenze der Gemeinde. In der Liebe der Nachfolgerinnen und Nachfolger ist Jesus auch nach seinem Weggang in der Welt präsent (Joh 14,21-23), und nach Joh 17,23 soll auch die Welt „erkennen“. Es geht nicht nur um sektiererische Gruppensolidarität, sondern um die Gegenwart der Liebe Gottes zur Welt (Joh 3,16) in der Welt, um einen in Christus begründeten, von ihm inspirierten Habitus, der weithin und unbegrenzt leuchten und Kreise ziehen soll.

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Die hartnäckigste aller Kurzsichtigkeiten bei der Betrachtung der johanneischen Mahlszene ist wohl die Fixierung auf die Botschaft von der Umkehrung von Hierarchien, von Statusverzicht und selbstgewählter Erniedrigung. Ich fühle mich ertappt, bemerke ich doch bei mir selbst die stante Regung, angeleitet durch Jesu Haltung in dieser Perikope in einer Welt voller fieser Despoten und „alter weißer Männer“ über die notwendige Umkehrung von Machtstrukturen losbrausen zu wollen. Aber halt! Darum geht es nicht.

Der Nukleus der johanneischen Mahlszene lässt sich weder durch Träumereien von einer postpatriarchalen Welt noch durch die unmittelbare Reinszenierung des Waschhandelns Jesu in unsere Gegenwart übersetzen. Auf Basis der hier gelieferten exegetischen Einsichten kann die Predigt auf den üblichen blinden Fleck durch Neufokussierung reagieren.

2. Thematische Fokussierung

Die wichtigste Fokussierung zuerst: Alle ethischen Schlüsse aus dieser Erzählung tappen ohne das rückstrahlende Licht von Kreuz und leerer Grabeshöhle im Dunkeln. Wenn die Fußwaschungsszene nur von der besonderen Liebestat am Kreuz her verständlich ist, so wird diese Liebe besonders zu konturieren sein. Überrascht werden sollten die Predigthörenden nicht vom Meister, der zum Füßewaschen niederkniet. Sondern von einer Liebe, die keinen tragfähigen Grund zum Lieben braucht und mehr noch: die das Bodenlose nicht scheut. Was heißt das konkret?

In der Fußwaschungsszene wird mitten im Leben, inmitten einer Mahlzeit die ungeheuerliche Liebe „bis zur Vollendung“ von Jesus vorgezeichnet: Mit großer Sorgfalt setzt Jesus zur Fußpflege seiner Mitreisenden an. Hörbar und spürbar wird in dieser Szene besonders die Skepsis, Zurückhaltung, ja, auch der schamerfüllte Widerstand, den die ungewöhnliche Intimität und Zuwendung hervorruft. Pflege kostet Überwindung ‒ auf allen Seiten. Jesu Tat ist so grundlos und grenzüberschreitend, dass darin die Radikalität göttlicher Liebe noch vor dem Kreuzesgeschehen aufscheint. Alle Beteiligten brauchen Zeit, damit zurechtzukommen.

Wenn wir als Zuschauende dieses eine Beispiel jesuanischen Liebeshandelns immer wieder „aufwärmen“, werden die Einsichten daraus jedoch mit der Zeit lauwarm. Mit dem immer gleichen Beispiel wird das Ereignis von der ungeheuren Zuwendung Jesu zu seinen Jüngern und Gottes zu uns Menschen zur Selbstverständlichkeit. Gottes Liebe aber ist alles andere als selbstverständlich. Sie geht nicht in Miniaturspiegelungen auf. Etwa wenn wir sie in der rituellen Reinszenierung der Fußwaschung oder in Erzählungen von „dem kleinen Lächeln, das den ganzen Tag verändert hat“ zu illustrieren suchen.

Es wird hingegen zu veranschaulichen sein, wo und in welchen Punkten die Liebe Gottes von unseren gängigen Liebeskonzepten und Verhaltenskodizes abweicht. Jesus wäscht allen Jüngern die Füße, auch seinem Verleugner, auch seinem Auslieferer. Darin drückt sich ein radikaler Selbstverzicht aus: die Bereitschaft, ganz beim anderen zu sein, ja sogar das eigene Leben verleugnen zu lassen. Das ist, wie wenn Selenskyj Putin die Füße waschen und sagen würde: „Du hattest bestimmt deine Gründe.“ Oder wie wenn ein zu lebenslanger Haft verurteilter Unschuldiger seinem Richter nach 20 Jahren die Hand küssen und sagen würde: „Macht ja nichts. Irren ist menschlich.“ Solche ungeheuerlichen „Liebestaten“ lassen sich im Rahmen eines ethischen Appells zur Christusnachfolge nicht einfordern. Sie sind in unserer Welt undenkbar, unmöglich!

3. Theologische Aktualisierung

Wenn eine unmittelbare Nachahmung der Fußwaschung zu kurz greift und die Imitation des radikalen Liebeshandelns Jesu „bis zur Vollendung“ unser Liebesvermögen überschreitet – wie können wir uns dann davon ansprechen und bewegen lassen? Immerhin spricht Jesus nach der Waschung sehr konkret von einer Verpflichtung zum gegenseitigen Füßewaschen (V. 14), von der Beispielhaftigkeit seines Handelns und von einem neuen Gebot.

Es geht vor allem um die Haltung und Intention dieses Vorbildes, lerne ich aus der Exegese. Wo und wie verwirklicht sich diese Haltung? Sucht man nach Beispielen aus unserer Wirklichkeit, ist man allzu schnell bei abgegrasten bis banalen Beispielen von besonderer menschlicher Zuwendung. Meines Erachtens sollte man auf solcherlei Veranschaulichungen lieber verzichten.

Aussichtsreicher ist es bestimmt, sich konkret in die Lage der Liebesempfangenden, vielleicht gar des Petrus hineinzuversetzen. Warum sonst ist der Dialog zwischen Jesus und Petrus in dieser Erzählung so detailreich nachgezeichnet? An Petri Reaktion wird offenbar, wie verstörend Christi Liebe auf uns wirken kann, wie schwer es ist, sie anzunehmen und gelten zu lassen.

Eine Bekannte sagte mir in einem Gespräch, dass ihr die Vorstellung von einem bedingungslos liebenden Gott Angst einjage. Sie könne die in manchen Gottesdiensten aufgerufene „Nähe Gottes“ nur schwer ertragen. Besonders der Friedensgruß im Gottesdienst, diese aufgezwungene Nähe, und die Rede von „Schwestern und Brüdern“ wirke auf sie abstoßend. Mir fallen sofort auch meine Konfirmand:innen ein, die die Intimität des Abendmahls, des gegenseitigen Händefassens, auch die individuelle Zuwendung „für dich gegeben“ oft nicht gut aushalten können. Wie häufig brechen sie beim ersten Abendmahl in Gelächter aus, weil die Situation für sie so skurril, überfordernd, ja auch abschreckend ist. Mir fallen abseits des gottesdienstlichen Handelns Menschen ein, die plötzlich auf Pflege und Unterstützung angewiesen sind, die sich schwer daran gewöhnen können, eine andere Person so nah an sich heranzulassen. Schwerer noch, wenn die eigenen Kinder die Rolle der Kümmernden übernehmen. Diese Rollenumkehrung ruft Ängste und Unbehagen auf. 

Nun ist in der Fußwaschungsszene nicht nur das Unbehagen, sondern auch eine Haltungsänderung von Petrus geschildert. Erst ist Petrus die Intimität zu viel, dann fordert er ein umfänglicheres Bad ein. Den Ausschlag gibt Jesu Erklärung: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir.“ So verstörend diese Liebestat im ersten Moment wirkt, so faszinierend ist sie in ihrer Andersartigkeit, so sehr erwirkt sie Interesse und den Wunsch, größeren Anteil daran zu bekommen. Meine Bekannte zeigt immer noch großes Interesse an meiner Arbeit als Pfarrerin, fragt mir Löcher in den Bauch, arbeitet sich an meinen ungewöhnlichen Antworten ab. Die Konfirmand:innen sind stolz, als Konfirmierte sogar Wein zu empfangen, also richtig dazuzugehören. Sie gehen nach der Konfirmation plötzlich ganz souverän zum Abendmahl. Im besten Falle können auch Pflegebedürftige die ungewohnte Zuwendung irgendwann als wohltuend empfinden. Nicht selten sind dann irgendwann die Pflegenden überfordert von der immer weiter eingeforderten Nähe.

Die liebende Zuwendung wirkt ‒ auch in ihrem anfänglichen Abschreckungspotential ‒ missionarisch. Vielleicht findet die Kirche, die sich mit einer „Krise der Mission“ auseinanderzusetzen hat, darin neue Anknüpfungspunkte, ohne freilich Menschen zur Intimität zu zwingen. Jesus geht behutsam vor. Er wäscht „nur“ die Füße. Und das genügt!

Ich habe in meiner Gemeinde aus vermeintlich theologischen Gründen (das Abendmahl kennt keine Zugangsbedingungen) dazu angeregt, den Friedensgruß vor dem Mahl aus der Abendmahlsliturgie herauszunehmen. Nun überlege ich, ob ich vorschnell gehandelt habe. Ist dieser Reibungspunkt nicht gerade anregend? Gleichzeitig sollte die Reinszenierung liebender Zuwendung gewiss nicht in reiner Traditionsgefälligkeit („das ist bei uns schon immer so“) und sektiererischem Gruppenzugehörigkeitsgefühl erstickt werden. Es ist eine sensible Balance!

4. Bezug zum Kirchenjahr

Am Gründonnerstag wird in den meisten Gemeinden Abendmahl gefeiert. Wenn sich unser sakramentales Handeln mit der johanneischen Perikope auch nicht direkt begründen lässt, so ergibt sich doch eine Parallelität zwischen ungewohnter bis unangenehmer Intimität des Abendmahlsritus und Petri Unbehagen mit der Fußwaschung. Ich glaube z.B., dass der Verzicht auf einen Gemein-schaftskelch mittlerweile nicht nur hygienische Gründe hat. Das Unbehagen lässt sich thematisieren. So geheimnisvoll, ja auch unbehaglich die Abendmahlsfeier ist, so geheimnisvoll und überfordernd bleibt Gottes Liebe „bis zur Vollendung“ für uns.

Inmitten der Karwoche ein Adventslied zu singen, mag ungewöhnlich erscheinen. Doch nirgends ist die grundlose Liebe Jesu schöner ausgedrückt als in EG 11 (Wie soll ich dich empfangen), Strophe 5: „Nichts, nichts hat dich getrieben, zu mir vom Himmelszelt, als das geliebte Lieben, damit du alle Welt (…) so fest umfangen hast.“

Die Passivität der Karwoche lässt spürbar werden, wie viel schwerer die Haltung des Annehmens gegenüber der Haltung des Gebens ist, die Haltung des Aushaltens gegenüber der Haltung des Anpackens, die Haltung der Gottergebenheit gegenüber der Haltung des Aktionismus. Welch große Lektion für persönliche und kirchliche Bezüge!

Autoren

  • Prof. Dr. Jörg Frey (Einführung und Exegese)
  • Dr. Olivia Rahmsdorf (Praktisch-theologische Resonanzen)

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