Deutsche Bibelgesellschaft

4.10. Die Pastoralbriefe

Unter diesem Namen werden drei Briefe zusammengefasst, die im corpus Paulinum überliefert sind – 1Tim, 2Tim, Tit. Der Name ergibt sich aus dem Inhalt der Briefe. In allen drei Briefen steht das Bemühen um die Begründung und inhaltliche Füllung des kirchlichen Hirtenamtes (pastor [lat.] – Hirte) im Mittelpunkt.

Die Briefe sind an Einzelpersonen gerichtet, aber sie sind keine Privatbriefe. Dagegen sprechen ihr autoritativer Charakter und die Allgemeingültigkeit der Anweisungen zur rechten Ausübung des Hirtenamtes.

Der Verfasser

Schon lange bestehen erhebliche Zweifel an der Verfasserschaft des Apostels Paulus. Die detaillierten Angaben zur Situation des Apostels in den Pastoralbriefen lassen sich weder mit den Angaben der Apg noch mit denen der authentischen Paulusbriefe in Übereinstimmung bringen. Die Briefe setzen eine Gemeinde- und Ämterstruktur voraus, die eine deutliche Weiterentwicklung gegenüber den authentischen Paulusbriefen bedeutet, und stützen diese theologisch. Zentrale Begriffe der paulinischen Theologie fehlen. „Glaube“ wird im Sinne von „Glaubensgut“ (parallel zu „Lehre“) verstanden. Er wird zum rechten Glauben im Gegensatz zur Irrlehre und kann in einer Reihe mit anderen Tugenden genannt werden (vgl. 1Tim 6,11). Schließlich unterscheidet sich auch die Sprache erheblich von der der authentischen Paulusbriefe. Diese Gründe sind so gravierend, dass die überwiegende Mehrheit der Forscher die Briefe für deuteropaulinisch hält.

Die Briefe stimmen in der vorausgesetzten Gemeindesituation im wesentlichen überein. Auch die theologische Sprache und Argumentationsweise sind weitgehend identisch. Deshalb kann man wohl davon ausgehen, dass die drei Briefe auf einen Verfasser (oder eine Verfassergruppe) zurückgehen. Er ist sicher zu den Paulusschülern der zweiten Generation zu rechnen, da der theologische und kirchengeschichtliche Abstand zum Apostel bereits erheblich ist. Vermutlich handelt es sich um einen Christen aus Kleinasien, der über eine gewisse hellenistische Bildung verfügte. Ob er Juden- oder Heidenchrist war, lässt sich kaum entscheiden. Zumindest verfügte er über Kenntnisse des jüdischen Legendengutes (2Tim 3,8 werden Jannes und Jambres erwähnt).

Die Adressaten

Die Adressaten der Briefe sind laut Präskript Timotheus und Titus. Da es sich hierbei um fiktive Angaben handelt, sind die intendierten Leser wohl eher im Umfeld des Verfassers zu suchen. In beiden Timotheusbriefen wird auf die Situation in Kleinasien Bezug genommen (1Tim 1,3-7; 2Tim 1,15-18), speziell wird Ephesus genannt. Man geht deshalb wohl nicht fehl, hier die eigentliche Adresse der Briefe zu suchen.

Die Briefe setzen sozial weit differenzierte Gemeinden voraus. Mehrfach werden christliche Hausbesitzer erwähnt. 1Tim 6,17-19 bietet eine separate Unterweisung der Oberschicht. 1Tim 6,2a setzt voraus, dass es christliche Sklavenbesitzer gibt. Auf der anderen Seite richtet sich die Anweisung 1Tim 6,1f. gerade an christliche Sklaven. 1Tim 5,17f. rechnet damit, dass genügend finanzielle Mittel vorhanden sind, um die Presbyter zu bezahlen.

Der Anlass der Briefe

Unmittelbarer Anlass für die Abfassung der Pastoralbriefe dürfte das erfolgreiche Auftreten von frühchristlichen Lehrern in den Gemeinden gewesen sein, deren Lehre vom Verfasser energisch bekämpft wird. Die bekämpfte Irrlehre vereinigt in sich ganz verschiedene Elemente. Ihre Vertreter behaupten „Erkenntnis“ (γνῶσις/gnosis) zu besitzen (1Tim 6,20f.). Sie erheben bestimmte asketische Forderungen (1Tim 4,3) und meinen, die Auferstehung sei schon geschehen (2Tim 2,18). Der Verfasser der Pastoralbriefe wirft ihnen vor, Fabeln (Mythen) und endlose Genealogien zu lehren (1Tim 1,4; 2Tim 4,4; Tit 1,14 u. ö.). Da Tit 1,14 ausdrücklich von „jüdischen Fabeln“ redet, ist wohl auch mit jüdischen Elementen in der bekämpften Lehre zu rechnen. Dafür sprechen auch die Bemerkungen 1Tim 1,7 (Anspruch, Gesetzeslehrer zu sein) und Tit 1,10 (Herkunft „aus der Beschneidung“).

Abfassungszeit

Die genaue zeitliche Einordnung der Pastoralbriefe ist schwierig. Die vorausgesetzte Ämterstruktur und das theologische Profil der bekämpften Irrlehre sprechen für die Zeit um 100. Vermutlich sind die Briefe in der Reihenfolge 1Tim, Tit, 2Tim zu lesen. 1Tim 3,14; 4,13 kündigen noch an, dass der Apostel bald kommen wird. Tit enthält keine entsprechenden Äußerungen. 2Tim setzt dann explizit voraus, dass „Paulus“ dem Tode entgegengeht und nicht mehr kommen kann (2Tim 4,6f.).

Kapitel zu den Pastoralbriefen:

VG Wort Zählmarke
Deutsche Bibelgesellschaftv.4.26.9
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