Deutsche Bibelgesellschaft

Evangelium

(erstellt: Dezember 2008)

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1. Von der Metapher zur Gattung Evangelium

1.1. Paulus

Die echten Paulus Briefe enthalten deutlich die Mehrzahl der Belege gegenüber den anderen Schriften des Neuen Testaments: 48. Evangelium ist ein Zentralthema der paulinischen Theologie.

Evangelium ist kein Begriff mit festgelegtem Inhalt, sondern eine neue nachösterliche Metapher der urchristlichen Verkündigung (Strecker, 123 f.). In den Worten Jesu fehlt noch das Substantiv Evangelium. Doch gebraucht er wie das Jesajabuch (LXX) das Verb euangelízo (Lk 7,22/ Mt 11,5).

Paulus bezieht sich mit seinem häufigen Gebrauch (48-mal) immer auf das eine Evangelium, definiert aber nicht exakt dessen Inhalt. Die Glaubensformel 1Kor 15,3-5 wird von Paulus ausdrücklich Evangelium genannt (1Kor 15,1); die Glaubensformel 1Thess 1,9f wird indirekt mit dem Evangelium (1Thess 1,5) in Verbindung gebracht. Beide Formeln aber wollen den Gehalt von Evangelium nicht festschreiben. Daher scheiterte am Anfang Seebergs Versuch, aus den verstreuten Glaubensformeln und Darstellungen in der neutestamentlichen Briefliteratur den Katechismus des Urchristentums als das urchristliche Evangelium zusammenzustellen (Seeberg; Frankemölle 1994, 102-107).

Evangelium, absolut oder als Kompositionsmetapher, bezeichnet in den paulinischen Briefen die „frohe Botschaft“ vom Heilshandeln Gottes an Jesus mit dem Zentrum von Kreuz und Auferweckung. Daher steht Evangelium, wenn es explizit mit Jesus Christus, dem Sohne Gottes verbunden ist, immer im Genitivus objektivus, das heißt, es ist ein Evangelium von Jesus Christus, und zwar von seinem Handeln, seinem Kreuzestod und seiner Auferweckung. Ganz deutlich wird diese Objektbeziehung, wenn Gott zum Genitiv als Subjekt und Sender hinzutritt: das „Evangelium Gottes“ (Röm 1,1 u. ö.).

Mit dem offenen Gebrauch von Evangelium wird die Engführung Rudolf Bultmanns überwunden, Evangelium bezeichne allein das „hellenistische(n) Kerygma von Christus, dessen wesentlicher Inhalt der Christusmythos ist, wie wir ihn aus Paulus kennen (bes. Phil 2,6ff.; Röm 3,24)“ (Bultmann, 372). Evangelium bezeichnet von Anfang an alle Handlungen Gottes an Jesus und die Heilshandlungen Jesu selbst.

Einzelne Ereignisse wie Auferweckung und Kreuzestod explizieren das Evangelium, können aber auch unabhängig von der Evangeliumsmetapher zitiert werden. Bei den Deuteropaulinen setzt sich bis zu Ignatius von Antiochien der offene Gebrauch von Evangelium fort (Koester 1990, 1-20).

Exkurs: Evangelium in der griechisch-römischen Literatur

In der Antike ist Evangelium ebenfalls der Fachausdruck für eine frohe Botschaft. Dem Boten wurde Lohn bezahlt (Homer, Odyssee 14,152 -167). Im römischen Kaiserkult gewinnen die Evangelia eine zentrale Bedeutung. Geburtstag und Thronbesteigung des regierenden Kaisers werden als Feste begangen, seine Vergöttlichung (Apotheose) nach dem Tode wird als bonum nuntium, griechisch Evangelium, gefeiert (Seneca, Apocolocyntosis = Verkürbissung 1,3).

Der Landtag der römischen Provinz Asia (Sitz in Ephesus) deklarierte das Evangelium vom Geburtstag des Kaisers Augustus am 23. September zum Beginn des neuen Jahres, das von nun an mit diesem Tag begann. Die Inschrift des Kalenderbeschlusses von 9 v. Chr. ist mehrfach erhalten (Leipoldt / Grundmann 2, 107; Ettl, 122-139; Witulski).

Im Neuen Testament findet dagegen eine solche Zyklisierung des Evangeliums von Jesus Christus mit den Jahreszeiten noch nicht statt. Erst die frühe Kirche entwickelt den Jahreskreis der Kirchenfeste. Das Weihnachtsfest wird im 4. Jh. in Rom mit dem 25. Dezember eingeführt. Das Neue Testament wartet dagegen auf die nahe Vollendung des in Jesus Christus angebrochenen Evangeliums und blickt nicht auf Einzelfeste zurück. So kennt das Neue Testament nur den Singular Euangelium, nicht den Plural Euangelia. Allerdings kann auch in der antiken Literatur der Plural der kaiserlichen Heilsakte (Geburtstag, Mündigkeit, Thronbesteigung, Apotheose) zu einem Singular wie bei Seneca komprimiert werden, aber es findet sich kein absoluter Gebrauch (Ettl, 139).

Das Alte Testament kennt auch nicht den Singular Euangelion. Auch der Plural Euangélia sowie das Femininum Euangelía sind kaum gebräuchlich und meinen lediglich den Botenlohn (LXX 2Sam 4,10; 2Sam 18,22) oder die Siegesnachricht (LXX 2Sam 18,20-27; 2Kön 7,9). Hingegen hat das Verb euangelizo (= eine Frohbotschaft verkünden) eine zentrale Bedeutung im Prophetenbuch Jesaja und in 2Sam 4,10.

Im Jesajabuch befindet sich in der 2. Hälfte ein eigenständiger, zusammenhängender Teil, der erst im Exil Israels (586-538 v. Chr.) zu den ursprünglichen Sprüchen des Propheten Jesaja hinzugewachsen ist und mit dem griechischen Begriff „Deutero-Jesaja = Zweiter Jesaja“ ( Jes 40-55) bezeichnet wurde. In Deuterojesaja wird der Sprecher von Gott zum Freudenboten = Euangelizomenos eingesetzt (Jes 40,1-9). Zunächst kündigt Gott dem Propheten die Rückkehr Israels aus dem Exil (538 v. Chr.) an. Dann lässt Gott eine Stimme den Auftrag verkünden, den Weg seines herrscherlichen In-Erscheinung-Tretens, seiner Epiphanie, vorzubereiten. Diese Stimme Gottes erneuert anschließend den Verkündigungsauftrag, den der ursprüngliche Prophet Jesaja schon rund 200 Jahre vor dem Exil erhalten hat (Jes 6,1-13: um 739 v. Chr.). Der neue Prophet oder die neue Prophetengruppe Deutero-Jesaja soll zum Sprachrohr Gottes für die Freude des befreiten Israel werden (Berges, 19-29). Im vierten und letzten Lied vom Gottesknecht (Jes 52,13-53,12) bezeichnet sich der Prophet oder die Prophetengruppe dann ausdrücklich als „Freudenbote“. Wie später Jesus von Nazaret (Mk 1,14f) bringt er (sie) das Evangelium von der nahegekommenen Königsherrschaft Gottes.

Dieses Amt des Christus-Freudenboten wird im Neuen Testament durch Jesus Christus endgültig erfüllt. Er kündigt durch seine Apostel seinem Volk die bereits eingetretenen und noch bevorstehenden endzeitlichen Heilstaten Gottes an ( Röm 10,15-16a). Das Evangelium von Jesus Christus hat Bezüge zum altestamentlcihen Freudenboten und zum griechisch-römischen Kaiserkult.

Philo und Josephus übernehmen ebenfalls die griechisch-römische Proklamationssprache, beziehen sie aber nur auf die Cäsaren und nicht auf eine jüdische Persönlichkeit (euangelízomai Philon, Legatio 18f.; Legatio 119; Legatio 231; euangélion Sg. Josephus, De bello Judaico 2, 420; Pl. De bello Judaico 4,618; De bello Judaico 4,656; Ebner / Schreiber,118f.).

1.2. Die Evangelienbücher

Bei den Erzählbüchern wird die Metapher „Evangelium“ an die exponierteste Stelle gesetzt, die möglich ist, und zwar in die Überschrift des ältesten Evangeliums: „Anfang des Evangeliums Jesu Christi und von Jesus Christus“ ( Mk 1,1). Die komplexe Kompositionsmetapher „Evangelium Jesu Christi“ erhält durch den Zusatz „Anfang“ eine metonymische Nebenbedeutung. Mit der Überschrift 1,1 beginnt die Erzählfolge, die die Metapher „Evangelium…“ iin Worten und Handlungen entfaltet.

Evangelium ist metonymische Bezeichnung des Buches, und zwar seines Inhaltes, und theologische Metapher zugleich. In dieser Doppelfunktion von Mk 1,1 als Metapher und Metonymie dürfte der Grund liegen, weshalb bis heute die Erzählbücher des Viererkanons „Evangelien“ genannt werden (Heckel, 17-62).

Während der Schriftwerdung des NT bis zur Mitte des 2. Jh.s wurden dann die offene Evangeliummetapher und der metonymische Buchtitel parallel nebeneinander gebraucht, wie sie sich ja auch im Markusevangelium parallel zueinander verhalten. Denn innerhalb des Buches wird das Lexem Evangelium zunächst wieder zur offenen Metaphorik ohne metonymische Nebenbedeutung: „Nachdem man Johannes ins Gefängnis geworfen hatte, ging Jesus nach Galiläa und verkündete das Evangelium Gottes“ ( Mk 1,14). Insgesamt kommt Evangelium 7-mal im Mk-Ev vor: Mk 1,1; Mk 1,14; Mk 1,15; Mk 8,35; Mk 10,29; Mk 13,10; Mk 14,9.

Die Verkündigungen Jesu von Gottes ankommender Herrschaft ( Mk 1,14; Mk 1,15: Jesus als Subjekt des Evangeliums) und die Handlungen Gottes an Jesus (Jesus als Objekt) verschränken sich als zwei Handlungsbögen. Ab der Mitte des Erzählwerks wird „Evangelium“ daher erneut eingesetzt, und zwar mit der metonymischen Nebenbedeutung; denn ab Mk 8,35 bezieht sich das absolut gebrauchte Evangelium rückblickend auf Handlungen an Jesus (Mk 8,35; Mk 10,29; Mk 13,10; Mk 14,9; Dormeyer 1987, 453 ff.). Jesus ist zum Objekt des Evangeliums geworden. Diese Doppelfunktion Jesu als Subjekt und Objekt des Evangeliums zeigt bereits die Überschrift Mk 1,1 an, die Jesus Christus als Gen. subj. und obj. verwendet (Gnilka 1978, I 43).

Das Buch des Markus gewährt in Aufbau und Inhalt umfassenden Zugang zum Evangelium Gottes in Jesus Christus und kann daher selbst als „Evangelium“ bezeichnet werden. Für die Gemeinde eröffnet das erfahrungsorientierte Lesen der Bücher „Evangelium“ und der Briefe die vielfältigen Möglichkeiten, das Evangelium selbst durch die Identifikation mit den Rollen, durch Auffüllen der Gattungsformen, Rollen, Sprechakte, Argumentationen, Wortfelder, Themen, Normen, Wahrheiten und Metaphern mit denotativer und konnotativer Bedeutung und durch Konstruktion fiktiver und historischer Situationen kritisch in den eigenen, kommunikativen Handlungen wirksam werden zu lassen. Entsprechend der Pluralität der Gemeinden entstehen im 1. Jh. die vier Evangelien und die unterschiedlichen Briefkorpora zu dem „Evangelium“.

Es unterscheidet allerdings die Briefe von den Evangelien, dass die Traditionen vom irdischen Jesus in breitem Umfang nur von den Evangelien aufgenommen werden. Hierfür ist die Wahl der Gattung Philosophenbiographie und Prophetenbiographie verantwortlich. Wie die wenigen Jesustraditionen in den Briefen neben den Kurzformeln und Argumentationen zum „Evangelium“ zählen ( 1Kor 15,1-5), so lassen sich dann erst recht in den Evangelien alle Jesustraditionen dem Evangelium zurechnen.

Matthäus übernimmt von Markus die Metapher und Metonymie Evangelium in sein „Erzählbuch“. Er reduziert zwar die Verwendung von „Evangelium“ gegenüber Markus (7-mal) auf 4 Stellen, erweitert aber „Evangelium" dreimal zu der neuen Kompositionsmetapher: „das Evangelium von der Königsherrschaft“ ( Mt 4,23; Mt 9,35; Mt 24,14). An der vierten Stelle gebraucht er Evangelium wie Markus (5-mal) absolut und fügt ein Demonstrativum hinzu: „dieses Evangelium“ (Mt 26,13). Evangelium bezeichnet noch kohärenter als bei Markus Jesu Verkündigung der Königsherrschaft Gottes und die an Jesus sich ereignenden Taten der Menschen und Gottes als Evangelium. Evangelium stellt mit dem demonstrativen „dieses“ (Mt 26,13) eindeutiger den metonymischen Bezug zum Biblos des Matthäus her (Mt 1,1) (Luz I 28; I 182; Frankemölle 1994, 178-180).

Lukas vermeidet in seiner „Erzählung“ (diegesis Lk 1,1) das Substantiv Evangelium, gebraucht aber dafür das Verb „euangelízomai". In der Apg verwendet er jedoch zweimal das Substantiv in der alten, missionssprachlichen Bedeutung(Apg 15,7; Apg 20,24), das dann am Schluss der Apg in Beziehung zum gesamten Doppelwerk gesetzt wird: „(Paulus) bezeugend die Königsherrschaft Gottes und versuchend, sie zu überzeugen von Jesus, vom Gesetz (des) Mose (her) und den Propheten, von (der) Frühe bis zum Abend (mit dem lk Doppelwerk)“ (Apg 28,23-31; Dormeyer 2003, 391-396). Lukas übernimmt zwar nicht von Markus den metonymischen Gebrauch von Evangelium, lässt aber in seinem Vorwort Lk 1,1-4 erkennen, dass er seine Erzählung als sorgfältiges Aufschreiben der Überlieferung der Evangeliumspredigt des Petrus (Apg 15,7) und Paulus (Apg 20,24) auffasst und damit sein Doppelwerk der Biographie und biographischen Geschichtsschreibung zuordnet.

Im Joh-Ev fehlt zwar der Begriff Evangelium, er wird aber durch den Begriff „Logos = Wort“ ersetzt (Joh 1,1). In der literarischen Form gleicht das Johannes-Evangelium dem Markus-Evangelium, so dass es der Gattung Evangelium zugeordnet werden kann (Frankemölle 2006).

Der Begriff Evangelium findet sich 76-mal im Neuen Testament. Er gehört nicht zu den häufigsten theologischen Substantiven.

2. Die literarische Gattung Evangelium

2.1. Die Spruchquelle Q als Spruch-Evangelium und Spruch-Biographie

Die Spruchquelle Q hat die geringste Nähe zu alttestamentlichen oder hellenistischen Erzählgattungen. So hält die Diskussion an, ob die Spruchquelle Q einer Gattung zugerechnet werden kann oder ob sie eine eigene Gattung konstituiert. Die Gültigkeit der Zwei-Quellentheorie wird hier vorausgesetzt; Q ist von den Erzähl-Evangelien des Matthäus und Lukas aufgesogen worden (Schmithals, 182-229; Conzelmann / Lindemann, 66-84; Schnelle, 194-214; Pokorný / Heckel, 321-363; Ebner / Schreiber, 67-112).

Nach Dibelius ist Q weder in der Anordnung der ermittelten Textstücke festlegbar, noch in der literarischen Rahmung dieser Texte bestimmbar. Daher schlägt Dibelius vor, „eher von einer Schicht als von einer Schrift zu reden“ (Dibelius, 236). Ähnlich argumentiert Bultmann. Q ist „ein Stadium" innerhalb der „Sammlung" des synoptischen Redestoffs (Bultmann, 354).

In der folgenden Q-Forschung hat sich der Konsens herausgebildet, in der Anordnung von Q den Q-Anteilen im Aufriss von Lukas zu folgen. Wenn die „bewahrende" Einordnung der Q-Texte in den Markusaufriss durch Lukas akzeptiert wird, ergibt sich bei der Herauslösung und Aneinanderreihung der Q-Texte aus Lukas eine literarisch gestaltete Rahmung, die mit Parallelen aus Frühjudentum und Hellenismus verglichen werden kann (vgl. die Anordnung in Hoffmann / Heil). Außerdem wird ein Vergleich mit dem zeitlich späteren Markusevangelium möglich. Die Zitate aus Q werden neuerdings mit dem Kürzel Q und der Kapitel- und Verszählung des Lukas zitiert, also Q 3,2b-3a als Beginn von Q.

Gegen die literarische Unterbewertung von Q als „Halbevangelium" (Schulz, 24f.), „Schicht" oder „Stadium“ arbeitete Robinson die literarische Eigenständigkeit von Q als „Spruchsammlung“ heraus. Nach ihm hat das gnostisch überarbeitete Thomasevangelium des frühen 2. Jh. die urchristliche Gattung „Spruchsammlung“ als „Evangelium“ fortgesetzt (Robinson 1964, 90). Die Unterschrift am Ende von EvThom trägt den Titel, der Anfang des 2. Jh. für die Evangelienbücher üblich wurde: „Das Evangelium nach (katá) Thomas" (EvThom 99,27-28; Hengel 1984, 18f.).

Früher als das Thomasevangelium sind die protorabbinische Spruchsammlung „Pirqe Aboth“ (Sprüche der Väter), die frühjüdischen Testamente der 12 Patriarchen (Dan 1,1f.; Naph 1,5 u. ö.), die Sprüche Salomos (Spr 1,1) und das altestamentliche Spruchbuch Kohelet (Koh 1,1). Dieses Vergleichsmaterial ist um hellenistische Spruchsammlungen wie die Worte der 7 Weisen, das Encheiridion Epiktets, die Gnomen des Sextus, des Pseudo-Phokylides und des Pseudo-Menander u.a. zu erweitern (Küchler, 236-318). Von Q wird „ein Verständnis Jesu als eines sophos suggeriert“ (Kloppenborg, 317 ff.).

Dass Spruchsammlungen im 2. Jh. auch als Evangelium bezeichnet werden konnten, liegt nicht nur an den nachträglichen Evangelienüberschriften, sondern auch an der Verwendung des Verbs euangelizo in Q. Das Apophthegma von der Frage des Täufers nach der Identität Jesu endet mit dem Zitat Jesu aus Tritojesaja Jes 61,1: „„… und Armen wird das Evangelium verkündet“ (Q 7,22). Da in den Gnomen und anderen Worten Jesu die Metapher Evangelium fehlt, ist dieses Apophthegma in Q die einzige Schlüsselstelle, den Evangeliumsbegriff über den Verbgebrauch auf den vorösterlichen Jesus zurückzuführen (Friedrich, 725; vorsichtig Stuhlmacher, 223 f). Während die Erschließung des Selbstbewusstseins Jesu als eschatologischer Freudenbote aufgrund der singulären Zitierung von euangelizo unsicher bleibt (Frankemölle 1994, 141-149), nimmt dieser einmalige Gebrauch in Q eine zentrale Stellung ein. Des Freudenboten Jesu Worte und Taten sind wie bei den späteren Synoptikern „Evangelium“. Q bildet die eigene Sondergattung „Sayings Gospel = Spruch-Evangelium“ (Robinson 1992; Dormeyer 1993, 214-220; Theißen 1995, 444; Hoffmann/ Heil, 19; Heil, 213-219).

Der Redaktor von Q hat dabei nicht auf eine schematisierte, alttestamentliche Gattung „Prophetenbuch“ zurückgegriffen, sondern hat die Mischverfahren der Nachexilszeit weitergeführt und in Analogie zu frühjüdischen und hellenistischen Spruchsammlungen unter Einbeziehung der alttestamentlichen Ideal-Biographie eine eigene Gattung der Ideal-Biographie geschaffen, die „Spruch-Biographie“ mit der Einsetzung als Erzählrahmen und weiteren Erzählungen im Hauptteil (Kloppenborg, 325ff.; Schröter 2001, 97-103). Es bleiben in Q trotz überproportionaler Vermehrung der prophetischen Mikrogattungen nach Ostern die weisheitlichen Kleingattungen deutlich in der Überzahl.

Der Redaktor von Q steht nicht unter dem „Zwang“ der Gattung Prophetenbuch, wenn er wie diese die Passionsgeschichte auslässt, sondern schließt aufgrund seiner Menschensohnchristologie mit dem Ausblick auf die Parusie des zum Menschensohn erhöhten Jesus und verweist vorher mit einer Weisheitssentenz (Q 14,27) auf sein irdisches Leiden (Schulz 1972, 430-434). Den unterschiedlichen Konzeptionen von Spruchbiographie und Erzähl-Evangelium entsprechen auch unterschiedliche Konzeptionen der Christologie.

Jesu Reprophetisierung und das verstärkte Weitergehen der Prophetie bei den Wandercharismatikern von Q führt nicht zur anachronistischen Imitierung der alttestamentlichen prophetischen Mikro- und Makrogattungen, sondern bleibt im großen Strom der apokalyptischen, weisheitlich-prophetischen Literatur weiterhin eingebettet. Aufgrund der gattungsmäßigen Nähe der Spruchbiographie Q zu der erzählenden Idealbiographie konnten die späteren Redaktionen des Matthäus und Lukas Q in den Rahmen des Markus einordnen. Ob dem Redaktor von Q die Umformung der apokalyptischen, weisheitlich-prophetischen Spruchbiographie zur neuen Gattung Spruch-Evangelium trotz fehlender Passionsgeschichte gelungen ist, wird allerdings infragegestellt (Schröter 2001, 97-103; Theißen 2007, 67-71; Frenschkowski; Ebner / Schreiber, 93-96), bleibt aber aufgrund der Rezeption in gnostisierenden Spruch- und Dialogsammlungen (EvThom u.a.) mit der „Evangelium“-Bezeichnung plausibel (Köster 2008).

2.2. Die Erzähl-Evangelien als Idealbiographien

Das Erzähl-Evangelium ist „die einzige originelle Form …, mit welcher das Christentum die Literatur bereichert hat" (Overbeck, 36). Dieses Urteil von Overbeck von 1882 gilt noch immer mit Abstrichen. Allerdings hält der mit Overbeck einsetzende Streit, ob die Gattung „Evangelium" eine originäre Schöpfung des Urchristentums (Overbeck, 36 f.; Schmidt, 137 ff.) oder eine analoge Bildung zu anderen Erzählgattungen wie dem Volksbuch (1923, 210; 1912, 266ff.), der Aretalogie (Hadas / Smith), dem Drama (Via; Bilezikian; Standaert), dem Roman (Tolbert; Vines) oder der Biographie (Weiss, 11-16; Talbert; Dormeyer / Frankemölle; Aune, 17-77) ist, noch an.

Doch zeichnet sich gegenwärtig „ein gewisser Konsens ab, dass die Evangelien gattungsgeschichtlich der antiken biographischen bzw. historiographischen Literatur zuzuordnen sind“ (Toit, 21f.; Dormeyer 1989; 2005, 153-185).

2.2.1. Die hellenistische Biographie

In der Graezistik ist die Eigenständigkeit der Biographie als Gattung längere Zeit umstritten gewesen (Momigliano). Gegenwärtig gibt es einen Konsens, biographisches Erzählen, wie es bereits in Homer und in parallelen altorientalischen Literaturkorpora vorliegt wie dem Alten Testament oder der ägyptischen Literatur, von der Gattung Biographie abzuheben. Dem klassischen Werk von Leo (1901) wird mit Recht darin gefolgt, daß die Gattung Biographie mit der peripatetischen Schule des Aristoteles einsetzt (Dihle 1970). Die peripatetische Biographie entsteht daraus, daß das ältere Enkomion, der rhetorische Lobpreis eines Lebenslaufes, mit dem dramatischen Aufbau der klassischen Tragödie verbunden wird. Die Biographie wird aber aufgrund der dramatischen Erzählweise noch nicht zum Drama, sondern bleibt der Prosaliteratur der Geschichtsschreibung verhaftet. Denn nur von solchen Personen werden Enkomien und später auch Biographien überliefert, die wie der spartanische König Agesilaos oder der zyprische König Euagoras als Staatsführer oder als Persönlichkeiten der Philosophie, Literatur, Religion oder Medizin historischen Rang beanspruchen können.

Leider sind die frühen peripatetischen Biographien verlorengegangen oder nur in Bruchstücken erhalten geblieben, z.B. die Bruchstücke der Euripides-Biographie des Satyros (3. Jh. v.Chr.) (Effe, 302-310). Lediglich aus den Titeln und den wenigen Fragmenten läßt sich ermitteln, dass diese Biographien hauptsächlich Philosophen und Dichter zum Thema hatten (Berger 1984, 1231-1245). Allerdings bringt der Siegeszug Alexanders des Großen es mit sich, daß auch ein Herrscher wie bei den Enkomien zum bevorzugten Charakter einer Biographie wird. Den literarisch späten Höhepunkt der hellenistischen Biographie bildet, unbestritten seit dem Altertum, Plutarch (45-120 n.Chr.). Sein umfassendes Werk der vergleichenden Parallelbiographien ist mit den vorhandenen 22 Paaren fast vollständig überliefert worden. Plutarchs Biographien konzentrieren sich auf das Malen eines Lebensbildes. Wie bei einem Gemälde wird die Fülle der großen Ereignisse weggelassen; dagegen werden kleine Details zugelassen, um den Charakter und die Merkmale des Persönlichen mit den Sinnen zu erfassen (Wördemann, 56-106). Das Bild gibt nicht nur einen inneren Eindruck wieder wie im modernen Expressionismus, sondern erzeugt eine Einheit von Faktum und Deutung. Die Fakten erhalten eine mögliche, realistische Lesart (Schröter 2004).

Die Biographie zeigt durchgängig eine dreiteilige Struktur:

1. Vorbereitung zum öffentlichen Auftreten, 2. Öffentliches Auftreten, 3. Tod (Dormeyer 1989, 59f. 160-194; Frickenschmidt, 192-210).

Teil 1 muss nicht mit Empfängnis, Geburt und Kindheit einsetzen. Die Mehrzahl der lateinischen Biographien bei Cornelius Nepos setzt mit dem jungen Erwachsenen ein, ebenfalls der griechischen Biographien bei Plutarch; auch die Res Gestae des Augustus setzen mit dem jungen Erwachsenen Octavian ein. Die Geburtsgeschichten mit Wundern sind vielmehr die Ausnahme; sie gehen auf spätägyptische Einflüsse zurück (Frickenschmidt, 253ff.; Kügler, 133-185).

2.2.2. Die alttestamentliche und frühjüdische Idealbiographie

Baltzer hatte die alttestamentlichel Gattung „Idealbiographie“ für die Propheten entwickelt (Baltzer). Prophet umfasst nach dem hebräischen Kanon die vorderen und hinteren Propheten, also die großen Führer der Geschichtsschreibung (vordere Propheten ab Mose) und die Schriftpropheten der Prophetenbücher (hintere Propheten). Nun lässt sich aber an den disparaten, biographischen Texten des AT keine feste Gattung nachweisen. Doch zutreffend ist von Baltzer der Begriff „Ideal-biographie“ eingeführt worden. Im Unterschied zur antiken Biographie werden im AT und NT die prophetischen und königlichen Gründer nicht als gemischte Charaktere, sondern als Idealgestalten vorgestellt. Sie können wohl sündigen, aber sie kehren immer wieder zum Ideal des Gerechten um.

Sowohl die hellenistische wie die alttestamentliche und frühjüdische Biographie haben keine feste, sich konsequent durchhaltende Gesetzmäßigkeit. Ihre Elemente bilden vielmehr einen lockeren Zusammenhang, treten variabel in Erscheinung, gehen mit anderen Großgattungen Verbindungen ein wie mit der Geschichtsschreibung und nehmen wie diese kleine Gattungen auf wie aretalogische Wundergeschichten, Apophthegmata, Gleichnisse, Passionsberichte und Theophanien.

2.2.3. Die neutestamentliche Gattung Evangelium

Diese Varianz und Offenheit machen die Biographie geeignet für die Herausbildung einer originellen Variante mit kurzer Lebensdauer. Zugleich aber erschweren sie die eindeutig literarische Charakterisierung der Variante. Diskutiert wird daher, ob die biographische Gattung Evangelium uneingeschränkt zur hellenistischen Gattung Biographie gehört (Talbert; Burridge; Frickenschmidt; Witherington), oder die alttestamentliche Prophetenbiographie fortsetzt (Baltzer, 185-189; Hengel 1979, 33f.; Lührmann, 20) oder eine hellenistische Sondergattung aufgrund der Einflüsse der alttestamentlichen / frühjüdischen Prophetendarstellungen auf dem mittleren Niveau der literarischen Koine bildet (Cancik, 92-98; Schenke 1988, 145-148; Dormeyer 1989; Köster 1990, 24-29; Gnilka 1994, 151-154; Müller, 166-181; Eckey, 24-27; Schnelle, 171-177; Reiser, 98-106; Dormeyer 2002; Wördemann; Hahn, 483f.; Roskam, 215-237; Toit, 14-22; Dschulnigg, 49-51; Theißen 2007, 84-93; Rose, 39; Pokorný / Heckel, 382f.). Ob die hellenistische biographische Sondergattung Evangelium wiederum dem Mythos (Klumbies; Schenke 2005, 8-21; Fritzen, 19-46) oder der Prä-Historiographie (Becker, 410f.) bzw. apokalyptischen Geschichtsschreibung (Yarbro-Collins 1992, 1-39; Yarbro-Collins 2007, 15-53) zuzuordnen ist, wird zusätzlich diskutiert.

2.2.4. Das Markusevangelium

Das Mk-Ev gibt als das älteste Evangelium den nachfolgenden Evangelien den literarischen Rahmen vor. Es besteht ein weitgehender Konsens, dass der geographische Kode des Mk-Ev am deutlichsten eine Gliederung erkennen lässt (Dormeyer 2005, 149-153). Der Prolog Mk 1,1-15 eröffnet mit der Taufe und Einsetzung des erwachsenen Jesus in das öffentliche Amt des Verkünders der nahen Königsherrschaft Gottes die Handlung. Dann folgt die geographische Dreiteilung: Galiläa (Mk 1,16-8,27), „Weg“ von der Jordanquelle nach Jerusalem (Mk 8,27-10,52), Passion in Jerusalem (Mk 11,1-15,47). Den Epilog bildet die Grabesgeschichte Mk 16,1-8. Dieser Dreiteilung lassen sich theologische Schwerpunkte zuordnen. In Galiläa überwiegen die Heilsverkündigungen und Heilstaten, auf dem „Weg“ findet hauptsächlich die Belehrung von Jüngern und mitwanderndem Volk statt (Fritzen, 263-312), in Jerusalem überwiegen Ablehnung und Passion. Es ergibt sich eine Zentralkomposition mit starkem Achtergewicht.

Das Evangelium bildet zwei Handlungsbögen. Der göttliche Handlungsbogen entsteht durch himmlische Stimmen. Am Anfang und in der Mitte proklamiert die Himmelsstimme Jesus zum Sohn Gottes (Mk 1,11; Mk 9,7). Am Schluss verkündet der Engel „Jesus, den Nazarener“, als den Gekreuzigten und Auferstandenen (Mk 16,6). Der Handlungsbogen von göttlicher Berufung, göttlicher Bestätigung, Ablehnung durch die Menschen, Erkenntnis der Sendung und göttlicher Auferweckung hat Parallelen in den antiken Gründerbiographien. Das Geheimnismotiv spielt besonders in der Numa-Biographie eine Rolle (Plutarch, Numa).

Der christologische, menschliche Handlungsbogen setzt mit dem Beinamen Christus in der Überschrift Mk 1,1 ein. Es folgen die von Menschen gesprochenen Titel „Menschensohn“ (Mk 2,10; Mk 3,28 u.ö.), „Herr“ (Mk 2,10 u.ö.), „Lehrer“ (Mk 4,38 u.ö.), „Prophet“ (Mk 6,4; Mk 6,15; Mk 8,28), „Sohn Davids“ (Mk 10,4 u.ö.), die alle dem Christus-Titel untergeordnet bleiben.

Jesus bestimmt mit seinen Interaktionen diesen zweiten Handlungsbogen. Das Evangelium handelt nicht nur von Jesus als Objekt, sondern viel umfangreicher von ihm als messianisch handelndem Subjekt. Er erschließt den Hörern die angekommene Königsherrschaft Gottes, die nirgendwo inhaltlich definiert wird, als realistische Erfahrung. Jesus zeigt ihnen den Weg der Umkehr und ermöglicht ihnen den Glauben an das Evangelium, wie er ihn vorbildhaft vorlebt. So hält er Gottes Evangelium von seiner Einsetzung zum Gottessohn geheim und erschließt seinen Mitakteuren dennoch öffentlich ab Mk 1,16, und zwar seinen Jüngern, dann dem Volk, danach den sich herausbildenden Gegnern, das Evangelium von der in ihm angekommenen Königsherrschaft Gottes. Jesu Identität besteht in der Spannung von Verborgenheit der Gottessohnschaft und Öffentlichkeit seiner Vollmacht (Scholtissek). Das Evangelium umfasst zusätzlich zu Einsetzung, Autoritätsbestätigung und Auferweckung alle heilbringenden Handlungen Jesu. Erlösung geschieht nicht nur im Kreuzestod Jesu, sondern der gesamte Weg Jesu war und ist noch immer heilbringend (Mk 1,2; Mk 12,6-11). Nach Ostern geht das Evangelium weiter.

Wie Plutarch in seinen Biographien deckt das erste Evangelium auf, welche geheimen Gründe einen gescheiterten Lehrer und Herrscher zu seinem öffentlichen Aufruhr mit seinen erkennbaren Ursachen angeleitet haben. Zu den Ursachen zählen die konkreten Erfahrungen mit Ungleichgewichtszuständen wie Krankheit, Verbrechen, Unterdrückung, Missbrauch, parteiische Justiz. Ihre Veränderung durch Jesus bleibt korrelierbar mit den Erfahrungen aller künftigen Leser. Der verschwiegene Grund ist „das Geheimnis (mystérion) der Königsherrschaft Gottes“ (Mk 4,11). Dieser Grund wird im Prozess nicht genannt, er ist nur in den Mysterienfeiern der Nachfolge Jesu erfahrbar. Himmelsstimme, Satan, Dämonen und Engel tauchen ebenfalls in der gesamten Passion nicht auf. Der „Grund“ für Jesu Identität, Konfliktstrategie und Leiden bleibt den Gegnern mit Ausnahme des Hauptmanns als Hintergrundbühne verborgen. Das Evangelium Jesu Christi und von Jesus Christus erschließt dagegen den glaubenden, forschenden Lesern intensiv den „Grund“ (Evangelium Jesu Christi als Verkündigung der Königsherrschaft Gottes) und versucht, die Ursachen, Taten und Lehren des Lebens Jesu, seines Todes und seiner Auferweckung genau zu erzählen und als Evangelium allen Lesern nahezubringen (Evangelium von Jesus Christus), so dass auch die distanzierten Leser nach dem Grund zu forschen und voll Vertrauen zu glauben beginnen. Sie sollen sich abwechselnd mit allen Rollen und schließlich mit der Autor-Perspektive identifizieren.

Die Gattung Idealbiographie lässt sich in dieser Ausformung als Analogie zur hellenistischen „Herscherbiographie“ bestimmen, und zwar als Anti-Biographie (Dormeyer 2002, 383-388; Theißen 2007, 88; Ebner/ Schreiber, 112-125).

2.2.5. Die nachfolgenden kanonischen und apokryphen Evangelien|þ

Die nachfolgenden Evangelien des Matthäus, Lukas und Johannes halten sich weitgehend an den literarischen Aufbau des Mk-Ev, Galiläa an den Anfang und Jerusalem mit der Passion an den Schluss zu setzen. Durch die Kindheitsgeschichten verstärken Matthäus und Lukas den biographischen Charakter. Die neutestamentlichen Evangelien kennen nur den idealisierten Jesus Christus, der beim öffentlichen Wirken ohne Sünde den „Willen“ des Vater-Gottes erfüllt. Auch in der Theologie wird mit jeweils anderen Konzeptionen die Spannung zwischen dem göttlichen Handlungsbogen und dem Handlungsbogen Jesu Christi als menschlicher Hoheitsträger durchgehalten. Die Evangelien bleiben Anti-Biographien, in denen die hellenistische Biographieliteratur und das alttestamentliche idealbiographische Erzählen eine neue Verbindung gefunden haben.

Die späteren, pseudepigraphischen oder anonymen Evangelien fanden die großkirchliche Anerkennung nicht mehr. So verfaßte Bischof Serapion von Antiochien (um 200) einen Brief an die Gemeinde von Rhossus Über das sogenannte Petrusevangelium, in dem er dessen gnostische Irrtümer aufdeckte. Er zog seine Erlaubnis für die Gemeinde zurück, dieses Evangelium zu lesen (Eusebius, Kirchengeschichte VI, 12,1-6).

Die erhaltenen Fragmente der apokryphen Erzähl-Evangelien enthalten neben den kanonisierten Vierer-Evangelien frühapostolische Traditionen, die aber von geringem historischem Wert sind. Das gilt besonders für die apokryphen Evangelien mit Ergänzungsabsichten wie den Kindheitsevangelien des Jakobus, des Thomas und des Pseudo-Matthäus und den Evangelien über Jesu Tod und Auferstehung des Petrus, Nikodemus (Pilatusakten) und Bartholomäus.

In der Ausgestaltung verlassen die Apokryphen dann deutlich die kerygmatische Kargheit und christologische Orthodoxie der vier ersten Evangelien. Papyrusfragmente aus Ägypten lassen vermuten, dass weitere Evangelien den synoptischen (Papyrus Oxyrhynchos 840) und johanneischen (Papyrus Egerton 2) Stil vergröbern. Das von den Kirchenvätern bezeugte Nazaräerevangelium, Ebionäerevangelium und Hebräerevangelium setzen den synoptischen Stil mit judenchristlicher Akzentuierung fort, Ägypter- Petrus- und Bartholomäusevangelium mit gnostischen Zufügungen. Die Kindheitsevangelien des Jakobus und Thomas und die Evangelien des Petrus, Nikodemus und Bartholomäus zu Passion und Auferstehung Jesu überwuchern materialreich den Erzählstil der Vierer-Evangelien. Die Evangelien und Dialoge aus Nag Hammadi führen zum einen das Spruch-Evangelium Q (EvThom) und die Dialoge der Evangelien fort und bilden zum andern gnostische Formen aus (Schneemelcher, 1; Köster 1990, 20-267; Klauck).

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