Deutsche Bibelgesellschaft

Johannes 4,5-14 | 3. Sonntag nach Epiphanias | 26.01.2025

Einführung in das Johannesevangelium

Das Johannesevangelium ist wie ein Fluss, in dem ein Kind waten und ein Elefant schwimmen kann.

Robert Kysar

Das Evangelium „nach Johannes" ist das tiefgründigste und theologisch wie kulturgeschichtlich wirkungsvollste der kanonischen Evangelien. Es unterscheidet sich in Stoff, narrativer Gestalt, Sprache und Theologie signifikant von den Synoptikern. Die Erklärung dieser Besonderheiten sowie die Frage nach seinen Quellen und seinem historischen und theologischen Wert gehören zu den schwierigsten und umstrittensten Fragen der Forschung.

Joh ist wie Mk eine kerygmatische Erzählung vom Wirken, Sterben und Auferstehen Jesu, d.h. ein Evangelium. Es ist programmatisch aus nachösterlicher Perspektive gestaltet, aus der durch den Geist gewirkten „Erinnerung“ (Joh 2,22; 12,16), und es trägt diese Perspektive bewusst in die Erzählung der Geschichte Jesu und seines Todes (19,30), so dass alle Einzel-Episoden schon im Licht des Ganzen des Christusgeschehens, im ‚österlichen Glanz‘, zu lesen sind.

Joh enthält eigentümliche Stoffe (Prolog, Abschiedsreden, ausgedehnte Reden und Dialoge Jesu mit Nikodemus, der Samaritanerin oder Pilatus), Erzählungen wie das Weinwunder (Joh 2), Lazarus (Joh 11), die Fußwaschung (Joh 13). Wichtige synoptische Stoffe (z.B. Geburtsgeschichten, Gleichnisse, Bergpredigt, Endzeitrede) fehlen. Die Tempelreinigung (Joh 2,13-22) ist aus dem Passionskontext an den Anfang umgestellt, der Todesbeschluss des Hohen Rates (Joh 11,45-54) erfolgt ebenfalls schon vor der Passion als Antwort auf die Lazarus-Erweckung. Dies weist auf eine bewusste Umgestaltung der älteren Jesusüberlieferung hin, die auch geschichtliche Sachverhalte in großer Freiheit anders erzählt. Dies zeigt sich auch in der anderen Sprache Jesu, die im Grunde die Sprache aller anderen Figuren und des Autors ist. D.h., auch in Jesu Worten und Reden spricht faktisch der joh Autor.

1. Verfasser

Das „Evangelium nach Johannes“ ist wie alle kanonischen Evangelien anonym überliefert. Die Überschrift ist im 2. Jh. nachgetragen. Traditionell wurde es ab dem späten 2. Jh. dem Apostel und Zebedaiden Johannes zugeschrieben, der mit der Figur des „Jüngers, den Jesus liebte“ (Joh 13,23) identifiziert wurde. Diese Zuschreibung ist erklärlich, weil man diesen ‚Lieblingsjünger‘ (LJ) mit dem ‚unbekannten‘ zweiten Jünger aus Joh 1,35-40 identifiziert hat und (aufgrund von Mk 1,16-20 oder Apg 3-5) in diesem den Zebedaiden Johannes sah. So ‚wurde‘ der LJ zum Augenzeugen der ganzen Erzählung und das Evangelium bekam ‚apostolische‘ Würden. Nach der Johanneslegende (bei Irenäus u.a.) soll dieser Johannes als Greis sein Werk in Ephesus in Kleinasien geschrieben haben, nach Clemens v. Alex. ist es als „geistliches“ Evangelium in Ergänzung und Vertiefung zu den drei eher „leiblichen“ Erzählungen der Synoptiker abgefasst.

Aufgrund von Stoff, Sprache und erzählerischer Gestalt ist allerdings höchst unwahrscheinlich, dass der galiläische Fischer im hohen Alter das Werk verfasst hat. Und selbst wenn er der Autor wäre, wäre schwer erklärlich, warum es sich von der älteren Tradition so unterscheidet.

Nur das wohl als ‚Nachtrag‘ angefügte Kapitel 21 führt die Abfassung auf den LJ zurück, in Joh 1-20 ist dieser zwar an wenigen Stellen ab dem letzten Mahl (13,23; 19,25-27; 20,1-10) Petrus an die Seite gestellt, doch eher als ‚ideale Figur‘, die Jesus näher ist und ihn besser versteht. Der eigentliche „Autor“ ist in Joh 1-20 der „erinnernde“ Geist (Joh 14,25f). Wenn hinter dem LJ auch eine ‚reale‘ Figur im Umkreis der joh Gemeinden stand (wie 21,22f nahelegt), ist fraglich, ob dieser mit einer bekannten Gestalt zu identifizieren ist. Das Joh wäre in dann Fall posthum von Schülern (21,24f) herausgegeben. Wenn der Autor des Joh mit dem von 1-3Joh identisch ist, wäre der autoritativ schreibende „Presbyteros“ aus 2Joh 1; 3Joh 1 am ehesten mit dem bei Papias von Hierapolis (Eus., h.e. 3,39,4) als Traditionsträger in der Asia erwähnten „Presbyteros Johannes“ zu identifizieren. Die spätere Zuschreibung an den Zebedaiden wäre dann in einer Verwechslung oder eher intentionalen Überblendung der Namen erfolgt.

Schriftzitate und Anspielungen belegen eine gute Kenntnis des AT, das aber höchst selektiv benutzt wird. Analog ist auch für die übrigen Traditionen eine sehr eigenständige Verwendung anzunehmen. Nichts ist nur ‚abgeschrieben‘, Joh 20,30f bezeugt eine bewusste Auswahl des Autors aus den ihm verfügbaren Stoffen. Daraus folgt aber: Die Eigenständigkeit in Stoff und literarischer Ausgestaltung belegt keine ‚Unabhängigkeit‘ von der synoptischen Tradition. Jede Rekonstruktion schriftlicher Quellen (z.B. einer ‚Semeia‘-Quelle mit Wundergeschichten oder eines eigenen Passionsberichtes) ist m.E. unmöglich, doch sind neben den Synoptikern (v.a. Mk) mündliche und schriftliche Gemeindetraditionen anzunehmen, die aber alle eigenständig umgestaltet sind. Der Autor kennt das Mk (wie z.B. die Anspielungen auf die Gethsemane-Episode in 12,27f; 14,31 und 18,11 zeigen) und setzt die Kenntnis auch bei seinen Lesern voraus (s. 3,24), evtl. kennt er auch Lk oder Stoffe daraus, eine Kenntnis des Mt ist nicht zu belegen. Er ist gleichfalls vertraut mit jüdischen Bräuchen und wohl auch mit Gegebenheiten in Jerusalem. Vielleicht ist er ursprünglich ein Palästiner, der dann im Zuge des jüdischen Krieges nach Kleinasien kam.

2. Adressaten

Das Joh ist wohl in Gemeindekreisen entstanden, die auch in 1-3Joh greifbar sind. Diese Gemeinden (oder die ‚Joh. Schule‘) in Kleinasien sind erst im letzten Drittel des 1. Jh. greifbar, sie hatten eigene Traditionen, aber nahmen auch synoptische und paulinische Motive auf. Ein Teil der joh Christusgläubigen entstammte wohl der Diasporasynagoge, und die traumatischen Spuren einer erfolgten Trennung (aposynagogos: Joh 9,22; 12,42; 16,2) sind wahrnehmbar, hingegen waren andere wohl Nichtjuden („Griechen": Joh 7,35; 12,20). Der Kontext steht also ein Verband ‚gemischter‘ Gemeinden, wohl im urbanen Raum, in dem neben diesen joh Christusgläubigen auch anders geprägte Gruppen koexistierten (z.B. Apk, Eph, Pastoralbriefe).

Nach den Abschiedsreden erscheinen die Adressaten selbst verunsichert ‚in der Welt‘, so dass Jesu Wort und das ganze Joh im Durchgang durch die Geschichte Jesu eine Antwort darauf bietet. Zugleich ist das Joh nicht nur als konkretes Wort an einen begrenzten, gar ‚sektiererisch‘ abgeschlossenen Gemeindekreis zu lesen, vielmehr zielt es auch auf Lesende in einem weiteren Rahmen, ja auf die Welt der Bücher, wenn es in 1,1 die Genesis überbietend aufnimmt und in 21,25 mit einem Hinweis auf viele Bücher endet.

3. Entstehungsort

Die Herausgabe des Evangeliums wird seit der altkirchlichen Tradition in Ephesus angesetzt. Dies ist im Joh und den drei Briefen nicht positiv zu belegen, und sachlich wäre jeder urbane Kontext im östlichen Mittelmeerraum denkbar, doch weist das frühe Zeugnis des Papias von Hierapolis, Polykarp u.a. auf den Raum Kleinasiens, ebenso die frühe Verbindung mit der dort situierten Apokalypse. Andere Vorschläge (Alexandrien wegen der Rede vom Logos; Syrien wegen vermeintlicher Nähe zu gnostischen Traditionen; Ostjordanland wegen der Bedeutung der ‚Juden‘) sind ebensowenig zu belegen. Kleinasien bleibt die wahrscheinlichste Option.

4. Wichtige Themen

Wichtige Themen der exegetischen Interpretation sind die hohe Christologie: Jesus ist der eine Offenbarer Gottes, ja er ist ‚Gott‘. Er gibt Leben, gibt den Geist. Sein Tod ist ‚Vollendung‘ der Schrift und des Willens Gottes (19,30), seine Sendung (ans Kreuz) der Erweis der ‚Liebe‘ Gottes zur Welt (3,16). Auffällig ist die ‚Vergegenwärtigung‘ der Eschatologie: Das ‚ewige Leben‘ ist schon jetzt im Glauben gegeben (5,24), das Gericht ergeht jetzt in der Begegnung mit Jesus (3,18). Zentrale Bedeutung hat der Geist, der als ‚Beistand‘ (Paraklet) der nachösterlichen Gemeinde diese begleitet, erinnert und zum Zeugnis befähigt. Joh entwickelt eine Art, von Vater, Sohn und Geist in personaler Unterscheidung zu reden, die bereits in die Richtung der späteren Trinitätslehre führt. Das alles wird in Bezug auf die Schriften Israels entfaltet, die nach Joh sämtlich von Jesus zeugen. Daher beansprucht der joh Jesus Exklusivität als Offenbarer (1,18; 14,6), während alle anderen Wege, auch der der nicht an Jesus glaubenden Schüler Moses (9,28) nicht „zum Vater“ führen. Die schroffe antijüdische Polemik ist z.T. Ertrag der schmerzhaften Trennungs- und Identitätsbildungsprozesse. Für die Gemeinde ergibt sich daraus eine innere Trennung von der ‚Welt‘, der mit einer (Familien-)Ethik der (nicht nur, aber vorrangig) auf die eigene Gruppe gerichteten Liebe begegnet wird.

5. Besonderheiten

Das Joh will, dass seine Leser:innen besser und tiefer verstehen. Diesem Ziel dient die literarische Ausgestaltung durch ein eine Vielzahl literarischer Gestaltungsmittel: die Vor-Information durch den Prolog lässt die Leserschaft stets ‚wissender‘ sein als die textlichen Figuren, deren ‚dumme‘ Fragen oft Verwunderung auslösen. Die Wundergeschichten sind durch textliche Verweise so ausgestaltet, dass sie nie nur als Bericht eines vergangenen Ereignisses gelesen werden können, sondern stets auf das Ganze des Heilsgeschehens bezogen sind. Explizite und implizite Erzählerkommentare und Erläuterungen lenken den Blick auf textliche und theologische Bezüge. Narrative Figuren bieten Identifikationsangebote und provozieren durch ihre Ambivalenz zur Stellungnahme. Miteinander vernetzte, z.T. breit symbolisch ausgestaltete Metaphern (wie Wasser, Brot, Hirte, Weinstock, aber auch Geburt, Familie, Tempel, Garten) verstärken das Wirkungspotential des Textes und laden die Lesenden ein, ihn „zu bewohnen“ (Ricœur). Als subtiler literarischer Text spiegelt das Joh nicht nur die hohe Kunst seines Autors, sondern wurde selbst zur Weltliteratur.

Literatur:

  • Meyers KEK: Jean Zumstein, Das Johannesevangelium, Göttingen 2016; C.K:Barrett, Das Evangelium nach Johannes, Üs. H. Balz (KEK Sonderband), Göttingen 1991.
  • Martin Hengel, Die johanneische Frage, WUNT 67, Tübingen 1993.
  • Jörg Frey, Die Herrlichkeit des Gekreuzigten. Studien zu den johanneischen Schriften 1, WUNT 307, Tübingen 2013: https://www.mohrsiebeck.com/buch/die-herrlichkeit-des-gekreuzigten-9783161527968?no_cache=1
  • Francis Moloney, The Gospel According to John, Sacra Pagina 4, Collegeville MN 1998; Marianne Meye Thompson, John: A Commentary, NTL, Louisville KN 2015.

A) Exegese kompakt: Johannes 4,5-14

Vom erquickenden Trunk zur Quelle, die in das ewige Leben sprudelt – im ersten Teil des Dialogs mit der Samaritanerin begegnet eine lebendige Metaphorik, die Leserinnen und Leser anspricht und von der irdisch-physischen Dimension zur Dimension des Glaubens führt.

5Ἔρχεται οὖν εἰς πόλιν τῆς Σαμαρείας λεγομένην Συχὰρ πλησίον τοῦ χωρίου ὃ ἔδωκεν Ἰακὼβ [τῷ] Ἰωσὴφ τῷ υἱῷ αὐτοῦ· 6ἦν δὲ ἐκεῖ πηγὴ τοῦ Ἰακώβ. ὁ οὖν Ἰησοῦς κεκοπιακὼς ἐκ τῆς ὁδοιπορίας ἐκαθέζετο οὕτως ἐπὶ τῇ πηγῇ· ὥρα ἦν ὡς ἕκτη. 7Ἔρχεται γυνὴ ἐκ τῆς Σαμαρείας ἀντλῆσαι ὕδωρ. λέγει αὐτῇ ὁ Ἰησοῦς· δός μοι πεῖν· 8οἱ γὰρ μαθηταὶ αὐτοῦ ἀπεληλύθεισαν εἰς τὴν πόλιν ἵνα τροφὰς ἀγοράσωσιν. 9λέγει οὖν αὐτῷ ἡ γυνὴ ἡ Σαμαρῖτις· πῶς σὺ Ἰουδαῖος ὢν παρ’ ἐμοῦ πεῖν αἰτεῖς γυναικὸς Σαμαρίτιδος οὔσης; οὐ γὰρ συγχρῶνται Ἰουδαῖοι Σαμαρίταις. 10ἀπεκρίθη Ἰησοῦς καὶ εἶπεν αὐτῇ· εἰ ᾔδεις τὴν δωρεὰν τοῦ θεοῦ καὶ τίς ἐστιν ὁ λέγων σοι· δός μοι πεῖν, σὺ ἂν ᾔτησας αὐτὸν καὶ ἔδωκεν ἄν σοι ὕδωρ ζῶν. 11Λέγει αὐτῷ [ἡ γυνή]· κύριε, οὔτε ἄντλημα ἔχεις καὶ τὸ φρέαρ ἐστὶν βαθύ· πόθεν οὖν ἔχεις τὸ ὕδωρ τὸ ζῶν; 12μὴ σὺ μείζων εἶ τοῦ πατρὸς ἡμῶν Ἰακώβ, ὃς ἔδωκεν ἡμῖν τὸ φρέαρ καὶ αὐτὸς ἐξ αὐτοῦ ἔπιεν καὶ οἱ υἱοὶ αὐτοῦ καὶ τὰ θρέμματα αὐτοῦ; 13ἀπεκρίθη Ἰησοῦς καὶ εἶπεν αὐτῇ· πᾶς ὁ πίνων ἐκ τοῦ ὕδατος τούτου διψήσει πάλιν· 14ὃς δ’ ἂν πίῃ ἐκ τοῦ ὕδατος οὗ ἐγὼ δώσω αὐτῷ, οὐ μὴ διψήσει εἰς τὸν αἰῶνα, ἀλλὰ τὸ ὕδωρ ὃ δώσω αὐτῷ γενήσεται ἐν αὐτῷ πηγὴ ὕδατος ἁλλομένου εἰς ζωὴν αἰώνιον. 15Λέγει πρὸς αὐτὸν ἡ γυνή· κύριε, δός μοι τοῦτο τὸ ὕδωρ, ἵνα μὴ διψῶ μηδὲ διέρχωμαι ἐνθάδε ἀντλεῖν.

Johannes 4:5-15NA28Bibelstelle anzeigen

Übersetzung

5 Er [= Jesus] kam nun in eine Stadt Samarias, die Sychar heißt, nahe bei dem Grundstück, das Jakob seinem Sohn Joseph gegeben hatte. 6 Dort war der Brunnen Jakobs. Jesus nun, müde von der Reise, setzte sich so [wie er war] an den Brunnen. Es war aber ungefähr die sechste Stunde.

7 Da kommt eine Frau aus Samaria, um Wasser zu schöpfen. Jesus sagt zu ihr: „Gib mir zu trinken.“ 8 Seine Jünger waren nämlich in die Stadt weggegangen, um Nahrung zu kaufen. 9 Da sagt die samaritanische Frau zu ihm: „Wie kannst du, ein Jude, von mir, einer samaritanischen Frau, (etwas) zu trinken erbitten?“ Juden haben nämlich keine Gemeinschaft mit den Samaritanern. 10 Jesus antwortete und sagte zu ihr: „Wenn du die Gabe Gottes kenntest und (wüsstest), wer der ist, der zu dir sagt: ‚Gib mir zu trinken!‘, so würdest du ihn bitten, und er gäbe dir lebendiges Wasser.“

11 Die Frau spricht zu ihm: „Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief. Woher hast du dann das lebendige Wasser? Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gab und selbst aus ihm trank, und seine Söhne und sein Vieh?“ 13 Jesus antwortete und sagte zu ihr: „Jeder, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst haben. 14 Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird für immer keinen Durst mehr haben, vielmehr wird das Wasser, das ich ihm geben werde, in ihm zu einer Quelle von Wasser werden, das in (das) ewige Leben sprudelt. 15 Die Frau sagt zu ihm: „Gib mir dieses Wasser, damit ich nicht mehr Durst habe und (nicht mehr) zum Schöpfen hierher kommen muss!“

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

V. 5 Ἔρχεται – hier und im Folgenden wird häufig das ‚historische‘ Präsens gebraucht, um die Erzählung lebendig zu gestalten. Wenn die Lesung hier beginnt, ist zu lesen: „Jesus kam…“

V. 6 οὕτως heißt hier „ohne Umstände“ (Bauer/Aland, Wörterbuch, 60), d.h. „so, wie er war“.

V. 6 die sechste Stunde = 12 Uhr mittags – die Mittagszeit

V. 9 οὐ … συγχρῶνται: wörtlich ‚benutzen nicht gemeinsam‘ – das könnte auch heißen: „benutzen nicht die gleichen Gefäße“ – aufgrund unterschiedlicher Reinheitsgebote.

2. Literarische Gestalt

Der Text bietet den ersten Teil des Dialogs Jesu mit der samaritanischen Frau in Joh 4. Jesus begegnet ihr auf dem Weg von Judäa nach Galiläa (4,1) und offenbart sich dort. Es ist eine erste ‚Mission‘ in ein nichtjüdisches Gebiet. Die Frau und ihr Dorf nehmen Jesus auf und glauben.

Die Glaubensgeschichte ereignet sich in Form von zwei miteinander verschachtelten Dialogen mit der Frau (V. 7–26) und den Jüngern (V. 31–38). Der Dialog mit der Frau ist ein „echter“ Dialog. Sie ist die einzige Figur im Joh, die Jesus nicht nur ein Sprungbrett zu seinen Worten liefert, sondern echte Fragen stellt, ihm Paroli bietet. Zugleich ist der Dialog so gestaltet, dass die Gesprächsebenen auseinandertreten: Die Frau bleibt auf der Ebene des Konkret-Irdischen, Jesus zielt auf eine metaphorische Ebene. So erscheint die Frau naiv oder missverstehend. Die Lesenden nehmen dies wahr und werden so veranlasst, Jesus in tiefere Dimensionen zu folgen.

Zahlreiche metaphorische bzw. symbolische Hinweise prägen den Dialog:

  1. 1.der „Brunnen“ und die Konstellation der atl. Brautwerbungs-Szenen: Ein fremder Mann und eine Frau sind allein am Brunnen, der Fremde wird Gast – und findet eine Frau: Abrahams Diener findet Sarai (Gen 24,1–67); Jakob trifft Rebekka am Mittag (Gen 29,1–14), Mose findet Zippora (Ex 2,15–22). Dies prägt die Lesererwartung: Das Thema liegt in der Luft. Was sucht Jesus, der zuvor als ‚Bräutigam‘ bezeichnet wurde (Joh 3,29)? Die Erwartung wird so nicht erfüllt – die ‚Braut‘, die Jesus hier zuläuft, sind letztlich die Glaubenden (V. 39-42).
  2. 2.Brunnen und Quelle: In der Tradition verbinden sich die Brunnenszenen mit dem Wasser aus dem Felsen (Ex 17,1–7; Num 20,2–18). Jüdische Traditionen (Targum zu Gen 29) erzählen, dass der Brunnen Jakobs mit Israel in der Wüste mitwanderte – eine wunderbar sprudelnde Quelle Jakobs, die Israel in der Wüste tränkte. Mit der Frage der Frau: „Bist du etwa mehr als Jakob?“, ruft der Text diese Traditionen in Erinnerung.
  3. 3.Wasser: Lebendiges Wasser ist zunächst fließendes, im Unterschied zu Zisternenwasser, aber zugleich Wasser, das Leben ermöglicht, das mit Gott als der Quelle des Lebens, ja mit ‚ewigen‘ Leben verbindet. Die Metaphorik wird mehrstufig entwickelt: V. 10 wird ein Kontrast zum konkreten Trinkwasser eingeführt, zugleich wird, was der Fremde geben könnte, mit „der Gabe Gottes“ und Erkenntnis, „wer der ist“ verbunden. V. 14 wird die Metapher noch weiter bewegt: Es geht um einen anderen als den physischen Durst, um beständige Stillung dieses Durstes, um eine innerlich sprudelnde Quelle, um das Heil. Die Metapher „lebendiges Wasser“ ist nicht eindeutig übersetzbar; sie bezeichnet hier nicht einfach den Glauben oder den Geist (vgl. 7,39). Als lebendige Metapher verstrickt sie die Lesenden in das Bild und vermittelt so wirksam ihre Botschaft.

3. Historische Kontexte

Der Dialog ist literarisch gestaltet. Das Gespräch findet ohne Zeugen statt. Der Text ist kein realistisches Gesprächsprotokoll, noch weniger ein Mustergespräch, sondern ein literarischer Text, der anhand des Erzählten, der Figur der Frau, der Brüche im Dialog und der metaphorischen Vertiefungen und Verknüpfungen die Lesenden zur Erkenntnis führen will.

Ort des Dialogs ist der Jakobsbrunnen in Sychar (heute Askar), das zeitweise der Hauptort der Samaritaner war, unweit des alten Sichem, am Fuß des Berges Ebal, mit direktem Blick auf den heiligen Berg Garizim. Der Brunnen außerhalb des Ortes soll auf dem Feld liegen, das Jakob zum Bau eines Altars erwarb (Gen 33,19) und dann im Segen Joseph gab (Gen 48,22).

Samaria ist das Land zwischen Judäa und Galiläa, durch das Jesu Weg führen „musste“ (V. 4). Es war das Zentrum des Nordreichs Israel, mit dem Jahwe-Heiligtum am Berg Garizim, das nach judäischer Doktrin (Dtn 12) illegitim war. Seit dem 5. Jh. v. Chr. stand dort wohl ein JHWH-Tempel, in Konkurrenz zu dem von Jerusalem. Ab dem 4. Jh. waren Samaritaner und Judäer (politisch und) religiös getrennt. Ende des 2. Jh. zerstörte der Hasmonäer Johannes Hyrkan den Tempel; nun war das Tischtuch zwischen den Volksgruppen definitiv zerschnitten. Samaritaner galten Judäern (nach 2 Kön 17) als ‚halbe Heiden‘ und unrein. Der Text adressiert die ethnisch-religiöse Distanz und später (V. 20–26) auch die Frage nach dem wahren Ort der Verehrung Gottes. Die Frau tritt dabei als Repräsentantin ihres Volkes auf (V. 20: „Unsere Väter..“); Jesus stellt sich ganz in die judäische Tradition (V. 22: „Wir wissen, was wir anbeten…“). Doch soll der Streit um Orte und Heiligtümer am Ende (eschatologisch) überwunden werden. Für Joh ist eben dies im Glauben an Jesus schon der Fall.

Die Frau ist Repräsentantin ihres Volkes und Einzelperson im Gegenüber zu Jesus. Sie steht im Joh spiegelbildlich zum Juden Nikodemus, der in 3,1-11 bei Nacht zu Jesus kommt und nichts versteht. Sie begegnet Jesus am helllichten Tag und wird Glaubende, ja Missionarin. Die Figur der Frau hat viele Überlegungen ausgelöst: Warum schöpft sie um Mittag Wasser, nicht am Abend? Ist sie Außenseiterin, ausgestoßen in ihrem Dorf – doch dagegen spricht V. 27ff., die Dorfbewohner folgen ihr. Ist sie eine „Sünderin“, wie v.a. seit der Reformation im Blick auf V. 16–19 gesagt wurde? Aber in Joh 4 ist ‚Vergebung‘ kein Thema. Ist sie in ökonomischer Prekarität, wenn sie keinen Mann hat, wie in V.16–19 gesagt wird? Zentral ist: Im Ganzen von Joh 4 wird sie exemplarisch zum Glauben geführt und gibt diesen weiter. Ihr Erkenntnisweg ist ein Modell, gerade für nichtjüdische Leser. Bis zur Reformation hat die Auslegung sie so wahrgenommen, als eine kluge, der Sitte konforme, zur Glaubenserkenntnis mitwirkende Figur; sie ist quasi Apostelin ihrer Landsleute (in der Ostkirche: die hl. Photina [Erleuchtete] bzw. Svetlana). Erst in der Perspektive der Reformatoren werden ihre Fragen als frech, spöttisch und unangemessen gewertet, sie wird zum Beispiel, dass Gott auch eine Hure aus Gnade retten kann. Demgegenüber hat die neuere sozialgeschichtliche Exegese die ökonomischen Verhältnisse verwitweter oder geschiedener Frauen zu Recht stärker ins Blickfeld gebracht.

4. Schwerpunkte der Interpretation

Jesus erscheint zunächst sehr menschlich: müde von der Reise, durstig in der Mittagshitze – er ist bedürftig. Er bittet um Wasser – sogar eine Frau. Jesus überwindet Schranken: von Judäa-orientierten ‚Juden‘ zu Samaritanern, von Männern zu Frauen. Er spricht gegen die sittliche Konvention als Mann eine Frau an, als judäischer Fremder eine Samaritanerin, die er eigentlich religiös verachten müsste.

Die Frau wundert sich. Sie fragt nach. Sie könnte das Verhalten auch als unschicklich ansehen. Ist der Fremde auf der Suche nach einer ‚Braut‘? Ihre Fragen sind nicht frech oder spöttisch, sondern naheliegend und klug. Sie fragt, warum Jesus sie anredet, und wie das funktionieren soll, was er verspricht. Spätere Ausleger haben dies unterschiedlich bewertet: einerseits als kluges Mitdenken, das sie zur Erkenntnis führt (so bis ins Mittelalter), andererseits dann (v.a. seit der Reformation) als frech, und einer ‚Sünderin‘ unangemessen.

Die Metaphorik und ihre Botschaft sind zentral: Jesus gibt die „Gabe Gottes“, sich selbst (V. 26: Ich bin!). Er kommt als Fremder, sucht Menschen auf, spricht sie an und spielt ihnen Glauben zu. In metaphorischer Rede öffnet er die Augen für die tieferen Dimensionen von Durst und Leben, ja letztlich zur Erkenntnis, wer er ist: der Messias (V. 26), der Retter der Welt (V. 42).

5. Von der Exegese zur Predigt

Der Ausschnitt aus dem Spannungsbogen von Joh 4 zwingt dazu, Schwerpunkte zu setzen. Möglich wäre eine Predigt über die Figur der Frau, doch bricht der Text deren Beschreibung vorzeitig ab.

Denkbar wäre auch, den menschlichen, schwachen, fragenden Jesus und sein Überschreiten von Schranken zu thematisieren, aber auch das ist ohne die Offenbarung von V. 25f. nur ein Torso. Am ehesten bietet sich bei dem Zuschnitt der Perikope eine Fokussierung auf das lebendige Wasser an, da dieses Thema im Abschnitt abgerundet präsentiert wird. Jesus als Fremder, der eine unglaubliche Gabe verspricht. Die Samaritanerin als konkreter (aber auch exemplarischer) Mensch versteht Jesus und seine Worte immer wieder unzureichend, wird aber am Ende doch ‚mitgenommen‘. Die Gabe sprengt alles Vorstellbare, stillt den Durst auf Dauer, entfaltet eine ungeahnte Dynamik. Die Fülle des Lebens wird im Bild einer nicht versiegenden Quelle vorgeführt, das Leben aus dem Glauben als eine im Innern des Menschen sprudelnde, dauernde Erquickung. Jesus hat von Anfang an die Initiative, er vermittelt sich selbst, führt zur Erkenntnis, zu Lebensfülle und Heil, das Kreise zieht, über Judäa hinaus in die Welt. Am Ende sollen auch die Lesenden und Hörenden sagen: „Herr, gib mir dieses Wasser!“

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Handelt es sich um eine geschickte Werbekampagne am Brunnen oder wie darf ich den letzten Satz der Exegese verstehen?

Jesus versucht in diesem Text, sein „Produkt“, das lebendige Wasser, an den Mann bzw. an die Frau zu bringen. Er verkauft sich ganz gut mit einer Werbekampagne, die sich um ihn selbst dreht. Die Frau vom Brunnen wird ihm ja später Glauben schenken. „Gib mir dieses Wasser!“ – ja, wenn wir das ausrufen sollten, dann hat Jesus Erfolg! Die Perikope inspiriert zwar zu vielen homiletischen Bearbeitungen, aber der Exeget macht mir dieses Wasser ganz schön schmackhaft: „Die Fülle des Lebens wird im Bild einer nicht versiegenden Quelle vorgeführt, das Leben aus dem Glauben als eine im Innern des Menschen sprudelnde, dauernde Erquickung.“ Soll ich bei diesem Schwerpunkt bleiben? Sind Sie schon überzeugt? Kaufen wir dem Exegeten das ab? Und noch wichtiger: Kaufen wir Jesus das ab?

Wer braucht es? Ob ich von einem Produkt in einer Weise überzeugt bin, dass ich es mir anschaffe, hängt davon ab, ob ich es brauche. Unnützes kann mich zwar auch ansprechen – aber spätestens dann, wenn ich wirklich investieren müsste, weil es sich um eine Anschaffung handelt, die mein tagtägliches Leben verändern könnte, müsste ich genau überlegen, ob ich es wirklich brauche.

Brauchen Sie es? Brauchen Ihre Predigthörer*innen es? Es gibt ja schließlich genug Menschen, die ohne Jesus leben können. Soll ich das bedauern und versuchen, das Wasser noch stärker anzupreisen, oder kann ich es hinnehmen, dass der Durst auch anders gestillt werden kann? Ist das Wasser lebensnotwendig oder nur ein Zusätzliches, eine kleine Erfrischung am Wegesrand – oder konkret gefragt: Hilft mir der Glaube an diesen Gott, der sich in Christus offenbart hat, das Leben lediglich ein wenig angenehmer zu gestalten? Geht es hier um Orientierung oder „Kontingenzbewältigung“ für mich und Gleichgesinnte?

2. Thematische Fokussierung

Wenn ich den Fokus auf das lebendige Wasser setze, geht es für mich in der Perikope um das, was ich brauche und wie sehr. Es geht um körperliche und geistliche – den ganzen Menschen bestimmende – Bedürfnisse, letztlich darum, was wir brauchen und was es braucht, dass diese wahrgenommen, erkannt und dann auch gestillt werden können.    

3. Theologische Aktualisierung

Brunnenbegegnungen. 

Dieses Gespräch von Jesus und der Frau hätte auch anders ausgehen können. Sie hat eine Begegnung mit einem Fremden. Stellen wir uns vor, dass sie erst gestern am Brunnen von einem fremden Mann angesprochen wurde, vielleicht war jener auf Brautschau. Heute wieder eine Begegnung mit einem fremden Mann, der etwas von ihr will und ihr zudem etwas anpreist. Dieser Mann spricht sie an, wobei er außer Acht lässt, dass dieses Gespräch zwischen ihm, dem Juden, und ihr, der Samaritanerin, gar nicht stattfinden dürfte. Dann erzählt er ihr vom lebendigen Wasser… Sie hat schon bessere Sprüche gehört! Sie hätte einfach nach Hause gehen können, hätte die Begebenheit dann vielleicht einer Freundin erzählt und mit den Worten geschlossen: „Das gerade am Brunnen – das hätte ich nun wirklich nicht gebraucht!“

Doch wir wissen, dass die Geschichte anders ausgeht. Nicht die Rede vom lebendigen Wasser hat sie schon überzeugt, aber der Dialog endet ja erst nach unserer Perikope.

Aber wir bleiben ganz bei diesen Versen: Warum steigt sie nicht gleich auf Jesu Angebot ein?

Ich glaube, dass diese Frau ziemlich genau weiß, was sie braucht. Das wäre zunächst einmal eine Entlastung vom täglichen Wasserschöpfen. Sie nimmt nichts, was sie nicht braucht, sie nimmt aber auch nichts, was sie nicht will! Sie geht auf das Gespräch ein und bezieht hierbei ihre Herkunft ein und macht das Verhältnis zu Jesus deutlich. Sie will keine Metapher hören, kann oder will sich auch nicht damit beschäftigen, was Jesus ihr mit dieser aufzeigt – sie will Klartext reden und prüft genau, was er sagt. Später erst wird sie sich überzeugen lassen und sagt es dann weiter. Gerade das macht sie zu einem Vorbild.

Brunnenbegegnungen mit den Männern der Geschichte.

Wenn unsere literarische Figur wüsste, wie die Herren über sie reden und wie sie sie betrachten werden! Wenn wir uns z. B. anschauen, wie sie gemalt wurde im 16., 17., oder 18. Jahrhundert: als konzentrierte Zuhörerin Jesu oder als sinnliche, erotische Gestalt. Mal wird sie jünger, mal älter im Bild festgehalten, mal züchtig – mal eben nicht. Wenn sie das wüsste – auch darüber würde sie mit einer Freundin sprechen wollen, würde sich amüsieren oder ärgern. Es scheint ganz so, als wäre der eine oder andere Künstler nicht nur Jesus, sondern auch ihr gern am Brunnen begegnet…

Sie ist nun einmal ein Gesprächsthema. Auch die Theologen haben spekuliert, was es mit der Frau auf sich hat, die da einfach beim Brunnen auftaucht, wie wir gesehen haben. Dabei ist sie doch diejenige, die sich wundert, was Jesus von ihr will!

Meine persönliche Brunnenbegegnung.

Diese Frau artikuliert ehrlich ihre Bedürfnisse – und den Wunsch, nicht täglich schöpfen zu müssen, finde ich nur allzu verständlich! Wahrnehmen dessen, was ich will und brauche, und die Möglichkeit, darüber nachzudenken, ob ich es wirklich brauche und will, das ist nicht selbstverständlich und muss immer wieder eingeübt werden. Das gilt nicht weniger für die Tradition, in der ich stehe. Wie die Frau ihre kennt, kenne ich meine „Brunnen-Tradition“ ganz gut und weiß zugleich, dass sie sich verändern kann und auch muss. Diese christliche Tradition will ich schließlich als lebendige, dynamische erleben, die fähig ist, sich zu wandeln. Das hat mich und andere ja einst von ihr überzeugt. Dieses Wasser kann verändern, will aber auch Veränderungen anstoßen. Da es immer weiter sprudelt, hat es ja auch die Herren der Auslegungsgeschichte und den einen oder anderen Künstler zu u. a. erfrischenden Überlegungen und Darstellungen inspiriert! Ich teile ganz bestimmt nicht alle ihre Bilder zu der Frau, aber das, was dort am Brunnen passiert – in der Tiefe und im Gespräch mit denjenigen, die dem Wasser mit seiner Lebensdienlichkeit auf allen Ebenen bedürfen –, das kann auch uns immer wieder von Neuem erfrischen.

Was brauchen Sie? Was brauchst du?

Keiner und keine will hier irgendjemandem etwas verkaufen – meine erste Assoziation ist zugegebenermaßen nicht so ganz stimmig. Von Anfang an ist doch deutlich, dass es eine Gabe ist, die nur empfangen werden kann. Doch werben will ich dafür und auch für die daraus hervorgehenden, auch spirituell-erneuernden Traditionen, die nicht zu Ladenhütern verkommen sollten.

Was brauchen Sie nicht? Was brauchst du nicht – oder nicht mehr?

Die Fragen werden nicht nur virulent in Zeiten einer veränderten kirchlichen Wirklichkeit: Sie sind immer zu stellen. Dieses Wasser belebt und will die frisch Gestärkten am Werk sehen, die andere fragen, was sie brauchen. Es ging immer um Bedürfnisse, die individuellen und die der Gemeinschaft und der Gemeinde. Durststrecken gibt es, und zwar ständig, das zeigt aber doch auch, dass der Durst noch da ist und ebenso die Hoffnung darauf, dass er gestillt werden kann. Wir werden ihn selbst nicht stillen können, aber wir können Gefäße finden oder neu formen, mit denen wir schöpfen können. Wir können zudem – paulinisch gesprochen – Gefäße sein und werden aufnehmen, was uns belebt – und nur frisch gestärkt kann man handeln. Wenn wir auf unsere christliche Tradition schauen, ist es wichtig, dass wir selbst sagen, was wir brauchen, und auch, was wir nicht mehr brauchen. Für unsere Kirche, aber auch für uns selbst. Wenn wir erst einmal aus der Tradition schöpfen und betrachten, was wir aus der Tiefe holen können, werden wir sicherlich schöpferisch. 

4. Bezug zum Kirchenjahr

Wasser ist nicht nur das Element der Taufe, sondern auch ihr Thema. Zahlreiche Taufansprachen spielen mit der Metaphorik des Wassers oder betonen seine Ambivalenz: Wasser als Lebensnotwendiges und die Gefahr, die von ihm ausgeht, gleichermaßen. Tödlich kann es sein und ertränken soll es ja auch den alten Adam, wie Luther sagt – das, was von Gott trennt.

Das Thema ist stark und löst viel aus. So sind Taufgespräche häufig durchzogen von der Angst um das eigene Kind vor oder nach der Geburt. Man spricht über Existentielles.

Vielleicht verstehen nicht alle Dialogpartner:innen die Metaphern – heute, aber bereits damals –, müssen sie auch nicht, aber sie können ja weiterfragen. Oder sie werden gefragt und spüren, dass es da wirklich um sie geht, ihre Bedürfnisse, ihre Situation. Sie werden bzw. wir alle werden dann eigene Metaphern finden, Bilder, die uns ansprechen. Dass ein Glas kühlen Wassers nach einer „Durstzeit“ – und zwar metaphorisch oder buchstäblich gesprochen – viel mehr als eine kleine Erfrischung sein kann, wissen wir auch: Wie belebend kann der erste Schluck nach der Arbeit in sengender Hitze sein oder der nach einer Operation, die Körper und Geist belastet. Wie unglaublich gut tut es zudem, wenn jemand sieht, wie sehr wir es brauchen und es uns herüberreicht. In solchen Momenten verstehen wir diese Metapher ganz neu und auch Generationen von Christen, die ausgerufen haben: „Herr, gib mir dieses Wasser!“      

Taufe und Mission werden an derselben Stelle im Neuen Testament gefordert. Es ermutigt, vom Wert der Gabe, die Jesus Christus selbst ist, zu erzählen. Der ganze Gottesdienst steht im Zeichen grenzüberwindender Gottesnähe. Fremde werden nicht mehr als solche behandelt. Gott macht keine Unterschiede. Jesus nimmt jede Gelegenheit wahr für den Kontakt: Er spricht in Stadt und Dorf, im Tempel und Privathäusern und immer gerne am Wasser – am Brunnen und am See. Auch wir werden Gelegenheiten finden, und zwar immer neue, die den Bedürfnissen der jetzt lebenden Menschen entsprechen.

Auch wenn nicht alle Menschen aus allen Himmelsrichtungen herbeiströmen – strömen wird das Wasser der nie versiegenden Quelle auch weiterhin. Ganz am Ende aber werden sie versammelt sein, oder wie es im Wochenspruch heißt: Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. (Lk 13,29).

Literatur

  • J. N. Day, The Woman at the Well: Interpretation of John 4:1-42 in Retrospect and Prospect (Biblical Interpretation Series), Leiden 2002.
  • C. A. Reeder, The Samaritan Woman’s Story: Reconsidering John 4 After #ChurchToo, Downers Grove 2022.

Autoren

  • Prof. Dr. Jörg Frey (Einführung und Exegese)
  • Dr. Sabine Joy Ihben-Bahl (Praktisch-theologische Resonanzen)

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