Deutsche Bibelgesellschaft

Biblische Theologie

Begriff

Mit dem Stichwort „Biblische Theologie“ verbindet sich das Anliegen einer Reihe von Exegeten, die Tatsache ernstzunehmen, dass die eine Heilige Schrift der Christen aus zwei Teilen – dem Alten und dem Neuen Testament – besteht. Sie bemühen sich deshalb, über die Darstellung der Theologien der einzelnen Schriften bzw. der „theologischen Summe“ des Alten oder Neuen Testaments hinauszukommen. Das Ziel besteht darin, die Heilige Schrift als theologische Einheit zu begreifen.

Verhältnis AT-NT

Das Kardinalproblem jeder Biblischen Theologie ist die Verhältnisbestimmung zwischen Altem und Neuem Testament. Dabei muss berücksichtigt werden, dass diese Fragestellung selbstverständlich nur aus christlicher Sicht zum Problem wird. Aus jüdischer Sicht hat sich Gott abschließend in der Geschichte mit seinem Volk offenbart. Aus sich heraus betrachtet ist die jüdische Bibel keineswegs notwendig auf eine Fortsetzung im Neuen Testament hin angelegt.

Kritische Anfragen

Die Versuche, eine Biblische Theologie zu entwerfen, sind nicht unwidersprochen geblieben. Dabei wird darauf verwiesen, dass der biblische Kanon aus historisch-kritischer Sicht ein dogmatisches Konstrukt des 4. Jh. ist. Zudem ist er noch (was den Umfang des Alten Testaments betrifft) zwischen den Kirchen umstritten (Römisch-katholische Kirche LXX-Kanon, Protestantische Kirchen – masoretischer Kanon). Außerdem wird der Vorwurf erhoben, dass eine Biblische Theologie die Spannungen zwischen dem Alten und Neuen Testament zugunsten einer traditionsgeschichtlichen Harmonisierung einebnen würde. Dabei bestehe die Gefahr, dass das Christusgeschehen als die endgültige Offenbarung Gottes nicht mehr adäquat zur Sprache komme. Beide kritischen Einwände müssen ernst genommen werden. Es bleibt daher zu fragen, inwieweit das Anliegen der Biblischen Theologie vom Neuen Testament selbst her berechtigt ist. Ausgangspunkt einer Antwort muss die Beobachtung sein, dass alle Autoren des Neuen Testaments die jüdische Bibel als „Schrift“ voraussetzen. Das gilt unbeschadet der Tatsache, dass in neutestamentlicher Zeit weder der hebräische noch der Septuaginta–Kanon bereits endgültig feststanden.

Die „Schrift“ als Gottes Wort

Obwohl die Verfasser der neutestamentlichen Schriften im Detail höchst unterschiedlich mit der „Schrift“ umgehen, kann doch kein Zweifel daran bestehen, dass sie von allen als Wort Gottes betrachtet wird. Das bedeutet zunächst einmal ganz fundamental, dass der Gott, den die Christen als den Vater Jesu und ihren Vater bekennen, kein anderer ist als der Gott Israels.

Die Folge ist, dass die Sprache und Theologie des Neuen Testaments nur dann recht verstanden werden können, wenn berücksichtigt wird, dass sie das Alte Testament voraussetzen. Dabei muss notwendig angemerkt werden, dass das Alte Testament keineswegs als solches, sondern immer schon in seiner frühjüdischen Interpretation vorausgesetzt ist. Die Autoren der neutestamentlichen Schriften lasen das Alte Testament gleichsam durch diese Brille. Deshalb ist die Kenntnis der frühjüdischen Literatur so wichtig für das Verstehen des Neuen Testaments.

Christologische Deutung der Schrift

Zugleich muss aber jede Biblische Theologie ernstnehmen, dass das Neue Testament das Christusgeschehen, d. h. das Wirken, Leiden und Sterben sowie die Auferweckung und Erhöhung Jesu Christi, als die eschatologische Selbstoffenbarung Gottes bezeugt. Es ist ein Geschehen von einer vollkommen neuen Qualität. In Christus realisiert sich der auch im Alten Testament bezeugte Heilswillen Gottes. Deshalb wird die „Schrift“ konsequent in christologischer Perspektive gelesen.

Eine christliche Lektüre des Alten Testaments kann dieses also gerade nicht als abgeschlossene Offenbarung Gottes lesen. Zudem muss im Blick auf eine Biblische Theologie immer auch gefragt werden, wie das im Neuen Testament rezipierte Alte Testament aussieht, d. h. wie die Autoren des Neuen Testaments das Alte Testament interpretieren (vgl. die von H. Hübner geprägte Formel des vetus testamentum in novo receptum).

Ergebnis

Man wird im Blick auf die Durchführung einer Biblischen Theologie die Konsequenz ziehen müssen, dass die theologische Einheit der Heiligen Schrift nur als eine von Gott in Jesus Christus gesetzte dynamische Einheit begriffen werden kann. Ausgehend von diesem Grundansatz kann und muss dann im Detail gefragt werden, wo die substantiellen Gemeinsamkeiten zwischen Altem und Neuem Testament liegen. Dabei gilt es auch, den Spannungen des Rezeptionsprozesses nachzugehen. An dieser Stelle gewinnt dann die Frage nach dem Ursprungssinn der alttestamentlichen Schriften ihre Berechtigung. Nur so können die im Laufe der Traditionsgeschichte vollzogenen Reinterpretationen und ihre Bedeutung erkannt werden.

Literatur

Chr. Dohmen, T.Söding (Hrsg.), Eine Bibel – zwei Testamente, UTB 1893, Paderborn u. a. 1995.

H. Hübner, Biblische Theologie des Neuen Testaments, 3 Bände, Göttingen 1995.

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Die Texte auf dieser Seite sind mit freundlicher Genehmigung übernommen aus:

Cover der Bibelkundes des Neuen Testaments von Klaus-Michael Bull

Bull, Klaus-Michael: Bibelkunde des Neuen Testaments. Die kanonischen Schriften und die Apostolischen Väter. Überblicke – Themakapitel – Glossar, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 8. Aufl. 2018.

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