Deutsche Bibelgesellschaft

Textkritik

Textkritik der Bibel

Aufgabe der Textkritik ist es, alle im Prozess des Abschreibens entstandenen Schreibfehler und absichtlich vorgenommenen Änderungen zu erkennen und rückgängig zu machen. Dabei wird für jede Bibelstelle, zu der alternative Lesarten vorliegen, im Einzelfall geprüft, welche Lesart dem nicht erhaltenen Original am nächsten kommt. (»Lesart« ist der von anderen Handschriften abweichende Wortlaut einer Bibelstelle in einer bestimmten Handschrift oder Handschriftengruppe.)

In einem ersten Schritt wird festgestellt, wie gut die unterschiedlichen Lesarten durch die Handschriften bezeugt sind. Dabei kommt es nicht auf die Menge (Quantität), sondern auf die Zuverlässigkeit (Qualität) der Textzeugen an. In einem zweiten Schritt wird geprüft, ob sich die eine oder andere Lesart durch einen typischen Schreibfehler oder eine absichtliche Änderung erklären lässt. Anschließend werden die Argumente abgewogen und eine Vorzugslesart bestimmt, die gegenüber den anderen Varianten als älter, zuverlässiger und ursprünglicher beurteilt wird. Wenn es darüber hinaus gelingt, bei einer bestimmten Textstelle die Entstehung aller übrigen und als jünger beurteilten Varianten zu erklären, darf die textkritische Entscheidung als zuverlässig und begründet gelten.

Damit die Ergebnisse der Textforschung allen zugänglich sind, werden wissenschaftliche Textausgaben erstellt. Sie bieten den Bibeltext in der Originalsprache und unten auf der Seite einen textkritischen Apparat. Darin werden zu einem bestimmten Wort oder einer Wortgruppe die überlieferten Varianten verzeichnet und die Textzeugen dafür benannt. Die beiden grundlegenden wissenschaftlichen Textausgaben, die weltweit verwendet werden, sind für das Alte Testament die Biblia Hebraica Stuttgartensia (5. verbesserte Ausgabe Stuttgart 1997) und für das Neue Testament der Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece (28. revidierte Auflage Stuttgart 2012).

Trotz aller Bemühungen konnte die biblische Textforschung noch nicht in allen Fällen zu sicheren Ergebnissen kommen. Besonders im Text des Alten Testaments gibt es manche Stellen, an denen mehrere Lesarten gleichberechtigt zur Wahl stehen. Leserinnen und Leser, die verschiedene deutsche Bibelübersetzungen vergleichen, werden deshalb an solchen Stellen auf unterschiedliche Textwiedergaben stoßen. In den deutschen Bibelübersetzungen werden abweichende Lesarten in größerem Umfang in den Fußnoten der »Elberfelder Bibel« (revidierte Fassung 2006) und in den Randnoten der »Neuen Genfer Übersetzung« verzeichnet.

Deutsche Bibelgesellschaftv.4.24.4
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