Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Januar 2015; letzte Fassung: März 2024)

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1. Aktuelle Herausforderungen

1.1. Gegenwärtige Verhältnisse

Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustände lassen intensiver denn je für die Religionspädagogik ethische Fragen zum Thema werden. Aufgrund der globalen Entwicklungen und ihrer medialen Verfügbarkeit „in Echtzeit“ sind einstmals vergleichsweise separate Lebens-, Kultur- und Rechtskontexte inzwischen vielfach und auf komplexe Weise miteinander verwoben. Dies kann im konkreten Fall zu kulturellen Missverständnissen, konfliktbefördernden Diskrepanzen und gewalttätigen Auseinandersetzungen im Streit um die → Wahrheit (Nord/Schlag, 2017) führen und fordert die → Theologie(n) heraus. Wenn es richtig ist, dass Ethik es mit der Lebensführung und den daraus entstehenden Konflikten zu tun hat (Rendtorff, 2011, 10-12; Schockenhoff, 2014a, 20), so ist ethische Orientierung angesichts der aktuellen Konfliktlagen und Kriegszustände unbedingt gefragt und notwendig. Weil vielerorts die Bedingungen und Maßstäbe für das richtige und gute Handeln nicht mehr, beziehungsweise nicht mehr selbstverständlich oder unbezweifelbar, gegeben sind, bedarf es immer wieder der ethischen Reflexion, Vergewisserung und Orientierung über die möglichen verlässlichen Grundlagen des Zusammenlebens und damit der Verantwortungsübernahme überhaupt (Huber, 2013).

Diese Verlässlichkeit bezieht sich zum einen auf die rechtlichen, politischen und ökonomischen Gegebenheiten, zum anderen auf das konkrete Zusammenleben und Verhalten im alltäglichen Miteinander. Für ein friedliches Zusammenleben ist das Grundvertrauen in funktionierende institutionelle Sicherungsmechanismen ebenso notwendig wie das planbare Verhalten des Nächsten und der Schutz vor willkürlichem Handeln. Ethische Reflexion der Lebensführung ist so zum einen auf die gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien, zum anderen auf zwischenmenschliche Interaktionen sowie auf die normativen Wertvorstellungen des denkenden und handelnden Individuums im Zusammenhang gesellschaftlicher und gemeinschaftlicher Lebensführung bezogen.

1.2. Herausforderungen für die religiöse Bildungspraxis und die religionspädagogische Reflexion

Das Zusammenleben und die darauf bezogene ethische Reflexion beruhen auf Traditionen, Gewohnheiten, moralischen Standards sowie tagtäglich erkennbar gelebten Werten und Normen. Demzufolge ist der jeweilige ethische Diskurs immer bewusst oder unbewusst, explizit oder implizit auf bestimmte kontextspezifische Prägekräfte bezogen. Faktisch gehören zu diesen relevanten Prägekräften auch religiöse Traditionen und Interpretationen sowie die damit verbundenen kontextspezifischen religiösen Praktiken. Die Legitimität des Einflusses von Religion auf Moral und Ethik steht allerdings mit der zunehmend schwindenden Prägekraft religiöser Traditionen in den westlichen liberalen Zivilgesellschaften zunehmend in Frage, so dass es sich nicht von selbst versteht, dass ethische Fragen auch im Religionsunterricht verhandelt werden. Eine Legitimität religiöser Deutungen von Moral kann allein dadurch plausibilisiert werden, dass sie im jeweiligen Handlungskontext immer wieder neu kultiviert und gepflegt beziehungsweise zum Gegenstand der bewussten kritischen Überprüfung und gegebenenfalls der notwendigen Revision gemacht werden. Die theologische Notwendigkeit zur ethischen Reflexion ergibt sich aus der Erfahrung, dass radikale und fundamentalistische religiöse Traditionen angesichts der schwindenden gesellschaftlichen Relevanz von Religion zunehmend das Feld des religiösen Diskurses mit oft rigiden moralischen Forderungen prägen, die einer theologisch-ethischen Diskussion und Kritik bedürfen.

Zur moralischen und ethischen Orientierung bedarf es konkreter Bildungsprozesse, um so die Weitergabe und kritische Überprüfung überhaupt erst zu ermöglichen. Zugleich steht eine religiöse beziehungsweise theologische Bildungstheorie und -praxis vor der unhintergehbaren Aufgabe, die eigenen konzeptionellen Überlegungen immer wieder mit den Einsichten theologischer Ethik sowie der philosophischen und angewandten Ethik abzugleichen und an deren Erkenntnissen zu überprüfen und zu profilieren (Adam/Schweitzer, 1996; Lachmann/Adam/Rothgangel, 2006; Schoberth, 2012; Lindner/Zimmermann, 2021; Simojoki/Rothgangel/Körtner, 2022).

Ethik und Religionspädagogik sind folglich sowohl als universitäre Disziplinen wie als kirchliche und schulische Praxisdimensionen in konstitutivem Sinn aufeinander verwiesen und auch aufeinander angewiesen und zeichnen sich gemeinsam als Integrationswissenschaften durch programmatische Interdisziplinarität, die Offenheit für plurale Deutungsansätze und flexible Ausgestaltungsmöglichkeiten aus (für die Religionspädagogik exemplarisch Biehl/Johannsen, 2003, für die theologische Ethik Roth/Held, 2018).

Da sich nun, wie oben angedeutet, aufgrund der globalen Dynamiken auch die einstmals segregierten religiösen Kontexte und Kulturen längst aneinander angenähert und in einer religiös und kulturell pluralen Gesellschaft ständig miteinander in Kontakt und Austausch oder auch in massiver Auseinandersetzung zueinander stehen, befindet sich religiöse Bildung in ethischer Perspektive vor der besonderen Herausforderung, auch in ethischen Fragen konstruktiv mit der gegenwärtigen religiösen Pluralität und den damit verbundenen pluralen Norm- und Wertvorstellungen umzugehen (Kirchenamt der EKD, 2014; EKD, 2021).

Diese durch die ethische Frage gegebenen Herausforderungen für religiöse Bildung werden im Folgenden aus der spezifischen Perspektive einer christlichen theologischen Ethik betrachtet. Dabei wird beachtet, dass gerade im Bereich theologischer Ethik zum einen konfessionelle Differenzen besonders bedeutsam, zugleich aber auch die Potenziale für eine ökumenische Zusammenarbeit besonders dringlich und verheißungsvoll sind (Schockenhoff, 2009).

2. Fachwissenschaftliche Orientierungen

2.1. Ethik als Reflexion der Moral

Gängigerweise wird Ethik als Reflexion der Moral verstanden (z.B. Frankena, 1975; Werner, 2021, 6; Leonhardt, 2019, 3-5), so dass mit dem Begriff der Moral der Gegenstandsbereich der ethischen Reflexion bezeichnet wird. Dieser kann dabei unterschiedlich weit gefasst werden: Im engeren Sinne wird Moral als auf das richtige oder falsche Handeln des Menschen bezogen verstanden (z.B. Frankena, 1975, 20; Pieper, 2003, 9), in einem weiteren Sinn umfassen Fragen der Moral der ursprünglichen Wortbedeutung entsprechend (lat. mos, moris, gr. ēthos) den Bereich der Sitten, also des gewöhnlichen Verhaltens, und beziehen sich damit auch auf Fragen der Lebensführung (Rendtorff, 2011, 11) bzw. des guten Lebens (Reuter, 2015, 14). Moralische Sätze formulieren in diesem Sinne normative Geltungsansprüche evaluativer und präskriptiver Art, die in der Ethik reflektiert werden. Ethik hat es mit dem Verstehen (Fischer, 2012) und mit der Begründung von Tugenden als moralisch erstrebenswerter Charakterdisposition, von moralischen Vorstellungen des Guten (Gütern) und moralischen Pflichten zu tun (Lohmann, 2018; Reuter, 2007; jeweils unter Verweis auf Schleiermacher, 1910).

Die erste systematische Ethik, Aristoteles‘ Nikomachische Ethik, setzte programmatisch bei der Frage nach dem guten Leben an und antwortete auf diese Frage mit dem Konzept der Tugend: Das gute Leben ist ein tugendhaftes Leben. Als Tugenden gelten dabei eingeübte Haltungen, in denen sich die spezifischen Fähigkeiten des Menschen, ein Leben zu führen, ausdrücken (Rapp, 2011). Dieser güter- und tugendethische Ansatz der Ethik, der diese eng an die Anthropologie bindet, war von der Antike bis zur Aufklärung prägend, insbesondere auch für die mittelalterliche christliche Theologie.

Erst in der Aufklärung wird der Begriff der Moral dann vom Begriff der Pflicht ausgehend neu begründet und damit die teleologische Begründungsfigur durch eine deontologische abgelöst. Zwar begegnet der Begriff der Pflicht auch schon in der antiken Ethik (Cicero, 2019), doch erst in der Aufklärung tritt die Frage nach dem, worauf der Mensch unbedingt moralisch verpflichtet werden kann, als Leitfrage der ethischen Reflexion an die Stelle, die zuvor die Frage nach dem moralischen Guten einnahm. Für diesen Umbruch steht exemplarisch die Moralphilosophie Kants (Kant, 1996), die die normative Sollensgeltung moralischer Pflichten aus der Form praktisch-rationaler Urteile ableitet, die ihren Ausdruck im Universalismus des kategorischen Imperativs findet.

Hegel band die Vorstellung einer Pflichtmoral dann wieder ein in den Horizont einer umfassenden teleologisch konzipierten Sittlichkeit, die gleichsam den institutionalisierten moralischen Güterhaushalt einer Gesellschaft darstellt. Der Begriff der Sittlichkeit bildete dann insbesondere im 19. Jahrhundert auch den Inbegriff für bestimmte bürgerliche Tugenden und das entsprechende Verhalten im Staat. Durch die Ausarbeitung der bereits bei Kant eingeführten Unterscheidung von Moralität und Legalität (Kant, 1993, AB 15) hat Hegel mit seiner Rechtsphilosophie (Hegel, 1989) die Emanzipation des Rechts von der Moral und damit für den deutschen Kontext mindestens theoretisch die Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit aller Subjekte weiterentwickelt.

Im 20. Jahrhundert haben weniger die großen theoretischen Begründungen der Ethik die Debatten bestimmt. Vielmehr haben einerseits die leidvollen Erfahrungen von Krieg und Vernichtung die Diskurse über ein Ethos der Menschenwürde und der Menschenrechte im 20. Jahrhundert angetrieben (Pollmann, 2022), die an das prägende deontologische Paradigma ethischer Reflexion anknüpfen konnten. Für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und das beginnende 21. Jahrhundert wurde andererseits die Institutionalisierung und Verselbständigung von Diskursen angewandter Ethik (medizinische Ethik, Wirtschaftsethik, Umwelt- und Klima-Ethik, Ethik der Digitalität) gegenüber der philosophischen und theologischen Ethik prägend.

Wesentliche Fortschritte in der ethischen Theoriebildung ergaben sich durch die liberale, kontraktualistische Konzeption von Gerechtigkeit als Fairness von John Rawls (1979), die von diesem zu einer liberalen Gesellschaftstheorie weiterentwickelt wurde (Rawls, 2003). Rawls reagierte mit seiner in der Tradition Kants stehenden Theorie auf die bis heute insbesondere für den anglo-amerikanischen Raum prägenden Theorien des Utilitarismus (Mill, 2006; Singer, 2013), für die die Maximierung des Gesamtnutzens für alle von einer Handlung betroffenen Personen den wesentlichen Maßstab darstellt (Mill 2006, 52). Utilitaristische Begründungsfiguren stehen damit zwar in Spannung zur europäischen Rechtstradition der Menschenrechte, haben aber andererseits wesentliche Impulse für gegenwärtige Diskussionen über die Tier- und Umweltethik gesetzt (Singer, 2015).

Die theoretischen Ethik-Diskurse der Gegenwart sind zum einen von grundsätzlichen Anfragen an den ethischen Universalismus geprägt, die z.B. aus postkolonialer Perspektive gestellt werden (z.B. Mills, 2017; Coors, 2023). Zum anderen sind Fragen einer Ethik des guten Lebens in den letzten Jahren wieder verstärkt in den Fokus ethischer Debatten getreten (z.B. Steinfath, 2001; Wiesemann/Schweda, 2023). Materialethisch sind Fragen der Umwelt- und Klimaethik (z.B. Ott/Dierks/Voget-Kleschin, 2016), sowie der Ethik der Digitalisierung (z.B. Grimm/Keber/Zöllner, 2019; Spiekermann, 2021; Nida-Rümelin/Weidenfeld, 2018) bzw. der Maschinenethik (Misselhorn, 2022; Loh, 2019) neben den bleibend aktuellen Fragen der Medizinethik wichtige Themen des gegenwärtigen Ethikdiskurses.

2.2. Theologische Ethik

Theologische Ethik versteht sich in christlicher Tradition als kritische Reflexion der christlichen Moral. Sie setzt damit voraus, dass es religiös geprägte Moralvorstellungen gibt, die in den allgemeinen gesellschaftlichen ethischen Diskurs über die in einer Gesellschaft geltenden Moralvorstellungen eingebracht werden. Damit stellen sich für eine theologische Ethik drei Aufgaben:

  1. 1.Eine kritische Rekonstruktion und Diskussion christlicher Moralvorstellungen, d.h. dessen, wie sich der christliche Glaube auf das Handeln und die Lebensführung von Christinnen und Christen auswirkt.
  2. 2.Die kritische Reflexion allgemeiner Moralvorstellungen im Sinne des Teilnehmens am allgemeinen ethischen Diskurs.
  3. 3.Die argumentative Vermittlung zwischen den vom christlichen Glauben geprägten Moralvorstellungen und der im gesellschaftlichen Diskurs reflektierten allgemeinen Moral.

Für das christliche Selbstverständnis ist der Rückgang auf die biblischen Texte identitätsstiftend, weil christlicher Glaube aus dem Lesen und Hören dieser Texte und der durch sie verkündigte Botschaft von Gottes heilvollem Handeln entsteht (Coors, 2009). Fragt man darum nach dem Verhältnis von Glauben und Moral in den biblischen Texten, so kann man zunächst festhalten, dass nach biblischen Vorstellungen Gottesglaube und menschliches Handeln in engster Weise miteinander verbunden sind. Zu den zentralen Motiven biblischer Überlieferung gehört von Beginn an die Orientierung und Ermahnung des Menschen im Blick auf sein richtiges und falsches, sein gutes und böses Handeln. Allerdings gilt, dass die Bibel für die ethische Urteilsbildung keine zeitunabhängigen Gesetze, Gebote oder Regeln bietet, sondern vielmehr Modelle für die ethische Orientierung (Lienemann, 2008, 187): An biblischen Texten lässt sich lernen, wie Menschen den Glauben an den versöhnenden und erlösenden Gott in ihrer Zeit in moralische Überzeugungen übersetzt haben, an denen sich ihre Lebensführung und ihr Handeln orientierte. Nach dem Selbstverständnis der Tradenten sind die jeweiligen Handlungsorientierungen immer nur von der unbedingten Bezogenheit auf Gottes Geschichte mit den Menschen und auf seinen Willen selbst verstehbar. Dokumente wie der Dekalog geben dieser Einsicht in die Ursprungsrelationalität menschlichen Handelns ebenso Ausdruck wie das Doppelgebot der Liebe und die Bergpredigt (Schockenhoff, 2014b).

Ausgehend vom Glauben an die Barmherzigkeit Gottes, zeichnet sich christliche Moral in besonderer Weise dadurch aus, dass das gottgefällige Handeln wesentlich in der Barmherzigkeit dem Anderen gegenüber und in der Nächstenliebe besteht. Zugleich weiß die biblische Weisheit darum, dass falsches und gewalttätiges Handeln – selbst wenn es in bester Absicht geschehen mag – nur weiteres Leid und noch stärkere Vergeltung mit sich bringen wird. Darum ist eine christliche Moral grundsätzlich auf Deeskalation angelegt und lebt von der Zuversicht, dass nur von der Gottesbeziehung aus Fragen des gerechten und humanen Zusammenlebens angemessen in den Blick kommen und nur unter der Voraussetzung des Vertrauens auf gewissenhaftes Handeln (Schockenhoff/Florin, 2009) auf Versöhnung und Frieden gehofft werden darf. Das jeweils konkrete schuldhafte Denken und Handeln verweist so auf die vormoralische Dimension der Sünde, die in der vom Menschen aus in Frage gestellten, vernachlässigten oder ganz und gar ignorierten Gottesbeziehung besteht. Christliche Ethik ist insofern von der zuvorkommenden Gnade und Ermächtigung Gottes her zu denken, durch die Sünde überwunden und eine erneuerte Lebensführung im Geist der Liebe ermöglicht wird.

An diesen Grundeinsichten hat sich nicht nur die paulinische Theologie ausgerichtet, sondern die Frage nach dem gottgefälligen Handeln und Leben bis hin zur Frage einer vollkommenen Lebensweise hat auch die frühe Christenheit entscheidend geprägt. Die entsprechenden, in vielen theologischen Lehrschriften und bis heute in den diversen Religionsauseinandersetzungen zu Tage tretenden Rigorismen sind denn auch Ausdruck für den anhaltenden Deutungsstreit über das wahre gottgemäße Leben. Ein bis heute bedeutsamer konfessioneller Unterschied ist in der Frage des Verständnisses von Natur und Gnade beziehungsweise in der Frage der menschlichen Möglichkeit, das Gesetz Gottes als Inbegriff seines Willens verstehen und ihm folgen zu können (Röm 1,19), gegeben. Hier ist für die ethische Theoriebildung die Rechtfertigungslehre von prinzipiell unterschiedlichem Gewicht – übrigens nicht nur zwischen katholischer und lutherischer, sondern auch zwischen lutherischer und reformierter Tradition (Körtner, 2008, 170f.).

Die theologische Ethik ist im Vergleich zu dieser theologischen Grundtradition als eine eigene wissenschaftliche Disziplin vergleichsweise jüngeren Datums (Fischer, 2002, 49-51). Sie nimmt über Jahrhunderte hinweg ihren Ausgangspunkt in der → Dogmatik und eröffnet die handlungstheoretische Perspektive von den Grundüberzeugungen des Glaubens her. Dabei ergeben sich nach reformatorischem Verständnis die entscheidenden Orientierungsmaßstäbe von der Schrift- und Glaubensauslegung des Individuums selbst, während nach katholischem Verständnis die Handlungsmaximen von der Tradition der Kirche selbst, der Auslegungen der Kirchenväter und dem katholischem Lehr- und Rechtsgebäude vorgegeben und bestimmt sind.

Diese unterschiedlichen Wurzeln bestimmen auch die theologische Ethik als universitäre Disziplin, die auf evangelischer Seite ihren Anfang in der pietistischen Dogmatikkritik des 17. Jahrhunderts nimmt. Während sich die evangelisch geprägte theologische Ethik insbesondere seit der Aufklärung um die Verbindung mit der neuzeitlich-säkularen Philosophie bemühte, zeichnet sich die katholische Ethik als Soziallehre wesentlich durch ihren Bezug auf die Maßgaben der katholischen Amtskirche und der entsprechenden päpstlichen Verlautbarungen aus. Allerdings hat sich mit den Entwicklungen der katholischen Sozialethik seit Ende des 19. Jahrhunderts das Prinzip ethischer Interpretation unter konstitutivem Bezug auf die säkulare Ethik und Philosophie bereits angebahnt. Zudem hat sich die Disziplin sowohl auf evangelischer wie auf katholischer Seite insbesondere seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der Vorstellung, wonach sich Ethik unmittelbar aus der Dogmatik ableiten lassen müsse, entfernt. Dies konnte evangelischerseits im Sinne einer Gegenbewegung der Umgestaltung der Dogmatik von den ethischen Herausforderungen der pluralen Gesellschaft verstanden werden (so im Programm einer ethischen Theologie bei Rendtorff, 2011) oder aber im Horizont eines Konzepts von theologischer Ethik als neben der Dogmatik eigenständiger Interpretation des christlichen Ethos bzw. der christlichen Moral (Fischer, 2002). Auf katholischer Seite zeigt sich die Rückbindung der theologischen Ethik an die philosophische Ethik in der Etablierung des Konzeptes einer autonomen Ethik (Auer, 1989).

Für die unterschiedlichen Spielarten christlich-theologischer Ethik kann gegenwärtig gelten, dass neben der Auseinandersetzung mit den biblischen Quellen christlichen Glaubens sowohl die Orientierung an Vernunftmaßstäben wie auch die interdisziplinäre Grundausrichtung zu den Standards der Disziplin gehören. Inspirationen und auch Anschübe für die theologische Ethik gehen dabei gegenwärtig einerseits von gesellschaftsphilosophischen Herausforderungen wie Populismus und religiösem (Neo-)Nationalismus (Höhne/Meireis, 2020) und der Rolle der Kirchen in den ethischen Diskursen einer pluralistischen Gesellschaft (EKD, 2021) aus, andererseits sind es vor allem die unterschiedlichen Felder angewandter Ethik wie der Medizin- und Bioethik (Dabrock, 2015), der Klimaethik (Vogt, 2021), der Ethik des Sozialen (Meireis, 2015), der Ethik der Digitalität (Ulshöfer et al., 2019) sowie der Medienethik (Höhne, 2015; Ulshöfer/Wilhelm, 2019), die nicht nur die allgemeinen, sondern auch die theologisch-ethischen Diskurse prägen. Impulse, die zu einer grundlegenden Revision des theologisch-ethischen Denkens herausfordern, beziehen sich insbesondere auf die Rezeption postkolonialer Theorien (Silber, 2021; Coors, 2023) und der Queer-Theory (Tonstad, 2018; Krebs, 2023).

3. Grundprinzipien theologisch-ethischer Bildung

3.1. Historische Entwicklungslinien

Weil nach biblischer Überlieferung alles menschliche Handeln prinzipiell in der Geschichte Gottes mit den Menschen seine Begründung hat, entsteht für den Menschen selbst die unbedingte Notwendigkeit, sich diese Zusammenhänge zwischen Zuspruch und Anspruch, zwischen Indikativ und Imperativ, zwischen Heilszusage und menschlicher Antwort durch eigene Denkarbeit und Praxis immer wieder neu klarzumachen. Insofern gehört zur biblischen und theologischen Ethik notwendigerweise die individuelle Einsicht über diese Orientierungsgrundlagen und damit Erziehung und Bildung. Dies zeigt sich bereits in den frühchristlichen Tugendkatalogen und dann auch in den Anweisungen des Katechumenenunterrichts, in den mittelalterlichen Anweisungen zum Leben gemäß der christlichen Kardinaltugenden und reformatorisch in der Etablierung eines dezidiert bildungsorientierten kirchlichen und schulischen Erziehungssystems. In Pietismus, christlicher Aufklärung und der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts werden Frömmigkeits- und Sittlichkeitserziehung in denkbar engste Verbindung zueinander gebracht und zugleich noch mit der Aufforderung zum Untertanengehorsam verbunden (zum historischen Überblick Schröder, 2021). Diese Form der obrigkeitlich organisierten und orientierten Erziehung kommt nach den Erfahrungen der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts an ihr Ende. Die säkulare Dynamik antiautoritärer Erziehung wirkte sich seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts auch auf den Bereich religiöser Erziehung in Kirche und Schule massiv aus. Dabei veränderte sich auch das jahrhundertelang tradierte Bild von autoritärem Erzieher auf der einen Seite und dem gehorsam-hörigen Zögling auf der anderen Seite auf grundsätzliche Art und Weise. In diesem Zusammenhang wurden die bisher gültigen Maximen einer bestimmten Werterziehung grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt und der Kritik ausgesetzt.

3.2. Jüngere religionspädagogische Entwicklungen

Insbesondere seit Ende der 60er Jahre hat sich durch eine stärker gesellschaftspolitisch und auch ideologiekritisch ausgerichtete Religionspädagogik auch die ethische Dimensionierung religiöser Bildung nochmals neu entfaltet. Im Anschluss an W. Klafkis didaktisches Konzept der so genannten „Schlüsselprobleme“ (Klafki, 1991) haben auf katholischer Seite vom korrelationstheoretischen (→ Korrelation), auf evangelischer Seite vom problemorientierten Ansatz aus konzeptionelle Weiterentwicklungen stattgefunden, durch die dann auch ethische Grundfragen neue Formen der Thematisierung und Bearbeitung erfuhren. Im Religionsunterricht erlangten sozialethische Themen wie Frieden, Zivilcourage, Ökologie, Gerechtigkeit und individualethische Themen wie der Sinn des Lebens, Sexualität oder Drogen zentrale Bedeutung. Allerdings waren dabei dann im Einzelfall des Unterrichts die Grenzen zur säkularen ethisch-politischen Bildung und vice versa das Profil theologischer Bildung nicht immer klar erkennbar.

3.3. Entwicklungspsychologische Einsichten

Eine wichtige Etappe innerhalb der konzeptionellen Entwicklung der ethisch dimensionierten Religionspädagogik stellte die Rezeption entwicklungspsychologischer Einsichten dar (→ Entwicklungspsychologie), hier insbesondere die Arbeiten L. Kohlbergs zu moralischen Entwicklung (Kohlberg, 1997; Lind, 2003). Dieser gelangte aufgrund seiner Einzelfallstudien zu einer umfassenden Systematik der ethisch bedeutsamen Reflexionsfähigkeiten von Kindern und Jugendlichen und konnte auf diese Weise belegen, dass sich moralische Urteile mindestens in ihrer Grundtendenz je nach konkreter Entwicklungsstufe entfalten und damit wesentlich durch den jeweiligen Stand des Aufwachsens bedingt sind. Diese Erkenntnisse Kohlbergs sind für die Religionspädagogik nicht nur im Sinn der Analyse der jeweiligen ethischen Reflexionsniveaus von Kindern und Jugendlichen und damit für die didaktische Profilierung konkreter Unterrichtsziele bedeutsam geworden. Sondern dadurch wurde gleichsam auch die unbedingte Subjektorientierung aller religiösen Bildung nochmals von entwicklungspsychologischen Grundeinsichten her legitimiert. Im Anschluss an diese Einsichten hat sich in didaktischer Hinsicht bezüglich der Werteerziehung die Einsicht ergeben, dass eine solche Praxis nicht im Modus der Wertevermittlung erfolgen kann, sondern prozesshaft Aspekte der Werteerhellung bzw. Werteklärung, der Werteentwicklung und des Wertediskurses bzw. der Wertekommunikation mitumfassen muss (Mokrosch, 1996; Regenbogen/Mokrosch, 2009; Ziebertz, 2010). Denn ethische Reflexion – und gegebenenfalls auch der Übergang auf eine höhere Stufe ethischer Einsicht – stellt sich nur ein, wenn das jeweilige Werteproblem beziehungsweise ‑dilemma wirklich eigenständig – am Ort des Gewissens selbst – durchdacht wird (→ Gewissen und Gewissensbildung). Auch wenn inzwischen die genannte und weitere Stufentheorien in vielen Einzelheiten in Frage gestellt werden, stellen sie doch nach wie vor einen wichtigen heuristischen Ausgangspunkt für das Verstehen des ethischen Wahrnehmens, Urteilens und Handelns insbesondere von Kindern und Jugendlichen dar. Eine religionspädagogische Rezeption der care-ethischen Kritik an Kohlbergs Theorie (Gilligan, 1982), die sich ganz am Moralbegriff Kants orientiert, steht demgegenüber noch aus. Gegenüber einer am rationalen, universalisierenden Urteil orientierten Moraltheorie verwies Gilligan auf ein alternatives Verständnis von Moralität, das sich am moralischen Ideal gelingender Sorge-Beziehungen (caring relations) orientiert und gerade nicht auf desengagierte Urteile, sondern auf Verantwortungsübernahme in konkreten Beziehungen setzt.

3.4. Zum Profil einer gesellschaftssensiblen theologisch-ethischen Bildung

Es waren nicht zuletzt die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen, die auch im Religionsunterricht seit den späten 80er Jahren zu einer thematischen Schwerpunktverlagerung geführt haben. Insbesondere Fragen nach der Zukunft von Kirche und Religion, nach eigener christlicher Identität und Verständigung (Kirchenamt der EKD, 1995) und damit nach der Kommunikation und Weitergabe der zentralen Inhalte des christlichen Glaubens rückten in den Mittelpunkt fachdidaktischer Überlegungen.

Ethische Fragen verschwanden gegenüber einer stärker auf religiöse Symbole und Zeichen sowie performativ-rituelle Inszenierungen bezogenen Didaktik zwar nicht gänzlich, traten aber doch etwas zurück. Angesichts der damit verbundenen stärkeren Bezugnahme auf religiöse Inhalte im engeren Sinn, klassische dogmatische Topoi oder christliche Überlieferungs- und Festtraditionen führten dazu, dass sozialethische Themen zwar nach wie vor behandelt wurden, die gesellschaftspolitische Dimension des Unterrichts als Ganzem aber nicht mehr im Vordergrund stand.

Nach den beschriebenen Veränderungsprozessen innerhalb der Religionspädagogik im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wird gegenwärtig wieder eine intensivere Beschäftigung mit den ethischen und gesellschaftspolitischen Problemlagen erkennbar – und dies sowohl auf evangelischer wie auf katholischer Seite (Grümme, 2009; Schlag, 2010; Herbst, 2022). Gegenüber der deutlich gesellschaftskritisch orientierten Religionspädagogik der 1970er Jahre zeigen sich hier allerdings nun deutlich differenziertere Beschreibungen der Problemlagen und auch der didaktischen Zielsetzungen. Die Komplexität der gesellschaftlichen Verhältnisse und auch die Möglichkeiten der Einflussnahme über Bildungsprozesse werden hier deutlich realistischer und pragmatischer als noch zu den damaligen Zeiten eingeschätzt. Wenn aktuell explizit von einer gesellschaftssensiblen Religionspädagogik die Rede ist, so trifft dies tatsächlich den Kern dieser Veränderung. Weil aber zugleich auch die interdisziplinäre Perspektive, sei es zur Politikdidaktik und Pädagogik, zur Soziologie und Gesellschaftsphilosophie, sowie zu Politikwissenschaft und Recht, stärkere Berücksichtigung findet, wirken die einzelnen religionspädagogischen Studien in gewissem Sinn handlungsorientierter und praxisrelevanter als ihre Vorgängerunternehmungen. Zugleich ist auch das Bemühen offenkundig, die einzelnen Studien wieder an die notwendigen theologischen und anthropologischen Grundorientierungen anzubinden und auch empirisch zu grundieren, was den Überlegungen eine größere Tiefenschärfe verleiht (Naurath, 2010; Schaede, 2014). Aus der einstmaligen Fundamentalkritik an den Wirkweisen des politischen und ökonomischen Systems ist innerhalb religionspädagogischer Reflexion eher die aufmerksame Analyse und profilierte Deutung gesellschaftlicher Verhältnisse im Sinn einer fundamentalen theologischen Bezugnahme auf die Grundbedürfnisse des Menschseins geworden. Diese komplexere Orientierung der Disziplin wird exemplarisch an der aktuellen Auseinandersetzung mit Fragen der → Bildungsgerechtigkeit oder auch der → Friedenspädagogik deutlich, gilt aber auch grundsätzlich für die Behandlung ethischer Themen (Simojoki/Rothgangel/Körtner, 2022).

4. Bildungstheorie und theologische Ethik

4.1. Anthropologische Ausgangspunkte

Es stellt eine maßgebliche religionspädagogische Einsicht dar, dass die theologisch-ethische Dimensionierung religiöser Bildung in jedem Fall immer und zuallererst ihrer bildungstheoretischen und darin ihrer anthropologischen Fundierung bedarf (Grümme, 2012; Schlag/Simojoki, 2014). Ansonsten droht die Gefahr, dass alle religiöse Bildungspraxis zu einem reinen Vermittlungsvorgang vermeintlich richtiger Handlungsweisen reduziert wird. In diesem Zusammenhang ist auch davor zu warnen, etwa durch bestimmte reduktionistisch-deterministische Menschenbilder davon auszugehen, dass es sich bei Bildungsvorgängen um eine Art Reiz-Reaktions-Prozesse handle und damit bestimmte erwünschte ethische Einstellungen gleichsam monokausal „erzeugt“ werden könnten.

Dies würde weder den individuellen Einstellungen, Haltungen und Überzeugungen am Ort des von der Gottebenbildlichkeit her gedachten Subjekts (Biehl, 1991) noch den Komplexitäten der jeweiligen ethisch relevanten Fragestellung gerecht. Deshalb muss eine notwendigerweise komplexe Bildungstheorie konsequenterweise mit der Klärung theologischer und damit auch anthropologischer Grundfragen selbst einsetzen. Vor der Frage nach dem guten und richtigen Handeln steht folglich die Frage nach dem Menschen, das heißt nach dem Menschsein in Beziehung zu sich selbst, seinem Nächsten und im Verhältnis zu Gott (Boschki, 2003). Theologisch-ethische Bildung ist folglich gefragt, sowohl in hermeneutischer wie in empirischer Weise nach den ethischen Potentialen des Menschseins zu fragen und diese ihrerseits theologisch zu deuten. Von dort aus liefert etwa die theologische Deutungsfigur von Gesetz und Evangelium nicht einfach nur ein Orientierungsangebot für das je konkrete Handeln, sondern bildet ein grundlegendes Interpretament für die Chancen und Grenzen menschlichen Urteilens, Entscheidens und Handelns überhaupt.

4.2. Zum Profil einer humanen theologisch-ethischen Bildung im Zeichen der Freiheit

Angesichts der anfangs genannten gesellschaftlichen Herausforderungen scheint es dringlicher denn je, die ethischen Diskurse immer auch von ihrer religiösen Dimension her zu beleuchten. Hierbei liegt eine der wesentlichen Aufgaben theologisch-ethischer Bildung darin, etwa angesichts eines grassierenden Antisemitismus (Forschungsgruppe REMEMBER, 2020) und Populismus (Nord/Schlag, 2021) in religionszivilisierende Diskurse einzuüben (Schieder, 2008). Zu dieser einübenden Pflege in eine dialogische und diskursive ethische Reflexion gehört nun allerdings der profilierte, offene und gerade von dort aus tolerante Streit um die Wahrheit unbedingt hinzu (Nipkow, 2010). Denn gerade die eigene kundige und profilierte Positionierung ermöglicht überhaupt erst den Diskurs über die wirklich entscheidenden und brennenden Fragen. Dabei gilt dann aber – gerade auch unter Maßgabe der oben angestellten anthropologischen Ausführungen – dass dieser Diskurs unter der Maßgabe des humanen Miteinanders zu führen ist. Dies bedeutet konkret, dass eine theologisch-ethische Bildung auf den friedlichen Dialog und im besten Fall auch auf den Ausgleich der unterschiedlichen Perspektiven hinzuführen hat – in jedem Fall aber bestehende Gräben nicht vertieft werden dürfen. Dies ist angesichts der gegenwärtig von verschiedenen religiösen Seiten angestellten Radikalisierungen und der bewussten Pflege von Vorurteilen und Klischees mehr denn je zu betonen. Als inhaltliche Orientierungsgröße bietet sich hier der Rekurs auf einen spezifisch theologisch gedeuteten und kommunikativ verorteten Freiheitsbegriff an (Bedford-Strohm, 1999; Ernst, 2009, 302-362): Dieser meint nicht schrankenlose Autonomie im Blick auf eigenes Denken und Handeln, sondern eine von Gott her geschenkte und zur Verantwortung ermutigende Freiheit – und dies im Sinn der doppelten – pneumatologischen und eschatologischen – Einsicht: „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2Kor 3,17) und „Die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes“ (Röm 8,21). Ein solches in sich komplexes Freiheitsverständnis weist alle – neurobiologisch begründeten Infragestellungen menschlicher Willensfreiheit sowie post- und transhumanistisch ausgerichtete Allmachtsphantasien in ihre Schranken und belässt dem Menschen als entscheidungsfähiger Person seine ihm je eigene Würde und Würdigkeit (Biehl, 1991; Huber, 2022).

5. Offene Fragen

Die demographisch absehbaren Tendenzen zunehmender religiöser Pluralisierung einerseits und ansteigender Konfessionslosigkeit andererseits rufen – blickt man auf den europäischen Kontext – schon längst Verfechter eines allgemeinen religionskundlichen oder eines Ethikunterrichts auf den Plan (→ Ethikunterricht; → Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde). Auch dort, wo bisher der konfessionelle Religionsunterricht politisch noch unbestritten ist, wird von Seiten der Elternschaft, aber auch der Öffentlichkeit zunehmender Druck ausgeübt – und dies nicht einmal unbedingt, um das konfessionelle Modell grundsätzlich in Frage zu stellen, sondern eher, um eine gemeinsame Werteerziehung am Ort der Schule zu etablieren. Insofern steht die Religionspädagogik vor der Aufgabe, gerade auch in ethischen Fragen den allgemeinbildenden Charakter und die prinzipielle Pluralitätsfähigkeit dieses Faches zu plausibilisieren (Kirchenamt der EKD, 2014; Schröder/Emmelmann, 2018; Domsgen/Witten, 2022). Dabei wird man sich wohl noch stärker als bisher auch damit befassen müssen, wie sich in ethischer Hinsicht interreligiöse beziehungsweise religionsdialogische Bildung so befördern lassen, dass dabei die je eigenen Spezifika nicht in einem Allerlei und Einerlei des vermeintlich zweifelsfreien „overlapping consensus“ (Rawls, 2003, 219-265) untergehen.

Wenn sich theologisch-ethische Bildung einer solchen pluralitätsfähigen ethischen Orientierung stellen will, muss andererseits aber auch davor gewarnt werden, den Religionsunterricht ganz und gar in Ethik aufgehen zu lassen oder seine zukünftige Berechtigung gerade von dieser Dimensionierung her legitimieren zu wollen. Der genuin religiöse Charakter und damit der theologische Grund und Boden ist somit als das unaufgebbare Fundament aller ethisch relevanten Bildung immer wieder stark zu machen – dies wird sich auch in der gegenwärtig brisanten Frage nach der kompetenzorientierten Ausgestaltung des Religionsunterrichts (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht; → Kompetenzen, religionspädagogische) insofern zeigen müssen, als die konkreten Curricula und Prüfungsanforderungen die Komplexität ethischer Bildung noch keineswegs adäquat abzubilden scheinen. In diesem Zusammenhang ist für die Lehrenden eine Einsicht in die Modellvielfalt ethischer Bildung und dabei in die jeweiligen besonderen Chancen und Grenzen einzelner Ansätze unbedingt sinnvoll.

Grundsätzlich steht hier die Religionspädagogik als eine programmatisch kooperative Verbund- und Integrationswissenschaft zukünftig mehr denn je vor der Herausforderung, sich den Reichtum und die Diversität der eigenen Traditionsbildungen klarzumachen und diese so bewusst wie selbstbewusst in die konkreten ethischen Bildungsprozesse einzuspielen. Anders gesagt: Eine ethisch relevante theologische Bildung muss gerade um der eigenen Fundamente willen einerseits die intradisziplinären Zusammenhänge zur theologischen Ethik, zur Exegese, aber auch zur Kirchengeschichte pflegen, andererseits die vielfältigen interdisziplinären Bezüge zu anderen ethisch reflektierenden Wissenschaften.

Eine menschen- und sachgemäße Orientierungsfunktion wird die Religionspädagogik jedenfalls nur dann für sich beanspruchen können, wenn sie ihre eigenen Studien sowohl im Horizont humaner Lebensdienlichkeit wie im Licht des Evangeliums, das den Menschen auf die ihm geschenkte Würde und Freiheit hin anspricht, profiliert – insofern ist letztlich die Qualität der jeweiligen Religiosität von entscheidender Bedeutung für ihre moralische Überzeugungskraft. Ethische Verantwortung konkretisiert sich in jedem Fall in Prozessen, Prozeduren und Einübungen im Zwischenfeld zwischen Universalismus und Partikularismus (Zilleßen, 2001, 487). Dafür sollten dann die Potenziale einer theologisch-ökumenischen Ethik sondiert und die Chancen des inter- und transreligiösen Dialogs deutlich intensiver als bisher genutzt werden.

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