Deutsche Bibelgesellschaft

Kompetenzorientierter Religionsunterricht

(erstellt: Januar 2015; letzte Änderung: Oktober 2018)

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1. Kompetenzorientierung – die ‚Metastruktur‘

Veranlasst durch den ‚Pisa-Schock‘ im Jahr 2001 läutete die vom Bundesministerium für → Bildung und Forschung initiierte und von einer Arbeitsgruppe namhafter Wissenschaftler 2003 erstellte Expertise „Zur Entwicklung nationaler → Bildungsstandards“ eine grundlegende Reform des Bildungswesens ein. Ziel dieser Reform war es, → Bildungsstandards festzulegen, mit denen die fachlichen und fachübergreifenden Kompetenzen von → Schülerinnen und Schülern am Ende bestimmter Schullaufbahnphasen beschrieben werden. Das Paradigma „Kompetenzorientierung“ steht seither als eine Art didaktischer ‚Metastruktur‘ im Fokus der Unterrichtsentwicklung. Ganz gleich, welche Unterrichtskonzepte in den einzelnen Fächern bisher maßgebend waren: Jedes Fach muss sich dazu in Beziehung setzen und ausweisen, wie es ‚kompetenzorientiertes Lehren und Lernen‘ theoriegestützt und praxisbezogen umsetzt. Dies gilt auch für die → Religionspädagogik. Die Diskussion um den spezifischen Beitrag der Religionspädagogik zur Bildungsreform ist sowohl auf der wissenschaftlichen als auch auf der unterrichtspraktischen Ebene recht früh aufgenommen worden (Fischer/Feindt, 2010). Die zentralen theoriebezogenen Aspekte der Kompetenzorientierung werden in einem gesonderten Artikel (Wirelex 2016) erörtert (Obst, 2015, 18-80;130-159).

Die Frage, ob und inwieweit ‚Kompetenzorientierung‘ für die Praxis des Religionsunterrichts förderlich ist und Kriterien ‚guten‘ Unterrichts standhält, bildet die Nagelprobe für diese „grundlegende Religionsdidaktik“ (Englert, 2012b, 247). Ob sie sich bewährt und das „Repertoire fachdidaktischer Ansätze“ bereichert, entscheidet sich daran, inwiefern sie „Instrumente für die Planung und Realisierung religionsunterrichtlicher Arbeit“ bereitzustellen in der Lage ist (Englert, 2012b, 247).

2. Voraussetzungen

2.1. Der Kompetenzbegriff

Maßgebend für die Expertise 2003 war der Kompetenzbegriff des Erziehungswissenschaftlers und Psychologen Franz Weinert (Weinert, 2001, 27f.):

Man versteht unter Kompetenzen „die bei → Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“. Kompetenz ist nach diesem Verständnis – so erläutert die Expertise – „eine Disposition, die Personen befähigt, bestimmte Arten von Problemen erfolgreich zu lösen, also konkrete → Anforderungssituationen eines bestimmten Typs zu bewältigen“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2003, 72).

Der Schwerpunkt der Weinert’schen Definition liegt im Bereich der Kognition und schließt etwa Aspekte wie Wissen, Verstehen, Können, Handeln und → Erfahrung ein. Bei der effizienten situativen Nutzung von Problemlösungen kommen auch emotionale, soziale und willensbezogene Kompetenzen ins Spiel. Hervorzuheben ist, dass durch den Begriff → „Verantwortung“ auch ein ethisches Kriterium für kompetenzorientiertes Handeln benannt wird. Eine besondere Pointe erhält die Begriffsbestimmung dadurch, dass die problemlösende Funktion der Kompetenzen in der Expertise, offener als bei Weinert, im Sinne einer ‚Bewältigung von konkreten Anforderungssituationen‘ interpretiert wird. Kompetenz „ist als Befähigung zur Bewältigung von Situationen bzw. von Aufgaben zu sehen. Jede Illustration oder Operationalisierung einer Kompetenz muss sich daher auf konkrete Anforderungssituationen beziehen“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2003, 73). Diese Ausweitung des Begriffs eröffnet der religionspädagogischen Profilierung des Unterrichts spezifische Möglichkeiten, da ‚Kompetenz‘ nicht auf „Problemlösung“ verengt wird.

2.2. Die fachdidaktische Entfaltung des Kompetenzbegriffs

Eine erste systematische Entfaltung des Begriffs „Religiöse Kompetenz“ als Globalziel religiöser → Erziehung legte der katholische Theologe Ulrich Hemel in seiner Habilitationsschrift 1988 vor (vgl. dazu Obst, 2015, 43-51). Im Jahr 2004 griff die Deutsche Bischofskonferenz das → bildungspolitische Reformprojekt mit „Kirchlichen Richtlinien zu Bildungsstandards für den → katholischen Religionsunterricht in den Jahrgangsstufen 5-10/Sekundarstufe I“ auf. Sie publizierte ein fachspezifisches Raster, bei dem allgemeine religiöse Kompetenzen in Bezug gesetzt werden zu theologisch bestimmten „Gegenstandsbereichen, die das religiöse Grundwissen thematisch gliedern“. Ebenfalls 2004 veröffentlichte die evangelische Bildungsplankommission Baden-Württemberg ein Kompetenzmodell für den evangelischen Religionsunterricht, das den Begriff der „religiösen Kompetenz“ in den Mittelpunkt stellte (Obst, 2015, 57-61). Das bisher einzige empirische Forschungsprojekt zu Bildungsstandards im Religionsunterricht wurde im selben Jahr von den Berliner Professoren Rolf Schieder und Dietrich Benner initiiert (Obst, 2015, 61-67). Gleichzeitig begann eine Expertengruppe im Comenius-Institut Münster damit, „ein fachdidaktisch begründetes und unterrichtspraktisch erprobtes Modell für grundlegende Kompetenzen → religiöser Bildung zu entwickeln“ (Fischer/Elsenbast, 2006, 5). Das von dieser Gruppe entworfene Tableau von zwölf Kompetenzen, verschränkt mit vier Gegenstandsbereichen und fünf Erschließungsdimensionen, dürfte das Kompetenzmodell mit der größten Wirkung für den Religionsunterricht sein. Es wurde sowohl in den Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung (2006), im Orientierungsrahmen der EKD „Kompetenzen und Standards für den Evangelischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe I“ (2010) als auch in verschiedenen Kerncurricula für den Religionsunterricht und in Lehrwerken rezipiert.

Die religionspädagogische Entfaltung des Kompetenzbegriffs bot nicht nur eine Grundlage für die konkrete unterrichtliche Umsetzung, sondern schärfte das Kompetenzverständnis auch in spezifischer Weise. Dabei wurden zum Teil ausgesprochen kontrovers die Reichweite, die Chancen und Grenzen, aber auch Holzwege und Leerstellen eines kompetenzorientierten Religionsunterrichts diskutiert (Fischer/Elsenbast, 2007; Obst, 2015, 68-80).

Das Kompetenzmodell der → Experten-Gruppe (Fischer/Elsenbast, 2006, 19f.):

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3. Didaktische Ansätze

3.1. Andreas Feindt: Das Projekt KompRU

Feindt, seinerzeit Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Comenius-Institut, entwickelte einen kompetenzorientierten Unterrichtsansatz im Kontext des Experten-Modells (siehe oben). Ziel des ‚KompRU‘-Projektes war es, „praktische Konkretionen kompetenzorientierten Religionsunterrichts zu erarbeiten“ (Feindt, 2009, 302). Von 2007-2009 arbeiteten insgesamt fünf Teams mit 28 Lehrkräften aus unterschiedlichen Schulformen der Sekundarstufe I, begleitet durch erfahrene Fachleute, in einer Lehrer-Forscher-Gruppe daran, kompetenzorientierte Unterrichtssequenzen zu erstellen, die im eigenen Religionsunterricht ausprobiert und anschließend systematisch aufgearbeitet wurden (Sajak/Feindt, 2012). Entscheidend für die Arbeit der Gruppe war die Einsicht: „Es geht um einen Perspektivwechsel, der die Handlungs- und Deutungsmuster der Schüler/innen nachvollzieht und für einen didaktisch sinnvollen Fortgang des Unterrichts nutzbar macht […], um darauf aufbauend das didaktische Kerngeschäft der Planung passender Lernangebote für die Schüler/innen umzusetzen“ (zitiert nach Sajak/Feindt, 2012, 99). Dabei geht Feindt – gemeinsam mit Hilbert Meyer – davon aus, dass der Kompetenzorientierte Unterricht „kein völlig anderer Unterricht ist als der, der in den vergangenen Jahrzehnten als ‚offener‘ oder ‚handlungsorientierter‘ Unterricht gefordert wurde“, dass er sich aber davon unterscheidet durch „die genaue, an Kompetenzstufen orientierte Analyse der individuellen Lernstände und Lösungsstrategien sowie die gezielte Nutzung der gewonnenen Einsichten für die Gestaltung von Anwendungssituationen“ (Feindt/Meyer, 2010, 32f.). Dem Unterricht legte er ein „didaktisches Grundgerüst“ zugrunde (Feindt, 2010, 86), das mit dem fachdidaktischen Kompetenzmodell verzahnt wurde (Sajak/Feindt, 2012, 102; Obst, 2015, 113-116).

Den Mittelpunkt des Modells (Feindt, 2010, 87) bildet der Unterricht, in dem Schülerinnen und Schüler Kompetenzen erwerben sollen (Wissen, Können, Wollen). Welche Kompetenzen dies sind, konkretisiert der äußere Rahmen durch die curricularen Zielvorgaben. Als Strukturmomente des Unterrichts fungieren sechs Merkmale:

Individuelle Lernbegleitung wird verstanden als „ein Prozess des genauen Hinschauens und → pädagogischen Beobachtens, der sich kontinuierlich durch den Unterricht zieht“ (Feindt, 2010, 86).

Metakognition zielt darauf, dass „→ Lernende in die Lage versetzt werden, aktiv Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen“ (Feindt, 2010, 86).

Kognitive Aktivierung bezieht sich darauf, dass der Unterricht Lernende vor Lernaufgaben stellt, die so ausgerichtet sein müssen, „dass sie herausgefordert werden, nachzudenken, abzuwägen, zu argumentieren, zu kommunizieren, zu erfinden und zu experimentieren“ (Feindt, 2010, 88).

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Wissensvernetzung dient dem → Kompetenzaufbau einerseits dadurch, dass in vertikaler Richtung „Wissensfelder und Fähigkeiten systematisch aufeinander aufbauen“ (Feindt, 2010, 87), andererseits wird in horizontaler Richtung der „anwendungsbezogene Transfer erworbenen Wissens und Könnens auf andere Bereiche“ geleistet.

Übung/Überarbeitung gilt der Nachhaltigkeit des Kompetenzerwerbs, denn „Übung und Training (sind) eine wichtige Voraussetzung für den Erwerb von Kompetenzen“ (Feindt, 2010, 87).

Lebensweltliche Anwendung ist die Probe aufs Exempel des angestrebten Kompetenzerwerbs. „Kompetenz zeigt sich nicht im luftleeren Raum, sondern nur als Performanz, wenn Schülerinnen und Schüler Wissen, Können und Wollen aktivieren, um Anforderungssituationen selbstständig und kreativ zu bearbeiten“ (Feindt, 2010, 88).

Mit diesem Modell gelingt es Feindt, zentrale Faktoren eines effizienten Unterrichts für die ‚Übersetzung‘ eines theoretischen Kompetenzstrukturmodells in konkrete Unterrichtsentwicklung und -praxis nutzbar zu machen. Sein Vorschlag hat zudem den Vorteil, dass der geforderte → Perspektivenwechsel auf die „outcomes“ die Lehrkräfte nicht überfordert, sondern sie in behutsamer Weise an neue Strategien der Unterrichts (→ Unterrichtsplanung), der Durchführung und der Reflexion heranführt. Hervorzuheben ist, dass das KompRU-Projekt von einer Forschungsgruppe unter Leitung von Clauß Peter Sajak auch auf den katholischen Religionsunterricht übertragen wurde (KompKath) und damit seine ökumenische Eignung unter Beweis gestellt hat (Sajak/Feindt, 2012, 100-104).

Ob indes die Tragweite der fachdidaktischen Neuorientierung damit schon erfasst ist, dürfte fraglich sein. Vor allem das entscheidende Problem wird notwendigerweise ausgeklammert: Werden die Inhalte des Religionsunterrichts – legitimiert durch deren fachwissenschaftlichen Stellenwert – in curricular reduzierter Form vorgegeben, um die Schülerinnen und Schüler zu befähigen, deren fachliche Bedeutung zu erheben und mit ihrer Lebenswelt nachträglich in Beziehung zu bringen, oder richtet sich kompetenzorientierter Unterricht zunächst auf die lebensweltlichen Herausforderungen, die Schülerinnen und Schüler in Gegenwart und Zukunft werden bestehen müssen und bestimmt von dort her die notwendigen Kompetenzen, aber auch die korrespondierenden Gegenstände des Unterrichts, an denen Lernende diese Kompetenzen erwerben können?

3.2. Gabriele Obst: Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen im Religionsunterricht

Um diese fachdidaktisch zentrale Frage kreist der Ansatz von Gabriele Obst, Schulleiterin des Evangelischen Gymnasiums Nordhorn. Der „konsequente Blick auf das, was Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Lernzeit wissen, können und wozu sie bereit sind“ zieht einen „einschneidenden Perspektivenwechsel“ (Obst, 2015, 162) nach sich. Wenn die langfristigen Ziele des Religionsunterrichts verbindlich vorgegeben sind, sind die Wege dorthin variabel und können der Lernsituation in pädagogischer → Freiheit und Kreativität angepasst werden. Damit rücken die Schülerinnen und Schüler als Personen ins Zentrum didaktischer Reflexion. Kompetenzorientierter Religionsunterricht legt so ein besonderes Gewicht auf das Lernen: „Die Planung des Unterrichts konzentriert sich auf die Frage, wie ergiebige Lernprozesse inszeniert, motivierende Lernarrangements entwickelt und Lernergebnisse gesichert und überprüft werden können“ (Obst, 2015, 166f.).

Im Unterschied zu theoretischen Modellen, die von einem allgemeinen Religionsbegriff ausgehen, fasst Obst ihren Ausgangspunkt so zusammen (Obst, 2009, 184-186):

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Der Mittelpunktstellung der Schülerinnen und Schüler entspricht es, dass Obst den → Anforderungssituationen eine entscheidende Bedeutung bei der didaktischen Reflexion des Unterrichts zumisst. Allerdings präzisiert sie den Begriff religionspädagogisch, indem sie das Tübinger (→ Elementarisierung) Elementarisierungskonzept modifiziert aufnimmt (Obst, 2015, 104-106;192; 2009, 186).

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Evident ist, dass die → Lebenswelt und die Lernsituation der Schülerinnen und Schüler in besonderer Weise Aufmerksamkeit erfahren. Von ihnen her und auf sie hin wird der Religionsunterricht konzipiert. Dabei spielt die Lebensbedeutsamkeit der Anforderungssituationen eine ebenso große Rolle wie die Frage, was und wie der Unterricht dazu beitragen kann, dass Schülerinnen und Schüler ‚religiös kompetent‘ mit solchen Situationen umgehen können. Obst weist der Kompetenzorientierung eine wichtige, aber begrenzte Bedeutung zu. Voraussetzung dafür, „dass Schülerinnen und Schüler eine religiöse Mündigkeit entwickeln können (...) und ihren Glauben, Unglauben oder Andersglauben selbstständig vertreten und begründen können“ (Obst, 2015, 265), sei, dass der Religionsunterricht „für unerwartete Fragen, existenziell bedeutsame Einsichten, elementare Wahrheiten, persönliche Betroffenheit und orientierende Erfahrungen“ offen bleibe und „einen Raum der Freiheit für die individuelle Begegnung mit christlichem Glauben und → Leben“ biete (Obst, 2015, 265f.).

In seiner kritischen Auseinandersetzung problematisiert Englert (2012a, 64) den Ansatz bei „Anforderungssituationen“ folgendermaßen: „Missverstehen wir nicht vielleicht die Bedeutung von Religion im menschlichen Leben, wenn wir uns religiöse Kompetenzentwicklung so strikt als Steigerung von Problemlösungspotential denken?“ Auch wenn Englerts → Kritik eher auf den Weinertschen Kompetenzbegriff abhebt, dürfte es notwendig sein, das Verständnis von → Kompetenzen religiöser Bildung didaktisch zu schärfen, um den Verdacht, hier werde Religion funktionalisiert, auszuräumen (vgl. dazu Obst, 2015, 141-144;179-184;186f.). Dazu gehört auch, dass kompetenzorientierte Didaktik Auskunft geben muss über die „Bedeutung religiöser Traditionen für den Umgang mit der gegenwärtigen Lebenswirklichkeit“ (Englert, 2012a, 68). Fricke (2015, 384) bezweifelt, dass das Kriterium der „Alltagsrelevanz“ im Religionsunterricht dabei ausreichend sei, und wirft Obst vor, dass „für Schüler zunächst nichtrelevante Sachverhalte künstlich zu einer Anforderungssituation gemacht werden“ (Obst, 2015, 69). Obst unterwirft solche Situationen jedoch keineswegs dem Diktat einer vermeintlichen „Alltagsrelevanz“, sondern fasst sie als grundlegende, elementare Herausforderungen auf, mit denen sich Schülerinnen und Schüler auseinandersetzen müssen, wenn sie denn Kompetenzen religiöser Bildung für das Leben in dieser konkret verfassten → Gesellschaft erwerben wollen (vgl. 4.4.). Sie legt deshalb besonderen Wert darauf, den Schülerinnen und Schülern die Notwendigkeit einer solchen Auseinandersetzung plausibel zu machen und sie mit motivierenden, kontextualisierten Lernarrangements zu ermöglichen und zu unterstützen.

3.3. Wolfgang Michalke-Leicht: Kompetenzorientiert unterrichten

Michalke-Leicht, Gymnasiallehrer und Lehrbeauftragter am staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Freiburg, legt zusammen mit anderen Autoren ein „Praxisbuch für den Religionsunterricht“ vor, in dem er kompetenzorientierten Religionsunterricht aus katholischer Sicht darstellt. Zentrale These seines didaktischen Ansatzes ist: „Lehrerinnen und Lehrer müssen (...) das Rad nicht neu erfinden. Sie sind eingeladen, die Blickrichtung zu wechseln und ihren Unterricht – auch den bisherigen – aus der Perspektive ihrer Schülerinnen und Schüler anzuschauen“ (Michalke-Leicht, 2011b, 7). Michalke-Leicht will also keineswegs den „Entwurf einer neuen Didaktik“ (Michalke-Leicht, 2011d, 78) vorlegen, sondern empfiehlt ein „niederschwelliges, dabei zugleich aber auch effektives Vorgehen“, dabei „das bisher Gewohnte (...) von einer anderen Seite her zu betrachten und an entscheidenden Stellen eine bescheidene, aber deutliche Akzentverschiebung vorzunehmen“ (Michalke-Leicht, 2011d, 78).

Der intendierte Perspektivenwechsel hat jedoch weit reichende Folgen insbesondere für eine „Veränderung der Unterrichtskultur“, bei der „das Lernen der Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stellen“ sei (Michalke-Leicht, 2011a, 11). Der Verfasser betrachtet Kompetenzorientierung vor allem als eine „didaktische Haltung (...), die nach dem fragt, was Schülerinnen und Schüler brauchen, damit sie lernen können“ (Michalke-Leicht, 2011a, 13). Unter Berufung auf reformpädagogische Institutionen wie etwa die Laborschule in Bielefeld plädiert Michalke-Leicht für einen „Offenen Unterricht“ (Michalke-Leicht, 2011a, 16), der den Schülerinnen und Schülern „eine größtmögliche organisatorische, methodische, inhaltliche, soziale und persönliche Selbstbestimmung“ (Michalke-Leicht, 2011a, 16) ermöglicht. Unterstützt wird dieses Plädoyer durch Rückgriffe auf Erkenntnisse der Lernforschung zu einem „Lernen mit allen Sinnen“ (Michalke-Leicht, 2011a, 17) und zur subjektiven Bedeutsamkeit der Lerngegenstände. Schließlich rekurriert der Autor auf den erweiterten Lernbegriff nach Klippert (Michalke-Leicht, 2011a, 18f.). Auf dieser Basis können sich die „verschiedenen Formen des selbstgesteuerten und offenen Unterrichts“ entfalten, die eingebunden sind in eine „Kultur der Werkschätzung“ (Michalke-Leicht, 2011c, 67-77). Dabei gilt es, das „zentrale Paradigma“ des „selbstorganisierten Lernens“: „Wie, wo, wann und oft auch was und wozu gelernt wird, entscheiden die Lernenden selbst“ ebenso zu beachten (Schipperges, 2011, 54) wie die Verlagerung der „bisherigen Rolle der Lehrenden als Anleitende und Führende“ „auf die der Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter“ (Patrzek-Raabe, 2011, 30).

Das Instrumentarium für kompetenzorientierten Religionsunterricht umfasst Elemente wie Anforderungssituationen und Lernanlässe, die geeignet sind, den Zugang zum Thema zu erschließen, die → Erhebung der Lernausgangslage, die Prüfung von (individuellen) Lernwegen, die Bereitstellung von intelligenten Lernaufgaben und Lernquellen und die Implementation einer Feedbackkultur, von Metakognition und → Evaluation (Michalke-Leicht, 2012a, 43f.).

Der didaktische Ansatz Michalke-Leichts berücksichtigt die oft beobachtete Veränderungsresistenz von Lehrkräften. Der Autor zielt daher auf die Einsicht der Lehrkräfte, dass kompetenzorientierter Unterricht nicht dazu nötigt, den bisherigen Unterricht über Bord zu werfen, und erhöht damit die Akzeptanz der neuen Metastruktur. Zugleich verknüpft er den kompetenzorientierten Religionsunterricht mit einem dezidiert reformpädagogischen Ansatz und entwirft ein Planungsmodell, das weitgehend von pädagogischen Vorstellungen guten Unterrichts geprägt ist.

Fraglich erscheint allerdings, ob Michalke-Leicht die Tragweite, die Schwierigkeiten und Problematik eines dezidiert reformpädagogischen Unterrichtskonzepts nicht unterschätzt (Obst, 2010). Es dürfte einfach sein, ein in leuchtenden Farben skizziertes Gemälde rundum gelingenden Unterrichts zu kreieren, das jedoch in den Niederungen des Alltags schon daran zu scheitern droht, dass die Schülerinnen und Schüler nicht so sind, wie Lehrkräfte sie sich gern wünschen. Auch neuere Ergebnisse → empirischer Unterrichtsforschung (Hattie, 2013;2014) zeigen – trotz kontroverser Diskussionslage – an, dass hinsichtlich bestimmter Strukturmomente reformpädagogischer Unterrichtskonzepte (z.B. ‚Offener Unterricht‘) noch erheblicher Klärungsbedarf besteht. Zudem scheinen auch die kompetenzförderlichen Planungsaufgaben für die Lehrkräfte erheblich komplexer zu sein als der Verfasser unterstellt, denn sie erfordern im Detail einen hohen Zeit- und Kraftaufwand. Die harsche Polemik von Hubertus Halbfas, das Praxisbuch blende den „heutigen Glaubensverlust“ aus (2012, 150) und damit entfielen „alle Fragestellungen, Zweifel, Irritationen, Einwände und Argumente, die von agnostischen wie atheistischen Zeitgenossen vorgetragen werden“, sollte zumindest als generelle Anfrage an kompetenzorientierten Religionsunterricht ernst genommen werden (vgl. die Replik von Michalke-Leicht, 2012b).

3.4. Clauß Peter Sajak

Im Unterschied zu den drei skizzierten Entwürfen geht Sajak einen anderen Weg, der bei den Kompetenzen von Lehrpersonen mit dem Fach Religion ansetzt. Da diese Perspektive spiegelbildlich die Didaktik kompetenzorientierten Religionsunterrichts ergänzt, soll sie kurz dargestellt werden, zumal der Autor selbst auf das Ziel seiner → Fachdidaktik verweist, „die Neuausrichtung des Religionsunterrichts an Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern ernst zu nehmen und in aller Konsequenz für die religionspädagogische Praxis zu durchdenken“ (Sajak, 2013, 8).

Ausgangspunkt Sajaks ist zum einen der Leitbegriff katholischer Religionspädagogik, die → Korrelation, zum andern das primär in der evangelischen Religionspädagogik entfaltete Grundprinzip der Elementarisierung. Sajak verknüpft die fünf „Erscheinungsformen des Elementaren“ (Sajak, 2013, 8) mit jeweils zugeordneten fachdidaktischen Kompetenzen, über die Religionslehrkräfte verfügen müssen: die lebensweltliche, die pädagogische, die theologische, die didaktische und die methodische Kompetenz. Allerdings erweitert er diese fünf Kompetenzen um die diagnostische Kompetenz, die „im Blick auf die spezifischen Anforderungen eines dezidiert kompetenzorientierten Religionsunterrichts“ (Sajak, 2013, 8f.) eine zentrale Rolle spielt und um eine professionelle Kompetenz, die auf die Person und die „Balance von gelebter und gelehrter Religion“ (Sajak, 2013, 131-139) bezogen ist. Sein Grundmodell sieht folgendermaßen aus (Sajak, 2013, 9):

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Sajak legt mit seiner Fachdidaktik ein Modell vor, das die professionelle → Ausbildung von Religionslehrkräften in Studium, Vorbereitungsdienst und Berufseingangsphase in signifikanter Weise anzuregen verspricht. Das, was Religionslehrkräfte können müssen, um erfolgreich kompetenzorientierten Religionsunterricht erteilen zu können, wird in Beziehung gesetzt zu grundlegenden beruflichen Anforderungssituationen, wie sie bei der alltäglichen Planung, Durchführung und Reflexion des Religionsunterrichts auftreten. Professionelle Kompetenzen können so gezielter mit entsprechenden Lehrangeboten im Studium unterlegt und von Studierenden angeeignet werden. Fraglich erscheint allerdings, ob das Grundprinzip der Elementarisierung ausreicht, um das Handlungsfeld einer Religionslehrkraft abzudecken. In dem weiter reichenden Modell der EKD (Kirchenamt der EKD, 2008) „Theologisch-Religionspädagogische Kompetenz. Professionelle Kompetenzen und Standards für die → Religionslehrerausbildung“ werden etwa auch eine religionspädagogische Beratungs- und Beurteilungskompetenz sowie eine religionspädagogische Dialog- und Diskurskompetenz als unverzichtbare Anforderung an Lehrkräfte ausgewiesen.

4. Strukturmomente (in Thesenform)

Die folgende Darstellung bezieht sich auf gemeinsame Strukturmomente in den beschriebenen Ansätzen, die als charakteristisch für kompetenzorientierten Unterricht gelten können.

4.1. Die Schülerinnen und Schüler als → Subjekte des Lernens

Der Erwerb von Kompetenzen ist Aufgabe und Tätigkeit der Schülerinnen und Schüler. Deshalb richtet sich der Kompetenzorientierte Religionsunterricht auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler aus. Aus Lehrerperspektive bedingt diese Ausrichtung eine differenzierte Analyse der Lernausgangslage, vorrangig der bei den Schülerinnen und Schülern vorhandenen kognitiven Kompetenzen (Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten). Da Kompetenzen immer auch motivationale, soziale und volitionale Bereitschaften und Fähigkeiten umfassen, müssen die Interessen, Erfahrungen, Einstellungen und Motivationslagen der Schülerinnen und Schüler sowohl im Blick auf die Anlage des Lernarrangements als auch im Blick auf die inhaltliche Auseinandersetzung besonders beachtet werden.

Der Erwerb von Kompetenzen muss gesteuert und begleitet werden durch einen durchgehenden Reflexionsprozess über den Sinn und Gehalt des Lernangebots (Warum sollen wir das lernen?; sinnstiftendes Lernen), über die Wege und die Struktur des Lernprozesses sowie über den Lernertrag (Metakognition, Feedback).

4.2. Kompetenzen und Anforderungssituationen

Kompetenzen dienen dazu, sich mit religiös bedeutsamen Anforderungssituationen auseinandersetzen und diese bewältigen zu können. Anforderungssituationen scheinen in zentralen Handlungsfeldern der gegenwärtigen und zukünftigen Wirklichkeit auf, an denen sich grundlegende religiöse Fragen, Probleme, Widersprüche, Konflikte, Aufgaben etc. stellen. Sie strukturieren das didaktische Feld des Unterrichts. In Aufnahme und Adaption des religionspädagogischen Elementarisierungsmodells beziehen sich Anforderungssituationen im Religionsunterricht auf

  • grundlegende existenzielle Fragen
  • elementare Widerfahrnisse und Erfahrungen
  • zentrale Aspekte und Strukturen des christlichen Glaubens und Lebens
  • fundamentale Geltungsansprüche religiös pluraler und weltanschaulicher Orientierungsangebote
  • bedeutende religiöse Spuren und Traditionen im gesellschaftlich-kulturellen Umfeld.

Anforderungssituationen werden in der die Wirklichkeit stellenden Welt der → Schule durch geeignete Repräsentationsmedien, Kontextualisierungen, Falldarstellungen oder in „originalen Begegnungen“ (H. Roth) inszeniert.

4.3. Prozessbezogene und inhaltsbezogene Kompetenzen

Um Anforderungssituationen bewältigen zu können, benötigen Schülerinnen und Schüler prozessbezogene und inhaltsbezogene Kompetenzen. Als prozessbezogene Kompetenzen im Religionsunterricht kommen ins Spiel:

  • Wahrnehmungs- und Darstellungskompetenz – religiös bedeutsame Phänomene wahrnehmen und beschreiben
  • Deutungskompetenz – religiös bedeutsame → Sprache und Zeugnisse verstehen und deuten
  • Urteilskompetenz – in religiösen und ethischen Fragen begründet urteilen (überschneidet sich mit Partizipationskompetenz)
  • Dialogkompetenz – am religiösen und → ethischen Dialog argumentierend teilnehmen
  • Gestaltungskompetenz – religiös bedeutsame Ausdrucks- und Gestaltungsformen verwenden

Mit inhaltsbezogenen Kompetenzen sind Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten gemeint, die in der Auseinandersetzung mit Inhalten und Formen des christlichen Glaubens erworben werden. Die inhaltsbezogenen Kompetenzen tragen zum langfristigen Aufbau der prozessbezogenen Kompetenzen bei.

4.4. Lernarrangements im Religionsunterricht

Die Lehrkraft bietet Lernarrangements an, die den Kompetenzerwerb ermöglichen, fördern und evaluieren können. Welche Angebote die Schüler letztlich nutzen, entzieht sich der Planbarkeit (Angebot-Nutzungs-Modell).

Kompetenzorientierter Unterricht ohne Zielklarheit geht ins Leere. Jede Einzelstunde und jede Unterrichtsreihe/-sequenz muss ausweisen, welche langfristigen Kompetenzen aufgebaut, gefördert, vertieft und überprüft werden sollen. Davon zu unterscheiden sind konkrete Unterrichtsziele, die ebenfalls auf Kompetenzen bezogen sein sollen.

Der Erwerb von Kompetenzen muss den individuellen Lernprozessen möglichst angemessen Rechnung tragen. Daher ist eine Breite an Lernwegen und Verfahren erforderlich. Die Entwicklung sozialer Kompetenzen bedarf insbesondere kooperativer Lernformen sowie der Förderung von Kommunikation und Interaktion unter den Schülerinnen und Schülern. Der Aufbau prozessbezogener Kompetenzen setzt die Kenntnis und die praktische Einübung von Lernstrategien voraus.

4.5. Lernaufgaben im kompetenzorientierten Religionsunterricht

Der Erwerb von Kompetenzen ist auf die Aneignung, Organisation, Vernetzung, Sicherung und Auswertung von fachlich fundiertem Wissen angewiesen. Der Erwerb von Kompetenzen geschieht in der Auseinandersetzung mit komplexen Lernaufgaben. Im Zuge der Bearbeitung, Klärung, Lösung und Diskussion der Aufgaben und der Überprüfung der erzielten Ergebnisse werden vorhandene Kompetenzen erweitert, ausdifferenziert und vertieft sowie neues Wissen und neue Fähigkeiten angeeignet.

Lernaufgaben

  • setzen bei einer herausfordernden, hinreichend komplexen Problemlage an, die möglichst auf die Erfahrungs- und Vorstellungswelt der → Kinder und Jugendlichen bezogen ist,
  • erschließen exemplarisch einen größeren Sachzusammenhang,
  • zielen auf eine kognitive Aktivierung der Schüler und fordern sie zu hoher Eigentätigkeit heraus,
  • knüpfen an vorhandenem Wissen, Erfahrungen und bereits erworbenen Kompetenzen an und ermöglichen den Aufbau vernetzten Wissens,
  • ermöglichen unterschiedliche Lernstrategien und Lösungswege,
  • bieten notwendige Informationen und Hilfen bei der Bearbeitung,
  • eröffnen die Chance, dass das erforderliche neue Wissen von den Schülern eigenständig angeeignet und angewendet werden kann,
  • zielen in der Regel auf ein Lernprodukt und ermöglichen die Präsentation von Lernergebnissen,
  • befähigen die Schülerinnen und Schüler, unterschiedliche Leistungsniveaus zu erreichen,
  • bieten nach Leistung und Interesse differenzierende Teilaufgaben,
  • leiten die Schüler an, ihren Lernweg zu reflektieren und zu kontrollieren, ob sie bei der Bearbeitung erfolgreich gewesen sind
  • und stärken das Selbstkonzept der Schülerinnen und Schüler (Erfolg, Selbstwirksamkeit).

4.6. Langfristigkeit und Kompetenzaufbau

Der Erwerb von Kompetenzen setzt langfristige Lernprozesse voraus. Er ist insofern kumulativ, als Kompetenzen in jeweils unterschiedlichen Niveaustufen systematisch aufeinander aufgebaut und miteinander verknüpft werden.

Der Erwerb von Kompetenzen kann schulisch nur gesichert werden, wenn ein progressives, kohärentes, kompetenzorientiertes Spiralcurriculum den Unterricht vor Ort strukturiert.

4.7. Üben und Überprüfen, Feedback und Evaluation

Der nachhaltige Erwerb von Kompetenzen ist auf permanentes Üben, Wiederholen und den Transfer in methodischen Variationsformen und neuen Kontexten angewiesen. Erworbene Kompetenzen bedürfen der Überprüfung (Performanzsituation). Dazu sind kontextbezogene Aufgabenstellungen (Prüfaufgaben) notwendig, die möglichst unterschiedliche Erkenntniswege zulassen und sich auf fachbezogene prozess- und inhaltsorientierte Kompetenzen beziehen.

Der Lernprozess und der Lernertrag werden besonders wirkungsvoll durch Feedback und Evaluation. Feedback und Evaluation beziehen sich sowohl auf die Schülerinnen und Schüler als auch vor allem auf die Lehrkraft, die sich Rechenschaft über den Lernprozess geben lässt und gibt und daraus Konsequenzen zur Verbesserung ihres Unterrichts zieht.

4.8. Aspekte der Unterrichtsdurchführung

Im kompetenzorientierten Religionsunterricht müssen Lehrkräfte über dieselben Kompetenzen der Steuerung, Begleitung, Moderation und Beratung verfügen wie in jedem anderen Unterricht. Sie streben eine funktionale Balance an zwischen Instruktion und Eigentätigkeit, zwischen rezeptiven, produktiven, diskursiven und Aneignungs-Phasen sowie zwischen geschlossenen, halboffenen und offenen Formen des Unterrichts.

Im Blick auf die Förderung prozessorientierter Kompetenzen sorgen Lehrkräfte für Transparenz des Unterrichts, für nachvollziehbare Abläufe, begründbare didaktisch-methodische Entscheidungen und Ziele und beziehen Schülerinnen und Schüler in die Planung und Reflexion des Lernwegs sowie die Evaluation der Ergebnisse ein. Hinsichtlich des Kompetenzbegriffs legen Lehrkräfte Wert auf die kognitive Aktivierung der Schüler, ohne die emotionale und soziale Seite des Lernens zu vernachlässigen.

Für den Erwerb von inhaltsbezogenen Kompetenzen ist es entscheidend wichtig, dass die → Lehrkraft über eine fundierte fachliche Kompetenz verfügt und z.B. in Unterrichtsgesprächen gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern gewonnene Erkenntnisse wahrnimmt, analysiert, strukturiert, problematisiert, vertieft und bündelt.

Lehrkräfte sind daran interessiert, dass kompetenzorientierter Unterricht zielgerichtet und ergebnisorientiert verläuft. Aber sie lassen lernförderliche Umwege zu, nutzen Fehler und Fehlvorstellungen zu ergiebigen Lernprozessen und assistieren den Schülern durch individuelle Hilfen bei ihren eigenen Lernwegen.

Lehrkräfte stellen unterschiedliche Formen der Ergebnissicherung und Selbstvergewisserung bereit, die es den Schülern ermöglichen, ihren Lernweg und den systematischen Aufbau ihrer Kompetenzen zu reflektieren.

4.9. Nota bene

Kompetenzorientierter Religionsunterricht ist nicht alles. Guter Unterricht zeichnet sich durch eine Reihe von Aspekten und Effekten aus, die nicht operationalisierbar und im Sinne zielgerichteten Lernens planbar sind, die gleichwohl für das Gelingen des Lernens unverzichtbar sind. Insofern ist kompetenzorientierter Religionsunterricht die notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung guten Unterrichts.

5. Kritik, Ertrag und offene Fragen

Die prägnanteste und am weitesten reichende Kritik gegen die Didaktik des kompetenzorientierten Religionsunterrichts hat Bernd Schröder vorgetragen (Schröder, 2014), dem sich Fricke (2015) in entscheidenden Punkten anschließt. Schröder wendet sich scharf gegen eine ‚Hypostasierung‘ der Kompetenzorientierung zu einer (→ Fachdidaktische Konzeptionen) Konzeption (Schröder, 2014, 181) und will zu ihrer ‚Depotenzierung‘ beitragen: „Die Figur der ‚Kompetenz‘ ist [...] lediglich ein Instrument unter mehreren zur Steuerung von Unterricht“ (Schröder, 2014, 181); „als dominantes Kriterium für Auswahl der Inhalte und Methoden [...] verkürzt es dramatisch die Aufgabe von Bildung, zumal religiöser Bildung“ (Schröder, 2014, 184). Es handle sich bei der Kompetenzorientierung primär um ein „didaktisches Arrangement, um handlungs- und produktionsorientierter Methodik im Religionsunterricht zu Anwendung, Ansehen und Geltung zu verhelfen“ (Schröder, 2014, 185). Als solches dient es „nur oder vor allem“ (!) religionspädagogisch engagierten „Fortgeschrittenen“ als „ein Instrument zur neuerlichen Sichtung bewährter Praxis und zu deren punktueller Korrektur bzw. Verbesserung“ (Schröder, 2014, 187), als „Sichtungshilfe, Prüfinstrument, Konstruktionsprinzip didaktischer Arrangements“ (Schröder, 2014, 187), die „nur dann“ überhaupt relevant werden, wenn eine „funktionierende Praxis des Unterrichtens“, eine „bewährte Vorstellung von der Auswahl, Abfolge und Erschließung religionsunterrichtlicher Themen sowie von den Zielen des Religionsunterrichts“ vorausgesetzt werden kann (Schröder, 2014, 187). Kompetenzorientierung in diesem ‚depotenzierten‘ Sinn sei daher nichts Anderes als eine „Chiffre für prozess- und schülerorientierte Didaktik“ (Schröder, 2014, 189). Es gehe, so Schröder, nicht um Kompetenzorientierung, sondern um guten Religionsunterricht, und dabei trage der Begriff der Kompetenzorientierung „nicht zur Klärung bei, sondern zur Verundeutlichung“ (Schröder, 2014, 189). Insbesondere die zentralen Elemente der Kompetenzorientierung, die „curricular und didaktisch erforderlichen Anforderungssituationen“, verlören den Bezug zu konkreten Schülerinnen- und Schülererfahrungen, neigten zur ‚Dekontextualisierung‘ (Schröder, 2014, 190) und würden „den Schülerinnen und Schülern als ihre vermeintlich eigenen übergestülpt“ (Schröder, 2014, 190). Schröder resümiert als Zentralpunkt seiner Kritik: „Die Orientierung an ‚Kompetenzen‘ stellt ihrem Gefälle nach die Sache in den Schatten: Es geht nicht um das Potential, das ein Gegenstand für die Schülerinnen und Schüler enthält, nicht darum, sich mit diesem womöglich fremden Lerngegenstand vertraut zu machen, nicht darum, sich an einer Sache abzuarbeiten, sondern es geht um die Nutzung – oder muss man sagen: Funktionalisierung? – eines Gegenstandes für den Kompetenzaufbau, es geht um methodische Verfügung“ (Schröder, 2014, 189).

Schröders Kritik ist trotz gegenteiliger Beteuerungen als Frontalangriff auf den kompetenzorientierten Religionsunterricht zu werten, der dessen Voraussetzungen, Konzept und Praxis grundlegend in Frage stellt. Zunächst ist in Erinnerung zu rufen, dass die Umsteuerung des Bildungswesens auch und gerade durch unzureichende Leistungen der Schülerinnen und Schüler bedingt war. Auch wenn sich diese Erkenntnisse nur auf Lesekompetenz, mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen bezogen, ist es doch höchst abenteuerlich, dem Religionsunterricht eine ‚funktionierende, bewährte Praxis‘ zu bescheinigen, ohne empirisch nachweisen zu können, was denn etwa im Religionsunterricht der Sekundarstufe I tatsächlich an Wissen und Können erworben wird. Erfahrungsgestützt ist eher zu vermuten, dass die Lernerträge des Religionsunterrichts am Ende der Sekundarstufe I recht bescheiden ausfallen werden. Es kann dem Religionsunterricht daher nur gut tun, wenn er, der Metastruktur der Kompetenzorientierung folgend, präziser angibt, was Schülerinnen und Schüler an fachlichen und überfachlichen Kompetenzen nachweisen sollen. Die Frage, wofür eigentlich Kompetenzen notwendig sind, erweist sich dabei als Schlüsselproblem, das im Sinne des kompetenzorientierten Religionsunterrichts mit dem Hinweis auf die Auseinandersetzung mit und die Bewältigung von lebensbedeutsamen religiösen Anforderungssituationen zu beantworten ist. Damit werden nicht nur die legitimatorischen Grundfragen Klafkis nach Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung von Bildungsinhalten aufgenommen, sondern auch wesentliche Gesichtspunkte des religionspädagogischen Elementarisierungsmodells adaptiert. Es kann daher keine Rede davon sein, dass der Zusammenhang von Kompetenzorientierung und Anforderungssituationen (→ Bildung, religiöse) religiöse Bildung untergräbt, auch wenn erworbene Kompetenzen nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung religiöser Bildung darstellen. Dieser zentrale Zusammenhang ist konstitutiv nicht nur für kompetenzorientierten Religionsunterricht, sondern für alle Fächer. Das Grundprinzip einer didaktischen Kontextualisierung von Bildungsgegenständen, an denen Kompetenzen angebahnt, erworben, vertieft, ausdifferenziert und überprüft werden können, hat erhebliche unterrichtliche Konsequenzen und verwehrt es, Kompetenzorientierung primär als willkommenen Hebel innovationsfreudiger Praktiker aufzufassen, um eine handlungs- und produktionsorientierte Methodik durchzusetzen. Im Gegenteil: Es dient vor allem dem Lernprozess der Schülerinnen und Schüler, wenn ihnen klar wird, wofür sie etwas lernen sollen, welche Lebensbedeutsamkeit erworbene Kompetenzen haben, welche Lernstrategien sie benötigen, um sich Sachverhalte zu erschließen, wie sie ihren eigenen Lernprozess reflektieren, überprüfen und verbessern können etc. Der Vorwurf Schröders, dass dabei die Auseinandersetzung mit der ‚Sache‘ des Religionsunterrichts leide, dürfte eher dem Arsenal überkommener Polemik gegen den lernzielorientierten und → problemorientierten Religionsunterricht der 80er Jahre entnommen sein als die reale Unterrichtssituation widerspiegeln. Die ‚Sache‘ des Religionsunterrichts, abgekürzt als → ‚Kommunikation des Evangeliums‘ bezeichnet, ist keine sakrosankte, überzeitliche → Wahrheit, die nur memoriert oder gefeiert werden könnte, sondern zeigt, wie Menschen sich mit Situationen auseinandersetzen, die ihren → Glauben an den → Gott Israels und an den Messias Jesus herausfordern. Insofern dient das, was im kompetenzorientierten Religionsunterricht geschieht, unmittelbar der Erschließung der ‚Sache‘, nicht ihrer Funktionalisierung.

Als Ertrag der didaktischen Ansätze und Strukturmomente kann festgehalten werden, dass die Religionsdidaktik „tatsächlich ein Stück näher an die unterrichtliche Praxis herangerückt“ ist (Englert, 2012a, 62). Dabei kommt dem Perspektivenwechsel auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler einerseits und der Verbindlichkeit lebensförderlichen religiösen Wissens und Könnens eine besondere Bedeutung zu. Nicht zu unterschätzen ist auch die Schärfung des Profils des Religionsunterrichts im Kanon der übrigen Schulfächer.

Gabriele Obst (2015, 130-159), Lothar Kuld (2012), Rudolf Englert (2012a) und andere haben eine Reihe weiterer kritischer Einwände gegen den kompetenzorientierten Religionsunterricht vorgetragen und überprüft. Auf der Ebene der Didaktik bedürfen folgende Probleme einer weiteren Bearbeitung:

  • Welches didaktische Grundmodell von Kompetenzen religiöser Bildung erweist sich in der Praxis als geeignet?
  • Wie kann die Situation der Lernenden nach dem „Glaubensverlust“ (Halbfas) als konstitutives Moment im Religionsunterricht Berücksichtigung finden?
  • Wie können Inhalte des Religionsunterrichts generiert und produktiv mit Anforderungssituationen und Kompetenzen verschränkt werden?
  • Wie kann ein systematischer, kumulativer Kompetenzerwerb gelingen, der auf vernetztem Wissen basiert und nachhaltig angelegt ist?
  • Welche Lehr-/Lernprozesse erweisen sich – auch unter empirischer Perspektive – für den Kompetenzaufbau als besonders förderlich?
  • Welche Formen der Lernerfolgsüberprüfung sind für den kompetenzorientierten Religionsunterricht angemessen?
  • Wie können gelungene Unterrichtsmodelle kompetenzorientierten Religionsunterrichts dokumentiert und für die Aus- und → Fortbildung bereitgestellt werden?
  • Wie kann trotz aller Planbarkeit die Kontingenz unterrichtlicher Prozesse und damit der Religionsunterricht als „Raum der Freiheit“ gewahrt werden?

Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

  • Das Kompetenzmodell der Experten-Gruppe (Fischer/Elsenbast, 2006, 19f.)
  • Merkmale kompetenzorientierten Unterrichts (Feindt, 2010, 87)
  • Aufgaben des evangelischen Religionsunterrichts (Obst, 2009, 186)
  • Anforderungssituationen und Unterrichtsplanung (Obst, 2015, 168)
  • Dimensionen der Elementarisierung und notwendige Kompetenzen (Sajak, 2013, 9)

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