Jungfrau / Jungfräulichkeit (AT)
(erstellt: Mai 2024)
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1. Terminologie, Etymologie und Übersetzung
Dem Begriff „Jungfrau“ entspricht in der Hebräischen Bibel der Begriff בְּתוּלָה bətûlāh. Damit ist eine junge, gebärfähige Frau gemeint, die weder verheiratet noch verwitwet ist. Innerhalb der altisraelitischen Kultur schließt das ein, dass die Frau sexuell unberührt ist.
Nur an einer Stelle, in Jes 7,14
1.1. Etymologie
Der hebräische Begriff בְּתוּלָה bətûlāh entspricht in der ugaritischen Sprache btlt, in der aramäischen btwlh, in der akkadischen batūlu (mask.) und batultu (fem.) sowie in der arabischen batūl (fem.) (vgl. ThWAT, 874). Auf Grund dieser Verbreitung kann man ein „gemeinsemitisches Grundwort batūl(t) mit der Bedeutung ‚junges (Mädchen) im Pubertäts- und frühen Nachpubertätsalter‘“ (ebd.) annehmen. Im biblischen Hebräisch umfasst das Wort die beiden Aspekte Virginität und Jugend. Im Mittelhebräischen dagegen bezeichnet בְּתוּלָה bətûlāh ausschließlich die Jungfrau im sexuellen Sinn.
Von bətûlāh kommen zwei Pluralbildungen vor. Die feminine Pluralform bətûlôt bezeichnet die Vielheit „Jungfrauen“. Die maskuline Pluralform bətûlîm ist als Abstraktplural aufzufassen und bezeichnet den Stand der Jungfräulichkeit.
1.2. Übersetzung
Die Septuaginta übersetzt bətûlāh (בְּתוּלָה) konsequent mit παρθένος parthenos, die Pluralbildung bətûlîm (בְּתוּלִים) entsprechend mit παρθενία parthenia. Auch der griechische Begriff umfasst sowohl den Aspekt der Virginität als auch den der Jugend. Das Neue Testament folgt dem Sprachgebrauch der Septuaginta. Auch die lateinische Übersetzung virgo enthält beide Aspekte.
In deutschen Bibelübersetzungen (→ Bibelübersetzungen, christliche deutsche
2. Jungfrau und Jungfräulichkeit in der Umwelt Israels
2.1. Vorderer Orient
Im Vorderen Orient wurde die Jungfräulichkeit als „ein besonderer Zustand der Frau gewürdigt“ (NBL, 417). Religionsgeschichtlich bestanden zwar gewisse „Urängste“ vor dem durch die Defloration verursachten Blut (→ Blut / Blutriten
2.2. Ägypten
Im Ägyptischen umfasst der Begriff ḥwn.t „gewiss keine biologische Jungfrauenschaft, sondern vielmehr Jugendfrische und potentielle Mutterschaft“ (ThWAT, 873). In der Spätzeit Ägyptens „treten gern Göttinnen, vor allem → Hathor
2.3. Mesopotamien
Im Akkadischen bezeichnet batultu ein „junges, mannbares Weib“ (ThWAT, 873), nur selten steht dabei der Aspekt der Virginität im Mittelpunkt.
2.4. Ugarit
Im Ugaritischen ist btlt ein „Epitheton der Göttin Anat“ (ThWAT, 873; ABD, 853). Die entsprechenden Textbelege lassen deutlich erkennen, dass dieser Beiname nicht im Sinne von Virginität gemeint sein kann, da → Anat
2.5. Griechisch-römische Welt
In der Religion der griechisch-römischen Welt wurde sexuelle Abstinenz beim Umgang mit Gottheiten gefordert, da Geschlechtsverkehr die kultische Reinheit zerstöre (→ Reinheit / Unreinheit / Reinigung
3. Jungfrau und Jungfräulichkeit im Alten Testament
Grundsätzlich wird im Alten Testament vorausgesetzt, dass die Frau zur → Ehe
Die femininen Formen בְּתוּלָה bətûlāh und בְּתוּלוֹת bətûlôt kommen im Alten Testament 51-mal vor (Gen 24,16
3.1. Aspekt der Virginität
An wenigen Stellen steht der Aspekt der Virginität im Zentrum (Gen 24,16
So wird bei der Brautsuche Isaaks → Rebekka
Dreimal stellen Priestervorschriften den Kontext dar: In Lev 21,3
Nach Lev 21,14
Ähnliches ist auch Ez 44,22
Anscheinend wurde „der Stand der Jungfräulichkeit mit besonderer Reinheit und als ideelles Ziel auch mit Heiligkeit in Verbindung gebracht“ (NBL, 417), so dass gerade Priester bei der Wahl einer Ehefrau eine Jungfrau vorziehen sollten. Ähnliche Vorstellungen von Reinheit und Heiligkeit beim Kontakt mit einer Gottheit sind für die Religion der griechisch-römischen Welt belegt, wenn „kultische […] Reinheit (ἁγνεία [agneia]) im Umgang mit der Gottheit“ gefordert wurde, „die durch Befleckung (μίασμα [miasma]) zerstört wurde“ (RAC, 524; s.o.). Der Geschlechtsakt stellte eine Form von Befleckung dar.
Auch in Dtn 22,13-21
In Ri 21,12
3.2. Aspekt der Jugend
An den meisten übrigen Stellen ist nicht klar zu erkennen, ob Jungfräulichkeit oder einfach der Stand der Jugend zum Ausdruck gebracht werden soll.
- Der Begriff bətûlāh kann zur näheren Bestimmung einer Frau eingesetzt werden (z.B. 2Sam 13,2
; 2Sam 13,18 ; 1Kön 1,2 ) und qualifiziert diese. Ri 19,24 erzählt die Geschichte eines alten Mannes, der den Männern aus der Stadt seine „Tochter, noch eine Jungfrau“, anbietet. Der Hinweis, dass seine Tochter noch eine Jungfrau ist, soll „den Reiz des Angebotes“ (Engelken 1990, 7) erhöhen. - bətûlôt „Jungfrauen“ erscheinen auch zusammen mit „Jünglingen / jungen Männern“ (בַּחוּרִים baḥûrîm) (vgl. Ps 78,63
; Jes 23,4 ; Klgl 1,18 ; Sach 9,17 ). Manchmal tauchen bətûlôt in einer Reihe verschiedener Personengruppenbezeichnungen auf, darunter können dann auch die „Jünglinge“ sein: In Dtn 32,25 (Moselied [→ Lieder außerhalb des Psalters ]) rafft das Schwert „den Jüngling wie die Jungfrau, den Säugling samt dem ergrauten Mann“ dahin; 2Chr 36,17 spricht vom „König der Chaldäer“, der „ihre (= Israels) junge Mannschaft“ tötete und „weder die Jünglinge noch die Jungfrauen, weder die Alten noch die Greisen“ verschonte; in Ps 148,12 sollen „Jünglinge und Jungfrauen, Alte mit den Jungen“ den Namen Gottes loben; in Jer 51,22 heißt es: „Durch dich (= Israel) zerschmettere ich Männer und Frauen, Alte und Junge, Jünglinge und Jungfrauen“; in Klgl 2,21 liegen „Knaben und Alte“ auf den Straßen und „Jungfrauen und Jünglinge“ sind umgekommen; in Ez 9,6 steht, dass „Alte, Jünglinge, Jungfrauen, Kinder und Frauen“ vernichtet werden sollen. Nur in Klgl 2,21 (und Klgl 1,18 ) stehen die bətûlôt an erster Stelle, vor den Jünglingen. Insgesamt lässt sich beobachten, dass die bətûlôt mit anderen Personengruppen erscheinen, um die Gesamtheit des Volkes zum Ausdruck zu bringen.
3.3. Vergleichender Gebrauch
Der Begriff bətûlāh wird in drei prophetischen Schriften im Kontext eines Vergleichs verwendet: „Denn wie ein junger Mann eine Jungfrau freit (= heiratet), so wird dich dein Erbauer freien, und wie sich ein Bräutigam freut über die Braut, so wird sich dein Gott über dich freuen“ (Jes 62,5
3.4. Die Personifizierung von Städten und Völkern
Bildlich wird bətûlāh insbesondere in den Prophetenschriften benutzt, um Städte und Völker zu personifizieren. So ist von der „Jungfrau Israel“ (Jer 18,13
Die Kontexte sind häufiger negativ als positiv: Gott klagt, dass die Jungfrau Israel „[g]räuliche Dinge“ getan hat (Jer 18,13
Andererseits sind auch versöhnliche Töne wahrzunehmen, wenn Gott zusagt, die Jungfrau Israel zu erbauen, und sie sich „wieder schmücken und mit Pauken ausziehen [soll] im fröhlichen Tanz“ (Jer 31,4
Die bildliche Sprache ist nicht nur für Israel, Zion oder Juda belegt, sondern auch für fremde Städte und Völker. In Jes 23,12
4. Jungfrau und Jungfräulichkeit in der Septuaginta
4.1. Die Vorkommen von „parthenos“ in der Septuaginta
Die Septuaginta übersetzt bətûlāh (בְּתוּלָה) konsequent mit παρθένος parthenos und bətûlîm (בְּתוּלִים) entsprechend mit παρθένια parthenia (neutr.; Zeichen der Jungfräulichkeit), selten wird bətûlāh mit dem Adjektiv παρθενικός parthenikos wiedergegeben (vgl. Joel 1,8
Neben den aus dem Hebräischen übersetzten Belegen, erscheint παρθένος parthenos bzw. παρθένια parthenia, auch in Gen 24,14
4.2. Die Suche nach einer Braut für Isaak (Gen 24)
In der Erzählung von der Suche nach einer Braut für Isaak übersetzt die Septuaginta (LXX) in Gen 24,14
4.3. Belegstellen in ursprünglich griechischen Schriften der Septuaginta
Der Beleg in 3Esr 1,50
In Jdt 9,2
Im Rahmen der Tempelplünderung durch → Antiochus IV.
2Makk 5
In 4Makk 8,6-19
→ Jesus Sirach
4.4. Die Septuaginta-Übersetzung von Jes 7,14
Der wohl bekannteste Übersetzungsfall der Septuaginta zum Thema Jungfrau liegt in Jes 7,14
In Jer 3,4
Insgesamt wird deutlich, dass das, was für den Begriff בְּתוּלָה bətûlāh in der Hebräischen Bibel gilt, in der LXX ebenso zutrifft: Auch für die LXX bleibt häufig vage, wo sie παρθένος parthenos in der Bedeutung „unberührte Frau“ also Jungfrau meint und wo sie schlicht eine junge Frau sieht.
5. Jungfrau und Jungfräulichkeit im Neuen Testament
5.1. Die Vorkommen von παρθένος parthenos im Neuen Testament
Sieht man einmal von der Jungfrau Maria (→ Maria, Mutter Jesu
5.2. Die Jungfrauengeburt Jesu
Die wohl bekannteste Stelle, von der sich auch die Vorstellung von der Jungfrauengeburt Jesu herleitet, ist Mt 1,23
5.3. Fünf kluge und fünf törichte Jungfrauen (Mt 25,1-13)
Mt 25,1-13
5.4. „Vier Jungfrauen, die prophetisch redeten“ in der Apg
Apg 21,9
5.5. Männliche Jungfrauen in der Offenbarung
Offb 14,4
5.6. Paulus und die Jungfräulichkeit
Zwar kennt Paulus zum Thema Jungfräulichkeit „kein Gebot des Herrn“ (1Kor 7,25
In 2Kor 11,2
6. Jungfrau und Jungfräulichkeit in den Texten von Qumran
6.1. Die Vorkommen der Wurzel בתל btl in den Qumran-Schriften
In den Texten von Qumran (→ Qumran, Schriften
In aramäischer Sprache ist בתולה btwlh 4-mal belegt (1QGenAp 20,6; 4Q318 7,2; 4Q318 8,3; 4Q534 1 ii+2,12). Das aramäische Nomen tritt zwei Mal im Kontext des Sternzeichens Jungfrau auf (→ Sterne / Sternbilder / Sterndeutung
6.2. Hebräische Belegstellen in Qumran
Da manche Belege nur in fragmentarischen Kontexten vorkommen, werden im Folgenden nur die „sicheren“ Belege knapp vorgestellt.
In 11QT 65,7-66,4 wird das Szenario aus Dtn 22,13-21
In CD 14,15f. wird zum „Schutz und zur Unterstützung“ (ThWQ, 555) einer Jungfrau aufgefordert, falls diese keinen → Löser
6.3. Aramäische Belege in Qumran
Der Kontext von 4Q534 1ii+2,12 ist nur fragmentarisch erhalten. 1QGenAp 20,6 verwendet בתולה btwlh im Zuge der Erzählung von der Gefährdung der Ahnfrau Sarai (→ Preisgabeerzählungen
4Q318 belegt den Begriff בתולה btwlh im Kontext des „Tierkreiszeichens Jungfrau / Virgo“, dort hat er folglich eine astrologische Sonderbedeutung.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff.
- Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973-2015
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. u.a. 1993-2001
- Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
- Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten, Stuttgart u.a. 2011ff
2. Weitere Literatur
- Beuken, W.A.M., 2003, Jesaja 1–12 (HThK.AT), Freiburg i.Br.
- Engelken, K., 1990, Frauen im Alten Israel. Eine begriffsgeschichtliche und sozialrechtliche Studie zur Stellung der Frau im Alten Testament (BWANT 130), Stuttgart
- Frymer-Kensky, T.-S., 1998, Virginity in the Bible, in: V.H. Matthews u.a. (Hgg.), Gender and Law in the Hebrew Bible and the Ancient Near East, Sheffield, 79-96
- Jeremias, J., 2007, Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha (ATD 24,3), Göttingen
- Pausanias, 1986-1989, Reisen in Griechenland. Gesamtausgabe in drei Bänden, auf Grund der kommentierten Übersetzung von Ernst Meyer, hg. von Felix Eckstein (BAW.GR), Zürich / München
- Poorthuis, M.J.H.M., 1998, Rebekah as a Virgin on Her Way to Marriage, JSJ 29, 438-462
- Rösel, M., 2018, Die Jungfrauengeburt des endzeitlichen Immanuel, in: Ders. (Hg.), Tradition and Innovation. English and German Studies on the Septuagint (Septuagint and Cognate Studies 70), Atlanta, 197-219
- Schmitt, J.J., 1991, The Virgin of Israel, CBQ 53, 365-387
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