Deutsche Bibelgesellschaft

Qumran-Handschriften

(erstellt: Oktober 2009)

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1. Einleitung

Qumran 1
Als Qumran-Handschriften bezeichnet man die Texte, die nahe der Ruinensiedlung Chirbet Qumrān am Westufer des Toten Meeres gefunden worden sind (Koordinaten: N 31° 44' 28.5'', E 35° 27' 32.5''). Von 1947-1956 wurden dort in 11 Höhlen Überreste von mehr als 900 Schriftrollen entdeckt. Nur neun dieser meist auf hebräisch, teils auch auf aramäisch, in sehr geringer Zahl auf griechisch verfassten Texte sind tatsächlich als Rollen erhalten. Alle übrigen sind bruchstückhaft überliefert. Das Fundmaterial, mit Ausnahme einer Rolle aus Kupfer, ist in der Regel Leder, zum Teil aber auch Papyrus und besteht aus Zehntausenden von Einzelfragmenten. Die meisten der Handschriften entstanden im 1. Jh. v. Chr. und im 1. Jh. n. Chr., einige wenige gehen aber bereits bis auf das 3. Jh. v. Chr. zurück. Die Werke selbst stammen in Teilen allerdings aus noch früherer Zeit.

Archäologische Befunde, z.B. Tintenfässer, spezifische Tonkrüge in den Höhlen und in der Siedlung sowie die geographische Nähe der Siedlung zu den Höhlen, lassen auf eine Verbindung zwischen den Schriftrollen und der Siedlung von Qumran schließen. Mit letzter Sicherheit lässt sich dieser Zusammenhang allerdings bisher nicht nachweisen. Dies gilt ebenso für die klassische, nach wie vor mit soliden Gründen von vielen Forschern favorisierte Hypothese, dass es sich bei den Handschriftenfunden um eine Art „Bibliothek“ der durch antike Historiographen, wie z.B. → Philo Alexandrinus, Flavius Josephus und Plinius, bekannten jüdischen Gemeinschaft der Essener handele. Eine Vielzahl von alternativen Theorien, etwa die einer Identifizierung des Handschriftenfundes mit der Jerusalemer Tempel-Bibliothek, wurde seither unternommen. Ein Forschungskonsens besteht weder im Blick auf die archäologische Bestimmung der Siedlung noch auf die Zuweisung des Textfundes zu einer der zahlreichen, oft auch unbekannt gebliebenen Gruppierungen des damaligen Judentums.

Im Wesentlichen sind drei Gruppen von Qumran-Handschriften zu unterscheiden: 1. Kopien von Bibeltexten und 2. Kopien von bereits bekannten Apokryphen und Pseudepigraphen, einschließlich bis dahin unbekannter Texte, die von der Gemeinschaft nicht selbst verfasst, jedoch überliefert wurden und 3. Texte, die von der Gemeinschaft verfasst und abgeschrieben wurden, der wir den Textfund verdanken, möglicherweise den Essenern („Echte Qumrantexte“). Die große Bedeutung der Qumran-Handschriften besteht zum einen darin, dass hier die bei weitem ältesten Handschriften der Hebräischen Bibel / des Alten Testaments überliefert sind. Zum anderen gewähren die Qumranschriften bis dahin kaum bezeugte authentische Einblicke in jüdisches Leben und jüdische Glaubensvorstellungen der hellenistisch-römischen Zeit. So sind die Texte von Qumran auch für das Verständnis des Neuen Testaments von besonderem Wert und, ebenso wie im Blick auf das Alte Testament, in ihrem Reichtum bei weitem noch nicht wissenschaftlich ausgeschöpft. Neutestamentliche Schriften oder solche, die von Personen des Neuen Testaments handeln, wurden in Qumran, entgegen mancherlei Vermutung, nicht gefunden.

Außer in Qumran wurden an mehreren weiteren Fundorten am Westufer des Toten Meers ebenfalls Handschriften entdeckt (z.B. Wādī Murabba‘āt [Wadi Murabbaat] und Naḥal Ḥever [Nahal Hever]). Bei diesen handelt sich in der Regel um dokumentarische Texte (Verträge, Briefe usw.), die bis in die Zeit des Zweiten Jüdischen Aufstands reichen (u.a. das so genannte Babata-Archiv, welches aufschlussreiche Urkunden über die Rechtsstellung von Frauen liefert sowie Briefe des Aufstandsführers Bar Kochba). Auf Masada wurden dagegen, wie in Qumran, auch literarische Texte entdeckt (z.B. eine Kopie der ansonsten nur aus Qumran bekannten Sabbatopferlieder).

Die Handschriften vom Toten Meer werden gegenwärtig nahezu ausnahmslos im Israel-Museum in Jerusalem aufbewahrt und sind seit dem Jahr 2001 vollständig offiziell ediert. Die Publikation der meisten Qumran-Handschriften erfolgte in der Reihe „Discoveries in the Judaean Desert“ (DJD, insgesamt 40 Bände). Eine Microfiche-Ausgabe sämtlicher Handschriftenphotographien sowie elektronische Ausgaben der Qumrantexte mit Konkordanzfunktionen sind inzwischen allgemein zugänglich (vor allem in Accordance und – mit Photos – DSSEL). Die Monographienreihe „Studies on the Texts of the Desert of Judah“ (StTDJ) sowie inzwischen vier Zeitschriften (Revue de Qumran, Dead Sea Discoveries, Qumran Chronicle und Megillot) dienen der Veröffentlichung der Qumranforschungsergebnisse. Einen guten Überblick über die Gesamtheit der Qumrantexte bietet die deutsche Übersetzung von Johann Maier ebenso die sogenannte „Study Edition“ von García Martínez / Tigchelaar, die wie „Die Texte aus Qumran. Bd. 1-2“ von Lohse / Steudel auch den ursprachlichen Text abdrucken (Letztere bieten eine Auswahl von Qumrantexten mit nachträglicher Vokalisation, Einleitung und Anmerkungen). Ein Hebräisches und Aramäisches Wörterbuch zu den Handschriften vom Toten Meer wird derzeit unter dem Alttestamentler und Leiter der Göttinger Qumranforschungsstelle Reinhard G. Kratz in Göttingen erarbeitet (Akademie der Wissenschaften). Im Unterschied zu diesem rein philologisch orientierten Werk, entsteht von Heinz-Josef Fabry (Bonn) herausgegeben ein Theologisches Wörterbuch zu Qumran.

Die nachfolgend dargestellten Texte gehören zu den bedeutendsten Werken aus den Qumranfunden und repräsentieren die drei oben dargestellten unterschiedlichen Textgruppen. Eine scharfe Abgrenzung dieser drei Gruppen ist nicht immer möglich. In Teilen entspräche eine solche Grenzziehung auch nicht dem Bewusstsein der antiken Verfasser. Besonders umstritten ist derzeit der Unterschied zwischen den biblischen Handschriften und den zur zweiten Gruppe gehörenden „Parabiblical Texts“. Die „Bibel“, also einen Kanon im späteren Sinn, hat es zu der Zeit noch nicht gegeben, wohl aber autoritative Texte. Uneinigkeit besteht in der Forschung auch hinsichtlich der Klassifizierung einiger Texte als „Echte Qumran-Texte“. Obwohl eine Reihe von Kriterien zu deren Bestimmung entwickelt wurde, gelten manche Texte in ihrer Zuordnung als unsicher. Erschwert wird eine eindeutige Zuweisung zur einen oder anderen Kategorie durch das literarische Wachstum, welches die allermeisten dieser Texte durchlaufen haben. Es können also Teile eines Werkes vor-qumranischen Ursprungs sein, andere qumranisch.

Die Begriffe „Qumran-Handschriften / -Texte“, „qumranisch“, „Qumrangemeinde“ usw. sind dabei irreführend und sie werden in der Literatur in unterschiedlicher Weise gebraucht. Heute wird bei der Verwendung dieser Bezeichnungen in der Regel weder eine unmittelbare Abfassung und Herstellung der Handschriften in Qumran notwendigerweise vorausgesetzt, noch die Verfasser-Gruppe der „echten Qumrantexte“ ausschließlich in Qumran verortet. Viele Werke und eine Reihe von Handschriften entstanden vor der Besiedlung von Qumran, deren Beginn die Archäologen inzwischen etwa um das Jahr 100 v. Chr. datieren. Auch waren die Mitglieder des Jachad, der Gemeinschaft, nicht ausschließlich in Qumran ansässig, sondern, wie es die Texte selbst bezeugen, etwa auch in Jerusalem.

Gegenüber der klassischen Auffassung, im so genannten „Lehrer der Gerechtigkeit“, dem historischen Gründer der Gemeinschaft, einen vom → MakkabäerJonatan um die Mitte des 2. Jh.s v. Chr. amtsvertriebenen Hohenpriester zu sehen, wächst zunehmend Skepsis. Allgemein hält man sich mit historischen Identifizierungen heute eher zurück.

Die Qumran-Handschriften noch stärker als bisher oft üblich zunächst grundlegend als materielle und literarische Produkte wahrzunehmen, ist ein Ziel heutiger Qumranforschung (siehe z.B. die Ausrichtung der Qumranforschung in Göttingen und Helsinki). So verspricht eine Anwendung der materiellen Rekonstruktions-Methode („Stegemann-Methode“) Erfolg für das Verständnis nur noch bruchstückhaft erhaltener Texte, sie steht aber noch sehr weitgehend aus. Gleiches gilt für die historisch-kritische Methode. Nicht nur die Textkritik, sondern insbesondere auch die Literarkritik kann gewinnbringend eingesetzt und an Qumrantexten wie der Gemeinderegel oder der Kriegsregel, die in mehreren von einander abweichenden Abschriften überliefert sind, beispielhaft demonstriert werden.

Zur Zitierung. Bei der Zitierung der Qumrantexte (z.B. 4Q394) gibt die erste Zahl an, aus welcher der 11 Höhlen, die nach der Reihenfolge ihrer Entdeckung nummeriert wurden, ein Text stammt. Nach „Q“ für Qumran folgt die Nummer des Fragments oder ein Buchstaben-Kürzel, das den (modernen) Titel eines Textes bezeichnet (z.B. steht H in 1QH für „Hodajot“ = „Loblieder“). Durch hochgestellte Buchstaben (z.B. 1QJesa) werden Varianten desselben Textes unterschieden. Um eine Textstelle genau zu bezeichnen, gibt eine römische Zahl die Kolumne / Spalte und eine arabische Zahl die Zeile an.

2. Bibelhandschriften

In Qumran wurden ca. 200 Abschriften der Bücher des Alten Testaments gefunden (→ Bibeltext). Diese Handschriften sind rund 1000 Jahre älter als die frühesten zuvor bekannten hebräischen Bibel-Manuskripte. Bis auf → Esther und → Nehemia sind Reste sämtlicher Bücher der Hebräischen Bibel in Qumran überliefert. Unter den biblischen Büchern am häufigsten belegt sind in Qumran der → Psalter, das → Deuteronomium und das → Jesajabuch. Scheint es bereits dem Umfang nach einen „Kanon“ autoritativer Texte gegeben zu haben, der im Wesentlichen dem der Hebräischen Bibel entspricht, so ist der genaue Wortlaut der biblischen Bücher noch bis ins 1. Jh. n. Chr. fließend. Neben hebräischen Textfassungen, die dem mittelalterlichen masoretischen Text zugrunde lagen, sind aus Qumran auch solche bekannt, die der griechischen Übersetzung der Bibel (→ Septuaginta) oder der samaritanischen Fassung des Alten Testaments entsprechen, daneben aber auch solche, die bislang gänzlich unbekannt waren.

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Jesaja-Rolle (1QJesa). In Höhle 1 von Qumran wurde eine nahezu komplett erhaltene Abschrift des gesamten biblischen Jesajabuchs entdeckt. Die um 100 v. Chr. angefertigte Schriftrolle besteht aus 17 aneinander genähten Lederbögen. Mit ihren mehr als 7 Metern Länge ist sie die mit Abstand am besten erhaltene Bibelhandschrift aus Qumran. Anders als etwa im Fall des Jeremiabuchs oder des Psalters, war der Text des Jesajabuchs, zur Zeit des Zweiten Tempels bereits weitgehend stabil. Dies zeigt neben Qumran auch die Septuaginta. Text-Korrekturen verschiedener Schreiber, aber auch Alternativ-Lesarten sind zwischen den Zeilen der großen Jesaja-Rolle vermerkt. Möglicherweise handelt es sich bei dieser Schriftrolle um eine Musterhandschrift (Jesaja-Rolle im Internet).

3. Vor-Qumranische Texte

In Qumran sind zahlreiche Handschriften von solchen Texten erhalten, die als → Apokryphen und → Pseudepigraphen bezeichnet werden. Oft sind diese dort sogar in der zuvor unbezeugten Ursprache (z.B. → Tobit, → Henoch, → Jubiläen) überliefert. Auch eine Vielzahl bis dahin unbekannter parabiblischer Texte wurde in Qumran entdeckt, zu den berühmtesten zählen die Tempelrolle und das → Genesis-Apokryphon. Eine sichere Abgrenzung zwischen biblischen und parabiblischen Texten ist nicht immer möglich und lag vermutlich dem Denken der damaligen Zeit fern. Für viele weitere Texte wird ein vor-qumranischer Ursprung angenommen, wie etwa für den „großen Weisheitstext“. Die Datierung lässt sich oft allerdings nicht eindeutig nachweisen. Etliche vor-qumranische Texte werden eine spätere „qumranische“ Rezeption und Überarbeitung erfahren haben, so z.B. das Jubiläenbuch (siehe psJubiläen-Handschriften aus Qumran).

3.1. Tempelrolle (11Q19; 11Q20)

Die Tempelrolle 11Q19 ist mit etwa 9 Metern Länge und 67 fragmentarischen Text-Kolumnen die längste Schriftrolle aus Qumran. Das Werk ist in wenigen weiteren Abschriften bruchstückhaft überliefert. Sein eigentlicher Anfang ist unbekannt. Zunächst enthält es Reste von Passagen zum Sinai-Bund Ex 34, dann Gesetze, die das Heiligtum in der heiligen Stadt und den dortigen Opferkult betreffen. Allgemeinere Gesetze bilden den Schluss, wobei ein förmlicher Abschluss offenbar nie bestanden hat. Die Perspektive der Tempelrolle ist priesterlich. Vom Zentrum der Heiligkeit, dem Allerheiligsten des Tempels, wird – sowohl in räumlichem als auch soziologischem Sinn – über die einzelnen Bereiche des Heiligtums, der Heiligen Stadt hinaus bis an die Grenzen des heiligen Landes geblickt. In der Forschung besteht keine Einigkeit in der Datierung der Entstehung der Tempelrolle. Sie wird entweder als eine Art „Sechstes Buch Mose“ um 400 v. Chr. oder aber als „echter“ Qumrantext ins 2. Jh. v. Chr. verortet. Für eine Datierung des Werkes in vor-qumranische Zeit könnte sprechen, dass die Tempelrolle Gott weitgehend in der 1.Pers. zu Wort kommen lässt (entgegen den entsprechenden Bibelstellen, die hier die 3. Pers. aufweisen). Für eine Datierung in hasmonäische Zeit wird gemeinhin besonders die ausführliche Königsgesetzgebung der Tempelrolle angeführt. Die Schoyen-Sammlung enthält bislang unpublizierte Fragmente aus Kolumne II und III der Tempelrolle.

3.2. Weisheitstext / „Instruction“

Der umfangreichste Weisheitstext aus Qumran, genannt „Instruction“, ist in mehreren Kopien aus Höhle 1Q und 4Q erhalten. Aufgrund seines allgemeinen weisheitlichen Charakters ist eine Datierung nur schwer möglich. Die Frage, ob es sich hierbei um einen echten Qumran-Text oder aber, vielleicht wahrscheinlicher, um eine Komposition einer Vorgänger-Gruppe gehandelt hat, ist bislang ungeklärt. Die Weisungen, welche in diesem Werk dem „Verständigen“ erteilt werden, sind durch den Beginn des Werkes in einen kosmologischen und eschatologischen Zusammenhang gestellt. Sie verhandeln das rechte Verhalten in Belangen wie Geld und Besitz sowie sozialen und familiären Beziehungen. Dabei wird denen, die sich nicht an die Weisungen halten die Vernichtung in Aussicht gestellt, den Gerechten aber eine engelgleiche Existenz. Anders als in vergleichbaren Weisheitstexten wird an einer Stelle eine Frau direkt angesprochen, und zwar im Kontext der Ehrung ihres Schwiegervaters und eines ehrbaren Verhaltens gegenüber ihrem Ehemann.

4. „Echte Qumrantexte“

Aufgrund einer Reihe miteinander zu kombinierender Kriterien (z.B. spezifische Terminologie, Halacha und Gattungen, Distanz zum Tempel, kosmisch-ethischer Dualismus, 364-Tage Kalender) lassen sich einige Texte auf eine spezifische Gruppe des antiken Judentums, möglicherweise die Essener, zurückführen. Da wahrscheinlich mit Recht von vielen Forschern eine Verbindung dieser Texte zur bei den Höhlen gelegenen Siedlung Chirbet Qumrān gesehen wird, werden diese Texte als „echte“ Qumrantexte bezeichnet. Die Werke sind allerdings nicht alle in Qumran verfasst worden, sondern stammen von Mitgliedern der Gruppe, die auch außerhalb Qumrans, zumindest wohl in Judäa, verbreitet war. Zu den „echten“ Qumrantexten sind Gemeindeordnungen, besonders die Gemeinderegel und die Damaskusschrift, sowie exegetische Werke zu zählen. Neben den sogenannten Thematischen Midraschim (→ Midrasch) hat sich eine nur in Qumran bezeugte exegetische Gattung, nämlich die sogenannten Pescharim, Vers-fürVers-Kommentare zu biblischen Prophetenbüchern, entwickelt. Ein „Brief“ (MMT) aus Qumran wird häufig auf den Gründer der Gruppe, den „Lehrer der Gerechtigkeit“, zurückgeführt, von dessen Schicksal vermutlich auch bestimmte autobiographische Loblieder der Hodajot, Passagen der Damaskusschrift und der Pescharim zeugen.

4.1. Gemeinderegel (1QSa = 1Q28a)

Die Gemeinderegel ist ein besonders aus der gut erhaltenen Handschrift in Höhle 1Q bekanntes Werk, welches in verschiedenen Abschriften und Überarbeitungen vorliegt. Ein literarisches Wachstum ist deutlich zu erkennen. Der ursprüngliche Kern des Werkes bestand in einer eigentlichen Gemeindeordnung, der später – neben Erweiterungen z.B. um ein Zitat und Auslegung von Jes 40,3 – ein Psalm hinzugefügt und ein ausführlicher Abschnitt über das Bundeserneuerungsfest der Gemeinschaft sowie die sogenannte „Zwei-Geister-Lehre“ vorangestellt wurde. Diese streng dualistische „Zwei-Geister-Lehre“ bildet das theologische Herzstück des Werkes. Sie vertritt einen rigorosen Determinismus, wonach Gott Gut und Böse in der Welt geschaffen und jegliches Walten dieser Mächte in der Geschichte und im Herzen der Menschen bis zum göttlichen Endgericht vorherbestimmt hat. In der Forschung wird für die „Zwei-Geister-Lehre“, die in sich kein literarisch einheitliches Stück darstellt, traditionell häufig persischer Einfluss angenommen.

4.2. Damaskusschrift (CD)

Dieses Werk war vor seiner Entdeckung in Qumran in Teilen bereits durch Schechters Funde in der Kairoer Genisa bekannt (CD). Es handelt sich um eine umfangreich, allerdings fragmentarisch überlieferte Gemeindeordnung, die aus einem in sich uneinheitlichen Corpus von Regeln bestand, die in einem späteren Stadium zu Beginn des Textes um vier Mahnreden erweitert wurden. Nicht zuletzt aufgrund des Alters der Handschriften aus Höhle 4Q dürfte sie spätestens gegen Ende des 2. Jh.s v. Chr. entstanden sein. Das genaue Verhältnis der Damaskusschrift zur Gemeinderegel, aber auch z.B. zur Tempelrolle und zu MMT, ist bislang unbekannt. Möglich ist, dass es sich hierbei um eine Ordnung handelt, die die Gemeinderegel in ihrer Gültigkeit ablöste. In der Forschung wird auch in Erwägung gezogen, dass die Damaskusschrift für einen anderen Zweig der Gruppe bestimmt war. Im Gegensatz zur Gemeinderegel werden hier Frauen und Kinder erwähnt. Im paränetischen Rahmen des Werks wird die Verfassergruppe innerhalb der Geschichte Israels verortet. Die gesetzlichen Passagen der Damaskusschrift, die z.B. eine ausführliche Sammlung von Sabbatvorschriften und von agrarischen Bestimmungen enthalten, können als eine Art Proto-Mischna bezeichnet werden.

4.3. Kriegsregel (1QM)

In Höhle 1 von Qumran wurde eine Rolle gefunden, die in 19 Text-Kolumnen den endzeitlichen Krieg der Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis schildert. Das Ende dieses apokalyptischen Werkes ist verloren. Über das tatsächliche Alter der Kriegsregel gibt es in der Forschung derzeit kein Einvernehmen. Die Datierungen schwanken zwischen der 1. Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. und der 2. Hälfte des 1. Jh.s v. Chr. Die fragmentarischen Kriegsregel-Handschriften aus Höhle 4Q zeigen deutlich, dass es verschiedene Überarbeitungen dieser Regel gegeben hat. Auch die Rolle aus Höhle 1Q repräsentiert kein literarisch einheitliches Werk. In überwiegend biblischen Wendungen werden Motive des heiligen Kriegs aufgenommen. Aufstellung, Ausrüstung und Kampfweise der Truppen werden recht genau beschrieben. Dennoch handelt es sich bei dieser Regel weniger um ein Handbuch zur Kriegsführung, als um eine Liturgie. Der in der Kriegsregel, bereichert um Hymnen, geschilderte irdische Kampf findet seine Entsprechung in der himmlischen Welt. Dort kämpfen Michael und seine Engel gegen das Heer Belials, den himmlischen Anführer des Bösen. Ein Fragment einer 4Q-Handschrift der Kriegsregel (4Q491 Frg. 11 i) überliefert einen innerhalb der übrigen jüdischen Literatur beispiellosen Hymnus eines höchst erhabenen „Ich“, welches schon zu Lebzeiten seinen Platz bei Gott im Himmel hat. Eine andere Version dieses Hymnus ist in den Hodajot erhalten und lässt vermuten, dass es sich bei diesem „Ich“ auch in der Kriegsregel um das fromme Israel handelt.

4.4. Midrasch zur Eschatologie (4QMidrEschat a.b)

Der Midrasch zur Eschatologie ist ein wahrscheinlich in mindestens zwei Kopien fragmentarisch erhaltenes Werk aus der 1. Hälfte des 1. Jh.s v. Chr. Es reflektiert und verarbeitet unter Zuhilfenahme biblischer Texte die enttäuschte Naherwartung des göttlichen Gerichts durch die Gemeinschaft. Diese sieht sich als in der letzten, bösen Phase der Geschichte lebend, deren Ende und damit die Wende zum Heil für die Frommen als unmittelbar bevorstehend berechnet worden war. In einem ersten einleitenden Teil werden die Stammessegnungen aus Dtn 33 ausgelegt. Ein zweiter einleitender midraschartig vor allem unter Zuhilfenahme von 2Sam 7 komponierter Abschnitt handelt unter Heilsaspekten vom Tempel, der gegenwärtig durch die Frommen im „Menschentempel“ konstituiert ist. Der Hauptteil des Werkes orientiert sich an einer Auswahl von Versen des davidischen Psalters, die auf die bedrückte Situation der Gemeinschaft hin gedeutet werden.

4.5. Pescher Habakuk (Habakuk-Kommentar; 1QpHab)

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Möglicherweise als Letzter in einer langen Reihe von „Kommentaren“ (Pescharim) zu alttestamentlichen Prophetenbüchern ist der Habakuk-Kommentar entstanden. Die Herrschaft der Römer im Land, die unter der Chiffre „Kittäer“ im Werk erscheinen, wird bereits vorausgesetzt. Das Werk datiert in seiner jetzigen Form in die zweite Hälfte des 1. Jh.s v. Chr. Brüche im Textverlauf insbesondere innerhalb von Kol. II und XII des Werkes lassen ein literarisches Wachstum des Werkes, zumindest Eingriffe in dessen Text, als nicht ausgeschlossen erscheinen. In einer Vers-für-Vers-Auslegung der ersten beiden Kapitel des biblischen Habakukbuchs finden sich aufschlussreiche Passagen über das Schriftverständnis der Gemeinschaft und über Ereignisse aus deren Geschichte sowie über den „Lehrer der Gerechtigkeit“ und dessen Gegenspieler, den „Lügenmann“ und den „Frevelpriester“. In der Forschung wird der „Lügenmann“ häufig auf den namentlich nicht bekannten Begründer der Pharisäer hin interpretiert und der „Frevelpriester“ mit dem in der Mitte des 2. Jh.s v. Chr. herrschenden Makkabäer → Jonatan identifiziert.

4.6. Der sog. „Lehrerbrief“ (MMT; 4QMMT; 4Q394-399)

Dieses in mehreren fragmentarischen Kopien in Qumran erhaltene Werk (MMT = mqṣt m‘śh htwrh „Einiges vom Tun der Werke der Thora“) ist ein mit Autorität abgefasstes Schreiben an einen hohen Repräsentanten des Volkes Israel. Angenommen wird häufig, dass es sich hierbei um einen Brief des Gründers der Qumrangemeinschaft, dem sogenannten „Lehrer der Gerechtigkeit“, an den damals amtierenden Hohenpriester Jonatan (um 150 v. Chr.) handelt. Anlass zu dieser Annahme ist eine Passage aus dem Psalmen-Kommentar 4QpPsa (= 4Q171). Sicher ist diese Identifizierung von Verfasser und Empfänger allerdings nicht, beide bleiben im Schreiben, so weit erhalten, ungenannt. Zudem gibt es Unterschiede in der handschriftlichen Überlieferung. Falls der Beginn von MMT nicht in der Handschrift 4Q448 erhalten sein sollte, wäre der eigentliche Anfang des Werkes unbekannt. Sehr geringe Reste vom Schluss des ersten sicher erhaltenen Teils (MMT A) handeln von Kalenderfragen. Ein zweiter Teil (MMT B) diskutiert in Auseinandersetzung mit der kritisierten Position des Adressatenkreises einzelne gesetzliche Bestimmungen („ihr sagt … wir aber meinen“). Diese beziehen sich überwiegend auf den Jerusalemer Tempelkult. Die verwendeten Zitate sind trotz expliziter Einleitung in der Regel eher sinngemäße Wiedergaben der Schrift. Ein paränetischer Schluss ruft den Adressaten unter Bezugnahme auf biblische Texte in die Verantwortung.

4.7. Hodajot (Loblieder; 1QH)

Bei den Hodajot handelt es sich um eine recht gut erhaltene Sammlung von Lob- oder Preis-Liedern. Traditionell unterscheidet man bei den einzelnen Hymnen zwischen sog. „Lehrerliedern“ und „Gemeindeliedern“. Als Entstehungszeit wird die 2. Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. angenommen. Mehrere Kopien dieses Werkes sind in Höhle 1 und Höhle 4 von Qumran erhalten. Der Umfang der Sammlung kann in den einzelnen Handschriften variieren. Von besonderer Bedeutung ist die große Hodajot-Handschrift aus Höhle 1Q. Sie enthielt ursprünglich etwa 35 Hymnen, von denen etliche mit „Ich preise dich, o Herr“ beginnen. Die „Lehrer-Lieder“ aus dem Mittelteil dieses Manuskripts spiegeln, so die gängige Forschungsmeinung, das persönliche Schicksal ihres Verfassers, dem vermeintlichen Gründer der Gemeinschaft („Lehrer der Gerechtigkeit“), und preisen Gott für seine Treue in allen Widerfahrnissen. Häufig wird in der Forschung der Inhalt dieser Lieder in Kombination mit den Pescharim und der Damaskusschrift zur Rekonstruktion des historischen Bildes vom „Lehrer der Gerechtigkeit“ und der Entstehung seiner Gemeinschaft genutzt. Das Fehlen des Begriffs „Lehrer der Gerechtigkeit“ in den Hodajot sowie Unterschiede in seiner Charakterisierung in den unterschiedlichen Werken mahnt, trotz mancher Gemeinsamkeiten, allerdings zur Zurückhaltung gegenüber einer historischen Identifizierung des Beters der „Lehrerlieder“. Die Gemeindelieder besingen Gottes Gnade und Barmherzigkeit. Sie zeugen eindrücklich von der Frömmigkeit der Trägergruppe und geben Einblick in deren Gottes-, Menschen- und Weltbild.

Literaturverzeichnis

1. Ausgaben

Offizielle Publikationsreihe

  • Discoveries in the Judaean Desert (DJD), Oxford 1955-2008

  • Burrows, M., The Dead Sea Scrolls of the St. Mark’s Monastery, Vol. I-II, New Haven 1950/1951 (Erstedition der Jesaja-Rolle, des Habakuk-Kommentars und der Gemeinderegel)
  • Broshi, M., The Damascus Document Reconsidered, Jerusalem 1992
  • Horgan, M., Pesharim: Qumran Interpretations of Biblical Books, Washington D.C. 1979
  • Milik, J.T., The Books of Enoch. Aramaic Fragments of Qumrân Cave 4, Oxford 1976
  • Schechter, S., Fragments of a Zadokite Work, Documents of Jewish Sectaries I, Cambridge 1910 (Erstedition der Cairoer Damaskusschrift, CD),
  • Sukenik, E.L., The Dead Sea Scrolls of the Hebrew University, Jerusalem 1954 (Erstedition der Hodajot und der Kriegsregel)
  • Yadin, Y., The Temple Scroll, Vol. 1-3, Jerusalem 1983

  • Charlesworth, J. (Hg.), Dead Sea Scrolls. Hebrew, Aramaic, and Greek Texts with English Translations, Tübingen

2. Übersetzungen

  • García Martínez, F. / Tigchelaar, E., The Dead Sea Scrolls Study Edition, 2 Bd., Leiden u.a. 1997/1998ff
  • Lohse, E., Die Texte aus Qumran. Hebräisch und Deutsch, Darmstadt 2. Aufl. 1972ff
  • Maier, J., Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, Bd. I-III, München 1995/1996
  • Steudel, A., Die Texte aus Qumran, Bd. 2. Hebräisch / Aramäisch und Deutsch, Darmstadt 2001

3. Weitere Literatur

Allgemeine Einführungen

  • Stegemann, H., Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus, Freiburg u.a. 7. Aufl. 1998
  • VanderKam, J.C., Einführung in die Qumranforschung, Göttingen 1998
  • Lange, A., Handbuch der Textfunde vom Toten Meer, Bd. 1, Die Handschriften biblischer Bücher von Qumran und anderen Fundorten, Tübingen 2009

  • Companion to the Qumran Scrolls, London / New York

  • Studies on the Texts of the Desert of Juda (StTDJ), Leiden u.a 1957ff

  • Dead Sea Discoveries, Leiden u.a.
  • Megillot, Jerusalem
  • Qumran Chronicle, Krakau
  • Revue de Qumrân, Paris

Abbildungsverzeichnis

  • Karte zur Lage von Chirbet Qumrān. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Eine der Höhlen bei Chirbet Qumrān. © United Bible Societies
  • Der „Schrein des Buches“, in dem im Israel-Museum Qumranhandschriften ausgestellt werden. Die Form entspricht den Deckeln der Krüge, in denen Qumran-Rollen gefunden wurden. © Katholisches Bibelwerk, Linz
  • Die Jesaja-Rolle aus Qumran (1QJesa). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Der Habakuk-Kommentar aus Qumran. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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