
»Traduttore traditore«, sagt der Italiener: Wer einen Text in eine andere Sprache übersetzt, der übt an ihm Verrat, auch wenn er sich noch so viel Mühe damit gibt. Das mag für technische und wissenschaftliche Texte oder reine Gebrauchsanweisungen übertrieben erscheinen; aber z. B. für Werke der Dichtkunst trifft es in hohem Grade zu. Homers Epen oder Shakespeares Dramen sind nur annäherungsweise und unter Verlust an sprachlicher und dichterischer Substanz in eine andere, etwa unsere deutsche Sprache zu übertragen.
Gilt das auch für die Bibel? Sie ist kein Werk der Kunst, sondern das Medium einer Botschaft, die alle Menschen angeht. Aber diese Botschaft ist nicht ein zeitloses Wort, auf eine abstrakte Formel gebracht, die sich problemlos aus der Ursprache in beliebige andere Sprachen umsetzen (»konvertieren«) ließe. Die Botschaft erging ursprünglich an Menschen einer uns fern gerückten Zeit und Welt, und die Sprache, in der dies geschah, ist geprägt durch Lebensverhältnisse und Lebenserfahrungen, die in vieler Hinsicht nicht mehr die unsrigen sind. Wer die Bibel übersetzen – und in einer Übersetzung lesen – will, muss sich deshalb auf Sprachformen und Denkweisen einlassen, die uns fremd sind. Der historische, soziale und kulturelle Abstand zwischen der biblischen Welt und unserer Gegenwart macht das Übersetzen der Bibel zu einem Wagnis und einer stets neuen Herausforderung.