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„Dem Volk aufs Maul sehen“

Martin Luther war nicht der Erste, der eine deutsche Bibelübersetzung anfertigte. Doch im Unterschied zu Übersetzern vor ihm orientierte er sich an den hebräischen und griechischen Ausgangstexten. Und vor allem: Er wollte „dem Volk auf das Maul sehen“ und so übersetzen, dass es die „Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, der gemeine Mann auf dem Markt“ verstehen.

Der „Sendbrief vom Dolmetschen“ (1530)

Der Ausdruck „dem Volk aufs Maul sehen“ stammt aus einem offenen Brief Martin Luthers aus dem Jahr 1530, der den Titel „Sendbrief vom Dolmetschen“ trägt. Darin verteidigte Luther seine Bibelübersetzung – nicht ohne Polemik – gegenüber verschiedenen Vorwürfen. Kritisiert wurde vor allem Luthers Übersetzung von Röm 3,28: „allein durch den Glauben“, denn für das Wort „allein“ gibt es keine wörtliche Entsprechung im griechischen bzw. lateinischen Text. Luther zeigt im Sendbrief, dass das „allein“ in der deutschen Übersetzung sprachlich notwendig ist und darüber hinaus auch im Einklang mit der Theologie des Apostels Paulus steht. Im Folgenden seien Auszüge aus dem „Sendbrief vom Dolmetschen“ zitiert, die einen guten Einblick in Luthers Übersetzungsarbeit bieten:

„[…] Ich hab mich bemüht beim Dolmetschen, dass ich reines und klares Deutsch geben möchte. Und es ist uns sehr oft begegnet, dass wir vierzehn Tage, drei, vier Wochen ein einziges Wort gesucht und erfragt haben, und haben’s dennoch zuweilen nicht gefunden. Im Hiob arbeiteten wir so – Magister Philipp [Melanchthon], [Matthäus] Aurogallus und ich –, dass wir in vier Tagen zuweilen kaum drei Zeilen fertigstellen konnten. Mein Lieber, nun, da es verdeutscht und bereitet ist, kann’s ein jeder lesen und schulmeistern. […]

Ich habe hier in Röm 3 recht wohl gewusst, dass im lateinischen und griechischen Text das Wort ‚solum‚ nicht steht, und die Papisten hätten mich solches nicht belehren brauchen. Wahr ist’s: Diese vier Buchstaben ‚sola‘ stehen nicht drinnen: die Buchstaben, die die Eselsköpfe ansehen wie die Kühe ein neues Tor. Sie sehen aber nicht, dass gleichwohl der Sinn des Textes das ‚sola‘ in sich hat. Und will man klar und mächtig verdeutschen, so gehört es hinein [...]. Das ist die Art unsrer deutschen Sprache, wenn sie von zwei Dingen redet, von denen man eines bekennt und das andere verneint, so braucht man das Wort ‚solum‘ (allein) neben dem Wort ‚nicht‘ oder ‚kein‘. Wie, wenn man sagt: ‚Der Bauer bringt allein Korn und kein Geld. Nein, ich hab wahrlich jetzt nicht Geld, sondern allein Korn. Ich hab allein gegessen und noch nicht getrunken. Hast du allein geschrieben und nicht gelesen?‘ Und dergleichen gibt es unzählige Redensarten im täglichen Gebrauch. […] Man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man Deutsch reden soll, wie diese Esel es tun, sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt danach fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen. So verstehen sie es und merken, dass man deutsch mit ihnen redet. […]

Doch hab ich die Buchstaben wiederum nicht allzu frei fahren lassen. […] Ich habe eher der deutschen Sprache Abbruch tun wollen, als von dem Wort zu weichen. Ach, es ist das Dolmetschen nicht eines jeglichen Kunst, wie die törichten Heiligen meinen. Es gehört dazu ein rechtes, frommes, treues, fleißiges, furchtsames, christliches, gelehrtes, erfahrenes, geübtes Herz. […]

Aber nun habe ich nicht allein der Art der Sprachen vertraut und bin ihr gefolgt, dass ich in Röm 3 ‚solum‘ (allein) hinzugesetzt habe, sondern der Text und die Absicht des heiligen Paulus fordern und erzwingen’s mit Gewalt; denn er behandelt ja daselbst das Hauptstück christlicher Lehre, nämlich, dass wir durch den Glauben an Christus ohne alle Werke des Gesetzes gerecht werden; und er schneidet alle Werke so rein ab, dass er auch spricht: die Werke des Gesetzes […] helfen nicht zur Gerechtigkeit. Und er setzt Abraham zum Exempel, dass derselbige so ganz ohne Werke gerecht geworden sei, dass auch […] die Beschneidung ihm nicht geholfen habe zur Gerechtigkeit, sondern er sei ohne die Beschneidung und ohne alle Werk gerecht worden durch den Glauben. […] Wer deutlich und tapfer von solchem Abschneiden der Werke reden will, der muss sagen: Allein der Glaube und nicht die Werke machen uns gerecht. Das erzwinget die Sache selbst, neben der Art der Sprache. […] Mich wundert aber, dass man sich in dieser offensichtlichen Sache so sperren kann. Sage mir doch, ob Christus’ Tod und Auferstehen unser Werk sei, das wir tun, oder nicht? Es ist ja nicht unser Werk, noch das Werk eines Gesetzes. Es macht uns ja allein Christus’ Tod und Auferstehen frei von Sünden und fromm, wie Paulus in Röm 4 sagt: ‚Er ist gestorben um unsrer Sünde willen und auferstanden um unsrer Gerechtigkeit willen. ‘ […] Und wer Paulus lesen und verstehen will, der muss es so sagen und kann nicht anders. Seine Worte sind zu stark und ertragen kein, ja gar kein Werk. Ist’s kein Werk, so muss es der Glaube allein sein. Oh, was wäre das für eine feine, nützliche, unanstößige Lehre, wenn die Leute lernen würden, dass sie neben dem Glauben auch durch Werke fromm werden könnten! Das wäre so viel gesagt wie, dass nicht allein Christi Tod unsere Sünde wegnehme, sondern dass auch unsere Werke etwas dazu täten. Das hieße Christi Tod ‚fein‘ geehrt, dass unsere Werke ihm helfen und dasselbe auch tun könnten, was er tut, auf dass wir ihm gleich gut und stark wären! […]“

(Der Text wurde behutsam an die aktuelle Orthografie angepasst. Der vollständige Text vom „Sendbrief vom Dolmetschen“ findet sich z. B. in der Weimarer Ausgabe 30/2, 632-646)

„Sendbrief vom Dolmetschen“ weiterlesen

Mit der Wendung „dem Volk aufs Maul sehen“ wendet sich Luther also gegen eine falsch verstandene Wortwörtlichkeit beim Übersetzen. Ihm ging es darum, gutes Deutsch zu sprechen. Statt fremde Sprachformen ungelenk nachzubilden, wollte Luther den natürlichen deutschen Ausdruck nutzen. Denn jede Sprache und jede Kultur hat seine eigenen Formulierungen, die sich nicht einfach wörtlich in eine andere Sprache übersetzen lassen. Zum Übersetzen gehört mehr, als nur die Vokabeln zu kennen und dann Wort für Wort zu übertragen. Wer Texte übersetzt, muss die Ausgangssprache beherrschen, muss den ursprünglichen Sinn verstehen, muss dabei im Blick behalten, wie die Menschen sprechen, für die er übersetzt, und muss in dieser Sprache Möglichkeiten finden, den Sinn treffend auszudrücken.


Kein Gassenjargon und keine Nachlässigkeit beim Übersetzen

Dass Luther als Bibelübersetzer die Möglichkeiten der deutschen Sprache ausschöpfte wie keiner vor ihm, hat zu dem durchschlagenden Erfolg seiner Bibel geführt. Er hat dabei auch manche volkstümliche oder sprichwörtliche Wendung aufgenommen, aber er hat nicht „dem Volk nach dem Maul geredet“. Kraftausdrücke und Gassenjargon hat Luther aus seiner Bibel bewusst ferngehalten, so gern er sich ihrer in seinen Streitschriften bedient hat (vgl. die Rede von den „Eselsköpfen“ im Zitat oben).

Das lässt sich mit Beispielen belegen. An der Stelle, wo Saul in die Höhle geht, um seine Notdurft zu verrichten (1. Samuel 24,4), schrieb Luther zuerst in sein Manuskript: „Und Saul ging hinein, zu scheißen“. Aber im Druck heißt es dann: „seine Füße zu decken“, und dazu die Randbemerkung: „So züchtig ist die Heilige Schrift“. Und an der Stelle, wo Saul von einem bösen Geist geplagt wird (1. Samuel 16,14), verkneift Luther es sich, die nahe liegende Redensart zu gebrauchen: „Er wurde vom Teufel geritten“, so treffendes Deutsch das auch sein mochte.

Auch wenn Luther darauf bedacht war, die Bibeltexte ihrem Sinn nach zu übersetzen, so war das für ihn kein Freibrief zur Nachlässigkeit. Wo nötig, lernte er von Fachleuten am Objekt sogar die präzisen Bezeichnungen für Edelsteine oder ließ sich die einzelnen Teile eines Tieres zeigen und benennen. Schwierige Aussagen hat er also nicht „heruntergebrochen“, dass es jeder versteht. Das ist gemeint, wenn es im Sendbrief heißt: „Ich habe eher der deutschen Sprache Abbruch tun wollen, als von dem Wort zu weichen.“


Beispiele für Luthers Übersetzungsarbeit

Im folgenden Abschnitt sind einige markante Beispiele für Luthers fortwährende Übersetzungsarbeit angeführt. Nicht immer hat Luther in der ersten Fassung eine überzeugende Wiedergabe gefunden. Bis an sein Lebensende hat er im Einzelnen Verbesserungen seiner Übersetzung vorgenommen. An solchen Verbesserungen lässt sich besonders gut ablesen, worauf es Luther bei seiner Übersetzung ankam, nämlich rein und klar Deutsch zu reden.

1. Beispiel: Psalm 90,12  

Handschriftliche Fassung 1524:
Dass wir unser Tage zählen,
so tu uns kund;
so wollen wir kommen
mit weisem Herzen.

Erste Druckfassung 1524:
Lass uns wissen die Zahl unser Tage,
dass wir eingehen mit weisem Herzen.

Revidierte Fassung ab 1531:
Lehre uns bedenken,
dass wir sterben müssen,
auf dass wir klug werden.

Die erste Fassung ist noch sehr wörtlich, die Fassung von 1531 ist schon recht frei übersetzt. Man kann hier sehen, wie Luther nicht nur um die treffende deutsche Formulierung, sondern zugleich um die Erfassung des Textsinnes ringt. Beides geht bei ihm häufig Hand in Hand.


2. Beispiel: Psalm 63,6

Erste Druckfassung 1524:
Lass meine Seele voll werden
wie mit Schmalz und Fettem,
dass mein Mund mit fröhlichen
Lippen rühme.

Revidierte Fassung ab 1531 (1964):
Das wäre (ist) meines Herzens Freude
und Wonne,
wenn ich dich mit fröhlichem
Munde loben sollte (kann).

Luther selbst begründet die Änderung in den „Summarien über die Psalmen“: „Weil solchs (d. h. die erste Fassung) kein Deutscher versteht, haben wir lassen fahren die hebräischen Wort’ (Schmalz und Fett, womit sie Freude bezeichnen, gleichwie ein gesund, fett Tier fröhlich und wiederum ein fröhlich Tier fett wird, ein traurig Tier abnimmt und mager wird und ein mager Tier traurig ist) und haben klar Deutsch gegeben.“


3. Beispiel: Psalm 23,1-3
An dem Beispiel aus Psalm 23 soll nicht nur Luthers Suche nach der besten deutschen Fassung illustriert werden, sondern auch der Abstand zwischen der vorlutherischen Fassung der Mentelin-Bibel und den verschiedenen Stufen von Luthers Übersetzung bis hin zu der klassisch einfachen, vollendeten Form, die den meisten evangelischen Christen wohlvertraut ist.

Mentelin-Bibel 1466, übersetzt aus dem Lateinischen der Vulgata:
Der Herr, der richt’ mich,
und mir gebrast (= mangelt) nicht,
und an der Statt der Weide
da setzt er mich.
Er führte mich ob dem Wasser
der Wiederbringung,
er bekehrt’ mein Seel.
Er führt mich aus auf die Steig
der Gerechtigkeit
um seinen Namen.

Luthers Handschrift:
Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er lässt mich weiden
in der Wohnung des Grases
und nähret mich am Wasser guter Ruhe.
Er kehret wieder meine Seele,
er führet mich auf rechtem Pfad
um seins Namens willen.

Erstdruck der Psalmen 1524:
Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er lässt mich weiden, da viel Gras steht,
und führet mich zum Wasser,
das mich erkühlet.
Er erquicket meine Seele,
er führet mich auf rechter Straße
um seins Namens willen.

Psalmenrevision 1531:
Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Auen
und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele,
er führet mich auf rechter Straße
um seines Namens willen.

Beispiele für Luthers Übersetzungsarbeit


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