Deutsche Bibelgesellschaft

Epheser 1,3-14 | Trinitatis | 26.05.2024

Einführung in den Epheserbrief

Die aktuellen Fragen, die in der Exegese des Epheserbriefs behandelt werden, drehen sich vor allem das Verhältnis von Ekklesiologie und Christologie sowie um die Vorstellungen zur Eschatologie.

1. Verfasser

In der Exegese herrscht große Einigkeit darüber, dass der Epheserbrief nicht von Paulus verfasst wurde. Dagegen sprechen die von den authentischen Paulusbriefen abweichende eigene Sprachgestalt (z.B. die Vorliebe für überlange Sätze) sowie theologische Weiterentwicklungen, besonders in Christologie und Kosmologie (z.B. Christus, der das All zusammenfasst Eph 1,10), Soteriologie (Gott hat uns mit auferweckt und eingesetzt im Himmel in Christus 2,6), Ekklesiologie (die über die einzelne Gemeinde hinaus wachsende Kirche als Leib mit Christus als Haupt, 1,22) und die Bedeutung der apostolischen Tradition, die die Existenz der Kirche garantiert (2,20). Hinzu kommt die weitgehende Abhängigkeit des Eph vom (früheren) Kolosserbrief, bis hin zu wörtlichen Übernahmen. Der namentlich unbekannte Verfasser des Eph fühlt sich der paulinischen Tradition verpflichtet (z.B. 2,8) und will sie in seiner eigenen Zeit, vermutlich zwischen 80 und 90 n. Chr., und unter anderen Umständen erneut zur Sprache bringen. Auch der Aufbau des Briefes entspricht im Wesentlichen den authentischen Paulusbriefen, vor allem mit der Aufteilung in einen eher grundlegend-lehrhaften und einen daraus Konsequenzen ziehenden paränetischen Hauptteil. Ungewöhnlich ist aber das Nebeneinander einer ausführlichen Eulogie und Danksagung im Eingangsteil (1,3-14. 15-23) und das Fehlen von Grüßen am Schluss.

2. Adressaten

Der Eph ist nach 1,1 und der Briefüberschrift ein Schreiben an die Christen in Ephesus. Allerdings fehlt die Ortsangabe in 1,1 in den ältesten Handschriften, und es finden sich keinerlei nähere Angaben zu den Adressaten; persönliche Notizen oder Grüße fehlen, die Mahnungen bleiben allgemein. Konkrete Probleme, die die Abfassung erklären könnten, werden nicht angesprochen. Nach 1,15; 3,2f.; 4,21 scheinen sich Verfasser und Adressaten nicht einmal persönlich zu kennen. Dass die Empfänger in Ephesus beheimatet seien, geht aus dem Text nirgends hervor. Der Eph ist deshalb vielfach als Traktat, theologische Abhandlung oder auch als „Rundschreiben“ bezeichnet worden. Diese Auffassung hat wegen der Allgemeinheit des Schreibens viel für sich. Ein „situationsloses Schreiben“ ist Eph dennoch nicht, auch wenn wir seine Situation nicht mehr im Detail rekonstruieren können. Offensichtlich hat sich der Verfasser aber veranlasst gesehen, grundlegende Gedanken über die christliche Existenz und die Kirche aufzuschreiben und dabei besonders die Einheit der Kirche hervorzuheben. Die frühe Verbreitung des Schreibens im westlichen Kleinasien spricht dafür, dass die Adressaten hier zu suchen sind. Von daher lag die Provinzhauptstadt Ephesus als zugeschriebene Adresse nahe, nicht zuletzt  deshalb, weil Paulus selbst sich längere Zeit in der Stadt aufgehalten hatte.

3. Entstehungsort

Was für die Adressaten gilt, gilt auch für den Entstehungsort des Schreibens. Das westliche Kleinasien ist ein Entwicklungszentrum des frühen Christentums, wie z.B. die in Offb 2f. genannten Städte (darunter auch Ephesus) belegen. Vermutlich ist das Schreiben in diesem Umkreis entstanden. Dass der Verfasser den Kol gekannt, geschätzt und verwendet hat, unterstreicht dies (Kolossä lag etwa 170 km östlich von Ephesus).

4. Wichtige Themen

Theologie, Christologie, Kosmologie und Ekklesiologie sind wichtige Themen des Eph - und sie sind eng miteinander verbunden. Der Kosmos besteht aus zwei Räumen, Erde (4,9) und Himmel (1,3.10; 2,6). Im himmlischen Bereich befinden sich die Engel, die Äonen, die Mächte und Gewalten (1,21; 2,7), zum Bereich der Erde gehört alles Vorfindliche, hier hat der Äon dieser Welt seinen Ort (2,2), und der Weltherrscher regiert (6,12). In Christus und durch ihn ist aber alles, was im Himmel und auf Erden ist, „zusammengefasst“, (1,10), und es gibt nichts mehr, was Christus nicht unterworfen wäre (1,23). Dies gilt nicht zuletzt für Juden und Heiden, die durch einen „Zaun“ getrennt waren (2,14). Aber auch dieser Zaun ist durch Christus aufgehoben, Gemeinschaft und Einheit sind möglich geworden. In der Kirche wird dies erkannt und geglaubt. Insofern ist sie Christi Leib, Christus ist in ihr gegenwärtig, sie repräsentiert die „Fülle Christi“. Deshalb kann auch, was vor Christus Juden und Heiden voneinander schied, nicht mehr trennen (2,11-13). Durch Christus, durch sein Blut gehören beide gleichermaßen zum „Leib Christi“ und haben Zugang zum himmlischen Bereich (2,6.18); dies aber nicht im Gegensatz zur Welt, sondern im Blick auf die Welt und mit der Aufgabe, allen Menschen und kosmischen Mächten das Geheimnis Gottes zu verkündigen und vorzuleben (3,10; im Blick auf den Apostel 6,19f.).

Dies wird mit Hilfe verschiedener Bilder zum Ausdruck gebracht. Neben der Kirche als „Leib Christi“ wird sie auch als „Bauwerk“, in dem die Christen Wohnrecht haben, und als  „Tempel“ bezeichnet (2,19-22). Das Bauwerk ist jetzt schon existent (2,19f.), aber es wird auch noch daran gebaut, damit alle zur Erkenntnis des Sohnes Gottes kommen (4,11ff.). Im Rahmen der Haustafel wird das Verhältnis von Mann und Frau auf Christus und die Kirche gedeutet (5,25-32). Die verschiedenen Bilder zeigen, dass die Kirche nicht mit Sachstandsbeschreibungen zu erfassen ist, sondern als geglaubte Größe weit über ihre sichtbare Existenz hinaus reicht. Der Verfasser des Eph ist damit der erste christliche Theologe, der explizit eine Vorstellung von dem Phänomen Kirche entwickelt. Umstritten ist, ob der Eph damit die theologische Konzeption einer Universalkirche entwirft oder sich nach wie vor auf die Versammlung der Glaubenden bezieht, sodass die einzelnen Glaubenden im Blick bleiben. Beide Positionen sehen m.E. etwas Richtiges. Im Vergleich mit den unbestrittenen Paulusbriefen hat zweifellos bereits eine Entwicklung hin zur Kirche als einer die Ortsgemeinden überschreitenden Größe stattgefunden. Die Christen aller Gemeinden bauen gemeinsam an dem Bau weiter, der auf dem von den Aposteln und Propheten garantierten Fundament ruht und dessen Eckstein Christus ist (2,20). Die wachsende Zahl der Gemeinden führt aber auch zu Differenzen, und das macht die starke Mahnung zur Einheit verständlich (4,1-6). Christus ist das Haupt der Gemeinde, aber ist auch Herrscher über das  All (einschließlich aller gegenwärtig noch ungläubigen Menschen und überpersönlichen Mächte). Was in der Kirche schon erkannt wird, soll auch vor der Welt bekannt werden. Diesem Ziel dient die Einheit der Christen - und darauf liegt der Akzent, und (noch) nicht auf der Idee einer universalen Kirche im Sinne einer Heilsagentur.

Deshalb ist die Ekklesiologie auch nicht, wie oft vertreten wurde, das eine, zentrale Thema des Eph. Ohne die Christologie (und die damit verbundenen soteriologischen Aussagen) wären die Aussagen über die Kirche ihrer Grundlage beraubt. Was in der Kirche erkannt, geglaubt und von ihr in die Welt getragen wird, ist nicht in erster Linie eine Lehre von der Kirche, sondern ein Bekenntnis zu Christus (vor allem 1,3-14), der das ganze All zusammenhält. Ohne Christus als Eckstein und die apostolische Tradition (2,20) gäbe es die Kirche nicht. Ihre Aufgabe ist es, das von Christus erwirkte Heil für die ganze Welt zu verkündigen und durch ihr Handeln zu bezeugen.

Der ganze zweite Hauptteil des Eph und damit die Hälfte des Schreibens befasst sich mit der Lebensführung der Adressaten. Das hat Auswirkungen auf das Verständnis der Ekklesiologie. Gerade weil die Kirche das Geheimnis Gottes als Grundlage (1,10) und den Gottesgeist als Angeld hat (1,14), steht sie in der Gefahr, „geistlich abzuheben“ und sich über die Welt zu erheben (vgl. 2,8-10), die aber doch auch mit allem Drum und Dran von Christus zusammengehalten wird (1,10). Die umfangreiche Paränese ist deshalb die andere, notwendige Seite der ekklesiologischen Medaille. Die Lebenspraxis soll nicht nur dem Glauben der Christen entsprechen, sondern dazu helfen, den Menschenkindern (3,5) das Geheimnis Gottes zu erschließen.

Dass alles, was es im Himmel und auf Erden gibt, alle Menschen, alle Mächte und Gewalten, die von den Christen schon erkannte und geglaubte Erlösung in Christus ebenfalls erkennen und in das Gotteslob (1,3-14) einstimmen, steht freilich noch aus. Im Bild gesprochen: Der Leib Christi muss noch wachsen (4,15). Zwar sind die Christusgläubigen schon mit auferweckt und im Himmel eingesetzt (2,6), aber Vielen ist dieses Geheimnis noch fremd und unerschlossen, und Mächte und Gewalten kämpfen dagegen an (6,10). Insofern fehlt auch die Dimension der Zukunft im Eph nicht (formelhaft in 1,21). Es ist allerdings keine qualitativ andere und ganz neue Zukunft, sondern eine, die in Gottes Willen schon vor aller Zeit beschlossen ist und auf die die Christusgläubigen deshalb mit gutem Grund und fester Zuversicht hoffen können.

5. Besonderheiten

Das Schreiben ist mit dem Kol eng verwandt, und zwar im Blick auf den Gesamtaufbau (Eph 1-3 entspricht weitgehend Kol 1f., Eph 4-6 großenteils Kol 3f.) sowie den Textbestand und die Abfolge der einzelnen Aussagen; die Haustafeln sind vergleichbar (Eph 5,21-6,9; Kol 3,18-4,1) und es gibt etliche fast wörtliche Übereinstimmungen (z.B. Eph 1,1f. und Kol 1,1f.; Eph 6,21f. und Kol 4,7f.). Hinzu kommen große Ähnlichkeiten in theologischen Aussagen, vor allem zur Christologie (Christus als Haupt des Leibes = der Kirche 1,22; 4,15; 5,23; Kol 1,18; 2,19); zur Kosmologie (1,10.20-22) und zur bereits erfolgten Auferweckung der Christen (2,5.7; Kol 2,12f.; 3,1). Offensichtlich sind beide Briefe eng miteinander verwandt. Allgemein wird die literarische Abhängigkeit des Eph vom Kol angenommen. Für die Interpretation des Eph ist deshalb immer auch der Kol zu berücksichtigen.

Literatur:

  • Sellin, Gerhard: Der Brief an die Epheser, KEK, Göttingen 2008.
  • Lindemann, Andreas: Der Epheserbrief, ZBK NT 8, Zürich 1985.
  • Gese, Michael: Der Epheserbrief (BNT), Neukirchen-Vluyn 32022.

A) Exegese kompakt: Epheser 1,3-14

Gott loben - aber wie?

Der Text

3 Εὐλογητὸς ὁ θεὸς καὶ πατὴρ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ,

ὁ εὐλογήσας ἡμᾶς ἐν πάσῃ εὐλογίᾳ πνευματικῇ ἐν τοῖς ἐπουρανίοις ἐν Χριστῷ,

4 καθὼς ἐξελέξατο ἡμᾶς ἐν αὐτῷ πρὸ καταβολῆς κόσμου

εἶναι ἡμᾶς ἁγίους καὶ ἀμώμους κατενώπιον αὐτοῦ

ἐν ἀγάπῃ,

5 προορίσας ἡμᾶς εἰς υἱοθεσίαν διὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ εἰς αὐτόν,

κατὰ τὴν εὐδοκίαν τοῦ θελήματος αὐτοῦ,

6  εἰς ἔπαινον δόξης τῆς χάριτος αὐτοῦ ἧς ἐχαρίτωσεν ἡμᾶς ἐν τῷ ἠγαπημένῳ.

7 Ἐν ᾧ ἔχομεν τὴν ἀπολύτρωσιν διὰ τοῦ αἵματος αὐτοῦ,

τὴν ἄφεσιν τῶν παραπτωμάτων,

κατὰ τὸ πλοῦτος τῆς χάριτος αὐτοῦ

8 ἧς ἐπερίσσευσεν εἰς ἡμᾶς, ἐν πάσῃ σοφίᾳ καὶ φρονήσει,

9 γνωρίσας ἡμῖν τὸ μυστήριον τοῦ θελήματος αὐτοῦ,

κατὰ τὴν εὐδοκίαν αὐτοῦ ἣν προέθετο ἐν αὐτῷ

10 εἰς οἰκονομίαν τοῦ πληρώματος τῶν καιρῶν,

ἀνακεφαλαιώσασθαι τὰ πάντα ἐν τῷ Χριστῷ,

τὰ ἐπὶ τοῖς οὐρανοῖς καὶ τὰ ἐπὶ τῆς γῆς ἐν αὐτῷ.

11 Ἐν ᾧ καὶ ἐκληρώθημεν προορισθέντες κατὰ πρόθεσιν τοῦ τὰ πάντα ἐνεργοῦντος

κατὰ τὴν βουλὴν τοῦ θελήματος αὐτοῦ

12 εἰς τὸ εἶναι ἡμᾶς εἰς ἔπαινον δόξης αὐτοῦ τοὺς προηλπικότας ἐν τῷ Χριστῷ.

13 Ἐν ᾧ καὶ ὑμεῖς ἀκούσαντες τὸν λόγον τῆς ἀληθείας, τὸ εὐαγγέλιον τῆς σωτηρίας ὑμῶν,

ἐν ᾧ καὶ πιστεύσαντες ἐσφραγίσθητε τῷ πνεύματι τῆς ἐπαγγελίας τῷ ἁγίῳ,

14 ὅ ἐστιν ἀρραβὼν τῆς κληρονομίας ἡμῶν,

εἰς ἀπολύτρωσιν τῆς περιποιήσεως,

εἰς ἔπαινον τῆς δόξης αὐτοῦ.

Übersetzung

3 Gelobt (sei) Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus,

der uns gesegnet hat in allem geistlichen Segen in den höchsten Himmeln in Christus,

4 wie er uns erwählt hat in ihm vor Gründung der Welt,

damit wir heilig und fehlerlos seien vor ihm in Liebe,

5 (der) uns vorherbestimmt hat zur Kindschaft (Sohnschaft) durch Jesus Christus auf ihn hin,

gemäß dem Wohlgefallen seines Willens,

6 zum Lob der Herrlichkeit seiner Gnade,

mit der er uns beschenkt hat in dem Geliebten;

7 in ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut,

den Erlass der Übertretungen,

gemäß dem Reichtum seiner Gnade,

8 die er uns überreich gegeben hat in aller Weisheit und Einsicht;

9 (der) uns hat wissen lassen das Geheimnis seines Willens,

gemäß seinem Wohlgefallen,

das er vorab festgelegt hat in ihm,

10 zur planenden Leitung der Fülle der Zeiten,

(nämlich) zusammenzufassen alles, was ist, in dem Christus,

das in den Himmeln und das auf der Erde, in ihm;

11 in ihm sind wir auch ausgelost worden, vorherbestimmt,

gemäß dem Vorsatz dessen, der das All durchwirkt,

gemäß dem Ratschluss seines Willens,

12 damit wir für das Lob seiner Herrlichkeit da seien,

die wir vorhergehofft haben in dem Christus;

13 in ihm habt auch ihr gehört das Wort der Wahrheit, das Evangelium eurer Rettung,

in dem ihr, daran glaubend, mit einem Siegel versehen seid

dem heiligen Geist der Verheißung,

14 welcher ein Angeld unseres Erbes ist,

zur Erlösung des Eigentums,   

zum Lob seiner Herrlichkeit.

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

V. 3: Hier kommt dreimal der Wortstamm εὐλογ ... vor. Das Wortspiel der Paronomasie ist im Deutschen nicht darstellbar, da von der Grundbedeutung „gut reden“ sowohl loben als auch segnen abgeleitet sind. In Richtung auf Gott ist das Lob, in Richtung auf die Menschen der Segen gemeint.

V. 4f.: Erwählung/Vorherbestimmung ist nicht im dogmatischen Sinn als Prädestination zu verstehen, schon gar nicht als doppelte. Die urzeitliche Erwählung zielt auf alle an Christus glaubenden Menschen, die selbst wiederum das Geheimnis des göttlichen Willens weitergeben sollen.

V. 6: Die Christusbezeichnung „der Geliebte“ nimmt die Liebe als Movens des Heilshandelns Gottes auf (V.4). Im Hintergrund steht die Formulierung in Kol 1,13.

V. 9f.: οἰκονομία bezeichnet die Verwaltung, u.z. im Blick auf Planung und Ausführung. Gott hat die Christen das Geheimnis seines Willens seinem vorausschauenden Plan gemäß wissen lassen. Es besteht darin, dass in Christus alles, was ist, zusammengefasst ist; in ihm kommt das gesamte All zu seiner Bestimmung. Im Hintergrund steht Kol 1,20.

V. 11: ἐκληρώθημεν (vgl. κληρονομία V.14): Die Vorausbestimmung wird durch das Bild vom Los aufgenommen; in Num 3,53f.; Dtn 19,10 LXX bezeichnet κλῆρος das Land, das Gott den Stämmen Israels zugeteilt hat; im übertragenen Sinn kann es das ewige Erbteil am von Gott gewirkten Heil bezeichnen.

V. 12: προελπίζω zielt auf die zeitliche Differenz zwischen Gegenwart und umfassender Erfüllung der Hoffnung.

V. 13: σφραγίζω versiegeln, bestätigen, mit einem Kennzeichen als Eigentum markieren. V. 14: εἰς ἀπολύτρωσιν τῆς περιποιήσεως - der Genetiv kann sich auf die Christen als „Eigentum Gottes“ beziehen oder auf die Inbesitznahme des Erbes durch die Christen. Auf jeden Fall zielt die Aussage darauf, dass die Erlösung durch den Geist sicher verbürgt ist.

2. Literarische Gestaltung

Ist der Text undurchsichtig? Grammatikalisch und im Blick auf eine Gliederung ist er zweifellos schwierig. Von den verschiedenen Gliederungsversuchen leuchtet mir diejenige am meisten ein, die von den drei Partizipien im Aorist in V. 3b (ὁ εὐλογήσας), V. 5 (προορίσας ἡμᾶς εἰς υἱοθεσίαν) und V. 9 (γνωρίσας ἡμῖν τὸ μυστήριον τοῦ θελήματος αὐτοῦ) ausgeht (Sellin, 79). Davon sind jeweils weitere Nebensätze abhängig; auch Präpositionen spielen für die Gliederung eine Rolle, vor allem ἐν und διὰ im Blick auf Christus, κατὰ zur Begründung und εἰς als Zielangabe. Der Wechsel vom „wir“ zum „ihr“ V. 13 leitet den Abschluss der Eulogie ein. Inhaltlich aber hat sie, trotz aller Verschachtelung, durchaus einen roten Faden. Der Verfasser versucht, den alles umgreifenden Segen Gottes seinerseits möglichst umfassend und in großer sprachlicher Fülle zum Ausdruck zu bringen, und zwar in verschiedener Hinsicht: In zeitlicher Hinsicht greift die Eulogie noch vor die Schöpfung zurück und reicht über die Gegenwart der Christen in die Zukunft hinein; in räumlicher Hinsicht spricht sie von den höchsten Himmeln und allem, was es im Himmel und auf der Erde gibt. Umfassend ist sie auch in dem, was sie thematisch als von Gott gewährten Segen anspricht: Erwählung (V. 4), Vorherbestimmung zur Kindschaft (V. 5), Erlösung, Vergebung der Übertretungen (V. 7), Weisheit und Einsicht (V.8), Kundgabe des Geheimnisses des göttlichen Willens (V.9), „Zusammenfassung“ des Alls (V. 10), Zuteilung des Loses (V. 11), Evangelium von der Rettung, Siegel des heiligen Geistes (V. 13), Erbe und Erlösung (V. 14). Schließlich kommt das umfassende Lob auch in der Terminologie zum Ausdruck, vor allem in den folgenden Wendungen: ἐν πάσῃ εὐλογίᾳ πνευματικῇ (V. 3), κατὰ τὸ πλοῦτος τῆς χάριτος αὐτοῦ (V. 7), ἧς ἐπερίσσευσεν εἰς ἡμᾶς, ἐν πάσῃ σοφίᾳ καὶ φρονήσει (V. 8), τοῦ πληρώματος τῶν καιρῶν, ἀνακεφαλαιώσασθαι τὰ πάντα, τὰ ἐπὶ τοῖς οὐρανοῖς καὶ τὰ ἐπὶ τῆς γῆς (V. 10), τὰ πάντα ἐνεργοῦντος (V. 11). Umfassender kann ein Gotteslob nicht sein. Oder muss man sagen: Pompöser? Die Kritik antiker Rhetoren an einem weitschweifig-wortreichen (dem sogenannten asianischen) Sprachstil kann ich schon nachvollziehen.

3. (Literarischer) Kontext

Im Hintergrund des Gotteslobs steht eine at.lich-jüdische Gebetstradition, die mit der bārûḵ-Formel einsetzt, sich auf Gott bezieht, ihn mit Hilfe einer Apposition näher charakterisiert und schließlich in eine Begründung für das Lob mündet. Diese Elemente finden sich auch in Eph 1,3: εὐλογητὸς … ὁ θεὸς … καὶ πατὴρ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ und daran anschließend in V. 3b-14 eine ausführliche Begründung.

Im Vergleich mit den Paulusbriefen ist die Eingangseulogie ungewöhnlich (sonst nur noch 2Kor 1,3, vgl. 1Petr 1,3 ̶ 7), zumal in 1,15-23 eine Danksagung folgt, die eher dem paulinischen Briefformular entspricht (wenn auch nicht in sprachlicher Hinsicht; die Danksagung ist wieder ein einziger Satz). Offenbar will der Verfasser mit seinem großartigen Gotteslob den Rahmen für alles setzen, was er in den folgenden Passagen zu sagen hat. Dementsprechend greift er Aussagen der Eulogie später wieder auf: Die Vorstellung vom Erbe in 1,18; 5,5; die Versiegelung im Heiligen Geist für den Tag der Erlösung in 4,30; die Vorstellung von der Fülle Christi in 4,13; vor allem aber die Kundgabe des göttlichen Geheimnisses, die in 3,1 ̶ 10; 6,19f. besonders mit dem Auftrag des Apostels verknüpft ist. Insofern ist die Eulogie eine Ouvertüre für das gesamte Schreiben und zugleich eine Aufforderung an die Adressaten in das Lob Gottes einzustimmen (vgl. V. 13).

4. Schwerpunkte der Interpretation

Das Lob Gottes lässt sich in verschiedene, miteinander verknüpfte Aussagen aufschlüsseln:

Das Handeln Gottes ist souverän und bedarf keiner Begründung. Das kommt in verschiedenen Wendungen zum Ausdruck: Gott hat uns bereits vor der Gründung der Welt erwählt; sein Handeln ist Ausdruck seiner Liebe (V. 4), er hat uns vorherbestimmt, u.z. gemäß dem Wohlgefallen seines Willens (V. 5), gemäß seinem Wohlgefallen, das er vorab festgelegt hat (V. 9), gemäß seinem Vorsatz und seinem Ratschluss (V. 11). Hinter diesen den Menschen und der Welt zugewandten, liebenden Willen Gottes kann man nicht zurückgehen.

Das Handeln Gottes hat im Christusereignis sein bestimmendes Zentrum. In fast jedem Vers ist Christus genannt, sei es ausdrücklich (unser Herr) Jesus Christus (V. 3.5.9.10.12), als Umschreibung (in dem Geliebten V. 6), als Relativpronomen (V. 3b) und als pronominale Wendung „in ihm“, „durch ihn“, „auf ihn hin“ (V. 4.5.6.7.9.10.11.12.13). Auch wenn Christus nirgends handelndes Subjekt ist, steht er doch im Zentrum der Eulogie, oder genauer: Gottes umfassendes Handeln in Christus. Die Eulogie ist ein Lob Gottes  ̶  dessen Heilshandeln in Christus kulminiert.

Dass das Handeln Gottes auf das Heil der Menschen gerichtet ist, kommt in verschiedenen Formulierungen zur Sprache: Wir sind erwählt (V.4) und zur Kindschaft vorherbestimmt (V. 5.11), Gott hat uns überreich mit seiner Gnade beschenkt (V. 6.8), in Christus haben wir die Erlösung und den Erlass der Übertretungen (V. 7), wir haben „das große Los gezogen“ (V. 11), das ist uns „mit Brief und Siegel“ zugesagt (V. 13), das Evangelium dient unserer Rettung (V. 13), wir sind Erben, und der heilige Geist ist das Angeld dafür (V. 14). Die Aussagen zur Vorherbestimmung sind in diesem Kontext zu verstehen. Zwar bezeichnet das lobende „wir“ zunächst die Christen, aber es ist nicht exklusiv. Es beschreibt den unabänderlichen Heilswillen Gottes, der darauf zielt, alles, was im Himmel und auf Erden ist, in Christus zusammenzufassen (1,10.22f.; 6,19f.). Dieses Geheimnis wird in der Kirche schon erkannt, aber das „Evangelium eurer Rettung“ ist noch nicht vollendet, sondern soll frei verkündigt werden - mit dem Ziel, dass alle es erkennen und für sich annehmen.

Der Heilswille Gottes zielt nicht nur auf die Menschen, sondern umfasst das ganze All. Alles, was es im Himmel und auf Erden gibt, verdankt Gott die Lebensenergie (V. 11), und zwar in Christus, in dem alles zusammengefasst ist (V. 10). Darin liegt das „Geheimnis seines Willens“ (V. 9). Alle Reiche, Gewalten und Mächte sind Christus untergeordnet, und alles ist in ihm erfüllt (1,20-23). Die sich darin zeigende Weisheit Gottes soll allen Mächten und Gewalten kundwerden, und zwar durch die Gemeinde (3,10), die jetzt schon Zugang zu Christus und damit zu dem göttlichen Geheimnis hat. So reicht der Heilswillen Gottes in die Zukunft hinein und kommt erst zum Ziel, wenn alle Menschen, alle Mächte und Gewalten dies auch erkennen und in das Lob der Herrlichkeit Gottes einstimmen. Insofern hat der Eph auch eine eschatologische Perspektive, allerdings keine apokalyptisch strukturierte. In diesem Zusammenhang ist der „heilige Geist der Verheißung“ von Bedeutung; er ist sozusagen die „Anzahlung“ für das zugesagte Erbe und der Garant für das noch ausstehende umfassende Heil, das Merkzeichen all derer, die jetzt schon an Christus glauben (V. 13f.)

5. Theologische Perspektivierung

Drei Aspekte seien hervorgehoben:

  • Der Eph gilt vielfach als die ekklesiologische Schrift des NT. Natürlich spielt die Ekklesiologie eine wichtige Rolle, aber keineswegs die einzige; das Gotteslob am Anfang versieht das ganze Schreiben mit einem anderen Akzent. Christliche Existenz verdankt sich Gott; das Lob Gottes steht für den Eph deshalb am Anfang und umfasst das christliche Leben insgesamt. Alles, was den Adressaten gesagt wird, gilt nur unter der Voraussetzung, dass in Christus das All zusammengefasst ist. Das Lob hat nicht nur feststellenden, sondern zugleich auffordernden Charakter. Die Leser:innen sollen in die überschwängliche Sprache mit einstimmen. Diese Sprache ist poetisch (im wörtlichen Sinn - sie „macht“, was sie sagt), ohne aber im eigentlichen Sinn Poesie, ein Hymnus oder ein Lied zu sein (mit Strophen oder Reim). Mit Grammatikregeln ist ihr nicht beizukommen, sie drängt über Definitionen hinaus, wie dies auch das Fürbittengebet in 3,14 ̶ 19 oder das Bild von der Waffenrüstung in 6,10 ̶ 17 tun. Lob darf überschwänglich sein, zumal wenn es um das „Evangelium von eurer Rettung“ geht (1,13).
  • Die Kritik antiker Rhetoren am „asianischen“ Sprachstil ist allerdings nicht unberechtigt und betrifft hier nicht nur die Sprache; auch inhaltlich wirkt die Eulogie überladen. Allerdings lässt sie dadurch den großen Zusammenhang ahnen, in dem sich die Christen sehen, von allem Anfang an über das heilvolle Wirken Gottes in Christus bis in die eigene Gegenwart und darüber hinaus. Dieser große Horizont ist Teil des Geheimnisses, das die Christen ahnen und nach 3,18f. immer tiefer begreifen sollen. Der Verfasser umschreibt diesen Horizont am Anfang seines Schreibens, geht aber davon aus, dass dieser große Zusammenhang nur glaubend und lobend erfasst werden kann. Im oft undurchsichtigen Alltag (vgl. den großen paränetischen Teil des Eph) ist es jedoch wichtig, innezuhalten und sich den großen Zusammenhang zu vergegenwärtigen.
  • Motive aus der Eulogie werden dementsprechend im weiteren Verlauf des Schreibens aufgegriffen. Der Geist, den Christen jetzt schon als Angeld des vollendeten Heils gegeben (1,14), führt zu einem Leben, das der Versöhnung in Christus angemessen ist (4,30 ̶ 32), und die Erkenntnis, dass alles in Christus zusammengefasst ist, regt dazu an, sich immer stärker an ihm zu orientieren (4,15). Ziel ist, dass alle zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes kommen (4,13). So leitet die Mahnung zur Einheit in 4,3 ̶ 6, die auf den einen Gott hinführt, der über allen und durch alle und in allen ist, den ganzen paränetischen Abschnitt ein. Das Gotteslob am Anfang umgreift deshalb auch die Mahnungen im zweiten Teil des Schreibens. Die Verbindungen zwischen Eulogie und Paränese zeigen, dass sich das Lob Gottes in prächtiger Sprache, aber auch in Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit (5,9) und in einem Lebenswandel zeigt, der dem Willen des Herrn entspricht (5,17). „Gott loben, das ist unser Amt“ (EG 288,5) - nach dem Eph eindeutig ja, und zwar mit beidem: mit großartigen Worten und zugleich in Demut (4,2) und freundlichem Handeln (4,32).

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Zwei Aspekte in der Exegese erschließen mir die Perikope sehr hilfreich: Zum einen ist es der Hinweis auf den sog. asianischen Sprachstil. Damit kann ich das Überbordende oder Überschwängliche des Textes nachvollziehen. Auch auf mich wirkt der Text in dieser Eindringlichkeit übermächtig und fast überwältigend. Das Wissen darum, dass sich in ihm eine mir ungewohnte Sprachkultur zeigt, nimmt etwas von der Übermächtigkeit des Eindrucks. Der Verweis auf die kulturelle Praxis eines Sprachraums entindividualisiert den Text zwar in gewisser Weise auch; es ermöglicht aber ebenso, wahrzunehmen, dass das Wort Gottes nicht ohne einen kulturellen Kontext, und d.h. nicht ohne eine in sozialer Praxis beheimateten Gestalt zum Ausdruck kommt.

Gleichzeitig kann etwas als fremd Empfundenes auch etwas Inspirierendes haben. Wie gehen wir in einer Texthermeneutik, die biblisch-kritisch Sätze auf ihre Bedeutung abklopft, mit einem Lobpreis um, dessen „Melodie“ sich kaum in analytischem Erklären, sondern vielleicht vielmehr in einem symphonen Hören erschließt?

Immer noch hilfreich finde ich dafür die Fragestellung nach dem sog. Sitz im Leben des Textes. Dass es sich beim Epheserbrief offenbar um einen theologischen Traktat handelt und nicht um einen wirklichen Brief, lässt den Briefanfang allerdings eher als einen stilisierten Lobpreis erscheinen, in dem viel Theologie eingefügt ist.

Zum anderen leuchtet mir sehr ein, dass der Schwerpunkt des Briefes nicht so sehr in der Ekklesiologie liegt als vielmehr in der Christologie. Diese Perspektive erschließt mir die Wahrnehmung des ganzen Briefes ebenso wie die Perikope besser. Es fokussiert die Aussagen über Gott und sein Wirken und plausibilisiert aus meiner Sicht auch die Aussagen des Epheserbriefes über die Art und Weise, wie die Adressat:innen ihre Erfahrungen mit dem Glauben an die Wirklichkeit Gottes in Verbindung bringen können. Jesus Christus bildet den Bezugspunkt sowohl für den Glauben an Gott, der erwählt, vorherbestimmt, „das All durchwirkt“, also in seiner Größe und Handlungsmacht kaum begreifbar ist, und für den Glauben an Gottes gnädiges, rettendes Handeln, das den Christinnen und Christen darum zum Maßstab für ihre Gemeinschaft werden soll und werden kann.

2. Thematische Fokussierung

Der Verfasser des Epheserbriefes eröffnet einen großen Horizont. Räumlich (höchste Himmel) und zeitlich (erwählt vor Gründung der Welt). Gottes Handeln umfasst diese Dimensionen und durch oder vor Raum und Zeit ist es geplant (verwaltet, geleitet). Mir erscheint es wesentlich, dieses allumfassende und gleichzeitig zielgerichtete Handeln Gottes als einen Leitgedanken herauszustellen. Dieses umfassende Handeln ist bezogen auf die Adressat:innen – die christliche Gemeinde bzw. die gesegneten Christinnen und Christen. Was geschieht, geschieht in der göttlichen Absicht, für Menschen zum Segen zu werden und ihnen ein Leben in Liebe zu ermöglichen. In gewisser Weise wird damit alles irdische Geschehen – und dazu gehören auch die je unterschiedlichen Lebenserfahrungen der Christ:innen in Ephesus – ausgerichtet auf Gott als Ursprungs- und Zielpunkt. Man kann sich vorstellen, dass eine noch junge christliche Gemeinschaft aus Menschen mit ganz unterschiedlichen vorgängigen Lebenserfahrungen bestanden hat. Die durch die Teilhabe an der christlichen Gemeinschaft stattfindende oder schon erfolgte radikale Veränderung in der Glaubenshaltung und Lebenspraxis der Christ:innen wird durch den Verweis auf Gottes umfassendes Handeln in einen anderen Sinnzusammenhang eingebettet und bildet sozusagen das andere „Vorzeichen“ aller bisher erlebten sozialen Praxis.

Gleichzeitig wird – dies nehme ich aus der Exegese gerne auf – die Person Jesus Christus als diejenige vorgestellt, durch die Gott dieses heilschaffende Handeln sichtbar und erkennbar gemacht hat.

Mir fällt auf, dass es hier gerade auch um das Wissen und das Erkennen geht. Ich bin mir nicht sicher, aber mir scheint, dass der Epheserbrief und zumindest der Beginn immer wieder dieses Erkennen, die Weisheit, die Wahrheit, also ein Verstehen des göttlichen Handelns in den Vordergrund stellt. Der Bezug auf Jesus Christus ermöglicht dieses Verstehen, weil Gott in ihm erkennbar wird.

So weit allerdings der Raum ist, in dem Gott wirksam ist, so eng oder nah schildert der Verfasser die Beziehung zu Jesus Christus. Er ist der „Geliebte“, das Geheimnis göttlichen Handelns erkennen die Gläubigen und der Glaube an Christus versieht die Gläubigen mit einem Siegel – das Bild einer nach innen sehr vertrauten und nach außen hin eher abgeschlossenen Gemeinschaft kommt mir da vor Augen. Und so erscheint mir das Gotteslob, das der Verfasser intoniert, auch wie eine „Maßnahme“, um die Identität der christlichen Gemeinde zu stärken und zu festigen.

Bleibt dabei noch etwas von dem Geheimnis, dem Unanschaulichen und Ungreifbaren göttlichen Handelns oder soll gerade die Erkenntnis der Erwählten dazu führen, dass Gottes Handeln verstanden werden kann und nicht mehr unverständlich und unbegreiflich bleibt? Ist eine Selbstschreibung als Erwählte dasjenige, was Selbstvergewisserung als christliche Gemeinschaft in einer vielstimmigen religiösen Umwelt ermöglicht?

Jedenfalls ist der Lobpreis so gestaltet, dass er gleichzeitig Zusagen und Ermutigungen an die Adressat:innen beinhaltet. Unabhängig davon, wie ihre Lebensbiografien in der Welt sind, sie werden als Erwählte angesprochen. In gewisser Weise hat dieser Text darum für mich auch eine seelsorgerliche Bedeutung. Ein menschliches Lob Gottes und ein göttliches Lob des Menschen.

3. Theologische Aktualisierung

Die Verse der Perikope erinnern mich an ein sehr ausführliches Votum. Die Dreigliedrigkeit und die in den Versen zusammengefasste Heilsgeschichte von der Erwählung vor Beginn der Welt, über die Erlösung durch Jesus Christus und der Erkenntnis dieses Heilshandelns entsprechen einem trinitarischen Bekenntnis; auch wenn das Wirken des Heiligen Geistes erst gegen Ende benannt wird – das Erkennen beschreibt ja schon die Wirkung dieses Geistes.

Gleichzeitig lese ich das Bekenntnis und das darin sich vollziehende Lob Gottes aber auch als eine Art Zuspruch. Insgesamt kommt in der Perikope zehnmal das Wort „uns“ vor. Interessant erscheint mir der Ausdruck der „planenden Leitung“; Gott weiß, was er will und dieses Wollen richtet sich auf seine „Kinder“, mit denen er eine unverbrüchliche Beziehung, ja Einheit eingehen möchte. Es ist ein Gott für uns, den wir loben können. Das Gotteslob verdankt sich also Gottes Handeln bzw. Wirken, das eine neue soziale Realität zu schaffen vermag, nämlich „heilig und fehlerlos“ zu sein vor ihm, in Liebe.

Man könnte dies heute als eine Zumutung oder Überforderung verstehen. Wer kommt schon fehlerlos durch das Leben? Mir scheint, dass der Verfasser des Epheserbriefes darum die große allumspannende Planung Gottes darstellt, um damit diese neue, andere Wirklichkeit im Lichte des guten Willens Gottes für seine Schöpfung vor Augen zu malen. In dieser Hinsicht verändert sich auch mein Blick auf das überschwängliche Lob Gottes. Es mag Ausdruck sein dafür, wie sehr dem Verfasser daran gelegen ist, dass wir dieser Absicht Gottes trauen sollen. Und dies auch entgegen allem alltäglichen Augenschein. Dieser lässt die Absicht eher geheimnisvoll erscheinen, weil jeder Tag mit den Brüchen, unheiligen und lieblosen Ereignissen uns eine andere „Weisheit“ lehren will. Allein die Vergegenwärtigung der Person Jesu Christi kann der Fluchtpunkt und Blickpunkt sein, in dem dieses Zutrauen Gottes uns die unverbrüchliche Beziehung zu seinen Menschenkindern immer erinnert wird und damit überhaupt erst eine andere Realität als die Vorfindliche in der Welt zu schaffen vermag. Dass sich dadurch eine enge Verbindung, quasi eine Gemeinschaft findet, in der sich Christ:innen anders zueinander verhalten und die Liebe und Achtung in allen sozialen Unterschieden zur treibenden Kraft macht, dies wird dann ja in der weiteren Folge des Traktates ausgeführt.

4. Bezug zum Kirchenjahr

Der Trinitatis-Sonntag ist in die gottesdienstliche Praxis im Anschluss an eine theologische Profilierung eingezogen. Der Tag der Heiligen Dreifaltigkeit wird in der römisch-katholischen Tradition als sog. Ideenfest bezeichnet, das kein biblisch bezeugtes Ereignis thematisiert, sondern thematisch orientiert ist. Im Hintergrund stand die Auseinandersetzung um das Verständnis der Gottheit Jesu Christi. Eine der Grundfragen im 4. Jahrhundert lautete: Ist Christus als menschgewordener Logos wesenseins mit Gott als Schöpfer und Vater oder ist er von ihm geschaffen und damit ihm untergeordnet?

Diese Position der Unterordnung, die Anfang des 4. Jahrhunderts von Arius, einem das kirchenleitende Amt des Presbyters innehabenden Christen, vertreten wurde, wurde in der lateinischen Christenheit auf dem Konzil von Nicäa 325 ausdrücklich abgelehnt. Seitdem wird als christliches Bekenntnis festgehalten, dass Jesus Christus wesenseins mit dem Vater ist und nicht (als Geschöpf) geschaffen wurde, sondern gezeugt.

Mit dem Predigttext wird der Fokus dieses Sonntags auf die ökonomische Trinität gelegt, also auf das heilschaffende Wirken des dreieinigen Gottes in seiner Schöpfung. In gewisser Weise wird hier die enge Verbindung zwischen dem erwählenden Gott in seiner welt- und zeitumspannenden Existenz mit seiner Schöpfung zum Thema. Es geht nicht so sehr um ein Verstehen der innergöttlichen Beziehung und Wirkweisen der drei Personen, sondern vielmehr um die damit entstehende Beziehung zum Menschen, der das Gotteslob aus der Erkenntnis und der Erfahrung der Rettung durch das Evangelium anstimmen kann. Die Erkenntnis des heilschaffenden Gottes und das daraus folgende Gotteslob nimmt den Menschen quasi mit hinein in diese Heilsgeschichte. Der Sonntag Trinitatis wird durch den Text profiliert als ein Tag, an dem man sich dieser Beziehung und der Einheit der Christenheit bewusst machen und ihr im Gotteslob dankend Ausdruck verschaffen kann.

Autoren

  • Prof. Dr. Peter Müller (Einführung und Exegese)
  • Dr. Melanie Beiner (Praktisch-theologische Resonanzen)

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