Deutsche Bibelgesellschaft

Mose und Mirjam, bibeldidaktisch, Sekundarstufe

(erstellt: Februar 2016)

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1. Lebensweltlicher Zugang

Freiheit und Aufbruch, Befreiung und Unterdrückung – das sind Motive, die Menschen seit jeher beschäftigen. Gerade junge Menschen sehen sich heute vor die Herausforderung gestellt, Aufbrüche zu wagen (hinaus aus dem Elternhaus, hinein ins Berufsleben, …) und ihre ganz eigene Vorstellung von Freiheit zu entwickeln und sie zu aktualisieren. Dies kann individuelle Nuancen haben (z.B. das Abitur zu erlangen, um mehr Freiheit in der Berufswahl zu haben; Freiheit in der Gestaltung von Partnerschaft und Familie), aber auch gesellschaftspolitisch gewendet werden (Wo werden in unserer Gesellschaft Menschen klein gehalten und unterdrückt? Wie können wir die Strukturen unserer Gesellschaft so gestalten, dass sie für alle ein lebensbejahender Ort ist?).

Im Religionsunterricht (→ Religionsunterricht, evangelisch; → Religionsunterricht, katholisch) werden diese Fragen unter dem Vorzeichen eines Gottes gestellt, der sich in Ex 3-4,17 mit seinem Namen „Ich-bin-der-ich-bin-da“ zu erkennen gibt. Mit der Figur des Mose wird ein Mensch gezeichnet, der in lebenswidrigen Umständen geboren und aufgewachsen ist, der selbst zum Mörder wird, zwar aus Ägypten, jedoch nicht vor seinem plagenden → Gewissen flüchten kann, ein Mensch, der in zwei Welten lebt, der nicht weiß, wo er hingehört und für den der Begriff Heimat nur eine Sehnsucht ist. Doch nichts von alledem stellt ein Hindernis dar, von Gott auf den Weg geschickt zu werden – damals wie heute.

Auch die fast schon penetrante Weigerung des Mose, Gottes Sendung anzunehmen, kann an die Erfahrungen der → Schülerinnen und Schüler anknüpfen. Sieben Einwände formuliert Mose – er sei nicht würdig, er sei nicht fähig, er traue sich nicht – sieben Mal wird ihm die Zusage geschenkt: „Ich werde mit dir sein“. Gerade im jungen Erwachsenenalter, der Schnittstelle zwischen „noch klein sein“ und „schon groß sein“, stellt sich noch einmal intensiver die Frage nach dem eigenen Weg und dem Mut, diesen Weg zu gehen.

Die Figur der Mirjam erweitert die Freiheitsfrage (→ Freiheit) um einen wesentlichen Aspekt: Nach den äußeren Abhängigkeiten, die um Mose herum eine große Bedeutung spielen, nehmen nun innere Faktoren einen höheren Stellenwert ein. Wie bin ich geworden, der/die ich bin, wo liegen meine Stärken, was sind meine Schwächen, wie kann ich damit umgehen lernen, woher kommen sie? Dies sind Fragen, die im → Jugend- und frühen Erwachsenenalter vermehrt auftauchen, geht es doch darum, den Radius neu abzustecken zwischen dem eigenen Ich, zwischen Gewordensein, Gewachsen- und Beschenktwerden.

2. Biblisch-theologische Klärungen

Für die theologische Bedeutung, die sich hinter den Figuren des Mose und der Mirjam verbirgt, ist es notwendig, nicht an historischen Daten und Fakten festzuhalten, sondern die Erzählung als einen literarischen Rahmen zu begreifen: Mittels ganz konkreter Personen und ihrer Lebensgeschichten wird der Weg Gottes mit den Menschen zur Sprache gebracht. Dabei bleibt Gott nicht einer, der unsere Wege einfach mitgeht, sondern immer wieder auch Perspektiven öffnet und wirksam eingreift.

Somit wird in Mose eine Person gezeichnet, die sich im Spannungsfeld zwischen Gefangenschaft und Freiheit, zwischen Ägypten und dem gelobten Land befindet. Dass dieser Weg nicht ohne Rückschläge bleibt, kommt immer wieder zum Ausdruck. Dass dieser Weg immer wieder die freie Entscheidung des Menschen braucht, wird ebenfalls deutlich. Genauso wie die Erkenntnis, dass das gelobte Land nichts Statisches, ein für alle Mal Erreichtes ist, sondern eine Dynamik besitzt, die über den Menschen hinausweist und ihn stets neu herausfordert.

Mittels der Figur des Mose wird → Gott als ein befreiender und rettender Gott vorgestellt, was sich sowohl an der Lebensgeschichte des Mose als auch an der Befreiungstat des gesamten Volkes Israels (→ Freiheit) ablesen lässt. Dabei kristallisiert sich im Buch Exodus folgende Gliederung heraus:

Teil 1 (Ex 1-18): Die Herausführung des Volkes Israels aus der Gefangenschaft der Ägypter mit der Ankündigung der Befreiung durch die Berufung und Sendung des Mose (Ex 1,1-6,1), der Auseinandersetzung zwischen Israels Gott JHWH und dem ägyptischen Pharao (Ex 6,2-11,10) sowie dem Exodus selbst und der anschließenden Wüstenwanderung (Ex 12,1-18,27).

Teil 2: Die Gotteserscheinung am Sinai mit der Gottesoffenbarung (→ Offenbarung) und dem Bundesschluss (Ex 19,1-24,18), den Anweisungen für das Heiligtum (Ex 25,1-31,17), der Abwendung von Gott und der Bundeserneuerung (Ex 31,18-34,35) sowie der Ausführungen der Anweisungen (Ex 35,1-40,38).

2.1. Die Ankündigung der Befreiung durch die Berufung und Sendung des Mose (Ex 1,1-6,1)

Bereits die Geburts- und Kindheitsgeschichte des Mose (Ex 2,1-15) weist stark legendäre Züge auf. Sie erinnert an die Erzählungen über den König Sargon von Akkad (drittes Jahrtausend vor Christus), der ebenfalls ausgesetzt, gefunden und adoptiert worden ist, und reiht Mose damit ein in die Reihe der Führenden in der antiken Welt. Der Name Mose deutet aber schon das Dilemma an, das ihn ein Leben lang begleiten und mit dem Mose erst umzugehen lernen muss: Aus ägyptischer Perspektive lässt sich sein Name als „Sohnschaft“ übersetzen und bringt seine Sozialisation am Hof des Pharaos zum Ausdruck. Aus israelitischer Perspektive leitet sich der Name vom Wort „herausziehen“ ab und spielt auf die Rettung aus dem Nil an (Ex 2,10). Diese beiden grundlegenden und gleichzeitig widersprüchlichen Aspekte seiner Identität (Ägypter vs. Hebräer; Unterdrücker vs. Unterdrückter) führen unweigerlich zu Konflikten, die Mose selbst zum Mörder werden lassen, so dass ihm nur die Flucht bleibt. Ohne die Grausamkeit seiner Tat schmälern zu wollen, kommt hier die innere Zerrissenheit eines Menschen zutage, für den der Begriff Heimat immer ein „Woanders“ bedeutet. Deutlich wird dies ebenfalls, wenn Mose, selbst nachdem er nach seiner Flucht in Midian eine Familie gründet, konstatiert: „Gast bin ich in fremdem Land“ (Ex 2,22).

Die nun folgende Berufung des Mose ist die erste Berufung (→ Berufungsgeschichten, bibeldidaktisch, Primarstufe und Sekundarstufe), von der die Bibel erzählt. Es ist der Alltag, in dem Mose von Gott überrascht wird. Der brennende Dornbusch übt eine Anziehungskraft aus, die Mose andere, neue Wege einschlagen lässt. Nicht Mose ist es, der gezielt eine heilige Stätte aufsucht, sondern Gott selbst findet Mose und verwandelt diesen gewöhnlichen Ort in heiligen Boden, der jedoch das aktive Zutun des Menschen braucht, um fruchtbar zu werden.

Über zwei Kapitel hinweg entfaltet sich die Berufung, die sich in ihren erzählerischen Grundzügen auch in anderen biblischen Berufungserzählungen wiederfinden lässt: Nach der Andeutung der Not erfolgt das Berufungswort und die Sendung, woraufhin Mose diverse Einwände formuliert, die jedoch durchgängig mit der Zusicherung der Nähe Gottes beantwortet werden und schließlich in die Annahme der Berufung münden, die durch wirksame Zeichen besiegelt wird.

Vor allem die Namensoffenbarung Gottes als der „Ich-bin-da“, die mit jedem Widerstand des Mose eindringlicher zu werden scheint, macht deutlich, dass dieser Gott verstanden sein will als einer, dem man sich zuwenden kann, der da ist in der Not, herausführt aus der Bedrängnis und hineinführen will in das gelobte Land – oder, neutestamentlich formuliert, in ein Leben in Fülle. Dabei richtet sich dieses „Ich-bin-da“ keineswegs „nur“ an das Volk Israel, sondern wird gleichermaßen formuliert für den einzelnen, ganz konkreten Menschen, der sich hier in der Person des Mose widerspiegelt. Gott stellt sich auf die Seite der Unterdrückten und Geknechteten – strukturell und individuell.

2.2. Die Auseinandersetzung zwischen Israels Gott JHWH und dem ägyptischen Pharao (Ex 6,2-11,10)

Die sehr bildreichen und lautmalerischen Schilderungen über die Auseinandersetzung zwischen dem Gott Israels und dem Pharao verfolgen im Wesentlichen zwei Intentionen. Einerseits geht es um die Befreiung des Volkes Israel aus der ägyptischen Gefangenschaft, andererseits darum, dass die Ägypter erkennen sollen, dass JHWH der wahre Gott ist – im Unterschied zu dem als göttlich verehrten Pharao. Zugleich wird hier der lange Weg gezeichnet, den die Israeliten gehen müssen, bis sie schließlich Mose als denjenigen sehen können, der in Gottes Auftrag und zu ihren Gunsten handelt.

2.3. Der Exodus und die erste Wüstenwanderung (Ex 12,1-18,27)

Ebenso wenig wie die Plagen historisch zu lesen sind ist auch die Meerwundererzählung als natürliches Ereignis zu deuten. Die Teilung des Meeres, so dass die Israeliten trockenen Fußes hindurchgehen können, die Ägypter jedoch in den Fluten versinken, bringt sinnfällig den Abschluss der Auseinandersetzung zum Ausdruck zwischen JHWH, der sich als Gott erweist, und dem Pharao, der als Gott verehrt werden will. Israel bleibt – mit Ausnahme des Mose, der sich von Gott in Dienst nehmen lässt – weitgehend passiv. Der einzig Handelnde ist JHWH, der sich, wie im Vorfeld schon angedeutet, nun klar auf die Seite der Schwachen und Unterdrückten stellt.

So fremd und alt die Schilderungen der Wüstenwanderung auch erscheinen mögen, so verbirgt sich hinter ihrer Symbolik doch ein Weg, wie er realistischer kaum sein könnte. Mit der Befreiung aus der Hand der Ägypter beginnt zwar eine neue Phase, die jedoch keineswegs, sozusagen von heute auf morgen, das Leben in rosaroten Farben malt. Israel ist mit neuen, anderen Herausforderungen konfrontiert, die sowohl von innen als auch von außen kommen. Es sind neue Situationen, neue Gefahren, mit denen umzugehen ist, und zugleich sitzt die Erfahrung der Gefangenschaft noch zu tief, um sich voll und ganz auf den rettenden Gott verlassen zu können, ihm trauen zu können. So stellt diese erste Wüstenwanderung einen Ort dar, in dem Israel erstmals seit Langem auf sich selbst zurückgeworfen ist, weil die Fesseln der unterdrückenden Abhängigkeit endlich gelöst sind, das Band der Verwiesenheit aber noch nicht ergriffen werden kann. Nur langsam und mühsam nähern sich die Israeliten dem Bundesschluss.

2.4. Die Gottesoffenbarung und der Bundesschluss (Ex 19,1-24,18)

Unmittelbar nach der Ankunft am Sinai steigt Mose hinauf auf den Berg. Erst nachdem er sich in Bewegung gesetzt hat, vernimmt er die Stimme Gottes, wird zum Mittler zwischen Gott und den Israeliten. Gott bricht geradezu in die Welt der Menschen ein, ist nahbar, kontaktierbar. Und einmal mehr erweist sich dieser Gott als ein Gott der Geschichte: Durch die Bezeichnung des Volkes als „Haus Jakobs“ wird nicht nur die Kontinuität verdeutlicht zu den Erzeltern (rückblickend), es wird auch nicht nur auf die jüngste Erfahrung des Auszugs aus Ägypten verwiesen. Mit dem Bundesschluss wird vielmehr auch die bleibende Gegenwart Gottes artikuliert. Unter diesen Vorzeichen betrachtet sind die Zehn Gebote, die durch Mose als Boten zum Volk gelangen, nicht als Last zu begreifen, die Gott dem Menschen aufbürdet, sondern als etwas Befreiendes, in dem der Wille Gottes zur Verbindung mit den Menschen offenbar wird.

2.5. Die Anweisungen für das Heiligtum (Ex 25,1-31,17)

Die Genauigkeit, die die Anweisungen zur Errichtung des Heiligtums an den Tag legen, lassen die symbolische Tragweite dieser Passage erkennen. Einerseits sind es massive, schwergewichtige Materialien, die einen stabilen Bau ermöglichen, zugleich jedoch soll es sich dabei um ein tragbares Wanderheiligtum handeln. Es geht also keinesfalls um eine wortgetreue Anleitung, sondern um den Willen Gottes, in der Mitte seines Volkes zu wohnen, einem Volk, das unterwegs ist. In diesem Zelt der Begegnung will sich Gott den Israeliten offenbaren und mitten im Leben der Menschen gegenwärtig sein, was durch die angedeutete Bundesformel konkretisiert wird.

2.6. Die Abwendung von Gott und die Bundeserneuerung (Ex 31,18-34,35)

Die Erzählung um das goldene Kalb lässt Mose erneut als Vermittler auftreten, nun jedoch in entgegengesetzter Richtung. Musste er „seinen“ Gott bislang immer wieder aufs Neue gegenüber den Israeliten verteidigen und sein Volk überzeugen, sich führen zu lassen, gilt es nun, sich vor sein Volk zu stellen, Fürsprecher zu werden und mit Gott über das Wohlergehen Israels zu verhandeln. Mose stellt sich ganz und gar auf die Seite des Volkes, ist nicht bereit, ohne sein Volk diese Sache weiterzuführen und tritt mit seinen Verhandlungen in die Fußstapfen Abrahams.

Die aufgrund der Fürsprache des Mose gewährte Vergebung findet ihren Ausdruck in der Namensoffenbarung, die eine Verbindung erkennen lässt zur Dornbusch-Szene in Ex 3,14, wobei hier Barmherzigkeit und Gnade im Vordergrund stehen, ohne als Automatismus gewertet werden zu können. Gott erweist sich als ein verzeihender Gott, der jedoch nicht unbeteiligt bleibt, wenn Menschen auf die schiefe Bahn geraten. Er bleibt in Kontakt, selbst wenn wir uns von ihm distanzieren. Ja, er wartet geradezu darauf, dass wir wieder bereit sind, die Nähe wieder herzustellen.

2.7. Die Ausführungen der Anweisungen (Ex 35,1-40,38)

Die Ausführungen der zuvor angeordneten Errichtung des Heiligtums stellen gewissermaßen das Ergebnis der Bundeserneuerung dar. Die Barmherzigkeit Gottes bleibt nicht nur ein abstraktes Wort, das wirkungslos verpufft, sondern aktiviert zum Handeln, lässt den Menschen zur Tat schreiten. Das von Gott Intendierte beginnt Wirklichkeit zu werden, und diese aufkeimende Wirklichkeit ist die Antwort Israels – die Antwort des Menschen – auf Gottes Zuwendung.

2.8. Die Rolle der Mirjam

Wenn auch namentlich unerwähnt, so kann man doch davon ausgehen, dass es sich bei der Frau, die der Tochter des Pharao Moses Mutter als Amme für das Findelkind vorschlägt, um Mirjam handelt, die später den Exodus besingt und noch später die alleinige Führung des Mose in Frage stellt.

Sowohl das Buch Micha als auch das Buch Numeri stellen Mose und Mirjam – gemeinsam mit Aaron – auf eine Ebene: Sie sind diejenigen, die gemeinsam unterwegs sind, um ihr Volk aus der Gefangenschaft zu befreien. Im Buch Exodus hingegen wird Mirjam namentlich erstmals genannt, als der Befreiungsschlag geglückt ist und von den Ägyptern keine unmittelbare Gefahr mehr zu erwarten ist.

Anders als das Siegeslied des Mose liegt der Fokus ihrer Verse jedoch zu keinem Zeitpunkt auf den ertrunkenen Ägyptern selbst, sondern „lediglich“ auf der Kriegsmaschinerie, die die Fluten verschlungen haben. Es geht ihr nicht darum, sich über die Niederlage der Ägypter zu freuen, sondern darum, das Ende der Unterdrückung zu besingen. Keine Macht der Welt hält dieses Volk mehr klein. Was es zur Unterdrückung und zur Versklavung braucht, gibt es nicht mehr. Diese wenigen Verse in Ex 15,20f. gehören zum ältesten Bestand des Alten Testaments.

Möglicherweise ist es die noch immer tief in den Gliedern steckende, traumatische Erfahrung der ägyptischen Gefangenschaft, vielleicht sogar in Kombination mit dem vagen Geschmack der neu gewonnenen Freiheit, die Mirjam so sensibel werden lässt für unhinterfragte Alleinherrschaften. Die Sonderstellung des Mose wird angezweifelt.

Mirjam ist eine Führungsperson, die schon früh weichenstellende Initiativen ergreift und in der Lage ist, Menschen zu begeistern. Doch sie scheint lernen zu müssen, dies auch anderen Menschen zuzugestehen, ohne dabei ihren kritischen Blick zu verlieren. Nach dieser schmerzhaften Erfahrung, die durch einen siebentägigen Aussatz ins Bild gebracht wird, stellt sich jedoch nicht im Geringsten die Frage nach ihrer Rehabilitation. Mirjam findet ihren Weg zurück ins Volk und in ihre Rolle darin.

3. Didaktische Überlegungen

3.1. Sich selbst in Szene setzen – ein Zugang über das Rollenspiel

Rollenspiele bieten „die Möglichkeit, Handeln zu trainieren, sich selbst zu erfahren, einen Gegenpart besser zu begreifen und die eigene Position dazu zu finden“ (Niehl/Thömmes, 2012, 203). Vor dem Hintergrund, den Schülerinnen und Schülern → Korrelationen zu ermöglichen, hier also ganz konkret die Erzählung des Mose und der Mirjam mit dem eigenen Leben zu verweben und so das eine für das andere fruchtbar zu machen, bietet es sich an, sich selbst in die Rolle der Personen hineinzubegeben. Damit werden Möglichkeiten eröffnet, um einerseits ein Gespür für die innere Zerrissenheit zu bekommen, die im biblischen Text transportiert wird, andererseits aber auch den eingangs nachgespürten Drang zum Handeln in Abhängigkeit mit der realen oder erwarteten Perspektivlosigkeit der eigenen Möglichkeiten in der biblischen Erzählung wiederfinden zu können.

Anders als andere leibbezogene Lernwege, beispielsweise das Standbild oder pantomimische Darstellungen, lebt das Rollenspiel zum einen vom Wort beziehungsweise Dialog und lässt zum anderen die Dynamik des Innern anschaulich werden. Insofern es sich bei der Berufungserzählung des Mose um diejenige Perikope handelt, die als erste in der Bibel ein länger andauerndes Gespräch, ja fast schon eine Auseinandersetzung beinhaltet, erscheint es sinnvoll, dieses Element auch in den Lernweg der Schülerinnen und Schüler zu implementieren. Doch auch die weniger verbalisierte Rolle der Mirjam bietet hier Spielraum für eigene Ausdeutungen.

Um den Schülerinnen und Schülern eine spätere Identifizierung mit der Mose-Erzählung zu erleichtern, setzt die Einführungsphase zunächst auf affektiv-reflexiver Basis an. Die Lerngruppe wird mit verschiedenen Aussagen konfrontiert, die eine Entscheidungssituation deutlich machen, ohne dass diese bereits inhaltlich gefüllt ist – dies schließlich ist nun Aufgabe der Einzelnen.

Solche Aussagen können beispielsweise lauten:

  • Eigentlich müsste ich jetzt … – aber ich? Warum nicht jemand anders?
  • Eigentlich wäre es jetzt richtig … – aber was kann ich schon bewirken?
  • Eigentlich kann das so nicht weitergehen – aber …
  • Eigentlich könnte ich doch … – aber habe ich auch den Mut dazu?
  • Eigentlich müsste ich mich einsetzen – aber wird man auf mich hören?

In einem weiteren Schritt kann nun der Gefühlslage nachgespürt werden. Wie geht es mir in solchen Situationen? Welche Impulse lösen die Sätze in mir aus?

Die Einführungsphase setzt ganz bewusst nicht auf kognitiver, sondern auf affektiver Basis an, um einen inneren Zugang zur späteren Bibelstelle zu ermöglichen und sich unter Umständen leichter in die Personen einzufügen.

Nach dieser Einführungsphase über die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler hören die Schülerinnen und Schüler die entsprechende Bibelstelle bereits mit einem thematischen Fokus. So kann es gelingen, ihnen die Gestaltung und Umsetzung des Rollenspiels zu erleichtern.

Eine anschließende Darbietung der in Kleingruppen erarbeiteten Rollenspiele bietet einen Diskussionsrahmen, der unterschiedliche Akzentsetzungen, aber auch gemeinsame Elemente ins Wort bringt. Somit wird den Schülerinnen und Schülern nicht nur die eigene Position offenbar, sondern sie bekommen Einblicke in verschiedene Perspektiven, Haltungen und Umgangsweisen mit Situationen wie der des Mose und gleichermaßen ihrer eigenen eingangs formulierten.

Als Abschluss der Stunde dient eine Sammlung von Schüleräußerungen, die die Mose-Erzählung wiederum in Bezug setzt mit der Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen. Mittels unvollendeter Aussagen, die inhaltlich auf die Bibelstelle abzielen, aber überwiegend in der ersten Person Singular formuliert sind, zum Beispiel „Die Weigerungen des Mose sagen mir, dass …“ werden die Schülerinnen und Schüler einerseits dazu veranlasst, ihre eigenen Darstellungen ins Wort zu bringen und so kommunikabel zu machen, andererseits gibt die Verschriftlichung die Möglichkeit, auch über die Stunde hinaus einen Bezug zu ihr herstellen zu können.

3.2. Die Story hinter der Story – ein Zugang über den Symbolgehalt

Insofern biblische Erzählungen Niederschriften sind über Menschen, die ihre ganz eigene Erfahrung mit Gott gemacht haben, lässt sich erahnen, mit welcher Herausforderung und Schwierigkeit sie sich konfrontiert sahen, diesen zutiefst inneren Prozess ins Wort zu bringen. Die Unaussprechlichkeit der Gottesbegegnung evoziert ein Ringen um Worte, die nicht zu kurz greifen, die die Tiefe transportieren, ohne ins Nebulöse zu verfallen, die konkrete Aussagen treffen, ohne an Weite und Offenheit zu verlieren. Vor diesem Hintergrund scheint es kaum verwunderlich, dass gerade – aber längst nicht nur – Religionen ein breites Spektrum an Symbolen anbieten (→ Symboldidaktik), die es vermögen, Inhalte auszudrücken und zugleich eine gewisse Bedeutungsoffenheit zulassen. In ihrer Repräsentationsfunktion kann es mittels der Verwendung von Symbolen gelingen, dem Diffusen, Unkonkreten einen Ausdruck zu verleihen und es so auch intersubjektiv verstehbar zu machen.

So groß der Nutzen und die Sinnhaftigkeit von Symbolen jedoch sind, so groß sind auch die Hürden, die damit für das heutige Verständnis von biblischen Erzählungen vor allem in Bezug auf die Schülerschaft einhergehen. Symbole brauchen eine Anerkennungsgemeinschaft; dort, wo sie nicht mehr als Symbol gelesen werden können oder der Symbolträger keinerlei Aktualisierung mehr auslöst, verliert auch die dahinterliegende Bedeutung ihren Gehalt und führt nicht selten zu Un- oder Missverständnissen.

Für religiöse Lernprozesse ist es somit ein erster Schritt, sich dem Symbolträger begrifflich zu nähern, sich also die Fragen zu stellen wie: Was bedeutete es, in der damaligen Zeit Hirte zu sein? Was verbanden Menschen damals mit den Begriffen Berg und Wüste? All diese Begrifflichkeiten enthalten heute und hier in unseren Breitengraden nur noch periphere Erfahrungsdimensionen, die den Zugang zu der Bedeutung hinter der Bedeutung versperren.

Insofern wird den Schülerinnen und Schülern in der vorliegenden Unterrichtsstunde zunächst der Blick geschärft für mögliche Symbole in biblischen Texten, um eine Sensibilisierung für die Symbolträchtigkeit solcher Erzählungen zu ermöglichen. Die Symbole werden arbeitsteilig sowohl in ihrer faktischen als auch in ihrer symbolischen Bedeutung erarbeitet, um so einen Zusammenhang zwischen beiden Komponenten herstellen zu können. Dieser Schritt, der eher auf fachlich-inhaltliche Kompetenzen abzielt, ist deshalb so wichtig, weil er die Voraussetzung für den existenziell-persönlichen Zugang darstellt. Mit dem Verständnis darüber, wie Symbole funktionieren und wirken, kann es den Schülerinnen und Schülern jetzt gelingen, die Symbole des damaligen Kulturkreises ins Heute zu übersetzen, ohne die dahinterliegende Erfahrungsdimension zu schmälern.

An dieser Stelle wird bewusst ein potenzieller Kompetenzerwerb formuliert: Ein solches Abstraktionsniveau zu erreichen, wird nicht jedem Klassenmitglied gleichermaßen gelingen. Es wird Schülerinnen und Schüler geben, die bis zum Ende der Stunde auf dem kognitiven Niveau bleiben. Doch auch für dieses Klientel birgt sich hier ein Lernzuwachs, indem sie von anderen eine Aktualisierung von Symbolen erfahren, die sie wiederum dahingehend kritisch hinterfragen können, ob sie für das eigene Leben taugen oder nicht. Diese Übersetzung der Symbole stellt somit den Korrelationsprozess dar, der eben nicht von der Lehrkraft vorweggenommen wird, sondern in Eigenleistung von der Schülerschaft erbracht wird.

4. Was bleibt? – Eine Bilanzierung

Sowohl die Figur des Mose als auch die der Mirjam bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte, um das eigene Leben junger Menschen im Licht christlicher Glaubensüberlieferung zu deuten und diese Glaubensüberlieferung andererseits vor dem Hintergrund des eigenen Lebens zu befragen.

Auch wenn es in den unterschiedlichen → Lehr- und Bildungsplänen kaum expliziert wird, so muss sich die Qualität des Religionsunterrichts daran messen lassen, inwiefern es ihm gelingt, Korrelationsprozesse zu ermöglichen. Vor allem im momentanen schultheoretischen Diskurs scheint die Frage nach Kompetenzen und Kompetenzorientierung Gefahr zu laufen, jede andere Frage zu ersticken. Vor allem im Religionsunterricht jedoch kann die Frage nach Kompetenzorientierung nicht ohne die Frage nach der Möglichkeit für Korrelationen beantwortet werden.

  • Korrelationen brauchen Kompetenzorientierung (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht): Damit die → Schülerinnen und Schüler überhaupt in der Lage sind zu korrelieren, benötigen sie gewisse Kompetenzen: Die Welt des Textes muss erschlossen werden, um einen Zugang zu bekommen (fachliche Kompetenz), die Bereitschaft zur Selbstreflexion muss gegeben sein (personale Kompetenz), die Schülerinnen und Schüler sind in ihrer Ausdrucks- und Kommunikationsfähigkeit gefordert (soziale Kompetenz) und müssen über Mittel und Wege verfügen, sich fremden Texten nähern zu können (methodische Kompetenz).
  • Kompetenzen brauchen Möglichkeiten zur Korrelation: Auf der anderen Seite kann es nur dann sinnvoll gelingen, die Schülerinnen und Schüler fachlich kompetent zu machen, wenn das Wissen eben nicht lebensleer bleibt, sondern konkrete Bezüge bekommt. Ein wirkliches Sprechen über religiöse Themen braucht eine Referenz dieser Themen zum eigenen Leben. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich die Schülerinnen und Schüler für oder gegen das Christentum als Deutehorizont für das eigene Leben entscheiden. Wichtig für die Entwicklung ihrer personalen Kompetenz ist es jedoch, ihnen Möglichkeiten zu eröffnen, die biblischen Erzählungen in ihr Leben einzuweben, um so überhaupt zu einer Entscheidung kommen zu können.

Literaturverzeichnis

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