Deutsche Bibelgesellschaft

Haltung, Lehrende

(erstellt: März 2024)

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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.400032

1. Einleitung

Lehrende in Schule und Hochschule initiieren religiöse Lernprozesse, die religiöse und existentielle Fragen thematisieren. Besonders im Religionsunterricht (RU) ist dabei das Ziel, diese Fragen in Beziehung zum Leben der Schüler und Schülerinnen zu setzen und so ein existentiell-religiöses Lernen zu ermöglichen. Bei dieser religiös-existentiellen Wirklichkeitsdeutung sind Lehrende herausgefordert, sich zu diesen Fragen zu verhalten. Ihre Haltung zu diesen existentiellen Fragen hat eine wichtige Bedeutung für die Glaubens- und Lebensrealität der Lernenden und ermöglicht oder verhindert korrelative Prozesse (→ Korrelation). Die religiösen und existentiellen Fragen der Lernenden fordern Lehrende auch als Person, d.h. mit ihrer Lebens- und Glaubensbiographie, heraus. Somit ist sie selbst Lernende und wird damit zum Modell für Heranwachsende. Tauchen in religiösen Lehr- und Lernprozessen existentiell-religiöse Sinnfragen auf, betrifft das auch ihre individuelle Religiosität. Mit ihr bewertet die Lehrperson diese Fragen und sie bestimmt ihre Weltsicht. So beeinflusst die individuelle Religiosität ihre Reaktion und ihr Verhalten auf inhaltlich-kommunikativer, aber auch auf körperlich-expressiver Ebene. Unabhängig von der Bewertung der im RU verhandelten Inhalte, prägt diese religiöse Weltsicht in einem weiteren Verständnis die Perspektive auf den Menschen und bestimmt damit fundamental ihr Handeln und ihr Bild von Schülern und Schülerinnen. Das zeigt sich in ihrem gesamten Verhalten, wie z.B. in ihrer Kommunikation, ihrem Umgang mit Leistung oder mit Konflikten. Somit lässt sich der RU als Schulfach verstehen, in dem personale Anteile entscheidend sind.

Die Frage nach der Haltung Lehrender stellt sich im Kontext der Qualitätsentwicklung von Schulen, in dem ihre Professionalität maßgeblich ist. Der vorliegende Beitrag blickt auf die Religionslehrperson als Lehrende, denkt jedoch auch den Kontext religiöser Bildung an Schule und Hochschule mit. Er setzt sich mit der These auseinander, dass ihr professionelles Handeln auf einen reflektierten Umgang mit ihrer individuellen Religiosität und ihrem Glauben angewiesen ist. Insofern wird in einem ersten Schritt der Begriff und das Konzept der Haltung der Lehrperson bestimmt (2.). Danach wird die Notwendigkeit einer reflexiven Haltung für Lehrende erläutert (3.). Der darauffolgende Schritt erklärt die Haltung der Religionslehrperson, die sich durch vier Qualitäten auszeichnet (4.). Abschließend wird skizziert, wie die Ausbildung dieser religionspädagogischen Haltung in der universitären Lehrkräftebildung erfolgen kann (5.).

2. Zu Begriff und Konzept

Die Haltung einer Person wird im Lehr-Lern-Kontext als mehrperspektivisch verstanden. So bezeichnet ein alltagssprachliches Verständnis sowohl eine innere Einstellung und Überzeugung als auch eine äußere, physische (Körper)Haltung, durch die eine innere Haltung ausgedrückt wird. Beide Perspektiven sind für den Begriff Haltung von Bedeutung. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Disziplinen wie der Philosophie, der Soziologie, der Psychologie, der Pädagogik und der Theologie konkretisiert den Begriff Haltung, der sich mit vier Merkmalen beschreiben lässt. Haltung kann als mehrdimensional, verbindend, wertbasiert und beziehungsorientiert verstanden werden (Gaus, 2023, 198):

  • Mehrdimensional ist Haltung, weil sich mit ihr verschiedene Verhältnisse des Menschen zusammenfassen lassen – intrapersonal und interpersonal.
  • Verbindend ist Haltung, weil ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen Menschen und Umwelt angenommen wird. Haltung ist vom Selbst-, Fremd- und Weltbezug des Menschen bestimmt (Kurbacher, 2016, 156). Diesen Bezügen geht immer eine Selbstbesinnung und Positionierung voraus, die eine bestimmte Qualität von Handeln zur Folge hat.
  • Haltung ist auch ein wertbasierter Begriff, weil den gestalteten Beziehungen einer Person prinzipiell eine Deutung und Entscheidung vorausgeht, die sich an Werten und Intentionen ausrichten.
  • Beziehungsorientiert ist Haltung generell, weil sie sich in den vielfältigen Bezugnahmen zwischen einer Person zu sich selbst, zu anderen und zur Welt realisiert (Kurbacher, 2016, 145). Damit betrifft Haltung die Beziehungsgestaltung. Je reflektierter die Beziehungen sind, desto bewusster können sie gestaltet werden.

Diese vier Merkmale von Haltung hängen zusammen und greifen ineinander. Auf dreifache Weise kann der so verstandene Begriff Haltung jedoch auch kritisch gesehen werden. Er kann als ambivalent, unverfügbar und überaus subjektorientiert gesehen werden. Haltung als ambivalenter Begriff schließt ein Sowohl-als-auch ein. Haltung kann sich sowohl positiv-konstruktiv als auch negativ-destruktiv, als auch in Zwischenstufen zeigen. Unverfügbar ist Haltung in dem Sinn, als sie nicht immer klar beschreib- und verwendbar ist. Es können sich immer auch destruktive Seiten von Haltung zeigen, wie z.B. in einer belastenden Kommunikationssituation oder durch ein Handeln unter Zeitdruck. Aufgrund ihrer Unverfügbarkeit ist sie schwer messbar. Das vorliegende Verständnis von Haltung fokussiert die handelnde Person. Zudem setzt der oben skizzierte Begriff Haltung ein starkes Subjekt voraus, das von Bewusstsein, Denken und Wollen charakterisiert ist (→ Subjekt). Jedoch muss dabei immer auch beachtet werden, dass unter Berücksichtigung unterschiedlich verlaufender Biographien, menschliche Existenz zerbrechlich und unsicher sein kann.

Weil Haltung durch unterschiedliche Bezüge geprägt sein kann, ist es hilfreich zu verstehen, wie sie sich entwickelt. Dafür erscheint die Reflexion fundamental. Reflexion kann als „gezieltes Nachdenken über bestimmte Handlungen oder Geschehnisse im Berufsalltag“ (Wyss, 2013, 55) verstanden werden, die „systematisch und kriteriengeleitet erkundet und geklärt“ (Wyss, 2013, 55) werden. Dank ihr gelingt es der Lehrperson, die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern oder zu begrenzen und so das Handeln zu verbessern. Aufgrund von Reflexivität wird Haltung erzeugt. Es ist der Prozess, der die ehrliche Bestandsaufnahme eigener Emotionen, Überzeugungen, Selbstwirksamkeitserwartungen und Fähigkeit zur Selbstregulation (Cramer, 2016, 36f.; → Personale Merkmale von Lehrkräften) in der Gegenwart und Vergangenheit abbildet, sowie deren Bedeutung für die Zukunft darlegt. Reflexion sorgt für eine erste Klarheit in Bezug zur eigenen Person, ihren Beziehungen und grundsätzlichen Bezogenheit, auf Vielfalt der Dimensionen, die ihr Denken und Handeln bestimmen, und besonders auf die Wertgrundlage des Denkens und Handelns.

Damit wird Haltung als Reflexionsbegriff bedeutend: Reflexivität ermöglicht Bewusstsein und Positionalität, sie gestattet einen günstigen Umgang mit Emotionen und verhindert ein affektives Reagieren. Somit ermöglicht die Reflexion der eigenen Haltung Selbstregulation und beständige Weiterentwicklung. So kann Haltung auch als Orientierungsbegriff verstanden werden. Dabei wird erkennbar, dass das hier vorgestellte Konzept von Haltung normative Anteile hat. Die auf der Grundlage von Reflexion gewonnene Position in Bezug auf Sachen oder Handlungen von Personen oder die Beurteilungsperspektive von Situationen kann beständig und anhaltend das eigene Handeln orientieren. Weil Haltung sich immer in einem bestimmten Kontext realisiert (Abschnitt 5.1), erscheint es notwendig, dass sie entwicklungsfähig und flexibel-dynamisch verstanden wird, damit sie zu aktuellen Herausforderungen passt. Mit Reflexion kann Normativität erfasst und sich zu ihr verhalten werden. Haltung beinhaltet so zwar normative Orientierung, bleibt als Reflexionsbegriff aber fluide und veränderbar.

Das hier beschriebene Konzept der Haltung beinhaltet demnach die persönliche Wahrnehmung und Positionierung einer Lehrperson, aus der heraus sie verantwortungsvoll und bestimmt Lehr- und Lernprozesse plant und durchführt. Im Weiteren wird dieses allgemeine Verständnis von Haltung für die Religionslehrperson konkretisiert.

3. Die Bedeutung der Religiosität der Religionslehrperson

Der konfessionelle Religionsunterricht an staatlichen Schulen in Deutschland ist zwar rechtlich und institutionell fest verankert, aber in der pluralen und sich transformierenden Gesellschaft in seiner derzeitigen Existenz immer wieder angefragt. Deshalb ist die Frage nach notwendigen Kompetenzen und professionellen Merkmalen der Religionslehrpersonen als zentrale Akteure und Akteurinnen von RU für dessen Qualitätssicherung relevant. Im Dialog mit der bildungswissenschaftlichen Professionstheorie, die vorwiegend kompetenzorientiert ausgerichtet ist, werden die führenden drei Ansätze in der Religionspädagogik rezipiert (Leven, 2019; Pirner/Wamser, 2017; Burrichter, 2012; Terhart, 2011, 202f.). Insofern wird die Professionalität von Religionslehrpersonen mit den Konzepten des Habitus (Heil/Riegger, 2017; → Habitus) und der Kompetenz (Pirner/Wamser, 2017; Burrichter, 2012; → Kompetenzen, religionspädagogische) beschrieben. Für beide Konzepte sind Reflexion und Kompetenz konstituierend.

Neuerdings wird ergänzend das Konzept der religionspädagogischen Haltung (Gaus, 2023) als Merkmal der Professionalität von Religionslehrpersonen diskutiert. Es denkt in metareflexivem Verständnis die Bedeutung der personalen Anteile und Kompetenzen der Religionslehrperson für das professionelle Handeln im Kontext des RU zusammen. Für dieses Verständnis erscheint der Kompetenzaspekt der Überzeugungen/Werthaltungen aus dem Professionsmodell nach Baumert/Kunter als zentral (Baumert/Kunter, 2011; Pirner/Wamser, 2017). Die individuelle Religiosität und der persönliche Glaube kennzeichnen als persönliche Überzeugung die Religionslehrperson. Sie fließt auf vielfältige Weise in den RU ein und wirkt auf das professionelle Handeln normierend. Deshalb besteht die Notwendigkeit einer reflexiven Haltung (Combe, 2008; Schön, 1983), damit die Religiosität als Werthaltung der Lehrperson bewusst wird und die Erkenntnisse aus dieser Reflexion didaktisch konstruktiv und verantwortungsvoll nutzbar gemacht werden.

Dies erscheint deshalb notwendig, weil Religiosität auch den Aspekt des persönlichen Glaubens umfasst, unter dem die Annahme einer Gottesbeziehung zu verstehen ist, mit der die Welt betrachtet und gestaltet wird und zu der sich eine Person verhält (Kropač, 2019; → Spiritualität, Lehrende). Religiosität umgreift eine Bandbreite, die von einer traditionellen, institutionalisierten Religiosität bis hin zur persönlichen religiösen Fragehaltung eines Menschen zum Sinn des Daseins, zum Unverständlichen im Leben, zum Tod und über das Alltägliche hinaus reicht. Weil der Begriff Religiosität die individuelle Seite von Religion umschreibt, beinhaltet er demnach das, was eine Person subjektiv glaubt und wie sie Religion lebt. Die persönliche Religiosität einer Religionslehrperson zeigt sich in einer Lebensweise oder Glaubenshaltung, die durch das Vertrauen auf einen persönlichen Gott gekennzeichnet ist, der existentielle Bedeutung für sie hat. Dies ist nach Pirner für die Religionslehrperson erforderlich, um sich auf religiös-existentielle Inhalte im RU einlassen zu können (Pirner, 2012). Ihre Religiosität fließt dabei als wichtiger personaler Anteil in die Unterrichtsvorbereitung und -gestaltung mit ein, bewusst oder unbewusst.

Die Religionslehrperson zeichnet sich somit durch eine Sensibilität aus, die die religiöse Dimension der Wirklichkeit wahrnimmt (Baumert, 2001, 7) und Einblick in ihr eigenes Suchen und Fragen gewährt. Sie hat selbst religiöse Lernprozesse durchlaufen bzw. durchläuft diese immer wieder neu. So hat sie die Erfahrung, ihr aktuelles Leben mit lebensbiographischer Prägung und ihrer religiösen Weltsicht zu verknüpfen. Teil dieses Prozesses ist ein reflektierter, kultureller Blick, ein bestimmtes Bildungsniveau, gesellschaftliche Werte und Normen, bestimmte Kommunikationsfähigkeiten und eine individuelle Lebensgestaltung. Ihr Selbstverständnis und Verhalten steht im Horizont der christlich-theologischen Sicht auf den Menschen, der in der Beziehung zu Gott steht und in dieser Dimension des Menschseins leben kann.

4. Die Haltung der Religionslehrperson

Die Haltung der Religionslehrperson wird auf Grundlage eines beziehungsorientierten Verständnisses religiöser Bildung gedacht. Beziehungen bestimmen (religiöse) Lehr- und Lernprozesse. Für die Religionslehrperson und ihre Haltung ist es entscheidend, sich der vielfältigen Beziehungen, in denen sie und ihr Lehren steht, bewusst zu sein. Diese betreffen auf einer didaktischen Ebene die Beziehung zum Inhalt und zu den Schülerinnen und Schülern, aber auch zum zeitgebundenen Kontext, in dem Lehren und Lernen stattfindet. Aus beziehungstheoretischer Perspektive sind für religiöse Lehr- und Lernprozesse fünf Beziehungsdimensionen für die Lehrperson relevant: der Selbstbezug der Lehrperson sowie die Beziehung zu anderen, zur Zeit, zur Welt und zu Gott (Boschki, 2003). Diese enthalten z.B. innere, die Emotionen oder die Urteilskraft betreffende Aspekte und äußere, körper- oder handlungsorientierte Aspekte. Sie sind in ihrer Interdependenz zu sehen.

Die Reflexion jeder Dimension, besonders der Beziehung zu Gott, gilt es auf Lehr- und Lernprozesse hin zu reflektieren, um deren Erkenntnisse bewusst und verantwortungsvoll nutzen zu können (Grümme, 2021, 23). Somit bilden diese Beziehungsdimensionen einen Kontext, in dem religiöses Lehren und Lernen stattfindet. Dieser stellt den Bewährungsraum für die Haltung der Lehrperson dar. Je nachdem wie der Unterrichtskontext gestaltet ist, verlangt er eine entsprechende Haltung, um mit Situationen professionell umzugehen, d.h. sich in der Unterrichtspraxis zu bewähren. Unter Einbezug der für den Haltungsbegriff benannten Merkmale zeichnet sich die religionspädagogische Haltung der Religionslehrperson durch vier Qualitäten aus.

4.1. Haltung als Wahrnehmung von vielfältigen Beziehungen

Es sind die Beziehungen und größeren Zusammenhänge, die religiöse Lehr- und Lernprozesse betreffen. Ausgehend von der Religionslehrperson und ihrem Bezug zu sich selbst reflektiert sie die Beziehungen zum Inhalt der Stunde, zu Schülern und Schülerinnen, zum Kontext der Stunde und zu Gott und ihrem persönlichen Glauben an ihn. Es geht darum, dass Lehrende ihre existentiellen Beziehungen verstehen, aber auch die der Schüler und Schülerinnen untereinander, die ebenfalls in diesen Beziehungen stehen und nach Antworten suchen. Das Gewahrwerden der Religionslehrperson dieser Beziehungen zeigt sich in einer bestimmten Handlungsqualität in Bezug auf ihre Präsenz, ihre Kommunikation sowie die inhaltliche Aufbereitung und Vermittlung. Dafür ist professionstheoretisch Reflexivität zentral, vor allem in Bezug auf den persönlichen Glauben, der das Handeln der Lehrperson als Überzeugung und personale Kompetenz im RU mitbestimmt.

4.2. Haltung als Verbindung von Kompetenzen und personalen Merkmalen

Die vorliegenden Gedanken legen offen, dass an gelingenden Lehr- und Lernprozessen nicht nur Kompetenzen beteiligt sind, sondern ebenso personale Merkmale der eigenen Biographie und Religiosität (Pirner/Wamser, 2017). Die religionspädagogische Haltung kennzeichnet sich in dieser Qualität als verbindend, weil mit dem Begriff Haltung sowohl die personalen Merkmale zusammen mit den Beziehungsdimensionen als auch die für professionelles Handeln notwendigen Kompetenzen bezeichnet werden können. Im Kontext religiöser Lehr- und Lernprozesse sind damit im Besonderen die Bewusstheit der religiösen Überzeugungen und des persönlichen Glaubens gemeint. Sie ermöglicht der Religionslehrperson z.B., die eigene religiöse Überzeugung und die damit verbundenen Emotionen im Zusammenhang mit dem erworbenen Fachwissen zu reflektieren.

4.3. Haltung als eine flexible und dynamische Konstellation

Die religionspädagogische Haltung schließt vielfältige Bezugnahmen ein, wie die zur eigenen Person, zu anderen und zur Welt, abhängig vom zeitlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und unterrichtlichen Kontext. Die Lehrperson muss sich für professionelles Handeln dieser vielfältigen Aspekte und Beziehungen auf der Grundlage von Reflexion immer wieder neu bewusstwerden. Selbstregulierend passt sie dann ihr Handeln einer gegebenen Situation an. Neu erkannte oder für die gegebene Situation notwendige Aspekte können so beachtet und integriert werden. So können sich unterschiedliche Haltungsaspekte wie Wertschätzung und Empathie oder Ablehnung und Missgunst zeigen. Diese Qualität der reflexiven Haltung schließt auch mit ein, dass sie sich in den Phasen der Lehrerbildung vom Studium bis ins Lehrerdasein beständig weiterentwickelt, indem die eigene Haltung verstanden, kritisch reflektiert und das eigene Handeln reguliert wird. Für den religionspädagogischen Kontext ermöglicht diese Haltungsqualität die Anpassungsfähigkeit von Lehrpersonen an Veränderungen der Bedingungen des konfessionellen RUs. Zu denken wäre an das zunehmend fehlende konfessionelle Bewusstsein der Schüler und Schülerinnen, die gesellschaftliche Begründbarkeit des konfessionellen RU sowie der zunehmende Agnostizismus. Mit Blick auf den Kontext können religiöse Lehr- und Lernprozesse aufgrund der Haltung der Lehrperson Lernende dennoch zum Fragen, Nachdenken und Formulieren eines eigenen religiösen Standpunkts motivieren. Grundsätzlich ermöglicht wird diese Haltungsqualität von der Offenheit für Änderungsprozesse und Umdenken der Lehrperson sowie von einem Kontext, der Dialog und Austausch über unterschiedliche Perspektiven erlaubt.

4.4. Haltung als eine wertgebundene und beurteilende Perspektive

Es wurde bereits deutlich, dass für die Religionslehrperson die individuelle Religiosität als normative und wertgebundene Grundoption zu verstehen ist, die sie von Lehrenden anderer Schulfächer unterscheidet. Sie versteht sich selbst als in einer Gottesbeziehung lebend, die gleichzeitig Inhalt des Unterrichts ist. Ihre religiöse Überzeugung steht in Zusammenhang mit professionellem Handeln. Je reflektierter dieser ist, je bewusster auf Religion gründende Werthaltungen und getroffene Entscheidungen und Urteile sind, desto professioneller kann das Handeln erfolgen. Um Beliebigkeit zu vermeiden, zeigt sich, dass religiöse Lehr- und Lernprozesse eine Positionierung zu Religiosität verlangen.

4.5. Fazit: Haltung durch Reflexion

Die religionspädagogische Haltung ist somit das Ergebnis eines Reflexionsprozesses, der die Anteile des Kontexts, in dem die Religionslehrperson agiert, sowie ihre persönlich eingebrachten Anteile, die zur Entwicklung der Haltung einer Lehrperson führen, aufzeigen kann (Wyss, 2013, 56f.). Die Haltung ist Ausdruck der reflektierten Werthaltungen und Grundüberzeugungen, die sich qualitativ in den Beziehungen und der Kommunikation der Lehrperson zeigen. Die religionspädagogische Haltung, die sowohl Kompetenzen als auch die personalen Anteile einer Religionslehrperson miteinschließt, ist demnach als Überbegriff all dessen zu sehen, was aufgrund eines differenzierten Reflexionsprozesses zu einer professionellen Qualität von unterrichtlicher Interaktion der Lehrperson führt. Damit dies gelingt, ist eine bewusste und gezielte Schulung dieser Haltung nötig.

5. Ausbildung der religionspädagogischen Haltung in der Lehrkräftebildung

Haltung kann entwickelt werden durch die Einübung von Reflexion (Wyss 2013, 65). Die für Haltung notwendige Reflexivität ist ein schulbares Konstrukt, das durch Übung und konkretes, begleitetes Tun erlernbar ist. Dafür sind in der Religionslehrkräftebildung verstärkt Angebote und Konzepte relevant, die zur Wahrnehmung der Bedeutung von Reflexivität für die pädagogische Professionalität und Beziehungsfähigkeit der Religionslehrpersonen führen sowie Möglichkeiten schaffen, die zum Aufbau eines religionspädagogischen kritisch-reflexiven Habitus beitragen (Heil, 2017; Combe, 2008).

5.1. Voraussetzung für die Ausbildung der Haltung Lehrender

Dabei ist diese Ausbildung der Haltung an Voraussetzungen geknüpft. Eine erste Voraussetzung ist, die eigene Befähigung zur Reflexion und damit die Möglichkeit der Ausbildung einer Haltung wahrzunehmen. Es kommt auf die persönliche Motivation und Ernsthaftigkeit an, mit der die (angehende) Religionslehrperson an der Verwirklichung ihrer Haltung interessiert ist (Rotter, 2019). Somit hängt dies von ihrem Engagement ab, wie sehr sie auch äußere Strukturen und Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen (z.B. Coaching, Supervision oder Kollegiale Beratung) nutzt, um Bewusstsein für das, was Haltung miteinschließt, zu schaffen und ausbilden zu können.

Eine weitere Voraussetzung ist die Wahrnehmung des organisatorischen Kontextes religiöser Lehr- und Lernprozesse. Denn schulische und kirchliche Gegebenheiten bilden den Rahmen, in dem professionell gehandelt wird, unabhängig vom Engagement des Individuums. Deshalb gilt es immer auch zu bedenken, welche kirchlichen und schulischen Bedingungen das Handeln aus einer religionspädagogischen Haltung ermöglichen oder verhindern können. Dabei können sowohl kirchen- und schulpolitische Veränderungen Beachtung finden als auch die plurale und interreligiöse gesellschaftliche Realität. Die reflektierte religionspädagogische Haltung hat somit Transformationsprozesse des Religiösen im Blick, die Interreligiosität, aber auch Agnostizismus sowie Atheismus miteinschließen, und kann mit ihnen in Dialog treten.

5.2. Ausbildungsformate für Haltung Lehrender

Die Ausbildung einer reflexiven Haltung ist auch auf bestimmte Ausbildungsformate angewiesen. Für die erste Phase der Lehrerbildung könnte das bedeuten, in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen selbstreflexive Elemente anzubieten und zu nutzen (z.B. → Portfolio, Portfolioarbeit; Feder/Cramer, 2018; Greif, 2008). Es könnte auf einer allgemeinen Ebene bereits der Begriff der religionspädagogischen Haltung eingeführt und in seiner mehrperspektivischen und beziehungsorientierten Bedeutung für die Professionalität von Lehrpersonen erarbeitet werden. Auf einer persönlichen Ebene könnte die individuelle Vorstellung der eigenen Haltung geklärt und definiert werden. Damit eine beispielsweise wertschätzende, resonante und anerkennende Haltung kein Ideal bleibt, sondern praktiziert werden kann, bedarf es von den angehenden Lehrenden einer Sensibilität für und eines eigenen Verständnisses von Wertschätzung, Resonanz oder Anerkennung. Das setzt bereits die Bereitschaft für eine ernstgemeinte existentielle Auseinandersetzung voraus, sich mit dem eigenen Verstehen zu befassen und sich einer solchen Sensibilität grundsätzlich nicht zu verschließen. Als weitere Formate könnten sich persönlichkeitsbildende Veranstaltungen, Angebote in Gesprächsführung und Kommunikation, aber auch solche Anlässe anbieten, bei denen rekonstruktives Fallverstehen und Reflexion gezielt geübt wird (Reintjes, 2022; Riegger/Heil, 2018; Wyss, 2013, 65). Diese Formate sollten allerdings immer safe spaces sein. Gibt es diese Angebote innerhalb der universitären Religionslehrkräftebildung, ist es für die persönliche Reflexion förderlich, wenn Themen und Inhalte derselben nicht ausgetauscht werden müssen oder überprüft werden (Labott/Reintjes, 2022, 180). Grundsätzlich ist der Ausbildungsprozess einer reflexiven Haltung Teil der Professionalisierung und als lebenslanger Lernprozess zu denken. Auch die Weiterentwicklung einer reflexiven Haltung ist erforderlich, weil sie auf bewusstes und gleichzeitig flexibles Handeln abzielt, das sich immer auch auf einen gegebenen und fluiden Kontext bezieht.

Auf Grundlage von Reflexion wird die Lehrperson befähigt, eigene Überzeugungen (Religiosität) bewusster wahrzunehmen und somit absichtsvoller ver- und anwenden zu können. Einer unreflektierten Weitergabe von extremen wertgebundenen Positionen wird so vorgebeugt. Die ausgeprägte Reflexionskompetenz ermöglicht gezielte Regulation als zentrales Element für Haltungsveränderung. So wird Haltung zum Merkmal der Professionalität von Lehrenden.

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