Lukas 22,54-62 | Lätare | 10.03.2024
Einführung in das Lukasevangelium
1. Verfasser
Der Verfasser des 3. Evangeliums, der Überlieferung nach „Lukas“, ist der beste bekannte Erzähler des Urchristentums. Darum nennt er sein Buch Bericht, Erzählung (Lk 1,1). Die altkirchliche Überlieferung hält fest, dass er Syrer war und im Alter von 84 Jahren in Boötien (bei Theben) kinderlos gestorben ist. Demnach hat er im Gebiet der paulinischen Mission den dortigen Gemeinden von Jesus erzählt. Bei ihm sind griechische Kultur und jüdische Frömmigkeit verbunden (Radl). Dass er einer jüdischen Familie entstammt (Wolter), ist schwer vorstellbar, denn er kennt das Buch Leviticus, das damalige Lehrbuch der jüdischen Erziehung, nicht, während er mit Jesaja und den Psalmen souverän umgeht. Er gehörte vor seinem Christ-Werden wohl zu den „Gottesfürchtigen“. Für seine Herkunft aus Syrien spricht die Sprache, die viele Septuagintismen ausweist, die aber kaum alle auf die Lektüre der LXX
2. Adressaten
Die Adressaten des Lk sind mit großer Wahrscheinlichkeit Christen, die, wie Theophilus
3. Entstehungsort
Der Entstehungsort des 3. Evangeliums ist vermutlich Philippi. Das lässt sich zwar nicht aus dem Evangelium selber, aber aus der Apg erschließen. Man kann auch weiter gehen: Paulinische Gemeinden. Abfassungszeit um 80 n.Chr. Vorausgesetzt ist der Fall Jerusalems, nicht aber die Christenverfolgung unter Domitian
4. Wichtige Themen
Quellen
Als Quellen gibt Lk Berichte von Augenzeugen an. Es sind dies die Redenquelle (Q), das Mk und Sondergut. Seine Hauptquelle ist Q. Er gibt ihr den Vorzug vor Mk. Mk hat ihm den Rahmen für seinen Bericht gegeben. Lk hat es an manchen Stellen gekürzt, wahrscheinlich aus Raumgründen. Das Sondergut, das wahrscheinlich in Judäa gesammelt wurde und das viele bekannte Gleichnisse enthält, ist wohl nach dem Fall Jerusalems in weiteren Kreisen verbreitet worden. Dazu gehört auch der Passions- und Auferstehungsbericht, der an vielen Stellen dem des Joh vergleichbar ist. Lk hat diesen Bericht mit dem der johanneischen Tradition zusammengearbeitet. Möglicherweise war dieser Passions- und Auferstehungsbericht bereits schon mit anderen Texten des Sondergutes kombiniert. Das würde einige Parallelen (Maria und Marta
Gliederung
Seinen „Bericht“ hat Lk so geordnet:
a) Anfänge (1,4-4,30
b) die Grundlegung (5,1-9,50
c) der Reisebericht (9,51-19.10
d) Schlussteil (19,11-24-53
5. Besonderheiten
Lukas erzählt, er macht keine theologisch eindeutigen Aussagen. Das lässt sich an einer Stelle eindrücklich zeigen: Nach 10,25 einerseits, und 18,18 andererseits, ist die Antwort auf die Frage, was zu tun ist, das ewige Leben zu empfangen, verschieden. Sein theologisches Konzept fasst er in Apg 16,17 in die Wendung „Weg des Heils“ zusammen. Dieser Weg wird unter klaren sozialen und politischen Verhältnissen beschrieben. Darum geschichtliche Daten. Der Kaiser Augustus
Die „Heilsgeschichte“, die Lukas erzählend wiedergibt, ist das Werk Jesu und in der Apostelgeschichte das der Kirche, an dem Jünger und Hörer:innen teilhaben. Es ist ein Weg, der durch Leiden zur Herrlichkeit führt (Lk 24,26; Apg 14,22). Deutlichstes Zeichen für dieses Verständnis ist die Emmausgeschichte
Die inhaltlich herausragende Stelle ist die Antrittspredigt in Nazareth
Der Satan
Die Glieder des Gottesvolkes Israel sind die Adressaten der Botschaft Jesu. Mit dem Ausdruck „dieses Geschlecht“ (Lk 11,29f.50) werden jene bezeichnet, die Jesu Botschaft nicht annehmen. Seine Gesprächspartner aus diesem Volk sind die Pharisäer. Jesus wirbt um sie, und sie laden Jesus ein. Sie werden wegen ihrer „Hartherzigkeit“ kritisiert. Aber Lk lässt die Tür offen, dass sie sich ändern. Das ist auch am Schluss der Apg (28,17-28) mit Blick auf die Juden allgemein so gesehen. Das Wirken Jesu hat Heilsbedeutung, auch in der letzten Stunde. Durch seinen Tod
Literatur:
- Walter Radl, Das Evangelium nach Lukas. Kommentar. Erster Teil. 1,1-9, Freiburg/ Br. 2003.
- Michael Wolter, Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008.
A) Exegese kompakt: Lukas 22,(31-34)54-62
Übersetzung
31 Simon, Simon, siehe der Satan hat sich erbeten, euch zu sieben wie den Weizen. 32 Ich aber habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht ablasse. Du aber, wenn du einmal umgekehrt bist, stärke deine Brüder. 33 Der aber sagte ihm: Herr, mit dir bin ich bereit auch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. 34 Der aber sagte: ich sage dir, Petrus, der Hahn wird heute nicht krähen, bevor du dreimal geleugnet haben wirst, mich zu kennen.
54 Nachdem sie ihn gefangen genommen hatten, führten sie ihn ab und brachten ihn in das Haus des Hohenpriesters. Petrus aber folgte von fern. 55 Als sie aber ein Feuer in der Mitte des Hofes anzündeten und sich zusammensetzten, da setzte sich auch Petrus unter sie. 56 Als ihn eine Magd beim Feuer sitzen sah, schaute sie ihn scharf an und sagte: Auch dieser war mit ihm. 57 Er aber leugnete und sprach: Ich kenne ihn nicht, Frau. 58 Und nach kurzer Zeit sah ihn ein anderer und sagte: Auch du bist von ihnen. Petrus sagte: Mensch, ich bin es nicht. 59 Und als etwa eine Stunde vergangen war, behauptete ein anderer: Wahrlich auch dieser war mit ihm, denn er ist auch ein Galiläer. 60 Petrus aber sagte: Mensch, ich weiß nicht, was du redest. Und sofort, als er noch redete, krähte der Hahn. 61 Und indem er sich umwandte, blickte der Herr Petrus an. Da erinnerte sich Petrus an das Wort des Herrn, wie er ihm gesagt hatte: bevor der Hahn heute kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. 62 Und er ging hinaus und weinte bitterlich.
1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung
Das ἐπιστρέψας in V.32 bezieht sich auf ein falsches Verhalten in der Vergangenheit, nicht auf eine falsche Lebensinstellung, die ein „Umdenken“ notwendig macht.
2. Literarische Gestalt
Lk 22,31-34 ist eine von Lk aus zwei verschiedenen Traditionen zusammengestellte Einheit. Der erste Teil (V. 31) enthält die Ankündigung einer Notsituation an die Jünger, und eine Ermahnung an Petrus
3. Kontext und Historische Einordnung
Das Wort an Petrus (22,31-34) erfolgt im Rahmen der Abschiedsworte Jesu im Zusammenhang des letzten Mahles an die Jünger (22,24-38). Es sind die letzten belehrenden Worte des irdischen Jesus. Lk hat darin zwei ihm unabhängig voneinander zugekommene Traditionen aufgenommen und bearbeitet. Der erste Teil (22,31f) ist ein Wort des Erhöhten, formuliert von einem urchristlichen Propheten. Es beschreibt eine Situation im Himmel, wo der Satan
Die Erzählung von der Verleugnung (22,54-62) konkretisiert die Ankündigung. Lk bringt den Bericht über die Verleugnung des Petrus als eine kompakte Einheit. Damit bekommt dieser Bericht Eigengewicht. Im Unterschied zu Mk hat Lk nicht berichtet, dass die Jünger bei der Gefangennahme Jesu flohen (Mk 14,50). Er berichtet bloß, dass Petrus Jesus in den Hof des Palastes des Hohepriesters
4. Schwerpunkte der Interpretation
Beginnend mit der Leidensgeschichte ist der Satan nach Lk wieder aktiv (Lk 22,3). Aber seine Macht ist begrenzt, weil Jesus gegen ihn im Himmel eintreten kann. Er hat dort die Funktion des Staatsanwaltes wie Hi 1. Als solcher hat er den Glauben des Petrus zeitweise erschüttern können. Dessen Glaube hört damit aber nicht auf, weil Jesus für ihn eingetreten ist. Der Auferstandene wird ihm erscheinen (Lk 24,34). Dass Jesus Sünder annimmt, hat Lukas oft thematisiert, bereits Lk 5,8. Die Leser:innen werden sich an sein Versprechen erinnern: „Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen“ (Lk 22,33) und dass Jesus ihm gesagt hat, dass er ihn verleugnen wird (Lk 22,34). Letzteres wird eintreffen: Petrus will räumlich möglichst in Jesu Nähe bleiben. Aber das geht nicht. Wenn er bekennt, dass er zu Jesus gehört, kann er räumlich nicht in seiner Nähe bleiben. Die Worte, mit denen er dies tut, sind bis heute üblich: „Ich kenne ihn nicht“ (Distanz zu Jesus), „Ich bin es nicht“ (Verwechselung), „Ich weiß nicht, wovon du redest“ (völlige Distanzierung vom Geschehen). Da kräht der Hahn. Und Petrus erlebt, dass Jesus ihn ansieht (Lk 22,61). Man muss nicht fragen, wie man sich das vorstellen soll. Petrus erlebt es so. Er erinnert sich, dass Jesus sein Verhalten vorausgesagt hat, geht weg und weint. Er wollte in Jesu Nähe bleiben und erlebt, dass dies nicht möglich ist, wenn er sich damit von Jesus lossagt. Bei Jesus, in seiner Nachfolge, kann nur bleiben, wer bei der Wahrheit bleibt.
5. Theologische Perspektivierung
Es gibt Zeiten, in denen der Satan wirksam ist. Dann werden gute Vorsätze, Selbstverständlichkeiten des Glaubens vergessen, übersehen, beiseite gerückt. Wie man in solchem Fall bei Jesus bleiben kann, ist unklar. Man kann, um bei Jesus zu bleiben, auch bereit sein, ins Gefängnis zu gehen, und dann doch wie Petrus das Verkehrte machen. Die Botschaft ist: Jesus steht zu seinen Jüngern, auch wenn sie eine Probe nicht bestehen. Wer versagt, darf wieder zu Jesus kommen. In Reue. Jede Reue schließt Bereitschaft ein, die Konsequenzen zu tragen.
Literatur
- Wolfgang Dietrich, Das Petrusbild der lukanischen Schriften, BWANT 94, Stuttgart 1972, 116-147.
B) Praktisch-theologische Resonanzen
1. Persönliche Resonanzen
Lukas, der gekonnte Erzähler, setzt eigene Akzente in seiner Zusammenstellung der Heilsgeschichte Jesu. Auch in Lk 22, 31-34.54-62 wird dies deutlich. Trotz aller Verwerflichkeit, die der Verleugnungserzählung anhaftet, scheint eine „Entlastung“ des Petrus auf. V.31f unterstreicht den Beistand und das unerschütterliche Vertrauen Jesu in Petrus, dass dieser trotz der augenscheinlichen Schwächen einst Führungsqualitäten entwickeln wird. Zudem flieht Petrus nach der Gefangennahme nicht (so bei Mk und Mt), sondern bleibt bis zur dreimaligen Verleugnung in der Nachfolge (V. 54). Er will in Jesu Nähe sein und bleiben, scheitert aber kläglich und erkennt, als „der Herr ihn anblickt“ (V. 61), dass er geistlich Jesu Nähe verlassen hat. Diese exegetischen Ergebnisse unterstreichen die Tragik der Situation und zeichnen mir Petrus in einem weicheren Licht. Sie schwächen möglicherweise die Tendenz ab, die Perikope mit erhobenem Zeigefinger zu predigen.
2. Thematische Fokussierung
Selbstgesteckte Ziele zu verfehlen, von Ängsten übermannt zu werden, sich zu überschätzen, das Gute zu wollen und doch das Falsche zu tun, eher die eigene Haut zu retten als die des anderen, sind zutiefst menschliche Erfahrungen.
Im Alltag können sie dazu führen, dass Gräben zwischen Menschen entstehen, die nur noch schwer, manchmal gar nicht mehr überwunden werden.
Und so lässt mich die Verleugnung des Petrus erschüttert zurück.
So hätte ich mich auf gar keinen Fall verhalten! Niemals!
Aber was macht mich so sicher? Bröckelt die Sicherheit gar? Petrus wird hier in seinem Wollen, Versagen, Verzweifeln und Bereuen gezeigt. Am Ende weint er bitterlich. Er kommt mir dadurch erstaunlich nah.
3. Theologische Aktualisierung
Die Hähne auf den Kirchendächern drehen sich friedlich im Wind. Sie krähen nicht. Und doch könnte jedes Aufblitzen dieser goldenen Figuren im Sonnenlicht ein Hahnenschrei sein, der mich hoffentlich nicht in der Weise aufgeschreckt wie Petrus und ich bitterlich anfange zu weinen. Und doch: Der Hahn bleibt Mahnmal. Und ich bleibe menschlich.
Eine Verleugnung wie die des Petrus hätte in meinem Alltag einen wohl unüberwindlichen Graben hinterlassen. Dass dies in Lk 22 nicht der Fall ist, macht Hoffnung. Umkehr ist und bleibt möglich – auch nach eigenem Versagen!
War nun aber der Satan für die Verleugnung des Petrus verantwortlich? Nach Lk 22,3 („es fuhr aber der Satan in Judas“) wäre diese Intention denkbar. Auch Lk 22,31 erwähnt den göttlichen Gegenspieler, allerdings in einer jenseitigen anklagenden Funktion.
In Lk 22,54-62 geht es hingegen sehr irdisch zu, und der Satan ist nicht erwähnt. Somit kann ich Petrus hier nicht guten Gewissens entlasten, sondern belasse sein menschliches Versagen, das er bitterlich weinend bereut, in seinem Verantwortungsbereich. Und so werde auch ich im Aufblitzen des goldenen Hahnes auf dem Kirchendach keinen anderen Verantwortlichen für mein eigenes Versagen suchen als mich selbst. In der begründeten Hoffnung auf Vergebung.
4. Bezug zum Kirchenjahr
Mit dem Sonntag Lätare („Freuet euch“) begehen wir inmitten der Passionszeit „Klein Ostern“ und erleben einen Lichtblick auf dem Weg Richtung Karfreitag. Der Wochenspruch „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht“ (Joh 12,24) und das dazugehörige Wochenlied EG 98 mit dem eindrücklichen Ende „…und ihr Halm ist grün“ prägen die Stimmung.
Der Predigttext mit dem bitterlich weinenden Petrus am Ende erscheint in diesem Zusammenhang besonders düster. Ich empfehle, die Ankündigung der Verleugnung in Lk 22,31-34 mit hinzuzunehmen, da sie durch die Vorwegnahme der Umkehrerwartung (s.o.) den hoffnungsvollen Akzent setzt, der für den Sonntag Lätare essenziell ist.
5. Anregungen
Was für ein Glück, dass es Petrus gibt!
Diesen leise-lauten, mutig-schwachen Menschen, der erstmal redet und dann denkt.
Der „das Herz am rechten Fleck“ hat. Es so richtig gut meint.
Und der das Vertrauen Jesu wie auf einem gläsernen Tablett stolpernd vor sich herträgt.
Immer wieder schießt er über das Ziel hinaus, nimmt den Mund zu voll, poltert lauthals, versinkt in den Wellen, verschläft Entscheidendes.
Und doch hält Jesus an ihm fest. Vertraut ihm. Setzt Hoffnung in ihn.
Würde es Petrus nicht geben, müsste ich annehmen, Nachfolge habe geräuschlos zu verlaufen. So wie beim „Lieblingsjünger“. Das ist wunderschön zu lesen. Aber schwer zu wiederholen. Ich wäre gern wie der Lieblingsjünger. Wirklich! Aber ich erkenne mich in ihm nicht wieder.
Petrus wäre ich nicht so gerne. Er schwächelt immer mal wieder. Nachfolge läuft bei ihm nicht geräuschlos ab. Im Gegenteil. Und dennoch ist es Nachfolge!
Ähneln wir uns hier, Petrus?
Autoren
- Prof. em. Dr. Hans Klein (Einführung und Exegese)
- Angelika Ohlemacher (Praktisch-theologische Resonanzen)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/500026
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