Deutsche Bibelgesellschaft

1. Petrus 1,3-9 | Quasimodogeniti | 27.04.2025

Einführung in den 1. Petrusbrief

Der erste Petrusbrief wird den katholischen Briefen zugerechnet. Er wendet sich also nicht an Einzelgemeinden oder konkrete Personen, sondern hat umfassend alle im Blick, die an Christus glauben. Konkret richtet sich der Brief an verschiedene christliche Gemeinden in Kleinasien. Die fünf Kapitel des Mahn- und Ermutigungsschreibens sind in einem gehobenen Griechisch verfasst und von Textelementen gerahmt, die ihn als Brief erscheinen lassen.

1. Verfasser

Eine Mehrheit der Exegetinnen und Exegeten sieht den ersten Petrusbrief als pseudepigrafisch an, d.h. man geht davon aus, dass der Brief nicht von Petrus als dem wichtigsten Jünger Jesu geschrieben wurde, sondern dass sich der Autor des Briefes die Autorität des Apostels „leiht“. Ob der am Ende des Brieftextes genannte Sylvanus (1Petr 5,12) als Sekretär oder Bote fungierte, ist umstritten.

Der Brief selbst lässt keinen spezifisch petrinischen und galiläisch geprägten Hintergrund erkennen. So stellt sich die Frage, ob es der Verfasser bewusst auf Durchschaubarkeit der Pseudepigrafie seines Schreibens angelegt hat. In diesem Fall würde der Autor mittels der Gegenüberstellung des ersten Wortes des Briefes (Petrus) und seines letzten Wortes (Christus) den Blick seiner Leserschaft in die für ihn entscheidende Richtung lenken: weg von der vermeintlichen Autorität eines fiktiven und zu Beginn genannten Autors hin zu Christus, als dem allein wichtigen Inhalt, durch den und in dem abschließend alle genannten christlichen Gruppen verbunden sind.

2. Abfassungszeit

Eine vorausgesetzte, bereits entwickelte und etablierte Gemeindesituation sowie eine Notiz des Papias (ca. 60-163 n. Chr.) beim Kirchenvater Euseb (ca. 260-340 n. Chr.; h.e. III,39,17) und ein Bezug in 2 Petr 3,1 machen für die Entstehung des ersten Petrusbriefes ein Zeitfenster zwischen 70‑110 n. Chr. wahrscheinlich. Die bemerkenswerte Fülle der mit Selbstverständlichkeit gebrauchten alttestamentlichen Zitate und Anspielungen deutet auf einen im Judenchristentum beheimateten Autor.

3. Wichtige Themen

Die thematische Mitte des ersten Petrusbriefes bilden zum einen die Beschreibung des Lebens der Gläubigen als einer Existenz in der Fremde und zum anderen die Deutung des ungerechtfertigten Leids, das den Gemeindegliedern begegnet. Die Angehörigen der christlichen Gemeinde leben als Erwählte, die am himmlischen Erbe teilhaben, in einem von ihnen als feindlich erfahrenen Umfeld.

Ihr Leiden lässt die Adressatinnen und Adressaten des Briefes in die Nachfolge Christi treten und ist damit Ausweis ihrer Rettung. Für die bevorstehende Heilszeit wird ihnen Genugtuung verheißen.

Wie sich die Existenz der ersten Christusgläubigen in der Fremde vollziehen soll, wird u.a. in einer „Haustafel“ konkretisiert (1 Petr 2,18–3,7), die sich dezidiert an Sklaven und Ehegatten richten. Über die genannten Personenkreise hinaus ist der Autor bestrebt, auch alle anderen ihm wesentlich erscheinenden Gemeindegruppen in und durch Christus zu vereinen: Christusgläubige und heidnischer Herkunft, Frauen und Männer, Alte und Junge, Leidende und Jubelnde, Gemeindeleiter und Gemeindeglieder, Lebende und Tote. Mit der Erwähnung Letzterer beantwortet der Verfasser die Frage nach der Rettung derer, die vor und nach Jesu irdischer Existenz gestorben sind, ohne die Heilsbotschaft erfahren zu haben. Mit dem ins apostolische Glaubensbekenntnis eingegangenen Aufenthalt Christi im Totenreich (1Petr 3,19) wird zeitunabhängig auch allen Verstorbenen eine Heilsoption eröffnet.

4. Besonderheiten

Taufe: Von der im letzten Jahrhundert vertretenen These, es handele sich beim ersten Petrusbrief (z.T.) um eine Taufpredigt, wurde wieder Abstand genommen. Der erste Petrusbrief möchte nicht die Taufe erklären oder deren Notwendigkeit begründen, sondern seine Intention ist es, unter Verweis auf die bereits fest in der Gemeinde verankerte Taufe auf die alle Zeiten übergreifende Rettung durch Christus zu verweisen. Er ruft die als Kinder Gottes wiedergeborenen Gläubigen auf zu einer missionarischen Existenz und zu einem Gott wohlgefälligen Lebenswandel.

Petrus und Paulus: Auch wenn eine spezifisch paulinische Diktion nicht durchgängig erkennbar ist, berührt sich der erste Petrusbrief u.a. mit Blick auf den stellvertretenden Heilserwerb durch den sündlosen Christus mit den als echt geltenden Paulusbriefen. Ungeachtet diverser Beziehungen lässt sich eine literarische Abhängigkeit zwischen dem ersten Petrusbrief und dem Corpus Paulinum oder den Evangelien nicht nachweisen. Indem der Autor sich mit seinen Schlussgrüßen selbst in Babylon ansiedelt (Chiffre für Rom; 1Petr 5,13), macht er deutlich, dass er sein Schreiben in Rom verortet wissen möchte.

Literatur:

  • Müller, Chr. G., Der erste Petrusbrief (EKK XXI; Ostfildern, Göttingen 2022).
  • Ostmeyer, K.-H., Die Briefe des Petrus und des Judas (Botschaft des NT; Göttingen 2021).
  • Vahrenhorst, M., Der erste Brief des Petrus (ThKNT 19; Stuttgart 2016).
  • Wagner, G. / Vouga, F., Der erste Brief des Petrus (HNT; Tübingen 2020).

A) Exegese kompakt: 1. Petrus 1,3-9

3Εὐλογητὸς ὁ θεὸς καὶ πατὴρ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ ὁ κατὰ τὸ πολὺ αὐτοῦ ἔλεος ἀναγεννήσας ἡμᾶς εἰς ἐλπίδα ζῶσαν δι’ ἀναστάσεως Ἰησοῦ Χριστοῦ ἐκ νεκρῶν 4εἰς κληρονομίαν ἄφθαρτον καὶ ἀμίαντον καὶ ἀμάραντον τετηρημένην ἐν οὐρανοῖς εἰς ὑμᾶς 5τοὺς ἐν δυνάμει θεοῦ φρουρουμένους διὰ πίστεως εἰς σωτηρίαν ἑτοίμην ἀποκαλυφθῆναι ἐν καιρῷ ἐσχάτῳ 6ἐν ᾧ ἀγαλλιᾶσθε, ὀλίγον ἄρτι, εἰ δέον ἐστίν, λυπηθέντας ἐν ποικίλοις πειρασμοῖς, 7ἵνα τὸ δοκίμιον ὑμῶν τῆς πίστεως πολυτιμότερον χρυσίου τοῦ ἀπολλυμένου, διὰ πυρὸς δὲ δοκιμαζομένου εὑρεθῇ εἰς ἔπαινον καὶ δόξαν καὶ τιμὴν ἐν ἀποκαλύψει Ἰησοῦ Χριστοῦ 8ὃν οὐκ ἰδόντες ἀγαπᾶτε, εἰς ὃν ἄρτι μὴ ὁρῶντες, πιστεύοντες δὲ ἀγαλλιᾶσθε χαρᾷ ἀνεκλαλήτῳ καὶ δεδοξασμένῃ 9κομιζόμενοι τὸ τέλος τῆς πίστεως ὑμῶν σωτηρίαν ψυχῶν.

1. Petrus 1:3-9NA28Bibelstelle anzeigen

Übersetzung

3 Gelobt sei Gott der Vater unseres Herrn Jesus Christus. Aus seinem großen Erbarmen heraus hat er uns wiedergeboren, damit wir eine lebendige Hoffnung haben durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, 4 auf dass wir eine unvergängliche und unbefleckte und unverwelkliche Erbschaft empfangen, die in den Himmeln für euch aufbewahrt ist. 5 In der Kraft Gottes seid ihr behütet durch den Glauben zur Rettung. Sie liegt bereit, in der letzten Zeit offenbart zu werden. 6 Darüber jubelt ihr, obwohl ihr jetzt eine kurze Zeit, wenn es sein muss, unter mancherlei Versuchungen leidet. 7 Dadurch wird die Echtheit eures Glaubens als viel wertvoller erwiesen als Gold, das doch vergänglich ist und das durch Feuer geprüft wird. Und es geschieht zum Lob und zum Ruhm und zur Ehre bei der Offenbarung Jesu Christi. 8 Ihn liebt ihr, obwohl ihr ihn nicht gesehen habt. An ihn glaubt ihr, obwohl ihr ihn auch jetzt nicht schaut. Jubelt mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, 9 weil ihr das Ziel eures Glaubens erlangt: die Rettung eurer Seelen!

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

V. 3a) ἀναγεννάω – wiederzeugen, wiedergebären. Sprachlich ist beides möglich; ausgedrückt werden soll ein radikaler Neuanfang durch Jesu Wiederauferstehung (3c; ἀνάστασις). Beide Termini beginnen mit der Silbe ἀνα- („wieder“, „von neuem“; vgl. Joh 3,3.7) und folgen einander im zweiten Teil von V. 3.

V. 4a) ἄφθαρτος, ἀμίαντος, ἀμάραντος - un-vergänglich, un-befleckt, un-verwelklich. Drei aufeinanderfolgende und mit einem Alpha privativum eingeleitete Adjektive verneinen Merkmale, die für diese Welt typisch sind (Vergänglichkeit, Befleckung etc.), die es aber in der künftigen Welt und in dem für die Gläubigen bereitliegenden Erbe nicht mehr gibt.

V. 4b) κληρονομία (kläronomia) τετηρημένη (tetärämenä; Perfekt von τηρέω, bewahren); das griechische Perfekt bezeichnet das Ergebnis einer abgeschlossenen Handlung. Das Erbe (kläronomia) wird also nicht einfach nur aufbewahrt, sondern es liegt konkret empfangsbereit für jede Gläubige und jeden einzelnen Erbberechtigten.

2. Was wird erzählt?

? In den ersten drei Versen des Predigttextes benennt sein Verfasser die Eckpunkte der christlichen Existenz: Wer an Christus und seine Heilstat (3b) glaubt (5a), hat bereits Anteil am ewigen Heil (4.5b) und ist in der Taufe (2b) wiedergeboren (3a). Das neue Leben der Gläubigen verdankt sich dem Erbarmen Gottes und dem Tod und der Auferstehung Christi (3). Die Wiedergeborenen sind in ihrer neuen Existenz behütet und gerettet durch ihren Glauben (5). Was sie am Ende der Zeiten erwartet, liegt schon jetzt für sie zur Offenbarung bereit: Es ist eine Erbschaft (4a), die keine Merkmale dieser vergänglichen Welt aufweist.

3. Wie wird erzählt?

In seinem Einstieg (3) schlägt der Verfasser einen hohen, erhabenen Ton an. Der Autor verzichtet zunächst auf finite Verbformen und bietet stattdessen einen partizipial formulierten Lobpreis. In 3a preist er Gott (Theos) als Vater und Jesus Christus als den Sohn und Herrn (Kyrios) samt dessen Heilstat für die Gläubigen (3cd). Eine mit der Septuaginta vertraute Leserschaft weiß, dass in der griechischen Übersetzung der AT-Schriften der hebräische Gottesname „Jhwh“ regelmäßig mit „Herr“ (Kyrios) übersetzt wird und erkennt, dass Jesus hier als Gott bezeichnet wird. Zeitlich ist die Prägung des trinitarischen Dogmas noch weit entfernt (325 n.Chr. auf dem Konzil von Nicäa). Doch Formulierungen wie die im dritten Vers des ersten Petrusbriefes bilden dessen neutestamentliche Grundlage.

4. Wie und womit wird argumentiert?

Wer neu gezeugt ist (3), steht als Fremder in der alten Welt (vgl. 1,1b). Sowohl das Fremdsein der Christinnen und Christen als auch die dadurch verursachten Leiden (6) sind in dieser Welt kein vorübergehendes Phänomen, sondern gehören essentiell zu ihr und damit zum Christsein: Die Wiederzeugung (Wiedergeburt; 3d) und deren Implikationen (Fremdheit und Leiden) erscheinen eingebunden in das väterliche Erbarmen (3c) und münden in eine lebendige Hoffnung (3e). Denn durch ihre Neuzeugung ist den Christinnen und Christen alles das zugänglich, was die vergängliche Welt nicht zu bieten hatte. Die verheißene Erbschaft (4) ist aufbewahrt. Sie liegt für jede und jeden einzelnen zur Abholung bereit und ist weder wieder verlierbar noch auf andere übertragbar. Finanztechnisch gesprochen ist das Erbe auf dem Konto der Gläubigen längst gutgeschrieben. Das Leid ist weniger zu verstehen als von Gott verursacht, sondern es ist Folge der Zugehörigkeit zu Gott. Leid und Fremdheit in der gottfernen Welt ist Indiz dafür, auf der richtigen Seite zu stehen und bereits das Erbe von Gott empfangen zu haben. In 1Petr 4,12f. wird argumentiert, dass das Feuer der Verfolgung zur Prüfung geschieht. Es ist gerade nichts Fremdes für Christinnen und Christen, sondern macht sie der Teilhabe am Leiden Christi und seiner Herrlichkeit umso gewisser.

5. Welche sprachlichen / stilistischen Elemente kommen zum Einsatz?

Die Gläubigen stehen bis zum Empfang des Erbes nicht ungeschützt in der ihnen fremden und feindlichen Welt. Der „Glaube“ in der Mitte der Wendung (5b): „ihr [seid] behütet durch den Glauben zur Rettung“, erlaubt einen doppelten Bezug. Gegenwärtig bewirkt er Bewahrung und zukünftig steht er für (ewige) Rettung.

Im zweiten Teil der Perikope kommen die Leiden der Gemeindeglieder als ein Hauptthema des gesamten Briefes explizit zur Sprache. Sprachlich „verpackt“ ist dieses Leid in eine Fülle von Heilszusagen (5). Die Leiden der Gläubigen geschehen nicht unabhängig von Gottes Willen. Das erfahrene Leid ist beschränkt auf ein Minimum (6), und es dient der Glaubensstärkung der Leidenden und zu ihrer Rettung. Der in Leid und Versuchung geprüfte Glaube ist Anlass zum Jubeln und zum Lob Gottes. Er steht auf der „Haben-Seite“ der Gläubigen. Dieses unüberbietbare Grundkapital ist die Basis der Glaubensgewissheit des Autors und der unerschütterliche Grund christlichen Jubels (6a).

6. Historische Einordnung

Es wird nicht ausgeblendet, dass das Leben in der irdischen Gegenwart leidvoll und beschwerlich ist (6b). Die hier vorausgesetzte Situation der adressierten Gemeinde ist historisch in der Phase der blutigen Christenverfolgungen unter Domitian um das Jahr 90 n.Chr. anzusiedeln. Wenn der Autor die aktuelle Mühsal mit „kurzzeitig“ oder „ein wenig“ apostrophiert (6b; vgl. 1Petr 5,10), dann sollen damit die Leiden nicht klein geredet werden, es geht vielmehr darum zu verdeutlichen, dass das, was die Gläubigen bereits gewonnen haben, unvergleichlich größer und bedeutender ist als alles, was ihnen an Schmerz und Verfolgung in der Gegenwart begegnet (vgl. Röm 8,18).

Leiden treffen Christen im Einklang mit Gottes Willen (6b; vgl. 1Petr 3,17; 4,19). Durch ihre Etikettierung als „Versuchungen“ (6c) wird deutlich, dass sie letztlich zugunsten der Versuchten geschehen. Die Gläubigen bewähren sich in den Versuchungen und gehen gestärkt aus ihnen hervor.

7. Was ist das Argument?

In Vers 5 bezog sich die Aufdeckung (Apokalypse) auf das Offenbar-Werden der Rettung bzw. des bereitliegenden Erbes. Zwei Verse später geht es um die Offenbarung des Glaubens (7a). Unechter Glaube erscheint als ein Widerspruch in sich: Glaube ist laut erstem Petrusbrief entweder echt oder er ist nicht vorhanden. Der Verfasser vergleicht den echten Glauben mit geläutertem Gold (7b). Das, was den Läuterungstest nicht besteht, erweist sich als Schlacke und damit als Nicht-Gold. Sogleich betont der Autor, dass sein Vergleich hinkt, weil Glaube ungleich wertvoller ist als Gold. Wenn schon das als vergänglich bezeichnete Gold durch Feuer geprüft wird (vgl. 1Petr 4,12), um wieviel mehr dann der unvergängliche Glaube durch zeitlich begrenzte Leiden (6)! Die Glaubensprüfung dient als Erweis seiner Echtheit und damit letztlich seiner Stärkung (7).

Am Anfang des Abschnitts (3) war Gott der Adressat des Preisens durch die Gläubigen. Wird auch in Vers 7c Gott als Empfänger des Rühmens verstanden, setzt eine solche Interpretation den geprüften Glauben als Instrument zum Lob Gottes voraus: Der Glaube und seine Echtheit werden verstanden als von den Gläubigen an Gott gerichteter Lobpreis für sein Werk in Christus. Damit wäre der in der Prüfung bewährte Glaube und letztlich das Leiden um des Glaubens willen selbst eine Art von Gottesdienst (7).

8. Literarischer Kontext (hier vor allem das Evangelium nach Johannes)

Eine größere Freude, als Christus anzugehören und an ihn zu glauben, ist für den Autor des ersten Petrusbriefes nicht vorstellbar. Demgegenüber fällt – analog zu den begrenzten Leiden (6; 1Petr 5,10) – nicht ins Gewicht, dass Christus als der Geglaubte (noch) nicht geschaut wird (8b). Gerade der Glaube, der ohne Anschauung auskommt, gereicht denen, die so glauben, zu besonderer Freude (8c; vgl. Joh 20,26–29). Was manchen als Manko erscheinen mag (die Abwesenheit des Geglaubten), ist gerade das, was eine besondere Glaubenskraft offenbart und als solche gerühmt wird (8; Joh 20,29).

Das verheißene Ziel, die Rettung der Seelen, liegt nicht in einer fernen Zukunft (9). Im Glauben empfangen es die Christinnen und Christen bereits in ihrer Gegenwart. Wenn von Seelenrettung die Rede ist, verbirgt sich dahinter keine „Teilrettung“, so als würde alles andere, zum Beispiel die Leiber des Gläubigen, verloren gehen. Die Seelen stehen für die gesamte gläubige und erlöste Existenz. Die Rettung selbst ist kein bloßes Befreit-Werden aus den Leiden, sondern es handelt sich um eine endgültige und umfassende Rettung. Im Glauben an Christus sind die Gläubigen Teilhaber des ewigen Heils. Auch hier wird eine Parallele zum Johannesevangelium offenbar: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen” (Joh 5,24; LÜ 2017).

9. Die Leitmotive der Perikope

Glaubensgewissheit und Freude trotz allen Leides und Fremdseins der Christinnen und Christen in der Welt, ist derzeit aktuell mit zunehmender Tendenz. Immer weniger kann eine Verankerung der Gesellschaft in christlichen Traditionen vorausgesetzt werden. Gläubige Menschen und ihr Glaube erscheinen als aus der Welt gefallen und befremdlich. Die Situation der Gläubigen als Fremde in der Welt und als an und in dieser Welt Leidende fand und findet – vielleicht zukünftig mehr denn je – ihren adäquaten Ausdruck in dem Choral: „In dir ist Freude, in allem Leide“ (EG 398).

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Die exegetische Erörterung des Textes entfaltet die Vielzahl von Spannungen, die in diesen wenigen Versen stecken. Im Mittelpunkt der Perikope steht die Spannung zwischen dem Lob Gottes und der Bedrängnis der adressierten Christinnen und Christen. Wer an gegenwärtigen Seelsorgetheorien orientiert Menschen im Umgang mit Schmerz und Leid begleitet, hätte bei Gelegenheit dem Verfasser der Verse vermutlich dazu geraten, statt das Lob Gottes im Mund zu führen, die Situation und Not des Gegenübers anzunehmen und darauf einzugehen. Doch stattdessen schwingt in diesen Zeilen ein Gestus des Vertröstens mit. Eine auf den ersten Blick fast theoretische und abstrakte Sicht auf den Glauben und die christliche Existenz wird dargelegt, die entkoppelt von der Lebenswirklichkeit der adressierten Christinnen und Christen wirkt. Die Exegese eröffnet ein Verständnis dafür, in welcher Weise der Möglichkeitssinn der Adressaten von diesen Versen herausgefordert wird, sofern in einem Atemzug von Lob, Erbarmen und Hoffnung die Rede ist und die Gläubigen zugleich als gerettet beschrieben werden, obschon sie im Alltag Leid und Verfolgung erfahren. 

2. Thematische Fokussierung

Für die Predigtarbeit sind die Widersprüche in dieser Perikope höchst interessant, sofern sie vermutlich mehr über die zeitlose Erfahrung der Anwesenheit und Entzogenheit Gottes erzählen, als man es biblischen Texten allgemein unterstellt. Die Exegese der Spannung zwischen Verheißung und Realität damals und heute bietet reizvolles Predigtmaterial. Zwischen dem vollmundigen Gotteslob und der ersehnten Rettung klafft eine Lücke. Die dargelegte Rettung durch den Glauben mag für die adressierten Christinnen und Christen als Verheißung aufgenommen worden sein. Dass der echte Glaube wertvoller als Gold ist, ist angesichts der konkreten Erfahrung von Fremdheit und Leid nur schwer nachvollziehbar. Diese Verse, die Facetten einer Doxologie und einer Verheißung aufweisen, sind konsekutiv formuliert und erörtern den rettenden Wert des echten Glaubens, der sich darin erweist, dass man diesen angesichts von Leid und Bedrückung nicht aufgibt. Die Spannung zwischen dem Alltagserleben der Adressatinnen und Adressaten und der Botschaft der Stärke durch die lebendige Hoffnung wird vom Verfasser durch die Aussage relativiert, dass Versuchungen und Not nicht die Schwäche des Glaubens offenlegen, sondern dadurch gerade dessen Echtheit zum Vorschein kommt. Statt sich in der Not von Gott abzuwenden, weiß der echte Glaube auch um die Unsichtbarkeit Jesu Christi, in dem sich Gott selbst offenbart hat. Dieser Versuch einer Lösung der skizzierten Spannung bringt seinerseits neue Fragen hervor: Gibt es überhaupt so etwas wie echten und unechten Glauben? Warum soll Gott angesichts der konkreten Not gelobt werden? Ist das echter Glaube?

3. Theologische Aktualisierung

Die Auseinandersetzung mit der Echtheit oder Gültigkeit des Glaubens mag vordergründig ins Leere laufen. Dem Reich der Geschichtsbücher und Anekdoten gehören die Erzählungen darüber an, wie unter den Calvinisten einst die Gemeindezucht gepflegt wurde und Gemeindegliedern beim Verstoß gegen die sittliche Ordnung der Gemeinde der Ausschluss vom Abendmahl drohte. Dass Ethik und Religion zwei Sphären des Lebens sind, die es sorgsam voneinander zu unterscheiden gilt, ist eine Frucht der Theologie der Aufklärung, die eine Skepsis gegenüber solchen sozialen Vermessungen des Glaubens hervorgebracht hat, welche sich vorzugsweise auf das Handeln der Gläubigen beziehen. Dass Menschen mithilfe des Glaubens schwere Schicksalsschläge überstehen und verarbeiten, ist hinlänglich bekannt, doch ein persönliches Martyrium gilt allgemein nicht als erstrebenswerter Glaubensbeweis. Auf einer ganz anderen Ebene dürfte die Perikope allerdings Fragen berühren, die viele Menschen umtreibt. Ist mein Glaube stark genug? Wie viele Strophen des Glaubensbekenntnisses sollte ich eigentlich mitsprechen, um zur Gemeinde dazuzugehören? Warum entzieht sich Gott uns immer wieder?

4. Bezug zum Kirchenjahr

Nach dem Jubel und dem Osterlachen am Ostersonntag setzt Quasimodogeniti als erster Sonntag nach Ostern besinnlichere und nachdenklichere Töne an. Das Ensemble der Texte für diesen Sonntag ist auf die Erfahrung der Entzogenheit Gottes ansprechbar. Das gilt für den Eingangspsalm (Ps 116,1-9.13), in dem die Gemeinde mit dem Psalmbeter die Dankbarkeit durch die Rettung aus Todesgefahr und damit die Stärke der Gegenwart Gottes nachvollzieht. Das Evangelium (Joh 20,19-20.24-29) lässt die Gemeinde mit Thomas fragen und staunen. Ist der, der sich da gerade zu den Jüngern gesellt hat, tatsächlich Jesus? Jesus ist unter den Jüngern, und die Wunde markiert zugleich, dass Jesus nun in seinem ganzen Wesen verändert ist. Es ist nun der Auferstandene selbst, der die Jünger darüber tröstet, dass er nicht mehr unter ihnen ist.

5. Anregungen

Die in dieser Perikope aufgerufene Spannung zwischen Verheißung und Erfüllung auszuhalten, ohne sie vorschnell abzutun, fordert dazu heraus, weder die relative Machtlosigkeit Gottes zu betonen – der seine Menschheit in die Freiheit entlassen hat, sich auch selbst zu schädigen – noch den Trost des Glaubens heraufzubeschwören. In der Perikope wird ein Gefühl der Sicherheit (unverwelkliche Erbschaft, wertvoller als Gold, Rettung) durch den Glauben formuliert, das in Spannung zur Lebenssituation der adressierten Christinnen und Christen und gewiss auch vieler Predigthörinnen und -hörer steht. Die Verse fordern dazu auf, etwas zu glauben und anzunehmen, was vermutlich nur bruchstückhaft erfahren wurde und wird. Dass der Glaube keine Immunität oder Sicherheit vor Leid und Schmerz mit sich bringt, repräsentiert die zeitlose Wahrheit, die auch in den friedensverwöhnten Regionen Mitteleuropas für jeden einzelnen Gläubigen relevant ist. Die Perikope betont die Macht des Glaubens. Wer hofft, eignet sich bekanntlich neue Perspektiven an, die alles in ein neues Licht tauchen und Brücken zu neuen Anfängen schaffen. Der Verheißungscharakter des Glaubens und die Verletzlichkeit des Reiches Gottes auf Erden ist vielen Menschen gerade angesichts akuter militärischer Auseinandersetzungen schmerzhaft bewusst. Doch die Kraft des Glaubens speist sich gerade nicht aus einem abstrakten allmächtigen Gott, sondern aus der verändernden Kraft, die entspringt, wenn Menschen sich durch den Glauben als von Gott angenommen und gerettet erfahren. Aus dieser Glaubenserfahrung der Annahme durch Gott, der sich immer wieder entzieht und zugleich mit seinen Menschen mitleidet, geht eine Stärke hervor, mit der Menschen sich auf den Weg machen, um für den Kontakt mit entfremdeten Verwandten sowie erwünschte Kinder, Berufsträume oder politische Rechte zu kämpfen.

Literatur

  • Müller, Chr. G., Der erste Petrusbrief (EKK XXI; Ostfildern, Göttingen 2022).
  • Herzer, J., Petrus oder Paulus? Studien über das Verhältnis des Ersten Petrusbriefes zur paulinischen Tradition (WUNT 103; Tübingen 1998).
  • Ostmeyer, K.-H., Die Briefe des Petrus und des Judas (Botschaft des NT; Göttingen 2021).
  • Ostmeyer, K.-H., Das Verständnis des Leidens bei Philo und im ersten Petrusbrief, in Philo und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen (ed. R. Deines/K.‑W. Niebuhr; WUNT 172; Tübingen 2004), 265-281. 
  • Vahrenhorst, M., Der erste Brief des Petrus (ThKNT 19; Stuttgart 2016).
  • Wagner, G. / Vouga, F., Der erste Brief des Petrus. (HNT; Tübingen 2020).

Autoren

  • Prof. Dr. Karl-Heinrich Ostmeyer (Einführung und Exegese)
  • Prof. Dr. Sonja Keller (Praktisch-theologische Resonanzen)

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