Deutsche Bibelgesellschaft

1. Korinther 11,(17-22)23-26(27-29.33-34a) | Gründonnerstag | 17.04.2025

Einführung in den 1. Korintherbrief

1 Kor ist, verglichen mit den anderen paulinischen Briefen (ausgenommen Röm) und insbesondere auch im Vergleich mit antiken Privatbriefen, ungewöhnlich umfangreich. Die paulinische Verfasserschaft wird im Allgemeinen nicht in Frage gestellt, die neuere Exegese kommt ganz überwiegend zu dem Ergebnis, dass 1 Kor literarisch einheitlich ist.

1. Verfasser

Über Denken und Wirken des Paulus, die uns historisch am besten bekannte Gestalt des frühen Urchristentums, informieren die sieben allgemein als authentisch angesehenen neutestamentlichen Briefe. Eine wichtige Quelle für die paulinische Biographie ist darüber hinaus die Apostelgeschichte des Lukas, auch wenn deren historische Verlässlichkeit nicht immer gegeben ist. In ihrer Darstellung des ersten Aufenthalts des Paulus in Korinth wird der römische Statthalter Gallio erwähnt (Apg 18,12), dessen Amtszeit laut einer in Delphi gefundenen Inschrift auf das Jahr 50/51 oder 51/52 zu datieren ist. Demnach war Paulus also in den frühen 50er Jahren in Korinth. Er schrieb dann mehrere Briefe nach Korinth, einen in 1 Kor 5,9 erwähnten, nicht erhaltenen Brief sowie einige kürzere, später als „2 Kor“ vermutlich redaktionell zusammengestellte Briefe.

2. Adressaten

Aus der Provinz Asia kommend war Paulus in Philippi und Thessaloniki. Nach kurzem Aufenthalt in Athen (Apg 17,15-18,1) kam er nach Korinth, wo er Aquila und Priska traf, die aufgrund des Claudius-Edikts aus Rom nach Korinth gekommen waren. Sie waren offenbar (Juden-)Christen, aber eine Gemeinde von Christusgläubigen gab es in Korinth noch nicht. Die Gemeinde entstand nach Darstellung der Apg im Umfeld der Synagoge (18,4-11). Aus 1 Kor geht hervor, dass zu den korinthischen Christusgläubigen auch Juden gehörten (7,18), aber die Gemeinde lebte im Gegenüber nicht nur zu „Heiden“ (Griechen), sondern auch zu Juden (10,32). Die Briefkorrespondenz zeigt, dass die korinthische Gemeinde für Paulus besonders wichtig war; in den Briefen nach Korinth nimmt er, anders als etwa im Gal, zu den aktuellen innergemeindlichen Problemen in einer Weise Stellung, als gehöre er selbst zu ihr.

3. Entstehungsort

1 Kor wurde in Ephesus geschrieben. Die in 15,32 (vgl. 2 Kor 1,8) erwähnte lebensbedrohliche Situation, die möglicherweise mit den in Apg 19,23-40 geschilderten dramatischen Ereignissen in Verbindung stand, war offensichtlich überwunden, denn Paulus kündigt in 16,6-8 an, er wolle „bis Pfingsten“ in Ephesus bleiben und erst dann wieder nach Korinth reisen. In Apg 20,31 wird von einem dreijährigen Aufenthalt in Ephesus gesprochen, könnte 1 Kor könnte also etwa vier Jahre nach dem Gründungsbesuch in Korinth verfasst worden sein, etwa im Jahre 54/55.

4. Wichtige Themen und Argumentationsgang des 1 Kor

Paulus kritisiert im Eingangsteil des 1 Kor die Existenz innergemeindlicher „Parteien“; dabei richtet er den Brief immer an die ganze Gemeinde, wobei er schon in der Adresse (1,2) die Adressaten auf ihren „ökumenischen“ Kontext verweist (vgl. 4,17; 7,17; 11,16; 14,33). Die Konflikte in Korinth sind offenbar „hausgemacht“; dass „von außen“ gekommene fremde Missionare („Gegner“) aktiv geworden wären, ist im 1 Kor – anders als dann vor allem in 2 Kor 10-13 – nicht zu erkennen.

1 Kor ist durchgängig bestimmt durch die Reaktionen auf die akute Lage in Korinth; kein anderer Paulusbrief informiert (uns) so detailliert über die bei den Adressaten bestehende Situation. Paulus hatte durch „die (Leute) der Chloe“ (1,11; leider erfahren wir nichts Näheres über sie) wie auch durch Stephanas und dessen Begleiter (16,17f.) sowie durch mündliche Nachrichten (5,1) und durch den in 7,1 erwähnten korinthischen Brief von den Problemen in Korinth erfahren und sah sich zu einer umfassenden Reaktion herausgefordert, wobei der Brief einen persönlichen Besuch vorläufig ersetzen soll (16,5–9; vgl. 11,34).

Aus 1,12 geht hervor, dass es Gruppen („Parteien“) gab, die sich an bestimmten Führern orientierten (1,12); Ursache könnte ein ausgeprägtes Interesse an „Weisheit“ gewesen sein, die Suche nach spekulativer religiöser Erkenntnis (1,17; 1,18ff.). Welche Vorstellungen die einzelnen Gruppen vertraten, ist für uns nicht erkennbar; Paulus geht nicht auf Einzelheiten ein, sondern lehnt die  Existenz von Parteien ab. Er wertet die soziale Zusammensetzung der Gemeinde als Indiz dafür, dass Gott den Maßstäben menschlicher Weisheit widerspricht (1,18-31) Möglicherweise gab es in Korinth einen religiösen Enthusiasmus (vgl. 4,8), der sich in Schlagworten wie „Alles ist erlaubt“ oder „Wir alle haben Erkenntnis“ niederschlug (vgl. 6,12; 8,1; 10,23). Paulus betont dagegen die Theologie des Kreuzes: Die Existenz der Christusgläubigen ist dadurch bestimmt, dass ihr Herr sich am Kreuz, d.h. in Niedrigkeit, und nicht in Glorie offenbart hat.

In 5,1–7,40 nimmt Paulus zu aktuellen moralischen Problemen Stellung. Ein Mann, der „die Frau seines Vaters hat“, muss aus der Gemeinde ausgeschlossen werden (5,1-13), angesichts von Konflikten um Vermögensfragen (6,1–6) schlägt Paulus die Bildung einer innergemeindlichen Zivilgerichtsbarkeit vor, betont aber, dass der Verzicht auf die Durchsetzung von Rechtsansprüchen das eigentlich Angemessene wäre (6,7-11). In diesem Zusammenhang wird betont, dass der Christ auch körperlich seinem Herrn gehört – offenbar gab es einen religiös motivierten „Libertinismus“ ebenso wie umgekehrt die Forderung nach strikter Askese (6,12-20; vgl. 7,1). Aus 1 Kor 7 geht hervor, dass die Frage der Ehe und insbesondere der „Mischehen“ in Korinth umstritten war.

In Kap. 8-11 erörtert Paulus die Tatsache, dass korinthische Christusgläubige an Mahlzeiten teilnehmen, die auch kultischen Charakter haben können. Paulus betont die Freiheit zum Essen des „Götzenopferfleisches“ (8,1ff.), doch gebe es diese nicht abstrakt, sondern nur konkret in der Gemeinschaft der Glaubenden. Der Verzehr von Opferfleisch ist nicht wegen einer womöglich kultischen Qualität des Fleisches verboten, aber der Verzicht ist geboten aus Rücksicht auf andere, die tatsächlich Anstoß nehmen. Eine unmittelbare Teilnahme am Opferkult („Tisch der Dämonen“) ist unvereinbar mit der Teilhabe am „Tisch des Herrn“ (10,14-22).

Da es offenbar Tendenzen gab, die üblichen Konventionen im Verhältnis von Männern und Frauen zu verwischen, fordert Paulus, Frauen sollten die übliche Haartracht tragen, wenn sie im Gottesdienst predigen und beten (11,2-16; das dazu im Widerspruch stehende rigorose „Sprechverbot“ in 14,34.35 ist sehr wahrscheinlich eine später eingefügte Interpolation). Zur Mahlfeier erfuhr Paulus von Verhaltensweisen, die es aus seiner Sicht „unmöglich“ machten, das „Herrenmahl“ zu feiern, da jeder „sein eigenes Mahl“ vorwegnimmt (11,17-34). Da aber in diesem Mahl der Tod des Herrn verkündigt wird „bis er kommt“, ist ein individualistischer Missbrauch der Mahlfeier verwerflich.

Das Pneumatikertum ist in Korinth stark entwickelt (1 Kor 12-14). Paulus betont deshalb das Zusammenwirken aller „Glieder“ innerhalb des „Leibes“, in dem es keinerlei Hierarchie gibt; dann bezeichnet er abschließend die Gemeinde ganz betont als „Leib Christi“ (12,27). In 13,1-13 beschreibt er die Liebe als kritischen Maßstab für alles Handeln; dieser Text ist kein „Lied“, sondern bezieht sich durchgängig auf die Gemeindesituation. Paulus schreibt nicht, dass es der korinthischen Gemeinde an Liebe mangelt, aber er betont, dass die Liebe höherwertig ist als alle „Geistesgaben“ und alle „Erkenntnis“. In Kap. 14 zum „Zungenreden“ fordert er, die geistgewirkte Ekstase müsse danach beurteilt werden, was sie zum Aufbau der Gemeinde beiträgt; dann verliere die Ekstase ihren besonderen Wert, und zugleich erweise sich jede Leistung für die Gemeinde als eine Wirkung des Geistes. Auch in Kap. 15 wird die Gemeindesituation sichtbar: Einige sagen „Es gibt keine Auferstehung der Toten“ (V. 12), andere hingegen lassen sich sogar „für die Toten“ taufen, um ihnen Anteil an der Auferstehung zu geben (V. 29). Dagegen argumentiert Paulus vom Bekenntnis her (V. 1-11): Aus dem Glauben an Jesu Auferstehung folgt die Hoffnung auf die noch in der Zukunft liegende Auferstehung der Toten (V. 20). Die Frage, auf welche Weise die Toten auferstehen werden, ist töricht (V. 35), denn die Erfahrung lehrt doch, dass der gesäte Same zuerst „stirbt“ und dass Gott ihm dann einen neuen Leib gibt (V. 35-41); in der Auferstehung der Toten wird Gott ebenso handeln (V. 42-49). Am Ende offenbart Paulus ein „Geheimnis“: Es werden alle – die Toten und die bei der Parusie Lebenden – verwandelt werden, und erst dann wird der Tod besiegt sein (V. 50-55). Gegenwärtig aber wird die Macht des Todes erfahren in Form der durch das Gesetz wirksamen Sünde (V. 56). Am Ende (16,1-24) stehen organisatorische Anweisungen zur Sammlung der Kollekte für Jerusalem, sodann eine Besuchsankündigung sowie Grüße.

5. Besonderheiten

Der Argumentationsgang des Paulus im 1 Kor lässt eine innere Kohärenz erkennen: Es gibt eine christologische, kreuzestheologische Grundlage für die Aussagen zu den unterschiedlichen Themen. Schwer zu beantworten ist die Frage nach dem religiösen bzw. philosophischen Hintergrund der korinthischen Parteienbildung; die Annahme, hier zeige sich eine frühe Form christlicher „Gnosis“, wird im Allgemeinen verneint, aber „weisheitliche“ Tendenzen sind deutlich erkennbar (1,18-31; 2,1-16). Kontrovers diskutiert wird die Frage, welche Vorstellung hinter der in Korinth ausgesprochenen Ablehnung der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten (1 Kor 15,12) steht: Möglich ist, dass die Erwartung der Auferstehung als „unvernünftig“ angesehen wird; die in 15,12 zitierte Aussage könnte aber im Gegenteil auch „enthusiastisch“ gemeint gewesen sein in dem Sinne, die Glaubenden seien „bereits auferstanden“ (vgl. 2 Tim 2,18).

Literatur:

  • Hans Conzelmann, Der erste Brief an die Korinther (KEK V), Göttingen 21981.
  • Eva Ebel, Die Attraktivität früher christlicher Gemeinden. Die Gemeinde von Korinth im Spiegel griechisch-römíscher Vereine (WUNT II/178), Tübingen 2004.
  • Andreas Lindemann, Der Erste Korintherbrief (HNT 9/I), Tübingen 2000.
  • Margaret M. Mitchell, Art. Korintherbriefe, RGG4 Band 4, Tübingen 2001, Sp. 1688–1694.
  • Dieter Zeller, Der erste Brief an die Korinther (KEK V), Göttingen 2009.

A) Exegese kompakt: 1 Korinther 11,(17–22)23–26(27–29.33–34a)

Die Angabe in der Perikopenordnung für den Text der Predigt am Gründonnerstag lautet etwas verwirrend: 1 Kor 11,(17–22)23–26(27–29.33–34a). Das erfordert eine Entscheidung darüber, ob entweder der umfangreiche Abschnitt 1 Kor 11,17–34 der Predigt zugrunde liegen soll oder im Gegenteil der vergleichsweise kurze Text 11,23–26. Es liegt, zumal am Gründonnerstag, nahe, für die Predigt nur die „Einsetzungsworte“ V. 23–26 zu wählen (s.u.), aber den Kontext mit einzubeziehen. Die Exegese von 11,23–26 muss berücksichtigen, dass die Abendmahlsworte nicht isoliert, sondern aus konkretem Anlass zitiert werden.

Nachdem Paulus in 11,2–16 vom Auftreten von Männern und Frauen in den gottesdienstlichen Versammlungen gesprochen und gemahnt hatte, die traditionellen Sitten einzuhalten (s.o.), kritisiert er in 11,17, dass die Adressaten „nicht zum Besseren, sondern zum Schlechteren zusammenkommen“. Das konkretisiert er in V. 18–22, indem er den Adressaten vorwirft, bei ihren Zusammenkünften komme es zu Spaltungen, die es „unmöglich“ machen, das „Herrenmahl“ zu essen, weil „jeder (ἕκαστος) beim Essen sein eigenes Mahl vorwegnimmt“ (V. 20.21). Paulus fragt die Adressaten rhetorisch, ob sie nicht Häuser haben, wo sie essen und trinken können, ohne dass sie die Gemeinde verachten und die „Nicht-Habenden“ beschämen, wie es jetzt der Fall ist; soziale Unterschiede in der Gemeinde spielen offenbar eine Rolle, aber wir können nicht genau erkennen, was im Einzelnen in den Versammlungen geschah; jedenfalls richtet sich die Kritik nicht an eine bestimmte Gruppe. Paulus hatte in V. 17a mit der Bemerkung begonnen „Ich lobe nicht“ (οὐκ ἐπαινῶ), und am Ende der Einleitung kehrt er in V. 22b zu diesem Anfang zurück: „Darin lobe ich euch nicht“ (ἐπαινέσω ὑμᾶς; ἐν τούτῳ οὐκ ἐπαινῶ), wobei „nicht loben“ eine Form scharfer Missbilligung ist.

Der Textabschnitt V. 23–26 wird in der nachfolgenden Exegese näher besprochen (s.u.).

In V. 27–29 schreibt Paulus, in Korinth werde das Abendmahl „auf unwürdige Weise“ (ἀναξίως) praktiziert; diejenigen, die so daran teilnehmen, würden an dem Leib Christi schuldig werden, denn es geschieht, dass man „sich selbst zum Gericht isst und trinkt, indem man den Leib nicht unterscheidet“.

Der Vorschlag in der Perikopenordnung, die aus unserer Sicht sehr befremdlichen Aussagen in V. 30–32 restlos zu übergehen, ist verständlich. Aber wenn die Predigt den größeren Kontext beachtet, sollte der Hinweis des Paulus auf die in Korinth erfahrenen negativen Folgen der üblichen Mahlpraxis nicht gänzlich übergangen werden, zumal dieser Aspekt in V. 34 ja noch einmal anklingt. In V. 33.34a gibt Paulus eine konkrete, sehr praktische Anweisung, die von V. 18 her zu lesen ist: Die Gemeindeglieder sollen bei ihren Zusammenkünften aufeinander warten (ἀλλήλους ἐκδέχεσθε); dazu nimmt der Hinweis in V. 34a die rhetorische Frage in V. 22 auf. Die abschließende Ankündigung in V. 34b sollte in der Predigt keinesfalls übergangen werden, denn sie verhindert, den ganzen Abschnitt als theologisch abstraktes Dokument der „Abendmahlslehre“ des Paulus misszuverstehen.

Die von Paulus in 1 Kor 11,23–25 zitierten Abendmahlsworte sind die literarisch älteste Fassung dieser Überlieferung, denn 1 Kor entstand deutlich früher als die synoptischen Evangelien; die Textfassung unterscheidet sich nicht unerheblich von Mk 14,22–24/Mt 26,26f–28, auffällig, und kaum zu erklären ist die besondere Nähe zu Lk 22,24–22.

23Ἐγὼ γὰρ παρέλαβον ἀπὸ τοῦ κυρίου, ὃ καὶ παρέδωκα ὑμῖν, ὅτι ὁ κύριος Ἰησοῦς ἐν τῇ νυκτὶ ᾗ παρεδίδετο ἔλαβεν ἄρτον 24καὶ εὐχαριστήσας ἔκλασεν καὶ εἶπεν· τοῦτό μού ἐστιν τὸ σῶμα τὸ ὑπὲρ ὑμῶν· τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν. 25ὡσαύτως καὶ τὸ ποτήριον μετὰ τὸ δειπνῆσαι λέγων· τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐστὶν ἐν τῷ ἐμῷ αἵματι· τοῦτο ποιεῖτε, ὁσάκις ἐὰν πίνητε, εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν. 26ὁσάκις γὰρ ἐὰν ἐσθίητε τὸν ἄρτον τοῦτον καὶ τὸ ποτήριον πίνητε, τὸν θάνατον τοῦ κυρίου καταγγέλλετε ἄχρι οὗ ἔλθῃ.

1. Korinther 11:23-26NA28Bibelstelle anzeigen

Übersetzung

Ich habe nämlich vom Herrn her empfangen, was ich euch auch überliefert habe: Der Herr Jesus nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot und, nachdem er gedankt hatte, brach er es und sprach: Dies ist mein Leib für euch; dies tut zur Erinnerung an mich. Ebenso auch den Kelch nach dem Essen, wobei er sprach: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut; dies tut, jedesmal wenn ihr trinkt, zur Erinnerung an mich. Jedesmal nämlich, wenn ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

V. 23 παρέλαβον ἀπὸ τοῦ κυρίου meint nicht, Paulus habe die nachfolgend zitierten Worte von Jesus Christus empfangen, wohl aber, dass diese Überlieferung auf Jesus zurückgeht. Mit παρέλαβον und παρέδωκα wird der Vorgang der Überlieferung (Tradition) beschrieben; die Konjunktion ὅτι ist Indiz für den Zitatcharakter, etwa im Sinne eines Doppelpunkts. Ob in der Wendung ὁ κύριος Ἰησοῦς … παρεδίδετο eine Anspielung auf den (von Paulus sonst nicht erwähnten) Verrat durch Judas vorliegt (vgl. Mk 14,10.41), lässt sich nicht sagen; das Passiv könnte auch auf Gottes Handeln verweisen (vgl. Mk 9,31; 10,33a). Inwieweit in dem Hinweis auf „die Nacht“ eine Anspielung auf die Passionsüberlieferung zu erkennen ist, lässt sich nicht sagen. In V. 24 bieten viele Handschriften als Eröffnung der Worte Jesu die Weisung λάβετε φάγετε, offenbar übernommen aus Mt 26,26. Das sprachlich kompliziert formulierte „Brotwort“ τοῦτό μού ἐστιν τὸ σῶμα τὸ ὑπὲρ ὑμῶν bringt den Bezug zur Gegenwart der Gemeinde zum Ausdruck, an eine Anwesenheit von Jüngern „in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde“, ist nicht gedacht. Die in V. 25 wiederholte Aufforderung τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν setzt eine regelmäßige Mahlfeier voraus (deutlicher in V. 25b), von der in Mk 14,22–24 nicht gesprochen wird. ἀνάμνησις meint „Erinnerung“, damit zugleich auch „Vergegenwärtigung“, ohne dass gesagt wird, wie diese „Gegenwart“ zu verstehen ist. Bei ἡ καινὴ διαθήκη zeigt der bestimmte Artikel an, dass der Begriff „Neuer Bund [Verfügung]“ als bekannt vorausgesetzt ist, als Bezug kommt allein Jer 31,31 (38,31 LXX) in Frage. In V. 26 bietet Paulus einen eigenen Kommentar: καταγγέλλετε ist nicht imperativisch zu verstehen, sondern indikativisch („ihr verkündigt“); die zeitliche (eschatologische) Angabe ἄχρι οὗ ἔλθῃ impliziert den Glauben an Jesu Auferweckung und verweist zugleich auf die erwartete Parusie.

2. Literarische Gestaltung

Paulus empfing die Abendmahlsworte (ähnlich wie das in 1 Kor 15,3b–5 zitierte „Evangelium“) im griechischen Wortlaut; wenn die Überlieferung in der Jerusalemer Gemeinde entstanden sein sollte, waren die Worte ursprünglich vermutlich in hebräischer Sprache verfasst, aber die Übersetzung könnte bereits im Kreis der in Apg 6 erwähnten „Hellenisten“ (Stephanus) erfolgt sein. Paulus verwendet diese Überlieferung, um der Gemeinde in Korinth die besondere Bedeutung der dort offenbar missverstandenen und aus Sicht des Paulus jedenfalls in unzulässiger Weise begangenen Mahlfeier vor Augen zu führen. Ob vorausgesetzt ist, dass die in Korinth ja bereits bekannten Worte (παρέδωκα ὑμῖν) bei den Mahlfeiern zitiert (oder womöglich bewusst „vergessen“) wurden, lässt der Text nicht erkennen.

3. Kontext und historische Einordnung

Thema in 1 Kor 11–14 ist die Praxis des Gottesdienstes in Korinth. Paulus sieht dort mehrere Missstände und mahnt die Adressaten, die bisher geübte Praxis zu korrigieren. Ob das vor allem in 11,20.21 beschriebene Geschehen bei der Mahlfeier auf den in Kap. 14 erkennbaren religiösen „Enthusiasmus“ zurückgeht oder auf einfach auf die „Disziplinlosigkeit“ mancher Gemeindeglieder, lässt sich nicht sagen; die von Paulus vielleicht sehr zugespitzt gegebene Beschreibung muss aber einen Anhalt an der Realität haben, da sonst die ganze Argumentation ins Leere ginge. Zu beachten ist, dass wir ohne die von Paulus wahrgenommenen und kritisierten Missstände gar nichts über Abendmahlsfeiern in paulinischen Gemeinden wüssten, denn – anders als die Taufe – wird die Mahlfeier in den uns erhaltenen Paulusbriefen nur hier erwähnt.

4. Schwerpunkte der Interpretation

Man könnte geneigt sein, in Anknüpfung an 1 Kor 11,23–25(26) eine „Theologie des Abendmahls“ zu entwickeln, woraus sich sogleich die kirchen- und theologiegeschichtlichen (konfessionellen) Probleme ergeben würden. Das beträfe vor allem das „Brotwort“ (τοῦτό μού ἐστιν τὸ σῶμα τὸ ὑπὲρ ὑμῶν, V. 24) und das „Kelchwort“ (τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐστὶν ἐν τῷ ἐμῷ αἵματι, V. 25), vor allem die Frage nach der Bedeutung der Verbform ἐστίν. Ein wörtliches Verstehen ist kaum möglich (das Brot „ist“ nicht Jesu Leib), ἐστίν kann auch metaphorisch deutend bzw. symbolisch verstanden werden (vgl. Mt 13,38ff.).

5. Kurzcharakteristik des Textes

Paulus zitiert die Abendmahlsworte als Basis für die in seinen Augen richtige Gestaltung der gemeindlichen Mahlfeier; diese Worte sollten deshalb in der Predigt nicht ganz isoliert betrachtet werden. Am Gründonnerstag wäre zu berücksichtigen, dass bei der gemeindlichen Abendmahlsfeier in der Regel andere als die von Paulus überlieferten „Einsetzungsworte“ gesprochen werden (der Text der Agende ist überhaupt nicht biblisch belegt). Zu beachten ist, dass Paulus schon zuvor in 1 Kor 10,14–18 die Christusbezogenheit von „Kelch“ und „Brot“ hervorgehoben hatte, woraus er dort die Unvereinbarkeit mit der Teilnahme an einem „Götzenopfermahl“ (εἰδωλολατρία bzw. εἰδωλόθυτον) ableitet (10,19–21). Ob dieser Zusammenhang in der Predigt explizit zu erwähnen ist, lässt sich nicht abstrakt entscheiden; er sollte aber bei der Predigtvorbereitung mit im Blick sein, um einen allzu „theoretischen“ Blick auf den Text zu verhindern.

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Die Exegese macht deutlich, wie stark der Predigttext in der Praxis des urchristlichen Gemeindelebens wurzelt. Hier kommen wir dem Wortlaut der letzten Mahlfeier Jesu und seiner Jünger am nächsten – nicht in den agendarischen Einsetzungsworten, die allen, die predigen, vertraut sind. Gerade dem Umstand, dass beinahe von Anfang an über das Abendmahl gestritten wurde, verdanken wir diese lebensnahe Überlieferung.

Der nüchterne exegetische Ansatz gegenüber den Einsetzungsworten – zu fragen, wie sie denn in der historischen Rezeptionssituation verstanden werden konnten – nimmt der Predigerin viel dogmatische Begründungslast von den Schultern. Der Exeget bietet zudem eine Denkfigur an, die gut Eingang in die Predigt finden kann: Was im christlichen Gottesdienst und insbesondere in der Abendmahlsfeier regelmäßig geschieht, ist ‚Vergegenwärtigung‘ – so die hilfreiche Übersetzung von ἀνάμνησις; Vergegenwärtigung der Gegenwart Jesu, Vergegenwärtigung von Gottes Bund. Damit ist der Bogen zur Verheißung in den Heiligen Schriften des AT geschlagen. Der Wortlaut der von Paulus überlieferten Einsetzungsworte im Predigttext nimmt dem Prediger gleichzeitig die Last, allein für die Verkündigung zuständig zu sein: Alle, die am Abendmahl teilnehmen, wirken selbst mit am Verkündigungsgeschehen.

2. Thematische Aktualisierung

Das Altarsakrament ist kein Kultgeschehen. Neben der Taufe ist es aber einer der beiden Zentralpunkte, an denen ‚Cultus und Heilsversprechen‘ (M. Riesebrodt) der christlichen Religion ineins fallen und praktisch erfahrbar werden. Der Predigttext lädt dazu ein, sich intensiv mit der Praxis der Abendmahlsfeier und mit der Bedeutung der Abendmahlsteilnahme für die persönliche Glaubensexistenz auseinanderzusetzen.

Egal, in welchem Umfang der Text den Zuhörenden vorgelesen wird, konzentriert oder mit den in Klammer angegebenen Erweiterungen: Die Einsetzungsworte sollten nicht isoliert wahrgenommen werden. Es ist empfehlenswert, in der Hinführung oder an anderer Stelle der Predigt den konflikthaften Kontext der paulinischen Gemeinde in Erinnerung zu rufen. Das eröffnet einen Dialog mit der Gemeinde über die Frage, wie denn hier und heute eigentlich ‚richtig‘ Abendmahl gefeiert werden sollte. Für diese Frage muss die Predigerin womöglich die Zuhörenden zunächst gewinnen, sie erscheint nicht selbstverständlich. Vermutlich fühlen sich die Gottesdienstbesucher für die Beantwortung gar nicht zuständig. Doch gerade eine Kirche, in der das Priestertum aller Getauften gilt, kann sich nicht ersparen, regelmäßig untereinander zu klären: Was kann denn dafür getan werden, dass das Abendmahl als ein Zentralpunkt für das christliche Gemeinschafts- wie für das individuelle Glaubensleben funktioniert? Aktuell ist nur noch ein Viertel der evangelischen Kirchenmitglieder davon überzeugt, dass es auf jeden Fall zum Christsein gehört, dass man das Abendmahl empfängt (KMU6). Was fehlt, wenn das Bedürfnis fehlt, in der Mahlfeier gemeinsam die besondere Nähe Jesu Christi zu erleben?

Die Argumentation des Paulus in 1 Kor ist von seiner tiefen Sehnsucht nach echter Christusgegenwart motiviert. Dieser Sehnsucht entspricht die Angst, dass ein falscher Modus der Abendmahlsfeier unheilvolle Folgen hat. Das magische Denken, das hier zugrundliegt, ist uns fremd. Aber der Predigttext sollte in der Weise ernstgenommen werden, dass er die Überlieferung, die Paulus anvertraut wurde, in ihrer Kraft ernstnimmt. Diese Kraft, die aus der regelmäßigen Wiederholung der Mahlfeier rührt, hilft der Gemeinde schließlich, die unsichere Zwischenzeit bis zur Wiederkehr Christi durchzustehen. Wer weiß – womöglich braucht es in den heutigen Unsicherheiten auch einmal wieder Streit ums Abendmahl, um dessen Kraftwirkung neu zu entdecken?

3. Bezug zum Kirchenjahr

Der Gründonnerstag bildet als erster (rein kirchlicher) Feiertag innerhalb der Karwoche die Schwelle zum Höhepunkt der vierzigtägigen Passionszeit am Karfreitag. Gleichzeitig markiert er den Übergang zum triduum sacrum, also den drei Tagen des Leidens, Sterbens und der Auferstehung Jesu. Der Gründonnerstagsgottesdienst wird üblicherweise am Abend gefeiert und erhält dadurch per se eine besondere Stimmung. Oft wird die Abendmahlsfeier in besonderer Form ausgestaltet, etwa als Agape- oder Feierabendmahl. Auch der Ritus der Fußwaschung, der in der evangelischen Kirche mancherorts erprobt wird, hat hier seinen Platz. Die liturgieprägenden Texte Ps 111 („Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder“), Ex 12 (Einsetzung des Passafests) und Joh 13 sind Einfallsschneisen für die Botschaft der Christusgegenwart. Sie vergegenwärtigen aus unterschiedlichen Blickwinkeln Gottes Nähe, seine Verheißung und schließlich seine Präsenz, die im Erlebnis des gemeinsamen Mahls gipfelt. Dass beim Predigttext der Opfergedanke und allgemein soteriologische Konzepte kaum eine Rolle spielen, sollte bei der Liedauswahl bedacht werden. Im neologischen Choral „Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen“ (EG 221) kommt die Vision einer im Abendmahl gründenden Liebesgemeinschaft zum Ausdruck. Das Neue Lied „Er ist das Brot, er ist der Wein“ (EG 228) erzählt in einfachen Worten von der Christuszentriertheit dieser Abendmahlsgemeinschaft. Auch sollte nicht ein Ausblick auf die Angst und die Einsamkeit Jesu in Gethsemane fehlen („Sehr hin, er ist allein im Garten“, EG 95). Eine gelungene Gründonnerstagspredigt wird einige dieser Momente verdichteter Gemeinschafts- und Glaubenserfahrung im Zusammenhang des Passa-/Abendmahls vorzeigen. Ebenso wird sie den Abstand benennen zwischen der Verheißung, die den Glauben hervorlockt und zum Klingen bringt, und dem für unseren Horizont bleibenden Rest Uneindeutigkeit und menschlicher Fehlbarkeit, der sich Jesus in seiner Passion ganz ausgesetzt hat.

Autoren

  • Prof. Dr. Andreas Lindemann (Einführung und Exegese)
  • Dr. Johannes Wischmeyer (Praktisch-theologische Resonanzen)

Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/500107

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