3. Hiobs Beteuerung seines unsträflichen Wandels vor Gott und Menschen
a) Der große Reinigungseid Hiobs zur Feststellung seiner Gerechtigkeit (= unverletzten Gottesfurcht)
1»Mit meinen Augen habe ich einen Bund abgeschlossen, daß ich ja nicht lüstern nach einer Jungfrau blickte. 2Denn was wäre der Lohn Gottes von oben gewesen und die Vergeltung des Allmächtigen aus Himmelshöhen? 3Trifft nicht Verderben den Frevler und Unglück die Überltäter? 4Sieht er (d. h. Gott) nicht meine Wege, und zählt er nicht alle meine Schritte?
5Wenn ich mit Falschheit umgegangen bin und mein Fuß jemals der Täuschung zugeeilt ist: 6Gott wäge mich auf gerechter (= richtiger) Waage, so wird er meine Unschuld erkennen! 7Wenn mein Schritt jemals vom rechten Wege abgewichen und mein Herz meinen Augen Folge geleistet hat und ein Flecken an meinen Händen kleben geblieben ist, 8so will ich säen und ein anderer möge es verzehren, und alles, was mir sproßt, möge ausgerissen werden!
9Wenn mein Herz sich um eines Weibes willen hat betören lassen und ich an der Tür meines Nächsten auf der Lauer gestanden habe, 10so soll mein Weib für einen andern die Mühle drehen und andere mögen sich über sie hinstrecken! 11Denn das wäre eine Schandtat gewesen und das ein Vergehen für den Strafrichter; 12ja, ein Feuer wäre das gewesen, das bis zum Abgrund (= zur Unterwelt; vgl. 26,6) gefressen und meinen gesamten Besitz bis auf die Wurzel hätte vernichten müssen.
13Wenn ich das Recht meines Knechtes und meiner Magd mißachtet hätte, sooft sie im Streit mit mir lagen: 14was hätte ich da tun sollen, wenn Gott aufgestanden wäre? Und was hätte ich ihm bei seiner Untersuchung erwidern können? 15Hat nicht mein Schöpfer auch ihn im Mutterleibe geschaffen und ein und derselbe uns im Mutterschoße gebildet?
16Wenn ich den Geringen ihr Begehren versagt und die Augen der Witwe habe schmachten lassen 17und meinen Bissen für mich allein verzehrt habe, ohne daß der Verwaiste sein Teil davon genossen hat – 18nein, von meiner Jugend an ist er mir ja wie einem Vater aufgewachsen, und von meiner Mutter Leibe an bin ich ein Beschützer für jenen gewesen –; 19wenn ich jemand habe verkommen sehen aus Mangel an Kleidung und daß ein Armer keine Schlafdecke hatte, 20und dann seine Hüften mich nicht gesegnet haben und er sich nicht durch meiner Lämmer Wolle erwärmt hat; 21wenn ich meine Faust jemals gegen eine Waise geschwungen habe, weil ich im Tor (= vor Gericht) auf Beistand rechnen konnte: 22so möge meine Schulter von ihrem Nacken fallen und mein Arm aus seiner Röhre ausgebrochen werden! 23Denn als ein Schrecken wäre auf mich das Strafgericht Gottes eingedrungen, und vor seiner Erhabenheit hätte ich nicht zu bestehen vermocht.
24Wenn ich je auf Gold mein Vertrauen gesetzt und zum Feingold gesagt habe: ›Du bist meine Zuversicht!‹; 25wenn ich mich darüber gefreut habe, daß mein Vermögen groß war und daß meine Hand Ansehnliches erworben hatte; 26wenn ich die Sonne angeschaut habe, wie hell sie strahlt, und den Mond, wie er in Pracht dahinwandelt, 27und mein Herz sich insgeheim hat betören lassen, daß ich ihnen eine Kußhand zuwarf: 28auch das wäre eine Verschuldung für den Strafrichter gewesen, denn damit hätte ich Gott in der Höhe die Treue gebrochen. – 29Wenn ich mich je über das Unglück meines Feindes gefreut und darüber gejubelt habe, daß ein Mißgeschick ihm zugestoßen war – 30nein, nie habe ich meiner Zunge zu sündigen gestattet, daß sie durch einen Fluch sein Leben gefordert hätte – 31wenn meine Zeltgenossen nicht gesagt haben: ›Wo ist einer, der vom Fleisch seines Schlachtviehs nicht satt geworden wäre?‹ –; 32nein, der Fremdling durfte nicht im Freien übernachten, und meine Tür hielt ich dem Wanderer offen –; 33wenn ich meine Übertretungen, wie Menschen tun, verheimlicht habe, indem ich mein Vergehen in meinem Busen verbarg, 34weil ich mich vor der großen Menge scheute und die Mißachtung der Geschlechter mich schreckte, so daß ich mich still verhielt, nicht vor die Tür hinaustrat; 38wenn mein Acker je über mich geschrien und seine Furchen allesamt geweint haben; 39wenn ich seinen Ertrag ohne Zahlung verzehrt und seinen Besitzer ums Leben gebracht habe (oder: habe seufzen lassen): 40so sollen mir Disteln statt des Weizens aufgehen und Unkraut statt der Gerste!«
b) Hiobs Wunsch und Bereitschaft, mit Gott in einen Rechtsstreit einzutreten
35»O hätte ich doch einen, der mich anhören wollte! Siehe, hier ist meine Unterschrift! Der Allmächtige antworte mir! Und hätte ich doch die von meinem Gegner ausgefertigte Klageschrift! 36Wahrlich, an meiner Schulter wollte ich sie zur Schau tragen, als Ehrenkranz sie mir um die Schläfe winden! 37Denn über die Zahl meiner Schritte wollte ich ihm Rede stehen, wie zu einem Fürsten müßte er herannahen!«
[Die Reden Hiobs sind zu Ende.]