Salomo empfängt und erfährt die Weisheit
1Auch ich bin ein sterblicher Mensch wie alle andern, ein Nachkomme des ersten aus Erde geschaffenen Menschen, 2und bin Fleisch, im Mutterleib zehn Monate lang gebildet, im Blut zusammengeronnen aus Mannessamen und der Lust, die im Beischlaf dazukam. 3Auch ich habe, als ich geboren war, Atem geholt aus der Luft, die allen gemeinsam ist, und bin gefallen auf die Erde, die alle in gleicher Weise trägt; und Weinen ist wie bei den andern mein erster Laut gewesen 4und bin in Windeln gelegt und voll Fürsorge aufgezogen worden. 5Denn auch kein König hatte jemals einen andern Anfang seines Lebens, 6sondern sie haben alle denselben Eingang in das Leben und auch den gleichen Ausgang. 7Deshalb betete ich und mir wurde Einsicht gegeben; ich rief den Herrn an und der Geist der Weisheit kam zu mir.
8Ich achtete sie höher als Zepter und Throne, und Reichtum hielt ich ihr gegenüber für nichts. 9Im Vergleich zu ihr sah ich jeden Edelstein für wertlos an; denn alles Gold ist vor ihren Augen nur geringer Sand, und Silber wird vor ihr für Schmutz gehalten. 10Ich hatte sie lieber als Gesundheit und schöne Gestalt und zog sie sogar dem Licht vor; denn der Glanz, der von ihr ausgeht, erlischt nicht. 11Zugleich aber kamen mit ihr alle Güter zu mir, und unermesslicher Reichtum war in ihrer Hand. 12Ich wurde über alle diese Dinge fröhlich, weil die Weisheit sie mit sich führte; ich wusste aber noch nicht, dass sie auch ihre Schöpferin ist.
13Arglos habe ich sie gelernt, neidlos teile ich sie aus; ich will ihren Reichtum nicht verbergen. 14Denn sie ist für die Menschen ein unerschöpflicher Schatz; die ihn erwarben, erlangten Gottes Freundschaft, weil die Gaben sie empfahlen, die die Unterweisung verleiht.
15Gott aber gebe mir, nach seinem Sinn zu reden und so zu denken, wie es solcher Gaben würdig ist. Denn er ist’s, der auch die Weisheit den Weg führt und den Weisen zurechthilft. 16Denn in seiner Hand sind wir selbst und unsre Worte, dazu alle Klugheit und Kenntnisse in mancherlei Fertigkeiten.
17Denn er gab mir sichere Erkenntnis dessen, was ist, sodass ich den Bau der Welt begreife und das Wirken der Elemente: 18Anfang, Ende und Mitte der Zeiten; wie die Tage zu- und abnehmen; wie die Jahreszeiten wechseln 19und wie das Jahr umläuft und wie die Sterne stehen; 20die Natur der Tiere und die Kraft der Raubtiere; die Macht der Geister und die Gedanken der Menschen; die Vielfalt der Pflanzen und die Kräfte der Wurzeln. 21So erkannte ich alles, was verborgen und was sichtbar ist; denn die Weisheit, die alles kunstvoll gebildet hat, lehrte mich’s.
22Denn es wohnt in ihr ein Geist, der verständig ist, heilig, einzigartig, vielfältig, fein, behänd, durchdringend, rein, klar, unversehrt, freundlich, scharfsinnig, ungehindert, wohltätig, 23menschenfreundlich, beständig, gewiss, ohne Sorge; sie vermag alles, sieht alles und durchdringt selbst alle Geister, die verständig, lauter und sehr fein sind. 24Denn die Weisheit ist regsamer als alles, was sich regt, sie geht und dringt durch alles – so rein ist sie.
25Denn sie ist ein Hauch der göttlichen Kraft und ein reiner Strahl der Herrlichkeit des Allmächtigen; darum kann nichts Unreines in sie hineinkommen. 26Denn sie ist ein Abglanz des ewigen Lichts und ein fleckenloser Spiegel des göttlichen Wirkens und ein Bild seiner Güte. 27Obwohl sie nur eine ist, kann sie doch alles. Und obwohl sie bei sich selbst bleibt, erneuert sie das All, und von Geschlecht zu Geschlecht geht sie in heilige Seelen ein und macht sie zu Freunden Gottes und zu Propheten. 28Denn niemanden liebt Gott außer dem, der mit der Weisheit lebt.
29Denn sie ist herrlicher als die Sonne und übertrifft alle Sternbilder. Verglichen mit dem Licht hat sie den Vorrang. 30Denn das Licht muss der Nacht weichen, aber die Bosheit kann die Weisheit nicht überwältigen.