Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Januar 2010)

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1. Einführung

Von 414 Belegen für Vater / πατήρ im Neuen Testament beziehen sich 261 auf Gott.

Diese Präferenz der Bezeichnung „Vater“ für Gott ist zum einen im Vergleich zu den alttestamentlichen (ca. 20 Belege) und weiteren frühjüdischen Schriften (ca. 50 Belege) bemerkenswert: Während sich in den frühjüdischen Gottesbezeichnungen vor allem die Vorstellung von Gott als „Herr“ spiegelt, ist Gott für die neutestamentlichen Schriftsteller besonders der „Vater“.

Zum anderen steht dieser Gott-„Vater“ anderen, irdischen „Vätern“ gegenüber, wobei der Gott-„Vater“ als das Oberhaupt der göttlichen Familie, der familia dei, allen anderen Vätern übergeordnet ist.

Bereits das Alte Testament kennt die Bezeichnung „Vater“ natürlich für den leiblichen Vater, aber belegt sie auch an einigen wenigen Stellen für Gott. Aber auch der Ahnherr, Großvater, ein besonders zu ehrender Mann, Lehrer, Beschützer, Ratgeber oder Urheber kann als „Vater“ angesprochen werden, wobei die Bezeichnung hier vor allem die Generationenverschiedenheit konnotiert.

Auch in Griechenland ist „Vater“ neben dem leiblichen Vater der Vorfahre, aber auch der Lehrer, und im religiösen Bereich vor allem Zeus, der als „Zeus Vater“ bezeichnet wird. Im römischen Reich frühchristlicher Zeit gilt Vergleichbares, hier ist nun auch der Kaiser „Vater“ (pater patriae).

Die Mehrzahl der neutestamentlichen Belege spricht in metaphorischem Gebrauch vor allem von Gott als „Vater“, ansonsten in Rezeption der alttestamentlichen Texte von den „Vätern“ als Ahnherrn des Volkes Israel (besonders Abraham), von den Mitgliedern des Hohen Rates als „Vätern“ oder von leiblichen „Vätern“. Paulus bezeichnet sich metaphorisch als „Vater“ seiner Gemeinden.

2. Die patriarchale Gesellschaftsform der Antike

Die patriarchale Gesellschaftsform prägte den gesamten antiken Mittelmeerraum. Die öffentliche Sphäre war männlich geprägt, und auch im häuslichen Bereich dominierte der Mann. Der Familienvater war der Vorstand des Haushaltes, zu dem nicht nur die Familie im genealogischen Sinn, sondern auch die zum Haus gehörenden Personen wie Sklaven gehörten. Die Autorität des Familienvaters galt als naturgegeben.

Bereits in den griechischen Polis(Stadt)-Strukturen kam nur erwachsenen Männern das Bürgerrecht zu. Die Väter waren Oberhäupter der Hausstände, aus denen sich die Polis zusammensetzte. Sie hatten dafür zu sorgen, dass die Erbfolge durch Nachkommen gesichert und das Eigentum und die sozialen Rollen in der Familie weitergegeben wurden. Damit wurde nicht nur der Fortbestand der Familie als solcher, sondern auch der der Polis garantiert. Die väterliche Macht endete jedoch, sobald das Kind das Haus verließ. Während der Sohn dann selbst zum unabhängigen Familienvater wurde, wechselten die Töchter nur das Autoritätsgefüge: Sie wurden mit der Eheschließung aus der väterlichen Macht entlassen und in die des Ehemannes übergeben. Ausdruck der religiösen Dimension der Eltern-Kind-Beziehung ist die bei Aristoteles niedergelegte Forderung, die Eltern wie die Götter zu ehren, wobei dem Vater eine andere Form der Ehrerbietung zu erweisen sei als der Mutter (Aristoteles, Ethica Nicomachea IX 1165 a 24).

Bei den Römern wuchs die Macht des Familienvaters (pater familias) durch weitere Gesetze und erstreckte sich bis zu seinem Tode, auch wenn die Söhne bereits erwachsen waren. Die hausväterliche Gewalt (patria potestas) gab dem Vater das Verfügungsrecht über alle Personen der Familie sowie über deren gesamtes Eigentum. Der Vater erwartete von den Familienmitgliedern Gehorsam und Zuverlässigkeit. Die Kinder hatten sich den Eltern gegenüber durch Ehrfurcht (pietas) auszuzeichnen, während von den Eltern Respekt (caritas) den Kindern gegenüber erwartet wurde (s. Urban). Auch jüdische Eltern, die das römische Bürgerrecht besaßen, konnten das Recht der patria potestas für sich in Anspruch nehmen.

Das Bewusstsein von der Bedeutung der väterlichen Macht nicht nur für die Familie, sondern auch für die gesamte Gesellschaft zeigt sich in der Bezeichnung des Kaisers als pater patriae, als „Vater des Vaterlandes“.

Die frühen christlichen Gemeinden innerhalb des römischen Reiches bildeten sich in entsprechenden vorgegebenen Strukturen (vgl. etwa die sog. Haustafeln Kol 3,18-4,1; Eph 5,21-6,9; vgl. 1Petr 2,18-3,7), doch zeigen sich bisweilen auch Ansätze zur Kritik (vgl. Gal 3,28) bzw. Änderungen: So wird etwa in Kol 3,21 („Ihr Väter, schüchtert eure Kinder nicht ein, damit sie nicht mutlos werden“) auch die Pflicht und Verantwortung des Vaters den Kindern gegenüber betont (vgl. das caritas-Gebot in der römischen Familienethik).

Die in den Evangelien dargestellten familiären Strukturen sind jedoch zuallererst vor dem Lebenshorizont jüdischer Familien zu beleuchten:

Im Judentum frühchristlicher Zeit hatte der Vater ebenfalls die autoritäre Position des Familienoberhaupts; er hatte gegenüber seinem Haus priesterliche Aufgaben und das Recht, alle Familienmitglieder zu strafen (s. Urban). Seine Funktion war jedoch auch beschützender, ernährender und erziehender Art. Die Dominanz des Vaters zeigt sich unter anderem darin, dass die patrilineare Genealogie entscheidende Bedeutung für die Familie und ihr Ansehen hat (vgl. auch Lk 3,23-38; Mt 1,1-17) und das Erbe vom Vater auf den Sohn übergeht. Doch auch die Mutter hat beschützende, ernährende und erziehende Funktion; sie ist innerfamiliär die erste Bezugsperson; ihr wird besondere emotionale Stärke zugeschrieben. Die Kinder sicherten zum einen den Fortbestand der Familie, zum anderen hatten sie gegebenenfalls die Altersversorgung der Eltern zu tragen.

3. Vater als Gottesbezeichnung

Die „Vater“-Bezeichnung Gottes entstammt der Familienmetaphorik und konnotiert wie in der frühjüdischen Tradition die Treue und Liebe, aber auch die Autorität Gottes. Im „Vaterunser“ wird der Vater nun explizit um das Kommen seines Königreiches gebeten, wobei der Vaterschaft Gottes Priorität gegenüber seiner Herrschaft eingeräumt wird (Mt 6,9-10; Lk 11,2). Diese neutestamentliche Verbindung von göttlicher Herrschaft und Vaterschaft findet zeitgleiche Parallelen im griechisch sprechenden Judentum sowie in der griechischen und römischen Religion (Zeus als „Vater“ und „König“; Jupiter als herrschender und helfender „Vater“) als auch in der römischen Kaiserideologie (Kaiser als pater patriae), die das Ideal des väterlich agierenden Regenten im gesamten römischen Reich propagierte.

Die Metapher „Vater“ ist die für das frühchristliche Gottesverhältnis typische, in der sowohl die autoritäre als auch liebend zugewandte Seite Gottes abgebildet werden. Vermutlich basiert sie auf der aramäischen Anrede Gottes als „abba“ durch Jesus, wie sie in Mk 14,36, Gal 4,6 und Röm 8,15 in griechischer Umschrift tradiert wird. Die Bezeichnung Jesu als „Sohn Gottes“ steht entstehungsgeschichtlich vermutlich nicht in kausalem Zusammenhang mit der „Vater“-Metapher für Gott, korreliert ihr aber inhaltlich in den neutestamentlichen Texten. Durch die Annahme des Geistes der „Sohnschaft“ rufen nach paulinischer Darstellung auch die Glaubenden Gott als „Vater“ an (Röm 8,15; Gal 4,5f; vgl. 1Joh 3,1: Die Gotteskindschaft wird durch die Liebe des göttlichen Vaters gegeben). „Sohnschaft“ heißt, dass die Konvertiten in die Rechtsstellung eines erbberechtigten Sohnes gestellt werden, was einer Adoption gleichkommt. Damit rückt der göttliche Vater zugleich an die Stelle des leiblichen Vaters. Er ist das Oberhaupt der neuen Familie der Glaubenden, der sog. familia dei, und er ist für diese Vorbild im Verhalten (Lk 6,36; Eph 5,1; Mt 5,48).

3.1. Paulus

Für Paulus ist Gott dementsprechend vor allem „Vater“ der Glaubenden, nur selten der „Vater“ Christi. In der Kombination „Gott Vater“ setzt Paulus die Redeweise von Gott möglicherweise von paganen Gottesepiklesen wie „Zeus Vater“ ab. Die mit dem Vater hauptsächlich verbundene Eigenschaft ist die des Gnade- und Frieden-Spenders (vgl. die Briefeingänge). In 1Kor 8,6 formuliert Paulus das Bekenntnis zum „einen Gott, dem Vater, aus dem alles ist und wir auf ihn hin“ und verbindet damit die Vaterschaft Gottes mit dessen Schöpfertum. Der Schöpfergott wird hier in Aufnahme stoischer Formulierungen zum All-Vater.

3.2. Markusevangelium

Die Evangelien betonen die Vaterschaft Gottes in je unterschiedlicher Weise. Mk bezeichnet Gott nur an vier Stellen als „Vater“. Wenngleich die Vaterschaft Gottes durch die Tauferzählung von Beginn des Evangeliums an deutlich ist, erscheint die Bezeichnung Gottes als „Vater“ erst nach der ersten sog. Leidensankündigung (Mk 8,31): In Mk 8,38 kündigt Jesus das Kommen des Menschensohns „in der Herrlichkeit seines Vaters“ an. Mk 14,36 überliefert die aramäische „Vater“-Anrede „abba“ im Munde Jesu, der sich im Gebet in Getsemani dem Willen des göttlichen Vaters ergibt.

Während die pronominale Bezeichnung „mein Vater“ erst in Mt und Lk erscheint, spricht Jesus bei Mk jedoch zu den Jüngern von „eurem Vater“ (Mk 11,25) und referiert damit auf den göttlichen „Vater“. Dieser göttliche „Vater“ kann Verfehlungen vergeben, kennt den Beginn der endzeitlichen Ereignisse (Mk 13,32), ist allmächtig und bestimmt mit seinem Willen den Verlauf der Geschichte (Mk 14,36).

Der Erkenntnis der göttlichen Sohnschaft korreliert bei Mk die Abgrenzung Jesu von seiner irdischen Familie, die Jesus auch von denen verlangt, die ihm nachfolgen wollen (Mk 3,20f; Mk 3,31-35; Mk 10,29f).

3.3. Logienquelle

In der Logienquelle (Q) nimmt die Bedeutung Gottes als „Vater“ zu: Im „Vaterunser“ (Mt 6,9-13; Lk 11,2-4) wird der „Vater“ als der Herrscher im Königreich angerufen, wobei die Vaterschaft Gottes durch die Epiklese der Herrscher-Eigenschaft übergeordnet wird; mit diesem Gebet wird die Vaterschaft Gottes liturgisch institutionalisiert. Zentral ist auch der ebenfalls aus Q stammende Lobpreis Gottes (Mt 11,25-27; Lk 10,21-22), der von der Offenbarung besonders an die „Unmündigen“ und von der exklusiven Beziehung zwischen „Vater“ und „Sohn“ spricht.

3.4. Lukasevangelium und Apostelgeschichte

In Lk ist bereits durch die Vorgeschichten (Lk 1-2) deutlich, dass Gott der „Vater“ Jesu ist, wenngleich Lk die „Vater“-Bezeichnung hier durch „der Höchste“ ersetzt. Der Stammbaum in Lk 3,23-38 führt dementsprechend die Herkunft Jesu über Josef zurück auf Gott. Sowohl die ersten Worte Jesu als auch seine letzten Worte beziehen sich auf den „Vater“ (Lk 2,49; Lk 24,49). Lk verstärkt zudem die persönliche Beziehung zwischen Gott und Jesus durch Texte, in denen Jesus Gott als „mein Vater“ anspricht, sowie zusätzliche Gebete Jesu zum Gott-„Vater“. Lk entwirft den Weg Jesu als einen Weg, dem er sich gehorsam fügt, indem er dem Willen des „Vaters“ entspricht.

Für Lk ist die Barmherzigkeit des „Vaters“ eine hervorgehobene Eigenschaft (Lk 1,54; Lk 1,72), die auch die Glaubenden übernehmen sollen (Lk 6,36; Lk 10,37). Sie zeigt sich auch im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32). Diese aus dem jüdischen Gottesbild übernommene Eigenschaft Gottes wird somit als ethische Forderung an die Glaubenden überführt: Der Vater ist Verhaltensvorbild für seine „Kinder“, zugleich fordert er den Gehorsam im Verhalten. Auch im Wort des Täufers an die Juden, mit dem er deren Berufung auf den „Vater“ Abraham (s. 6.2.) mit dem Verweis auf die Überlegenheit Gottes verwirft, wird die Macht des göttlichen „Vaters“ deutlich (Lk 3,8).

Lk setzt für die Nachfolge wie Mk und auch Mt die Trennung von der leiblichen Familie voraus (Lk 9,59f; Lk 18,29f), betont sie jedoch nicht so stark wie Mt (vgl. 3.5.); so wird etwa in Lk 7,15 und Lk 9,42 explizit erwähnt, dass Jesus die geheilten Kinder ihren Eltern zurückgibt.

In Apg wird die „Vater“-Bezeichnung für Gott kaum verwendet, vermutlich da sie im Lk-Evangelium eng an Jesus und seine Verkündigung gebunden ist, jedoch spielt der lukanische Paulus in Apg 17,28 mit Hilfe eines Zitats eines griechischen Dichters auf die Vorstellung der menschlichen Abstammung von Gott an.

3.5. Matthäusevangelium

Auch bei Mt ist die Vaterschaft Gottes gegenüber Jesus von Anfang an deutlich und ein zentrales Motiv des Evangeliums. Sein Vater ist vom Beginn des Textes an der göttliche „Vater“ (vgl. Mt 1,18-25), auch wenn der Stammbaum Jesu von Josef, dem Mann Marias (Mt 1,16) aus entwickelt wird (Mt 1,1-16). Wie bei Mk sind die wahren irdischen Verwandten Jesu nicht seine leibliche Familie, sondern diejenigen, die ihm nachfolgen und lernen Gott als „unser Vater“ anzusprechen (Mt 6,9).

Dabei kontrastiert Mt in besonderer Weise die himmlische und die irdische Vaterschaft: Er benennt Gott fast durchweg als „Vater in den Himmeln“ (vgl. auch die tannaitische Literatur, s. Tönges), womit er Gott vom Tempel löst und der Lokalisierung nicht-jüdischer Götter annähert.

Zudem betont Mt durch verschiedene narrative Elemente die Überordnung des göttlichen „Vaters“ über alle irdischen Väter: Die Zebedäus-Söhne verlassen auf den Ruf Jesu hin ihren Vater (Mt 4,22 - vgl. Mk 1,20: sie lassen den Vater auf dem Schiff zusammen mit seinen Tagelöhnern „zurück“), nicht einmal die Bestattung des leiblichen Vaters soll den Glaubenden von der Nachfolge abhalten (Mt 8,21f; vgl. Lk 9,59f), denn wer Vater und Mutter, Sohn oder Tochter mehr liebt als Jesus, ist seiner nicht würdig (Mt 10,37 - vgl. Lk 14,26: Lk spricht statt von „mehr lieben“ von „gering achten“: „wenn jemand nicht Vater und Mutter gering achtet“). Der „himmlische Vater“ weiß, wessen die Menschen bedürfen (Mt 6,6; Mt 6,32), und gibt es ihnen. Dementsprechend erhält der Wille des göttlichen „Vaters“ eine verstärkte Bedeutung: Ebenso wie Jesus sich in den Willen des göttlichen „Vaters“ fügt, sollen dies auch die Glaubenden tun (Mt 12,50).

Mittels verschiedener Vater-Gleichnisse (Mt 21,28-32; Mt 21,33-46; Mt 22,2-14) bildet Mt schließlich die göttliche Vaterschaft mit Hilfe irdischer Verhaltensmodelle ab (s. 5.).

3.6. Johannesevangelium

Am stärksten thematisiert Joh die Vaterschaft Gottes. Die „Vater“-Bezeichnung wird hier für Gott häufiger verwendet als die Gattungsbezeichnung „Gott“. Gott ist der „Vater“ des präexistenten „Sohnes“, mit dem er „eins“ ist (Joh 10,30), daher sprechen fast alle johanneischen „Vater“-Texte auch vom Sohn. Der „Vater“ sendet den Sohn auf Erden, übergibt ihm seine Funktionen und macht ihn so zu seinem ausschließlichen Repräsentanten. Gott ist aber auch „Vater“ der Glaubenden, die als „Kinder“ Gottes „von-oben-geboren“ werden (Joh 3,1-13). Nur noch diejenigen haben Gott zum „Vater“, die auch seinen Sohn anerkennen (Joh 8,30-59). Das von Liebe geprägte Verhältnis zwischen Vater und Sohn (Joh 3,16; Joh 3,35 u.a.) bestimmt auch das Verhältnis Jesu zu den Glaubenden (Joh 13,34 u.a.).

Das hier formulierte Verständnis der christlichen Gemeinde als „Kinder Gottes“ unter der Obhut des Vaters und des Sohnes fungiert als Identität stiftendes Element in der Situation der Absonderung der christlichen Gemeinde von Synagoge und Welt.

3.7. Epheserbrief

Unter den Deuteropaulinen fällt der Eph mit seiner Bevorzugung der „Vater“-Bezeichnung für Gott besonders auf. Nach Eph ist Gott nun der „Vater von allem / allen“ (Eph 4,6; vgl. 1Kor 8,6). Der Schöpfergott wird zum kosmischen „All-Vater“ mit globalem Anspruch: Aus ihm ist alles und sein Wille ist die Sohnschaft aller Glaubenden, unabhängig von ihrer Herkunft (Eph 1,5; Eph 2,17f). Der Verfasser stellt eine etymologische Verbindung her zwischen Gott dem Vater und jedem Volksstamm: Da jede patria (Volksstamm) die Wortwurzel von „Vater“ (pater) in sich trägt, muss sie folgerichtig auch von ihm abstammen (Eph 3,14f).

3.8. Weitere Texte

Weitere neutestamentliche und außerkanonische frühchristliche Texte zeigen die fortschreitende Institutionalisierung der „Vater“-Bezeichnung für Gott mit jeweils spezifischen Konnotationen. So zeichnet 2Thess Gott als Vater, der Trost und Liebe schenkt, Hebr rekurriert auf die erzieherische Funktion des Vaters und in Apk ist Gott nur der Vater Christi. In den Ignatianen wird die Einheit von Vater und Sohn zum Vorbild für den Bischof und seine Gemeinde (s. dazu Zimmermann, 140-161).

4. Der leibliche Vater

4.1. Das Verhalten des leiblichen Vaters

Die Darstellung irdischer Väter in den neutestamentlichen Texten entspricht den auch in anderen antiken Texten entworfenen Verhaltensmodellen. Der Vater ist derjenige, auf den die Herkunft zurückgeführt wird (Mk 1,20: Zebedäus, der Vater von Jakobus und Johannes), er „züchtigt“ (Hebr 12,7), er sorgt sich und gibt den Kindern, was gut für sie ist (Lk 11,11-13; Mt 7,9-11), und holt Hilfe für das kranke Kind (Mk 9,17; Lk 8,41f; Lk 9,38; Mt 9,18; Mt 17,14f; Joh 4,46f). Mit den erwachsenen Söhnen teilt er in der Regel den Beruf, bildet sie auch häufig dahingehend aus (Mt 4,21f). Er hat auch über die erwachsenen Söhne Autorität und verlangt Gehorsam (Mt 21,28-31). Der Vater vererbt dem Sohn nicht nur materielle Güter (Mt 21,38; Lk 15,12), sondern auch die hervorgehobene Stellung des Familienvaters. Die emotional zugewandte Seite des Vaters wird besonders im Gleichnis vom verlorenen Sohn hervorgehoben, der bei seiner Rückkehr vom Vater umarmt und geküsst wird (Lk 15,20; s. dazu aber 5.).

In Eph werden zum ersten Mal Instruktionen für die christliche Erziehung durch den Vater gegeben (Eph 6,4).

4.2. Die Beziehung der Kinder zum Vater

Die am häufigsten in den neutestamentlichen Texten aus den alttestamentlichen Schriften rezipierte Verhaltensregel der Kinder den Eltern gegenüber ist das Gebot der Elternehre (Ex 20,12; Dtn 5,16; Ex 21,17; Lev 20,9), das in zeitgenössischen jüdischen und paganen Quellen damit in Verbindung gebracht wird, dass die Eltern Gott als Schöpfer durch die Zeugung von Kindern unterstützen (Philo, Quis rerum divinarum heres sit 171). Es ist als Gebot formuliert, das das Verhalten der Mutter gegenüber mit einschließt. In den synoptischen Evangelien erscheint es zum einen im Diskurs Jesu mit den Pharisäern und Schriftgelehrten, um ihnen ihre Inkonsequenz in der Gebotseinhaltung vor Augen zu führen (Mk 7,10-13; Mt 15,4-6). Zum anderen listet Jesus die Elternehre im Zusammenhang weiterer Gebote auf, die einzuhalten sind (Mk 10,19; vgl. Mt 19,18f; Lk 18,20), die jedoch durch die Aufforderung abgeschlossen werden, alles für die Nachfolge aufzugeben (Mk 10,21; Mt 19,21; Lk 18,22). Für Jesus gibt es keine wichtigeren Gebote als das der Liebe zum einzigen Gott und das Gebot der Nächstenliebe (Mk 12,28-31; Mt 22,34-40; Lk 10,25-28).

Dass das jüdische Gebot der Elternehre, das auch in der griechischen und römischen Ethik verankert war, später in die frühchristliche Gemeindeethik einging, zeigt die sog. Haustafel in Eph 6,2. Es beinhaltet zugleich die Forderung des Gehorsams gegenüber den Eltern (Eph 6,1; Kol 3,20; vgl. auch Röm 1,30; 2Tim 3,2). Ausgeweitet wird das Gebot dann in 1Petr 2,17 auf die Aufforderung, alle zu ehren.

Wie die Eltern die Ehre durch die Kinder erwarten können, so wertet Jesus in den synoptischen Evangelien die Stellung der Kinder auf (Mk 10,15; Mt 19,14f; Lk 18,16f). Doch unterliegt auch diese Aufwertung dem Ideal, in der Nachfolge alle Mitglieder der Familie, also auch die Kinder, zu verlassen (Mk 10,29f; Mt 19,29; Lk 14,26).

4.3. Trennung von der Familie als Bedingung der Nachfolge

Die Darstellung der Evangelien zeigt, dass mit der Nachfolge auch die Aufgabe der leiblichen Familie verbunden ist. Jesus selbst wird als seiner irdischen Familie gegenüber ablehnend beschrieben (Mk 3,20f; Mk 3,31-35) und fordert auch von denen, die ihm folgen, in letzter Konsequenz das Verlassen und die Ablehnung der irdischen Familie (Mk 10,29f; Lk 14,26; Mt 10,35; Mt 10,37; Mt 19,29; vgl. aber Joh 19,26f). Der Glaube an Gott als Vater und die damit verbundene Aufnahme in die familia dei relativieren irdische Familienstrukturen (Tacitus, Historiae 5,5, kritisiert Ähnliches bereits am Übertritt zum Judentum: Die Proselyten lernten hier, mit den eigenen Göttern auch ihre Heimat und Familie gering zu schätzen). Ein deutliches Beispiel ist die Bitte eines Mannes, seinen Vater noch bestatten zu dürfen, bevor er die Nachfolge antritt (Lk 9,59f; Mt 8,21f): Jesus lehnt diese Bitte ab. Die Aufforderung Jesu, keinen auf der Erde „Vater“ zu nennen (Mt 23,9) kann als Ablehnung der „Vater“-Anrede für leibliche Väter verstanden werden, ist jedoch kontextuell eher als Ablehnung der „Vater“-Anrede für jüdische Lehrer zu lesen (vgl. dazu Joh 6,45).

Andererseits zeigt die Apg, dass durch die Umkehr ganzer Familien auch eine Identität von irdischer Familie und familia dei hergestellt werden kann (Apg 10,2; Apg 11,14; Apg 16,15 u.a.).

4.4. Familie in der Endzeit

Die Endzeit als Zeit zwischen Jesu Tod und seiner Parusie wird durch die völlige Umkehrung familiärer Verhaltensmaßstäbe gekennzeichnet sein: Der Sohn wird sich gegen den Vater erheben und der Vater wird den Sohn, die Mutter die Tochter töten, und die Kinder werden ihre Eltern töten (Mk 13,12; Mt 10,21; Lk 12,53). Diese völlige Zerstörung familiärer Bindungen entspricht jüdischen Endzeitvorstellungen, ist aber nun verbunden mit der Vorstellung der Auflösung aller irdischen familiären Strukturen im Königreich Gottes (vgl. auch Mk 12,25).

4.5. Josef

Auch der irdische Vater Jesu, Josef, spielt in den Evangelien eine völlig untergeordnete Rolle (Mt 1,20; Lk 1,27; Joh 1,45; Joh 6,42). Unabhängig von der nicht zu klärenden historischen Frage, ob Josef zu Beginn des öffentlichen Auftretens Jesu noch am Leben war, ist der Grund dafür in der theologischen Intention der Evangelien zu sehen, Jesus als Sohn Gottes darzustellen. Der Name Josefs wurde bei Mt und Lk möglicherweise nur tradiert, um Jesus eine davidische Abstammung zuzusichern (s. Dormeyer 129). Joh benutzt Josef als heuristisches Mittel: Die Juden halten Jesus für Josefs Sohn und kritisieren daher seinen Anspruch, vom Himmel herab gekommen zu sein (Joh 6,42). Jesus korrigiert dieses Missverständnis mit einem Hinweis auf den „Vater, der mich gesandt hat“ (Joh 6,44).

5. Gleichnisse als narrative Konvergenzmodelle irdischer und göttlicher Vaterschaft

Mt und Lk verwenden metaphorische Erzählungen, in denen das irdische Vater-Sohn-Verhältnis als Bildspender dient, um eine Aussage über den göttlichen „Vater“ zu machen. Lk stellt im Gleichnis vom verlorenen Sohn die Freude des Vaters über den zu ihm zurückgekehrten Sohn dar, der das väterliche Erbe verprasst hat (Lk 15,11-32). Im Gleichnis von den ungleichen Söhnen (Mt 21,28-32) wird die Bedeutung des Gehorsams dem väterlichen Willen gegenüber verbildlicht; im Gleichnis von den bösen Winzern (Mt 21,33-46; Lk 20,9-19) wird mit der Hingabe des Sohnes durch den Vater auf den Tod Jesu angespielt, und im Gleichnis vom Hochzeitsmahl (Mt 22,1-14) verweist die Nichtanerkennung der Einladung eines Königs zur Hochzeit seines Sohnes auf die Bedeutung der Akzeptanz der Botschaft vom Königreich Gottes. Damit sind jedoch nur einzelne Implikationen dieser metaphorischen Erzählungen angedeutet.

6. Die Stamm-„Väter“

6.1. Allgemein

Neben Gott werden in den neutestamentlichen Texten besonders häufig die „Väter“ im Sinne der Ahnherrn des jüdischen Volkes thematisiert und in Erinnerung gebracht. „Väter“ sind im Frühjudentum besonders die Erz-„Väter“ Abraham, Isaak und Jakob, aber auch die Jakob-Söhne als Stamm-„Väter“ (Patriarchen) der 12 Volksstämme sowie alle Vor-„Väter“ im genealogischen Sinne. Dabei ist die genealogische Vaterschaft im Sinne der Gründergeneration und ihrer Nachkommen konnotiert. David wird ebenfalls in diesem Sinne „Vater“ genannt (Mk 11,10; Lk 1,32; Apg 4,25). Die Linie der Ahnherrn verläuft bis in die gegenwärtige „Väter“-Generation, weshalb ältere Männer generell als „Väter“ angesprochen werden können (Apg 7,2; Apg 22,1).

Während Mt nur durch den Stammbaum Jesu eine direkte Beziehung zu der „Väter“-Generation herstellt (Mt 1,1-17; vgl. aber Mt 3,9; Mt 23,30; Mt 23,32), rekurriert Lk mehrfach auf die Stamm-„Väter“: Das ihnen verheißene Erbarmen Gottes erfüllt sich nun in der Geburt Jesu (Lk 1,54f; Lk 1,72). Der Bund, den Gott mit den „Vätern“ geschlossen hat, wird erst jetzt vollendet (Apg 3,25; Apg 13,32f). Wiederholt werden mit den „Vätern“ auch andere für das jüdische Volk heilskonstitutive Elemente assoziiert (Apg 7; Apg 13,16ff). Zugleich sind die „Väter“ jedoch auch Objekte der Kritik (Lk 6,22f; Lk 6,26; Lk 11,47f; Apg 28,25-28), deren Verhalten (Bundesbruch) und Ergehen abzulehnen sind. Dies zeigen auch Joh und Hebr, die ihr Verständnis der Jesus-Geschichte verschiedentlich vor der negativen Folie der „Väter“ entwickeln (Joh 4,12; Joh 4,20f; Joh 6,31f; Joh 6,48f und Joh 8,30-47; Hebr 3,7-19; Hebr 8,7-13).

In der Summe dient jedoch die Erwähnung der „Väter“ im Sinne von Ahnherrn in den neutestamentlichen Schriften vor allem der Zusicherung der Kontinuität des besonderen Verhältnisses Gottes zu seinem Volk Israel und erscheint daher besonders in Texten, die an jüdische Zuhörer gerichtet sind (Apg 7; Röm 9-11).

In besonderer Weise exponiert bereits die Tora die „Väter“ Abraham, Isaak und Jakob durch die Selbstoffenbarung Jahwes als „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ (Ex 3,6; Ex 3,15). Die neutestamentlichen Schriften rekurrieren verschiedentlich auf Gott als „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ und verweisen auch damit auf die enge Bindung Gottes an sein auserwähltes Volk seit der Gründergeneration. Von den drei Erz-„Vätern“ kommt in den neutestamentlichen Schriften jedoch vor allem Abraham eine zentrale Funktion zu.

6.2. Abraham

Die neutestamentlichen Texte beziehen sich in Anlehnung an Gen 12; Gen 15; Gen 22 und Sir 44,19-22 wiederholt auf Abraham (73 Belege), bezeichnen ihn aber häufig nicht explizit als „Vater“. In den Themenbereichen der Abrahamsverheißung und Abrahamskindschaft ist jedoch die Funktion Abrahams als Stamm-„Vater“ impliziert: Die Verheißung Jahwes an Abraham, ihn zum „Vater vieler Völker“ zu machen (Gen 17,5), steht im Hintergrund der Berufung des jüdischen Volkes auf seinen „Vater Abraham“, die in den neutestamentlichen Texten bisweilen kritisiert, vor allem aber als positives Argument verwendet wird. Neben dieser Identität stiftenden Funktion, die auf Abraham als Figur der Vergangenheit mit Konsequenzen für die Gegenwart rekurriert, erscheint Abraham auch unter eschatologischer Perspektive (Mk 12,26f; Mt 22,32; Lk 16,19-31; Lk 20,37f). Für Paulus ist Abraham eine Kristallisationsfigur für seine Argumentation, dass der Glaube an Gott zur Rechtfertigung führt.

6.2.1. Abraham in den Evangelien

Bereits Mt führt die Abstammung Jesu auf Abraham zurück (Mt 1,1), doch vor allem für Lk, der die Jesusgeschichte in den Vorgeschichten eng an die Zusagen Gottes an sein auserwähltes Volk anbindet, ist Abraham eine hervorgehobene Figur der Väterzeit (Lk 1,55; Lk 1,73; vgl. auch Apg 7,2-8; Apg 7,17; Apg 7,32). Das den Vätern und Abraham zugesagte Erbarmen Gottes erfüllt sich nun in der Geburt Jesu. Abraham hat jedoch vor allem auch eine präsentische und zukünftige Funktion: In Lk 20,37f (Mk 12,26f; Mt 22,32) findet sich der Gedanke, dass Abraham zusammen mit Isaak und Jakob bei Gott weiterlebt. Sie befinden sich im Reich hatGottes. Alle Glaubenden aus allen Himmelsrichtungen werden zukünftig mit ihnen zu Tisch sitzen, aber diejenigen unter den Juden, die nicht zum Glauben an Christus gekommen sind, werden von diesem Mahl ausgeschlossen sein (Lk 13,28f; Mt 8,11f). Die Geschichte vom armen Lazarus, der nach seinem Tod in Abrahams Schoß ruhen darf (Lk 16,19-31), zeigt zum einen, dass die genealogische Abstammung von Abraham nicht per se das Wohlergehen nach dem Tod gewährleistet (s. auch Lk 3,8; Mt 3,9; Joh 8,31-59). Zum anderen steht Abraham hier für die von Lk auch anderweitig angemahnte Zuwendung zu den gesellschaftlich Marginalisierten. Insofern dient Abraham als positiv konnotierte Figur der Vergangenheit, die zugleich Vorbild für das von Gott erwartete Verhalten in der Gegenwart mit der eschatologischen Perspektive des Zusammentreffens im Reich Gottes ist. Dies gilt jedoch nicht für Joh: Hier dient Abraham als Zeuge für Christus, ist jedoch keine Vorbildfigur für die Gemeinde (Joh 8,48-59). Abrahams Gehorsam und seine Beschneidung spielen im Unterschied zu Paulus in den Evangelien keine Rolle.

6.2.2. Abraham bei Paulus

In der Argumentation des Paulus ist Abraham die Kristallisationsfigur in der Auseinandersetzung mit dem jüdischen Glauben. Abraham wurde zum „Vater vieler Völker“ eingesetzt. Auch Paulus sieht sich als einen Nachkommen Abrahams (2Kor 11,22; Röm 11,1; vgl. Phil 3,5). Nach Röm 9,7f sind jedoch nicht alle genealogischen Nachkommen Abrahams seine „Kinder“, sondern nur diejenigen, die „Kinder der Verheißung“ sind, d.h. diejenigen, die an Christus als Erfüllung der Verheißung glauben (vgl. Gal 3,14; Gal 3,22; Gal 3,26; Gal 3,29). Nach Gal 3 und Röm 4 ist der Glaube (das Vertrauen) dafür entscheidend: Abraham glaubte an Gott noch vor seiner Beschneidung (Röm 4,9f; vgl. Gen 17,24), damit ist allein dieser Glaube grundlegend für das Gottesverhältnis. Das Vertrauen auf Gott führt zur Vergebung der Verfehlungen und zur Gerechtigkeit vor Gott (Gal 3,6; Röm 4,9; Röm 4,22). Daher können sich alle diejenigen, die auf Gott vertrauen, nicht nur die Juden, auf Abraham als Stammvater berufen (Gal 3,7-9; Röm 4,11f). Und so wird Abraham nun erst jetzt wirklich zum „Vater vieler Völker“ (Röm 4,16f; Gal 3,8f). Christus als Nachkomme Abrahams (Gal 3,16) relativiert die Bedeutung des jüdischen Gesetzes (Gal 3,13f; Gal 3,24f) und eröffnet damit auch den Nicht-Juden die Möglichkeit zu den „vielen Völkern“ des Abraham zu gehören: Nun sind diejenigen Abrahams Nachkommen, die zu Christus gehören (Gal 3,29), d.h. die daran glauben, dass sie mit Christus allein durch ihren Glauben vor Gott gerecht sind. Sie haben Abraham zum „Stammvater“ im Sinne seines vorbildlichen Glaubens an Gott, sie alle sind nun (adoptierte) „Söhne Gottes“ (Gal 3,26), die Gott wie Jesus als „Abba, Vater“ anrufen (Gal 4,6).

6.2.3. Abraham im Hebräerbrief

Nachdem der Verfasser in Hebr 6,13-20 die Zuverlässigkeit der Verheißung Gottes an Abraham unterstrichen hat, betont er in Hebr 7,1-10 die Anerkennung des Priestertums des Melchisedek durch Abraham. Melchisedek wird als „Abbild des Sohnes Gottes“ bezeichnet (Hebr 7,3). Diese Anerkennung Melchisedeks durch Abraham hat Auswirkungen bis in die Zeit des Verfassers, insofern nun Jesus als ewiger Hohepriester an die Stelle Melchisedeks tritt. Hebr 11,8-22 rekapituliert die Geschichte der Berufung Abrahams bis zu seinem Tod, stellt die Bedeutung seines Vertrauens auf die Verlässlichkeit Gottes heraus und macht ihn auf diese Weise zum Glaubensvorbild.

6.2.4. Abraham im Jakobusbrief

Im Jakobusbrief dient Abraham wie bei Paulus und im Hebräerbrief als Glaubensvorbild, zugleich aber betont der Verfasser auch die Bedeutung der „Werke“ im Zusammenhang der Rechtfertigung Abrahams, da er die Opferung des Abraham-Sohnes Isaak als ein solches „Werk“ interpretiert (Jak 2,20-24; vgl. Gen 15,622,9).

7. Paulus als Vater (und Mutter) seiner Gemeinden

Auch für Paulus kommt die „Vater“-Bezeichnung vor allem anderen Gott als Vater der Glaubenden und als Vater Christi zu (s. 3.1.), doch kann er auch von sich selbst in metaphorischer Redeweise als „Vater“, bzw. „Mutter“ (dies allerdings nicht explizit, sondern in Metaphern aus der mütterlichen Welt s.u.) der von ihm konvertierten Christinnen und Christen sprechen.

7.1. Erster Thessalonicherbrief

Bereits in 1Thess 2,10f vergleicht Paulus sein Verhältnis und das der anderen Missionare zu den Christinnen und Christen in Thessalonich mit dem eines Vaters zu seinen Kindern. Voraus geht dem Vergleich mit einem Vater bemerkenswerter Weise derjenige mit einer Mutter (1Thess 2,7: Amme /τροφός). Die angebotenen Metaphern zeigen, dass die Glaubenden von den Missionaren einerseits die kostenlose Zuwendung einer Mutter erwarten können (wie die leiblichen Kinder einer Amme: s. Gerber, 277ff), andererseits väterliche Unterweisung und Ermahnung zu akzeptieren haben. Paulus fordert damit zugleich die Anerkennung seiner väterlichen Autorität, denn wie ein jüdischer Vater führt er seine Kinder in die dem göttlichen Willen entsprechenden ethischen Normen ein (Gerber, 300ff). Zugleich wird die Verantwortung des väterlichen Missionars deutlich: Nur durch seine väterliche Unterweisung und Ermahnung ist gewährleistet, dass die „Kinder“ am Königreich Gottes partizipieren (1Thess 2,12).

Neben dieser Mutter-Vater-Kind-Relation verstärkt auch das Selbstverständnis der Glaubenden als „Geschwister“ die familiäre Gruppenidentität der Christen in Thessalonich. Auch bei Paulus wird die Beschreibung der frühchristlichen Gruppe als „Familie“ als Kompensation des gegebenenfalls bei der Konversion zum Christentum erfolgten Verlustes der leiblichen Familie eingesetzt.

7.2. Erster Korintherbrief

In 1Kor 4,14ff spricht Paulus davon, dass er die Gemeinde in Korinth „durch das Evangelium“ „gezeugt“ hat (1Kor 4,15). Aufgrund der Tatsache, dass er die Gemeinde „gezeugt“, also gegründet hat, ragt er unter weiteren in Korinth agierenden Missionaren hervor. Daraus leitet er wiederum den Anspruch auf eine besondere Autoritäts- und Vorbildfunktion für die Gemeinde ab (1Kor 4,16). Er kann die Gemeindeglieder „wie seine geliebten Kinder“ ermahnen (1Kor 4,14) und erwarten, dass diese seine „Nachahmer“ werden (1Kor 4,16).

Auch seinen Begleiter Timotheus nennt er explizit sein „geliebtes Kind“ (1Kor 4,17), wobei hier vermutlich nicht die Konversion durch Paulus (vgl. Apg 16,1), sondern dessen Vorbildrolle im Hintergrund steht (s. Gerber 414). Paulus bezeichnet sich hier als „Vater“ im Sinne seiner Gründer- und Erzieherfunktion (s. 1Kor 14,16; 1Kor 14,21); dabei klingt der Aspekt der väterlichen Liebe mit an (s. 1Kor 14,14; 1Kor 14,17; 1Kor 14,21).

7.3. Galaterbrief

In Gal 4,19 spricht Paulus die Christinnen und Christen als seine „Kinder“ an, mit denen er „in den Wehen liegt“ und verwendet damit eine Metapher aus dem Bereich der Geburt, um sein Verhältnis zu den Galatern als noch nicht abgeschlossenen Arbeitsprozess zu beschreiben. Da die Gemeinde sich von ihrem Gründer entfernt hat, ist sein Brief der Versuch, den eigentlich mit der Gründung der Gemeinde schon abgeschlossenen Geburtsvorgang zu wiederholen (s. Gerber, 472ff).

7.4. Philipperbrief

Nach Phil 2,22 lobt Paulus Timotheus, weil er „wie einem Vater das Kind mit mir für das Evangelium diente.“ Impliziert ist hier die gehorsame Treue des Kindes dem Vater gegenüber, das den Vater bei seiner Arbeit unterstützt.

7.5. Philemonbrief

In Phlm 10 spricht Paulus von Onesimus als seinem „Kind“. Je nachdem, ob man ἐγέννησα hier mit „zeugen“ (vgl. 1Kor 4,15) oder „gebären“ (vgl. Gal 4,19) übersetzt, ist Paulus eher als Vater oder Mutter abgebildet (zur Diskussion: Gerber, 208 Anm.287). Entscheidend ist jedoch, dass Paulus das Vater-Kind-Motiv hier verwendet, um vor Philemon das Konzept der familia dei als eines dem Herrn-Sklaven-Verhältnis übergeordnetes zu verdeutlichen: Philemon soll den entlaufenen Sklaven Onesimus als „geliebten Bruder“ ansehen.

Die Vater / Mutter-Metapher dient Paulus in seinen Briefen dazu, seine existenzielle Relation zu den von ihm konvertierten Glaubenden zu betonen und die familiäre Gruppenidentität der Gemeinden auch während seiner Abwesenheit zu erhalten, da der Vater immer Vater bleibt, auch wenn er abwesend ist.

8. Die (fiktive) Vaterschaft des Paulus in den Pastoralbriefen

Die pseudepigraphen Pastoralbriefe nehmen in der Fiktion der paulinischen Verfasserschaft die Bezeichnung der Mitarbeiter des Paulus als seine „Kinder“ auf und führen damit den Anspruch des Paulus, „Vater“ der von ihm konvertierten Glaubenden zu sein (Timotheus als „Kind“ in 1Tim 1,2; 1Tim 1,18, vgl. dazu 1Kor 4,17; Phil 2,22. Titus als „Kind“ in Tit 1,4, vgl. aber 2Kor 2,13; 2Kor 8,23, wo Titus als „Bruder“ bezeichnet wird), fort. Damit sehen die Verfasser der Pastoralbriefe die angeschriebenen „Kinder“ Timotheus und Titus als legitime Nachfolger des Paulus in der Verkündigung.

9. „Väter“ in den frühen christlichen Gemeinden nach Paulus

In 1Joh 2,13f werden die älteren Mitglieder der sich strukturierenden Gemeinde in Absetzung von den jüngeren als „Väter“ angesprochen. Diese „Väter“ zeichnen sich durch ihre Erkenntnisfähigkeit aus. Altkirchliche Theologen lasen die Altersstufen in 1Joh 2,13f allegorisch als Charakterisierung der einzelnen Glaubenden hinsichtlich ihrer Fertigkeit in bestimmten Tugenden.

In 2Petr 3,4 werden die Christen der 1. Generation, d.h. die Apostel, als „Väter“ bezeichnet, wobei hier die Vaterschaft als Zeit strukturierendes Phänomen gemeint ist.

In den Ignatianen wird die „Vater“-Metapher schließlich auf den Bischof übertragen (Ign. Magn 3,1; 6,1f; Ign. Trall 3,1), allerdings nicht in Anlehnung an die paulinische Selbstbezeichnung, sondern in Anlehnung an die göttliche Vaterschaft. Die Einheit von göttlichem Vater und göttlichem Sohn soll in der Einheit von Bischof und Gemeinde ihre Entsprechung finden (Zimmermann 160f). Dabei ist die Vorbildlichkeit des Vaters konnotiert: Wie Christus seinen Vater nachgeahmt hat, soll nun die Gemeinde Christus bzw. den Bischof nachahmen (Ign. Phld 7,2; Ign. Sm 8,1).

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