Deutsche Bibelgesellschaft

Jesaja 25,6-9 | Ostermontag | 21.04.2025

Einführung in das Buch Jesaja

1. Endgestalt des Buches

Das Jesajabuch ist mit seinen 66 Kapiteln das längste Prophetenbuch der Bibel. Die masoretische und griechische Fassung weisen im Wesentlichen Übereinstimmungen, nur in bestimmten Fällen Abweichungen voneinander auf. Die berühmte Jesajarolle aus Qumran (1Q Jesa) zeigt dabei eine Nähe zur Septuagintafassung. Umstellungen oder längere fehlende oder „überschüssige“ Textpassagen gibt es in der Septuaginta-Fassung nicht.

Das gesamte Buch wird laut Jes 1,1 dem Propheten Jesaja, Sohn des Amoz (wohl nicht zu verwechseln mit dem Propheten Amos), zugeschrieben. Selbst die Texte ab Jes 40 und Jes 56, die man gemeinhin Deutero- bzw. Tritojesaja zuweist, stehen den Redaktoren der Bibel zufolge in der Autorität oder in der „Nachfolge“ des Propheten Jesaja.

2. Kompositions- und Redaktionsgeschichte

Der Kern des Jesajabuches geht auf den gleichnamigen Propheten zurück, der im 8. Jahrhundert v. Chr. in Jerusalem wirkte. Spätestens die Kapitel ab Jes 40 werden aber einem zweiten Propheten zugerechnet, den man Deuterojesaja nennt. Bernhard Duhm hat in seinem Kommentar von 1892 alle Kapitel ab Jes 56 einem dritten Propheten, also Tritojesaja, zugeschrieben. Die klassische Jesajathese geht also von Protojesaja oder Erstem Jesaja (Jes 1–39), Deuterojesaja oder Zweitem Jesaja (Jes 40–55) und Tritojesaja oder Drittem Jesaja (Jes 56–66) aus.

Im Zuge der redaktionsgeschichtlichen Forschung des 20. Jahrhunderts ist der Kernbestand bei allen drei Teilen teilweise auf wenige Kapitel geschrumpft. Der Großteil wird späteren Ergänzern, Fortschreibern oder Redaktoren zugewiesen. Das hat zwei Folgen: Zum einen kann man nur einen kleinen Teil der Schrift „mit Sicherheit“ dem Propheten Jesaja oder Deuterojesaja zuweisen, während der überwiegende Teil des Buches Jesaja von unbekannten Redaktoren etc. verfasst wurde. Zum anderen gibt es eine stärkere Orientierung am „Sitz im Buch“, d.h. man kann die Texte meist nicht einem ganz bestimmten Zeitpunkt zuweisen, dafür aber die Stelle, in der der Text vorkommt, aus dem Buch heraus begründen. Die Texte des Jesajabuches sind keine zufällige Sammlung von Einzelworten, sondern eine – wie auch immer geartete – Komposition oder bewusste Gestaltung. Auf diese Weise kann man die theologischen Debatten, die Aktualisierungen und Anpassung der alten Prophetenworte an die jeweils neue Zeit nachvollziehen.

Allerdings gibt es bis heute die Ansicht, ein Großteil der Texte ginge auf den historischen Propheten Jesaja zurück und man könne die unterschiedlichen, teils auch widersprüchlichen Texte auf Verkündigungsphasen des Propheten zurückführen. Aber auch hierbei gilt, dass diese Forschungsrichtung im Jesajabuch eine bewusste und absichtliche Gestaltung des Buches erkennt.

3. Historischer Kontext

Das Jesajabuch beinhaltet in den Kapiteln 1–39 unter anderem die Worte des historischen Jesajas, der zur Zeit des sogenannten syrisch-ephraimitischen Krieges (734–732 v. Chr.) zu wirken begann. Die Wirkungszeit des historischen Propheten lässt man mindestens bis 701 v. Chr. laufen, als Jerusalem zwar von Sanherib belagert, letztlich aber nicht zerstört und damit bewahrt wird. Das Südreich konnte die Eigenständigkeit zu einem gewissen Maße wahren. Zur Zeit Hiskias, so muss man das Jesajabuch lesen, glaubte man noch an Jhwh, so dass er Zion errettete, später aber glaubte man nicht mehr, so dass es zur Katastrophe kommen musste. Aus dieser Geschichte lassen sich sowohl die Worte gegen die Fremden Völker als auch die Unheils- und Heilsworte für das eigene Volk herleiten.

Allerdings dürfte der Großteil der Texte nicht auf den historischen Propheten Jesaja zurückgehen, sondern sich späteren exilischen und nachexilischen Fortschreibern verdanken, die ihre eigenen Ansichten und die ihrer Zeit über die Zukunft des Königtums und der Gottesherrschaft in das Jesajabuch eintrugen.

Der hintere Teil des Jesajabuches (ab Jes 40) wird der exilischen, mittlerweile sogar der nachexilischen Zeit zugerechnet. Die Rückkehr Jhwhs zum Zion (Jes 40,1–11; 52,1–10) ermöglicht die Rückkehr des Volkes, womit eine Diaspora angesprochen werden soll, die noch nicht zurückgekehrt ist oder nicht zurückkehren will.

4. Wichtige Themen

Zion durchzieht das Jesajabuch wie kein zweites Thema. Neben z. B. Jes 1,21–26; 2,1–5; 37,33–38; 49,14–52,10; 54,1–17; 65 und 66 sind die drei großen Kapitel Jes 60–62 zu nennen. Die Rettung des Zions vor den Assyrern, selbst wenn es sie historisch gesehen wohl so nicht gegeben hat, ist der Kern des vorexilischen Jesajabuches. Mit Deuterojesaja und den Ereignissen um Kyros und den Fall Babylons werden dieser Erzählung weitere Zion-Texte hinzugefügt, die Jhwhs Rückkehr zum Zion (Jes 52,8) als Beginn einer neuen Zeit feiern.

5. Besonderheiten

Im Jesajabuch begegnen mit Jes 7; 9 und 11 und dann vor allen Dingen mit den Texten in Jes 40–62 zahlreiche Texte, die über die Zukunft des Gottesvolkes nachdenken. Wenn anfänglich (Jes 7) noch an eine Wiederkehr frommer davidischer Könige gedacht worden ist, so verändern sich die Texte immer mehr dazu, dass das Gottesvolk keinen anderen König benötigt als Jhwh allein.

Die sogenannten Gottesknechtslieder, die Bernhard Duhm „entdeckt“ hat, sind im Neuen Testament aufgenommen worden Jes 42,1–7; 49,1–6; 50,4–9; 52,13–53,12, darunter besonders das vierte und letzte.

Literatur:

  • Becker, U., 2022, The Book of Isaiah. Its Composition History, in: Lena-Sofie Tiemeyer (Hg.), The Oxford Handbook of Isaiah, Oxford, 37–56.
  • Hieke, Th., 2006, „Er verschlingt den Tod für immer“ (Jes 25,8a). Eine unerfüllte Verheißung im Alten und Neuen Testament, BZ 50, 31–50.
  • Kaiser, O., 19792, Der Prophet Jesaja. Kapitel 13–39 (ATD 18), Göttingen.

A) Exegese kompakt: Jesaja 25,6-9

Wer bringt das Heil – weltliche Herrscher?

6וְעָשָׂה֩ יְהוָ֨ה צְבָא֜וֹת לְכָל־הָֽעַמִּים֙ בָּהָ֣ר הַזֶּ֔ה מִשְׁתֵּ֥ה שְׁמָנִ֖ים מִשְׁתֵּ֣ה שְׁמָרִ֑ים שְׁמָנִים֙ מְמֻ֣חָיִ֔ם שְׁמָרִ֖ים מְזֻקָּקִֽים׃ 7וּבִלַּע֙ בָּהָ֣ר הַזֶּ֔ה פְּנֵֽי־הַלּ֥וֹט ׀ הַלּ֖וֹט עַל־כָּל־הָֽעַמִּ֑ים וְהַמַּסֵּכָ֥ה הַנְּסוּכָ֖ה עַל־כָּל־הַגּוֹיִֽם׃ 8בִּלַּ֤ע הַמָּ֨וֶת֙ לָנֶ֔צַח וּמָחָ֨ה אֲדֹנָ֧י יְהוִ֛ה דִּמְעָ֖ה מֵעַ֣ל כָּל־פָּנִ֑ים וְחֶרְפַּ֣ת עַמּ֗וֹ יָסִיר֙ מֵעַ֣ל כָּל־הָאָ֔רֶץ כִּ֥י יְהוָ֖ה דִּבֵּֽר׃ פ

9וְאָמַר֙ בַּיּ֣וֹם הַה֔וּא הִנֵּ֨ה אֱלֹהֵ֥ינוּ זֶ֛ה קִוִּ֥ינוּ ל֖וֹ וְיֽוֹשִׁיעֵ֑נוּ זֶ֤ה יְהוָה֙ קִוִּ֣ינוּ ל֔וֹ נָגִ֥ילָה וְנִשְׂמְחָ֖ה בִּישׁוּעָתֽוֹ׃

Jesaia 25:6-9BHSBibelstelle anzeigen

Übersetzung

6 Und es wird der Jhwh Zebaoth allen Völkern auf diesem Berg ein üppiges Festgelage bereiten,

ein Fest des Weines, voll von markigen Fettspeisen, von gefilterten Weinen.

7 Und er wird auf diesem Berg vernichten das Tuch,

verhüllend alle Völker,

die Decke, mit der alle Nationen verhüllt sind.

8 Er wird den Tod verschlingen für alle Zeiten.

Und Adonaj Jhwh wird abwischen die Tränen von jedem Angesicht,

und wird die Schande des Volkers von der ganzen Erde nehmen,

denn Jhwh hat gesprochen.

9 Und er wird in jenem Tag sagen:

Siehe, dies ist unser Gott,

wir hofften auf ihn, dass er uns helfe.

Dies ist Jhwh, wir hofften auf ihn,

Wir wollen jubeln und uns über seine Hilfe freuen.

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

V.6: מְמֻחָיִם – Partizip pual von מחה: voll von Mark, mit שְׁמָנִים „markige Fettspeisen“ (O. Kaiser/Gesenius18 z. St.); nur hier belegt.

V.7: פְּנֵי־הַלּו̇ט: Oberfläche der Hülle (O. Kaiser z. St.); Vorderseite/Gestalt der Hülle (T. Hieke z. St.)

Das zweite, unmittelbar folgende הַלּו̇ט ist außergewöhnlich und nicht einfach als Doppelschreibung zu erklären, sondern Partizip im Sinne von „verhüllend“, „umhüllend“ (Gesenius18 z. St.)

V.8: Einige Übersetzungen (Peschitta, Theodotion) wie auch 1 Kor 15,54 haben an dieser Stelle Pual וּבֻלַּע (der Tod wird verschlungen), wahrscheinlich um die Vermenschlichung Gottes zu vermeiden, Jhwh fresse den Tod auf. Bei Gesenius18 z.St.: „vernichten“.

V.9: zu וְאָמַר (er wird sagen; man wird sagen [O. Kaiser z. St.]) bieten 1Q Jesa und die Peschitta als lectio facilior die 2. Sg. (du wirst sagen).

2. Kontext und Literarische Gestaltung

Die Textstelle gehört zu Jes 24–27, die man oft genug als „Jesaja-Apokalypse“ und als späte, eigenständige Einfügung ins Jesajabuch verstanden hat. Demgegenüber ist die Vernetzung mit dem restlichen Buch überall greifbar.

Jes 25,6–8 ist eine Voraussage, was Wunderbares Jhwh dereinst tun wird: Allen Völkern ein üppiges Festmahl bereiten (V.6), die (Trauer-)Hülle der Völker wegnehmen (V.7), die Tränen abwischen, den Tod verschlingen (V.8). Mit V.8bβ wird ein Abschluss erreicht: Dies alles werde passieren, weil Jhwh es gesagt hat. Daraufhin wird ein Danklied auf Jhwh angestimmt, auf den man gehofft habe und über dessen Hilfe man sich freuen will (V.9). Es bleibt unklar, wer das Lied anstimmt: Das Gottesvolk, von dem in V.8 die Rede war, oder doch alle Völker, an die offensichtlich V.6–8 gerichtet sind.

3. Textgenese

Die Perikope denkt den vorangegangenen Text (Jes 25,1–5) weiter. Wenn dort fremde Mächte und Völker Jhwh anerkennen, so müssen die Völker zu „diesem Berg“ kommen (Jes 25,6, vgl. Jes 2,2; 60,3) und am Festmahl teilnehmen. Jhwh wird dann die Decke, mit der alle Völker (aus Trauer über Verwüstung und Tod) verhüllt sind, wegnehmen und kann dann deren Tränen abwischen. Es wird deutlich, dass hier für die ganze Erde eine neue Heilszeit anbricht. Eine spätere Ergänzung (V.8aα) hat die Schlussfolgerung gezogen, dass Jhwh auch den Tod vernichtet, und hat sich dazwischen eingeschoben (dagegen: T. Hieke).

V.9 wird in der Regel nicht mehr zu den vorhergehenden Versen gerechnet, da hier ein Danklied beginnt, das selbst auch eine Reaktion auf Jes 25,6–8 darstellt. Die Sänger des Liedes ergeben sich nicht eindeutig aus dem Zusammenhang.

4. Historische Einordnung

Der Abschnitt wird in der Regel der Diadochenzeit (nach 323 v. Chr.) zugerechnet. Wenn Jhwh den Tod verschlingen wird und der Tod damit seine Kraft verliert, wenn im zweiten Jahrhundert v. Chr. im Judentum die Vorstellung von der Auferstehung der Toten vorhanden ist, wird man V.8 nicht weit davon entfernt datieren. Die Trauer, die alle Völker befallen hat, lässt sich leicht mit den Kriegen zwischen den Nachfolgereichen Alexanders des Großen verbinden. In dieser wechselvollen Zeit blieb Gott die einzige Hoffnung, die Bestand hatte und Trost spenden konnte.

5. Schwerpunkte der Interpretation

Das große Festmahl, zu dem alle Völker kommen werden, das Ende der Trauer, das versprochene Ende des Todes stellen Hoffnungen dar, die in der Menschheit immer wieder vorkommen: Vereinte Nationen, Überwindung des Todes. Politische Herrschaft spielt dabei keine Rolle mehr, da diese nicht in der Lage war, die neue Heilszeit anbrechen zu lassen. Gott selbst muss die Sache in die Hand nehmen: Er wird das große, gemeinsame Festmahl der Völker ausrichten, den Tod verschlingen, die Trauer enden lassen.

Der Text hat durch seine späte Entstehung keine größere Wirkung im Jesajabuch und im Alten Testament haben können. Dagegen wird im Neuen Testament etwas versteckt auf ihn angespielt: Wenn man im Himmel zu Tisch sitzen wird (vgl. Mt 8,11; Mk 14,25; Lk 13,29f.?). Aus Jes 25,8 greift hingegen Paulus das Verschlingen des Todes auf (1 Kor 15,54). In der Offenbarung des Johannes wird das Abwischen der Tränen (Apk 7,17; 21,4) zitiert, in Apk 20,14 auf den (ersten) Tod des Todes angespielt, der an dieser Stelle ein zweites Mal sterben muss: diesmal im Feuersee.

6. Perspektiven für die Predigt

Gottes Herrschaft ist anders als die der Menschen. Die Hoffnung, dass dieser eine Mensch, dieser eine Politiker endlich das ersehnte Heil bringt, endlich die Völker vereinigt, den Hass überwindet, dass diese eine Technologie den Tod überwindet und die Trauer überflüssig macht, diese Hoffnung lief, läuft und wird auch immer ins Leere laufen. Enttäuschung heute wie damals. Das Exil mag ein Ende gehabt haben, der Tempel in Jerusalem wieder errichtet worden sein, aber zurückgekehrt ist nicht ein Königreich, in dem alle fromm waren. Von Menschen konnte man die Wende zum unermesslich Guten nicht mehr erwarten.

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Die Exegese regt mich an, den Textabschnitt im Kontext zu lesen, sowohl nach vorn (V.1-5) als auch nach hinten (V.10-12). Während mich die anschließenden Verse mit ihren Gewalt- und Rachephantasien erschrecken, weil sie die Vorstellung eines für alle gültigen und andauernden Friedens ausschließen, beeindruckt mich bei den vorausgehenden Versen die Anschlussfähigkeit an Erfahrungen bis in die heutige Zeit.

Der ganze Text strotzt von Materialität, im Schlimmen wie im Guten: die Trümmer und Steinhaufen nach Kriegen, in denen ganze Städte und Paläste (man denke nur an die nach Europa verschleppten Steinfragmente altorientalischer Paläste und Prachtstraßen!) geschleift und von Tyrannen wie durch Naturgewalt vernichtet wurden. Die Bilder von Trümmern nach Wirbelstürmen, Tsunamiwellen und Kriegsgewalt in der Ukraine, in Syrien, Libanon, Gaza und aller Welt haben sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Gehört es etwa zum Schicksal der Menschheit und menschlicher Zivilisation, dass alle Hoffnungen auf politische Herrschaft oder Friedens- und Klima-Abkommen scheitern müssen und am Ende doch wieder alles in Trümmern liegt – und das gar nicht einmal metaphorisch gedacht?

Das eschatologische Gegenbild vom Gastmahl lässt nicht weniger Materialität erkennen. Der Text wendet sogar einiges Vokabular auf, um die Dinglichkeit des Heils zu beschreiben, wie schon die Hinweise zur Übersetzung zeigen: die Speise ist nicht nur Mark (das kennen wohl noch die Alten, die den Gottesdienst besuchen), sondern trieft auch noch von Fett. Der Wein ist von bester Auslese. Das Tuch, das die Völker in ihrer Trauer verhüllt, ist in seiner blickdichten Stofflichkeit ausgemalt. Tränen – das Material der Trauer – sind gelaufen, Gott wischt sie ab. Und dann frisst Gott auch noch den Tod als wäre dieser selbst ein Wesen, wie es Hieronymus Bosch gemalt hat.

2. Thematische Fokussierung

Wie in anderen theologischen und sozialwissenschaftlichen Fächern hat in der Praktischen Theologie der letzten Jahre eine neue Aufmerksamkeit für die „Performanz der Materialität“ Einzug gehalten, wie der Untertitel der Festschrift für Thomas Klie lautet. „Die Dinge zum Sprechen bringen“ fassen Martina Kumlehn, Ralph Kunz und Thomas Schlag zusammen, was sie als material turn in vielen Bereichen der kirchlichen Praxis beschreiben, in der Dinge aufeinander bezogen, zueinander und gegeneinander positioniert werden.

Die Erfahrung von Heil und Erlösung, von Befreiung und Errettung verlangt nicht nur nach einer symbolischen Darstellung, sondern muss erfahrbar werden in einem gemeinsamen Vollzug, wie dies hier im grandiosen Bild des Festmahls für die Völker vorwegnehmend geschildert ist. Auch wenn der Jesaja-Text erst spät entstanden ist, findet er gerade wegen seiner Materialität doch eindrückliche Aufnahme in den synoptischen Evangelien, wohl auch im Hochzeitswunder von Kana bei Johannes und bis zur Offenbarung, wie Teil A deutlich macht. Das hilft auch bei der Wahrnehmung der anderen biblische Texte, die für den Ostermontag vorgesehen sind (s.u.)

Auch über den Gottesdienst hinaus macht die Materialität des Festmahls darauf aufmerksam, dass das Osterfest wie kein anderes kirchliches Hochfest in vielen Traditionen mit besonderen Speisen und Bräuchen verbunden ist. Ein kurzer Blick auf entsprechende Seiten wie „chefkoch.de“ mit dem Suchbefehl 'Osterspeisen' oder ähnliches tischt alles auf, was zur Beschreibung im Bibeltext passt. Für heutige Gottesdienstbesucher wird darauf hinzuweisen sein, dass es nicht um die Fleischlichkeit oder um den Alkoholgehalt der Speisen geht, sondern um die Erfahrung von Fülle, die eben nicht spiritualisiert werden sollte.

3. Theologische Aktualisierung

Zwei Gedanken können für die Predigt aufgegriffen und aktualisiert werden:

  • Wie A bereits betont, ist die Relativierung politischer Heilserwartungen und Versprechungen ein wichtiges Motiv, insbesondere auch diejenigen, die sich religiös verbrämt geben oder für sich eine „Auferstehung aus Ruinen“ reklamieren. Der Bibeltext ist herrschaftskritisch. Stattdessen ist festzuhalten, dass unsere Zeit nicht weniger voll von Ansagen des Unheils und der drohenden Katastrophen ist wie die Zeit des literarischen Jesaja. Heilsversprechen und Unheilsprophezeiungen treffen alle Völker und führen in ihrer Enttäuschung und ihren Auswirkungen zu kollektivem Leid, kollektiver Enttäuschung und kollektiver Trauer. Sie legt sich lähmend wie eine schwere und verhüllende Decke über alles öffentliche Leben. Hier spricht aus dem Text ein ungeheuerlicher Realismus, setzt dem aber eine mächtige Imagination entgegen, die zeigt, dass Gott nicht von dieser Welt ist, aber weiß, was genau diese traumatisierte Welt braucht: Die Imagination eines Fests, bei dem alle zusammenkommen, von Osten und Westen, vom globalen Süden und vom Norden, um an einem Tisch zu sitzen. Das ist das Reich Gottes (Lk 13,29). 
  • Der Text hilft dazu, auch in den anderen Lesungen die Materialität wahrzunehmen: bei Paulus die Verweslichkeit des Körpers, die in die Unverweslichkeit des Leibs transformiert wird (1 Kor 15,53). Im Psalm die Neubewertung des als nutzlos geltenden Steins, der zum Eckstein erkoren wird (Ps 118,22). Und in den Evangelienlesungen von den Ostererscheinungen das Essen in Gemeinschaft, während dessen es zur Erkenntnis des Auferstehungswunders kommt. Hier empfiehlt es sich, statt der Emmausperikope alternativ Lk 24,36-45 zu lesen, in der Jesus zum Beweis der neuen „postmortalen“ Realität seine verletzten Hände und Füße zeigt und sich ein Stück gebratenen Fischs zum Verzehr geben lässt. Ganz menschlich und doch metaphorisch wird der Tod verschlungen. Die alles verdeckende Hülle der Trauer wird weggezogen und die Tränen werden einem Osterlachen weichen.

4. Bezug zum Kirchenjahr

Wesentlich am Predigttext ist V. 9, von dem aus her die Leiblichkeit der Freude und des gemeinsamen Feierns zu denken ist und auf den die prophetische Verheißung hinläuft. Es ist Gott der Herr, der das Leid wendet, der neues Leben schafft, wo nur Tod war und der den Tisch so deckt, dass alle nicht nur satt, sondern auch glückselig werden. Alle Osterbräuche der Gegenwart, insbesondere die kulinarischen Verfeinerungen traditioneller Ostergerichte – einschließlich derjenigen, die sich unter Fairness und Tierethik von Fleisch und Alkohol distanzieren -, verlieren ihren Sinn, wenn ihnen nicht der Ostergruß „Er ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“ vorausgeht. Gelage kann man zu jeder Zeit feiern. Aber die reich gedeckten Tische an Ostern sind ein Gottesbekenntnis. Daran erinnern die alten Osterbräuche der Speisesegnung in katholischen und christlich-orthodox geprägten Regionen (vgl. Fuchs 2013). Sie sind ein Beispiel dafür, wie man die „Dinge zum Sprechen bringen“ kann, dass sie von Gott als dem Grund aller guten – zum Leben dienlichen – Gaben künden und zugleich zum Ausdruck bringen, dass Auferstehungsglaube sich nicht in Metaphorik, Symbolismen und Ideen auflöst, sondern real ist.

5. Anregungen

Während der Predigtvorbereitung lohnt es sich, einen der schönsten Filme mit zahlreichen sinnlichen Bibelreferenzen (am besten bei einem Glas guten Weins) anzuschauen: Babettes Fest (Dänemark 1987, Regie: Gabriel Axel). Er erzählt, wie die katholische Starköchin Babette vor Verfolgung in ihrer französischen Heimat Zuflucht bei einer pietistischen Sekte in Norddänemark findet. Als Ausdruck ihrer Dankbarkeit, lädt Babette die in religiösem Rigorismus verkarstete Glaubensgemeinschaft zu einem Festgelage ein. Am übervoll gedeckten Tisch ereignet sich eine Osterwunder, für das Babette ihr gesamtes Hab und Gut dahingibt. Am Ende sind alle Streitereien überwunden, Sünden vergeben und Wunden geheilt. All das ohne Kitsch. In Film & Theologie-Kreisen gilt Babette als eine weibliche Christusfigur (vgl. Giere 2013) und das Festmahl als Osterwunder. Das Tischgebet spricht der Älteste der Gemeinde: „Mög‘ die Speise den Leib mir erhalten und der Leib mir die Seele hochhalten, dass die Seele in Taten und Worten Preis kann singen dem Herrn.“ Das eignet sich doch direkt als Segensgebet für den Gottesdienst am Ostermontag!

Literatur

  • Kumlehn, M., Kunz, R., Schlag, T., 2022, Dinge zum Sprechen bringen: Performanz der Materialität. Festschrift für Thomas Klie, Berlin/Boston https://doi.org/10.1515/9783110762853.
  • Fuchs, G., 2013, „Für uns geopfert und zur Speise gegeben“. Zu Mahl-Aspekten des Ostertriduums, in: Leven, B., Stuflesser, M. (Hg.), Ostern feiern. Zwischen normativem Anspruch und lokaler Praxis, Regensburg, 227–236.
  • Giere, S.D., 2013, Babette’s Feast, in: Reinhartz, A. (Hg.), Bible and Cinema: Fifty Key Films, London/New York, 19–24.

Autoren

  • Dr. Alexander Weidner (Einführung und Exegese)
  • Prof. Dr. Traugott Roser (Praktisch-theologische Resonanzen)

Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/500112

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