Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Juni 2016)

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1. Lage

Die antike Stadt Jerusalem entstand nur wenige hundert Meter östlich der Wasserscheide des Berglandes zwischen Mittelmeer und Jordan. Damit lag sie zwar abseits der beiden wichtigsten Fernhandelswege der südlichen Levante, die von Syrien entweder entlang der Mittelmeerküste nach Ägypten oder durch das ostjordanische Hochland nach Arabien führten (→ Handel; → Karawane), doch bot diese etwas abgeschiedene Lage im Bergland den Vorteil, in Zeiten militärischer Bedrohung weniger exponiert und entsprechend weniger gefährdet gewesen zu sein. Andererseits lag die Stadt nahe einer Kreuzung zweier regionaler Handelswege, die für das westjordanische Bergland durchaus von wirtschaftlicher Bedeutung waren, was ihre regionale Rolle als eine der drei wichtigsten Städte im westjordanischen Bergland erklärt. Der eine verlief auf der Wasserscheide des Berglandes in nordsüdlicher Richtung von → Sichem westlich an Jerusalem vorbei nach → Hebron und der andere in westöstlicher Richtung vom Mittelmeer quer über das Bergland nach → Jericho sowie über den → Jordan ins ostjordanische Hochland.

1.1. Relief

Jerusalem 01

Das Gelände der antiken Stadt (Dalman, 1930) wird im Westen vom Hauptgebirgskamm des Berglandes (um 830 m) und im Osten vom Höhenzug des Ölberges überragt, der mit mehreren Kuppen – dem antiken Mons Scopus (819 m), dem modernen Mount Scopus im Bereich der Hebräischen Universität (831 m), dem Hauptgipfel des Ölberges im Bereich der spätantiken Himmelfahrtskirche (809 m), dem südlich anschließenden Sporn (795 m) und dem Berg des Ärgernisses (741 m) – von Norden nach Süden leicht abfällt.

Das Relief der Stadt ist durch drei teilweise parallele Täler geprägt. Östlich der Stadt, zwischen ihr und dem Ölberg, verläuft in nordsüdlicher Richtung das Kidrontal, das sich südlich der Stadt nach Südosten wendet und durch die Wüste Juda zum Toten Meer (um 420 m unter Meeresspiegel) führt; von Westen und Süden wurde die Stadt vom → Hinnomtal umfasst, das südöstlich der Stadt ins Kidrontal mündet; und zwischen beiden Tälern senkt sich das in der Antike noch tief eingeschnittene, seit der Spätantike aber zunehmend verfüllte Stadttal, das von Flavius → Josephus als „Tyropoiontal“ (Flavius Josephus, Bell [= Bellum Judaicum] V 140; Text gr. und lat. Autoren) bezeichnet wurde und nur wenig nördlich des Hinnomtales ins Kidrontal mündet.

Der höchste Punkt der heutigen Altstadt liegt im Nordwesten, im Christlichen Viertel (785 m), von wo aus der Westhügel zwischen Hinnom- und Tyropoiontal nach Süden über das Armenische Viertel zum heutigen Berg Sion (765 m) nur wenig abfällt. Der östliche Höhenzug zwischen Tyropoion- und Kidrontal sinkt im Muslimischen Viertel vom Nordosten der Stadt (750 m) nach Süden zunächst deutlicher ab, bildet südlich einer heute kaum mehr wahrnehmbaren Senke im Bereich des Felsendomes eine kleine, religionsgeschichtlich aber überaus bedeutsame Kuppe (744 m) und nach Süden einen langsam abfallenden Sporn, auf dem der älteste Siedlungskern lag und der an der Mündung des Tyropoiontales in das Kidrontal (627 m) in einer natürlichen Felskante einen markanten Abschluss findet.

1.2. Quellen

Die Anfänge der Besiedlung Jerusalems sind eng mit den beiden Quellen in der engeren Umgebung der antiken Stadt, der Rogelquelle und dem Gihon, verbunden, die beide im Kidrontal südöstlich der Stadt entspringen.

Dabei kam der Rogelquelle (603 m) knapp 200 m südlich der Mündung des Hinnomtales in das Kidrontal nur eine geringe Bedeutung zu, denn das Tal in der Umgebung der Quelle ist eng, ihre Schüttung war vermutlich schon immer schwach, und spätestens seit der Kreuzfahrerzeit war sie nur noch ein 40 m tiefer und zeitweilig sogar ausgetrockneter Brunnen.

Siedlungsgeschichtlich bedeutender war daher zu allen Zeiten der Gihon (635 m). Er entspringt in einer Felsgrotte knapp 500 m nördlich der Mündung des Hinnomtales ins Kidrontal am Ostabhang des Südosthügels, ist die einzige perennierende Quelle und bildete mit seiner unregelmäßigen, aber niemals aussetzenden Schüttung den Lebensnerv der antiken Stadt.

2. Namen

2.1. „Jerusalem“

Ägyptische → Ächtungstexte aus der späten 12. und frühen 13. Dynastie erwähnen im späten 19. und frühen 18. Jh. v. Chr. erstmals den Ortsnamen 3wš3mm (Sethe, 1926, 53, Nr. e 27-28; 58 Nr. f 18; Posener, 1940, 86, Nr. E 45).

Da <3> in ägyptischen Transkriptionen westsemitischer Namen für /r/ und /l/ verwendet wurde und <w> für den Vokal /u/ stehen kann, kann die Schreibung 3wš3mm als (Jə)rūšalimum vokalisiert, auf Jərūšālēm zurückgeführt und in Analogie zum Ortsnamen Jərû’el „Gründung Els“ (2Chr 20,16) von der Wurzel JRJ „gründen“ abgeleitet und als „Gründung Schalims“ interpretiert werden, was einen ersten Einblick in das Pantheon der neu gegründeten Stadt erlaubt (Stolz, 1970, 181-190; Bieberstein / Bloedhorn, 1994, I 22-24; Gaß, 2005, 12-13; Keel, 2007, I 49-52).

Das Götterpaar Schalim (ugaritisch Šalimu) und Schachar (ugaritisch Šaḥru) ist auch auf Keilschrifttafeln der nordsyrischen Hafenstadt → Ugarit (Koordinaten: N 35° 36' 07'', E 35° 47' 08'') aus dem späten 13. und frühen 12. Jh. v. Chr. bezeugt. Dort gelten die beiden als Zeugungen des Gottes → El mit zwei namenlosen Frauen am Ufer des Meeres (KTU 1.23, 49-54). Neu geboren, werden sie aufgefordert, ihren Ort in der Schöpfungsordnung einzunehmen. Schachar wurde durch den Morgenstern, Schalim durch den Abendstern repräsentiert, und beide waren der Sonnengöttin (ugaritisch Šapšu) zugeordnet. So bildet die mythische Erzählung eine → Ätiologie für den geregelten Ablauf der Zeit (Xella, 1973, 119; Kutter, 2008, 100-105). Einen zeitfernen Nachhall findet diese frühe Namensgebung in der gelegentlichen Bezeichnung Jerusalems als „Schalem“ (Gen 14,18; Ps 76,3). Die gelegentlich vertretene Behauptung, Jerusalem bedeute „Stadt des Friedens“, ist auf diesem Hintergrund unhaltbar.

Abdi Chepa (um 1360-1336 v. Chr.) nannte seine Stadt in den akkadischen Briefen aus dem diplomatischen Archiv vom Tell el-Amarna (Koordinaten: N 27° 38' 42'', E 30° 53' 50'') ú-ru-sa-lim (EA 285-291; Knudtzon, 1907, 856-879; Moran, 1992, 325-334; Weippert, 2010, 329-333; Rainey-Schniedewind, 2015, 1104-1127; → Amarnabriefe). Danach erscheint sie außerbiblisch erst wieder in den Annalen zu → Sanheribs drittem Feldzug (701 v. Chr.) als ur-sa-lim-mu (Weippert, 2010, 329-333).

Ein etwa gleichzeitiges Graffito aus Chirbet Bēt Lajj (Koordinaten: 1430.1080; N 31° 33' 50'', E 34° 55' 42'') bietet mit ירשלם jršlm den ersten hebräischen epigraphischen Beleg (Renz / Röllig, 1995, I 245-246; Dobbs-Allsopp u.a., 2005, 128-130). Während auch noch viele Stempelabdrücke der frühhellenistischen Zeit diese Kurzform bezeugen, findet sich in den hebräischen Schriften der Bibel meist die Schreibung ירושלם jrwšlm. Beiden liegt die Aussprache jərûšalem zugrunde. Doch wurde der Name seit frühhellenistischer Zeit möglicherweise im Hinblick auf die Aufteilung der Stadt in eine Ober- und Unterstadt als Dual interpretiert, gelegentlich als ירושלים jrwšljm geschrieben (Jer 26,18; Est 2,6; 1Chr 3,5; 2Chr 25,1; 2Chr 32,9) und von den Masoreten schließlich durchgehend als יְרוּשָׁלַיִם jərûšālajim bzw. יְרוּשָׁלִַם jərûšālaim vokalisiert.

Die meisten Bücher der → Septuaginta sowie einzelne pagane Autoren der frühhellenistischen Zeit spiegeln mit Ἱερουσαλήμ Hierousalēm noch die ältere hebräische Aussprache wider, doch wurde der Name schon seit frühhellenistischer Zeit meist zu Ἱεροσόλυμα Hierosolyma gräzisiert. Dabei weist der erste Teil des Namens Ἱερο- Hiero- die Stadt als Tempelstadt aus (ἱερός hieros „heilig“). Nach Tacitus (Hist. V 2,3) wurde der zweite Teil des Namens -σόλυμα auf ihre angebliche Gründung durch die von Homer (Ilias VI 184.204; Odysee V 283) gefeierten Solymer, einem sprichwörtlich kriegerischen kleinasiatischen Gebirgsvolk, zurückgeführt (Hengel, 1996, 271-274).

2.2. „Zion“

2Sam 5,7 und 1Chr 11,5 bezeichnen den von → David eingenommenen Ort als מְצֻדַת צִיּוֹן məṣudat ṣijjôn, als „Burg Zion“, wobei „Zion“ etymologisch möglicherweise auf die Wurzel ציי ṢJJ „verdorren / vertrocknen“ zurückgeführt werden kann (Fohrer, 1964, 293; Stolz, 1975, 543; Otto, 1989, 1005-1007). Allerdings wurde der Name „Zion“ schon in der alttestamentlichen Literatur von Davids Burg gelöst und als Synonym für die ganze Stadt verwendet (z.B. Ps 48,13). Nachbiblisch wurde er wieder eingeschränkt und auf den Südwesthügel übertragen. Ausgangspunkt hierfür bildete vermutlich die erstmals von Flavius Josephus (Bell V 137) bezeugte Vorstellung, schon David habe den Westhügel mit einer Stadtmauer umgeben und als „Festung“ (φρούριον) bezeichnet. Jedenfalls wird der Name erstmals von → Eusebius von Caesarea (Klostermann, 1904, 74, Z. 19-21; Eusebs Onomastikon) um 325 n. Chr. nur noch auf den Westhügel und vom Pilger von Bordeaux (Geyer / Cuntz, 1965, 16) im Jahre 333 n. Chr. nur noch auf den Südwesthügel bezogen. Seither wurde dort Davids Palast lokalisiert, und seit fatimidischer Zeit wird ebendort, unter dem Abendmahlssaal, auch sein Grab verehrt.

2.3. „Stadt Davids“

2Sam 5,7.9 und 1Chr 11,5.7 bezeichnen die von → David eingenommene „Burg Zion“ weiter als עִיר דָּוִד ‘îr dāwid. Diese Wendung ist in der hebräischen Bibel 44-mal belegt und wird üblicherweise mit „Stadt Davids“ übersetzt, doch ist diese Übersetzung nicht angemessen (Hutzli, 2011). Erstens reicht das Bedeutungsspektrum von עִיר ‘îr von einer offenen, unbefestigten Siedlung (Num 13,19; Dtn 3,5) über einen Gebäudekomplex innerhalb einer größeren Siedlung (2Sam 12,26-27; 2Kön 10,25) bis zu einer befestigten Stadt. Zweitens wird die Wendung עִיר דָּוִד ‘îr dāwid in der hebräischen Bibel verwendet, um gezielt zwischen Davids Burg und anderen Teilen der späteren Stadt zu unterscheiden (1Kön 3,1; 1Kön 8,1; 1Kön 9,24). Dabei wurde sie in späten Texten der hebräischen Bibel gelegentlich auch auf den Südosthügel (2Chr 32,30; 2Chr 33,14) insgesamt bezogen. Erst nach dem Abschluss der hebräischen Bibel wurde sie auf die gesamte Stadt Jerusalem ausgeweitet (Ant [= Antiquitates] VII 65-67; Text gr. und lat. Autoren) oder auf → Bethlehem (Koordinaten: 1695.1235; N 31° 42' 13'', E 35° 12' 15'') als Davids Heimat übertragen (Lk 2,4).

2.4. Weitere, rein literarische Namen

Darüber hinaus wurde die vordavidische Stadt viermal als → „Jebus“ (יְבוּס jəvûs: Ri 19,10-11; 1Chr 11,4-5) und ihre Bevölkerung gelegentlich als „Jebusiter“ (יְבוּסִי jəvûsî: Jos 15,8.63; Jos 18,16.28; Ri 1,21; Ri 19,11; 2Sam 5,6.8; 2Sam 24,16.18; 1Chr 11,4.6; 1Chr 21,15.18.28; 2Chr 3,1) bezeichnet. Allerdings wird die Stadt in außerbiblischen Quellen nie so genannt. Daher sind die beiden Namen entweder als archaisierende Ableitungen von der Flurbezeichnung „Schulter des Jebusiters“ (כֶּתֶף הַיְבוּסִי kætæf hajəvûsî) zu deuten, mit der der südwestliche Abhang des Südwesthügels der späteren Stadt (Jos 15,8; Jos 18,16) bezeichnet wurde, oder von vornherein als fiktive Ableitungen von der Verbwurzel בוס BÛS „zertreten“ und als theophore Namensbildung „[JHWH] hat zertreten“ zu erklären (Hübner, 2002). Dann reiht sich dieser archaisierende Kunstname in eine Reihe weiterer fiktiver Ethnonyme der alttestamentlichen Literatur ein, die vom historischen Halbwissen ihrer Autoren und ihrer Versuche zeugen, zwischen einer kanaanäischen und einer israelitischen Zeit zu unterscheiden und ihre eigene Kultur in identitätsbildender Absicht von ihren kanaanäischen Wurzeln abzugrenzen.

Ferner stellen → „Ariel“ (אֲרִיאֵל ărî’el: Jes 29,1-2.7) und → „Oholiba“ (אָהֳלִיבָה ’åhålîvāh: Ez 23,4.11.22.36.44) rein poetisch-theologische Kunstnamen dar.

3. Forschungsgeschichte

Jerusalem ist eine der archäologisch am intensivsten untersuchten Städte der Welt. Dabei war die archäologische Erforschung (Silberman, 1982; Bieberstein / Bloedhorn, 1994, I 25-44; Reich, 2011) von Anfang an stark von biblischen Interessen geleitet und ist seit 1967 zunehmend auch von politischen Motiven geprägt. Dies erklärt die hohe Zahl an Grabungen in einem so eng begrenzten Raum, hat sich auf die wissenschaftliche Qualität der Grabungen aber nachteilig ausgewirkt. So wurde zwar viel gegraben, aber nur wenige Grabungen sind sorgfältig dokumentiert und noch weniger wurden wissenschaftlich angemessen publiziert, was zur Folge hat, dass die wissenschaftliche Theoriebildung über den Austausch konträrer Hypothesen mitunter kaum hinauskommt.

3.1. Grabungen in osmanischer Zeit

3.1.1. Edward Robinson 1838 und 1852

Die moderne archäologische Erforschung Jerusalems begann mit Edward Robinson, dem es in zwei Forschungsreisen durch Palästina 1838 und 1852 gelang, zahlreiche biblische Orte zu lokalisieren und archäologische Stätten wie → Tells und → Chirben zu identifizieren. Er entdeckte, dass das im Gihon entspringende Wasser nicht ins Kidrontal, sondern schon in der natürlichen Quellhöhle in einen künstlichen Tunnel fließt, der nach über 500 m im unteren Tyropoiontal in die Birket Silwān, den antiken Siloahteich, mündet, und durchschritt als erster westeuropäischer Forscher den Tunnel in seiner vollen Länge (Robinson, 1841, I 341-342); er identifizierte einen später ihm zu Ehren als „Robinson-Bogen“ bezeichneten herodianischen Bogenansatz an der westlichen Umfassungsmauer 11,85 m nördlich des Südwestecks des Ḥaram eš-Šarīf als Teil einer von der Oberstadt zum Tempelplatz führenden und von Flavius Josephus (Ant XIV 58; Bell II 344; VI 325.377) beschriebenen Brücke (Robinson, 1841, I 424-427); und er stieß nördlich der heutigen Stadtmauer auf eine antike Stadtmauerlinie und setzte diese mit der von Herodes Agrippa I. errichteten und von Flavius Josephus (Bell II 218-219; V 146-159) als „Dritte Mauer“ bezeichneten Stadtmauer gleich (Robinson, 1841, I 465-467).

3.1.2. Félix de Saulcy 1850/51

Die ersten Grabungen fanden aber erst im Winter 1850/51 statt, als Félix de Saulcy etwa 500 m nördlich der Altstadt ein seit der Antike zwar bekanntes, im Laufe der Jahrhunderte aber teilweise verschüttetes Hypogäum freilegte und irrtümlich als Grabmal der Könige von Juda interpretierte (de Saulcy, 1853, II 16-17.134-146). Dieses wird inzwischen aber als das ebenfalls von Flavius Josephus (Bell V 55.147; Ant XX 17-95) beschriebene Grabmal des Königshauses von Adiabene angesehen.

3.1.3. Charles Wilson 1864 und 1867-1870; Charles Warren 1867-1870

Nach den ersten Feldforschungen der beiden Pioniere wurde 1864 in London der Ordnance Survey of Jerusalem gegründet und Captain Charles Wilson mit der ersten systematischen Vermessung und Beschreibung der Stadt betraut. Zwar bezog sich sein Auftrag primär auf die Erstellung eines zuverlässigen Stadtplans als Grundlage zur Verbesserung der Wasserversorgung, doch wurde aufgrund seiner Erfolge wie der Beschreibung eines zweiten, ihm zu Ehren als „Wilson-Bogen“ bezeichneten herodianischen Brückenbogens nördlich der Klagemauer (Wilson, 1865, 15.28.75) im folgenden Jahr 1865 in London der Palestine Exploration Fund gegründet (Moscrop, 2000). 1867 wurde das britische Team durch Lieutenant Charles Warren verstärkt (Williams, 1941, 40-69). Dieser stieß im Herbst desselben Jahres im vom Gihon zum Siloahteich führenden Tunnel 22 m nach der Quelle auf einen senkrechten Schacht, der seither ihm zu Ehren als „Warren-Schacht“ bezeichnet wird. Gemeinsam mit Sergeant Henry Birtles bestieg er den 12,3 m hohen Schacht und entdeckte einen Felsstollen mit antiken Treppenstufen, der als unterirdischer Zugang zur Quelle angelegt worden war (Wilson / Warren, 1871, 238-239.242-256; Warren, 1876, 332-333; Warren / Conder, 1884, 366-371). Dieser Entdeckung kam insofern höchste Bedeutung zu, als Warren aus ihr treffend schloss, dass sich die antike Stadt weiter als die osmanische Altstadt nach Süden erstreckt hat und die zum neu entdeckten Wasserversorgungssystem gehörende Stadtmauer hangunterhalb des oberen Einstiegs zum genannten Stollen, doch hangoberhalb des Gihon verlaufen sein muss.

3.1.4. Conrad Schick 1846-1901; Hermann Guthe 1881

Gemessen an den großen Forschungsleistungen der englischen Pioniere nimmt sich der deutsche Beitrag bescheidener aus. Schon 1846 war Conrad Schick im Auftrag der Missionsgesellschaft von St. Chrischona als Missionar nach Jerusalem gekommen und hatte sich bis zu seinem Tod 1901 mit vielen wertvollen Beobachtungen als Amateurarchäologe einen Namen gemacht (Schick, 1887; 1896; Goren, 2006).

1877 wurde nach britischem Vorbild der → Deutsche Verein zur Erforschung Palästinas gegründet. Nachdem Kinder aus Silwān 1880 im genannten Tunnel kurz vor seiner Mündung in die Birket Silwān eine althebräische Inschrift entdeckt und Schick von ihrer Entdeckung berichtet hatten, wurde Hermann Guthe 1881 vom Deutschen Verein zur Erforschung Palästinas nach Jerusalem entsandt und mit der Untersuchung der Inschrift sowie mit den ersten deutschen Grabungen im Heiligen Land betraut, um die auf dem schmalen Sporn oberhalb des Gihon vermutete Stadtmauer zu finden. Allerdings war seine Suche nach ihr nur von geringem Erfolg. Zwar stieß er an mehreren Stellen auf älteres Mauerwerk, konnte dieses aber nicht überzeugend datieren, und so verlief seine Mauersuche – forschungsgeschichtlich betrachtet – im Sand (Guthe, 1883; Bieberstein, 2006).

3.1.5. Frederick J. Bliss und Archibald C. Dickie 1894-1897

Wissenschaftlich wesentlich erfolgreicher waren die britisch-amerikanischen Grabungen von Frederick J. Bliss und Archibald C. Dickie 1894-1897. Zwar erhielten sie, wie schon Wilson und Warren vor ihnen, von der osmanischen Verwaltung keine Erlaubnis zu offenen Grabungen, doch gelang es ihnen, mittels unterirdischer Schacht- und Stollengrabungen den gesamten Verlauf einer antiken Stadtmauer zu rekonstruieren, die vom Südwesteck der osmanischen Altstadt um den Südwesthügel und den Südosthügel verlief und schließlich zum Südosteck des Ḥaram eš-Šarīf, des antiken Tempelplatzes, führte (Bliss / Dickie, 1898).

3.1.6. Montague B. Parker 1909-1911

Von diesen unterirdischen Grabungen in Schächten und Stollen inspiriert, unternahm Captain Montague B. Parker unmittelbar hangoberhalb des Gihon in drei Kampagnen 1909-1911 umfangreiche Schacht- und Stollengrabungen. Ziel seiner Grabungen war allerdings weder, den Verlauf der antiken Stadtmauer zu rekonstruieren, noch, das zugehörige Wasserversorgungssystem zu ergründen, sondern die Suche nach Salomos Schatz (Silberman, 1982, 180-188; Reich, 2011, 56-69; Reich / Shukron, 2012).

Als er sich unter dem zunehmenden finanziellen Druck seiner Geldgeber verstieg, heimliche Grabungen in der Grotte unter dem Felsendom zu unternehmen, musste er fliehen. Doch hatte er dem damals noch jungen Pater Hugues Vincent OP von der École biblique et archeologique française in Jerusalem erlaubt, seine unterirdischen Grabungen zu verfolgen und zu vermessen. Dieser hinterließ eine Dokumentation (Vincent, 1911), deren Bedeutung lange verkannt wurde und erst durch die aktuellen Grabungen von Ronny Reich und Eli Shukron (siehe unten) gewürdigt wird.

3.1.7. Raymond Weill 1913-1914

1913-1914 fanden die ersten offenen Grabungen statt, die zugleich die ersten jüdischen Grabungen waren. Baron E. de Rothschild war es gelungen, nach und nach ein großes Gelände am östlichen Abhang des Südosthügels zu erwerben. Raymond Weill begann, im Süden des Geländes, wo aufgrund literarischer Zeugnisse die Gräber der Könige von Juda zu vermuten waren, zu graben, und stieß auf zwei imposante Felsstollen sowie eine dritte Felskammer, deren Interpretation als Gräber der Könige von Juda nicht unumstritten ist (Weill, 1920).

3.2. Grabungen in der britischen Mandatszeit (1917-1948)

3.2.1. Raymond Weill 1923-1924; Robert A. Macalister / John G. Duncan 1923-1925; John W. Crowfoot / Gerald M. FitzGerald 1927-1929

1923-1924 weitete Raymond Weill seine schon in osmanischer Zeit begonnen Grabungen nach Süden aus (Weill, 1947); Robert A. Macalister und John G. Duncan gruben 1923-1925 auf dem Rücken des Südosthügels westlich oberhalb des Gihon (Macalister / Duncan, 1926); John W. Crowfoot und Gerald M. FitzGerald schlossen 1927 westlich im Tyropoiontal an, stießen auf ein Gebäude, das sie als Stadttor der westlichen Stadtmauer interpretierten, und weiteten ihre Grabungen 1928-1929 nach Süden aus (Crowfoot / FitzGerald, 1929).

Zwar bezogen sich die beiden letztgenannten britischen Grabungen auf ein Gelände, das sich für die frühe Baugeschichte als besonders wichtig erweisen sollte, doch waren alle drei Grabungen sowohl hinsichtlich ihrer Technik als auch hinsichtlich ihrer Dokumentation noch auf einem so mangelhaften Stand, dass sie aus heutiger Sicht kaum mehr ausgewertet werden können und mehr Zerstörungen von Befunden als zuverlässige Ergebnisse erbrachten.

3.2.2. Cedric N. Johns 1931-1939; Robert W. Hamilton 1931-1942

Die ersten modernen stratigraphisch kontrollierten Grabungen fanden 1931 statt, als Robert W. Hamilton (1932) und Cedric N. Johns (1932) im Auftrag des Department of Antiquities of Palestine erste Sondagen im Ṭarīq el-Wād unternahmen. 1934-1939 unterzog Johns (1950) die Zitadelle einer umfassenden Untersuchung, und 1938-1942 schuf Hamilton (1949) die bis heute grundlegende Bauaufnahme der Aqṣā-Moschee.

3.3. Grabungen in jordanischer Zeit (1948-1967)

3.3.1. Kathleen M. Kenyon 1961-1967

Den entscheidenden Durchbruch zu stratigraphisch kontrollierten Grabungen erzielte aber erst Kathleen M. Kenyon, als sie unter jordanischer Herrschaft 1961-1967 an mehreren Stellen ausgedehnte Grabungen am Südosthügel, am Südwesthügel im Bereich von St. Peter in Gallicantu und im Armenischen Garten sowie nördlich der Altstadt an der „Dritten Mauer“ unternahm (Davis, 2008, 155-212). Dabei gelang ihr am östlichen Abhang des Südosthügels oberhalb des Gihon der Nachweis der ältesten Stadtmauer Jerusalems aus der Mittleren Bronzezeit II sowie der Neuerrichtung der Stadtmauer unter → Hiskia. Ihre Grabungsbefunde wurden von ihr selbst aber nur in knappen Vorberichten und zwei eher populärwissenschaftlichen Monographien (Kenyon, 1967; 1974), in wissenschaftlichen Grabungsberichten aber erst posthum veröffentlicht (Tushingham, 1985a; Franken / Steiner, 1990; Steiner, 2001; Eshel / Prag, 1995; Prag, 2008).

3.4. Grabungen in israelischer Zeit (seit 1967)

Nach der israelischen Eroberung Ostjerusalems führte Kenyon ihre Grabungen mit einer letzten Kampagne zum Abschluss. Seither fanden in der Stadt kaum mehr ausländische Grabungen statt. Dagegen setzte eine enorme israelische Grabungstätigkeit ein, aus der nur die fünf wichtigsten Projekte genannt werden können.

3.4.1. Benjamin Mazar 1968-1978

1968-1978 nahm Benjamin Mazar die von Kenyon begonnenen Grabungen unmittelbar südlich des Ḥaram eš-Šarīf wieder auf (Benjamin Mazar, 1969; 1971; Eilat Mazar, 2003; 2007a; 2011a). Zwar fielen deren Ergebnisse für die biblischen Perioden geringer aus als erwartet und bezogen sich vor allem auf Palastbauten der umajjadischen Zeit, doch stieß er am östlichen Rand des Grabungsgeländes auch auf zunächst unklare eisenzeitliche Befunde, die von seiner Enkelin Eilat Mazar in Nachgrabungen 1986-1987 und 2009 weiter freigelegt wurden und von ihr als Stadtmauer aus salomonischer Zeit interpretiert werden (Eilat Mazar / Benjamin Mazar, 1989; Eilat Mazar, 2011b).

3.4.2. Nahman Avigad 1969-1982

1969-1982 führte Nahman Avigad im Jüdischen Viertel ausgedehnte Grabungen durch, deren Schwerpunkt vor allem auf Befunden biblischer Perioden lag. Dabei stieß er überraschend auf drei eisenzeitliche Stadtmauerstücke, die zeigen, dass die Stadt unter Hiskia stark nach Westen erweitert wurde. Leider hat auch er neben knappen Vorberichten nur eine populärwissenschaftliche Monographie hinterlassen (Avigad, 1983), und die wissenschaftlichen Grabungsberichte wurden erst posthum – und auch dies bislang nur teilweise – veröffentlicht (Geva, 2000a; 2003a; 2006; 2010a; 2014a; Gutfeld, 2012).

3.4.3. Yigal Shiloh 1978-1985

1978-1985 nahm Yigal Shiloh die Grabungen von Kenyon am Ostabhang des Südosthügels wieder auf. Sie brachten zunächst zwar keine entscheidenden Paradigmenwechsel, wohl aber eine Reihe interessanter Befunde, deren kritische Auswertung Korrekturen konventioneller Hypothesen ermöglicht.

Leider war es Shiloh nur vergönnt, knappe Vorberichte zu veröffentlichen (vor allem Shiloh, 1984), und die wissenschaftlichen Grabungsberichte wurden wiederum erst posthum publiziert (Ariel, 1990; De Groot / Ariel, 1992; Ariel / De Groot, 1996; Ariel, 2000a; 2000b; De Groot / Bernick-Greenberg, 2012a). Allerdings steht der Bericht über die wichtigen Areale D2, E2 Ost und G noch aus.

3.4.4. Ronny Reich und Eli Shukron seit 1995

1995 begannen Ronny Reich und Eli Shukron, die Grabungen von Shiloh fortzuführen. Schwerpunkt ihrer Grabungen ist der Bereich des Gihon, wo es ihnen gelang, ein imposantes Vorwerk zur Stadtmauer der Mittleren Bronzezeit II sowie weitere Teile der Wasserinstallationen freizulegen. Bislang sind nur knappe Vorberichte sowie eine populärwissenschaftliche Forschungsgeschichte (Reich, 2011) erschienen.

3.4.5. Eilat Mazar 2005-2007

2005-2007 unternahm Eilat Mazar Nachgrabungen im Bereich der Grabungen von Macalister und Duncan von 1923-1925 auf dem Rücken des Südosthügels westlich oberhalb des Gihon und präsentierte ihre Befunde als Davids Palast (Eilat Mazar, 2007b; 2009a), wofür sie stark kritisiert wurde (siehe unten).

3.5. Zwischenbilanz: Das konventionelle Modell der Entwicklung der vorbiblischen und biblischen Stadt

Vier der sechs großen Grabungen der letzten 60 Jahre wurden erst nach dem Tod der Ausgräber publiziert, was in vielen Aspekten nur noch eingeschränkt möglich war, und die abschließenden Publikationen aller noch lebenden Ausgräber stehen noch aus. Mit diesen und weiteren Grabungen in einem sehr begrenzten Gebiet von nur 750 x 200 m (Grabungen von Avigad nicht eingerechnet) darf Jerusalem allerdings weltweit als eine der intensivst ergrabenen Städte gelten. Aufgrund dieser Grabungen etablierte sich in den 1970er Jahren ein Gesamtbild der Entwicklung der vorbiblischen und biblischen Stadt in sieben Etappen (Broshi, 1975, 12; Shiloh, 1984, 72):

Jerusalem 03

(1) Die erste Stadt wurde um 1800 v. Chr. auf dem Südosthügel gegründet, mit einem Stadtmauerring umgeben, um 998 v. Chr. von → David eingenommen und zur Hauptstadt seines Reiches erhoben.

(2) → Salomo errichtete um 962-942 v. Chr. auf der Kuppe nördlich der Stadt seinen Palast und Tempel und band diese mit einem Stadtmauerring an die Stadt Davids (1) an.

(3) Unter → Hiskia wurde – zur Verteidigung gegen die Assyrer sowie zur Aufnahme von Flüchtlingen – die Stadtmauer um 726-701 v. Chr. im Osten erneuert und stark nach Westen erweitert.

(4) Nach der Zerstörung der Stadt durch → Nebukadnezar II. 587 v. Chr. (→ Zerstörung Jerusalems) und der Erlaubnis zum Wiederaufbau des Tempels durch → Kyros II. 539 v. Chr. wurde der Stadtmauerring von Nehemia 445 (oder 386) v. Chr. fast im Umfang der Stadt Salomos (2) wiederhergestellt.

(5) Unter den → Hasmonäern wurde die Stadt mittels der von Flavius Josephus beschriebenen „Ersten Mauer“ (Bell V 142-145.158) wieder auf den Umfang der hiskianischen Stadt (3) erweitert.

(6) Ebenfalls noch unter den Hasmonäern wurde sie im Norden mittels der „Zweiten Mauer“ um die „Vorstadt“ (προάστειον proásteion) erweitert (Bell V 146.158) und von → Herodes dem Großen im 13. Jahr seiner Herrschaft mit dem Bau seines Palastes im Westen (Bell I 402; V 161-183; Ant XV 318), vor allem aber durch die im 15. (Bell I 401) oder 18. Jahr (Ant XV 380) seiner Herrschaft begonnene Neuanlage des Tempelgeländes im Osten (Bell V 184-227; Ant XV 380-402.410-425) ausgestaltet.

(7) Unter Herodes Agrippa II. wurde die Stadt 41-44 n. Chr durch die „Dritte Mauer“ um die „Neustadt“ (καινόπολις kainópolis) nach Norden erweitert (Bell V 147-160) und von Titus 70 n. Chr. zerstört (Bell V 248 – VII 3).

Dieses konventionelle Modell der Entwicklung der vorbiblischen und biblischen Stadt in sieben Etappen wurde allgemein rezipiert und liegt allen gängigen monographischen Geschichtsdarstellungen (Bieberstein / Bloedhorn, 1994; Keel, 2007, 48; 2011, 24; Galor / Bloedhorn, 2013, 14), Lexika (TRE, 1987; NBL, 1992; RGG, 2001) und Reiseführern (Küchler, 2014, 43) zugrunde, ist inzwischen aber sowohl aufgrund der kritischen Auswertung älterer Grabungen (Knauf, 2000; Ussishkin, 2006b; 2012; Finkelstein / Koch / Lipschits, 2011; Finkelstein, 2012, 836-845) als auch aufgrund neuerer Grabungen (Ben-Ami / Tchekhanovets, 2013, 32*-33*; Ben-Ami, 2014, 14-17) nicht mehr vertretbar, sondern bedarf in den frühen Etappen (1 bis 4) einer grundlegenden Revision, die im Folgenden vollzogen werden soll.

4. Erste Siedlungsspuren

Die ersten Siedlungsspuren im Bereich der späteren Stadt stammen vom Abhang westlich oberhalb des Gihon und zeigen, dass dieser schon im Epipaläolithikum (20000-10500 v. Chr., genauer im Kebarium 16500-12500 v. Chr.), im Neolithikum (10500-5000 v. Chr., genauer im präkeramischen Neolithikum B 8800-6900 v. Chr.) und im Chalkolithikum (5000-3700 v. Chr.) zunächst von Jägern und Sammlern und im Chalkolithikum vermutlich auch von Hirten gelegentlich aufgesucht wurde (Bieberstein / Bloedhorn, 1994, I 51-52; Maeir, 2011, 171-172; Reich, 2011, 13.279-281; De Groot, 2012, 143-144; Greenberg, 2012, 303-304).

5. Jerusalem in den Bronzezeiten

5.1. Frühe Bronzezeit (3700-2500 v. Chr.): Eine kleine Siedlung

5.1.1. Kultureller Horizont

Während der Frühen Bronzezeit entwickelte sich in der südlichen Levante die erste urbane Kultur des Landes. In der Frühen Bronzezeit I (3700-3050 v. Chr.) waren die meisten Siedlungen noch kleine unbefestigte Dörfer, von denen einzelne gegen Ende der Phase erstmals mit Umfassungsmauern umgeben wurden. In der Frühen Bronzezeit II (3050-2900 v. Chr.) erblühten vor allem im Negev, in der Schefela und im Jordantal, aber auch in Galiläa und vereinzelt sogar im Bergland etwa 30 befestigte Städte, von denen ein Drittel sogar 10-25 ha umfasste. Diese erste urbane Kultur erreichte in der Frühen Bronzezeit III (2900-2500 v. Chr.) ihren Höhepunkt, brach dann aber aus mehreren ökonomischen und ökologischen Gründen in sich zusammen, und gegen Ende der Periode wurden alle befestigten Siedlungen (außer Chirbet Iskandar östlich des Toten Meeres) wieder verlassen und verfielen.

5.1.2. Archäologische Befunde

Während andernorts die erste urbane Kultur erblühte, sind die archäologischen Zeugnisse von dem schmalen Sporn oberhalb des Gihon äußerst bescheiden (Bieberstein / Bloedhorn, 1994, I 52-53; Steiner, 2001, 7-9; Cahill, 2003, 19-20; Prag, 2007, 54-55; Maeir, 2011, 172-174; De Groot, 2012, 144).

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Parker war 1909-1911 in seinen unterirdischen Schacht- und Stollengrabungen am Abhang westlich oberhalb der Quelle unter einem natürlichen Felsüberhang an der oberen Kante des Hanges an zwei Stellen auf Bestattungen gestoßen, deren Keramik eindeutig der Frühen Bronzezeit I angehört (Vincent, 1911, 9.24-29 mit Taf. VI-XII; 1912, 150-156; Macalister / Duncan, 1926, 21-23). Weiter war Kenyon 1962 auf der halben Höhe des Abhanges in einer Höhle (Cave V) auf Scherben der Frühen Bronzezeit I oder beginnenden Frühen Bronzezeit II getroffen (Steiner, 2001, 7). Ferner fand Shiloh 1978/79 130 m südwestlich des Gihon in Areal E in Verfüllungen natürlicher Felsspalten Keramik der Frühen Bronzezeit I und II (De Groot / Bernick-Greenberg, 2012b, 137-138; Greenberg, 2012). Schließlich stießen Reich und Shukron in ihren 1995 begonnenen Grabungen in zwei untereinander verbundenen Höhlen 30 m westlich oberhalb der Quelle ebenfalls auf Keramik der Frühen Bronzezeit I (Reich / Shukron, 2010a, 147; 2011b, 22-23). Zwar werteten sie diese als Siedlungsreste, doch können sie ebenso wie vergleichbare Funde aus den älteren Grabungen von Crowfoot und FitzGerald, Duncan und Macalister, Eilat Mazar oder Kenyon auch von nichtsesshaften Hirten stammen, die die Quelle nur sporadisch besuchten.

Die frühesten eindeutigen Siedlungsreste stammen erst aus der Frühen Bronzezeit II. Aus dieser Epoche legte Shiloh 1978-1985 in Areal E auf einer Hangterrasse südwestlich oberhalb des Gihon Mauern von mindestens zwei Breitraumhäusern und mindestens zwei weiteren angrenzenden Räumen frei (De Groot / Bernick-Greenberg, 2012b, 123-130; Greenberg, 2012). An den Wänden der Breitraumhäuser liefen teilweise Bänke entlang, die charakteristisch für sogenannte Arad-Häuser sind (→ Arad; Koordinaten: 1620.0767; N 31° 16' 50", E 35° 07' 34").

5.1.3. Bilanz

Mit diesen Befunden ist der Nachweis der frühesten, noch unbefestigten Siedlung am Abhang oberhalb des Gihon erbracht, doch entzieht sich ihr antiker Name noch immer unserer Kenntnis und wird ihr auch für immer entzogen bleiben, denn schriftliche Quellen über die südliche Levante setzen – auch wenn in Ägypten und Mesopotamien zu jener Zeit schon erste Schriftsysteme entwickelt wurden – erst mehr als ein Jahrtausend später ein.

Ohnehin hat der anonyme Weiler nur wenige Jahrzehnte bestanden. Zwar fanden sich noch einzelne Scherben vom Anfang der Frühen Bronzezeit III, doch wurde die Siedlung gemeinsam mit fast alle anderen Siedlungen des Berglandes bald wieder aufgegeben.

5.2. Frühbronze-Mittelbronze-Zwischenzeit (um 2500-1930 v. Chr.): Eine Siedlungslücke

5.2.1. Kultureller Horizont

Während der Frühbronze-Mittelbronze-Zwischenzeit war das Siedlungsbild von Kleinbauern in kleinen Weilern oder einfachen Gehöften sowie von Kleinviehnomaden mit Schafen und Ziegen geprägt; was diese an materiellen Relikten hinterließen, reicht über vielfach nur saisonale Gehöfte mit ummauerten Viehhürden oder isolierte Gräberfelder der nomadischen Bevölkerung meist nicht hinaus.

5.2.2. Archäologische Befunde

Diesem Gesamtbild entsprechend fallen auf dem schmalen Sporn westlich des Gihon Siedlungsbefunde vollkommen aus (Bieberstein / Bloedhorn, 1994, I 53-54; Steiner, 2001, III 9; Prag, 2007, 55-56; Maeir, 2011, 174-175).

Allerdings war Warren zwischen 1867 und 1871 östlich des Ölberges auf eine Höhle mit Keramik der gesuchten Zeit gestoßen (Wilson / Warren, 1871, 306; Warren, 1884, Taf. 45,5; Prag, 1995b, 237-241), 1941 wurde in Chablat ‘Amūd am südöstlichen Abhang des Ölberges an der Straße nach Jericho eine Grabanlage derselben Zeit entdeckt (Sa‘ad, 1964), und 1965 legte Kenyon in derselben Umgebung elf Schachtgrabanlagen frei (Kenyon, 1966, 74-75; Prag, 1995b, 221-237).

Aber erst im Sommer 2008 wurde etwa 700 m östlich des Gihon und knapp 400 m südwestlich des letztgenannten Gräberfeldes in Rās el-‘Amūd (Koordinaten: 1732.1309; N 31° 46' 15'', E 35° 14' 38'') völlig überraschend eine größere Siedlung entdeckt, die sich über mindestens 1,0-1,5 ha erstreckte, schätzungsweise 200-300 Menschen beherbergte und mehrere rechteckige Häuser umfasste, die über einem Sockel aus Bruchstein mit luftgetrockneten Lehmziegeln errichtet waren (Be’eri / Zilberbod, 2011).

5.2.3. Bilanz

Demnach blieb der schmale Sporn westlich des Gihon zwar unbesiedelt, östlich des Gihon aber entstand am südöstlichen Ausläufer des Ölberges zeitweilig eine Siedlung, der die schon länger bekannten Gräberfelder zugeordnet werden können.

5.3. Mittlere Bronzezeit II (um 1930-1530 v. Chr.): Die erste befestigte Stadt

5.3.1. Kultureller Horizont

Als sich Ägypten nach der Ersten Zwischenzeit langsam wieder erholte und im Mittleren Reich (11.-12. Dynastie, um 2020-1793 v. Chr.) eine zweite Blüte erlebte, wurden mit einer zeitlichen Verzögerung von fast 70 Jahren in der Mittleren Bronzezeit II auch in der südlichen Levante meist auf den Ruinenhügeln verlassener frühbronzezeitlicher Städte wieder Orte gegründet und mit Stadtmauerringen umgeben – der Anfang der zweiten urbanen Kultur.

Während ihrer ersten Welle lagen die neu gegründeten Städte noch ausnahmslos in der Küstenebene zwischen → Aschdod und → Akko, auffallend konzentriert zwischen → Afek und dem → Karmel, und rückten auch in ihrer zweiten Phase nur mit wenigen Neugründungen nach Osten an den Fuß des Berglandes vor. Erst in ihrer dritten Welle sprang sie auch ins Bergland über, wo zuerst in Jerusalem und wenige Jahre später auch in Sichem die ersten beiden Städte der zweiten urbanen Kultur im Bergland gegründet wurden (Cohen, 2002; Burke, 2008).

Dann aber kehrte sich das Verhältnis zwischen Ägypten und Kanaan um. Während die politische Einheit Ägyptens in der Zweiten Zwischenzeit (13.-17. Dynastie, 1793-1536 v. Chr.) in einander konkurrierende regionale Dynastien zerbrach, erreichte die urbane Kultur Kanaans ihre höchste Blüte und strahlte nun so stark nach Unterägypten aus, dass das östliche Nildelta zunehmend kanaanäisch geprägt und das Niltal schließlich von den kanaanäischen → „Hyksos“ (15. Dynastie, um 1648-1536 v. Chr.) politisch dominiert wurde, die im östlichen Nildelta in → Avaris(arab. Tell eḍ-Ḍab‘a) ihre Hauptstadt errichteten.

5.3.2. Schriftliche Zeugnisse

Die wichtigsten schriftlichen Zeugnisse für die urbane Blüte Kanaans stammen aus Ägypten, doch nicht in Form von Kriegsberichten, denn der militärische Arm Ägyptens war seit dem Niedergang der 12. Dynastie (1976-1794 v. Chr.) zu kurz geworden, um noch Feldzüge in die erstarkende Levante unternehmen zu können, sondern aus zwei Gruppen sogenannter → „Ächtungstexte“.

Die ältere Gruppe (Sethe, 1926) umfasst 322 Fragmente von Schalen und Schüsseln aus der späten 12. Dynastie (1976-1794/93 v. Chr.), die 1925 im Antikenhandel in Luxor erworben wurden und sich heute im Ägyptischen Museum in Berlin befinden. Die jüngere Serie (Posener, 1940) besteht aus zwölf größeren sowie etwa 100 kleineren Figurinen aus der frühen 13. Dynastie (1794/93-1685 v. Chr.), die wahrscheinlich in der Nekropole von Sakkara geborgen, ebenfalls im Antiquitätenhandel erworben wurden und im Musée du Cinquantennaire in Brüssel aufbewahrt werden.

Beide sind mit litaneiartigen Fluchreihen über die neu gegründeten Städte der südlichen Levante beschriftet, die sich der zusammenbrechenden ägyptischen Hegemonie zunehmend entzogen. Diese bieten ein wertvolles Onomastikon (Helck, 1971, 44-67; Weippert, 2010, 33-50), in dem neben Sichem mit 3wš3mm erstmals auch Jerusalem erwähnt wird (anders Na’aman, 1992, 278-279, der die Gleichsetzung von 3wš3mm mit Jerusalem bestritt).

5.3.3. Stadtmauer

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Während die ersten Erwähnungen Jerusalems in diesen Texten schon seit 1926 bekannt waren, entzogen sich entsprechende archäologische Befunde in Jerusalem noch lange der Entdeckung (Wightman, 1993, 13-20; Bieberstein / Bloedhorn, 1994, I 54-56; Steiner, 2001, 20-23; Cahill, 2003, 21-26; Prag, 2007, 56-59; Maeir, 2011, 175-179; De Groot, 2012, 144-149).

5.3.3.1. Ostmauer. Zwar war Parker schon 1909-1911 in seinen unterirdischen Schacht- und Stollengrabungen oberhalb des Gihon auf eine Stadtmauer der Mittleren Bronzezeit II gestoßen (Vincent, 1911, 29), hatte sie aber noch nicht als solche erkannt (Reich, 1987, 163-164; Reich / Shukron, 2012).

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Erst als Kenyon 1961 einen 10 m breiten Graben von der oberen Hangkante aus hangabwärts auf den Gihon zuführte, 48 m östlich der Hangkante und 25 m westlich der Quelle auf einer Felsterrasse auf eine 2 m starke Mauer stieß und diese mittels Keramik aus ihrem hangseitigen Fundamentgraben um 1800 v. Chr. datieren konnte, galt der Verlauf der östlichen Stadtbefestigung als gesichert. Sie verläuft hangparallel in nordsüdlicher Richtung, springt zunächst nach Osten vor und biegt sodann nach Süden um. Sie konnte hangparallel auf einer Strecke von 13 m freigelegt werden, ist aus großen, grob behauenen Quadern mit kleinen Füllsteinen errichtet und noch bis zu 1 m hoch erhalten (Kenyon, 1974, 81-84.89-91: „Wall NB“; Steiner, 2001, 10-12: „Wall 3“).

Etwa 100 m weiter südlich wies Shiloh 1981-1984 in Areal E auf einer Felsterrasse auf über 30 m ein weiteres Teilstück derselben Stadtmauerlinie nach. Dieses war unmittelbar über der oben genannten, frühbronzezeitlichen Siedlung ebenfalls aus großen und grob behauenen Quadern mit kleinen Füllsteinen errichtet, ursprünglich 2,0-2,5 m breit, wurde stadtseitig stellenweise bis zu 4,3 m verstärkt und steht punktuell noch bis zu 1,90 m hoch an (De Groot / Bernick-Greenberg, 2012b, 106-123; Eisenberg, 2012).

5.3.3.2. Südmauer. Zwar ist der weitere Verlauf der Stadtmauer nach Süden noch ungesichert, doch kann angenommen werden, dass die Mauer zunächst auf etwa konstanter Höhe weiter nach Süden verlief, um den Sporn des Südosthügels zu umrunden.

5.3.3.3. Nordmauer. Während die Ostmauer mit zwei Teilstücken zuverlässig gesichert ist, ist die Nordbegrenzung der Stadt noch unklar. Kenyon war 1962-1963 auf der Höhe des Bergrückens in Areal H in einem nur 2,75 m schmalen, ostwestgerichteten Suchgraben auf einen massiven, ostwestgerichteten Mauerzug von vergleichbarem Mauerwerk gestoßen, der über 20 m verfolgt werden konnte und nach Westen in einem Felsfundament eine Fortsetzung findet. Aber ihr Suchgraben war zu schmal, um die Breite der Mauer ermitteln und ihr Fundament erreichen zu können, so dass sie nicht sicher datiert werden kann (Steiner, 2001, 12-14). Nördlich dieses Mauerzuges verläuft parallel zu diesem im Fels ein natürlicher Graben. Nördlich desselben wurde keine Keramik der Mittleren Bronzezeit mehr gefunden. Daher könnte der Mauerzug mit dem vorgelagerten Graben den Nordabschluss der Stadt gebildet haben.

5.3.3.4. Westmauer. Noch umstrittener ist die westliche Begrenzung der Stadt. Crowfoot und FitzGerald hatten 1927 am Westabhang des Hügels im Tyropoiontal unmittelbar auf dem Fels auf einer Strecke von 29 m in nordsüdlicher Richtung einen mächtigen Mauerzug freigelegt, der noch bis zu 7,0 m hoch erhalten war, und in ihm einen 3,5 m breiten und 8,4 m tiefen Durchgang entdeckt (Crowfoot / FitzGerald, 1929). Ein Münzschatz aus späthasmonäischer Zeit, der 5,3 m unter der erhaltenen Maueroberkante geborgen wurde, beweist, dass der Bau in späthasmonäischer Zeit mindestens 4 m hoch anstand. Daher interpretierten ihn die Ausgräber als Stadttor in Nehemias Stadtmauerring, und Alt schlug sogar vor, dieses Stadttor in Nehemias Stadtmauerring mit dem von Nehemia schon vorgefundenen „Taltor“ (Neh 2,13.15; Neh 3,13; 2Chr 26,9) gleichzusetzen (Alt, 1928), womit es möglicherweise bereits dem mittelbronzezeitlichen Stadtmauerring zuzurechnen wäre (Bieberstein / Bloedhorn, 1994, III 34-36). Dagegen verwarfen Ussishkin und Ben-Ami eine Interpretation der Befunde als Stadttor und interpretierten sie als Fundament eines größeren Gebäudes, das frühestens im 1. Jh. v. Chr. errichtet wurde. Aber auch sie gehen davon aus, dass die mittelbronzezeitliche Stadt das Tyropoiontal nicht nach Westen überschritt (Ussishkin, 2006, 154-159; 2012, 108-115; Ben-Ami, 2014, 15).

5.3.4. Wasserversorgung

Dieses Gesamtbild einer gut befestigten mittelbronzezeitlichen Stadt im Umfang von 4-5 ha hat durch die seit 1995 laufenden Grabungen von Reich und Shukron am Gihon eine bedeutende Ergänzung erfahren, denn sie stießen auf ein gewaltiges Wasserversorgungssystem, bei dem sich innerhalb der Mittleren Bronzezeit II mindestens zwei und in der Eisenzeit II B zwei weitere Bauphasen unterscheiden lassen (Reich / Shukron, 1999; 2000b; 2004, 212-213; 2009; 2010a; 2010b; 2011b; 2012, 37*-38*; Reich, 2011, 150-151.165-169.249-261.284-285).

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5.3.4.1. Erste Bauphase

Korridor zum Quellturm: Während der ersten Bauphase wurde die Quelle von einem Turm von etwa 16 x 16 m umgeben. Sein kyklopisches Mauerwerk war 5,5-7,0 m stark und steht (heute unterirdisch) noch bis zu 5 m hoch an. Von ihm aus wurden in einem Abstand von 2,3 m zwei parallele kyklopische Mauern von 3,0-3,5 m Breite nach Westen hangaufwärts geführt. Die nördliche der beiden Mauern ist vor dem Eingang zu der von Parker entdeckten südlichen Höhle noch 8 m hoch erhalten. Beide Mauern liefen einerseits in die Höhle hinein, um deren Felsdach zu stützen, andererseits als Korridor über das Felsdach der Höhle hinweg weiter hangaufwärts und boten im Belagerungsfall einen geschützten Zugang von der Stadt zur Quelle, der vom Quellturm aus inzwischen über 45 m hangaufwärts verfolgt werden kann.

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Dort stößt die nördliche der beiden Mauern auf die von Kenyon entdeckte hangparallele Mauer, ist mit dieser organisch verfugt und wurde demnach gemeinsam mit ihr errichtet. Diese wurde seit ihrer Entdeckung als Stadtmauer der Mittleren Bronzezeit interpretiert, doch ist diese These aus vier Gründen kaum mehr haltbar. Erstens ist die nördliche Mauer des Korridors 3,5 m stark, Kenyons hangparallele Mauer aber nur 2,0 m. Zweitens ist sie aus deutlich kleineren Steinen errichtet. Drittens läuft der Korridor über die vermeintliche Stadtmauerlinie hinweg weiter nach Westen hangaufwärts. Und viertens findet die hangparallele Mauer südlich des Korridors keine Fortsetzung. Demnach kann es sich bei ihr nur um ein Vorwerk handeln, und die eigentliche Stadtmauer muss noch etwas weiter hangoberhalb, doch unter dem oberen Einstieg zu Warrens Stollen verlaufen sein.

Überlauf (Kanal II): Mit diesem geschützten Zugang zur Quelle war der gewaltige Bau aber noch nicht vollendet, denn ohne Ausfluss hätte sich die Quellstube unter dem Quellturm innerhalb weniger Minuten mit Wasser gefüllt. Daher wurde schon mit der Errichtung des Quellturmes ein unterirdischer Überlauf (Kanal II) angelegt. Dieser wurde bereits 1881 von Schick (1892a) entdeckt, seinerzeit aber noch nicht zuverlässig datiert. Er war in den Felsen eingelassen, mit monolithischen Blöcken abgedeckt, führte hangparallel nach Süden und bog nach 190 m nach Osten um. Wahrscheinlich mündete er in einen Teich, der im Kidrontal vermutet werden kann, aber noch nicht ergraben wurde und die mittelbronzezeitliche Stadt sowie deren nachfolgende, zeitweilig unbefestigte Siedlung mit Wasser versorgt haben könnte (Ariel / Lender, 2000, 13-18; Reich / Shukron, 2002; Reich, 2011, 158-163.305-306.314-315).

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5.3.4.2. Zweite Bauphase

Warrens Stollen: In einer zweiten Bauphase wurde zumindest der westliche Teils des Korridors zwischen den beiden Mauern – vielleicht weil er unter fortifikatorischen Gesichtspunkten noch nicht als optimal erachtet wurde – noch in der Mittleren Bronzezeit II aufgegeben und jener unterirdische bogenförmige Stollen angelegt, den Warren 1876 entdeckt hat. Dieser führte, von der Stadt aus begangen, zunächst nach Nordosten und fiel in seinem ersten Abschnitt auf 15,5 m mit einem Gefälle von 36 Grad relativ steil ab. Danach wurde er in einem zweiten Abschnitt mit einem nur noch geringen Gefälle noch einmal 10 m weiter nach Nordosten und nach einer fast rechtwinkligen Biegung 18 m nach Südosten geführt, wo er (heute) in einer Höhle auf einen senkrechten und 12,5 m tiefen Schacht trifft. Als Warren diesen Schacht 1867 von unten entdeckte und erklomm, interpretierte er ihn irrtümlich als künstlich angelegten Brunnen zum Quellhorizont des Gihon (siehe oben, Abschnitt 3.1.3), doch konnte Gill in einer geologischen Untersuchung zeigen, dass der Schacht schon vor über 40000 Jahren als natürliche Karstspalte entstanden war (Gill, 1991; 1996, 13-15). Zudem wagten Reich und Shukron die These, dass der bogenförmige Abstieg ursprünglich nicht zu diesem Schacht, sondern über ihn hinweg in die südlich benachbarte, schon 1909-1911 von Parker entdeckte Höhle und von dieser aus möglicherweise zunächst durch den alten Korridor nach Osten zur Quelle geführt hat.

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Tunnel III, eingetiefte Plattform und rundes Becken: Vielleicht schon in dieser zweiten, möglicherweise aber auch erst in einer dritten Bauphase wurde südlich des Korridors eine annähernd rechteckige, beckenförmig eingetiefte Plattform von 16 m westöstlicher und 10 m nordsüdlicher Breite im Westen zu 14 m und im Osten bis zu 9 m tief aus dem Fels geschlagen. Mauerbefunde östlich dieser eingetieften Plattform weisen darauf hin, dass sie nicht nur im Norden, sondern auch im Osten und vermutlich auch im Süden von einer kyklopischen Mauer umfasst war. Innerhalb dieser eingetieften Plattform fand sich, abermals vertieft, ein annähernd rundes Becken mit einem Durchmesser von 3-4 m. Dieses wurde in den unterirdischen Grabungen von Parker 1909-1911 entdeckt, von Vincent irrtümlich als „Round Chamber“ bezeichnet und über einen kurzen und auffallend engen Tunnel (Tunnel III) mit Wasser aus dem genannten älteren Kanal (Kanal II) versorgt. Vermutlich sollte dieses runde Becken dazu dienen, das Wasser der unregelmäßig schüttenden Quelle stadtnah aufzufangen, um es auch im Belagerungsfall im Schutz der umgebenden Mauern schöpfen und nutzen zu können.

Allerdings ist noch ungeklärt, wie die Verbindung zwischen dem von Warren entdeckten Stollen und der eingetieften Plattform zu rekonstruieren ist. Denn der östliche Abschnitt des Korridors zwischen Warrens Stollen und der Quelle wurde noch in der Mittleren Bronzezeit II wieder verfüllt. Demnach muss zwischen Warrens Stollen und der eingetieften Plattform eine neue Verbindung angelegt worden sein, die derzeit noch nicht rekonstruiert werden kann.

5.3.5. Datierung der Stadtgründung

Während die Grundzüge der Stadt langsam erkennbar werden, verbindet sich mit ihrer genauen Datierung noch ein Problem. Die ersten Erwähnungen der Stadt als 3wš3mm finden sich in der ersten Gruppe der Ächtungstexte aus der späten 12. Dynastie, was in der südlichen Levante der dritten Phase der Mittleren Bronzezeit II A im späten 19. Jh. v. Chr. entspricht. Dagegen deuten die archäologischen Befunde zur Stadtmauer erst auf die vierte und letzte Phase der Mittleren Bronzezeit II A im frühen 18. Jh. v. Chr., was in Ägypten dem Übergang zur frühen 13. Dynastie korrespondiert (zur Chronologie Cohen, 2002; anders Bietak, 2002). Demnach wurde die Stadt zwar um 1800 v. Chr. gegründet (Kenyon, 1974, 78.83; Shiloh, 1984, 26; Steiner, 2001, 11-12.22.112; Eisenberg, 2012, 272), doch können die ersten Erwähnungen auch etwas früher und die archäologischen Befunde zur Stadtmauer etwas später anzusetzen sein und sich die ersten Erwähnungen (wie im Fall von Sichem) auf eine noch unbefestigte Siedlung beziehen (Cohen, 2002, 84.123).

5.3.6. Bilanz

Zwar lässt sich der Umfang der mittelbronzezeitlichen Stadt bislang nur grob umreißen, doch dürfte ihre Fläche 4-5 ha betragen haben (Steiner, 2001, 21-22; De Groot, 2012, 148), was im Vergleich zu großen mittelbronzezeitlichen Städten wie → Hazor (63 ha) oder → Aschkelon (60 ha) zwar als klein erscheinen mag, anderen zeitgleichen Städten im westjordanischen Bergland wie → Sichem (4,3 ha), → Silo (1,7 ha), → Bethel (2 ha), Beth Zur (1,5 ha) oder → Hebron (4,9 ha) aber durchaus entsprach.

Während ältere Schätzungen noch von einer durchschnittlichen Bevölkerungsdichte antiker Siedlungen von über 500 Einwohnern / ha ausgingen, rechnen neuere Schätzungen mit etwa 200 Einwohnern / ha, womit die Bevölkerung der Stadt nicht mehr als 1000 Einwohner (Steiner, 2001, 22), nach einer minimalistischen Schätzung vielleicht sogar nur 500-700 Einwohner (Geva, 2014b, 137) betragen haben dürfte.

Trotz dieses gewaltigen Ausbaus der Stadt und ihrer aufwändigen Wasserversorgung scheint ihre Blütezeit nur kurz gewesen zu sein. Nach Steiner (2001, 22) und Prag (2007, 58-59) wurde sie, da ihrer Ansicht nach Funde aus der Zeit nach 1700 v. Chr. weitgehend fehlen, schon nach rund einem Jahrhundert aus bislang unbekannten Gründen wieder aufgegeben und verlassen. Dagegen bestehen Maeir (2011, 177-178) und Eisenberg (2012, 272-273) darauf, dass auch spätere Keramik gefunden wurde und die Besiedlung zwar deutlich zurückging, aber nicht ganz abbrach.

5.4. Späte Bronzezeit (um 1530-1130 v. Chr.): Abdi Chepas Herrschaftssitz

5.4.1. Kultureller Horizont

Nach über einem Jahrhundert der kanaanäischen Hegemonie über Unterägypten nahmen die Pharaonen Seqenenre (um 1560-1545 v. Chr.) und Kamose (1545-1540 v. Chr.) aus der 17. Dynastie von Theben (um 1625-1540 v. Chr.) den Kampf gegen die „Hyksos“ im Nildelta auf. Ahmose (1540-1525 v. Chr.), der Begründer des → Neuen Reiches (18.-20. Dynastie, 1540-1070 v. Chr.), brach deren Vorherrschaft und stieß in die Levante vor, was die Zerstörung zahlreicher mittelbronzezeitlicher Städte erklärt, und → Thutmosis III. (1479-1426 v. Chr.) sicherte mit 16 Feldzügen die ägyptische Vorherrschaft über die Levante (1457 v. Chr. Schlacht von → Megiddo).

Die südliche Levante war nun eine Provinz des ägyptischen Reiches und wurde offiziell als „Kanaan“ bezeichnet. Die wichtigsten Verwaltungszentren waren → Gaza, → Jaffa und → Bet-Schean, wo ägyptische Gouverneure über ägyptische Truppen verfügten. Darüber hinaus entstanden auf strategisch wichtigen Ruinenhügeln ehemaliger mittelbronzezeitlicher Städte wie → Lachisch, → Geser, → Sichem oder → Megiddo regionale Herrschaftssitze für Vasallenfürsten, denen zur Sicherung der öffentlichen Ordnung fallweise kleine Kontingente ägyptischer Truppen zugeordnet wurden. Allerdings konzentrieren sich die verbliebenen Orte sehr deutlich auf zwei Regionen, auf den Südwesten (um Gaza, Gat und Geser) und auf den Norden südlich des Karmel (um Ginti-Kirmil) und nördlich des Karmel (um Megiddo, Beth-Schean und Rechov), während das Bergland nur noch sehr dünn besiedelt war. Dabei verfügten die Orte (außer Hazor und vielleicht auch Dan im äußersten Norden) über keine Stadtmauerringe mehr, sondern waren nur noch kleine Siedlungen, deren Häuser, gelegentlich im Anschluss an das ehemalige Stadttor, ringförmig angelegt waren, oder offene Siedlungen, in denen sich ein einzelnes stärker befestigtes Gebäude erhob, das als Herrschaftssitz diente.

5.4.2. Schriftliche Zeugnisse

Unter Amenophis III. (1390-1353 v. Chr.) und seinem Sohn → Amenophis IV. Echnaton (1353-1336 v. Chr.), der von seiner neugegründeten Residenz Achetaton (Tell el-Amarna; Koordinaten: N 27° 38' 42'', E 30° 53' 50'') aus die alleinige Verehrung der Sonne (→ Aton) propagierte, geriet die ägyptische Herrschaft über Kanaan in eine Krise. Die akkadischen Keilschrifttafeln aus dem diplomatischen Archiv vom Tell el-Amarna (Knudtzon, 1907; Moran, 1992; Rainey / Schniedewind, 2015), die sich auf rund 25 Jahre beziehen, erlauben einen ungewöhnlichen Blick in das Netz der Stützpunkte. Denn in ihnen beteuern die Vasallenfürsten dem ägyptischen König zwar ihre Loyalität und klagen, dass das Land zusehends in die Hände schwer zu kontrollierender → „Hapiru“ falle, und denunzieren sich gegenseitig, mit diesen zu kollaborieren.

Sechs der Briefe stammen mit Sicherheit (EA 285-290), ein siebter mit hoher Wahrscheinlichkeit (EA 291) von → Abdi Chepa von ú-ru-sa-lim (akkadisch: Urusalimu; alttestamentlich: Jerusalem), in zwei oder drei weiteren Briefen (EA 280 und 366 sowie möglicherweise 335) wird er ebenfalls erwähnt, und diese gestatten einen differenzierten Einblick in seine Konflikte mit seinen Nachbarn (Na’aman, 1992; 2011; Finkelstein, 1996).

5.4.3. Archäologische Befunde

Jerusalem 11

Diesem Gesamtbild entsprechend sind die archäologischen Befunde aus Jerusalem äußerst bescheiden (Wightman, 1993, 20-23; Bieberstein / Bloedhorn, 1994, I 56-58; Prag, 2007, 59-63; Steiner, 2007, 70-71; Maeir, 2011, 179-182; De Groot, 2012, 149-150).

Terrassen?: Als Kenyon (Areale A I-III und XXIII) und Shiloh (Areal G) an der oberen Hangkante nordwestlich des Gihon auf Terrassen stießen, schrieben sie diese – vermutlich unter dem Eindruck der Briefe vom Tell el-Amarna – spontan dem 14. oder 13. Jh. zu (Kenyon, 1974, 94-96; Shiloh, 1984, 13.16), doch werden sie inzwischen einhellig erst ins 12. oder frühe 11. Jh. v. Chr. datiert (siehe unten). Dann aber werden die Siedlungsbefunde spärlich.

Siedlungsbefunde: Zwar wurden am Südosthügel in einzelnen Arealen insbesondere hangoberhalb (Eilat Mazar, 2009, 32-35) und hangunterhalb der genannten Terrassen spätbronzezeitliche Scherben, aber nur minimale mögliche Siedlungsreste entdeckt. So umfasst der größte zusammenhängende und am besten gesicherte Siedlungsbefund nur zwei parallele Mäuerchen im Abstand von etwa 2,8 m, auf die Shiloh in Areal G am nordöstlichen Fuß der Terrassen stieß (Cahill, 2003, 28-31). Vom südöstlichen Mäuerchen wurden drei Steine nachgewiesen; das nordwestliche Mäuerchen wurde auf 2,4 m freigelegt und wies eine Türschwelle auf. Nördlich und südlich derselben waren Reste eines Fußbodens erhalten.

Grabanlagen: Über diese minimalen Siedlungsbefunde hinaus sind in einem Umkreis von 3-4 km nur noch drei oder vier Grabanlagen, insbesondere aber eine Grabanlage auf dem franziskanischen Gelände von Dominus flevit am westlichen Abhang des Ölbergs zu nennen. Diese wies zwei Grabkammern auf, deren reiche Grabbeigaben zeigen, dass sie von 1600 bis 1300 v. Chr. durchgehend belegt wurde (Saller, 1964).

Ägyptischer Tempel?: Zwar postulierte Barkay (1990; 1996) aufgrund ägyptischer oder vermeintlich ägyptischer Funde vom Gelände der École biblique et archeologique française nördlich des Damaskustores, die er der 19. Dynastie zuschrieb, einen ägyptischen Tempel des späten 13. Jh.s v. Chr., doch können von den Funden allenfalls ein Inschrift- und ein Statuettenfragment sowie zwei Alabastervasen als ägyptisch gelten. Zudem wurde keines dieser vier Stücke in einem ursprünglichen Zusammenhang entdeckt. Vor allem aber fand sich auf dem Gelände keine ägyptische Architektur, so dass von einem ägyptischen Tempel keine Rede sein kann (Wimmer, 1998).

5.4.4. Bilanz

Dass die Befunde so spärlich sind, kann weder darauf zurückgeführt werden, dass zu wenig gegraben wurde, noch dass sie der Erosion oder jüngeren Baumaßnahmen zum Opfer gefallen wären (denn Keramik löst sich nicht auf), oder dass der in den → Amarna-Briefen erwähnte Ort ú-ru-sa-lim an einem anderen Ort gesucht werden müsse (vertreten von Franken / Steiner, 1992; widerrufen von Steiner, 1998, 28).

Vielmehr erlauben die Befunde nur den Schluss, dass auch Jerusalem entgegen der konventionellen Sicht in der Späten Bronzezeit keine Stadt im Vollsinn des Wortes mehr war, sondern nur noch ein Außenposten zur strategischen Kontrolle des südlichen Berglandes (Steiner, 2001, 39-41), das ebenfalls fast unbesiedelt war (Finkelstein, 1988, 341-345; Ofer, 1994, 100; anders Zwickel, 2009). Und wenn Abdi Chepa dem Pharao neu eingefangene Sklaven schickt (EA 288) und ihm versichert, die Ordnung im Bergland aufrecht erhalten zu können, wenn er ihm 50 Soldaten (zurück)gebe (EA 289), deutet auch dies auf äußerst prekäre Verhältnisse hin.

Möglicherweise befand sich Abdi Chepas gesuchter Herrschaftssitz, dem die Nekropole von Dominus flevit nur vermutungsweise zugeordnet werden kann, am nördlichen Rand der ehemaligen Stadt. Schließlich wurde dort die meiste Keramik entdeckt, am Fuß der früheisenzeitlichen Terrassen wurden die einzigen sicheren spätbronzezeitlichen Siedlungsbefunde nachgewiesen (siehe oben), und die früheisenzeitlichen Terrassen lassen oberhalb derselben ein größeres Gebäude vermuten, das als Herrschaftssitz gedient haben kann (siehe unten).

6. Jerusalem in der Eisenzeit (um 1130-587 v. Chr.)

6.1. Eisenzeit I (um 1130-925 v. Chr.): Die Übernahme des Herrschaftssitzes durch David und die – mögliche – Gründung der Akropolis durch Salomo

6.1.1. Kultureller Horizont

Zwischen etwa 1230 und 1130 vollzogen sich in der südlichen Levante aus siedlungsgeschichtlicher Sicht drei Umbrüche mit weit reichenden Folgen. Erstens ließen sich entlang der Wasserscheide des Berglandes, das bislang nur als Weideland für Schafe und Ziegen gedient hatte, aus den sich auflösenden kanaanäischen Orten abgewanderte Kleinviehnomaden nieder. Nördlich von Jerusalem entstanden etwa 200 und südlich von Jerusalem weitere 20 Dörfer (Finkelstein, 1988; Amihai Mazar, 1994; Ofer, 1994; Lehmann, 2003) und bildeten eine neue Dorfkultur, die 1209 v. Chr. in der Siegesstele des Pharao Merenptah (1213-1203 v. Chr.) erstmals sicher als „Israel“ (J-s-ï-r-’-3-r’) bezeichnet wird (Weippert, 2010, 168-171). Zweitens zog sich frühestens unter Ramses VI. (1142-1134 v. Chr.) die ägyptische Besatzung aus Kanaan zurück und überließ die ehemalige Provinz ihrem Schicksal (Finkelstein, 1995, 214-216; 1998, 140-141; 2005, 32-33; Ussishkin, 1985, 224-226; 2004, 69-73; 2007, 135-136). Drittens wanderten im entstehenden Machtvakuum entlang der Küste vor allem aus der Ägäis stammende „Seevölker“ ein, unter ihnen die späteren → „Philister“, und ließen sich im südlichen Küstenstreifen insbesondere im Gebiet von → Aschdod, → Askelon, → Ekron, → Gat und → Gaza nieder (Yasur-Landau, 2010).

Von diesen drei Umbrüchen war für Jerusalem vor allem die erstgenannte Entstehung der frühisraelitischen Dorfkultur im Bergland von Bedeutung. Schließlich erzählen biblische Texte ausführlich von einer Übernahme des alten Herrschaftssitzes durch David und dem systematischen Aufbau einer Regionalherrschaft über das gesamte Gebiet von → Dan bis → Beerscheba (2Sam 5 - 1Kön 2,11; 1Chr 11-29) und schreiben Salomo in Jerusalem die Errichtung eines neuen Palastes und eines Tempels für JHWH zu, mit denen er eine repräsentative Akropolis für ein Großreich geschaffen habe, das sich von Lebo Hamat bis an den Bach Ägyptens erstreckt habe (1Kön 2,12-11,43; 2Chr 1-9).

Allerdings erwecken schon die angegebenen Regierungsdaten von je 40 Jahren für David (1Kön 2,11; 1Chr 29,27) und Salomo (1Kön 11,42; 2Chr 9,30) den Verdacht, idealisierende und systematisierende Retrospektiven zu sein. Vermutlich haben David und Salomo wesentlich kürzer regiert und sind entsprechend später anzusetzen. Erst Salomos Tod und seine Thronfolge durch → Rehabeam im Südreich Juda und → Jerobeam I. im Nordreich Israel 930 v. Chr. (Thiele, 1983, 80-81) oder 926 v. Chr. (Liwak, 2004, 55) sind noch relativ zuverlässig datierbar und entsprechen nach der neueren (und hier vertretenen) späten Chronologie etwa dem Übergang von der Eisenzeit I zur Eisenzeit II.

Zwar zeichnen die biblischen Texte für die späte Eisenzeit I das Bild einer strahlenden Frühzeit der davidischen Dynastie, doch sind die archäologischen Befunde der frühen Eisenzeit I auf die unmittelbare Umgebung des vermuteten spätbronzezeitlichen Herrschaftssitzes begrenzt und fallen für die späte Eisenzeit I, die Zeit Davids und Salomos, vollkommen aus (Steiner, 2007, 71-73).

6.1.2. Archäologische Befunde

Jerusalem 12

Der mit Abstand wichtigste Grabungsort für die frühe Eisenzeit I in Jerusalem wurde schon kurz erwähnt (Kapitel 5.4.4.) und liegt an der oberen Hangkante nordwestlich des Gihon. Dort entdeckten Macalister und Duncan (1926, 49-74) in ihren Grabungen 1923-1925 auf über 120 m einen Mauerzug mit zwei talseitig vorspringenden Türmen und sowohl zwischen den beiden Türmen als auch südlich des südlichen Turmes eine fein gestufte Hangverkleidung, die von ihnen als „Jebusite Ramp“ bezeichnet wurde und inzwischen periodenneutral als „Stepped Stone Structure“ bezeichnet wird. 1961 begann Kenyon (1968; 1973) am Fuß des südlichen Turmes ihre Grabungen und weitete sie nördlich desselben aus. 1978-1982 setzte Shiloh (1984, 15-21) ihre Grabungen nach Norden fort, und 2005-2007 konnte Eilat Mazar (2015) abermals nördlich anschließend unter dem nördlichen Turm eine auf 3 x 3 m begrenzte, aber 10 m tiefe Sondage unternehmen (Forschungsbericht mit weiterer Literatur Bieberstein / Bloedhorn, 1994, III 129-141).

Haus der frühen Eisenzeit I: Am Fuß des südlichen Turmes stieß Kenyon auf die ältesten Befunde aus der frühen Eisenzeit I. Diese umfassten zwei Mauerzüge und einen Bodenrest, auf dem die Fragmente eines typisch früheisenzeitlichen „collared rim jar“ lagen (Steiner, 2001, 24).

Jerusalem 13

Terrassen der frühen Eisenzeit I: Nördlich des Turmes stellten Kenyon (1974, 94-96) und Shiloh (1984, 16.26) zahlreiche schmale, meist nur eine Steinlage breite Mauern fest, die in geringen Abständen rippenartig in westöstlicher Richtung hangabwärts verlaufen und teilweise noch bis zu 6 m hoch erhalten sind. Quer zu diesen fanden sie hangparallel verlaufende Stützmauern, die noch bis zu 3 m hoch anstehen, und interpretierten das netzförmige System hangabwärts und hangparallel verlaufender Mauern als Substruktionen von Terrassen, die sich in westöstlicher Richtung in mindestens drei großen Stufen von der oberen Hangkante über 20 m hangabwärts erstreckten und bei deren Anlage das genannte früheisenzeitliche Haus verschüttet wurde.

Zwar hatten Kenyon und Shiloh die Terrassen zunächst ins 14. oder 13. Jh. v. Chr. zu datieren versucht, doch wurden diese über dem genannten Haus der frühen Eisenzeit I errichtet und mit Erde verfüllt, die ebenfalls Keramik der frühen Eisenzeit I, aber keine spätere Keramik enthielt. Daher können sie ebenfalls erst in der frühen Eisenzeit I angelegt worden sein (Steiner, 2001, 28-39; Cahill, 2003, 33-54), was nach der konventionellen frühen Chronologie einer absoluten Datierung im 12. Jh. v. Chr. entsprochen hätte, nach der neueren (und hier vertretenen) späten Chronologie hingegen erst im späten 12. oder frühen 11. Jh. v. Chr. entspricht.

Da in den ausgedehnten Grabungen der letzten 150 Jahre keine weiteren Gebäude derselben Zeit gefunden wurden, können die Terrassen (entgegen Shiloh, 1984, 16.26) nicht angelegt worden sein, um in einer beengten Siedlung neuen Baugrund zu schaffen. Vielmehr muss sich über den Terrassen auf dem Rücken des Hügels ein bedeutender Gebäudekomplex erhoben haben, und die Terrassen müssen angelegt worden sein, um diesen vor Hangerosion zu schützen (Steiner, 2001, 39.113). Daher kann es sich bei diesem auch nicht um eine Stadtburg am nördlichen Stadtrand gehandelt haben, denn von einer „Stadt“ fehlt jegliche Spur, sondern nur um eine kleine Siedlung oder ein größeres Gehöft, das im Licht der schriftlichen Zeugnisse als regionaler Herrschaftssitz interpretiert werden kann (Steiner, 1998b, 151; 2007, 71).

König Davids Palast?: Daher vermutete Eilat Mazar (1997) an dieser Stelle zwar nicht ohne Grund schon vor Beginn ihrer Grabungen Davids Palast, doch datieren die von ihr 2005-2007 freigelegten und der Öffentlichkeit als Davids Palast präsentierten Mauern (2006a; 2007b, 52-66; 2009a, 43-65; 2015b, 64-72; 2015c) eher aus unterschiedlichen Phasen der späten Eisenzeit II A sowie aus hasmonäischer Zeit (Finkelstein / Herzog / Singer-Avitz / Ussishkin, 2007; Finkelstein, 2011).

6.1.3. Biblische Retrospektiven

6.1.3.1. Biblische Retrospektiven auf die vordavidische Zeit

Biblische Retrospektiven auf die Frühgeschichte der Stadt stammen erst aus erheblich späteren Zeiten, und ihr Quellenwert zur Rekonstruktion der Ereignisse ist – insbesondere angesichts der archäologischen Befunde – entsprechend gering. Zudem zeichnen sie kein in sich stimmiges Bild. So setzt Jos 15,63 schon zu Josuas Zeit in Jerusalem ein Nebeneinander von „Jebusitern“ und Judäern voraus. Erst Ri 1,8 berichtet nach Josuas Tod von der Eroberung und Zerstörung des Ortes durch die Judäer. Doch notiert Ri 1,21 wenige Verse später, ohne die Judäer zu erwähnen, dass die „Jebusiter“ von den Benjaminiten nicht vertrieben wurden, sondern gemeinsam mit ihnen in Jerusalem wohnen blieben. Dabei handelt es sich um eine komplexe literarische Konstruktion der achämenidischen Zeit (Groß, 2009, 98-154).

6.1.3.2. Biblische Retrospektiven auf David

Ebenso unklar sind die Nachrichten zur Übernahme des Ortes durch → David. Wenn 1Sam 17,54 erzählt, dieser habe, bevor er von Hebron nach Jerusalem übersiedelte und den Herrschaftssitz übernahm, → Goliats Haupt als Trophäe nach Jerusalem gebracht, geht diese Notiz von einem freundschaftlich engen Verhältnis Davids zu Jerusalem aus.

Laut 2Sam 5,6-8 sei er im siebten Jahr seiner Herrschaft über Juda von Hebron nach Jerusalem übergesiedelt, und diese Notiz wurde meist als Hinweis auf eine gewaltsame Eroberung interpretiert, doch liegt ihr möglicherweise noch eine Erinnerung über eine gewaltfreie Übernahme des Herrschaftssitzes zugrunde (Schäfer-Lichtenberger, 1983, 385-390; 1993; Floß, 1987; Oeming, 1994; Keel, 2007, 171-175). Allerdings sind die philologischen und literarkritischen Probleme des Textes kaum mehr zuverlässig zu lösen; 1Chr 11,4-6 bietet nur einen späten Versuch, dem fragmentarischen Text einen – zweifellos militärischen – Sinn abzuringen (Kalimi, 2002); und die gängigen deutschen Übertragungen von 2Sam 5,6-8 in der Einheitsübersetzung (Fassung 1980) und der Lutherübersetzung (Fassung 1984) entsprechen nicht dem hebräischen Text, sondern bieten Mischlesungen mit 1Chr 11,4-6 und entwerfen somit ein Bild, das von den historischen Vorgängen weit entfernt ist.

2Sam 5,9-11 bezeichnet den von David eingenommenen Herrschaftssitz als „Burg Zion“ (מְצֻדַת צִיּוֹן məṣudat ṣijjôn) und berichtet von Bauarbeiten an einem „Haus“ (בַּיִת bajit) für David und am „Millo“ (מִלּוֹא millô’), an dem nach David (2Sam 5,9; 1Chr 11,8) auch Salomo (1Kön 9,15.24; 1Kön 11,27) und Hiskia (2Chr 32,5) gebaut haben sollen. Dabei dürften sich diese sieben teilweise sehr späten Baunotizen zwar auf die Terrassen und das Hangpflaster östlich unterhalb des alten Herrschaftssitzes bezogen haben (Franklin, 2014), doch kommt ihnen kein historischer Quellenwert für die Zeit unter David, Salomo oder Hiskia zu.

6.1.3.3. Biblische Retrospektiven auf Salomo

Zwar gilt → Salomo in der biblischen Literatur (1Kön 1-11; 2Chr 1-9) als Jerusalems größter Bauherr, der den Herrschaftssitz hangaufwärts verlagert und dort einen neuen Palast mit einem → Tempel für JHWH errichtet habe. Doch lassen mehrere Indizien erkennen, dass den Beschreibungen der Salomo zugeschriebenen Bauten Bauwerke aus unterschiedlichen und vor allem späteren Zeiten zugrunde lagen.

Erstens hatte schon 2Sam 12,20 erzählt, David sei bereits vor Salomos Zeugung in „JHWHs Haus“ (בֵּית־יְהוָה bêt JHWH) gegangen um zu beten, und nach 2Sam 22,7 habe David JHWH gedankt, weil er sein Gebet aus der „Vorcella“ (הֵיכָל hêkhāl) des Tempels erhört habe. Demnach setzen diese beiden Stellen schon einen vorsalomonischen Tempel voraus. Offenkundig galt Salomo in der alttestamentlichen Literatur keineswegs selbstverständlich als Stifter des Tempels. Vielmehr liegen ihr unterschiedliche Vorstellungen zur Geschichte des Tempels zugrunde, und seine gängige Zuschreibung an Salomo insbesondere in 1Kön 6-7 steht im Verdacht, eine literarische Konstruktion zu sein.

Zweitens unterscheidet 1Kön 6 implizit zwischen zwei Bauphasen, denn der Text beschreibt zunächst in 1Kön 6,2-3 in Nominalsätzen einen schon vorhandenen Kernbau, um anschließend in 1Kön 6,4-10 in Verbalsätzen von seiner Ummantelung mit Kammern und in 1Kön 6,15-35 von seiner Innenausstattung mit Holz zu berichten. Dabei wird in 1Kön 6,7 betont, dass die Steine für die umgebenden Kammern, um auf der Baustelle Stille zu wahren, schon im Steinbruch behauen wurden. Dieses Bemühen um Lärmvermeidung legt nahe, dass der Kult beim Bau der Kammern schon in Gang war und der Kernbau erst sekundär mit Kammern aus Quaderwerk ummantelt wurde (Rupprecht, 1972; 1977a; 1977b).

Dennoch muss diese implizite Unterscheidung zwischen zwei Bauphasen (entgegen Rupprecht) nicht zwingend auf eine vorsalomonische Errichtung des Kernbaues verweisen, denn der in 1Kön 6,2-3 beschriebene Kernbau findet seine engsten Parallelen erst in den beiden Tempeln von Tell Ta‘yīnāt (Koordinaten: N 36° 14' 54'', E 36° 22' 34'') in Nordsyrien und seine Ummantelung mit Kammern im benachbarten Tempel von ‘Ēn Dārā (Koordinaten: N 36° 27' 33'', E 36° 51' 09'') aus dem späten 9. oder frühen 8. Jh. v. Chr. Daher dürften auch der alttestamentlich beschriebene Kernbau und seine Ummantelung mit Kammern aus zwei unterschiedlichen Phasen dieser Zeit stammen. Schließlich wurde Quaderwerk in Juda erst im 8. Jh. v. Chr. eingeführt, und leere Kerubenthrone als Repräsentationen von Gottheiten (1Kön 6,23-28) sind in der Levante erst seit dem 7. Jh. v. Chr. bezeugt.

6.1.4. Bilanz

Jerusalem war unter David entgegen der konventionellen Sicht noch keine Stadt im vollen Sinn, sondern nur ein kleiner Herrschaftssitz (Steiner, 1998b, 150-156; 2001, 113-114; 2007, 71-73; Finkelstein, 2001, 107-108; 2003, 87-92; Ussishkin, 2003a; 2003b) mit einer Fläche von kaum über 1 ha mit kaum über 200 Einwohnern.

Zwar ist die Grundlegung einer neuen Akropolis mit Palast und Tempel durch Salomo auf der Kuppe des Hügels angesichts der starken biblischen Tradition nicht auszuschließen – und wir können sie im Sinne dieser Tradition auch weiterhin als „Salomonisch“ bezeichnen –, aber die ausführlichen Beschreibungen der weitläufigen Palast- und Tempelanlagen mit ihrer reichen Ausstattung in 1Kön 6-7 und 2Chr 3-4 bündeln rückblickend unterschiedliche Baumaßnahmen späterer Zeiten, um sie auf Salomo zurückzuführen. Vermutlich ist dieses glorifizierende Bild der salomonischen Zeit erst in der Eisenzeit II B entstanden, als Jerusalem unter → Ahas (741-725 v. Chr.) und → Hiskia (725-697 v. Chr.) aufblühte, zahlreichen Flüchtlingen aus dem 722/720 v. Chr. untergegangenen Nordreich eine neue Heimat bot und man geneigt war, in Salomo einen glorreichen gemeinsamen Ausgangspunkt für die Geschichte der beiden später getrennten Reiche zu sehen und seinen Tempel als gemeinsames Zentrum zu betrachten (siehe unten).

6.2. Eisenzeit II A (um 925-750 v. Chr.): Der Ausbau der auf Salomo zurückgeführten Akropolis

6.2.1. Kultureller Horizont

Möglicherweise war es David und Salomo tatsächlich gelungen, ihr regionales Hegemoniestreben zeitweilig auch auf das nördliche Bergland und vielleicht sogar bis an dessen Nordrand auszuweiten, doch hatte Jerusalem keine Chance, den deutlich dichter besiedelten und weiter entwickelten Norden dauerhaft an sich zu binden. So entstand im Norden, ausgehend von → Sichem, → Pnuël, → Tirza und → Samaria, ein eigener Staat namens Israel (Finkelstein, 2014), und das Südreich Juda geriet unter der Dynastie der Omriden (882-845 v. Chr.; → Omri; → Ahab) sogar in dessen Bann. Dabei hat Juda von den engen Beziehungen zum Nordreich Israel ebenso intensiv profitiert wie von dessen schleichendem Niedergang. Denn als dieses seit etwa 845 v. Chr. zunehmend unter aramäischen Druck geriet, konnte sich Juda aus der Umklammerung lösen und nach der Zerstörung von Gat die Schefela sowie das Becken von → Beerscheba erschließen – ein langsames Aufblühen, das sich auch in der Baugeschichte Jerusalems niederschlug.

6.2.2. Streubesiedlung am Südosthügel

Jerusalem 14

Da die auf Salomo zurückgeführte Akropolis unter der großen herodianischen Tempelplattform begraben liegt und archäologische Grabungen unter Rücksicht auf den religionspolitischen Status des Platzes unmöglich sind, sind archäologische Befunde zur Geschichte der Stadt auch in nachsalomonischer Zeit nur außerhalb des Platzes zu suchen, und zwar vor allem südlich desselben, wo der Gihon und darum auch die Gärten lagen. Dort aber fand sich bislang kein einziger Stein, der in salomonische Zeit datiert werden kann. Vielmehr setzen die ersten spärlichen Befunde erst wieder in der frühen Eisenzeit II A ein, die in den Grabungen von Shiloh durch Stratum 15 repräsentiert wird.

6.2.2.1. Befunde der frühen Eisenzeit II A (um 925-885 v. Chr.)

Shiloh Areal D: Aus dieser Zeit fand sich 1978-1980 in Grabungen von Shiloh in Areal D gut 200 m südsüdwestlich des Gihon unterhalb der ehemaligen mittelbronzezeitlichen Stadtmauerlinie eine Abraumhalde mit Keramik und Knochen von Gänsen und Rebhühnern, die vermutlich aus einer schon von Weill entdeckten, hangoberhalb gelegenen Höhle stammen (Ariel / Hirschfeld / Savir, 2000, 35-39; De Groot / Ariel, 2000, 93-94).

Shiloh Areal E: Weiter oben am Hang trat 1980 ebenfalls in Grabungen von Shiloh in Areal E rund 140 m südwestlich der Quelle oberhalb der ehemaligen Stadtmauerlinie eine ärmliche Bebauung aus dünnen unregelmäßigen Mäuerchen aus Bruchstein zutage, die kleine Schuppen oder Pferche gebildet haben dürften (De Groot / Bernick-Greenberg, 2012b, 34-35).

6.2.2.2. Befunde der frühen oder späten Eisenzeit II A (um 925-835 v. Chr.)

Ben-Ami-Tchekhanovetz-Grabung: Ferner stießen Ben-Ami und Tchekhanovetz in ihren 2007 begonnenen Grabungen 90 m nordwestlich des Gihon, 60 m nordwestlich des alten Herrschaftssitzes, am Westabhang des schmalen Sporns zum Tyropoiontal ebenfalls auf eine ärmliche Bebauung. Diese war unmittelbar auf dem gewachsenen Fels ebenfalls aus dünnen, nur eine Steinlage breiten Mäuerchen aus Bruchstein errichtet und gehört ebenfalls noch der frühen Eisenzeit II A, vielleicht aber auch erst der späten Eisenzeit II A (um 885-835 v. Chr.) an und diente, wie mehrere Kelche zeigen, zumindest zeitweise auch kultischen Zwecken (Ben-Ami, 2013b, 8-10; 2013c, 63-69; 2014, 5-14).

6.2.2.3. Befunde der späten Eisenzeit II A (um 885-835 v. Chr.)

„Stepped Stone Structure“: Angesichts dieser äußerst spärlichen Streubesiedlung beeindruckt umso mehr die Verkleidung der früheisenzeitlichen Terrassen östlich unterhalb des vermuteten davidischen Herrschaftssitzes durch die oben schon ausführlich erläuterte „Stepped Stone Structure“, ein fein gestuftes Hangpflaster, das wie ein großer Mantel über den früheisenzeitlichen Terrassen liegt und ansatzweise schon von Macalister und Duncan entdeckt wurde (s.o. Abb. 12). Es war über 40 m breit und kann inzwischen über mindestens 16,5 m und vielleicht sogar – wenn man weitere, ungesicherte Befunde hinzurechnet – über 33 m hangabwärts verfolgt werden.

Während Kenyon (1974, 192-193) und Shiloh (1984, 16-17.27) aufgrund ihrer Grabungen die Ansicht vertraten, dass dieser Mantel eine jüngere Bauphase als die genannten Terrassen repräsentiere, versuchten vor allem Cahill und Tarler in ihrer Auswertung der Grabungen von Shiloh, Terrassen und Mantel einer einzigen Bauphase zuzuschreiben und beide an den Anfang der Eisenzeit I zu datieren (Cahill / Tarler, 1993; Cahill, 2003, 33-54; ebenso Amihai Mazar, 2006, 257-265; 2010, 40-45). Doch hält Steiner in ihrer Auswertung der Grabungen von Kenyon überzeugend an der Unterscheidung zweier Bauphasen fest und datiert nur die Terrassen an den Anfang der Eisenzeit I, das über ihnen liegende Hangpflaster aufgrund der jüngsten unter ihm gefundenen Keramik hingegen erst an den Anfang der Eisenzeit II (Steiner, 1993; 1994; 2001, 42-47.50-52; 2003, 351-359). Schließlich hatte schon Shiloh (1984, 16-17) den Mantel seinem Stratum 14 und somit erst der späten Eisenzeit II A zugeordnet, was nach der konventionellen frühen Chronologie einer absoluten Datierung im 10. Jh. v. Chr. entsprochen hätte und nach der neueren (hier vertretenen) späteren Chronologie einer Datierung um 885-835 v. Chr. entspricht.

Zwar erwog Finkelstein zeitweilig auch eine extreme Spätdatierung ins 8. Jh. v. Chr. (1999, 40; 2001, 106.108; 2003, 84-86.92; Finkelstein / Herzog / Singer-Avitz / Ussishkin, 2007, 150-154), zog diese inzwischen aber wieder zugunsten der späten Eisenzeit II A zurück (Finkelstein / Fantalkin / Piasetzky, 2008, 39-40; Finkelstein, 2012, 841).

Dass diese aufwändige Struktur erst in der späten Eisenzeit II A errichtet wurde, zeigt entweder, dass der Gebäudekomplex des ehemaligen Herrschaftssitzes auch nach der Gründung der auf Salomo zurückgeführten Akropolis noch in Gebrauch blieb und in der späten Eisenzeit II A vielleicht sogar baulich erneuert, zumindest aber stärker befestigt wurde, oder – wahrscheinlicher noch – dass er noch bis in die späte Eisenzeit II A als Herrschaftssitz in Gebrauch war und die Salomo zugeschriebene Akropolis erst ein paar Jahre nach der „Stepped Stone Structure“ vermutlich nach dem Vorbild von Samaria errichtet wurde.

Über dieses imposante Bauwerk hinaus, das im Alten Testament vermutlich als „Millo“ bezeichnet wurde (siehe oben), lassen sich auch zur späten Eisenzeit II A, die in den Grabungen von Shiloh durch Stratum 14 repräsentiert wird, nur noch wenige Befunde nennen:

Shiloh Areal E: 1982 trat in den Grabungen von Shiloh in Areal E am oberen Abhang, rund 150 m südlich der Hangverkleidung, im Winkel zwischen zwei unzusammenhängenden Mauern ein Fußboden mit einem Ofen zutage (De Groot / Bernick-Greenberg, 2012b, 34).

Shiloh Areal D: Gut 200 m südsüdwestlich des Gihon, unterhalb der ehemaligen mittelbronzezeitlichen Stadtmauerlinie, stieß Shiloh 1978 und 1982 in Areal D auf den Fußboden eines Raumes, dessen Mauerwerk nicht mehr erhalten ist, und einen Ofen sowie, nördlich der Gebäudereste, auf einen Vorratskrug und eine Lampe (Ariel / Hirschfeld / Savir, 2000, 39-42; De Groot / Ariel, 2000, 93-94).

Shiloh Areal B: Ferner fand er 1978 und 1982 ebenfalls unterhalb der ehemaligen Stadtmauerlinie in Areal B drei schmale parallele Mauern eines Gebäudes, das mindestens vier Räume umfasste (Ariel / Lender, 2000, 4-7; De Groot / Ariel, 2000, 93-94).

6.2.2.4. Befunde aus der Schlussphase der Eisenzeit II A (um 835-750 v. Chr.)

Auch die Baubefunde aus der letzten Phase der Eisenzeit II A sind bescheiden. Diese wird in den Grabungen von Shiloh durch Stratum 13 repräsentiert.

Shiloh Areal G: So wurde wahrscheinlich in dieser Zeit am Fuß der „Stepped Stone Structure“ ein Gebäude errichtet, das von Shiloh freigelegt und wegen deutlicher Brandspuren in einem seiner Räume als „Burnt Room House“ bezeichnet wurde (Cahill 2003, 56-66).

Shiloh Areal E: Ebenfalls am oberen Abhang, doch rund 150 m südlich der „Stepped Stone Structure“ stieß Shiloh in Areal E auf einen Fußboden mit einer rechteckigen Grube (De Groot / Bernick-Greenberg, 2012b, 33-34). 30 m nordöstlich derselben wurde ebenfalls oberhalb der früheren Stadtmauerlinie in Areal E ein einzelner kleiner Raum von 3,0 x 4,0 m freigelegt, dessen Mauern 1 m breit und aus wiederverwendeten, teilweise behauenen Steinen errichtet waren (De Groot / Bernick-Greenberg, 2012b, 100-101).

Uziel-Shukron-Szanton-Grabung: Ferner fanden Uziel, Shukron und Szanton 2012 an der Nordseite des mittelbronzezeitlichen, zum Gihon führenden Korridors, der in der Eisenzeit II A noch mindestens 3 m hoch anstand, einen mindestens 5 m langen und 2,4 m breiten Anbau (Uziel / Szanton, 2015, 235-239).

6.2.2.5. Interpretation als Streusiedlung

Entgegen dem konventionellen Gesamtbild der Geschichte der Stadt waren die genannten Gebäude auf dem Südosthügel noch von keinem Stadtmauerring umgeben, sondern repräsentieren eine lockere Streubesiedlung, die im Laufe der Eisenzeit II A zwischen der Akropolis und den Gärten im Kidrontal südlich des Gihon entstand.

Jerusalem 15

So fehlt erstens trotz 150jähriger Grabungen auf dem Südosthügel jeglicher Hinweis auf eine Weiterbenutzung des mittelbronzezeitlichen Stadtmauerringes, von dessen Wiederherstellung gänzlich zu schweigen. Vielmehr zeigt ein Schnitt durch die Stadtmauer in Shilohs Areal E (De Groot / Bernick-Greenberg, 2012a, Plan 36), dass die ältere Stadtmauer aus der Mittleren Bronzezeit II bei der Errichtung der jüngeren Stadtmauer in der Eisenzeit II B zumindest hangseitig nicht mehr frei anstand. Vielmehr war der Winkel zwischen der älteren Stadtmauer W285 und dem Hang schon längst verfüllt. Sonst hätte man die jüngere Stadtmauer W219 nicht um knapp 1 m hangseitig versetzt errichtet.

Zweitens liegen etliche der oben genannten Gebäude hangunterhalb der mittelbronzezeitlichen Stadtmauerlinie, was deren Fortbestand infrage stellt. Sonst hätte man schwerlich auf deren Schutz verzichtet und die genannten Gebäude nicht unterhalb, sondern oberhalb derselben errichtet.

Drittens fand sich – trotz intensiver Suche – zwischen dem ehemaligen mittelbronzezeitlichen Stadtmauerring und der Akropolis von einer Stadtmauer der Eisenzeit II A keine Spur. Benjamin Mazar hat das Gelände im Bereich der vermuteten westlichen Stadtmauer südwestlich der Aqṣā-Moschee bis auf den Fels abgegraben, ohne auf eine Stadtmauer gestoßen zu sein (Bieberstein / Bloedhorn, 1994, II 384-394). Zwar fanden Benjamin und Eilat Mazar (Eilat Mazar, 2011b) im Bereich der vermuteten östlichen Stadtmauer eine imposante Befestigung, doch gehört diese erst der Eisenzeit II B an (siehe unten). Ebenso hatte Kenyon (1974, 114-115) an der östlichen Hangkante in Areal H die Entdeckung einer salomonischen Kasemattenmauer gemeldet, aber dem posthum von Steiner (2001, 48-50) publizierten Grabungsbericht ist zu entnehmen, dass sie nur auf zwei kurze parallele Mauerstücke im engen Abstand von 1,3 m gestoßen war, was gegen deren Deutung als Kasemattenmauer spricht. Zudem konnte sie die beiden Mauerstücke nur auf weniger als 2 m verfolgen und beide nicht sicher datieren, weil sich unter dem Estrich zwischen den beiden Mauern keine Keramik fand (Ussishkin, 2006b, 152). Ferner hatte sie an der westlichen Hangkante in Areal M II die Entdeckung einer salomonischen Stadtmauer vermeldet (1974, 116), doch zeigt eine aufmerksame Lektüre ihrer Aufzeichnungen, dass sie nur auf eine Füllschicht mit Keramik gestoßen ist, die sie ins 10. Jh. datierte, aber auf keine Mauer. Schließlich gruben Ben-Ami und Tchekhanovets (2013; Ben-Ami, 2014, 14-17) im selben Gelände im Tyropoiontal, wo bislang die Verbindung zwischen der von David eingenommenen Stadt und ihrer Salomonischen Norderweiterung vermutet worden war, bis auf den gewachsenen Fels, ohne auf die bislang dort vermuteten Stadtmauern der davidischen Stadt und der salomonischen Norderweiterung zu stoßen. Vielmehr fanden sie auf dem gewachsenen Fels eine äußerst bescheidene Bebauung der Eisenzeit II A (siehe oben). Hangunterhalb, im Tyropoiontal, kann die gesuchte Stadtmauer aus strategischen Gründen nicht verlaufen sein. Aber auch hangoberhalb dürfte sie schwerlich verlaufen sein. Sonst hätte man bei dem genannten Gebäude kaum auf ihren Schutz verzichtet und es nicht knapp unterhalb, sondern oberhalb derselben errichtet. Schließlich berechtigt nichts zur Vermutung, dass der Bereich innerhalb der gesuchten Stadtmauer so dicht besiedelt war, dass ein Ausweichen auf das Vorfeld derselben nötig gewesen wäre.

So zeigen sowohl die positiven als auch die negativen Befunde, dass der Südosthügel südlich der Akropolis während der Eisenzeit II A unbefestigt blieb (Ussishkin, 2006, 150-159; 2012, 104-115; Ben-Ami / Tchekhanovets, 2013, 32*-33*; Ben-Ami, 2014, 15-17).

6.2.3. Biblische Retrospektiven

Nachdem die biblischen Quellen die salomonische Zeit als größte Blütezeit beschrieben hatten, schweigen sie sich für die ersten beiden Jahrhunderte nach Salomos Tod in baugeschichtlicher Hinsicht fast völlig aus. Allein 2Kön 14,13 setzt in einer kurzen Notiz von der teilweisen Zerstörung einer Stadtmauer durch → Joasch von Israel (802-787 v. Chr.) erstmals eine solche voraus. Vermutlich wurde Jerusalem in der späten Eisenzeit II A erstmals von einer solchen umgeben. Schließlich wurden auch andere Orte im Süden des Landes wie → Lachisch (Stratum IV; Koordinaten: 1357.1082; N 31° 33' 54'', E 34° 50' 59''), Tell es-Seba‘ (Stratum V; Koordinaten: 1343.0726; N 31° 14' 42'', E 34° 50' 26'') oder → Arad (Stratum XI; Koordinaten: 1620.0767; N 31° 16' 50", E 35° 07' 34") ebenfalls erst in der späten Eisenzeit II A mit Stadtmauern eingefasst. Doch kann sich diese Ummauerung aus archäologischer Sicht nur auf die Akropolis bezogen haben.

6.2.4. Bilanz

Zwar ist angesichts der starken biblischen Tradition nicht auszuschließen, dass Salomo auf der Kuppe des Hügels einen neuen Palast und Tempel errichtet hat, aber den ausführlichen Beschreibungen derselben liegen spätere Gebäude zugrunde, und die „Stepped Stone Structure“ auf dem Südosthügel spricht dafür, dass die neue Akropolis nördlich der „Stepped Stone Structure“ erst nach derselben und somit erst in einer fortgeschrittenen Phase der späten Eisenzeit II A etwa in der Mitte des 9. Jhs. v. Chr. nach dem Vorbild von Samaria gegründet wurde, das zu jener Zeit ebenfalls noch keine große Stadt, sondern nur ein Herrschaftssitz war (Niemann, 2015, 79-86.295-319).

Knauf (2000) nahm aufgrund der äußerst spärlichen spätbronzezeitlichen Befunde am Südosthügel an, dass der Siedlungskern schon in der Späten Bronzezeit auf die Kuppe des Berges unter der späteren, herodianischen Tempelplattform verlegt worden sei. Aber mit dieser Frühdatierung der Verlegung des Siedlungskerns ist nicht zu erklären, warum hangunterhalb der vermuteten spätbronzezeitlichen Siedlung am nördlichen Rand der ehemaligen mittelbronzezeitlichen Stadt in der Eisenzeit I mit den Terrassen wieder ein derart imposantes Gebäude entstand.

Noch weiter gingen Finkelstein, Koch und Lipschits (2011; Finkelstein 2012) mit ihrer These, der Siedlungskern Jerusalems habe von Anfang an unter der herodianischen Tempelplattform gelegen und sich nur in besonderen Blütezeiten – der Mittleren Bronzezeit II und der Eisenzeit II BC – über deren Bereich hinaus nach Süden und Westen erstreckt. Zwar sind in der Tat alle bronze- und eisenzeitlichen Siedlungshügel des Berglandes deutlich kleiner als die herodianische Tempelplattform, doch ist mit ihrer zugespitzten These nicht zu erklären, wie sich der von ihnen angenommene bronzezeitliche Siedlungshügel unter der herodianischen Tempelplattform zu den von Reich und Shukron ergrabenen mittelbronzezeitlichen Anlagen zur Sicherung der Wasserversorgung am Gihon verhielt, wenn zwischen dem südlichen Rand der herodianischen Tempelplattform und den nächsten mittelbronzezeitlichen Befunden am Südösthügel eine Lücke von über 200 m klafft.

Daher ist anzunehmen, dass der alte Herrschaftssitz der Späten Bronzezeit und der Eisenzeit I frühestens unter Salomo, vielleicht aber auch erst in einer fortgeschrittenen Phase der späten Eisenzeit II A nach Norden verlegt und mit einem Mauerring umgeben wurde.

Dabei blieb die den neuen Herrschaftssitz umgebende Siedlung noch lange Zeit auf die unter der herodianischen Tempelplattform begrabene Kuppe des Berges begrenzt und griff erst langsam nach Süden aus, wo am Abstieg von der Akropolis zu den Gärten im Kidrontal unterhalb des Gihon rund um den vorsalomonischen Herrschaftssitz, der in der alttestamentlichen Literatur als „Davidsstadt“ bezeichnet wurde, im Laufe der Eisenzeit II A eine lockere Streusiedlung entstand.

Erst in der Schlussphase der Eisenzeit II A (um 835-750 v. Chr.) scheint Jerusalem schließlich doch die Hauptstadt eines sich entwickelnden Staates mit einer durchorganisierten Verwaltung geworden zu sein, denn Reich und Shukron entdeckten 2005-2006 in einer Füllschicht südwestlich des Gihon etwa 190 aufgebrochene anepigraphische Bullae aus der Schlussphase der Eisenzeit II A (Reich / Shukron / Lernau, 2007, 156-157; 2008, 140; Reich, 2011, 214-215; Keel, 2012, 317-323). Diese stammen vermutlich aus einem hangoberhalb gelegenen Gebäude und zeigen, dass Jerusalem im frühen 8. Jh. v. Chr. schon über eine entwickelte Verwaltung verfügt haben muss.

6.3. Eisenzeit II B (um 750-675 v. Chr.): Die Südwesterweiterung der Stadt unter Hiskia

6.3.1. Kultureller Horizont

738 v. Chr. war das Nordreich Israel unter → Menahem in die erste Stufe, 733 v. Chr. unter → Pekach infolge eines gemeinsamen Aufstandsversuches mit → Hasaël von Damaskus in die zweite Stufe der Vasallität zu Assur geraten und hat 722/720 v. Chr. einen weiteren Aufstandsversuch unter König → Hoschea mit dem Verlust seiner staatlichen Existenz und umfangreichen Deportationen bezahlt.

734-733 v. Chr. hatte sich das Südreich Juda unter Ahas nicht am Aufstand gegen Assur beteiligt, sondern sich ins erste Stadium der Vasallität zu Assur begeben und sich auch unter Hiskia weder am Aufstand des Nordreiches 724-722/720 v. Chr. noch am Aufstand von → Aschdod 713-711 v. Chr. beteiligt, sondern weiterhin seine Tribute entrichtet.

Zwar wurde die Lage angesichts der vorrückenden assyrischen Macht prekärer, doch konnte Juda von der dramatischen Entwicklung auch profitieren. Erstens brachte seine Einbeziehung in den assyrischen Fernhandel einen wirtschaftlichen Aufschwung, und zweitens haben surveyarchäologische Untersuchungen im gesamten Bergland gezeigt, dass die Besiedlung im südlichen Teil des ehemaligen Nordreiches nach dessen Untergang stark zurückging, während sie im Südreich im Gegenzug sprunghaft zunahm, was auf starke Fluchtbewegungen aus dem ehemaligen Nordreich ins Südreich schließen lässt (Finkelstein / Silberman, 2005/06; Finkelstein 2008, 506-511; anders Na’aman, 2007, 31-38; 2009; 2014).

Von dieser doppelten Entwicklung war vor allem Jerusalem betroffen, wo die Streubesiedlung erstmals vom Südosthügel auch auf den Südwesthügel übergriff. Daher ist deren Ausweitung sowohl auf einen wirtschaftlichen Aufschwung, als auch und vor allem auf den Zuzug von Flüchtlingen aus dem Nordreich zurückzuführen (siehe unten).

6.3.2. Streubesiedlung am Südost- und Südwesthügel

Die Eisenzeit II B wird in Jerusalem vor allem durch Stratum 12 der Grabungen von Shiloh sowie durch vergleichbare Schichten anderer Grabungen repräsentiert.

6.3.2.1. Streubesiedlung am Südosthügel

Jerusalem 16

Kenyon Areal A: Die erwähnte Zunahme der Streubesiedlung wird zuerst am Südosthügel greifbar. Dort legte Kenyon 1967 in den Arealen A XXI-XXII und XXVII-XXVIII auf einer Felsbank 60 m nordwestlich des Gihon eine langgestreckte mehrphasige Bebauung der Eisenzeit II B (760-675 v.Chr.) frei, hinter deren westlicher Rückwand sich drei Felskammern mit einer außergewöhnlich reichen Keramikausstattung und zahlreichen Figurinen fanden (Holland, 1977; Steiner, 1990, 10-50; Eshel, 1995; LaGro / Noordhuizen, 1995; Prag, 1995a; Steiner, 2001, 101-109). Dass diese Bebauung nur 2 m hangunterhalb der hiskianischen Stadtmauerlinie lag und bei deren Anlage verschüttet wurde, zeigt, dass sie vor dem Stadtmauerbau errichtet worden sein muss.

Shiloh Areal B: Weitere Baubefunde derselben Zeit, deren Keramik mit den Funden aus den Kammern eng vergleichbar ist, legte Shiloh am selben Abhang ebenfalls unterhalb der hiskianischen Stadtmauerlinie 200 m südsüdwestlich des Gihon in Areal B frei (Ariel / Lender, 2000, 7-12; De Groot / Ariel, 2000, 94-97).

Shiloh Areal D: Im hangoberhalb anschließenden Areal D, aber ebenfalls noch unterhalb der hiskianischen Stadtmauerlinie, stieß Shiloh in einem Gebiet von 35 x 15 m überwiegend unmittelbar auf dem Fels auf Fundamente einer ausgedehnten kleinparzellierten und äußerst bescheidenen Wohnbebauung (Ariel / Hirschfeld / Savir, 2000, 42-59; De Groot / Ariel, 2000, 94-97).

6.3.2.2. Streubesiedlung am Südwesthügel

Die Streubesiedlung blieb nicht mehr auf den Südosthügel begrenzt, sondern griff in der zweiten Hälfte des 8. Jh.s v. Chr. erstmals auch auf den Südwesthügel über (De Groot / Geva / Yezerski, 2003, 15-16; Geva, 2003b, 505-510; 2003c, 184-191).

Avigad Areal A: So stieß Avigad 1969-1976 im nordwestlichen Jüdischen Viertel in Areal A in einem Gebiet von 60 x 35 m unmittelbar auf dem Fels auf eine ausgedehnte, insgesamt zwar schlecht erhaltene, teilweise aber noch bis zu 2 m hoch anstehende mehrphasige Wohnbebauung ohne erkennbare zentrale Planung (Avigad / Geva, 2000a, 44.61-81).

Avigad Areale W und X-2: Ähnliche Befunde zeigten sich in denselben Grabungen von Avigad auch 25 m weiter nördlich in Areal W (Avigad / Geva, 2000b, 143-148) und 60 m weiter nordwestlich in Areal X-2 (Avigad / Geva, 2000c, 210-212) sowie in den Grabungen von 2000-2001 von Re’em (2010) in der türkischen Kaserne (Kishle) südlich der Zitadelle (Geva, 2008; Re’em, 2010).

6.3.3. Stadtmauer am Südost- und Südwesthügel

Diese zunehmende Streubesiedlung südlich und südwestlich der Akropolis muss angesichts der zunehmenden neuassyrischen Bedrohung spätestens unter Hiskia (725-697 v. Chr.) zu Überlegungen genötigt haben, wie sie durch eine großzügige Südwesterweiterung des Mauerringes der Akropolis geschützt werden kann. Diese Südwesterweiterung wurde inzwischen sowohl auf dem Südosthügel als auch auf dem Südwesthügel in mehreren Teilstücken nachgewiesen.

6.3.3.1. Die Stadtmauer am Südosthügel

Warren-Mauer: Das nordöstlichste Teilstück des neuen Stadtmauerringes wurde schon 1867-1868 von Warren in unterirdischen Schacht- und Stollengrabungen am Südosteck der herodianischen Tempelplattform entdeckt, seinerzeit aber noch nicht zuverlässig datiert. Dort stieß Warren in einer vom Südosteck der herodianischen Tempelplattform entlang der Hangkante nach Südwesten verlaufenden Stadtmauerlinie etwa 105 m südwestlich des Südostecks der Plattform unter der heutigen Straße auf eine über 24 m breite Bastion, die gegenüber der Stadtmauerlinie über 20 m nach Südosten vorspringt, talseitig unterirdisch noch über 12 m hoch erhalten und aus 60-90 cm langen und 40-60 cm hohen Quadern errichtet ist (Wilson / Warren, 1871, 294-308; Warren / Conder, 1884, 157-158.226-231).

1967 fand Kenyon in einer begrenzten Schachtung in Areal S II unmittelbar westlich der von Warren entdeckten Bastion eine tiefer liegende Stadtmauer und datierte sie aufgrund der Keramik ins 8. Jh. v. Chr. (Kenyon, 1968, 104; 1974, 115-116).

Weitere Nachgrabungen von Benjamin und Eilat Mazar von 1976 und 1986-1987 (Eilat Mazar / Benjamin Mazar, 1989, 3-48) sowie von Eilat Mazar 2009 (Eilat Mazar, 2011b, 101-144) wiesen einen rechteckigen Gebäudekomplex nach, der an seiner südöstlichen Talseite mindestens 33 m breit war, in seinem Grundriss aufgrund späterer Überbauungen aber nur noch vage rekonstruiert werden kann. Die Ausgräber interpretierten seinen südwestlichen Teil als ein Vier-Kammer-Tor und den nordöstlich anschließenden Trakt, der in schmalen Vorratskammern mehrere Vorratsgefäße enthielt, als ein Verwaltungsgebäude. Während Benjamin und Eilat Mazar die Anlage zunächst gemeinsam frühestens ins 9. Jh. v. Chr. datierten und als Teil einer Stadtmauer interpretierten, die die Salomonische Akropolis erstmals (!) mit dem älteren Siedlungskern auf dem Südosthügel verbunden habe (Eilat Mazar / Benjamin Mazar, 1989, 58), verschob Eilat Mazar die Datierung nach dem Tod von Benjamin Mazar um mindestens ein Jahrhundert ins späte 10. Jh. und schrieb das Stadttor schon Salomo zu (Eilat Mazar, 2006b, 784-785; 2011b, 68-71). Aber ihre Frühdatierung wurde selbst von Amihai Mazar (2006, 266) mit Skepsis aufgenommen. Schließlich fand sich unter dem ältesten Fußboden Keramik der Eisenzeit II B (Ussishkin, 2015, 141-142). Daher votierten Ussishkin (2006, 480) und Finkelstein (2012, 841-843) im Anschluss an Kenyon wieder für eine Datierung frühestens ins späte 8. Jh. v. Chr.

Kenyon-Mauer: Ein zweites Teilstück der östlichen Stadtmauer wurde 1961 von Kenyon etwa 150 m weiter südlich, auf halber Höhe des Abhanges, auf einer Felsbank knapp oberhalb der mittelbronzezeitlichen Stadtmauer, entdeckt und auf einer Länge von etwa 30 m freigelegt (s.o. Abb. 5). Es war in seinen obersten erhaltenen Lagen 5 m breit und talseitig noch bis zu 5 m hoch erhalten (Kenyon, 1974, 144-152; Steiner, 1990, 50-56; 2001, 89-91). 2010 stießen Reich und Shukron (2012, 39*) auf die südliche Fortsetzung derselben Mauer.

Talseitig der Mauer schloss sich ein 2-3 m breites Straßenpflaster an, das wiederum talseitig von einer 1 m breiten Mauer begrenzt wurde. Diese wurde von Kenyon zunächst als Relikt einer früheren eisenzeitlichen Stadtmauer interpretiert, von Steiner inzwischen aber überzeugend als Begrenzung eines talseitig vorgelagerten Wehrganges erklärt.

Während Kenyon (1974, 149) und Steiner (1990, 56) zunächst zu einer Datierung ins 7. Jh. v. Chr. neigten, sprach sich Steiner in ihrem abschließenden Bericht (2001, 91) ebenfalls für eine Datierung ins späte 8. Jh. v. Chr. aus.

Jerusalem 17

Shiloh-Mauer: Ein drittes Teilstück derselben Mauerlinie legte Shiloh 1982-1984 140 m weiter südlich in den Arealen D und E auf einer Länge von 80 m frei (Shiloh, 1984, 8-9.12-13.28; De Groot / Bernick-Greenberg, 2012b, 45-47; De Groot, 2012, 158-159). Dieses war stellenweise auf dem anstehenden Fels, stellenweise aber auch auf den Resten der mittelbronzezeitlichen Stadtmauer errichtet; es folgte, soweit noch erkennbar, deren Verlauf und weist zumindest in einem Teilabschnitt in Areal D feldseitig ebenfalls einen etwa 2,2 m breiten vorgelagerten Wehrgang auf (Shiloh, 1984, 9; De Groot / Bernick-Greenberg, 2012b, 136-137; De Groot, 2012, 158-159.161).

Reich-Shukron-Mauer: Ferner stießen Reich und Shukron seit 1995 (2003; 2008; Reich, 2011, 145.177-181) am Fuß des Abhanges im Kidrontal an drei Stellen überraschend auf eine zweite, parallel verlaufende zeitgleiche Stadtmauerlinie. Die beiden nördlichen Teilstücke konnten jeweils über 30 m verfolgt werden und stehen stellenweise noch bis zu 5 m hoch an. Zwar interpretierten die beiden Ausgräber diese Mauerlinie als eine jüngere Vorstadt zur Gewinnung neuer Siedlungsflächen, doch fand sich zwischen den beiden Stadtmauerlinien keine nennenswerte Bebauung. Vielmehr deuten die Grabungsbefunde im Gegenteil auf eine Aufgabe der Besiedlung zwischen den beiden Mauerlinien (Ariel / Lender, 2000 12-13; De Groot, 2012, 158.161-162). Daher ist anzunehmen, dass es sich entgegen der Ansicht von Reich und Shukron nicht um eine jüngere Vorstadt handelt. Vielmehr scheint die Stadt an ihrem östlichen Abhang zeitgleich mit einer doppelten Stadtmauer befestigt worden zu sein (Ben-Ami, 2014, 16-17), deren obere Linie auf der halben Höhe des Abhangs und deren untere Linie am Fuß desselben verlief.

6.3.3.2. Die Stadtmauer am Südwesthügel

Weitere Teilstücke des Stadtmauerringes südwestlich der Akropolis zeigen, dass der Mauerring nicht nur den Südosthügel, sondern auch den gesamten Südwesthügel umfasst haben muss (Wightman, 1993, 43-59; Geva, 2003b, 510-514.516-518; 2003c, 192-195).

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Avigad Areal A: 1969-1971 stieß Avigad (1983, 46-49; Avigad / Geva, 2000a, 45-58.81-82; Geva, 2003b, 511-513) in Areal A seiner Grabungen im nordwestlichen Jüdischen Viertel überraschend auf einen 6,4-7,2 m breiten Stadtmauerzug, der feldseitig noch über 4 m hoch ansteht, auf einer Länge von 65 m verfolgt werden konnte, in einem leicht konkaven Bogen von Nordost nach Südwest verläuft und sich schließlich nach Westen wendet. Dieser zunächst irritierend gekrümmte Verlauf erklärt sich aus dem nach Nordwesten leicht abfallenden Gelände und lässt an seiner südlichsten Stelle ein Stadttor vermuten.

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Aufgrund dieser Entdeckung stellte sich die Frage nach der weiteren Fortsetzung der Mauer nach Westen. Während Avigad (1970, 135) zunächst vermutete, das ummauerte Gebiet habe nur den östlichen Rand des Armenischen Viertels umfasst, weitete er seine Rekonstruktion der späteisenzeitlichen Stadt sukzessiv auf den gesamten Südwesthügel aus (1972, 195) und wagte gegen Kenyon (1974, 146) schließlich sogar die These, dass die Westmauer der späteisenzeitlichen Stadt am Rand des → Hinnomtales auf der Linie der heutigen Westmauer der Stadt verlief (1983, 54-60). Allerdings ließ der erste solide archäologische Nachweis für seine These noch lange auf sich warten (zur Forschungsgeschichte Geva, 2000b, 505-507.516-517).

Grabungen in und südlich der Zitadelle: Schon 1934-1939 und 1947-1948 hatte Johns umfangreiche Grabungen im Innenhof der Zitadelle unternommen. 1968-1969 fanden Nachgrabungen von Amiran und Eitan statt, die 1976-1980 von Geva und 1980-1988 von Sivan und Solar fortgeführt wurden. Dabei kam eine hasmonäische Stadtmauer zutage, die in einem Bogen von Nordost nach Südwest verläuft (siehe unten). Zwar schlug Geva (1979) vor, ältere Befunde aus den Grabungen von Johns an der Außenseite und von Amiran und Eitan an der Innenseite der Mauer als Relikte einer eisenzeitlichen Stadtmauer zu deuten, doch können seine spekulativen Erwägungen nicht überzeugen.

Schließlich stießen Solar und Sivan 1983-1984 im östlichen Graben der Zitadelle, südlich der Brücke zum Eingang derselben, auf einen Mauerzug, der den Graben in nordöstlich-südwestlicher Richtung quert und den sie vorsichtig als westliche Fortsetzung des von Avigad entdeckten Stadtmauerringes zu interpretieren erwogen (Solar / Sivan, 1984, 47-48; Sivan / Solar, 1994, 177).

Aber erst 2000-2001 legte Re’em unter der türkischen Kaserne (Kishle) südlich der Zitadelle östlich der heutigen Stadtmauer auf 15 m eine eisenzeitliche Stadtmauer frei, die noch 2,5-3,0 m hoch erhalten ist, parallel zur heutigen Stadtmauer nach Süden verläuft (Geva, 2008; Re’em, 2010) und trotz des noch ausstehenden abschließenden Grabungsberichts wohl als erstes gesichertes Teilstück der westlichen Stadtmauer gelten darf.

Grabungen am Südabhang des Südwesthügels: 1988 hatten Chen, Margalit und Pixner (1994, 80-81) an der südlichen Kante des Südwesthügels unter der hasmonäischen Stadtmauer einen älteren Mauerzug entdeckt, den sie in zwei Teilstücken auf über 20 m nach Südosten verfolgen konnten und demselben eisenzeitlichen Stadtmauerring zuwiesen, doch ist die Datierung der beiden Teilstücke nicht gesichert (Palmberger / Vieweger, 2015, 204-205).

Ebenso fand Zelinger 2007-2008 am südlichen Abhang des Südwesthügels unter der hasmonäischen Stadtmauer einen älteren Mauerzug von 3 m Breite, der bislang zwar nicht sicher datiert werden konnte, möglicherweise aber demselben Stadtmauerring zugehört (Zelinger, 2010, 105-106).

So können zwar nur zwei der fünf genannten möglichen Teilabschnitte der eisenzeitlichen Stadtmauer auf dem Südwesthügel (von Avigad im Jüdischen Viertel und von Re’em südlich der Zitadelle) als gesichert gelten, doch reichen sie aus, um deren Verlauf im Umfang der hasmonäischen „Ersten Mauer“ zuverlässig zu skizzieren.

6.3.3.3. Datierung

Die genaue Datierung sowohl der Streubesiedlung auf dem Südwesthügel als auch des neuen Stadtmauerringes ist umstritten, aber der Spielraum möglicher Datierungen ist eng begrenzt: Ausweislich der Keramik setzte die Streubesiedlung erst in der Eisenzeit II B ein. Diese begann erst Mitte des 8. Jh.s (Finkelstein, 2008, 501-505; gegen Faust, 2005, 106-109, und Na’aman, 2007, 24-27). Da die Streubesiedlung in Avigads Areal A vier Bauphasen aufwies, bevor die Stadtmauer errichtet wurde, kann der Bau der Stadtmauer erst einige Jahre oder Jahrzehnte nach Beginn der Eisenzeit II B begonnen haben. Da sich in den ausgedehnten Grabungen sowohl im Bereich der Streubesiedlung als auch im Bereich der Stadtmauer im Gegensatz zur späteren Bebauung derselben Areale kein einziger Henkel eines Vorratskruges mit lmlk-Stempelabdruck fand, müssen sowohl die Streubesiedlung als auch die Stadtmauer vor dem Aufkommen dieser Stempelabdrücke angesetzt werden. Da diese unter Hiskia im letzten Viertel des 8. Jh.s v. Chr. eingeführt wurden, um die Verwaltung der königlichen Güter zu verbessern und die Truppen angesichts der wachsenden neuassyrischen Bedrohung mit Proviant zu versorgen (Lipschits / Sergi / Koch, 2010; 2011), muss der Stadtmauerbau schon mehrere Jahre oder Jahrzehnte vor dem Ausbruch des Aufstands erfolgt sein (Avigad / Barkay, 2000; Shoham, 2000; Avigad / Geva, 2000a, 81-82; 2003b, 514-516).

Demnach dürfte die Streubesiedlung auf dem Südwesthügel schon unter Ahas eingesetzt haben und auf die Wirtschaftsblüte im neuassyrischen Horizont, vor allem aber auf Flüchtlinge aus den südlichen Regionen des 733 v. Chr. verkleinerten und 722/720 v. Chr. untergegangenen Nordreiches zurückzuführen sein (ebenso mit unterschiedlichen Akzentsetzungen Broshi, 1974; Geva, 2003b, 520-521; 2003c, 204-205; Finkelstein, 2008; Burke, 2012, 272-284). Und der Bau der Stadtmauer dürfte in den ersten Jahren oder Jahrzehnten unter Hiskia in Angriff genommen worden und als weitsichtige Vorbereitung für jenen Aufstand zu interpretieren sein, in den Hiskia nach seiner anfänglichen Zurückhaltung erst anlässlich des Todes Sargons II. und der Thronübernahme durch Sanherib 705 v. Chr. mit der Einstellung der Tributzahlungen eintrat.

Dieser chronologische Rahmen erweckt den Verdacht, dass sich Hiskia in den ersten Jahren seiner Herrschaft nur darum weder am Aufstand des Nordreiches 724-722 v. Chr. noch am Aufstand von Aschdod 713-711 v. Chr. beteiligt hat, weil er die Stadt für einen möglichen neuassyrischen Angriff noch nicht gerüstet glaubte, und er erst 705 v. Chr. den Aufstand wagte, weil der Bau der Stadtmauer zu diesem Zeitpunkt schon so weit vollendet war, dass er Chancen sah, einer neuassyrischen Belagerung nun standhalten zu können.

2Kön 22,14 und Zef 1,10 erwähnen in der letzten Phase der Stadt vor ihrer Zerstörung einen Stadtteil namens „Mischne“ (מִשְׁנֶה mišnæh). Zwar überliefern sie keine Angaben zu dessen Lage, doch berechtigen die Etymologie seines Namens „Zweiter“ und seine Erwähnungen ausschließlich in der späten Königszeit dazu, ihn mit dieser Stadterweiterung zu verbinden. Ebenso könnte sich Zef 1,11 mit dem Begriff „Maktesch“ (מַכְתֵּשׁ makhteš) angesichts seiner Etymologie „Mörser“ auf einen Stadtteil im Tyropoiontal beziehen.

6.3.4. Binnenbebauung nach Errichtung der Stadtmauer

Mit dem Bau der neuen Stadtmauer verdichtete sich die ehemals lockere Streusiedlung innerhalb des neuen Mauerringes zu einer zunehmend flächigen Besiedlung, während sie am östlichen Abhang zwischen den beiden neuen Mauern fast vollkommen ausdünnte.

Shiloh Areal E: So legte Shiloh 1979-1982 am östlichen Abhang oberhalb der neuen Mauer auf einer Strecke von über 70 m eine durchgehende Bebauung frei, die talseitig an die obere Stadtmauer anschloss. In Areal E fand er unmittelbar westlich der Stadtmauer ein Gebäude, das mit der Stadtmauer verfugt und folglich gemeinsam mit ihr errichtet worden war, sich auf drei Ebenen hangaufwärts zog und drei Substrata aufwies. Nördlich des Hauses verlief hangabwärts ein Abwasserkanal (s.o. Abb. 16), der innerhalb der Stadt auf 6,5 m freigelegt und auf 4,2 m in die Stadtmauer hinein verfolgt werden konnte. Sowohl südlich des Hauses als auch nördlich des Abwasserkanals folgten weitere Gebäude, deren Grundrisse wegen der engen Grabungsgrenzen nicht ermittelt werden konnten (De Groot / Bernick-Greenberg, 2012b, 45-63).

Nördlich der genannten Befunde fand sich ebenfalls in Areal E unmittelbar westlich der Stadtmauer ein stattlicheres Gebäude, das von Shiloh als „Pavement Building“ bezeichnet wurde, angesichts des nach Osten abfallenden Geländes ebenfalls auf zwei Ebenen errichtet und talseitig ebenfalls mit der Stadtmauer verfugt war (De Groot / Bernick-Greenberg, 2012b, 84-93). Nördlich desselben schloss ein deutlich einfacheres Gebäude mit kleinen Räumen und dünnen Wänden an (De Groot / Bernick-Greenberg, 2012b, 94-98).

6.3.5. Wasserversorgung

Das starke Wachstum der Bevölkerung, die Ausweitung des Stadtmauerringes nach Süden und Westen und die zunehmende militärische Bedrohung legten einen systematischen Ausbau der Wasserversorgung nahe.

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Kanal II: Der erste Schritt war die Verlängerung des vom Gihon nach Süden führenden Kanals II aus der Mittleren Bronzezeit. Dieser wurde spätestens unter Hiskia als Tunnel nach Süden verlängert und unter dem südöstlichen Sporn des Südosthügels hindurch geführt, wo er sich in einen Teich im Mündungsbereich des Tyropoiontales (arab. Birket el-Ḥamra) ergoss (Reich / Shukron, 2002; 2011c; Reich, 2011, 314-315). Dieser Teich wurde schon 1894-1897 von Bliss und Dickie in unterirdischen Schacht- und Stollengrabungen untersucht, in herodianischer Zeit als Siloah-Teich bezeichnet und trägt heute den arabischen Namen Birket el-Ḥamra (Bliss / Dickie, 1898, 96-126.325-327.334; Bieberstein / Bloedhorn, 1994, III 13-15).

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Absenkung des Warren-Stollens und Entdeckung des Warren-Schachts: Allerdings wurde dieser Ausbau offenkundig noch als unzureichend betrachtet, um die Wasserversorgung der Stadt auch im Belagerungsfall sicherstellen zu können. Daher wurde der von Warren entdeckte unterirdische bogenförmige Abstieg zum Gihon aus der Mittleren Bronzezeit wieder in Benutzung genommen und in seinem Niveau abgesenkt, um einen günstigeren Zugang zum Quellbecken der Mittleren Bronzezeit zu erhalten.

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Dabei stießen die Mineure überraschend auf den ebenfalls von Warren entdeckten und 12,5 m tiefen natürlichen Karstschacht (Reich / Shukron, 1999, 33; 2004, 216-217). Daraufhin müssen sie sich im Schacht bis an dessen Fuß abgeseilt und versucht haben, von dort aus die Quelle zu erreichen, denn Schlagspuren in den Tunneln IV und VI zwischen dem Schacht und der Quelle zeigen, dass die beiden Tunnel nicht von der Quelle nach Westen zum Fuß des Schachts, sondern umgekehrt vom Fuß des Schachts nach Osten zur Quelle getrieben wurden (Reich / Shukron, 2000a). Ferner ist zu beachten, dass die neuen eisenzeitlichen Kanäle, Tunnel und Stollen etwa 2,5 m tiefer als die mittelbronzezeitlichen Tunnel II und III liegen und zwei unterschiedliche Bauphasen repräsentieren. (Die folgende Rekonstruktion der relativen Chronologie folgt Grossberg, 2014. Allerdings hat er die Schlüsselfunktion von Kanal I übersehen.)

Bauphase A: Der Warren-Schacht als Brunnen: Zuerst wurde Tunnel VI ausweislich der Schlagspuren vom Fuß des Schachts nach Südosten geführt. Tunnel VII war ein blinder Suchstollen, der nach einer kurzen Strecke eingestellt wurde. Daraufhin wurde Tunnel IV nach Süden getrieben. Tunnel V war ein weiterer blinder Suchstollen, der zunächst von Tunnel IV aus nach Südwesten steigend angelegt, dann aber ebenfalls eingestellt wurde. Schließlich erreichten die Mineure mit Tunnel IV das runde Becken aus der Mittleren Bronzezeit. Dieser Durchbruch war nur möglich, wenn zuvor der mittelbronzezeitliche Tunnel III verschlossen und das runde Becken trocken gelegt wurde, sonst wären sie ertrunken, denn der neue Tunnel IV liegt 2,5 m unter dem Niveau von Kanal II und somit unter dem Wasserspiegel des runden Beckens. Zwar hätte man nun das Quellwasser durch Kanal II, Tunnel III, das runde Becken, Tunnel IV und den nordwestlichen Abschnitt von Tunnel VI bis an den Fuß des Warren-Schachts leiten und diesen als Brunnen nutzen können, doch scheint diese Möglichkeit nicht genutzt worden zu sein. Vielmehr wurde versucht, Tunnel VI direkt nach Osten zu führen, um die Quellhöhle zu erreichen. Allerdings lag das Niveau des Tunnels so tief, dass die Mineure beim Erreichen der Quellhöhle ebenfalls sofort ertrunken wären, wenn nicht zuvor eigens Kanal I angelegt worden wäre, um das Quellwasser auf einem möglichst niedrigen Niveau nach Südosten ins Kidrontal abzuleiten und den Wasserspiegel in der Quellhöhle so weit wie möglich abzusenken. Dadurch fiel zwar Tunnel II trocken, doch ermöglichte die Absenkung des Wasserspiegels in der Quellhöhle, Tunnel VI zu vollenden und das Wasser von der Quelle durch Tunnel VI an den Fuß des Warren-Schachts zu leiten. Danach musste Kanal I wieder geschlossen werden, denn nur durch diese Maßnahme stieg der Wasserspiegel in Tunnel VI wieder so weit an, dass der Warren-Schacht als Brunnen genutzt und sogar Kanal II wieder in Betrieb genommen werden konnte.

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Mit dieser neuen Wasserführung verloren der Tunnel III und das runde Becken aus der Mittleren Bronzezeit sowie die neu angelegten Tunnel IV und V ihre Funktion. Daher wurde die rechteckige vertiefte Plattform um das runde Becken (und vermutlich auch dieses selbst) 3 m hoch verfüllt und auf dieser Füllschicht ein einfaches Gebäude mit dünnen Mauern errichtet.

Die Füllschicht unter dem Gebäude umfasste etwa 250 m3 und enthielt etwa 6,5 t Keramik. Diese wurde von De Groot und Fadida (2011) in eine Spätphase der Eisenzeit II A im späten 9. Jh. datiert. Daher setzten Reich, Shukron (2011a) und Grossberg (2014) den Ausbau der Wasserversorgung schon im frühen 8. Jh. an. Doch wies Singer-Avitz (2012) darauf hin, dass die Füllschicht auch Keramik der frühen Eisenzeit II B enthielt und somit erst in die zweite Hälfte des 8. Jh.s datiert werden kann. Andererseits fand sich in der Masse der Keramik kein einziger lmlk-Stempelabdruck, weshalb die Verfüllung nicht erst am Ende des 8. Jh.s erfolgt sein dürfte.

Demnach wird nicht nur die Ausweitung des Stadtmauerringes, sondern auch der neue unterirdische Zugang zum Gihon, der die Ausweitung des Stadtmauerringes voraussetzt, vielleicht schon unter → Ahas, spätestens aber in den ersten Jahren der Herrschaft → Hiskias erfolgt sein, als die zunehmende Streubesiedlung auf dem Südost- und Südwesthügel einerseits und die steigende neuassyrische Bedrohung unter → Tiglatpileser III. und → Sargon II. andererseits einen umfassenden Ausbau der Verteidigungsanlagen Jerusalems nahelegten.

Bauphase B: Tunnel VIII: Allerdings scheint sich die Nutzung des Warren-Schachts als Brunnen nicht bewährt zu haben, denn er war eng, krumm und bot nur wenigen Menschen die Möglichkeit, zeitgleich Wasser zu schöpfen. Daher wurde in einer zweiten Bauphase der schon von Robinson, Warren, Parker und Vincent untersuchte 512,50 m lange gewundene Tunnel VIII von 0,55-0,65 m Breite und 1,45-5,08 m Höhe von Tunnel VI aus unter dem Südosthügel hindurch nach Südwesten geführt, um das Wasser des Gihon in zwei Teiche (arab. Birket Silwān und Birket el-Ḥamra) zu leiten, die innerhalb des Stadtmauerringes im unteren Tyropoiontal lagen und den Vorteil boten, auch nächtliche Schüttungen aufnehmen und Tieren als Tränke dienen zu können (Vincent, 1911, 16-24; 1912, 106-111.424-441; Vincent / Steve, 1954, 269-284.289-297; Bieberstein / Bloedhorn, 1994, III 181; Ariel / De Groot, 1996, 18-22; Reich, 2011, 184-205).

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Dieser Tunnel wurde in mehreren Bauphasen sowohl von der Quelle als auch von der Mündung aus geschlagen, wozu der Wasserspiegel in Tunnel VI wieder durch Kanal I abgesenkt werden musste. Wenn man an einem Arbeitstag von 10 Stunden einen durchschnittlichen Vortrieb von 15 cm ansetzt und bedenkt, dass der Tunnel von zwei Seiten aus zugleich geschlagen wurde, ergibt sich eine Bauzeit von knapp sechs Jahren. Seine Errichtung mit 2Kön 20,20; 2Chr 32,3-4.30; Sir 48,17 (Lutherbibel: Sir 48,19) auf Hiskia zurückzuführen, ist plausibel. Daher wird der Tunnel auch als „Hiskia-Tunnel“ bezeichnet. Doch könnte er auch erst unter Manasse (696-642 v. Chr.) angelegt oder zumindest vollendet und in der biblischen Retrospektive zu Unrecht seinem höher geschätzten Vater Hiskia zugeschrieben worden sein (Knauf, 2001).

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Eine hebräische Inschrift, die 1880 nur 6 m vor der Mündung des Tunnels in seiner östlichen Wand entdeckt wurde, dokumentiert den Durchbruch (Renz / Röllig, 1995, 178-189; Dobbs-Allsopp u.a., 499-506; Weippert, 2010, 328-329). Dabei muss irritieren, dass sie – nicht öffentlich – im Tunnel liegt und keinen Königsnamen nennt.

6.3.6. Biblische Retrospektiven

Hiskia ging in die biblische Geschichtsschreibung als außerordentlich positiv beurteilter Herrscher ein (2Kön 18-20; Jes 36-39; 2Chr 29-32; Sir 48,17-22 [Lutherbibel: Sir 48,19-25]), was sicher darin begründet liegt, dass Jerusalem – anders als das Nordreich Israel den neuassyrischen Angriff von 722 v. Chr. – die neuassyrische Bedrohung durch Sanherib 701 v. Chr. trotz schwerer Landverluste in der Schefela überstand.

Allerdings wird seine positive Bewertung in den → Königsbüchern nicht in seinem außenpolitischen Verhalten, sondern – wie in den Büchern der Könige üblich – allein mit seinem Kultverhalten begründet. So wird ihm in 2Kön 18,4 eine kleine Kultreform nachgesagt, und in der Tat weisen archäologische Befunde in → Arad und auf Tell es-Seba‘