Hagar
(erstellt: Februar 2014)
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1. Name
Die Bedeutung des Namens Hagar (hebr. הָגָר hāgār) ist unklar. Da der Name auch als Volksbezeichnung Hagriter (1Chr 5,10
2. Hagar im Alten Testament
Hagar kommt in der Bibel nur in der Genesis (Gen 16
2.1. Synchrone Perspektiven
2.1.1. In Gen 16
Die zweite Episode (Gen 21,8-21
Es ist aber Ismaels kindliches Spiel, das Sara an ihren Sohn Isaak erinnert und ihren Vertreibungswunsch begründet, mit dem sie Ismael als Miterben ausschließen will. Abraham stellt sich dagegen, wird aber durch ein Gotteswort dazu gebracht, auf Saras Stimme zu hören. Das Gotteswort macht deutlich, dass Israel seine Abrahamskindschaft über die Isaak-Linie begründen wird, aber dass auch Ismael Vater eines großen Volkes werden wird, weil er wie Isaak „Abrahams Same“ ist (Gen 21,12f
2.1.2. Seit der bahnbrechenden Arbeit von Phyllis Trible (1984) ist die Gestalt Hagars wieder deutlich ins Blickfeld (besonders der Exegetinnen) getreten (Fischer u.v.a.).
Im Hinblick auf ihren Status wird Hagar häufig unzutreffend als Konkubine oder Nebenfrau Abrahams bezeichnet. Der Begriff der Nebenfrau (פִּלֶגֶשׁ pilægæš) jedoch wird nie mit Hagar verbunden und אָמָה ’āmāh – heißt „Sklavin“, obwohl in den Lexika die Nebenbedeutung Konkubine immer noch tradiert wird. Hagars bleibender Sklavinnenstatus gegenüber Sara (so noch Gen 25,12
2.1.3. Ein in der christlichen Tradition verbreitetes Verständnis der Hagarepisoden geht von einem theologischen und sozialen Gegensatz zwischen Hagar / Ismael und Sara / Isaak aus (Kontrastmodell). Danach gilt allein Isaak als Kind der Verheißung, in dem die Segenslinie Gottes fortgeführt wird, Ismael dagegen nur als dunkler Schatten der Erwählung Isaaks: Er sei zwar Abrahams erstgeborener Sohn, aber als Ergebnis eines eigenmächtigen Versuches Abrahams und Saras, die Erfüllung der Verheißung zu erzwingen, in illegitimen Verhältnissen geboren, nach der Geburt Isaaks eine Bedrohung für diesen und daher auf Gottes Geheiß in die Wüste getrieben, weil er in Gottes Plan keine Rolle mehr spielt. Diese Lesart, nach der Hagar die Heilsgeschichte letztlich kompliziert, orientiert sich an der Auslegung des Paulus in Gal 4,21-31
2.2. Diachrone Perspektiven
Im Rahmen der Neueren Urkundenhypothese (→ Pentateuch
Die überlieferungsgeschichtliche These Gunkels, dass die Hagar-Ismael-Episoden Reste alter ismaelitischer Stammesüberlieferungen enthalten, ist heute zu Recht aufgegeben (Knauf). Das bedeutet auch, dass die mit Hagar und Ismael verbundene Heilstheologie kein ismaelitisches Erbe, sondern Ausdruck eines theologischen Gestaltungswillens in Israel ist. Denn mit der Not von Flucht und Vertreibung und der doppelten göttlichen Errettung gestaltet Israel am Geschick der Ägypterin Hagar zentrale Elemente der eigenen israelitischen Gotteserfahrung und Hoffnung (Naumann).
3. Hagar im Neuen Testament
Im Neuen Testament begegnet Hagar nur in Gal 4,21-31
Eine besondere crux interpretum stellt die seltsame Wendung Gal 4,25
Auf die facettenreiche Rezeption der Gestalt Hagars in Judentum, Christentum, Islam (Trible / Russel; Thompson), in der europäischen Malerei (Sellin, Exum), in Literatur und Musik bis hin zu Hagar als Emanzipationssymbol schwarzer nordamerikanischer Frauen am Ende des 19. Jh.s (Williams) sowie in gegenwärtigen befreiungstheologischen Kontexten und im interreligiösen Dialog kann hier nur verwiesen werden.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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2. Weitere Literatur
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Abbildungsverzeichnis
- Abraham, Sara und Hagar (Adriaen van der Werff; 1699).
- Hagar und der Engel (Giovanni Lanfranco; 1. Hälfte 17. Jh.).
- Sara schickt Hagar in die Wüste (Gen 21; Weltchronik des Rudolf von Ems; 13. Jh.).
- Sara und Abraham verstoßen Hagar und Ismael (Pieter Jozef Verhaghen; 1781).
- Der Engel erscheint Hagar und Ismael in der Wüste (Rembrandt; Anfang 1650er).
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