Deutsche Bibelgesellschaft

Schisma, morgenländisches

(erstellt: Februar 2022)

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1. Die zunehmende Bedeutung des orthodoxen Christentums

Schülerinnen und Schüler begegnen heute orthodoxen Christinnen und Christen eher als vielleicht noch die Generation ihrer Eltern oder Großeltern. Dies ist in erster Linie das Ergebnis von vier jüngeren Entwicklungen: Zum einen sind die mehrheitlich orthodoxen Länder Osteuropas seit den durch die friedlichen Revolutionen des Jahres 1989 ausgelösten Veränderungen wieder stärker in das Blickfeld der Menschen in Westeuropa geraten. Bei Urlaubsreisen oder als Teilnehmende an Austauschprogrammen erleben junge Menschen orthodoxes Christentum über Griechenland hinaus, das ihnen seit Jahrzehnten offenstand. Zum anderen nimmt wegen des mit diesem Wandel einhergehenden Falls des „Eisernen Vorhangs“ auch die Anzahl von orthodoxen Christinnen und Christen im deutschsprachigen Raum zu, weil sich diese verstärkt in Westeuropa niederlassen und zu Nachbarinnen und Nachbarn werden. Der Paderborner Ökumeniker (→ Ökumenische Bewegung) Johannes Oeldemann hat ihre Zahl im Jahr 2008 mit rund 1,3 Millionen Gläubigen angegeben (Oeldemann, 2006, 57). Ihre zahlenmäßige Stärke dürfte seitdem eher zugenommen haben. Mit ihnen steigt auch die Anzahl der orthodoxen Kirchengemeinden, Klöster (→ Mönchtum/Klosterleben) und Einrichtungen. Darüber hinaus befinden sich unter den Flüchtlingen und Asylsuchenden aus orientalischen (→ Migration), afrikanischen oder osteuropäischen Ländern neben Muslimen (→ Islam als Thema christlich verantworteter Bildung) oder altorientalischen gleichermaßen auch aus der byzantinischen Tradition. Ihre Integration in die → Gesellschaft stellt daher eine aktuelle Herausforderung dar – gerade auch für die Kirchen im deutschsprachigen Raum. Schließlich engagieren sich auf Grund ihrer gestiegenen Anzahl auch mehr orthodoxe Christinnen und Christen in den örtlichen wie überregionalen ökumenischen Initiativen. Beispielsweise haben beim jüngsten ökumenischen → Kirchentag vom 13. bis 16. Mai 2021 in Frankfurt am Main orthodoxe Geistliche ebenso selbstverständlich wie evangelische und katholische an der Liturgie mitgewirkt. Insofern ist die Wahrscheinlichkeit, dass junge Menschen heute auf orthodoxe Christinnen und Christen im Urlaub, im Alltag oder auch im Schulverbund treffen, größer geworden als in vergangenen Jahrzehnten. Vor diesem Hintergrund erscheint es spannend, im Religionsunterricht oder in anderen religionspädagogischen Kontexten die Frage zu erörtern, warum orthodoxe Christinnen und Christen einer eigenen Kirche(nfamilie) angehören und weshalb wir als Christinnen und Christen aus der lateinisch-westlichen Tradition in keiner Kirchen- und Sakramentengemeinschaft mit ihnen mehr stehen. Bei der didaktischen Reflexion dieser Anfrage ist die historische Durchleuchtung hilfreich, wann denn überhaupt die Kircheneinheit zwischen den Kirchen von Rom und Konstantinopel verloren gegangen ist. Eine ökumenische Perspektive kann dabei den eigenen Blickwinkel erweitern.

2. Die gegenseitige Aufhebung der Bannsprüche des Jahres 1054 im Jahr 1965

Am 7. Dezember 2025 wird es 60 Jahre her sein, dass Papst Paul VI. (1963-1978) während der Schlusssitzung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) und der ökumenische Patriarch Athenagoras I. (1948-1972) zeitgleich in Konstantinopel/Istanbul eine gemeinsame Erklärung verlesen ließen, in der sie die Bannsprüche aus dem Jahr 1054 aufhoben. Damit sollte eine erste Voraussetzung dafür geschaffen werden, „um die Kommuniongemeinschaft zwischen den Kirchen von Rom und Konstantinopel wiederherzustellen“ (Bayer, 2004, 1; zur theologischen Würdigung dieser Erklärungen aus katholischer Sicht vgl. Neuner, 2004, 186-195, aus orthodoxer Sicht Vletsis, 2004, 159-178). Der Verlust dieser Kirchen- und Sakramentengemeinschaft zwischen Rom und Konstantinopel wird in der (kirchen-)historischen Forschung traditionell als das „Morgenländische Schisma“ bezeichnet. Datiert wird es zumeist auf das Jahr 1054 (Nikolau, 2004,1; Neuner, 2004, 181). Diese Jahresangabe findet sich noch häufig in Schulbüchern (→ Schulbücher, aktuelle, evangelisch; Schulbücher, aktuelle, katholisch, Grundschule/Förderschule; Schulbücher, aktuelle, katholisch, Mittelstufe/Oberstufe) und Lehrplänen (→ Lehrplan).

3. Das Auseinanderleben von Ost und West als ein längerer historischer Prozess

Gegenüber dieser Fixierung auf das Jahr 1054 hat sich in jüngeren akademischen Arbeiten jedoch die Meinung verfestigt, das Auseinanderleben zwischen der lateinisch-sprachigen Kirche des Westens und der griechisch-sprachigen Kirche des Ostens als einen längeren Prozess zu begreifen (Pahlitzsch, 2002, 25-27), weswegen verschiedene Daten für die Feststellung des tatsächlichen Verlustes der Kircheneinheit zwischen Rom und Konstantinopel vorgeschlagen worden sind (zum Forschungsstand vgl. Bayer, 2004, 2-6). Die Antwort auf diese Frage hängt letztlich davon ab, was für einen Vorgang man als die konkrete Aufhebung der Kirchengemeinschaft ansieht.

4. Die Definition von „Schisma“

Der Apostel Paulus (→ Paulus, bibeldidaktisch, Grundschule; Paulus, bibeldidaktisch, Sekundarstufe) gebraucht den Begriff eines „Schismas“ in 1Kor 1,10, wenn er dazu aufruft, in der Gemeinde von Korinth keine „Spaltungen“ zu dulden (kai mē ē en hymin schismata). In den synoptischen Evangelien wird beispielsweise in Joh 7,43 erzählt, dass es wegen Jesus „Spaltungen“ im Volk gegeben habe (schisma oun egeneto en tō ochlō di‘auton). Im Sinne dieses biblischen Sprachgebrauchs wird unter einem Schisma der Verlust der Gemeinschaft verstanden (Löhr, 1999, 129-130). Prägend für die lateinische Theologie wurde dabei die Definition des → Augustinus von Hippo († 430), der am Ende des 4. Jh. in seiner Schrift „De Fide et Symbolo“ zwischen „Häretikern“ (haeretici) und „Schismatikern“ (schismatici) unterschied. In dieser Schrift definierte der nordafrikanische Theologe, dass die Häretiker falsch über Gott dächten (haeretici de deo falsa sentiendo ipsam fidem uiolant), während die Schismatiker „sich mit unberechtigten Spaltungen von der brüderlichen Liebe“ getrennt hätten, „obwohl sie die Dinge glauben, die auch wir glauben“ (schismatici autem discissionibus iniquis a fraterna caritate dissiliunt, quamuis ea credant quae credimus) (Aug. fid. et symb. [Zycha] 21,14-17 [CSEL 41]). Ein „Schisma“ lag demnach vor, wenn zwar eine Übereinstimmung im Glauben fortbestand, es aus anderen Gründen aber zu einer Aufhebung der Kirchengemeinschaft gekommen ist. Weil jedoch die Übergänge zwischen den beiden Begriffsbestimmungen des Augustinus († 430) mit Blick auf die → Kirchengeschichte fließend sind, hat Winrich Löhr vorgeschlagen, in einem kirchenhistorischen Sinn dann von einem „Schisma“ zu sprechen, wenn entweder (1.) an einem konkreten Ort zwei Bischöfe in getrennten Kirchenstrukturen residierten, weil sich seit dem zweiten Jahrhundert in der allgemeinen oder katholischen Kirche der Grundsatz durchgesetzt habe, es dürfe in einer Gemeinde nur einen einzigen Bischof geben (z.B. 1Clem [Fischer] 42,4-6; Ign. Magn. [Fischer] 6,1) (Löhr, 1999, 132); oder aber wenn (2.) zwei Bischöfe von verschiedenen Ortskirchen „ihren Dissens durch gegenseitige Exkommunikationen“ manifestierten (Löhr, 1999, 132).

5. Die formale Feststellung eines Schismas zwischen den Kirchen von Rom und Konstantinopel

5.1. Die Streichung des römischen Papstes aus den Diptychen der Kirche von Konstantinopel im Jahr 1009

Wendet man den letzteren Definitionsvorschlag an, dann könnte die Aufhebung der Gemeinschaft (communio/koinōnia) zwischen den Kirchen von Rom und Konstantinopel an dem Jahr 1009 festgemacht werden, da zu diesem Zeitpunkt der römische Papst Sergius IV. (1009-1012) aus den Diptychen der Kirche von Konstantinopel gestrichen worden zu sein scheint (zur Diskussion vgl. Bayer, 2004, 36-41). Als Grund hierfür gibt eine griechische Quelle aus dem 14. Jahrhundert, eine Abschrift der Abhandlung des Chartophylax Niketas über die Ursachen der zwischen den beiden Kirchen aufgekommenen Schismata, an, dass der römische Papst in das Glaubensbekenntnis, welches er zur Anzeige seiner Wahl zum Bischof von Rom an seinen Amtsbruder in der Stadt am Bosporus übersandte, den Zusatz aufgenommen habe, dass der Hl. Geist „aus dem Vater und dem Sohn“ (ex Patre Filioque) hervorgehe (Bayer, 2004, 37; zur Kritik an dieser späten Quelle vgl. aber auch die Diskussion bei Gemeinhardt, 2002, 316-321). Weil dieses Bekenntnis insofern nicht mehr mit dem überlieferten Glaubensbekenntnis der Kirche, dem so genannten Nicaeno-Constantinopolitanum, übereingestimmt habe, habe eine Synode in Konstantinopel dem neuen Papst die communio verweigert (Bayer, 2004, 41). Diese Sichtweise wird noch heute von griechisch-orthodoxer Seite vertreten (Runciman, 1955, 159), allerdings nach Einschätzung des Münchner orthodoxen Theologen Athanasios Vletsis eher als ein „Vorbote“ des eigentlichen Schismas verstanden (Vletsis, 2004, 161-162).

5.2. Die gegenseitigen Bannsprüche des Jahres 1054

Unter die gleiche Definition fallen auch die Exkommunikationen, die im Jahr 1054 wechselseitig ausgesprochen worden sind. Auf der einen Seite schloss der päpstliche Gesandte Humbert von Silva Candida († 1061) am 16. Juli 1054 in der östlichen Kaiserstadt den Patriarchen Michael Kerullarios (1043-1058), den Bischof Leon von Ochrid († 1056) und ihre Anhänger aus der Gemeinschaft der katholischen Kirche aus (Text bei Will, 1963, 153-154) – unter anderem deshalb, weil diese das Filioque aus dem Glaubensbekenntnis gestrichen hätten (sicut Pneumatomachi vel Theumachi absciderunt a symbolo Spiritus sancti processionem a Filio; Text nach Will, 1963,153,14-16; zur Diskussion vgl. Bayer, 2004, 96-98). Die Stadt, das Kaiserpaar und die Bevölkerung von Konstantinopel bezeichnete das römische Schreiben hingegen als "christianissima et orthodoxa" (Text nach Will, 1963, 153). Auf der anderen Seite reagierte der ökumenische Patriarch auf diese Herausforderung damit, dass er eine lokale Synode in Konstantinopel einberief, welche am 21. Juli 1054 beschloss (Text bei Will, 1963, 155-168), dass umgekehrt diejenigen anathematisiert werden sollten, welche das westliche Schreiben aufgesetzt oder veranlasst hätten (auto te to asebes eggraphon, kai hoi toutou ekthemenoi kai ē gnōmēn eis tēn toutou poiēsin dedōkites ē autois tois poiēsasi sunaramenoi epi parousia tōn pros basileōs apestalmenōn en tō megalō sekretō anathemati hypeblēthēsan; Will, 1963, 167, 20-26). Die Bedeutung der beiden Banndokumente wird in der historischen Forschung unterschiedlich beurteilt: Auf der einen Seite betont Axel Bayer, dass sich „die Bannsprüche von 1054 […] nicht gegen den jeweils anderen Teil der Christenheit [gerichtet hätten], sondern nur gegen eine definierte Gruppe von Personen. Ein Bruch zwischen den Kirchen [sei] nicht intendiert“ gewesen (Bayer, 2004, 104; ebenso Denzler, 1969, 44; Beck, 1980, D147; Neuner, 2004, 181). Auf der anderen Seite meint Franz Tinnefeld, dass in den „gegenseitigen Beschuldigungen“ eine „faktische Trennung der Kirchen […] deutlich werde“. Man könne deshalb „den Konflikt nicht einfach auf Papst und Patriarch beschränken“ (Tinnefeld, 2004,12). Die Vorkommnisse in einen größeren Zusammenhang einordnend, hat der englische Gelehrte Steven Runciman festgehalten, die Auseinandersetzungen seien zwar „an ugly and bitter episode in ecclesiastical history,“ allerdings „neither the first nor the last episode in the sorry story“ (Runciman, 1955, 159) – zumal in der Forschung die Frage aufgeworfen worden ist, ob die römische Exkommunikation überhaupt gültig erfolgt sei, weil die westlichen Gesandten nach dem Tod des Papstes kein Recht mehr gehabt hätten, in dessen Namen zu handeln (Runciman, 1955, 45-46; Neuner, 2004, 181-182). Die erstere Einschätzung, dass es sich bei den beiden Schreiben des Jahres 1054 nicht um die Aufhebung der Kirchengemeinschaften, sondern um Exkommunikationen gegen einen bestimmten Personenkreis gehandelt habe, erhärtet sich durch drei weitere Beobachtungen: Erstens richtet sich das Konstantinopolitaner Anathema nicht gegen den Bischof von Rom (Bayer, 2004, 101; Denzler, 1969, 42-44). Zweitens bestätige der griechische Patriarch von Antiochia, Petrus III. jüngst in diesem Jahr die Communio zwischen den Kirchen von Rom und Konstantinopel (Chadwick, 2003, 214). Drittens betrieben die römischen Päpste auch nach 1054 eine aktive Ostpolitik betrieben, was nach Ansicht jüngerer Arbeiten gegen die allgemeine Anerkennung eines Verlustes der Kirchengemeinschaft spreche (Bayer, 2004, 109). Schließlich wird darauf hingewiesen, dass sich die lateinischen normannischen Eroberer in Süditalien entweder selbst griechischen Bischöfen oder deren Gemeinden lateinischen Bischöfen unterstellt hätten, eine Gemeinschaft zwischen lateinischen wie griechischen Christinnen und Christen also noch möglich gewesen sei (Suttner, 2016, 113).

5.3. Zwei temporäre Schismata zwischen Rom und Konstantinopel im ersten Jahrtausend

5.3.1. Das so genannte „Akakianische Schisma“ (484-518)

In der Tat kennt die Kirchengeschichte des ersten christlichen Jahrtausends mindestens zwei weitere zeitlich beschränkte Aufhebungen der Kirchengemeinschaft zwischen den Bischöfen von Rom und Konstantinopel, die, wie diejenige des Jahres 1054, zuerst vom Apostolischen Stuhl von Rom ausgegangen sind: Zum einen während der Auseinandersetzung zwischen Papst Felix II. (483-492) und Patriarch Akakios (471-489) hinsichtlich der Rechtgläubigkeit des so genannten Henotikons, einer Einigungsformel, welche der (ost-)römische Kaiser Zenon (474-491) im Jahr 482 publizierte, um die Befürworter wie die Gegner der christologischen Formel des Konzils von Chalcedon (451) miteinander zu versöhnen (Lange, 2012, 202-271). Dieses Schisma dauerte bis zur Wiederaufnahme der Kirchengemeinschaft durch Kaiser Justinus (518-527) im Jahr 518 an (Lange, 2012, 263-271) und wird in historischen Darstellungen häufig als das „Akakianische Schisma“ bezeichnet, obwohl es nach den Worten des Salzburger Kirchenhistorikers Dietmar Winkler „ebenso richtig als das Schisma des Papstes Felix bezeichnet werden“ könnte (Winkler, 1997, 127). Der Grund für diese Einschätzung liegt darin, dass Papst Felix II. auf einer Synode in Rom im Jahr 484 den Patriarchen Akakios von Konstantinopel exkommuniziert hat (nec Romanae, id est apostolicae sedis, qua se ipse priuauit, communione iam gaudet, quando Petri Eutychianistae socius et susceptor apparens damnationis eius se participem indicauit; Schwartz, 1934, 77,8-10).

5.3.2. Das so genannte „Photianische Schisma“ (863-869/870)

Zum anderen führten die Streitigkeiten um den Konstantinopolitaner Patriarchen Photius (858-867 und 878-886) zu einem Verlust der Kircheneinheit zwischen den Kirchen von Rom und Konstantinopel, als der römische Papst Nicolaus I. (858-867) nach einigen Verwirrungen die Erhebung des Photius zum Patriarchen von Konstantinopel nicht anerkannte (Runciman,1955, 20-27; Beck, 1980, D103; Gemeinhardt, 2002, 168-244), weshalb er ihm auf einer Synode in Rom im Jahre 863 die communio verweigerte und all seine priesterlichen Ämter absprach (uel si ulterius ausus fuerit aliquid de sacro ministerio more sacerdotis contingere iuxta praecedentem consuetudinem, nullo modo liceat ei communionis spem aut locum habere satisfactionis, sed anathematis vel vinculis innodatus una cum communicatoribus suis atque fautoribus […]; Text nach Hartmann, 1998, 143,19-22; vgl. auch Gemeinhardt, 2002, 177-178). Patriarch Photius scheint sich auf einer Synode in Konstantinopel im Jahr 867 mit der Erklärung des Anathemas gegen den römischen Papst revanchiert zu haben (Beck, 1980, D105; Gemeinhardt, 2002, 199). Die Koinōnia zwischen den beiden Kirchen wurde auf einer Synode im Jahr 869-870 in der Kaiserstadt am Bosporus wiederhergestellt (Beck, 1980, D108-109; Gemeinhardt, 2002, 227-244; Schatz, 2008, 94-100) und auch Photius spätestens auf einer Synode in den Jahren 879/880 mit Rom ausgesöhnt (Dvornik, 1948, 159-201; Dvornik, 1974, 30; Beck, 1980, D112-113; Gemeinhardt, 2002, 258). In beiden Fällen erwiesen sich demnach die gegenseitigen Aufkündigungen der Gemeinschaft also als zeitlich befristet, weil sie auf konkrete Personen begrenzt waren – so, wie es auch die Bannsprüche des Jahres 1054 waren (Bayer, 2004, 104).

5.4. Das Jahr 1204 als „Beginn“ oder „Vervollständigung“ des Schismas

Angesichts dieser historischen Beurteilungen wird daher heute eher das erste Argument der dauerhaften Etablierung zweier Bischöfe für ein und dieselbe Stadt herangezogen, um ein Schisma zwischen Rom und Konstantinopel festzumachen. Es wird deshalb folgerichtig auf das Jahr 1204 verwiesen, in dem lateinische Kreuzfahrer die östliche Kaiserstadt eroberten (zum historischen Verlauf vgl. Mayer, 1995, 172-188; Lilje, 2004, 157-180) und mit dem Venezianer Tommaso Morosini (1204-1211) an Stelle des griechischen Patriarchen Johannes X. (1198-1206) eine eigene und parallele lateinische Patriarchenlinie etablierten (Mayer, 1995, 181), da sich der griechische Patriarch, ebenso wie der Kaiser, in das Exil zurückzog (Oeldemann, 2006, 37). Aus diesem Grund wird das Jahr 1204 von östlicher Seite sowohl als der Beginn (Larentzakis, 2000, 22; Oeldemann, 2006, 37) als auch als die „Vervollständigung“ eines Schismas zwischen den Kirchen von Rom und Konstantinopel angesehen (Nikolau, 2004, 88-91). Es gilt als „das eigentliche Schisma“ (Nikolau, 2004, 91), weil die lateinischen Kreuzfahrer durch die Einrichtung einer eigenen lateinischen Hierarchie in Konstantinopel endgültig die „vollständige Spaltung und Aufhebung der Kirchengemeinschaft zwischen den vier östlichen Patriarchaten und dem Patriarchat von Rom“ zu einem Abschluss brachten (Nikolau, 2004, 91). Die Lateiner hätten damit begonnen, als sie während des ersten Kreuzzuges (1096-1099) die griechischen Patriarchen Johannes V. von Antiochia (1098) (Bayer, 2004, 169-174; Nikolau, 2004, 87; Suttner, 2016, 113-114;) und Simeon II. von Jerusalem (1099) von ihren Bischofsitzen vertrieben und sie durch Lateiner ersetzt hatten (Pahlitzsch, 2001, 79-100; Bayer, 2004, 174-175; Nikolau, 2004, 87). Damit aber habe, so legt es der orthodoxe Theologe Theodor Nikolau dar, der Apostolische Stuhl seinen „angeblichen Jurisdiktionsprimat des Papstes“ auch der Ostkirche „faktisch aufgezwungen“, was als ein „Schisma“ zu werten sei (Nikolau, 2004, 91). Wie in den lateinischen Kreuzfahrerstaaten von Antiochia und Jerusalem, ging mit der Vertreibung der griechischen Bischöfe die Unterstellung griechisch-orthodoxer Christinnen und Christen unter eine lateinische Hierarchie einher, deren praktische Fragen verschiedene westliche Konzilien – u.a. das vierte im Lateran (1215) (DH Nr. 810) oder das erste Konzil von Lyon (1245) – beschäftigten (DH Nr. 830). Angesichts dieser Anmerkungen aus der Orthodoxie hat das Jahr 1204 aus einer ökumenischen Perspektive heraus mehr Berechtigung, als Begründung eines dauerhaften Schismas zwischen den Kirchen von Rom und Konstantinopel angesehen zu werden, als das Jahr 1054 (Bayer, 2004, 210; siehe auch Larentzakis, 2000, 22; Nikolau, 2004, 90-91); denn auch wenn, nach der Rückeroberung der Kaiserstadt durch die (Ost-)Römer (1261), auf den Konzilien von Lyon (1274) und Ferrara-Florenz (1431-1449) noch einmal temporäre Kirchenunionen zwischen Rom und Konstantinopel erzielt worden sind (Schatz, 2008, 114-118;153-158), hat Ernst-Christoph Suttner darauf hingewiesen, dass es die römische Congregatio de Propaganda fide war, die allen lateinischen Christinnen und Christen im Jahr 1729 eine Eucharistie- und Sakramentengemeinschaft mit orthodoxen Christinnen und Christen außerhalb der Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl von Rom untersagt hat (Suttner, 2016, 119). Dieser Erklärung zogen die orthodoxen Bischöfe Cyrillus von Konstantinopel, Matthaeus von Alexandria und Parthenius von Jerusalem im Jahr 1755 nach, indem sie erklärten, dass sie lateinische Christinnen und Christen als Ungetaufte betrachteten (hos ananierous kai abaptistous dechometha [Mansi 38, 617-621, hier: 619b]), d.h. sie sprachen der lateinischen Kirche die Fähigkeit ab, vollgültige Sakramente zu spenden (Suttner, 2015, 120). Vor diesem Hintergrund hat erst das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) für die katholische Kirche lehramtlich festgestellt, dass die orthodoxen Kirchen „trotz ihrer Trennung wahre Sakramente besitzen, vor allem aber in der Kraft der apostolischen Sukzession das Priestertum und die Eucharistie, wodurch sie in ganz enger Verwandtschaft bis heute mit uns verbunden sind, [weshalb] eine gewisse Gottesdienstgemeinschaft unter gegebenen geeigneten Umständen mit Billigung der kirchlichen Autorität nicht nur möglich, sondern auch ratsam“ (Unitatis Redintegratio 15) sei.

6. Das „Morgenländische Schisma“: Ein Plädoyer für eine ökumenische Perspektive

Eine Herausforderung bleibt indes in Bezug auf die Bezeichnung eines „Morgenländischen Schismas“ bestehen. Wenn man nämlich die dauerhafte Etablierung zweier Bischofslinien in ein und derselben Stadt auf dem Gebiet eines der fünf reichskirchlichen Patriarchate – also Rom, Konstantinopel, Alexandria, Antiochia oder Jerusalem (zur so genannten Pentarchie vgl. Gahbauer, 1993, 71-74; die Idee der fünf besonderen Bischofsitze hat Kaiser Justinianus I. (527-565) in der Novelle 123 [Schöll, 1895 CXXIII, 3] zum Reichsgesetz für das Imperium erhoben; vgl. Bayer, 2004, 11) – als Bestimmung des Begriffs Schisma heranzieht, dann müsste der Terminus „morgenländisch“ neu hinterfragt werden. Denn zum einen hat der (ost-)römische Kaiser Justinianus I. (527-565) bereits nach der Synode von Konstantinopel (536) die anti-chalcedonensischen Bischöfe von Antiochia, Severus († 538), und Alexandria, Theodosius († 566), ab- und durch pro-chalcedonensische Nachfolger ersetzt (Evagr. [Hübner] h.e. IV,11 [FC 57/2]). Dadurch entstanden erstmals an dem Sitz eines der fünf reichskirchlichen Patriarchate zwei dauerhafte und voneinander getrennte Patriarchenlinien (zum Prozess vgl. Hage, 2007, 36; Lange, 2012, 339-364). Damit liegen in diesem Fall gleichermaßen die Voraussetzungen für ein „Schisma“ vor – auch wenn es zu dieser Spaltung auf Grund einer unterschiedlichen Auffassung über den Christusglauben und die Rezeption des vierten ökumenischen Konzils von Chalcedon (451) gekommen ist (Grillmeier, 1991, 107-375). Sie betrifft heute in Antiochia, Alexandria und Jerusalem die syrisch-orthodoxe Kirche, die koptisch-orthodoxe Kirche und die armenische apostolische Kirche (Lange, 2012, 360-361). Ebenso sind in Antiochia (1098) wie in Jerusalem (1099) dauerhaft zwei parallele Patriarchenlinien etabliert worden, als die lateinischen Kreuzfahrer die griechischen Amtsinhaber von ihren Sitzen vertrieben (Bayer, 2004, 168-175). Weil aber sowohl Antiochia, Alexandria als auch Jerusalem unzweifelhaft im „Morgenland“ liegen, würden diese „Schismata“ gleichermaßen das Label „morgenländisch“ verdienen, wie es die historische Konvention dem Schisma zwischen den Kirchen von Rom und Konstantinopel verleiht. Aus einer ökumenischen Perspektive wäre es deshalb vielleicht angebrachter, entweder von den „Morgenländischen Schismata“ im Plural zu sprechen oder das „Morgenländische Schisma“ im Singular als einen längeren historischen Prozess anzusehen, der im sechsten Jahrhundert seinen Anfang genommen, sich im elften Jahrhundert verstärkt und im 13. Jahrhundert seinen traurigen Höhepunkt gefunden hat.

7. Das Auseinanderleben von Ost und West: Religionspädagogische Zugangsmöglichkeiten

Es bieten sich verschiedene Zugänge an, um das oder die Morgenländische/n Schisma/ta didaktisch zu reflektieren. Einen Weg können dabei (1.) Kunst (→ Kunst, kirchengeschichtsdidaktisch) und Kultur darstellen, indem beispielsweise anhand von konkreten Einzelbeispielen über die Bedeutung von Ikonen oder Ikonostasen in orthodoxen Kirchen gesprochen und auf diese Weise in das Thema des Auseinanderlebens und der unterschiedlichen Traditionen zwischen Ost und West eingeführt wird. Orthodoxe Kirchengebäude (→ Kirchenraumpädagogik) eröffnen, wenn dies örtlich möglich ist, (2.) darüber hinaus die Möglichkeit einer originären Begegnung, wobei den Schülerinnen und Schülern in einem Gotteshaus aus der byzantinischen Tradition die Vielschichtigkeit der christlichen Traditionen vor Ort, nämlich in ihrer Heimat, in ihrer Lebenswirklichkeit, aufgezeigt wird. Die (3.) Behandlung des Kirchenjahrs, der verschiedenen Heiligen und der liturgischen Feste führt vielleicht ebenso zum Thema hin, wenn sich die Lerngruppe erarbeitet, weshalb etwa Teile der byzantinischen Tradition am julianischen Kalender festhalten (→ Kalenderrechnung, christliche), was zur Folge hat, dass zum Beispiel die russisch-orthodoxe oder die rumänisch-orthodoxe Kirche das Fest der Geburt des Herrn 13 Tage nach den westlichen Christinnen und Christen begehen; oder warum es den christlichen Kirchen bisher nicht gelungen ist, sich auf einen gemeinsamen Termin für das Osterfest zu verständigen. Neue Medien lassen sich (4.) insofern einbringen, als es inzwischen didaktische wertvolle Filmbeiträge von unterschiedlicher Länge etwa zur Grabeskirche in Jerusalem oder zum Oster- und Pfingstfest in der Heiligen Stadt gibt (→ Film, kirchengeschichtsdidaktisch). (5.) Aus aktuellem Anlass bietet es sich in der Diskussion ethischer Fragestellungen (→ Ethische Bildung und Erziehung) oder des kirchlichen Grundauftrags der Diakonia (→ Diakonisches Lernen, evangelisch) ebenso an, die Herausforderung der Kirchenspaltung zu behandeln, da sich unter den Flüchtlingen und Asylsuchenden – etwa aus der Ukraine – orthodoxe Christinnen und Christen befinden. Schließlich kann (6.) der Verlust der Kircheneinheit zwischen Ost und West in den Kontexten der innerchristlichen Ökumene oder der interreligiösen Diskurse (→ interreligiöses Lernen) angesprochen werden. Der 70. Jahrestag der Veröffentlichung des Ökumenismusdekretes des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) Unitatis Redintegratio am 21. November 2024 mag hierzu sogar einen Anlass für einen eigenen Studientag oder eine ökumenische Woche geben – gerade dann, wenn die ökumenischen Herausforderungen in einem → konfessionell-kooperativen Religionsunterricht behandelt werden.

Literaturverzeichnis

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