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Musik, Islam

Schlagworte: Music, Islam (engl.)

(erstellt: März 2024)

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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.400029

1. Musik in den Quellen des Islams

1.1. Begriffsbestimmung

Der Islam als Weltreligion umfasst eine Vielzahl an Regionen, Sprachen und lokalen Traditionen. Bei dem hier zugrunde liegenden Gegenstand wird der Islam nicht nur als → Religion, sondern allgemeiner im Sinne von islamischer Kultur verstanden.

Die Kultur der islamischen Welt ist in ihrem Begriff von und der Einstellung zu → Musik nicht homogen. Denn Musik im Islam ist nicht automatisch auch islamisch, d.h. religiös konnotiert oder legitimiert. Und umgekehrt: Das, was wir als genuin religiöse Musik im Islam bezeichnen, also vor allem die Koranrezitation (qirāʾa) und der Ruf zum Gebet (āḏān) sowie religiöse Hymnen (z.B. mawlid, naʿt) zu verschiedenen Anlässen, wird von Muslimen nicht als Musik (ġināʾ, ‚Gesang‘) bezeichnet, auch wenn diese Ausdrucksformen teilweise oder ganz den Regeln der maqām- (arab.), makam- (türk.) oder – im Iran – der dastgāh-Musik gehorchen können. Diese terminologische Unterscheidung zielt darauf ab, legitimierte Musikformen (ritueller oder Gebrauchsmusik) von weniger legitimierten (rein sinnlichen oder zu unreligiösem Verhalten animierenden) zu unterscheiden. Neben den beiden Hauptkonfessionen sunnitisch und schiitisch existieren eine Vielzahl muslimischer Glaubensgruppen sowie die mystischen Orden, jeweils mit eigenen musikalischen Konventionen und Traditionen. Zudem differieren innerhalb des Sunnitentums vier Rechtsschulen. Durch die Geschichte hindurch begründen einzelne Theologen höchst unterschiedlich ihre Einstellung zur Musik, jedoch immer auf der Grundlage der Quellen des Islams, dem → Koran und der Überlieferung der Aussagen und Taten Muḥammads, der Prophetentradition (sunna bzw. als Textkorpus ḥadīṯ).

1.2. Musik im Koran

Das arabische Wort, das für Musik benutzt wird, ġināʾ, „Gesang“, kommt im Koran nicht vor. Theologische Diskussionen zur Frage, ob und welche Musik im Islam legitim sei (z.B. bezüglich des Musikhörens mystischer Orden, samāʿ), beziehen sich auf Textstellen im Koran, die mit dem Verb lahā, yalhū für „sich zerstreuen, sich unterhalten, spielen, tändeln, sich die Zeit vertreiben“ und dem zugehörigen Verbalsubstantiv lahw, „Zerstreuung“, insbesondere jedoch im vierten Verbalstamm alhā, yulhī für „ablenken, abhalten von etw.“ zusammenhängen. So z.B.

K 6.70: „Und laß diejenigen, die mit ihrer Religion ihr Spiel treiben und sie als Zerstreuung betrachten, und die vom diesseitigen Leben betört sind! […].“ (Paret, 2007, Hervorhebung hier und im Folgenden nicht im Original)

„Kümmere dich nicht um jene, die ihre Religion als Zeitvertreib und Spiel betrachten und die das Leben hier auf Erden betörte! […]“ (Bobzin, 2022)

K 31.6: „Unter den Menschen gibt es auch (manch) einen, der (gegen ernste Gespräche über Glaubensfragen) leichteUnterhaltung einhandelt (wörtl. kauft), um in (seinem) Unverstand (seine Mitmenschen) vom Weg Gottes abirren zu lassen und seinen Spott damit zu treiben.“ (Paret, 2007).
„Manch einer kauft leichtfertiges Gerede ein, um, ohne rechtes Wissen, vom Wege Gottes abzubringen oder über ihn zu spotten. Für diese ist erniedrigende Strafe bestimmt!“ (Bobzin, 2022).

K 62.11: „Wenn die Leute Handelsware oder (sonst irgend)eine Ablenkung (zu) sehen (bekommen), laufen sie hin und lassen dich stehen. Sag: Was bei Gott (als Lohn für euch) bereitsteht, ist besser als die Ablenkung und die Handelsware. Gott kann am besten bescheren.“ (Paret, 2007).
„Und wenn sie Handel sehen oder Zeitvertreib, dann laufen sie dem nach und lassen dich stehn. Sprich: ‚Was bei Gott ist, das ist besser als Zeitvertreib und Handel.‘ Gott ist der Beste derer, die bescheren.“ (Bobzin, 2022).

K 63.9: „Ihr Gläubigen! Laßt euch nicht durch euer Vermögen und eure Kinder davon ablenken, Gottes zu gedenken! Diejenigen, die das tun, haben (letzten Endes) den Schaden.“ (Paret, 2007).

„O ihr, die ihr glaubt! Eure Reichtümer und eure Kinder sollen euch nicht vergessen lassen, Gottes zu gedenken. Doch die solches tun, sind die Verlierer!“ (Bobzin, 2022).

Alle weiteren Stellen sind: K 102.1, 24.37, 15.3, 80.10, 6.32, 29.64, 47.36, 57.20, 7.51, 21.17, 21.3.

Die Verbalableitungen von lahw werden sowohl in den sunnitischen als auch in den schiitischen und sufischen exegetischen Werken (tafāsīr, Singular tafsīr) als Zeitvertreib im Sinne von Ablenkung von oder Alternative zur Religion und ihrer Ausübung gedeutet und daher negativ konnotiert. Einige Kommentare bringen lahw explizit mit Musik in Zusammenhang, andere jedoch nicht. Exemplarisch werden hier die klassischen Koranexegesewerke der Sunna von aṭ-Ṭabarī (gestorben 310/923, im Folgenden werden die Jahreszahlen jeweils der islamischen wie der christlichen Zeitrechnung entsprechend angegeben) und Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gestorben 606/1209), der Muʿtazila (einer rationalistischen theologischen Strömung ab der ersten Hälfte des zweiten/achten Jahrhunderts bis etwa zum Mongolensturm 1258) von az-Zamaḫšarī (gestorben 538/1144), der Schia von aṭ-Ṭūsī (gestorben 459 oder 460/1066-7) und des Sufismus von as-Sulamī (gestorben 412/1021) betrachtet. So bringt aṭ-Ṭabarī in seinem Kommentar zu K 6.70 lahw mit Spiel und Spott über die Religion in Verbindung. Alle drei Verhaltensweisen würden von Gott bestraft, nach dem Überlieferer Qatāda auch bekämpft werden, weil Menschen, die sich Zeitvertreib, Spiel und Spott hingäben, dem Diesseits verhaftet seien und sich nicht Gott zuwandten (aṭ-Ṭabarī, 1954-1969, 231-235). Az-Zamaḫšarī geht noch einen Schritt weiter und versteht die drei Begriffe auch als Ergänzung zur Götzendienerei (az-Zamaḫšarī, 1995, 34). Für den „Kauf von leichtfertigem Gerede“ bietet aṭ-Ṭabarī zwei Deutungen an (K 31.6): eine wörtliche als Handel mit Sängerinnen und eine übertragene als Angenehm-Finden von unnützem Gerede (aṭ-Ṭabarī, 1954-1969, 60-64). Ar-Rāzī interpretiert „leichtfertiges Gerede“ als das Gegenteil von Wahrheit, als hässliche und scherzhafte Gespräche (ar-Rāzī, 1861-1862, 201f.). Sowohl az-Zamaḫšarī als auch aṭ-Ṭūsī beziehen den Ausdruck auf die persischen Epen und Geschichten des Händlers Naḍr b. al-Ḥāriṯ, die die Leute von den Koranlesungen abhielten (az-Zamaḫšarī, 1995, 475; aṭ-Ṭūsī, o.J., 270f.). Aṭ-Ṭūsī versammelt sämtliche genannten Deutungsmöglichkeiten in seinem tafsīr, auch den Kauf von Sängerinnen (aṭ-Ṭūsī, o.J., 270f.). K 62.11 wird von aṭ-Ṭabarī auf eine Begebenheit bezogen, als Medina an Hungersnot und Preissteigerungen litt und die Menschen Muḥammads Freitagspredigt verließen, um von einer eintreffenden Handelskarawane Lebensmittel zu kaufen, die sie freudig, nach „anderen“ – so auch bei ar-Rāzī – mit Trommeln, begrüßten (aṭ-Ṭabarī, 1954-1969, 103-105; ar-Rāzī, 1861-1862, 294). Ar-Rāzī und az-Zamaḫšarī erklären lahw mit Trommeln (und Klatschen) (ar-Rāzī, 1861-1862, 294; az-Zamaḫšarī, 1995, 524f.). Nach einer anderen Überlieferung waren es die Hochzeiten von Sklavinnen, die mit Blasinstrumenten (mazāmīr, Singular mizmār) gefeiert wurden und von der Predigt ablenkten, berichtet ar-Rāzī (ar-Rāzī, 1861-1862, 294). Az-Zamaḫšarī erörtert zudem die Frage, ab wie vielen Mitbetenden das Freitagsgebet ungültig würde und ab welchem Abbruchszeitpunkt noch einmal gebetet werden müsse (az-Zamaḫšarī, 1995, 525). In K 63.9 wird die Ablenkung explizit genannt: „euer Vermögen und eure Kinder.“ Aṭ-Ṭabarī erklärt zunächst die Bedeutung des Verbes ablenken anhand eines vorislamischen Gedichtverses (aṭ-Ṭabarī, 1954-1969, 117), den auch aṭ-Ṭūsī zitiert (aṭ-Ṭūsī, o.J., 15f.). Letzterer erläutert Vermögen und Kinder nicht weiter, sondern präzisiert „Gottes zu gedenken“ mit „allen religiösen Pflichten“ (farāʾiḍ) (aṭ-Ṭūsī, o.J., 15f.). Genauso äußert sich ar-Rāzī und nennt die „religiösen Pflichten, wie das Gebet, das Almosengeben und die Pilgerfahrt sowie der Gehorsam Gott gegenüber“ (ar-Rāzī, 1861-1862, 298). Az-Zamaḫšarī dagegen erklärt das Gottesgedenken damit, dass man Gott den Vorzug vor dem Vermögen und den Kindern geben soll, und führt weiter aus, was mit Vermögen und Kindern gemeint sei, nämlich das gierige Verlangen nach Vermehrung des Geldes durch Handel und Nutzbarmachung und die Freude an den Kindern und die Fürsorge für sie (az-Zamaḫšarī, 1995, 531f.).

Das sufische Exegesewerk Abū ʿAbd ar-Raḥmān Muḥammad as-Sulamīs (gestorben 412/1021) zielt darauf ab, dass man sich auf die jenseitige Welt konzentrieren solle, denn die diesseitige sei der wahre Tod. Das eitle Gerede in K 31.6 sei alles „außer dem Buch Gottes und der Sunna des Gesandten Gottes oder den beiden ḥadīṯ-Sammlungen“ (gemeint sind die beiden kanonischen ṣaḥīḥ-Sammlungen von al-Buḫārī und Muslim), oder nach einer anderen Überlieferung „Worte ohne Bedeutung“ oder „wozu dich die Seele anstachelt, sei es die Wahrheit oder die Lüge“ (as-Sulamī, 2001, 129). Auch die Ablenkung durch Vermögen und Kinder in K 62.11, wird verallgemeinert und als allgemeine Ablenkung vom „Gedenken Gottes und dem Dienst an ihm“ interpretiert (as-Sulamī, 2001, 327). Im Kommentar zu K 63.9 konstatiert as-Sulamī, wer sich ablenken ließe, handele weltlich und sei einer von den Irregehenden (as-Sulamī, 2001, 329).

Außer as-Sulamī bringen die genannten Exegeten unabhängig von der konfessionellen oder theologischen Ausrichtung des Werkes mindestens K 62.11 mit Trommeln und Sängerinnen sowie Blasinstrumenten in Verbindung und beziehen sich dabei auf eine von mehreren Überlieferungen, wobei die unterschiedlichen Überlieferungen ohne Qualifizierung nebeneinandergestellt werden; az-Zamaḫšarī nennt im Kommentar zu K 31.6 ġināʾ („Gesang“) und das Studium eines Musikers als Beispiele für leichtfertiges Gerede (az-Zamaḫšarī, 1995, 475). Insgesamt überwiegen jedoch die Interpretationen von lahw als etwas, das von religiösen Pflichten abhält, so wie auch Vermögen oder Kinder davon abhalten können.

1.3. Musik im Hadith

In der zweiten maßgeblichen Quelle des sunnitischen Islams, dem ḥadīṯ (der schriftlich niedergelegten Prophetentradition, sunna), existieren zahlreiche Überlieferungen, die der Musik wohlwollend gegenüberstehen, und ebenso zahlreiche, die das Gegenteil vermitteln. Auch die Schia bezieht sich teilweise auf dieses Korpus an Überlieferungen, hat zusätzlich aber noch eigene von den Imamen überlieferte. Mit ihnen kann man sowohl für als auch gegen Musik argumentieren, wie die beiden Beispiele aus den Sunan Ibn Māǧa, Kap. 39, Nr. 4020 und aus der gleichen Sammlung Kap. 11, Nr. 1898 zeigen. Im ersten Beispiel verteufelt Muḥammad die Musik, in der zweiten vermisst er sie sogar.

The Messenger of Allah said: “People among my nation will drink wine, calling it by another name, and musical instruments will be played for them and singing girls (will sing for them). Allah will cause the earth to swallow them up, and will turn them into monkeys and pigs.” (nach Abū Mālik al-Ašʿarī, Sunan Ibn Māǧa, Kap. 39, Nr. 4020, Kursivsetzung nicht im Original)

“Abu Bakr entered upon me, and there were two girls from the Ansar with me, singing about the Day of Buʿāṯ.” She said: “And they were not really singers. Abu Bakr said: ‘The wind instruments of Satan in the house of the Prophet?’ That was on the day of ʿīd al-fiṭr. But the Prophet said: ‘O Abū Bakr, every people has its festival and this is our festival.’” (nach ʿĀʾiša, Sunan Ibn Māǧa, Kap. 11, Nr. 1898, Kursivsetzung nicht im Original)

Neben der rein ḥadīṯ-wissenschaftlichen Frage nach der Glaubwürdigkeit der Aussagen durch Überprüfung der Überliefererkette (isnād), die hier außer Acht gelassen wird, spielen bei der Bewertung von Musik offensichtlich der Zweck bzw. die Begleitumstände derselben (Wein, sinnliches Vergnügen, religiös Verbotenes oder Verpöntes versus die Feier eines religiösen Festes) und die Professionalität der Musiker und Musikerinnen (Sängersklavinnen versus Amateure) eine Rolle.

1.4. Musik bei einigen Theologen

Die oft zitierten Werke zur Stellung der Musik im Islam (Braune, 1994a) beziehen sich auf die Musikformen, die nicht zum orthodoxen Ritus gehören, vor allem dem Musikhören (samāʿ) der Sufis. Gebrauchsmusik im weiteren Sinne (Schlaflieder, Arbeits- und Kriegslieder usw.) waren im Allgemeinen nicht Gegenstand theologischer Auseinandersetzungen (al Faruqi, 1985). Das früheste auf uns gekommene polemische Werk, Ḏamm al-malāhī, „Missbilligung der Instrumente zur Zerstreuung/der Musikinstrumente“ (Edition und Übersetzung in Robson, 1938, 19-62), stammt von Ibn Abī d-Dunyā (gestorben 281/894), einem religiösen Puristen, der in 68 aḥādīṯ (Plural von ḥadīṯ) alle möglichen Formen der Vergnügung und moralischer Fehltritte verdammt. Darunter wendet sich rund die Hälfte der Überlieferungen gegen Musik bzw. Musikinstrumente, die übrigen gegen Spiele und Unzucht (Shiloah, 1997, 145-156), die allesamt von moralischem Handeln und religiösen Pflichten abhielten. Das Werk reiht sich in eine Liste weiterer mit dem Titel „Missbilligung von…“ ein, was Ibn Abī d-Dunyās Einstellung gegenüber sämtlichem diesseitigem Vergnügen und Opposition zum Kunst und Kultur fördernden, aber auch ausschweifenden Hofleben zeigt (Robson, 1938, 15). Ein weiterer Theologe, der sich kritisch gegenüber dem Hören von Musik (samāʿ) äußerte, war der der hanbalitischen Rechtsschule angehörige Ibn Taymiyya (gestorben 728/1328). Diese Rechtsschule gründet ihre Urteile ausschließlich auf Aussagen des Korans, des ḥadīṯ-Korpus und auf daraus durch Bemühung (iǧtihād) abgeleiteten Aussagen. Ibn Taymiyya hielt die Koranrezitation aufgrund einiger Koranverse (K 19.58, 8.2, 17.107-9, 5.83, 7.204 u.a.) für erlaubt, die ausdrücklich dazu auffordern, der Rezitation zuzuhören, bzw. deren eindrückliche Wirkung auf die Zuhörer schildern (Michot, 1991, 48f.). Überlieferungen (aḥādīṯ, Singular ḥadīṯ), die Muḥammad beim Musikgenuss beschreiben, seien jedoch erfunden (Michot, 1991, 56-58.). Alles, was nicht in den ersten drei Generationen des Islams bekannt gewesen sei, sei eine Neuerung (bidʿa) und erfunden – so auch die Musik, die al-Fārābī in seinem Kitāb al-Mūsīqī al-kabīr (dem Großen Buch der Musik) (Fārābī, 1967, übers. d’Erlanger, 1930 und 1935) beschreibt – und somit verwerflich (Michot, 1991, 69-82). Sowohl der berühmte Theologe und Mystiker Abū Ḥāmid Muḥammad al-Ġazālī (gestorben 505/1111) – im Kapitel Kitāb Ādāb as-samāʿ wa-l-waǧd seines Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn (Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften, al-Ġazāli, 1356-1357/1937-1938, 1126-1189) – als auch sein Bruder Maǧd ad-Dīn Aḥmad (gestorben 520/1126) – in Bawāriq al-ilmāʿ (Robson, 1938, 69-184) – dagegen argumentierten für die Musik, wenn auch nicht für sämtliche Instrumente. Ebenfalls positiv äußert sich al-Udfuwī (gestorben 748/1347) in seinem Werk Kitāb al-Imtāʿ bi-aḥkām as-samāʿ. Darin bildet er die zeitgenössischen Diskussionen zum samāʿ ab, wobei er zum Schluss kommt, dass weltlicher Gesang (ġināʾ) erlaubt sei. In einem weiteren Kapitel zählt er Instrumente auf und begründet jeweils, warum sie legitim oder illegitim seien (Klein, 2023). Der andalusische Denker Ibn Ḥazm (gestorben 456/1064) meinte zur Musik, wenn man sie höre, um ein Verbrechen zu begehen, sei man ein Verbrecher, wie es auch mit anderen Dingen als Musik der Fall sei. Wenn man sie höre, weil man sich erholen wolle, damit man sein Leben danach umso eifriger in den Dienst Gottes und guter Taten stellen könne, sei man auf dem rechten Weg. Und wenn jemand ohne positive oder negative Absicht Musik höre, sei das so indifferent zu bewerten, wie wenn man spazieren ginge, aus dem Fenster sehe oder blaue oder grüne Kleidung trüge (Ibn Ḥazm, 1932, 60; al Faruqi, 1985, 16).

2. Musik in muslimischen Ritualen

2.1. Koranrezitation

Der nach der Überlieferung erste Koranvers der Sure 96 mit seiner Aufforderung iqraʾ, „trage vor!/rezitiere!“, wird von Muslimen als Anweisung verstanden, den Koran laut vorzutragen (tilāwa). Einige Suren (insbesondere die erste Sure al-Fātiḥa) oder Verse werden bei jedem der rituellen Gebete rezitiert, im Fastenmonat Ramaḍān der komplette Koran, wozu der Text in 30 Teile, genannt ǧuzʾ, aufgeteilt ist. Die Rezitation wird durch ein System an Ausspracheregeln (taǧwīd) bestimmt, das sicherstellen soll, dass der Koran so vorgetragen wird, wie er Muḥammad vom Engel Gabriel überbracht worden sei. Der Wortlaut und ‑sinn hat oberste Priorität beim Vortrag. Die musikalische Gestaltung der Koranrezitation dagegen ist frei, sie wird mündlich überliefert und bis heute nicht in Notation festgeschrieben. Daher wissen wir nichts über die früheste Gestaltung der Koranrezitation. Unterschieden werden ein schneller Rezitationsstil (ḥadr) für größere Textportionen, ein langsamer (tartīl, murattal) für Studienzwecke und ein ebenfalls recht langsamer, aber melodiöser, ausgeschmückter (muǧawwad, bi-l-alḥān) (Gade, 2004, 377; Nelson, 1985), der in Ramadān-Nächten und an religiösen Festen benutzt wird und sich kunstvoller Melismen auf den vorgeschriebenermaßen lang auszusprechenden Vokalen bedient (Bergsträsser/Huber, 1933, 129-132).

Trotz der Verbreitung berühmter und als besonders schön empfundener, daher stilbildender Interpretationen auf Tonträgern ab dem 20. Jahrhundert bleibt die Koranrezitation variantenreich und unterliegt individueller Interpretation. Es haben sich jedoch drei große Rezitationsschulen herausgebildet, in Ägypten, Iran und der Türkei, die sich teilweise an den dortigen Tonsystemen (maqām, dastgāh, makam) orientieren.

2.2. Der Gebetsruf (aḏān)

Der Gebetsruf (aḏān) erfolgt fünfmal täglich und ruft die Gläubigen mit dem Glaubensbekenntnis und dem Satz „Herbei zum Gebet!“ vom Minarett der Moschee (→ Moschee, im konfessionellen Religionsunterricht) zum Gebet. Der schiitische aḏān umfasst zusätzlich die Aufforderung „Auf zum guten Werk!“ und fügt manchmal dem Glaubensbekenntnis hinzu, dass ʿAlī der Freund Gottes sei. Der erste Gebetsrufer (muʾaḏḏin) war nach übereinstimmender Überlieferung der Äthiopier Bilāl al-Ḥašabī, den Muḥammad wegen seiner schönen Stimme ausgesucht hatte. Die musikalische Ausgestaltung des aḏān ist höchst unterschiedlich, sie reicht von schmucklos intonierten Rufen, z.B. im Landesinneren des Oman, zu kunstvoll ausgeführten Melismen, die sich an bestimmten maqāmāt orientieren, wie ḥiǧāzī oder ṣabā, vor allem in Ägypten und der Türkei, und an dastgāh, wie dastgāh-e šūr, im Iran. Seit Aufkommen der Tonaufnahme wird die spontane menschliche Improvisation des Öfteren durch Aufnahmen ersetzt, was zur Vereinheitlichung des aḏān führt.

2.3. Religiöse Hymnen und andere musikalische Ausdrucksformen

An religiösen Festtagen werden Hymnen und andere Lieder angestimmt. Anlässe bieten z.B. das Freitagsgebet (→ Sabbat – Sonntag – Freitag), an dem bestimmte Gebete gesungen werden können (arab. duʿāʾ, pers. monāǧāt, türk. dua, münacat), Muḥammads Geburtstag (mawlid) am 12. Rabīʿ I (Weinrich, 2022), Lieder bei Reiseantritt zur Pilgerfahrt (ḥaǧǧ) (→ Pilgern, muslimisch), auf den einzelnen Stationen der haǧǧ und bei der Abreise von Mekka sowie im Fastenmonat Ramaḍān, insbesondere zum abschließenden Fest, und anlässlich des Opferfestes (ʿīd al-aḍḥā). Bei einem Großteil dieser Lieder handelt es sich um gesungene Gebete oder eigens für den Anlass komponierte Hymnen, z.B. in der Türkei und in Ägypten. Während die Lieder zur ḥaǧǧ in Ägypten mit Schalmeien (mizmār) und Trommeln (ṭabl) begleitet werden können, werden die Hymnen meist ausschließlich vokal vorgetragen. Zum mawlid/mawlūd (arab.) oder mevlit (türk.) finden Festivals statt, auf denen Lobeshymnen und Epen über Muḥammads Leben gesungen werden (Neubauer, 1980, 343), oft von professionellen Sängern. Lobeshymnen für Muḥammad werden bei den Sunniten naʿt (arab.) oder ilahi (türk.) genannt und werden unbegleitet von Instrumenten gesungen.

Bis zum 19. Jahrhundert spielten zu verschiedenen Anlässen Militärkapellen mit Trompeten, Oboen und Trommeln (arab. ṭablḫāna, pers. Naqqāreḫāne, türk. Mehterhane). Sie spielten mehrmals am Tag zusätzlich zum aḏān oder zeigten täglich Fastenbeginn und -ende im Fastenmonat Ramaḍān an (Neubauer, 1980, 342f.).

In der Schia existieren neben den gesungenen Gebeten (monāǧāt) (Youssefzadeh, 2018) Gesänge für die für die Schia gestorbenen Märtyrer. Zudem finden im Monat Muḥarram, dem schiitischen Trauermonat, in dem an die Ermordung von ʿAlīs Sohn Ḥusayn bei Kerbela am 10. Muḥarram 61/680 erinnert wird, ʿašūrāʾ-Feierlichkeiten statt, zu denen spezielle Rezitationen (rouże) und das Passionsspiel taʿziye gehören. Letzteres spielt verschiedene Stationen im Leben Ḥusayns bis zu seinem Tod sowie zusätzliche Szenen nach, wobei große Teile des Textes nach dem persischen dastgāh-Tonsystem gesungen werden (Chelkowski, 2012; Chelkowski, 1979; Neubauer, 1972).

Mystische Orden (ṭuruq, Singular ṭarīqa), die es seit dem vierten/zehnten Jahrhundert gibt, praktizieren darüber hinaus eigene musikalische Traditionen. In ihren Gottesdiensten (ḥadra) pflegen sie das im Koran vorkommende Gebot des Gottesgedenkens (ḏikr) (K 63.9 u.a.) in Form von Gebeten, die einzeln oder gemeinsam in geringem Ambitus (Tonumfang) rezitiert werden. Die Gebete entstammen einer von zwei Sammlungen mit Gebeten zu Muḥammad und dem Glaubensbekenntnis bzw. Lob auf den Orden und weiteren Gebeten. Während des ḏikr wird eine besondere Atemtechnik angewandt, die zur Hyperventilation führen kann. Ein weiterer Bestandteil ist der Gesang oder Wechselgesang der Ordensmitglieder auf religiöse Gedichte (inšād), die mit festem Rhythmus und maqām gesungen werden. Diese Gedichte könnten religiös überhöhte oder gedeutete Liebesgedichte (ġazal), Vierzeiler (rubāʿī) oder paarreimige Langgedichte (maṯnawī) sein (Braune, 1996, 1208-1210). Das berühmteste darunter ist Mawlāna (türk. Mevlana) Ǧalāl ad-Dīn Rūmīs (gestorben 672/1273) Maṯnawī mit der bekannten Einleitung, in der die Schilfrohrflöte ihre Klage über ihre Trennung vom Schilfrohr erhebt (Schimmel, 1948).

3. Säkulare Musik

Die Musik der islamischen Welt ist in Auseinandersetzung mit verschiedenen Kulturen, Sprachen und Regionen entstanden, insbesondere den großen Reichen der Byzantiner (bzw. Ost-Roms) im Nordwesten und der Sassaniden im Nordosten sowie ihren jeweiligen Vasallenstaaten, den Ghassaniden und den Lachmiden. Sie entwickelte sich als Teil kultureller Transformationen (→ Kulturtransferforschung) im Zuge kultureller Transfers, Austauschprozesse und Akkulturationen durch die Ausweitung des islamischen Reiches. Dies wurde durch das Netz an Handelsstraßen auf der Arabischen Halbinsel befördert, darunter als bekannteste die Weihrauchstraßen sowie die vorislamische Pilgerroute nach Mekka sowie die Handelsroute nach ʿUqāẓ mit seinem berühmten Markt. Jüdische und christliche Siedlungen in Yaṯrib, dem späteren Medina, und Naǧran könnten ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Für die vorislamische Zeit (ǧāhiliyya, Zeit der Unwissenheit) ist die Existenz verschiedener Arten von Gebrauchsmusik überliefert. Hierzu zählten der hudāʾ, der Gesang der Kameltreiber, Klagelieder, Kinderlieder, Schlaflieder oder Lieder anlässlich von Hochzeitsfeiern. Zudem florierte die altarabische qaṣīda, eine kunstvolle Gedichtgattung, die das Trauern um die Geliebte an verlassenen Zeltstätten zum Ausgangspunkt einer Reise durch die Wüste nimmt. Am Ende dieser Reise schließlich steht das Stammeslob oder die Verhöhnung eines anderen Stammes. Zentrum von Dichterwettbewerben war der genannte Markt in ʿUqāẓ, der einmal jährlich während der heiligen Monate stattfand und wegen der Nähe zur Pilgerstätte Mekka und der Weihrauchroute gut besucht war. Die Protagonisten dieser alten und ruhmreichen Dichtung, die laut rezitiert, vielleicht gesungen oder auf wenigen Tönen reklamiert wurde (van Gelder, 2012, 161f., der eine Vertonung im Sinne von Kunstmusik für unwahrscheinlich hält), waren meist Männer, doch sind auch Gedichte von Frauen überliefert. Nicht als Dichterinnen, sondern als professionelle Musikerinnen beschriebene Sängersklavinnen, qiyān oder ǧawārī, (Stigelbauer, 1975) werden ebenfalls schon in vorislamischer Zeit genannt. Muʿāwiya b. Bakr al-ʿImlaqī soll zwei Sängerinnen in Yaṯrib, dem späteren Medina, besessen haben. Zu jener Zeit kristallisierten sich zwei Arten von qiyān heraus, die höhergestellten, nämlich diejenigen der noblen Araber, seien es Beduinen oder Städter, und diejenigen der Tavernen und Weinhändler, die neben dem Gesang auch ihre Dienste als Prostituierte anboten (Pellat, 1978).

In der Frühzeit des Islams brachten wandernde Musiker und byzantinische Sängersklavinnen (Gökpınar, 2021, 125) Melodien des griechischen Oktoechos und persische Lautenmusik sowie ihre Bezeichnungen in die arabische Musik ein (Neubauer, 1994, 375-379; 1995/1996, 275). Auf diese der Praxis entlehnte Terminologie stützten sich die Übersetzer griechischer musiktheoretischer Schriften während der griechisch-syrisch-arabischen Übersetzungsbewegung im achten bis zehnten Jahrhundert, in der zahlreiche philosophische und wissenschaftliche Werke der griechischen Antike ins Arabische übersetzt wurden. Daraus resultierende arabische Abhandlungen zur Musiktheorie stammen beispielsweise von den bekannten Philosophen al-Kindī (gestorben ca. 256/870), al-Fārābī (gestorben 339/950) und Ibn Sīnā (gestorben 428/1037), wobei al-Kindī in seiner Musiktheorie neoplatonische Spekulation betrieb und die vier Saiten der damaligen Laute (ʿūd) mit außermusikalischen Phänomenen, wie der Vier-Säfte-Lehre, den vier Elementen, den Jahreszeiten oder vier Gruppierungen der Sternzeichen in Verbindung brachte. Al-Fārābī und Ibn Sīna lehnten solche Spekulationen ab. Al-Urmawī (gestorben 693/28. Januar 1294) schließlich systematisierte die musikalischen Skalen und legte zwölf maqāmāt (Singular maqām) und sieben āvāzāt (Hilfsskalen) fest. Seine Werke wurden weithin in der persischen und osmanischen Musikliteratur rezipiert und kommentiert (Ghrab, 2009). Daneben wurden in den folgenden Jahrhunderten eigenständige, theoretische sowie praxis- und lehrbezogene Werke zur Musik geschrieben (Wright, 2014; Maraqa, 2015; Helvaci/Olley/Jäger, 2017). Erst im 19. Jahrhundert setzte sich im Osmanischen Reich ein Notationssystem allgemein durch (Jäger 1996a; 1996b), das der armenische Musiker Hambarjum Limōnčean (türk. Hamparsum Limonciyan, 1768-1839) entwickelte und mit dessen Hilfe viele Musikstücke des Osmanischen Reiches notiert wurden (Olley, 2020).

Im Iran des 19. Jahrhunderts wurde das maqām-System durch das erwähnte dastgāh-System abgelöst (Lucas, 2019; During/Mirabdolbaghi/Safvat, 1991), das auch die religiöse Musik beeinflusste. Neben musikalischen Entwicklungen der islamischen Welt in Südostasien (Harnish/Rasmussen, 2011), Afrika (Kibbee, 2020) und Indien (Strohm, 2019), die von dortigen regionalen Musikstilen beeinflusst wurden, können stilprägende musikalische Unterschiede heute vor allem in Ägypten, der Levante, der Türkei und im Iran verortet werden.

4. Moderne Formen und (religions-)didaktische Hinweise

Aus den oben dargelegten Gründen sind in der islamischen Tradition musikdidaktische Überlegungen für religiöse Bildungsprozesse (→ Musik) nicht von besonderem Interesse gewesen. Bei der didaktischen Bearbeitung des Themas sollten folgende Aspekte sowohl für islamische wie auch für interreligiöse Bildungsprozesse (→ interreligiöses Lernen) beachtet werden:

Die islamischen Quellen sollten unbedingt einbezogen werden. Vor allem im Rahmen der → Erwachsenenbildung sowie bei der Arbeit mit älteren Schülerinnen und Schülern kann es hilfreich sein, zwei Koranübersetzungen vergleichend einzusetzen (siehe die Beispiele in Kapitel 1.2).

Wichtig ist auch die Reflexion dessen, was unter Musik verstanden wird. Dabei muss auf das Fehlen eines Wortes für Musik im Koran aufmerksam gemacht werden.

Ein dritter Aspekt betrifft die Korankommentare. Diese stützen sich zum Großteil auf aḥādīṯ, von denen es insgesamt Tausende in den sechs bei den Sunniten und vier bei den Schiiten für glaubwürdig gehaltenen Sammlungen gibt, die sich teilweise widersprechen. Zwar entwickelten muslimische Gelehrte eine ausgeklügelte Technik, um den Wahrheitsgehalt von einzelnen aḥādīṯ anhand der Überliefererkette (isnād) bis zu Muḥammad zu überprüfen, doch haben amerikanische und europäische Forscherinnen und Forscher ab dem 20. Jahrhundert mit historischen und philologischen Methoden gezeigt, dass sich viele der Überlieferungen nicht auf die Frühzeit des Islams zurückführen lassen und vielmehr rechtliche, theologische oder politische Diskurse späterer Zeiten widerspiegeln. Daher findet man in den Überlieferungen sowohl Argumente für als auch gegen Musik. Gegenstand dieser Debatten waren nie die Formen religiöser Musik, wie Gebetsruf, Koranrezitation und fromme Gesänge, Lobeshymnen und so weiter. Diese waren terminologisch von der weltlichen Musik abgegrenzt und somit von Diskussionen um die Legitimität von Musik ausgenommen. Ein reines Musikverbot hat es also nie gegeben. Extremistische Strömungen nutzen die terminologische Unterscheidung jedoch und missbrauchen die Form religiöser Hymnen (anāšīd, Singular (našīd) auch als Propaganda für ihre weltlichen Zwecke (Said, 2016). Im Rahmen interreligiösen Lernens können Arten der Koranrezitation mit der Kantillation der Schriftlesung verglichen werden, die zum Teil in feierlichen katholischen Messen vorkommt.

Ein anderer wichtiger Punkt, der im Unterricht berücksichtigt werden muss, bezieht sich auf den Unterschied von religiös-rechtlichen Debatten zwischen Theologen unterschiedlichster Richtungen und der gelebten Praxis, so bei den Sufiorden, die Musik verteidigen, sowie im Alltag der Musliminnen und Muslime, in deren Leben Musik auf verschiedenen Ebenen integriert war und ist (Hierzu können im Unterricht Miniaturmalereien einen Eindruck bieten, so z.B. das Bild des aus Algier stammenden Künstlers Muhammad Racim (1896-1975), das Frauen bei einer Hochzeitsfeier mit Instrumenten zeigt).

Neben den genannten Formen religiöser Musik hat sich eine reiche Musikkultur in der gesamten islamischen Welt entwickelt, die Kunst- und Volksmusik und eine große Anzahl an verschiedenen Musikinstrumenten einschließt. Wenn Kalifen und Fürsten tatsächlich einmal ein allgemeines Verbot von Musik oder Instrumentalspiel durchsetzten, so hielt dies nie lange an. Beispiele hierfür sind rar gesät. Selbst der gegen Wein und Prostitution hart vorgehende Baybars I hatte eine Sängersklavin (Gökpınar, 2021, 277-285). Vielmehr erfreuten sich die Hofleute an dem sinnlichen Genuss von vertonten Gedichten und Instrumentalbegleitung, verfassten muslimische Philosophen Abhandlungen über die mathematische Wissenschaft der Musik und wanderten Musiker auf der Suche nach neuen Melodien durch das islamische Reich und über seine Grenzen hinaus, brachten neue Instrumente mit, verbesserten ihre eigenen und schufen individuelle Gesangsstile, die z.B. über die Musikschule des Ziryāb (gestorben 238/852) in Cordoba andalusische Gesänge prägten, die Laute verbreiteten und so auch auf die Musik in Europa Wirkung hatten.

Im 20. Jahrhundert bildete Kairo das arabische Zentrum für Musik- und Filmindustrie. Die Ägypterin Umm Kulṯūm lernte die Koranrezitation von ihrem Vater, einem Imam, der schon früh ihr Talent entdeckt und sie im eigenen kleinen Ensemble auftreten ließ, bevor ihr in Kairo der internationale Durchbruch – auch mithilfe des Radios – als die Stimme Ägyptens und Star des Ostens gelang (Braune, 1994b; Danielson, 1997; Gsell, 1994). Umm Kulṯūm kann als ein Beispiel für den vielfältigen Umgang mit religiöser und weltlicher Musik angeführt werden.

Durch die Globalisierung zirkulieren Musikstile noch schneller, Pop- und Rapmusik werden mit dem Instrumentarium, den Sprachen und den Themen der islamischen Welt versehen (Graf, 2012; Rooney, 2013) und als etwas Eigenes empfunden. Gleichzeitig entstehen neue Pop-Kulturen in der islamischen Welt (van Nieuwkerk/Levine/Stokes, 2016), die neben die älteren Musikformen treten.

In schulpraktischer Perspektive können vier didaktische Zugangsweisen zu Musikalia im Islam unterschieden werden (entsprechend der Religionenerschließungs­modi von Meyer, 2019, 175-189): a) Jüngere Schülerinnen und Schüler können sich angesichts von Gebetsruf oder den anderen Ton- und Harmoniefolgen orientalischer Traditionen zunächst mit unmittelbaren Erfahrungen von eigenen Fremdheitsgefühlen auseinandersetzen. Dabei kann die erste Irritation hin zu Neugier und eigenem Nachfragen gelenkt werden, um so eine konstruktive Verbindung zu dem bisher Fremden aufzubauen (sogenanntes Brückenmanagment, Meyer, 2019, 291). b) In der Mittel- und Oberstufe können bei entsprechendem Umfeld muslimische Eltern, Geistliche etc. zu ihrem Verständnis von Musik (u.a. auch zu Musik in Moscheen) befragt werden. Dabei kann im Idealfall etwas von der Heterogenität aufscheinen, die oben beschrieben wurde (gewissermaßen als eigene ‚Forschung‘ der Jugendlichen) und so darauf hingewirkt werden, auch zukünftig bei muslimischen Ansichten zu differenzieren. Ebenfalls in die Richtung eigener kleiner ‚Forschung‘ können Vergleiche unterschiedlicher Musikstile gehen (siehe oben). c) Als Drittes können sich Schülerinnen und Schüler mit der (eventuell selbst erlebten) manipulativen Kraft von Musik auseinandersetzen (z.B. in Filmen, aber auch historisch im Nationalsozialismus) und sich die Frage stellen, wie und wo solch eine Manipulation aus ihrer eigenen Sicht angemessen ist und wo nicht. Sie können diese eigene Auseinandersetzung mit Ausschnitten muslimischer Erörterungen ins Gespräch bringen (im Modus des existentiellen Denkers) und sich so ein eigenes differenzierendes Urteil auch zu den Gefahren von Musik(manipulation) bilden. Schließlich können im eigenen familiären und nachbarschaftlichen Umfeld Ängste und Aggressionen von Nichtmusliminnen und Nichtmuslimen, die u.a. beim Ruf zum Gebet oder allgemein orientalischen Lauten auftreten, beobachtet und interpretiert werden, um so gesellschaftlichen Einflussgrößen angesichts von religiösen Phänomenen in der eigenen Nachbarschaft besser einzuordnen und (im Modus der glokalen Akteurin) ihnen im Idealfall konstruktiv begegnen zu können.

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