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Ökumenische Bewegung, kirchengeschichtsdidaktisch

(erstellt: März 2024)

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1. Ökumene in der Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern

Der Begriff „ökumenisch“ begegnet Schülerinnen und Schülern öfters. So gibt es ökumenische Schulgottesdienste, ökumenische Trauungen, Gedenkfei­ern sowie ökumenische Friedensgebete, Kleidersammlungen und Nothilfen. Ein spezifisch deutsches Phänomen ist, dass „ökumenisch“ in diesem Zusammenhang in der Regel auf die Zusammenarbeit zwischen evangelisch und katholisch beschränkt wird. Das Wort Ökumene kommt aber vom griechischen oikein, wohnen, bzw. oikumenè, was der ganze bewohnte Erdkreis bedeutet, und zielt auf die weltweite Zusammenarbeit der christlichen Kirchen. Wird im Religionsunterricht über „ökumenisch“ gesprochen, findet oft zunächst eine Verwechslung mit „ökonomisch“ statt oder der Begriff wird zu weit als „interreli­giös“ oder sogar als Begegnung mit Konfessionslosen aufgefasst. Es geht bei Ökumene und bei der ökumenischen Bewegung um die Einheit der christlichen Konfessionen weltweit (EKD, 2015).

2. Vier Strömungen am Anfang der ökumenischen Bewegung

Die Begegnung von Christinnen und Christen unterschiedlicher Konfessionen mit dem Ziel, zu mehr Einheit im Christentum zu kommen, wird in der Regel als ein Prozess beschrieben, der am Beginn des 20. Jahrhunderts seinen Anfang genommen hat. Für dieses Bestreben der ökumenischen Bewegung lassen sich mit Rouse/Neill (1954f.; vgl. Dam 2001) vier Strömungen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen unterscheiden:

1. Mission.

Auf dem Höhepunkt des europäischen Imperialismus, im Jahr 1910, trafen sich Vertreter und Vertreterinnen von vielen protestan­tischen Missionsgesellschaften in Edinburgh, um die konfessionelle Konkurrenz im Missionsfeld zu überwinden. Treibende Kraft war John Mott, ein methodisti­scher Laie und Studentensekretär des amerikanischen YMCA. Die verschiede­nen Missionsorganisationen gründeten 1921 in Lake Mohonk den Internationalen Missionsrat (International Missionary Council, IMC). 1961 wurde der IMC Teil des Ökumenischen Rates der Kirchen und damit traten viele „junge“ Kirchen bei.

2. Frieden.

Als Gegenbewegung gegen die nationalistischen Spannungen zwischen England und Deutschland (Flottenausbau) wurde 1907 und 1908 ein Austausch von Geistlichen beider Länder organisiert: die „Britisch-Deutsche Freundschaft“. Lord Dickinson, ein britischer Politiker und Anglikaner, Allan Baker, ein kanadischer Fabrikant und Quäker, sowie Friedrich Siegmund-Schultze, ein junger deutscher Pfarrer aus Potsdam-Sanssouci, spielten hier die wichtigste Rolle. Als der amerikanische Stahlmagnat Andrew Carnegie die „Freund­schaft“ finanziell unterstützte, wurde sie ausgeweitet zum Weltbund für Freund­schaftsarbeit der Kirchen (World Alliance for Friendship through the Churches). Die Gründungsversammlung fand im August 1914 in Konstanz am Vorabend des Ersten Weltkriegs statt. Die ökumenische Avantgarde traf sich erst 1918 in Oud-Wassenaer (bei Den Haag) wieder. Obwohl viele im Krieg Angehörige verloren hatten, gelang es einigen deutschen, französischen und belgischen Vertreterinnen und Vertretern, zu bekennen: „Wir verurteilen den Krieg und den Gedanken an Rache“. Der Welt­bund verstand sich als „geistiger Völkerbund“ und als Förderer der Idee der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (Internationaler Gerichtshof). Je mehr im Interbellum die nationalistischen Kräfte in Europa Einfluss bekamen, desto schwieriger wurde es für den Weltbund. Im Zeitalter des Totalitarismus (→ Kirchen im Nationalsozialismus) war er genauso machtlos wie der Völkerbund, auch wenn an der Basis die konfessionelle Zusammenarbeit öfter gelang (vgl. Taizé). In Deutschland ist der Weltbund vor allem bekannt, weil 1931 Dietrich Bonhoeffer einer seiner Jugendsekretäre wurde. Der Weltbund war der wichtigste Financier der dritten ökumenischen Strömung.

3. Gerechtigkeit.

In der Anfangsphase wurde die ökumenische Bewegung somit vor allem von Missionsgesellschaften und individuellen, vom Friedensauftrag bewegten Christinnen und Christen getragen. Die Kirchen selbst beteiligten sich nicht. Dem schwedischen lutherischen Bischof Nathan Söderblom gelang es, die Kirchen selbst von der Mitarbeit in der ökumenischen Bewegung zu überzeugen. Sein Argument war, dass die Lehre die Konfessionen zwar trennt, aber gemeinsames Dienen möglich sein müsste. Im Jahr 1925 hat er mit Geldern von Carnegie und dem Weltbund dazu in Stockholm eine große Konferenz organisiert, an der auch Kirchenvertreter teilnahmen. Die Konferenz führte zur Gründung einer dritten Strömung: des Rats für Praktisches Christentum (Life and Work, L&W). Sie förderte vor allem konfessionell gemischte Hilfsprojekte zur Beseitigung von sozialer Ungerechtigkeit. Ab 1932 hatten Weltbund und Praktisches Christentum in Genf ein gemeinsames Büro und einen gemeinsamen Generalsekretär. Es waren erste Schritte auf dem Weg zu einer gemeinsamen Institution, dem World Council of Churches (Konferenz Utrecht 1938). Im Jahr 1937 organisierte L&W in Oxford eine große Konferenz über das Verhältnis von Volk, Kirche und Staat. Deutsche durften nicht dorthin ausreisen. Insbesondere durch seine Flüchtlingshilfe im Zweiten Weltkrieg erhielt „Praktisches Christentum“ viel Respekt. Im Jahr 1945 waren es vor allem die Ökumeniker aus dieser Strömung, die auf die sogenannte „Stuttgarter Schulderklä­rung“ gedrängt hatten und so den internationalen Kontakt für die deutschen Kirchen wieder ermöglichten.

4. Kirchenverfassung.

In der vierten Strömung trafen sich offizielle Vertreter der Kirchen, um inhaltliche dogmatische Fragen anzusprechen. Einer der treibenden Kräfte war Charles Brent, ein amerikanischer anglikanischer Bischof, der lange auf den Philippinen gearbeitet hatte. 1927 wurde in Lausanne „Glaube und Kirchenverfassung“ (Faith and Order, F&O) gegründet. F&O brauchte lange, um Erfolge nachweisen zu können, aber die Einigung und Dissensbeschreibungen in den Themen „Taufe, Eucharistie und Amt“ (Baptism, Eucharist and Ministry; BEM, Lima, 1981) bildeten Eckpunkte, hinter denen die Kirchen nicht mehr zurückfallen sollten. In BEM wird festgehalten, dass nur die Taufe der Eintritt in die christliche Kirche symbolisiert. Für die Eucharistie gilt, dass für manche die Einheit der Kirche Voraussetzung für das gemeinsame Abendmahl ist, während andere der Überzeugung sind, dass gemeinsames Feiern ein Schritt auf den Weg zur Einheit sein kann. Die größten Differenzen bestehen beim Amtsverständnis, insbesondere hinsichtlich des Papsttums. Auch die katholisch-lutherische Erklärung zur Rechtfertigung (1999) kann als Ergebnis des ökumenischen Dialogs in F&O gesehen werden. Der in der → Reformation betonte Gegensatz zwischen Rechtfertigung durch den Glauben und der Rolle der Sakramente bzw. „guten Werke“ wurde nicht länger als kirchentrennende Kontroverse betrachtet.

3. Der Ökumenische Rat der Kirchen

Als nach dem Zweiten Weltkrieg der weltweite Ruf nach Einheit der Menschheit sehr stark war (vgl. Gründung der UNO, Menschenrechtserklärung 1948, → Kinderrechte), konnte der Übergang der „Bewegung“ zur „Institution“ vollzogen werden. Im Jahr 1948 wurde in Amsterdam der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK, World Council of Churches, WCC) gegründet. Erster Generalsekretär mit Sitz in Genf war der Niederländer Willem A. Visser ´t Hooft (Zeilstra/ Visser ´t Hooft, 2020). Der ÖRK erklärte, dass er keine „una sancta“ oder „superchurch“ sein wollte, sondern eine Organisation, die die Zusammenarbeit zwischen den Kirchen fördern möchte. Diese Fokussierung auf kirchliche Zusammenarbeit führte dazu, dass vor allem die dritte und vierte Strömung als Vorläufer gesehen wurden. Aufgrund des Erfolgs bezeichneten sich auch viele andere weltweite Organisationen als Vorläuferbewegungen: die konfessio­nellen Weltbünde, die Weltsonntagsschulkonferenzen (ab 1971 war der Weltrat für Christliche Erziehung Teil des ÖRK), der Christliche Studentenweltbund (WCSF) und der YMCA.

Der ÖRK war insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren einflussreich. 1972 wurde Philip Potter Generalsekretär des ÖRK. Er formulierte das Ziel der Ökumene sehr griffig: „Eine Kirche für Eine Welt“. Der Ökumenische Rat der Kirchen reagierte damit auf die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, Nord und Süd, die Dekolonisierung und den Rassismus. In der vierten Vollversammlung im Jahr 1968 in Uppsala kam fast die Hälfte der Delegierten aus Asien, Afrika und Lateinamerika. Das „Programm zur Bekämp­fung von Rassismus“ (Program to Combat Racism, PCR), das auch den bewaffneten Widerstand gegen die Apartheid in Südafrika unterstützte, wurde verabschiedet. Es wurde zum Symbol für das sozial-ethische Anliegen der ökumenischen Bewegung, löste heftige Debatten aus und verursachte einen neuen Riss in den Kirchen weltweit. Traditionelle evangelikale Kirchen und Gruppierungen gründeten eine internationale „Evangelische Allianz“. Im Bereich Bildung wurde in dieser Zeit das → ökume­nische Lernen gefördert (Paolo Freire, Ernst Lange). In Deutschland wurde es u.a. bei Karl Ernst Nipkow und in einer EKD-Arbeitshilfe aufgegriffen und bei Rainer Lachmann (2003, 290) als Zukunftsmo­dell des konfessionell-kooperativen Religions­unterrichts dargestellt. Der ÖRK verfolgte das Streben nach weltweiter Gerech­tigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung stringent weiter. In der sechsten, größten ökumenischen Vollversammlung in Vancouver 1983 mit über 3000 Delegierten wurde das Programm für „Justice, Peace and Integrity of Creation“ (JPIC) ausgerufen. Insbesondere durch den Beitrag der „nicht-westlichen“ Kirchen wurde der Zusammenhang von Friedensfragen mit weltweiter Ungerechtigkeit sowie mit dem Klimawandel dargelegt und in möglichen Aktionsprogrammen konkretisiert. Die Konferenz von Vancouver und die JPIC-Programme bildeten einen starken Impuls für die Friedensarbeit in der DDR und die „Friedliche Revolution“ (→ Kirchen in der DDR) sowie für viele evangelische „Kirchen­tage“ im Westen Deutschlands.

4. Das Verhältnis der katholischen Kirche und der Orthodoxen zur Ökumene

Das Verhältnis der Katholiken zur Ökumene muss als problembehaftet beschrieben werden (→ Ökumenische Bewegung). Im Jahr 1927 hat Papst Pius XI die Teilnahme an der ökumenischen Versammlung in Lausanne verboten (Enzy­klika Mortalium Animos). Erst im zweiten Vatikanischen Konzil gewann man etwas Abstand zu der Überzeugung, dass sie die einzige wahre weltweite Kirche sei, und Katholiken wurden als Gast bzw. Beobachter im ÖRK eingeladen. Sie arbeiteten u.a. an der Lima-Erklärung 1981 mit. Mit dem Dekret Dominus Iesus (Joseph Ratzinger, 2000) wurden die Trennlinien dagegen wieder klar definiert, insbesondere zur Eucharistie und zur apostolischen Sukzession.

Das Verhältnis der verschiedenen orthodoxen Kirchen zur Ökumene ist wechselhaft. Nach der Gründung der atheisti­schen Sowjetunion suchten vor allem russische Exil-Ortho­doxen und die Griechisch-Orthodoxe Kirche den Kontakt. Der „Glaube aus dem Osten“ bildete gleichzeitig eine wichtige Korrektur zu einer protestan­tischen Sicht auf das Christentum. Im Laufe der 1950er Jahre traten die autokephalen Orthodo­xen Kirchen von Russland, Rumänien, Bulgarien und Polen dem ÖRK bei. Die sozial-ethische Ausprägung des ÖRK, die Akzeptanz von Pfarrerinnen und die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren blieben aber für viele Orthodoxe Kirchen kirchentrennend. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erlangte die Russisch-Orthodoxe Kirche ihre alte Machtposition wieder und die Distanz zum ÖRK wurde größer. Die Georgisch-Orthodoxe (1997) und die Bulgarische Orthodoxe Kirche (1998) traten aus. Zudem erreichten die Vertreter der Orthodoxen Kirchen, dass statt Mehrheits- nur noch Konsensent­scheidungen gefasst werden. Wegen Differenzen über die Eucharistie durfte überdies die ökumenische Liturgie, die zur Lima-Erklärung 1982 entwickelt worden war, nicht mehr „Gottesdienst“ genannt werden.

Dem Rat gehörten (Stand 2022) 352 evangelische und orthodoxe Kirchen mit über 580 Mio. Christinnen und Christen in 120 Ländern an. Die Vision einer tatsächlichen Einheit der Kirchen ist aber weiter weg als vor 50 Jahren. Was unter „Einheit“ zu verstehen sei, wird zunehmend unterschiedlich gedeutet. Der neutestamentliche Begriff koinonia, verstanden als „versöhnte Verschieden­heit“, wird zwar immer noch angestrebt, aber von vielen Kirchen mittlerweile als schwer erreichbares Maximalziel erfahren. Vielmehr war das Streben bei der elften Vollversammlung des ÖRK im September 2022 in Karlsruhe, trotz zahlreicher Krisen und Spannun­gen in der Welt (wie z.B. der Krieg in der Ukraine), ökumenisch zusammenzuhalten.

5. Kirchengeschichtsdidaktische Überlegungen

Bei diesen didaktischen Hinweisen geht es nicht um „ökumenisches Ler­nen“ (siehe Böhm, 2001; EKD, 1985; Orth, 1994), sondern um die Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler bei der Beschäftigung mit der Geschichte der öku­menischen Bewegung erwerben können. Auch wenn Lehrpläne das Thema Ökumenische Bewegung selten thematisieren, kommen seit den 1920er Jahren in Schulbüchern sporadisch Texte aus der Öku­mene vor wie z.B. die Schlusserklärung der ersten Konferenz von L&W in Stockholm 1925. Das änderte sich in den 1970er Jahren mit den Schul­büchern von Jörg Thierfelder (ev.) und Herbert Gutschera (kath.): „Brennpunkte der Kirchengeschich­te“ (1976/1999) und durch Thierfelders Mitarbeit am „Kursbuch Religion“. Sowohl beim Thema Reformation („Nebeneinander: Gegeneinander oder Miteinan­der“) als auch beim Thema Zukunft der Kirche geht es seitdem auch um die ökumenische Perspektive. Hervorragend für die Erschließung von ökumeni­schen Themen ist das von Becker, Büttner, Gutschera, Thierfelder u.a. verfasste Schulbuch „Projekt Ökumene“ (Patmos/Calwer, 1997): Mission, Kolonialismus, Frauen, JPIC, Dialog der Religionen, Kirchen in Afrika, Asien und die USA, Orthodoxie, Taizé. In einem Kapitel kommt die Geschichte der Ökumene zur Sprache: Mission, Weltbund, Katholiken, kontextuelle Theologie.

Für eine aktuelle Erschließung der Geschichte der Ökumenischen Bewegung wären die obersten Klassen der Mittelstufe oder die Oberstufe am besten geeignet. Sie sollte sich nach drei Kompetenzen (Dam, 2022a, 494-499; Dam, 2022b, 60) richten:

1. Traditionserschließend. Die Schülerinnen und Schüler können das Christentum und die auch vom Christentum geprägte Kultur und Tradition als eine gewordene und veränderbare wahrnehmen und deuten. Hier: die globale Dimension des Christentums wahrnehmen, gemeinsame Herausforderungen der Menschheit beschreiben und nach dem Beitrag der Kirchen zur Lösung globaler Probleme fragen.

2. Biografisch. Die Schülerinnen und Schüler können sich mit Personen aus der Vergangenheit des Christentums auseinandersetzen, diese Begegnung reflektieren und zur Gestaltung ihres Christ­seins in Beziehung setzen. Hier: ökume­nisch orientierte Christinnen und Christen aus unterschiedlichen Kirchen und Kulturen.

3. Ethisch. Die Schülerinnen und Schüler können die ethischen Themen und Fragen, vor die Christinnen und Christen in der Vergangenheit gestellt wurden, wahrnehmen und das Handeln sowohl als zeitbedingt wie auch als mögliche Optionen beurteilen. Hier: die globalen sozialethischen Grundmotive der ökumenischen Bewegung, insbesondere das Streben nach Einheit, Frieden, Gerechtigkeit und die Be­wahrung der Schöpfung.

Nicht Konferenzorte und Konferenz-Erklärungen sollten den Inhalt des Unterrichts über die Geschichte der Ökumene bilden, sondern die Personen und Themen der Ökumenischen Bewegung. Methodisch kann dies für die frühe Ökumene z.B. mit einem „Imitationsspiel“ erschlossen werden, in dem zwölf Vertreterinnen und Vertreter aus den vier obengenannten Strömungen sich über das Streben nach Einheit der Kirchen austauschen (Dam, 2002; als „Expertengruppen“ in Dam, 2018, 114-124).

Ein Blick in die Geschichte der Ökumene trägt dazu bei zu verstehen, wie eine globale Perspektiverweiterung zu Themen wie Rassismus (→ Bildung, diversitätssensible), Kolonialismus (→ Postkolonialismus, kirchengeschichtsdidaktisch), Gerechtigkeit, Frieden, Schöpfung, Ekklesiologie, Spiritualität, Liturgie und Sakramente errungen wurde.

Noch wichtiger wären aber das Lernen durch persönliche Erfahrungen mit der konfessionellen Kooperation, z.B. im konfessionell-kooperativen RU (Woppowa/Zimmermann, 2018) (→ Religionsunterricht, konfessionell-kooperativ), in ökumenischen Schulgottesdiensten (→ Schulgottesdienst) oder durch den Besuch von oder die Mitarbeit in ökumenischen sozialen Projekten.

Schließlich kann an den verschiedenen Modellen der Einheit, die in der Öku­mene entwickelt wurden (Rückkehr, Kooperation, Koinonia u.a.; siehe Lach­mann, 286f. und Konfessionskundliches Institut), gelernt werden, wie Dialog und Verständigung zwischen Konfessionen und Religionen sowie Umgang mit Differenzen in der Praxis funktionieren können. Dies würde an eine Überlegung von Eberhardt Tiefensee (2011) anschließen, der Ökumene nicht nur auf Einheit zwischen den christlichen Konfessionen, sondern auch auf verschiedene Religionen und auf das gemeinsame Lernen mit Kindern und Jugendlichen ausweiten möchte, die keiner Konfessions- oder Religionsgemeinschaft angehören (dazu Käbisch, 2014, 193; → Konfessionslosigkeit). Die Struktur des Lernens an Differenzen ist vergleichbar mit der interkonfessionellen wie interreligiösen Verständigung und mit der Begegnung mit Konfessionslosen.

6. Ausblick

Auch wenn Interreligiosität (→ Interreligiöses Lernen) im Religionsunterricht mittlerweile wichtiger ist als das Thema Ökumene, darf der Blick auf die innerchristliche Ökumene und die Geschichte der Ökumenischen Bewegung im Religionsunterricht nicht fehlen. Zu wichtig sind die Errungenschaften, hinter die die Kirchen und das Christentum nicht zurückfallen sollten. Vor allem die Strukturen der Begegnung, der Verständigung und der Umgang mit Differenzen können Modelle für mehr Einheit und Frieden sein. Die Versuche, dies didaktisch umzusetzen, sind dabei hinter der Notwendigkeit zurückgeblieben.

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