Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Mai 2024)

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1. Wortfeld

Zöllner kommen im Neuen Testament nur in den synoptischen Evangelien vor. Dort werden sie mit dem Begriff τελώνης/τελῶναι telōnēs/telōnai bezeichnet (Mt 5,46; 9,11; 10,3; 11,19; 18,17; 21,31-32; Mk 2,15-16; Lk 3,12; 5,27.29-30; 7,29.34; 15,1; 18,10.13; 19,2). In der griechischsprachigen Umwelt kann telōnēs einen Zöllner, jedoch ebenso allgemein einen Abgabeneinnehmer oder Abgabenpächter meinen. Daneben gibt es weitere Begriffe für Zöllner. In lateinischer Literatur wird meistens publicanus und manchmal portitor verwendet. Die Vulgata überträgt telōnēs mit publicanus. Für das Neue Testament bleibt daher offen, ob tatsächlich immer von Zöllnern gesprochen wird, wenn der Begriff telōnēs/telōnai gebraucht wird. Damit können auch Abgabeneinnehmer gemeint sein. Bei der Berufung des Levi wird von einem Zollhaus, einem τελώνιον telōnion berichtet (Mt 9,9; Mk 2,14; Lk 5,27). Das Derivat τέλος telos in der Bedeutung von Zoll oder Abgabe kommt in Mt 17,25 und Röm 13,7 vor.

2. Zoll

2.1. Zollstationen

Zollstationen fanden sich vor allem entlang von wichtigen Reise- und Handelsrouten. Sie waren an Stadttoren, Häfen, Straßen und Brücken zu finden. Sie waren nicht vorwiegend entlang von Grenzen zu finden, wenngleich sie dort auch sein konnten. Die Errichtung einer Zollstation folgte der pragmatischen Logik, wo sich eine solche anbot und auszahlte, weil Personen- und Warenverkehr zu erwarten war. Bisher konnte noch keine Zollstation archäologisch eindeutig nachgewiesen werden. Was bleibt, sind Namen von Zollstationen in Dokumenten.
Im Zollgesetz von Asia gibt es Bauvorschriften für Zollstationen. Eine Station konnte aus Wachstube, Deklarierstube, Lager und einer Wohnung für Zöllner bestehen. Wichtig war, dass diese Gebäude auf öffentlichem Boden errichtet sein mussten. Häufig wurden bereits bestehende Zollgebäude übernommen. Zollstationen wurden nicht immer vom Staat gebaut, sondern auch von Pachtgesellschaften. In Ephesus bauten Fischer und Fischhändler aus eigenen Mitteln ein Zollhaus (I.Eph. 20). Zolltarife und die Namen des Zollpersonals mussten seit 58 n. Chr. an den Zollstationen veröffentlicht werden. Dies geschah auf geweißten Holztafeln.

2.2. Verzollung

2.2.1. Von der Deklaration zur Quittung

Die Verzollung ist in dem Zollgesetz von Asia genau beschrieben. Die Waren mussten beim Zollpersonal mündlich angemeldet und deklariert werden. Dabei mussten Gewicht oder Stückzahl der Ware genannt werden. Die Zöllner kontrollierten Warenpapiere und zum Teil durchsuchten sie auch die Ware. Peter Kritzinger nimmt an, dass die Kontrolle der Papiere systematisch geschah, aber die Durchsuchung nur sporadisch. Zum Schluss wurde eine Quittung ausgestellt. Auf einer Quittung wurden Zollstation, Name des Zollpflichtigen, Import oder Export, Waren, Höhe der Zahlung, Datum sowie manchmal der Name des Zöllners vermerkt. In Ägypten wurden diese Quittungen auf Papyrus oder Ostraka ausgestellt, in anderen Regionen auch auf Holztäfelchen. Auf der Quittung konnte zusätzlich ein Zollsiegel z. B. aus Lehm hinzugefügt werden zur Authentifizierung, für das extra bezahlt werden musste. Die Dokumente dienten dem Nachweis, dass die entsprechende Gebühr bezahlt worden war. Diese Dokumente wurden an anderen Stationen kontrolliert. War eine Zollstation unbesetzt, so musste man zur nächstgelegenen Stadt ziehen und dort die Ware im größten Zollamt deklarieren.
Die Daten wurden ins Zollregister übertragen. Diese Zolllisten wurden zur Überprüfung und Archivierung an den zuständigen staatlichen Beamten bzw. ins tabularium (Rechungshof), die zuständige kaiserliche Behörde im Zollbezirk, oder im Fall von Gesellschaften zunächst an die eigenen Büros und dann ans tabularium weitergeleitet. In Ägypten wurden die eingenommenen Gelder monatlich in Banken eingezahlt. Den Transport übernahmen z. B. die Bogenschützen. In Lykien nahm jede Stadt Zoll ein, bezahlte an den Lykischen Bund, eine übergeordnete administrative Ebene, eine Zollsteuer, die wiederum an die Römer ging.

2.2.2. Zollpflichtige Waren und Personen

Die meiste Ware war zu verzollen. Für die Antike ist zu bedenken, dass darunter auch versklavte Menschen fallen. Die Höhe von Zöllen kann unterschiedlich sein. Bekannt ist vor allem der 2,5% Zoll auf Waren, die eingeführt werden in Asia, Gallien und in Spanien. In Alexandria wurden 25% des Warenwertes genommen, wahrscheinlich, weil dort Luxusgüter ankamen. Kritzinger vermutet, dass die Abgaben meistens unter 10% blieben, da in der Regel zwei bis drei Zollstationen passiert wurden. Teurer waren Luxusgüter, die weite Wege zurücklegten. Den Zoll auf die Luxusgüter behielt sich Rom selbst vor, weil er am meisten Gewinn brachte.
Die Zollinschrift von Palmyra (139 n.Chr.) erhebt z.B. auf Versklavte, Hetären, Kamele, Heu, Bronzestatuen, Purpurstoffe, Salben, Olivenöl, Salz, Tierfett und Salzfisch Zoll. In die Oasenstadt, die auf einer der wichtigsten Handelsrouten lag, wurde natürlich noch mehr eingeführt. In Zaraï in Numidien werden laut der Inschrift (22 n. Chr.) Zölle erhoben auf Versklavte, Pferde, Esel, Schweine, Ziegen und Schafe, Stoffe, Leder, Wein, Datteln, Feigen und Erbsen.
Zollquittungen aus Ägypten belegen die Ein- und Ausfuhr von landwirtschaftlichen und handwerklichen Produkten und Tieren wie z.B. Esel, Kamele, Ochsen, Linsen, Bohnen, Datteln, Flachs, Wein, Öl, Weizen, Holz, Keramik, Kleidung, Fischernetze.
Laut dem Zollgesetz von Asia konnten Großhändler Zollabkommen abschließen, um weniger Zoll zu bezahlen, und in manchen Bereichen gab es Pauschalzölle. Ebenso gab es Zollbefreiungen für bestimmte Waren oder ganze Städte. Zöllner waren wie reisende Militärangehörige davon befreit, Gegenstände und Personen zu verzollen, die sie zur Amtsausführung brauchten wie Schiffe, Versklavte, Bücher, Schreibgegenstände, Ausrüstung, Tiere und Proviant. Manche umherziehenden Berufsgruppen wie Mediziner, Schauspieler, Rhetoren, Philosophen und Berufsathleten waren vom Zoll ausgenommen, wenn sie das Bürgerrecht für die Provinz hatten, die sie betraten. Auch Kriegsflüchtlinge mussten keinen Zoll bezahlen. Privatpersonen mussten Reiseproviant und persönliche Gegenstände wie Bücher, Schreibtafeln, Schriften, Dokumente, Schuhe und Ringe nicht verzollen. Wasser war meistens zollfrei.
An Zollstationen konnte auch (zusätzlich) Geld fürs Passieren erhoben werden. Wahrscheinlich war dies der Fall in Koptos in Ägypten, wie eine Gebührenordnung für die Benutzung der Wüstenstraße nahelegt. Aus der Provinz Noricum weisen Inschriften auf Brückenzölle hin. Es handelte sich um Straßengebühren bzw. Maut. Diese dienten auch der kostspieligen Instandhaltung von Straßen, Brücken oder Häfen. Ein Zollsklave, der Leiter einer Zollstation am Plöckenpass, der Alpenweg zwischen Italien und Noricum, war, hielt inschriftlich fest, dass er selbst für die Ausbesserung der Straße aufgekommen sei (CIL 5,1864).

2.2.3. Zollbetrug

Laut dem Zollgesetz der Provinz Asia konnten Zöllner bei Betrugs- oder Schmuggelversuchen Ware konfiszieren und verkaufen, sollte sie nicht nach 30 Tagen ausgelöst sein. Beschrieben werden Schiffe, deren Ware fernab vom Zoll entladen wird, oder Versuche, beim Landtransport Zollstationen zu umgehen. Wenn Zöllner mutwillig Schiffe, die Bodenschätze transportierten, aufhielten, dann mussten sie das Zweifache des Warenwertes erstatten. In Andriake war es Zöllnern untersagt Geschenke, Spenden oder sonstige Bestechungen anzunehmen. Sollte ein Zöllner solche Gelder erpressen oder beim Zoll betrügen, so musste er den vierfachen Betrag erstatten.
Trotz solcher Androhungen gibt es Hinweise, dass Zöllner Leute erpressten und zu viel Zoll verlangten. Der Präfekt von Ägypten erließ unter Hadrian (117‒138) ein Edikt (P.Princ. 2,20), das davon spricht, dass Zöllner übertriebene Tricks anwenden, um von Durchreisenden Geld zu bekommen, mehr Geld als vorgeschrieben fordern und Leute, die es eilig haben, festhalten, damit sie ihnen Geld zahlen, um schneller weiterreisen zu können. Er fordert die Zöllner auf, dies zu unterlassen.
An einer Zollstation in Soknopaiu Nesos zeigt der dort tätige Bogenschütze den Zöllner wegen Unterschlagung an. Als Beweis hat er eine Kopie der Liste der Im- und Exporte angerfertigt (P.Amh. 2,77). Im Zollgesetz von Asia ist vorgesehen, dass Betrug seitens der Zöllner vor dem Prokurator der Provinz oder Prätor Peregrinus in Rom angezeigt werden kann.

2.3. Zöllner

2.3.1. Zöllner in verschiedenen Provinzen

An einer Zollstation arbeiteten verschiedene Personen. An den Stationen in der Provinz Ägypten wurden Zöllner, Schreiber, ein Symbolarius, der Quittungen ausstellte, Warendurchsucher und Arabische Bogenschützen eingesetzt. Diese Bogenschützen sind eine nur im Bezirk Arsinoite belegte Zollpolizei. Manchmal gab es auch Eremophylakten, Wüstenwächter, die Quittungen und Passierscheine überprüften. Für die Provinz Noricum lässt sich aus Inschriften rekonstruieren, dass an den dortigen Zollstationen vor allem Versklavte arbeiteten, die von Pachtgesellschaften eingesetzt wurden. Belegt sind hier z.B. Aufgaben wie vilicius (Zollvorsteher), vicarius (Stellvertreter), contrascriptor, der Quittungen ausstellte und kontrollierte, arcarius (Kassierer) und scrutator, der die Ware überprüfte bzw. durchsuchte. Zollsklaven wurden selten freigelassen, weil sie dann nicht mehr für Verstöße belangt werden konnten, die sie vor ihrer Freilassung begangen hatten.
Vor allem durch Grabinschriften wird sichtbar, dass Zöllner, auch als Versklavte, wohlhabend sein konnten und Gepflogenheiten sozialer Repräsentation der Elite kopierten (vgl. Onno van Nijf). In Kibyra errichtete der Leiter einer Zollstation für seinen Sohn, der auch im Zoll tätig war, ein Grabmal. Ein scrutator der Zollstation in Bilachensis in Noricum beerdigt mit seiner Frau die Tochter, die als Kleinkind verstarb. Der Leiter derselben Station beerdigt seine Frau. In Virunum errichtet ein keltischer Versklavter eine Grabstätte für sich, seine Frau, Mutter, Schwestern und seinen Bruder. Ein kaiserlicher Zollsklave trägt seine 16-Jährige Frau zu Grabe. In Rom errichtet eine Ehefrau für ihren Mann, der als kaiserlicher Versklavter an einer Zollstation in Gallien tätig war, einen Grabstein. Zöllner werden so in ihren familiären Bezügen sichtbar.
In der Provinz Asia gehörten Zöllner häufig zu größeren Pachtgesellschaften. Es gab einen Zöllner, einen Vertreter, Assistenten und eine zeichnungsberechtigte Person, die Unterschriften beim Leiter der Staatskasse leisten konnte. Die Pachtgesellschaften bestanden aus Personen, die wohlhabend genug waren, den Zoll zu pachten. Manchmal agierten sie mit Bürgen, die mit ihrem Grundbesitz hafteten, der bis zum Fünffachen die Pachtsumme übersteigen musste. Der Zöllner musste die Pacht eines Jahres im Oktober bezahlen. Zoll konnte in der Regel für fünf Jahre gepachtet werden.
Allerdings wird sich nicht immer an solche zeitlichen Begrenzungen gehalten. So ist nachweisbar, dass im Zollbezirk Illyricum im 2. Jh. n.Chr. dieselben Zollpächter bis zu 11 Jahren tätig waren. Klaus Zimmermann spricht von der Entwicklung einer regelrechten Zolldynastie, die staatlich geduldet wurde. Auch in Ägypten gab es Beschwerden über Liturgen, die über die vorgesehene Amtszeit hinaus den Zoll in ihrer Hand hatten.
In der Provinz Lykien organisierte der Lykische Bund, eine Städtevereinigung, den Zoll. Die Zöllner waren hier städtischen Beamten unterstellt. Der Lykische Bund führte die Gelder gesammelt an Rom ab.
Die neuen Regelungen unter Nero 58 n. Chr. führten auch zu dem Einsatz von Prokuratoren, die zur Kontrolle der Zöllner eingesetzt wurden. Sie sollten sicherstellen, dass die Zollgesetze eingehalten wurden. Der Staat kontrollierte so zu einem gewissen Maß die Zöllner. Wie erfolgreich, ist allerdings schwer zu sagen. Wie auch in anderen Bereichen wurde im Zollsystem eher reagiert als proaktiv agiert.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass Zöllner häufig hochspezialisiert waren. Sie mussten mit den Gesetzen vertraut sein. Zudem ist die Verzollung an sich ein komplexer administrativer Vorgang. So wurde Zollpersonal häufig weiterverkauft oder übernommen, wenn der Hauptverantwortliche wechselte. Es war nicht ungewöhnlich, dass eine hohe Mobilität mit dem Beruf einherging, besonders bei denjenigen, die von Pachtgesellschaften eingesetzt wurden. Zöllner waren gut vernetzt. Sie waren Teil einer größeren Hierarchie. Ihre Position in diesem Gefüge konnte unterschiedlich sein. Ihr Auskommen war selbst in der Position eines Zollsklaven wahrscheinlich gut. Viele hatten Familien zu versorgen. Belege für Frauen, die als Zöllnerinnen am Zoll arbeiteten, gibt es bisher nicht. Im Unterschied zu den vielen negativen Äußerungen in der griechisch-römischen Literatur, zeigt sich der Beruf des Zöllners in der Epigraphik nicht viel anders als andere Berufe.

2.3.2. Zöllner in griechisch-römischer Literatur

Viele literarische Aussagen über Zöllner sind negativ in der griechisch-römischen Literatur. Die telōnai würden die Provinzen ausbeuten und wie „Harpyien den Menschen ihre Nahrung [wegraffen]“ (Plutarch Luc. 7,6). Zöllner werden neben andere moralisch fragwürdige Personen gestellt: „Ehebrecher, Bordellbesitzer, telōnai, Schmeichler, Spitzel und dergleichen ähnliche, die der Abschaum im Leben sind.“ (Lukian Nek 38,11) Daneben finden sich manchmal positive Aussagen wie über Kaiser Vespasians Vater, der den Hafenzoll der Provinz Asia gepachtet hatte, und dem laut Sueton eine Statue mit der Aufschrift „dem guten Zöllner“ gewidmet wurde (Sueton Vesp. 1,2-3). Laut Artemidors Traumdeutungsbuch verheißt der Traum über einen Zöllner Glück beim Geschäftsabschluss (Artemidor Onir 3,58). Insgesamt bewerten moralisch-philosophische Werke Zöllner negativ und historische Werke vor allem die großen Pachtgesellschaften (Publikanen). Meistens wird über wohlhabende und einflussreiche Zöllner berichtet, allerdings kaum über die tatsächlichen Tätigkeiten an einer Zollstation.

2.3.3. Zöllner zur Zeit Jesu

In der neutestamentlichen Forschung wurde vor allem diskutiert, wer die telōnai waren, die bei den Synoptikern erwähnt werden. Dabei geht es erstens darum, ob sie zu römischen Pachtgesellschaften gehörten oder eigenständige hellenistische Kleinpächter waren. Fritz Herrenbrück begründet ausführlich, dass die Zöllner im 1. Jh. n.Chr. in Palästina lokale Abgabenpächter waren, da es kaum Belege für römische Pachtgesellschaften in der Region gebe. Damit wiederlegt er die alte These, dass sie zu römischen Pachtgesellschaften gehörten. Werner Stenger nimmt wie Herrenbrück an, dass Zöllner zur Zeit Jesu Kleinpächter gewesen seien. Er legt die telōnai des Neuen Testaments allerdings auf die Zollpacht fest. Zudem unterscheidet er zwischen wohlhabenden Zollunternehmern wie Zachäus und Unterzöllnern wie Levi.
Zweitens wird versucht zu ergründen, warum sie mit Sündern gemeinsam genannt werden. Die wirkmächtigsten Thesen haben Joachim Jeremias und der Papyrologe Herbert Youtie aufgestellt. Jeremias legt anhand von rabbinischen Negativreihen, in denen Zöllner neben Hirten, Würfelspieler, Wucherer, Räuber, Ehebrecher gestellt werden, dar, dass Zöllner als moralisch unrein betrachtet würden. Sie missbrauchten ihr Amt und bereicherten sich durch Betrug. Youtie nimmt an, dass Zöllner gehasst wurden, weil sie wohlhabende Kollaborateure waren, die sich in den Dienst der Römer gestellt hätten. Dabei seien sie nicht besser oder schlechter als andere Personen gewesen. Eine andere Richtung schlagen Luise Schottroff und Wolfgang Stegemann ein. Sie gehen davon aus, dass Zöllner zu sozialen Randgruppen gehörten, die keine andere Arbeit als den Zoll gefunden hätten. Sie gehörten zu den Marginalisierten, denen Jesus sich zuwendet. Herrenbrück zeigt in seinen Untersuchungen, dass Zöllner in griechisch-römischer Literatur wegen aristokratischer Wertvorstellungen abgelehnt würden. In manchen rabbinischen Schriften führe ein vergleichbares pharisäisches Bildungsideal zur Ablehnung von Zöllnern. Er findet aber auch neutrale und positive Haltungen zum Abgabenpersonal in rabbinischen Schriften. Werner Stenger differenziert in wohlhabende Zöllner wie Zachäus und Unterzöllner wie Levi, die einen unterschiedlichen sozialen Stand hätten, auch wenn sie alle negativ betrachtet würden. In der deutschsprachigen Kommentarliteratur werden Zöllner hauptsächlich als sündig, kollaborierend, unehrlich und betrügerisch dargestellt. Neuere englischsprachige Kommentare machen darauf aufmerksam, dass es sich hierbei um Zuschreibungen handeln kann.

2.3.4. Zöllner in den Evangelien

Es gibt eine auffallende Diskrepanz zwischen der literarischen Darstellung von Zöllnern und ihrer Lebensrealität. Auch im Neuen Testament werden keine historischen Zöllner geschildert, sondern literarische Konstrukte geschaffen, die mal mehr mal weniger Anhaltspunkte an der Realität haben. Levi saß sicherlich nicht alleine im Zollhaus. Zachäus verspricht Wiedergutmachung, die an gesetzliche Vorgaben erinnert. Zöllner treten in Gruppen auf, was auf ihre Vernetzung anspielen könnte (vgl. El Mansy).
Für die theologische Interpretation der Zöllner im Neuen Testament ist wie gesehen die historische Rekonstruktion sowie die Erklärung der negativen Bewertung ausschlaggebend. Für Jeremias zeigt sich in der Tischgemeinschaft mit Zöllnern ein Konflikt zwischen Pharisäern und Jesus. Laut Youtie habe sich Jesus die Vorurteile gegen die Zöllner zunutze gemacht, um seine Botschaft der Umkehr zu illustrieren. Nach Schottroff und Stegemann bedeutet Jesus Zuwendung zu Zöllnern als soziale Randgruppe, dass hochgestellten Personen ihr Hochmut vor Augen geführt wird, der zur Verachtung marginalisierter Gruppen führe. Herrenbrück sieht in den Zöllner-Texten ein Beispiel für die Sendung Jesu zu ganz Israel. El Mansy differenziert die telōnai-Texte mit je eigener theologisch-literarischer Funktion in den Synoptikern: Mk begründet anhand der Zöllner die Zuwendung Jesu zu marginalisierten Gruppen christologisch, Mt benutzt die Zöllner in Phrasen zur Abgrenzung von und Beschämung anderer und bei Lk werden sie zu exemplarischen Vorbildern der Umkehr. Die Evangelien greifen dabei mehr auf ein literarisches Stereotyp als auf die soziale Realität zurück.

Literaturverzeichnis

  • El Mansy, Aliyah, Τελῶναι im Neuen Testament. Zwischen sozialer Realität und literarischem Stereotyp, NTOA 129, Göttingen 2023.
  • Froehlich, Susanne, Das Zollpersonal an den römischen Alpenstraßen nach Aguntum und Virinum, Klio 96.1 (2014), 67‒92.
  • Herrenbrück, Fritz, Jesus und die Zöllner. Historische und neutestamentlich-exegetische Untersuchungen, WUNT II 41, Tübingen 1990.
  • Jeremias, Joachim, Zöllner und Sünder, ZNW 30/3 (1931), 293‒300.
  • Kritzinger, Peter u.a. (Hg.), Studien zum römischen Zollwesen, Reihe Geschichte 7, Duisburg 2015.
  • Schottroff, Luise/Stegemann, Wolfgang, Jesus von Nazareth – Hoffnung der Armen, Stuttgart u.a. 21981.
  • Stenger, Werner, „Gebt dem Kaiser, was des Kaiser ist…!“ Eine sozialgeschichtliche Untersuchung zur Besteuerung Palästinas in neutestamentlicher Zeit, BBB 68, Frankfurt a.M. 1988.
  • Van Nijf, Onno, The Social World of Tax Farmers and their Personnel, in: M. Cottier u.a. (Hg.), The Custom Law of Asia, Oxford 2008, 279‒311.
  • Youtie, Herbert C., Publicans and Sinners, ZPE 1 (1967), 1‒20.

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