Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Mai 2024)

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1. Name – Etymologie

Die etymologischen Wurzeln des Namens der Insel Patmos sind zweifelhaft. Wie aus einer antiken Inschrift, die sich heute im Johanneskloster auf Patmos befindet, hervorgeht, lautete der originale Name der Insel Patnos (Πάτνος / Patnos). Diese Bezeichnung ist wohl nicht griechischen Ursprungs, sondern entstammt dem syrischen Wort für Terebinthe, die wohl früher auf der Insel wuchsen. Ähnlich dürfte auch die venezianische Bezeichnung der Insel ab dem 14. Jh. – Palmosa – auf Palmen hinweisen, die heute nur spärlich auf der Insel erhalten sind. Die Wurzel des ebenso seit der Antike verwendeten Namens Patmos (Πάτμος / Patmos) ist umstritten. Als Erklärung angeführt wird Patmos als Stufe (πατήμα / patēma) des Gottes Poseidon. Ab dem 16. Jh. häufen sich aber auch Erklärungsversuche, die vor dem Hintergrund der Interpretation der → Johannesoffenbarung zu verstehen sind. So wird als Wurzel patein (πάτεῖν – trampeln) angeführt, da die Insel steinig sei, aber auch, weil → Johannes während seines angeblich beschwerlichen Aufenthalts hier metaphorisch mit Füßen getreten worden sei. Ebenso wurde potmos (πότμος – Tod) als Erklärung herangezogen und mit dem scheinbaren Leid des Sehers assoziiert.

2. Topographie

Patmos ist eine der nördlichsten Inseln der südlichen Sporaden und liegt südlich der Insel Samos sowie nördlich von Kos in der Nähe der kleinasiatischen Küste. Sie umfasst eine Fläche von 34 km2. Zählt man die zu ihr gehörigen Inseln Prasonisi, Tragonisi, Chilimodi, Sklava, Sklavopoula, St. Thekla, Kentronisi und St. Georg (von Süd nach Nord) hinzu, steigt ihre Fläche auf 57,1 km2. Der unfruchtbare, gebirgige Boden auf Patmos ist vulkanischen Ursprungs und lässt sich heute als felsig und für die Landwirtschaft weitestgehend unbrauchbar beschreiben. Über wenige Zisternen ist Trinkwasser zu fördern. Ehemalige Flüsse im Norden der Insel beim Koumaragebirge und in der Bucht von Myrsini sind mittlerweile vertrocknet. Reiseberichte aus dem 17. Jh. jedoch deuten darauf hin, dass zu dieser Zeit kein Wassermangel herrschte, was die Insel zu einem gewissen Wohlstand brachte.

Patmos wird in der Mitte durch einen Isthmus in zwei Hälften geteilt. Hier liegt mit ihrem Hafen die Hauptstadt der Insel, Skala, deren Name seit dem 16. Jh. überliefert ist. In der südlichen Inselhälfte befindet sich die seit dem 12. Jh. belegte Stadt Chora, deren Zentrum das Johanneskloster bildet und in deren Nähe die sogenannte Höhle der Apokalypse liegt. An den westlichen Ausläufern der Stadt gliedert sich ein bewässertes und reichlich kultiviertes Tal an, das im 11. Jh. vom Klostergründer Ossios Christodoulos angelegt worden sein soll und den Namen „Garten des Osios“ (κῆπος τοῦ Ὁσίου / kēpos tou Hosiou) trägt. Weiter im Süden befindet sich mit dem vom Kloster Hagios Elias gekrönten 266 m hohen Berg Profitis Ilias die höchste Erhebung der Insel, gefolgt vom südlichen Kynopsgebirge. Im Süden trennt ein weiterer Isthmus zwischen der Stavros- und der Diakofti-Bucht den Südteil der Insel vom Prasongebirge ab. Östlich von Chora ist die Stadt Grikos zu erwähnen mit der Bucht von Petra, aus welcher der Kallikatsou-Felsen mit in den Stein gehauenen Höhlen und Treppen sowie einer Zisterne am Gipfel hervorragt.

Nördlich von Skala erstreckt sich nach der Ortschaft Pernera bei der Bucht von Merika der Isthmus von Rouvali. Im Nordwesten liegt die von Quellen durchzogene Bucht von Myrsini, in deren Osten die Kapelle Hagios Nikolaos Eudolos errichtet wurde. Im Zentrum des Nordteils von Patmos ist mit Kampos und der dazugehörigen Bucht die drittgrößte Stadt der Insel nach Skala und Chora zu erreichen. Der östlichste Punkt von Patmos ist das Kap Geranos, 15 km von der Kapelle Hagios Nikolaos entfernt. Unter anderem waren hier heiße Thermalquellen zu finden.

3. Geschichte der Insel

3.1. Antike

3.1.1. Literarische Quellen

Über die Geschichte von Patmos vor dem dortigen Aufenthalt des Sehers Johannes ist wenig bekannt. Frühe griechische Quellen schweigen über die Insel. So wird sie weder bei Homer noch Herodot erwähnt, welche die umliegenden Inseln durchaus namentlich anführen. Erst Thukydides führt Patmos (fälschlich: Latmos) in Thukyd. 3,33 beiläufig an, wenn nach seinem Bericht General Paches die Spartaner bis Patmos verfolgte. Strabo (10,5) nennt Patmos lediglich als eine Insel der Sporaden, westlich von Ikaria. Plinius dem Älteren (Plin., nat. 4,12) verdanken wir die antike Information, dass Patmos als Insel der Sporaden einen Umfang von 30 Meilen hat. Das um 200 n. Chr. anonym verfasste Werk Stadiasmus Maris Magni erwähnt einen Ort Amazonion auf Patmos, der in neuerer Zeit verschiedentlich am Kap Geranos bei Myrsini oder im äußersten Süden am Kap Elias lokalisiert wurde. Da Strabo (14,1) angab, dass die nahegelegene Insel Samos zuerst von Kariern besiedelt wurde, ist dies wohl auch für Patmos anzunehmen. Auf diese folgten nach dem Referat Herodots (1,171) die Dorier und anschließend die Ionier. Seit hellenistischer Zeit unterhielt Patmos enge Verbindungen zur Stadt Milet. Aufgrund seiner strategischen Lage in der Ägäis diente Patmos der kleinasiatischen Stadt als Festungsinsel phrourion (φρούριον), welche Handelswege schützte und als Vorposten/Militärstation Milets fungierte. Von hier aus wurde Patmos in dieser Zeit auch besiedelt und unterstand der Jurisdiktion Milets. Dass Patmos als solch ein Vorposten Milets in der Antike als Verbannungsort diente, kann zumindest mit den angeführten antiken Quellen nicht belegt werden. Diese Einschätzung fußt überwiegend darauf, dass der Aufenthalt des Johannes auf der Insel als Exil gedeutet wurde (siehe 4.1).

3.1.2. Archäologische Quellen

Auch archäologisch und inschriftlich lassen sich einige Aussagen über Patmos treffen. In der Nähe der heutigen Hauptstadt Skala befindet sich der Kastellihügel, auf dem Ruinen darauf verweisen, dass hier ab dem 3. Jh. v. Chr. die Akropolis der Insel und gleichzeitig die Festung standen. Doch schon hier gefundene Keramikscherben legen die Vermutung nahe, dass Patmos resp. Kastelli seit der Mittleren Bronzezeit durchgängig bewohnt war. Die Akropolis hatte einen Umfang von 800 m und war von Türmen geschützt. Im Zentrum bei der heutigen Kapelle Hagios Konstantinos war einst ein halbkreisförmiger Sockel, auf dem wohl eine Götterstatue aufgestellt war. V. Guérin verband den Befund mit einem Apollontempel, leitete dies jedoch überwiegend aus dem Bericht der Prochorusakten ab, deren Zuverlässigkeit umstritten ist. Dass Apollon auf Patmos verehrt wurde, erscheint jedoch vor dem Hintergrund wahrscheinlich, dass er auch die Hauptgottheit Milets war. Ebenso mag ein Hippodrom zwischen dem heutigen Skala und Kastelli angelegt gewesen sein. Der Haupttempel der Insel befand sich wiederum in Chora. Dort, an der Stelle des Johannesklosters, stand bis ins 11. Jh. der Tempel der Artemis, bis Ossios Christodoulos beim Bau seines Klosters die alte Statue der Göttin entfernen ließ.

Über die Insel verstreut weisen weitere archäologische Befunde auf die antike Besiedlung der Stadt hin. Diese wurden intensiv von Guérin im 19. Jh. studiert. Heute sind die von ihm identifizierten Überreste teils nicht mehr zu sehen. So finden sich antike Marmorblöcke, meist aus hellenistischer Zeit, im Hafen von Skala und Pernera sowie bei der Kirche Hagia Paraskevi. Etwas nördlich, in Rouvali, mag ein Felsen mit einer Höhle einer antiken Felsgottheit gewidmet gewesen sein. Antike Friedhöfe lassen sich in Etia bei der Bucht von Merika sowie in Kampos lokalisieren. Ehemalige Ruinenreste in Myrsini, die auf antike Häuser hindeuten, fielen nach der Beschreibung durch Guérin der landwirtschaftlichen Bebauung zum Opfer. Weitere Hinterlassenschaften waren zudem an der Nordküste in Broulidia und in Livadi beim Kloster Livadi Kalogiron zu erkennen. Südlich von Skala befindet sich bei Chora eine Kapelle für die Heilige Trinität aus dem 17. Jh., in welcher die Inschrift eines Marmorblocks darauf verweist, dass ein gewisser Epaphroditos einst eine Statue weihte. An der südlichen Ostküste sind in den beiden Häfen Sapsila und Hepsimia noch antike Spuren auszumachen, ebenso in Grikos. Am Strand der Bucht von Petra steht der bereits genannte ca. 20 m hohe Felsen Kallikatsou, in den einst Höhlen und Treppen sowie eine Zisterne geschlagen wurden. Viel spricht dafür, dass hier pagane Kulte stattfanden, bevor der Berg in christlicher Zeit von Eremiten behaust wurde. Dies alles weist auf eine reiche Besiedlung der Insel in der Antike hin. Aufgrund der Keramikfunde in Skala/Merika lässt sich schlussfolgern, dass hier einst 12.000-13.000 Einwohner lebten, die die Zahl der 3000-4000 Bewohner heute weit übersteigen.

3.1.3. Epigraphische Quellen

Auf die hohe Bevölkerungsdichte der Insel in der Antike weisen auch die bis dato gefundenen Inschriften auf Patmos aus hellenistisch-römischer Zeit hin. Im 2. Jh. v. Chr. lobt ein Dekret zu Ehren eines gewissen Hegemandros aus Milet, dass dieser eine Hermesstatue stiftete. Hegemandros war hiernach siebenmal Vorsteher des örtlichen Gymnasiums, der Fackelträger und der dortigen sogenannten Nutzer athletischen Öls. Aus dem 2. Jh. n. Chr. ehrt eine weitere Inschrift die Artemispriesterin Vera. Hier wird Patmos zudem als heilige Insel der Artemis von Skythia bezeichnet, deren Tempel sich in Chora befand. In Verbindung steht diese mit einer auf Patmos umgemünzten Änderung des Orestes-Mythos, wonach dieser, um den Mord an seiner Mutter Klytämnestra wiedergutzumachen, eine Artemisstatue in Taurien stahl und sie nach Patmos brachte. Eine weitere Inschrift spricht klar von der patmischen Artemis. So wird hieraus deutlich, dass die Insel in griechisch-römischer Zeit gut bevölkert war, über einen ausgeprägten Kult sowie Sportanlagen wie Gymnasien und wohl ein Hippodrom verfügte.

3.2. Patmos in christlicher-byzantinisch Zeit (1.-10. Jh.)

Wenngleich Patmos in der Antike dicht besiedelt war, verdankte die Insel ihren Ruhm erst der Offenbarung des Johannes, nach der der Seher Johannes wohl im 1. Jh. hier seine Visionen empfangen haben soll (vgl. Apk 1,9). Der damit verbundene Nimbus der Insel führte dazu, dass in byzantinischer Zeit Patmos häufig Ziel von Wallfahrern und Pilgern wurde. Wenig ist aus dieser Zeit historisch verlässlich zu ermitteln. Überreste von byzantinischen Architekturelementen wie Kapitelle deuten auf Kirchenbauten aus dem 4.-7. Jh. hin, die sich zumeist an der Stelle des heutigen Johannesklosters befanden. Nahe der Stadt Grikos lassen sich zudem Ruinen spätantiker Häuser nachweisen. Patmos wurde in dieser Zeit immer wieder von Piraten heimgesucht. Zudem führten Konflikte zwischen Byzanz und den Arabern ab dem 7. Jh. dazu, dass die Insel zunehmend verlassen wurde. In dieser Zeit wurden wohl auch die byzantinischen Kirchen zerstört und die Bevölkerung versklavt. Im Jahr 904 weiß ein gewisser Johannes Kameniates (De exc. Thess. 68) zu berichten, dass Patmos im 10. Jh. unfruchtbar und ohne Wasser war.

3.3. Ossios Christodoulos (11. Jh.)

Die Situation auf der Insel änderte sich erst in der zweiten Hälfte des 11. Jh. Ossios Christodoulos (*1020) war kleinasiatischer Mönch u. a. in Mysia, Abt in Milet und auf Kos. Für eine neue Klostergründung erwählte er die Insel Patmos, einerseits aufgrund ihrer Verbindung zur Johannesoffenbarung, andererseits weil die Insel zu dieser Zeit wüst und verlassen war und sich aus diesem Grund ideal für ein abgeschiedenes Mönchsleben eignete. In einer Bulle des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos wurde ihm im Jahr 1088 die Insel übertragen und seiner Jurisdiktion unterstellt. Auch von kaiserlichen Steuern wurde das von ihm errichtete Kloster des Heiligen Johannes des Theologen auf dem Gipfel der Stadt Chora befreit. Dieses wurde auf dem Platz des antiken Tempels der Artemis erbaut, deren Statue Ossios Christodoulos nach eigenen Angaben entfernt haben soll. Da die Insel verlassen war, siedelte der Abt hier Arbeiter an. Wie in seiner Klosterregel festgehalten wurde, durften sich diese Laien mit ihren Frauen nicht um das Kloster herum niederlassen, sondern lediglich im Norden von Patmos leben. Als gedachte Demarkationslinie galt der Weg von der Nikolaoskapelle im Nordwesten hin zur Bucht Baion bei Kampos im Nordosten. Aufgrund anhaltender Einfälle von Piraten wurde diese Regel später gelockert, sodass sich auch Laien in Chora zum Schutz ansiedeln durften. Ossios Christodoulos selbst musste aufgrund von Angriffen der Sarazenen und Piraten schließlich fliehen, sodass er im Jahr 1093 auf Euböa starb.

Architektonisch ist das Johanneskloster als Festung mit Wehrtürmen angelegt. Im Narthex der Hauptkirche liegt in der nach ihm benannten Kapelle der Klostergründer bestattet. Ebenso finden sich hier Reliquien wie der Schädel des Apostels → Thomas. Im Exonarthex wurden im 17. Jh. Fresken angebracht. Diese enthalten neben biblischen Szenen Abbildungen über Leben und Wirken des Johannes auf Patmos, die von den Prochorusakten inspiriert sind.

3.4. Geschichte von Patmos bis zur Neuzeit

Auch nach dem Tod seines Gründers blieb das Johanneskloster eine bedeutende Einrichtung innerhalb der Orthodoxie, die, gerade auch aufgrund ihrer Bibliothek, schnell den Ruf eines zweiten Athos einnahm. Im 12. Jh. umfasste es 150 Mönche und hielt diversen Angriffen stand. Patmos selbst wuchs durch Flüchtlinge aus dem im Jahr 1453 gefallenen Konstantinopel an, die sich in Chora niederließen, genauso wie 1669 durch kretische Asylsuchende. Zunehmend geriet das Kloster in dieser Zeit unter türkische Herrschaft und verlor seinen Reichtum. Über Kontakte in den Westen (Papst, Venedig, Johanniter) versuchten die Mönche, eine Schutzmacht zu gewinnen, was jedoch nicht nachhaltig war. Aufgrund der Unfruchtbarkeit der Insel verdienten sich die meisten Bewohner durch Fischfang und Seehandel den Unterhalt. Im 17. Jh. gelangte die Insel so wieder zu gewissem Reichtum, was eine Reihe von Bauprojekten sowie die künstlerische Ausgestaltung des Klosters nach sich zog. Dies endete mit der Zerstörung der Insel durch die konkurrierenden Venezianer im Jahr 1659. Im 18. Jh. gründete Makarios Kalogeras eine bedeutende (Theologen-)Schule, deren Schüler u. a. aus Griechenland, Russland und Kleinasien stammten. Ende des 19. Jh. lebten auf Patmos lediglich noch 2000 Menschen, bis die Insel 1947 mit dem neugegründeten Staat Griechenland vereint wurde.

4. Patmos, Johannes und die Johannesoffenbarung

4.1. Ort, Zeit, Umstände

Seine Berühmtheit verdankte Patmos seiner Erwähnung in der Offenbarung des Johannes (Apk 1,9). Nach der Angabe des Sehers verweilte er auf der Insel Patmos in Bedrängnis wegen (dia / διά) des Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu. Dabei gibt er nicht an, ob er sich zur Zeit der Abfassung seines Werkes noch auf Patmos befand. Unklar ist hierbei die Bedeutung von dia, für deren Interpretation mehrere Möglichkeiten angeführt werden können:

In der Alten Kirche (z. B. Euseb., h. e. 3,18,1) wurde der Patmosaufenthalt meist als Verbannung gedeutet. Folgt man dieser These, bleiben die genauen Umstände des Exils jedoch weiter unklar. Zeitlich wird Irenäus folgend (Iren., Adv. Haer. 5,30,3) bis heute oft die Regierungszeit des Kaisers Domitian (81–96 n. Chr.) angenommen. Johannes wäre zu dieser Zeit wohl der Jurisdiktion des Prokonsuls von Asia in Ephesus unterstanden, wenngleich H. D. Saffrey ihn fälschlicherweise den Behörden Milets unterstellte. Aus juristischer Sicht käme bei seiner Verbannung eine deportatio oder relegatio (so schon Tert., Adv. Marc. 4,2; 5,16) infrage. Beide Strafen konnten lebenslang oder auf bestimmte Zeit verhängt werden. Zu den Tätigkeiten während eines solchen Exils lässt sich wenig sagen. Erstmals gab Victorinus von Pettau im 3. Jh. an, Johannes sei ad metallum verurteilt worden (Comm. in Apoc. 10,3), also zur Zwangsarbeit in Minen. Dies erscheint jedoch unwahrscheinlich. Zum einen hätte der Seher sich parallel zu solch einer harten Arbeit weder gedanklich noch schriftstellerisch mit dem Inhalt seines Werkes auseinandersetzen können. Und auch wenn V. Guérin – wohl basierend auf dieser Auslegung – vermutete, dass sich im Kynopsgebirge im Südwesten der Insel Minen befunden haben könnten, gibt es doch keine verlässlichen Nachweise solcher Metallgruben. Außerdem wurde die Strafe der Zwangsarbeit meist lebenslänglich verhängt. So könnte nur gesagt werden, dass sich Johannes wohl für eine befristete Zeit auf Patmos aufhielt, womöglich unter Domitian, wenngleich die Regierungszeiten von Trajan oder Hadrian ebenso denkbar wären.

Da jedoch in den vorchristlichen Quellen Patmos nirgendwo als Verbannungsort beschrieben wird, bleibt die Exilsthese stark umstritten. Apk 1,9 könnte zumal auch so gedeutet werden, dass Johannes auf die Insel kam, um (dia / διά) das Wort Gottes dort zu verkündigen. Der Seher wäre dann nicht verbannt worden, sondern sei in der Intention, zu missionieren, nach Patmos gekommen. Ebenso denkbar wäre, dass Johannes die Insel aufsuchte, um dort das Wort Gottes zu vernehmen. Laut M. Karrer ließe sich durch Änderung der Interpunktion in Apk 1,9-10 zudem dafür argumentieren, dass der Seher den Grund seiner Zeit auf Patmos schlicht nicht spezifiziert. dia würde dann im Weiteren angeben, dass er wegen des Wortes Gottes am Herrentag vom Geist erfüllt wurde (Apk 1,10).

Neben den historischen Umständen des Patmosaufenthalts, die sich nicht eindeutig klären lassen, sei auch die inter- und intratextuelle Bedeutung der Erwähnung von Patmos betont. M. Karrer wies darauf hin, dass Inseln für Israel als Ort der Völker galten (z. B. Jes 49,1), eine solche hier allerdings von Gott für würdig erachtet wurde, dort seine Offenbarung kundzutun. St. Alkier wiederum machte deutlich, dass, eingebettet in die Raumbezüge in der Johannesapokalypse, die Insel Patmos als idealer Andersort gezeichnet wird, der den sieben Gemeinden auf dem Festland gegenübersteht, und über den die Kommunikation zwischen dem Himmel und den irdischen Städten gelingen kann. 

4.2. Höhle der Apokalypse

Noch heute ist die Hauptattraktion der Insel Patmos eine Höhle, die sich auf halbem Weg zwischen Skala und dem Johanneskloster in Chora befindet. Hier soll der Seher (in der Tradition bis heute oft mit dem gleichnamigen Jünger identifiziert [→ Johannes]) seine Offenbarung empfangen und seinem Schüler Prochorus diktiert haben. Der Grotte ist ein Narthex vorgelagert, der in die von Ossios Christodoulos errichtete Kapelle der Anna – das Katholikon – führt. Daneben befindet sich die eigentliche Grotte. Ein sternförmiger Riss an der Felsdecke soll auf die Trinität verweisen und den Ort anzeigen, durch den die Stimme Gottes zu Johannes sprach. An der Wand werden Stellen aufgezeigt, an denen Johannes sein Haupt niederlegte bzw. sich abstützte. Die Höhle der Apokalypse wurde wohl im 11. Jh. unter Ossios Christodoulos identifiziert. Wenngleich in der Johannesoffenbarung keine Höhle erwähnt wird, dienten Höhlen sowohl biblisch als auch außerbiblisch als Offenbarungsorte wie in 1Kön 19,8 oder 2Bar 21. Interessanterweise wurde in der Erzählung der Prochorusakten im 6./7. Jh. aufgrund solcher Symbolik die Erzählung interpoliert, wonach der Apostel Johannes die Apokalypse in einer Höhle empfing. Möglicherweise gab diese Erzählung für Ossios Christodoulos den Ausschlag, die Abfassung der Offenbarung in eine Grotte zu verlegen.

5. Rezeption von Patmos

5.1. Die Johannesoffenbarung

Ausgehend von der Erwähnung von Patmos in Apk 1,9 nahm die Insel in der christlichen Rezeptionsgeschichte häufig eine hervorgehobene Rolle ein. Während meist eine literale Exegese angestrebt wurde, welche Patmos als den realen Ort des Exils des Sehers sah, der spätestens seit Justin (Dial. 81,4) mit dem Apostel und Evangelisten Johannes gleichgesetzt wurde, finden sich auch andere Interpretationen der Insel. So wurde sie z. B. im 6. Jh. für Primasius (Comm. in Apoc. 6) vielmehr auch zu einer mythischen Landschaft, in welcher die Grenze zwischen Himmel und Erde verschwimmt. Im lateinischen Kulturraum wurde Patmos ab dem Mittelalter häufiger als fretum (Meerenge, Brandung, Abgrund) bezeichnet. Dies deute einerseits auf die von Isthmen und Buchten gekennzeichnete Landschaft, gleichzeitig auch auf die tosenden Hindernisse und Trübsale der irdischen Welt, derer Johannes sich ausgesetzt sah. Häufig wird Patmos als äußerst unfruchtbar, verlassen und isoliert charakterisiert, was oftmals weniger den realen Gegebenheiten entsprach als vielmehr der Absicht der Interpreten, ein imaginiertes Ödland als idealen kontemplativen Ort zur Erlangung von Visionen zu kennzeichnen. Gerade im franziskanischen und dominikanischen Milieu wurde Johannes’ Aufenthalt auf Patmos als monastisches Vorbild interpretiert. Patmos als Chiffre für solitudo / Einsamkeit begegnet noch bei Martin Luther, der seine Zeit auf der Wartburg als zweites Patmos charakterisierte.

5.2. Die Prochorusakten

Zentral für die Traditionen um Patmos gerade in der Ostkirche sind die Prochorusakten. Dieses Werk, welches wohl im beginnenden 5. Jh. im Gebiet um Antiochien auf Griechisch verfasst wurde, schildert die Mission des Apostels Johannes, der seit dem 2. Jh. mit dem Seher gleichgesetzt wurde, und seinem Schüler Prochorus (vgl. Apg 6,5) auf dieser Insel. Nach der Apostelteilung in Jerusalem, bei der Johannes und Prochorus die Provinz Asia zur Mission zugeteilt wurde, und einem anschließenden Schiffbruch zerstört der Zebedaide den Artemistempel auf Ephesus und wird unter Trajan nach Patmos verbannt. Auf der Insel missioniert und tauft Johannes, u. a. den adligen Myron in der Stadt Phora, zerstört Tempel des Apollon und des Dionysos, treibt Dämonen aus und kämpft gegen den Zauberer Kynops. Als dieser im Meer untertaucht, um ein magisches Werk zu vollbringen, ertrinkt er, da es ihm aufgrund des Gebets des Apostels unmöglich ist wiederaufzutauchen. Nach fünfzehn Jahren verlassen Johannes und Prochorus die Insel. Davor jedoch erhält der Apostel von Gott sein Evangelium, das er seinem Schüler diktiert. Dass hier das Evangelium mit Patmos in Bezug gesetzt wurde, während die Apokalypse gänzlich verschwiegen wird, liegt in den anfänglichen Ressentiments der Ostkirche gegen die Johannesoffenbarung begründet. In späteren Handschriften diktiert Johannes seinem Schüler aber auch die Apokalypse. Zurück in Ephesus stirbt der Apostel.

Unterschiedlich wird beurteilt, wie gut der Autor der Prochorusakten Patmos kannte. So gibt er vollkommen übertriebene Größenverhältnisse der Insel an. Andererseits wurden schon von Guérin einzelne Orte in den Prochorusakten mit aktuellen Ortschaften in Verbindung gebracht (Chora = Phora, Myrsini = Myrinousa, Skala = Lithosbole, Geranos = Karos, Botrys = Pernera etc.), wenngleich hier Vorsicht geboten ist. Unzweifelbar jedoch prägten diese Akten die Lokaltraditionen auf der Insel bis heute. Abgesehen von Ikonen, die das Diktat des Johannes an Prochorus zeigen, verweist eine Leuchtboje am Strand von Skala auf ein für die Schifffahrt gefährliches Riff, dass die Umrisse eines Menschen haben soll. Dies wird mit dem im Meer ertrunkenem Kynops identifiziert. Am Strand befindet sich hier auch ein Stein, an dem Johannes getauft haben soll. Im Süden der Insel, in einer Höhle im Kynopsberg, soll der gleichnamige Magier gehaust haben. Vom Kallikatsou-Felsen sollen Johannes und Prochorus die Insel gen Ephesus wieder verlassen haben. Und auf halbem Weg zwischen Chora und Grikos findet sich eine Johanneskapelle in Sykamia, in der der Apostel mutmaßlich ebenfalls lehrte und taufte.

→ Offenbarung des Johannes / Johannesoffenbarung / Johannesapokalypse

Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 1: Karte von Patmos, nach den Beschreibungen von V. Guérin, aus: Leclercq, H., Art. Patmos, in: DACL 13.2 (1938) 2427.
  • Abb. 2: Ruinen der Akropolis in Kastelli (Foto: Florian Rösch).
  • Abb. 3: Felshöhle in Rouvali, die wohl einer Felsgottheit geweiht war (Foto: Josef Rottensteiner).
  • Abb. 4: Kallikatsou-Felsen in der Bucht von Petra, Frontansicht (Foto: Josef Rottensteiner).
  • Abb. 5: Behauene Treppen im Kallikatsou-Felsen (Foto: Florian Rösch).
  • Abb. 6: Prochorus und Johannes im Widerstreit mit dem Zauberer Kynops (von links). Fresken (17. Jh.) im Exonarthex des Johannesklosters (Foto: Florian Rösch).
  • Abb. 7: Grotte der Apokalypse (Foto: Florian Rösch).
  • Abb. 8: Angebliche Taufstelle des Johannes am Strand von Skala (Foto: Josef Rottensteiner).
  • Abb. 9: Hafen von Skala. Links: Leuchtboje, die ein Riff anzeigt. Oben: Johanneskloster (Foto: Josef Rottensteiner).
  • Abb. 10: Angeblicher Tauf- und Lehrort des Johannes in Sykamia (Foto: Josef Rottensteiner).

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