Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Juni 2024)

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1. Name und Herkunft

Der Ursprung des Namens Minerva/Menerva ist – genauso wie die Herkunft der Gottheit – nicht eindeutig geklärt. Teilweise wird vermutet, dass er auf *Menesouā, welches wiederum in Verbindung zum altgr. μένος (ménos, dt. Eifer, Kraft) steht, zurückgeht (Paulys Realencyclopädie 1932). Grundsätzlich erscheint aufgrund sprachlicher Befunde eine Ableitung von der indogermanischen Wurzel √men- wahrscheinlich. Fest. 109, 27-29 sowie 222,24 f. L. implizieren eine Ableitung des Namens vom lat. promenervare, bei welchem es sich entweder um eine Abwandlung des Verbs monere (dt. erinnern an, mahnen) oder um eine „Weihung pro Menerva“ handelt (Der Neue Pauly 2015). Variationen des Götternamens kommen v.a. in Etrurien relativ häufig vor, wobei als Abwandlungen neben Minerva/Menerva auch menrva, meneruva, menerea, mera sowie merva durch Inschriften belegt sind.

Zur Herkunft der M. gibt es unterschiedliche Thesen. Vor allem im 19. Jhd. wurde vermutet, dass es sich bei M. um eine etruskische Gottheit handeln könnte. Heute wird diese These aufgrund aktueller sprachwissenschaftlicher, historischer und archäologischer Befunde jedoch weitestgehend abgelehnt. Nach Varro (de lingua Latina 5,74) stammt M. von den Sabinern. Dafür spricht, dass ein sabinischer Einfluss in/auf Rom schon für die frühe Königszeit nachweisbar ist (vgl. Dion. Hal. Ant. 1,14) und auch archäologische Funde in diese Richtung weisen, denn unter den umbro-sabellischen Kleinbronzen ist die M. vergleichsweise häufig anzutreffen (Simon 1990). Eine andere These sieht den Ursprung Minervas in einer latinischen Stadt außerhalb Roms (z.B. Falerii). Am verbreitetsten ist mittlerweile jedoch die Annahme, dass es sich bei M. um eine alte italische Gottheit mit allgemeinem latinischem Ursprung handelt, die das römische Pantheon von außen betrat, deren Spuren aber durch die schon früh erfolgte Identifizierung der M. mit der griechischen Athena ausgelöscht wurden (Graf 2001).

2. Ikonographie

2.1. Statuen und Reliefs

Als Teil der capitolinischen Trias – Iuppiter, Iuno und Minerva –  wird M. auf Reliefs und Münzen zur Linken Iuppiters gezeigt, wobei sie stehend oder thronend sowie mit oder ohne Lanze und Schild erscheint. In vielen Abbildungen ist zudem das Haupt der Gorgo, einer geflügelten Schreckensgestalt mit Schlangenhaaren, Teil der Rüstung der M.

Auf offiziellen Denkmälern ist die Göttin eher selten dargestellt. Eine besondere Darstellung der M. findet sich allerdings auf dem Fries am Minerva-Tempel auf dem Forum Transitorium (Rom), das von Szenen des Arachne-Mythos geziert wird. Dabei handelt es sich um die einzige ausführliche Darstellung des Mythos in der römischen Staatskunst. Man nimmt jedoch an, dass am Tempel der M. auf dem Forum Transitorium noch weitere Aspekte der M. abgebildet waren. D’Ambra spricht hier von einem „compendium for Minerva’s domains from the battlefield to the domus“ (1993, S. 17).

Abb. 1: Relief mit Darstellung der beim Bau der Argo helfenden Minerva

Vergleichsweise häufig ist M. in ihrer Funktion als Patronin der Handwerker auf Weih- und Altarreliefs sowie Wandgemälden in Handwerkerszenen abgebildet. So zeigt bspw. ein pompeianisches Walkerbild eine Darstellung der M. mit Eule und Olivenkranz. Auf architektonischen römischen Tonreliefs der frühen Kaiserzeit (1. Jhd. n. Chr.) ist M. in der Werkstatt zu sehen, in der die Argo, nach antiker griechischer Sage das Schiff des Iason und der ihn begleitenden Argonauten, hergestellt wird, wobei sie in dieser Darstellung beim Aufziehen des Segelstoffes hilft.

Aus Practica di Mare (Lavinium) stammt der Fund einer etwa um 400 v. Chr. entstandenen lebensgroßen Figur der M. aus Ton mit furchterregenden Attributen. An Minervas rechtem Arm befindet sich eine dreihäuptige Schlange, weitere Schlangen zieren den restlichen Körper der Göttin. Ein Dämon (Triton) stützt ihr Schild, was eine Verbindung der lavinischen M. zum Meer andeutet.

2.2. Minerva auf römischen Münzen

Münzfunde zeigen ein verhältnismäßig frühes Vorkommen der M. in Campanien, so z.B. Kupfermünzen der sogenannten campanisch-römischen Prägungen mit Abbildungen des Kopfs der Göttin. In den Jahren 112/111 v. Chr. erscheint M. zum ersten Mal auf republikanischen Münzen. Denaren des Cn. Blasio zeigen M. noch als Teil der capitolinischen Trias, ab Kaiser → Domitian wird die Göttin hingegen nur noch alleine auf Münzen abgebildet.

Abb. 2: Minerva auf einem Denar aus der Zeit Domitians

Die Darstellungstypen der M. auf Münzen variieren. Diese Vielfalt scheint v.a. auf Domitian zurückzuführen zu sein; während seiner Herrschaftszeit finden sich besonders viele Darstellungen der M. auf Münzen des Reiches. Zu den Darstellungsweisen der M. gehören: M. mit Tropaion über der Schulter und einer Schlange zu den Füßen; M. mit einer Victoria auf der Hand; M. in einer Quadriga; die Büste der Göttin; die Eule. Zumeist erscheint M. auf den Münzen nicht als Minerva Pacifera, sondern in kriegerischen Kontexten (Gmyrek 1998).

Auch auf Münzen der römischen Kolonien ist M. abgebildet. Die Darstellungen der M. bilden insgesamt eines der größten, aber auch uneinheitlichsten Motivfelder unter den → Götterbildern auf Koloniemünzen, wobei sich kanonische Figurentypen nie etablierten. Zu den Darstellungsvariationen zählen z.B. M. sitzend mit einem Baum oder die Büste der Göttin. Es ist anzunehmen, dass es sowohl einen reichsweiten, als auch regional-kleinasiatischen Motivpool der Minerva-Abbildungen gab. Bestimmte Minerva-Motive scheinen in den römischen Provinzen entstanden zu sein. Ein Beispiel dafür ist die M. mit Altar. Dieses Motiv ist in der Reichsprägung unbekannt, wurde aber auf Stadtprägungen seit traianisch-hadrianischer Zeit verwendet und war im gesamten kleinasiatischen Raum verbreitet. Das Motiv stammt mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem kleinasiatischen Bilderrepertoire, nicht aus dem römischen. Ähnliches gilt für das Motiv der sitzenden Minerva, das vermutlich in Bithynien entstand. Für den kleinasiatischen Ursprung des Motivs spricht u.a. die Verwendung ähnlicher Ikonographien in einem gemeinsamen Landschaftsraum. Zum ersten Mal wurde es in Parium unter Marcus Aurelius auf Koloniemünzen verwendet, später griff man es scheinbar in der Reichsprägung auf.

3. Grundzüge der Minerva

3.1. Wirkbereiche der Göttin

Minerva gilt als „eine der am meisten numinosen Gestalten des römischen Pantheon“ (Simon 1990, S. 168). In der capitolinischen Trias war M. zunächst als Stadtgöttin gemeint, doch als Beschützerin des Staatswesens – analog zur Athena Polias – konnte sie im republikanischen Rom nie wirklich Fuß fassen, da diese Rolle bereits von Iuppiter und der Iuno Sospita besetzt war. Von Anfang an tritt die kriegerische Seite der M. hervor. Dies gilt nicht nur für die capitolinische Trias; auch im sabinischen Orvinium ist die Göttin Schirmerin und Herrin der Burg. Die kriegerische M. – als sogenannte Prómachos (Vorkämpferin) dargestellt – wurde auch als das aus Troja stammende Palládion aufgefasst, als welches man sie seit Ende der Republik vermehrt auf Münzen, Gemmen und Staatskameen darstellte.

Abb. 3: Statue der Minerva Poliade

Für den Großteil der Römer war Minerva v.a. die Beschützerin des Handwerks. Nach Ovid steht alles Handwerk unter dem Schutz Minervas (Fast. 3, 819 ff.). Die Göttin gilt als Herrin der artifices – derjenigen Kunsthandwerkszweige, die nach antikem (römischem) Verständnis eine gewisse Kunstfertigkeit voraussetzten, z.B. Maler, Bildhauer, aber auch Walker, Zimmerleute und Ärzte. In republikanischer Zeit wurde sie auch als Minerva Medica auf dem Esquilin verehrt. Noch in der Kaiserzeit ist das Minervafest das Fest der Schulen und das Minerval wurde quasi zur Bezeichnung für das Lehrerhonorar, wodurch die Verbindung der M. auch mit dem Lehrerberuf sichtbar wird.

Bei Domitian hatte M. verschiedene Funktionen: Sie war Staatsgöttin innerhalb der capitolinischen Trias, Schützerin der Handwerker – und damit Göttin des römischen Plebs – sowie persönliche Schutzgöttin des Kaisers. In seine Regierungszeit fiel auch die Gründung der Legio I Flavia Minervia, die als Legio I Minervia pia fidelis bis in die späte Kaiserzeit hinein bestand. Hinweise auf die Legion finden sich in der Reichsprägung, aber z. B. auch auf einem Relief der Traianssäule (Rom) – in Form des Wappentieres der Legion, des Widders, der dort abgebildet ist. Ein weiterer Kaiser, für den M. eine besondere Bedeutung hatte, war Hadrian. Für ihn war sie die Schützerin seiner spanischen Heimat. Dies zeigt sich auch an Darstellungen der Göttin auf Goldmünzen der Jahre 119-122 n. Chr., auf denen sie mit den spanischen Attributen Kaninchen und Ölbaum erscheint.

3.2. Minerva / Athena

Minerva erscheint schon in den ältesten bekannten etruskischen bzw. römischen Überlieferungen der Bildtradition, d.h. ab dem späten 6. Jhd. v. Chr., der griechischen Athena angeglichen. Sie wird darin mit langem Chiton und Peplos sowie mit (korinthischem) Helm und Aigis, oft auch mit Lanze und Schild dargestellt. Die Angleichung Minervas an Athena erfolgte mit großer Wahrscheinlichkeit schon unter den Etruskern, denen die griechische Göttin von Bildern auf attischen Vasen, die man in großer Zahl in etruskischen Gräbern fand, bekannt war. Sichtbar wird dies u.a. durch archäologische Funde etruskischer Spiegel, auf denen M. in der Ikonographie Athenas abgebildet ist. Aufgrund ihres kriegerischen Bildes, so Harrauer und Hunger, wurde M. „wohl [vor allem] von den Etruskern und schon in archaischer Zeit mit Athena identifiziert“ (2006, S. 329). Es ist anzunehmen, dass durch Handelsbeziehungen mit den Griechen Kenntnisse der griechischen Athena bei den Etruskern vermittelt wurden, wodurch sich möglicherweise zuerst in Etrurien das Bild der M. weiterentwickelte und mit dem der Athena verband. Dabei scheint es, als seien v.a. die Etrusker in der Sabina und in Campanien Träger des Minerva-Kultes gewesen.

Augusteische Dichter kombinierten die verschiedenen Aspekte Minervas und alternierten frei zwischen Athena, Pallas und M. (z. B. Verg. Aen. 2,15,31,615-617). Seit Nero erscheint auf Reichsmünzen die Eule (Steinkauz), das heilige Tier der Athena. Als Herrin der artifices ist zudem eine Verbindung der M. zur Athena Ergane möglich.

3.3. Verbindung zu anderen Gottheiten

M. zeichnet sich nicht nur aufgrund ihres Platzes in der capitolinischen Trias durch eine besondere Verbindung zu Iuppiter aus. Bei den Etruskern wurde M. als eine der blitzewerfenden Gottheiten verehrt; ihre Blitze nahmen einen wichtigen Platz in der etruskischen Divination ein (Serv. Aen. 1,42). Neben ihrer Nähe zu Iuppiter wird durch archäologische Befunde aber auch eine Verbindung der M. zu Hercules erkennbar. Aus der Zeit um 530 v. Chr. ist eine Statuengruppe (Rom Sant‘ Omobono) erhalten, die Hercules gemeinsam mit seiner Beschützerin zeigt. Dabei sind Einflüsse hellenistischer Vorstellungen auf die Gestalt der M. sichtbar. Des Weiteren ist M. mit dem Gott Mars verbunden. Als Kultgenossin des Mars wurde sie Schützerin der Stadt und der in ihr betriebenen friedlichen Berufe, v. a. des Handwerks. Das Hauptfest der M. in Rom, Quinquatrus, war ursprünglich ein Marsfest, von dem der Gott allerdings mit der Zeit zugunsten Minervas verdrängt wurde.

Die Göttin ist zudem mit dem Meer verbunden. Eine kultische Verehrung der M. ist u.a. für Lavinium (Practica di Mare) mit zeitlich weit gestreuten Funden des M.-Heiligtums, die bis ins 6. Jhd. v. Chr. zurückgehen, nachgewiesen. Dort verband sich M. mit einer dem Triton ähnlichen Gottheit, die auch als Pater Indiges bezeichnet wird. In welcher Beziehung M. zu diesem Gott steht, ist nicht eindeutig geklärt; es wird jedoch angenommen, dass er als Beschützer bzw. Ziehvater der M. fungierte (Mastrocinque 2014). Vermutlich war die Verbindung der M. mit dem Meer aber nicht auf Lavinium beschränkt. Dafür spricht, dass M. im Lectisternium (kultische ‚Götterbewirtung‘) von 217 v. Chr. in Rom ein Paar mit Neptunus bildete. M. wurde außerdem auch als Göttin der Frauen verehrt. Dies zeigen Votive in Gestalt tönerner Wickelkinder und sitzender Mütter mit Kindern im lavinischen Heiligtum der M.

4. Minerva in der Dichtung

In der Dichtung lassen sich Kombinationen der unterschiedlichen Aspekte der Göttin feststellen. Dabei wurde oftmals frei zwischen Athena, Pallas und M. alterniert. So beschreibt beispielsweise Vergil, dass Pallas Iuppiters Blitze schleudert (Aen. 1,42f.) und an der Eroberung Trojas mitwirkt, indem sie die Griechen beim Bau des trojanischen Pferdes unterstützt (Aen. 2,15f.), welches im weiteren Verlauf als Unheilsgeschenk für die Jungfrau Minerva darstellt wird (Aen. 2,31-32). Als Tritonia/Pallas wirkt M. nach Vergil auch an der tatsächlichen Eroberung Trojas mit, indem sie oben auf der Burg sitzend mithilfe der Gorgo die Trojaner in Angst und Schrecken versetzt (Aen. 2,615-616).

Ovid berichtet in seinem sechsten Buch von der Geschichte um Minerva und Arachne, wobei er sowohl Tritonia als auch Pallas als Namen für M. benutzt (Ovid met. 6,1,23f.). Gemäß dieser Erzählung Ovids tritt die sterbliche Arachne, eine ausgezeichnete Weberin, in einen Web-Wettstreit mit der Göttin. Dieser endet damit, dass M. Arachnes gewebtes Kunstwerk zerreißt und sie demütigt, woraufhin sich Arachne das Leben nehmen will. M. verhindert dies jedoch und verwandelt sie zur Strafe für ihren Hochmut in eine Spinne (Ovid met. 6,1-147).

5. Kult

Spätestens mit dem Lectisternium von 217. v. Chr. war die hellenistische M. neben der einheimischen Göttin des Handwerks im offiziellen Kult in Rom akzeptiert.  Eine kultische Verehrung der Göttin gab es allerdings nicht nur in Rom selbst, sondern auch in den römischen Provinzen und in anderen italischen Gebieten, z.B. in Etrurien. Kulte der M. fanden sich auffällig oft in solchen Städten und Gegenden, die wie Tarracina lange unter etruskischem Einfluss standen, wie Iulius Obsequ. 12 erwähnt.

5.1. In Rom

5.1.1. Stadtrömische Kultstätten der Minerva

Den ältesten Kult besaß M. als Mitglied der capitolinischen Trias vermutlich im sogenannten Capitolium vetus/antiquum auf dem Quirinal, in welchem sich ein sacellum für Iuppiter, Iuno und M. befand. Die wichtigste stadtrömische Kultstätte der M. war jedoch auf dem Aventin zu finden. Der Stiftungstag des dort errichteten Tempels leitete das Hauptfest der M. in Rom, die Quinquatrus, ein. Dieses Fest, das am 19. März begann und zu den beliebtesten Feierlichkeiten in Rom gehörte, wurde schon in früher Zeit auf eine Dauer von fünf Tagen ausgedehnt, wobei an den letzten vier Tagen spätestens seit der Regierungszeit des Augustus Gladiatorenspiele abgehalten wurden. Hier zeigt sich die Assoziation der M. mit Kampf und Kriegswesen. Dass M. Mars von diesem Tag verdrängt hat, zeigen neben Kalendernotizen – im vorcaesarischen Kalender von Antium ist das Jahresfest des Tempels am Aventin mit dem Zusatz „Minervae“ verzeichnet – u. a. auch die Fasti des Ovid (3,176). Als zweiter Stiftungstag des Heiligtums gilt der 13. Juni. Dieses zweite Stiftungsdatum bezieht sich vermutlich auf die Renovierung des Tempels, die unter Augustus stattfand. Zu diesem Datum, den Quinquatrus minusculae/minores, wurde das Fest der tibicines (dt. Flötenbläser) gefeiert, die am Tempel der M. zusammenkamen.

Besonders gefördert wurde der Kult der M. unter Kaiser Augustus, in dessen Regierungszeit eine umfassende Restaurierung ihrer alten Verehrungsstätten stattfand. Unter ihm wurden neue Minerva- und Athenakulte in Rom und Kleinasien eingerichtet sowie alte wiederbelebt. Der Tempel auf dem Aventin wurde neu errichtet, wobei unklar ist, ob es sich dabei um einen kompletten Wiederaufbau oder nur um eine umfassende Renovierung handelte. Von diesem Heiligtum der M. ist heute nichts erhalten. Ebenfalls in die Zeit des Augustus fiel der Bau des an die Curia Iulia angrenzenden Chalcidicum, das (nach Cassius Dio) auch als Athenaion bezeichnet wurde. Es ist fraglich, ob dieses identisch mit dem späteren sogenannten Atrium Minervae ist. Unter Kaiser Domitian kam es zu einer Einrichtung dreier neuer Tempel für M. in Rom: Dem Tempel der M. Chalcidica auf dem Marsfeld, dem Minervatempel auf dem Forum sowie dem Minervatempel auf dem Forum Transitorium. Nach der Herrschaft Domitians wurden der M. in Rom jedoch keine neuen Heiligtümer mehr geweiht.

5.1.2. Verehrung in Hausheiligtümern

Nicht nur an großen Kultstätten, sondern auch in Hausheiligtümern wurde M. im Laufe der Zeit immer mehr verehrt. Dort erfolgte die Verehrung der M. v.a. in ihrer Funktion als Göttin der Handwerker und Künstler, was sich durch Funde von Statuetten aus Bronze und Silber aus der Kaiserzeit belegen lässt. Auch für Domitian fungierte M. als persönliche Schutz- und Hausgöttin, wobei u.a. Sueton sogar von einer abergläubischen Verehrung der M. durch den Kaiser sprach (Suet., Dom. 15,7).

5.2. In den römischen Provinzen

Darstellungen der Minerva in den römischen Provinzen setzten in der Zeit Kaiser Hadrians ein und besaßen ihren Verbreitungshöhepunkt in frühantoninischer Zeit. Die Lage war dabei regional unterschiedlich. In Ninica gab es z.B. zu wechselnden Zeiten mehrere Minerva-Schemata auf Münzen, weshalb hier ein Minervakult angenommen werden kann. Im Gegensatz dazu ist z.B. weder in Sinope noch in Lystra von einem Kult der Göttin auszugehen, da aus diesen Regionen nur wenige entsprechende numismatische Belege vorhanden sind. Aus Apollonia ist eine rund 13,5cm hohe Minerva-Statue aus Bronze erhalten, die die Göttin mit Chiton, Peplos und korinthischem Helm zeigt und auf die spätrömische Zeit datiert wird. Vergleichbare Statuen fanden sich auch in anderen römischen Provinzen, u.a. in Bruton, Somerset (Großbritannien) oder in Thrakien. In Kos gab es zudem ein Kollegium von Minervales (Clara Rhodos 10, 1941, 201) und in Ephesos ein collegium Minerviium tabulariorium (CIL III 6077).

Häufige Ausgangspunkte der Vermittlung der römischen M. in den Provinzen waren die römischen coloniae und (v.a. in der Kaiserzeit) die Armee. Im gesamten römischen Reich wurde M. durch römische Soldaten verehrt, was Weihungen und Statuenfunde belegen. Dabei setzte sich der polyvalente Charakter der Göttin im Kult fort, wie u. a. die Roman Inscriptions of Britain 91 zeigen, in denen M. als Gottheit des Krieges und des Handwerks erscheint.

Abb. 4: Kopf einer Minerva-Statue aus Bath

Anzumerken ist, dass aber auch die Interpretatio Romana einheimischer Gottheiten eine Rolle spielte, so z. B. in Gallien (Caes. Gall. 6,17,1 f.), wenngleich diese weniger bedeutsam war als z. B. bei Mars und Mercurius. Ein Beispiel für die Interpretatio Romana der M. ist die keltische Göttin der warmen Quellen von Bath (Aquae Sulis) im südlichen Britannien, die die Römer mit M. gleichstellten.

Literaturverzeichnis

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  • Graf, F., 2001, Athena and Minerva: Two Faces of One Goddess?, in: S. Deacy / A. Villing (Hg.), Athena in the Classical World, Leiden, 127-139
  • Gmyrek, C., 1998, Römische Kaiser und griechische Göttin. Die religiös-politische Funktion der Athena-Minerva in der Selbst- und Reichsdarstellung der römischen Kaiser, Mailand
  • Harrauer, C. / Hunger, H., 2006, Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Mit Hinweisen auf das Fortwirken antiker Stoffe und Motive in der bildenden Kunst, Literatur und Musik des Abendlandes bis zur Gegenwart, Purkersdorf
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  • Kroll, W. (Hg.), 1932, Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Band XV,2 Met –Molaris Iapis, Stuttgart
  • Simon, E., 1990, Die Götter der Römer, München

Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 1 Relief mit Darstellung der beim Bau der Argo helfenden Minerva, gefunden nahe der Porta Latina in Rom; A Description of the Collection of Ancient Terracottas in the British Museum; Wikimedia Commons, Public Domain.
  • Abb. 2 Minerva auf einem Denar aus der Zeit Domitians; Wikimedia Commons, Creative Commons Lizenz.
  • Abb. 3 Statue der Minerva Poliade, Vatikanische Museen; Wikimedia Commons.
  • Abb. 4 Kopf einer Minerva-Statue aus Bath; Wikimedia Commons.

Abbildungen

Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz) und ihrem Präsidenten Othmar Keel.

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