Deutsche Bibelgesellschaft

Jesus Christus

(erstellt: Oktober 2012)

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1. Eigenname und Hoheitstitel

Der häufigste Beiname und Hoheitstitel Jesu ist Christus: 531mal. Das Nomen Christus ist ein Verbaladjektiv von chrío. „Das Verb heißt ‚einreiben‘, ‚bestreichen‘ und ‚salben‘, dementsprechend das Verbaladjektiv entweder ‚aufstreichbar‘ oder ‚aufgestrichen‘ = ‚gesalbt‘ (tò christón, das Aufstreichmittel, die Salbe‘). Außerhalb der LXX und des NT und davon abhängigen Schriften wird christus aber niemals auf Personen angewandt; umgekehrt findet es sich im NT als Übersetzungswort von → Messias ausschließlich personenbezogen, entweder auf die erwartete unbekannte Messiasgestalt oder auf Jesus von Nazaret als den gekommenen Messias“ (Hahn 1992, 1148).

Der Begriff „Hoheitstitel“ hat sich zur Bezeichnung christologischer Prädikate durchgesetzt. Zimmermann zeigt methodologisch die Genese der Hoheitstitel auf, „dass sich die funktional zu bestimmenden Titel vielfach auf bildhafte Attribute bzw. Metaphern zurückführen lassen (Christus > Gesalbter; Kyrios > Hausherr; Sohn Gottes > Sohn), die durch den Gebrauch innerhalb einer Sprachgemeinschaft erst zu ‚Titeln‘, d.h. zu geprägten Deutekonzepten bzw. linguistisch betrachtet zu lexikalisierten Metaphern verfestigt wurden.“ (Zimmermann 2004, 167). Es lässt sich anhand der Rezeptionsästhetik nachweisen, dass Sinn erst in der Wechselwirkung zwischen dem Text und dem damaligen und gegenwärtigen Leser entsteht (Zimmermann 2006, 172f).

Der Hoheitstitel ‚Gesalbter‘ verweist für griechisch-römische Hörer auf eine fremdartige, ostantike Kultur. Salbungen des Kaisers oder der Philosophen oder anderer Geistträger waren nicht üblich; wohl gab es in → Mysterienkulten, die ebenfalls aus dem ostantiken Raum kamen, Salbungen. Christus spricht diffuse religiöse Erwartungen der griechischen Hörer an und fordert die Kenntnis des Alten Testaments und der frühjüdischen Schriften ein (Karrer 1998, 141). Zuntz übertreibt mit seiner Vermutung, ein gebildeter Grieche würde das Evangelium von Jesus Christus mit „‚die gute Botschaft von Jesus-Salbe‘ oder vielleicht…, von ‚Jesus dem Bemalten oder Geschminkten‘ (denn… christón kennen wir von Medizin und Sport und Hautpflege)“ übersetzen (Zuntz 1984, 205). Das Salben in allen drei Bereichen behält neben der somatischen, heilenden Bedeutung die ursprünglich religiöse Bedeutung bei (Karrer 1991, 195-214).

Die Salbung zum Messias wird im Alten Testament zum Symbol für die göttliche Legitimation für mehrere Ämter: den König (1Sam 9,16 u.ö.), den Hohenpriester (Lev 4,3 u.ö.), selten für den Propheten (1Kön 19,16; Jes 61,1). Im Frühjudentum gibt es keine Salbungen mehr. „Als Gesalbter lässt sich zur Zeit Jesu und der Urchristen allein bezeichnen, wer Gott einzigartig und durch nichts beeinträchtigt zugehört“ (Karrer 1998, 136f). Es entsteht die Erwartung einer eschatologischen Heilsgestalt. Der eschatologische, königliche, davidische Messias (4 Q 252 = 4 QpGena; PsSal 17-18) ist nur eine Ausformung von weiteren möglichen Heilsgestalten. Es werden neben ihm erwartet: der priesterliche Messias, der in → Qumran der „Gesalbte Aarons und Israels“ ist (1 QS 9,11; CD 20,1), der prophetische Messias, z. B. in Qumran (11 Q13 = 11 Q: Melchizedek), der Prophet ohne Salbung wie Mose (Dtn 18,18), der Menschensohn in der Apokalyptik (Dan 7,13f). Entscheidend bleibt, dass auch ohne diese Heilsgestalten Gott den Tag des Weltgerichts, den Tag des Herrn, anbrechen lassen kann.

2. Vorpaulinische Tradition: Glaubens(Pistis)-formeln von der Auferweckung, der Rettung und dem Sterben für

Vornehmlich in der Briefliteratur finden sich kleine Wortgattungen (→ Dichtung), die als Zitate oder als stilgerechte Einlagen von Gemeindeüberlieferung markiert werden.

Unmittelbar nach Ostern prägten die Anhänger Jesu Glaubensformeln und Bekenntnisse. Sie preisen die Person Jesu (Homologien) oder erinnern an zentrale Heilsereignisse (Pistisformeln): „Denn wenn du mit deinem Mund bekennst: ‚Jesus ist der Herr‘ (= Homologie) und in deinem Herzen glaubst: ‚Gott hat ihn von den Toten auferweckt‘ (= Pistisformel), so wirst du gerettet werden“ (Röm 10,9). Vielhauer fasst die Diskussion um die Pistisformeln prägnant zusammen: „Man kann drei Ausprägungen feststellen: a) eine, die nur die Auferweckung Jesu, b) eine, die nur seinen Tod und c) eine, die Tod und Auferweckung (→ Auferstehung) nennt. Die beiden ersten sind älter als die dritte, die die beiden ersten kombiniert, und wohl auch verschiedener Herkunft“ (Vielhauer 1975, 14). Von den beiden älteren Ausprägungen ist diejenige, die nur von der Auferweckung berichtet, die älteste. Ihre Grundform lautet: „*Gott hat Jesus (ihn; Christus) von den Toten auferweckt*“ (vgl. 1Thess 4,14; Röm 1,4). Diese Grundform kann als Aussagesatz, als partizipiale Gottesprädikation, als Relativsatz und als passive Formulierung realisiert werden. Der Glaube an die Auferweckung der Toten durch den einen Gott ist genuine, frühjüdisch-apokalyptische Hoffnung.

„Rettung“ wird zusätzlich in den alten Pistisformeln mit Christus und Sohn Gottes verbunden, und zwar mit dem „Sterben für“: „Christus ist für uns gestorben“ (Röm 5,8; 1Kor 15,3-5Tod Jesu). Die Kombination der eingliedrigen Formeln von der Auferweckung und dem Sühnetod bildet daher die spezifisch christliche Botschaft von der erlösenden Auferweckung Jesu (2Kor 5,15). Diese Verbindung der Rettungstat Jesu Christi im Gericht mit dem vorhergehenden Sühnetod findet sich im Ersten Thessalonicherbrief am Schluss der Ermahnungen zum „Tag Gottes“: „9 denn nicht bestimmte uns Gott für den Zorn, sondern zum Erwerb der Rettung durch unsern Herrn Jesus Christus, 10 des Gestorbenen für uns, damit wir, sei es, dass wir wachen, sei es, dass wir schlafen, zugleich mit ihm leben“ (1Thess 5,9f).

Weshalb die vorpaulinischen Gemeinden den Christustitel zum Haupttitel machten, ist nicht mehr eindeutig zu klären. Die nachfolgenden Evangelien legen einen Entwurf vor, der den königlichen Christustitel von der Passionsgeschichte ableitet. Der → Hohepriester befragt Jesus ausdrücklich, ob er der „Christus, der Sohn des Hochgelobten“ sei; Jesus bejaht beide Titel und fügt als dritten Titel den zum Weltgericht kommenden → Menschensohn hinzu (Mk 14,62 par.). Die Inschrift am Kreuz interpretiert den Christustitel machtpolitisch mit „König der Juden“ (Mk 15,26 par.). Als missverstandener, gewaltloser königlicher Messias stirbt Jesus am Kreuz (Mk 10,42-45 par.).

Paulus zitiert entsprechend eine alte Überlieferung, in der der gekreuzigte und auferweckte Jesus als Christus bezeichnet wird; der Eigenname Jesus fehlt: „Denn ich überlieferte euch an erster Stelle, was ich auch übernahm, / dass Christus starb für unsere Sünden nach den Schriften / und dass er begraben wurde / und dass er erweckt worden ist am dritten Tag nach den Schriften…“ (1Kor 15,3-5).

Durch die Auferweckung erhält Jesus Christus Anteil an der Herrschaft Gottes über die Menschen. Gott bestätigt das „Sterben für unsere Sünden“ als Erlösung der Menschheit. Mit dem Christus-Hoheitstitel werden die Erwartungen Israels auf eine machtvolle eschatologische Heilsgestalt aufgegriffen. Die Kreuzigung interpretiert diese Heilserwartungen um. Das Heil wird nicht mit machtpolitischer Gewalt kommen, sondern ist im gekreuzigten Christus bereits unscheinbar angebrochen. Jesus, der Christus, ist nicht der erwartete gewalttätige, machtpolitische Messias, sondern in neuer Weise der leidende Messias mit universaler Erlösung. Der leidende Gottesknecht (Jes 52,13-53,12) bereitet die neue Interpretation des Messiastitels vor. Paulus arbeitet dann die Rede von Jesus Christus in den Briefen ausführlich aus.

3. Jesus Christus bei Paulus

In den echten Paulusbriefen fällt der Name Christus circa 271mal, nimmt also knapp die Hälfte der Nennungen ein, während der Wortbestand der echten Paulusbriefe nur knapp 1/5 des Neuen Testamens ausmacht. Die Konzentration der Paulusbriefe auf Christus ist deutlich ausgeprägter als in den anderen neutestamentlichen Schriften. Paulus übernimmt aus der Gemeindetradition den Doppelnamen Jesus Christus. Der Beiname schreibt dem Eigennamen Jesus eine eschatologische, königliche Würde zu (Hahn 1974, 218-226). Jesus (Röm 3,26 u. ö.) und Christus (1Thess 2,7 u.ö.) können aber auch allein stehen.

Die Dialektik von universaler, kosmischer königlicher Herrschaft und Leiden in Niedrigkeit deutet Paulus mit dem Christus-Titel im Ersten Thessalonicherbrief bereits an (1Thess 5,9; noch 9x) Die Anrede der Gemeinde von → Thessaloniki (1Thess 1,1) benennt die zentralen christlichen Bedeutungsfelder von Gott und Jesus mit der komplexen Doppelbezeichnung „Gott Vater“ und komplexen Titelnennung „Herr Jesus Christus“ gleich zu Anfang und schließt das Vorwort mit der Nennung des ebenfalls zentralen Sohn-Gottes-Titels ab. Im Fortgang dieses Briefes und in den nachfolgenden Briefen werden diese Felder miteinander vernetzt und deutliche Schwerpunkte und Entfaltungen gesetzt.

3.1 Rettung Israels und der Völker

Paulus polemisiert in 1Thess 2,14-16 gegen die Juden. Er hält ihnen die Tötung von Jesus und den alttestamentlichen Propheten und schließlich seine eigene Verfolgung vor. Dann beklagt er als Ergebnis, dass die jüdischen Verfolger das Gerettet-Werden der Völker verhindern wollen und dadurch den Zorn Gottes verlängern (Röm 1,18). Paulus wiederholt deutlich die Glaubensformel von 1Thess 1,10 und setzt das Retten Jesu Christi mit dessen irdischem Wirken, Kreuzestod und Auferweckung in Verbindung.

Die Verkündigung des ganzen Wirkens Jesu und des Wirkens an Jesus, also das → Evangelium Gottes von Jesus Christus (1Thess 2,2-9), bringt das Heil den Völkern und Israel (Stuhlmacher 1968; Frankemölle 1994). Der Widerstand gegen diese Heilsverkündigung lässt jetzt noch den Zorn Gottes, der sich im künftigen Weltgericht offen zeigen wird, weiter wirken, und zwar an Juden und Heiden. Dieser Gedanke wird im → Römerbrief vertieft.

3.2 Tag des Herrn und Jesus als Weltenrichter

1Thess 4,13-18 bringt eine apokalyptische Belehrung über den Tag des Herrn, der aber erst anschließend als alttestamentliche Metapher erwähnt wird; sie leitet die eschatologischen Ermahnungen ein, sich diesem Begegnungstag (Mt 25,6) entsprechend schon jetzt zu verhalten (3 mal Tag des Herrn in 1Thess 5,1-11).

Von den Metaphern der alten Pistisformeln und Herrenworte geht Paulus zu mythologischer Rede über. Er lässt den Herrn Jesus Christus im Auftrag Gottes die Toten und Lebenden für die Entrückung in die himmlische Welt sammeln. Es ist ein Bild vom Jüngsten Tag entstanden, das die christliche Kunst bis in die Barockzeit hinein prägen wird.

Doch Paulus bleibt in den späteren Briefen nicht bei dieser mythologischen Bilderfolge. Im → Ersten Korintherbrief nimmt er zwar die alttestamentliche Metapher von der Posaune Gottes auf, erklärt aber den Sammlung- und Vereinigungsprozess der Toten und Lebenden mit Gott für ein Geheimnis (mystérion: 1Kor 15,51-58). Die frühjüdische mythologische Spekulation über die allgemeine Totenerweckung wird entmythologisiert. Es wird zu einem Kennzeichen der paulinischen Theologie, dass er mystische und mythologische Erfahrungen und Erwartungen nicht breit ausphantasiert, sondern ihren unzugänglichen Geheimnischarakter herausstellt. Diese Entmythologisierung klingt bereits in der Mahnung an, nicht wie die Apokalyptiker Zeiten und Fristen für den Anbruch des Jüngsten Tages zu bestimmen, sondern jederzeit für ihn vorbereitet zu sein (1Thess 5,1-2.3-11).

Der Tag Christi führt ebenfalls zu einer vertieften Interpretation der Gerichts-Apokalyptik des Ersten Thessalonicherbriefes und der Korintherbriefe. Paulus muss in der Gefangenschaft um sein Leben fürchten. Die Frage nach der eigenen Auferweckung stellt sich nun existentiell auch für ihn: "Denn mir ist das Leben Christus und das Sterben Gewinn“ (Phil 1,21). Mit-Christus-Sein bedeutet, dass eschatologisches Leben schon jetzt anbricht und sich im Sterben als Gewinn vollendet. Paulus entwickelt eine individuelle → Eschatologie. Der Tag Christi bricht für jeden Christen bereits im individuellen Tod an.

Zugleich hält Paulus im Eingangsgebet an der kollektiven Eschatologie fest (Phil 1,6-10). Auch im Warnbrief verweist Paulus auf die kollektive Rettung ähnlich wie im Ersten Thessalonicherbrief (1Thess 1,10): „Denn unsere Bürgerschaft ist in den Himmeln, aus dem wir auch als Retter erwarten den Herrn Jesus Christus, der umgestalten wird den Leib unserer Niedrigkeit, gleichförmig dem Leib seiner Herrlichkeit, nach der Kraft seines Könnens sich auch alles unterzuordnen“ (Phil 3,20f.). Der Hoheitstitel → Retter/Erlöser (sotér) für Jesus Christus fällt bei Paulus nur hier. Christus wird bei seiner Ankunft aus dem Himmel die irdische Personalität (sóma) seiner Anhänger verwandeln und hineinnehmen in seine verherrlichte Gestalt (sóma vgl. 1 Kor 15).

Das Bürgerrecht (políteuma) im Himmel, also bei Gott, tröstet die Philipper schon jetzt. Sie haben zum Teil ein doppeltes Bürgerrecht; sie haben als Mitglieder der Colonia Philippi zum Teil das italische Bürgerrecht. Sie sind aber in ihrem Glauben weder den italischen Stadtorganen noch den privilegierten jüdischen Synagogen-Vereinen unterworfen, sondern gehören bereits zum himmlischen Bereich des einen Gottes; sie sind in das „Buch des Lebens“, das ist das Geburtsregister der himmlischen Colonia / Polis, eingetragen worden (Phil 4,3). Sie repräsentieren als Christus-Gemeinschaft schon jetzt den wahren Herrscher in der Welt.

3.3 Leib Christi und Gemeinde

Als Anfragen von Christen in → Korinth zu Normen-, Struktur- und Organisationskonflikten kommen, stellt sich Paulus ausdrücklich den Problemen. Es geht um das Miteinander-Leben in einer lokalen Einzelgemeinde auf der Grundlage des neuen Lebens im Evangelium. Die Gemeinde bildet in ihrer empirischen Verfasstheit den Leib Christi (1 Kor 12,12-30; Röm 12,3-8). Im Griechischen und Lateinischen kann Leib (sóma; corpus) eine menschliche Gemeinschaft und den Kosmos bezeichnen. Der römische Konsul Menenius Agrippa (503 v. Chr.) bewegte mit seinem Gleichnis vom „Leib und seinen Gliedern“ die Plebejer, sich mit den Patriziern zum Wohle der Stadt Rom zu einigen (Liv. II 32). Leib Christi ist die sichtbare Erscheinungsweise des Auferstandenen in der Welt. Als Leib Christi hat die Gemeinde ihr ökonomisches, politisches und religiöses Handeln in Korrelation zum Evangelium zu setzen (Venetz 1981, 131-145).

3.4 Mysterium der Taufe in Jesus Christus

Paulus zitiert mit Gal 3,28 eine alte Taufformel. Mit der → Taufe auf Jesus, den Christus, entfallen die Differenzen von Geschlecht, Rang, Stand, Nationalität, alles angeborene Qualitäten für die Antike. Von der Fremdbestimmung durch Familie / Patriarchat, Geschlecht / Gender und Nation / Bürgerrechtsprivilegierung finden die Anhänger Jesu zur autonomen Selbstbestimmung in der Gottessohnschaft / Gotteskindschaft.

Röm 6 vertieft diese Gedanken: „denn der Gestorbene ist gerecht gesprochen weg von der Sünde. Wenn wir aber starben mit Christus, glauben wir, dass wir auch leben werden mit ihm, wissend, dass Christus, erweckt aus Toten, nicht mehr stirbt, der Tod ist über ihn nicht mehr Herr“ (Röm 6,7-9).

Neu ist der Begriff des „Sterbens mit Christus“. Es klingt die Sprache der Mysterien vom Sterben und Auferstehen naturbezogener Gottheiten an. Paulus lässt das „In-Christus-Sein“ mit der Taufe als Mysterium (lat. sacramentum, Röm 16,25) und Initiationsritus beginnen.

3.5 Der Gekreuzigte als Mensch gewordene Weisheit Gottes

Die Weisheit Gottes wird im frühjüdischen Sinne als Hypostase Gottes gedeutet. Die Weisheit Gottes schuf die Welt (1Kor 8,6) und lenkt die Weltgeschichte (Eckstein 2011, 11-14). Paulus spielt kurz auf den Weisheitsmythos an, dass die Weisheit Gottes zu den Menschen herabstieg, um bei ihnen zu wohnen, aber nicht von ihnen allen erkannt wurde (Spr 8,27-36; Sir 24,1-34). „Denn da in der Weisheit Gottes die Welt nicht erkannte durch die Weisheit Gott, gefiel es Gott, durch die Torheit der Verkündigung zu retten die Glaubenden; und während Juden Zeichen fordern und Hellenen Weisheit suchen, verkünden wir aber Christus als Gekreuzigten, den Juden als Ärgernis, den Heiden aber als Torheit, ihnen aber, den Berufenen, Juden und Hellenen, Christus als Gottes Macht und Gottes Weisheit; denn das Törichte Gottes ist weiser als die Menschen, und das Schwache Gottes stärker als die Menschen“ (1Kor 1,21-25).

Vers 21 definiert die Weisheit Gottes in doppelter Weise. Die Welt (kósmos) befindet sich in der Weisheit Gottes; denn diese hat die Welt erschaffen und lenkt sie. Gleichzeitig bietet die Weisheit den Menschen Erkenntnis an; doch diese lehnen ihr Erkenntnisangebot ab; sie vermögen die Weisheit nicht als Weisheit zu erkennen. Nun setzt Gott das Kontrastprogramm der Torheit. Die Torheit der Verkündigung (kérygma) Gottes bringt allein den Glaubenden die Rettung, während die Weisheit der Menschen sich als schwach und töricht erweist (so auch 2Kor 1,12).

Vers 22 würdigt die Suche der Griechen (héllen) nach Weisheit und der Juden nach → Zeichen (semaíon). Doch Vers 23 weist nach, dass diese Suche angesichts des gekreuzigten Christus in die Irre geht. Den Juden wird das Kreuz zum Ärgernis (skándalon); denn sie glauben, dass ihre Führer Jesus von Nazaret richtig nach dem Gesetz, in das ihrer Meinung nach die Weisheit Gottes sich herabgelassen hat (Sir 24,23-29), zum Tode verurteilt haben. Das Kreuz ist eine folgerichtige Anwendung des weisheitlichen Gesetzes Gottes an Gotteslästerern. Sie sollen aus → Israel ausgerottet werden (Lev 24,10-16). Paulus behauptet nun dialektisch das Gegenteil. In dem vermeintlichen Gotteslästerer, der zu Unrecht den Kreuzestod erlitten hat, hat die Weisheit Gottes ihre Wohnung genommen.

Die Völker wiederum sehen unabhängig von den rechtlichen Gründen die Kreuzigung als einen schmachvollen Tod an; ein Gottessohn oder ein Weiser muss ihrer Meinung nach einen vornehmen Tod sterben; das → Kreuz aber ist die schimpfliche Todesstrafe von Verbrechern ohne Bürgerrecht (Hengel; Dormeyer 2002, 74-88; Kirner 2004, 246-292). Doch Gott offenbart seine Weisheit nicht nach menschlichen Vorerwartungen. Vielmehr ist „das Törichte Gottes weiser als die Menschen“(1Kor 1,25).

In Christus Jesus und seinem Kreuzigungsschicksal stiftete die Weisheit Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung (1Kor 1,30). Die Weisheit Gottes wiederum bleibt letztlich ein Geheimnis, ein Mysterium (1Kor 2,1-16): „sondern wir reden Gottes Weisheit im Geheimnis, die verborgene, die Gott vorher bestimmte vor den Äonen zu unserer Herrlichkeit, die keiner der Herrscher dieses Äons erkannt hat; denn wenn sie sie erkannt hätten, hätten sie nicht den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt“ (1Kor 2,7f).

Noch einmal spielt Paulus auf den Weisheitsmythos an und macht deutlich, dass die Weisheit Gottes mit Jesus Christus identisch wurde und von den Herrschern dieser Welt nicht erkannt wurde. Vor den Äonen (Weltzeitaltern) meint die zeitlich unbegrenzte Existenz der Weisheit bei Gott als das göttliche Handlungskonzept bzw. den aller → Schöpfung und damit allen Zeiten vorausliegenden Heilsplan Gottes (Merklein, 228). Im Geiste Gottes können die Christen diese geheimnisvolle Existenz der Weisheit erkennen, die in Jesus Christus Wirklichkeit und Offenbarung wurde (1Kor 2,10-16).

3.6 Jesus Christus als Bild Gottes und die Adam-Christus-Typologie

Nicht in Idolen, in Götterbildern, zeigt sich Gott bildlich, sondern in dem Menschen Jesus Christus. Er wird zum lebendigen menschlichen Bild (eikón) Gottes. Bereits die → Septuaginta hatte die alttestamentliche Aussage vom Menschen als Abbild Gottes mit Bild (eikón) übersetzt (Gen 1,27 LXX). Im irdischen und auferweckten Menschen Jesus Christus wird Gott als Schöpfer und Herrscher des Weltalls erfahrbar (2Kor 4,4). Jesus Christus ist der neue

Adam, der alle in die neue Ebenbildlichkeit Gottes hinein verwandeln wird: „und gleichwie wir trugen das Bild des Erdhaften, werden wir tragen auch das Bild des Himmlischen“ (1Kor 15,49). Der Erdhafte meint Adam, der Himmlische Jesus Christus. Dessen himmlische Abbildung werden die Christen erst in der Zukunft bei seiner Parusie erfahren. Sie werden einen neuen, einen pneumatischen Leib nach dem Bilde Christi erhalten (1Kor 15,44-49).

Der → Zweite Korintherbrief lässt den Verwandlungsprozess schon jetzt beginnen: „Wir alle aber, mit enthülltem Gesicht den Glanz des Herrn spiegelnd, werden in dasselbe Bild umgestaltet, von Glanz zu Glanz, gleichwie von des Herrn Geist“ (2Kor 3,18). Der Geist Gottes wird hier zum Geist Jesu Christi, des Sohnes (Gal 4,6; Röm 8,9-11). Gott-Vater und der erhöhte Christus bauen gemeinsam das Kraftfeld Pneuma = Geist auf und lassen die Gemeinde an ihm und ihrem Glanz schon jetzt teilhaben.

3.7 Jesus Christus und die neue Schöpfung

Gott ist der Schöpfer des Weltalls. „Selbstverständlich ist die All-Formel, die in der → Stoa pantheistisch aufgefasst wurde, nunmehr uminterpretiert im Hinblick auf den personalen transzendenten Gott“ (Gnilka 1994, 29). Mit seiner Weisheit, die im Herrn Jesus Christus einwohnt, hat er das Weltall geschaffen und erhält es weiterhin mit dem auferstandenen Herrn Jesus Christus. Die Götter, überirdischen Herrscher und die Autoritäten der Menschen sind Gott und Jesus Christus untertan und haben noch Wirkmacht. So bricht in Christus die neue Schöpfung schon jetzt an (2Kor 5,17), bleibt aber durch die Menschen und die übermenschlichen Kräfte nur für die Glaubenden erkennbar und vollendet sich am Tag Christi (1 Kor 15,51-58). Zusätzlich wird die Theologie von der Auferweckung aller und des pneumatischen Leibes der Auferweckten (1Kor 15) um die kosmologische Dimension erweitert (Röm 8,20f.)

Die Schöpfung steht unter der Macht der → Sünde (Nichtigkeit). Ihr Ursprung ist die Weisheit Gottes (Röm 1,20). Durch den Sündenfall des Menschen geriet sie unter die Macht der Nichtigkeit (Röm 5,12-21). Die Einwohnung der Weisheit in Jesus Christus befreit die Schöpfung wieder zur Herrlichkeit Gottes, die schon jetzt beginnt und sich am Tag Jesu Christi vollenden wird (1Kor 8,4b-6; 2Kor 5,17).

3.8 Präexistenz Christi und des Logos

Der → Philipperbrief enthält ein Christuslied, das Paulus wahrscheinlich aus der hellenistischen Gemeindetradition übernommen hat. Das Christuslied Phil 2,6-11 zeigt deutlich einen zweistrophigen Aufbau mit den Themen Erniedrigung (Verse 6-8) und Erhöhung (Verse 9-11). Parallelismen gliedern die beiden Strophen und geben dem Lied einen biblischen Klang. Die Erläuterung des Todes als Kreuzestod durchbricht den Parallelismus und macht den Leser aufmerksam, dass hier die Mitte des Liedes ist. Das Motiv vom leidenden Gerechten (Sir 44-50; Weish 2,12-20; Weish 5,1-7) und Märtyrer Jesus wird vom judenhellenistischen Christentum (Phil 2,6-11; Joh 1,1-18) mit der präexistenten Weisheit (Sir 24,1-22; Weish 6,22-8,18) verschmolzen (Schimanowski).

Die Mysterien des Dionysos-Bacchus oder der Kabiren könnten diese Verschmelzung mit beeinflusst haben (Eurip., Bacch., passim; Ziegler 2008, 104-115). Die Unfähigkeit zu Leiden und Sterben ist der entscheidende Unterschied zwischen Dionysos und Christus, olympischen Göttern und Menschen. „Gehorsam werden bis zum Tod“ ist nur dem Menschen Jesus Christus möglich, nicht Dionysos oder einem Kabeiros. Bei anderen Göttersöhnen mit menschlichen Müttern spielt hingegen der Tod eine zentrale Rolle, z. B. bei Herakles, den Dioskuren und Asklepios. Aber auch bei ihnen ist der Tod nicht die Konsequenz von Gehorsam und Pro-Existenz, sondern die tragische Notwendigkeit, die menschliche Existenz für die Verwandlung in einen unsterblichen Gott aufzugeben. Erst recht spielt diese Deutung von Tod bei der Vergöttlichung der Cäsaren die entscheidende Rolle. Erst nach ihrem Tod stellt der Senat in einem Verfahren fest, ob der Cäsar in den olympischen Himmel aufgenommen worden ist oder nicht, also ein menschlicher Schatten der Unterwelt geblieben ist oder zum unsterblichen olympischen Gott wurde (Sen., Apocol.). Die Verdeutlichung des Todes als „Kreuzestod“ bildet daher das Zentrum des Liedes. Der schimpfliche Kreuzestod als Verbrecher hat weder griechische Göttersöhne noch nach dem Tode vergöttlichte Kaiser getroffen. Die Entäußerung (kenóo) Jesu schloss gerade die verachtetste Form des Todes unter den Menschen mit ein. Der Triumphzug der zweiten Strophe Phil 2,9-11 hat nur Dionysos als Parallele. Aber auch er wird im Olymp nicht „Herr der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen“.

3.9 Davidssohn, Erlösung und Sendung

Paulus leitet den Römerbrief mit einem überlangen Gruß ein (Röm 1,1-6): „Paulus, Sklave des Christus Jesus, berufener Apostel, ausgesondert zum Evangelium Gottes, das er vorher zusagte durch seine Propheten in heiligen Schriften über seinen Sohn, den aus der Nachkommenschaft Davids nach dem Fleisch gewordenen, den zu Gottes Sohn in Kraft nach dem Geist der Heiligkeit aus der Auferstehung von Toten bestimmten, Jesus Christus, unseren Herrn…“ (Röm 1,1-4).

In dieser überlangen Adresse, in der der persönlich noch nicht bekannte Paulus sich den Christen in Rom empfiehlt, werden zwei Stadien der Christologie als Evangelium vorgestellt:

a) Die messianische, von König → David herkommende Vollmacht bestimmt die Zeit des irdischen Jesus.

b) Die Bestätigung dieser Vollmacht durch die Auferstehung und die Erhöhung des Jesus Christus zum Sohne Gottes, der von nun an als Erhöhter gemeinsam mit dem Vater die Welt regiert, prägt die Zeit des Auferstandenen.

Als davidischer, irdischer Christus hat Jesus zusätzlich zum stellvertretenden Tod eine Fülle von weiteren Freudenbotschaften verkündet. Paulus zitiert allerdings nur wenige Herrenworte. Im Ersten Korintherbrief führt er drei vorösterliche Worte mit ausdrücklichem Verweis auf die Aussage des Herrn ein (1Kor 7,10; 1Kor 9,14; 1Kor 11,23-25). Die ersten beiden Worte sind Regeln der → Ethik, die Einsetzungsworte des Herrenmahls bilden das dritte Wort. Ansonsten zitiert Paulus noch zusätzlich einige Worte des Erhöhten (1Thess 4,15) oder spielt gelegentlich auf bekannte Herrenworte an (Schröter 2001, 180-220). Die Evangelien stellen dagegen später das Auftreten des irdischen Jesus als Christus in den Mittelpunkt.

Die Pistisformel von der Sendung des eigenen Sohnes verbindet den hoheitlichen → Davidssohn mit der präexistenten Weisheit: „Denn im Hinblick auf das Kraftlose des Gesetzes, worin es schwach war durch das Fleisch – Gott, den eigenen Sohn schickend in Gleichheit des Fleisches der Sünde und wegen der Sünde, verurteilte die Sünde im Fleisch“ (Röm 8,3; ähnlich Gal 4,4f). Die Sendung wird analog zur Sendung der Weisheit verstanden: „Sende sie aus dem heiligen Himmel, und von deinem herrlichen Thron schicke sie“ (Weish 9,10; Gnilka 1994, 24f). Die Sendung der Weisheit als eschatologischer Sohn Gottes und Christus gehört zum präexistenten Geschichtsplan Gottes. Die Sendung eines eschatologischen Christus ist von Anfang der Schöpfung an von Gott geplant (Gal 4,4f; ähnlich Röm 8,3). Jesus Christus hebt das unvermeidbare Gesetz auf. Die Gerechtigkeit Gottes hat die Aufhebung des Gesetzes in Jesus Christus geoffenbart. Der Glaube an ihn bewirkt daher schon jetzt die Gerechtsprechung: „Jetzt aber ist ohne das Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbart worden, bezeugt vom Gesetz und den Propheten, Gerechtigkeit Gottes aber durch Glauben an Jesus Christus für alle Glaubenden“ (Röm 3,21-22a). Zwei Begriffe der Erlösungstheologie erläutern die Gerechtsprechung: Loskauf (apolýtrosis) (Röm 3,24) und Sühnopfer (hilastérion) (Röm 3,25Tod Jesu).

Die Sendung Jesu als Sohn Gottes und Sohn einer Frau geschieht, um aus der Sklaverei der Elemente des Kosmos und des Gesetzes die Glaubenden freizukaufen (Gal 4,4f). Gleichzeitig erhalten diese, sowohl Israel als auch die Völker, die Sohnschaft Gottes zurück, die unter dem Gesetz durch die Übertretungen verlorengegangen war. Im Geiste Christi können die Glaubenden dem Vater-Titel Gottes das vertrauensvolle aramäische → Abba des irdischen Jesus hinzufügen: „Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen aus, der schreit: Abba, der Vater! Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; wenn aber Sohn, auch Erbe durch Gott“ (Gal 4,6f). Die Glaubenden sind nicht mehr Sklaven des Gesetzes und heidnischer kosmischer Mächte (vgl. 1Kor 15,23-28), sondern wie Jesus Christus Gottessöhne/-kinder: „Denn ihr alle seid Söhne Gottes durch den Glauben in Christus Jesus“ (Gal 3,26).

Paulus geht es darum, die gegenwärtige Herrschaft des zum Sohne Gottes Erhöhten zu beschreiben und seine vollmächtige Ankunft (Parusia) für die Zukunft anzukündigen. Die Adoption des königlichen Davidssohnes Jesus zum Sohn Gottes wird durch die Präexistenz ergänzt.

4. Jesus Christus im Spruchevangelium Q

Der Christus-Hoheitstitel fehlt in der aus der Doppelüberlieferung von Mt und Q rekonstruierbaren Quelle → Q. Doch der Eigenname Jesus wird 10x genannt. Jesus kommen die Hoheitstitel → Sohn Gottes/Sohn und Menschensohn zu. Verklärung (Mk 9, 2-8 par.), Passionsgeschichte, Sühnetodvorstellung und Auferweckung (Mk 16,1-8 parr.) werden allerdings nicht berichtet. Der Tod Jesu steht in der Linie der Verfolgung und Tötung der → Propheten im Alten Testament (Q 11,49-51; 13,34f; 14,27). Nach seinem irdischen Prophetentod tritt der Menschensohn Jesus beim Endgericht als der Weltenrichter überraschend machtvoll in Erscheinung und wird seine Anhänger retten (vgl. die Endzeitrede Q 17,23f.26f.30.34f.37 und das Gerichtsgleichnis von den Talenten Q 19,12-27). Doch als irdischer Jesus verkündet er schon jetzt vollmächtig in Wort und Tat, u.a. in → Wundern und → Jüngerschaft, den Anbruch der Königsherrschaft Gottes (Q 7,1.3.6b-9.?10? u.ö.). Die radikale Ethik von der Feindesliebe, dem Nicht-Richten, dem Handeln nach den Worten und Taten Jesu, der unbedingten Nachfolge, der unbegrenzten Vergebung realisiert schon jetzt die Königsherrschaft Gottes (Q 6,27-49; 9,57-60; 17,3f) (Broer 1998, 68-71; Ebner / Schreiber 2008, 106f). Das Reden und Handeln Jesu ist so intensiv von der angekommenen Königsherrschaft Gottes und seiner väterlichen Fürsorge, insbesondere für die Armen und Kranken, geprägt, dass die Selbstbezeichnung Jesu als „Freudenbote“ zutrifft und die Spruchsammlung als Spruchevangelium zutreffend charakterisiert (Q 7,18f.22f.; Heil 2003).

5. Jesus Christus im Markusevangelium

Das → Markusevangelium bildet zwei Handlungsbögen. Der göttliche Handlungsbogen entsteht durch himmlische Stimmen. Am Anfang und in der Mitte proklamiert die Himmelsstimme Jesus zum Sohn Gottes (Mk 1,11; Mk 9,7). Am Schluss verkündet der → EngelJesus, den Nazarener“, als den Gekreuzigten und Auferweckten (Mk 16,6). Der Handlungsbogen von göttlicher Berufung, göttlicher Bestätigung, Ablehnung durch die Menschen, Erkenntnis der Sendung und göttlicher Auferweckung hat Parallelen in den antiken Gründerbiographien. Das Geheimnismotiv spielt besonders in der Numa-Biographie eine Rolle (Plutarch, Numa in Ziegler 1980, Bd. 1, 168-200; Dormeyer 2002, 138-158).

Der christologische, menschliche Handlungsbogen setzt mit dem Namen Jesus Christus in der Überschrift ein (Mk 1,1). Es folgen die von Menschen gesprochenen Titel „Menschensohn“ (Mk 2,10; Mk 3,28 u.ö.), → „Herr“ (Mk 2,10 u.ö.), → „Lehrer“ (Mk 4,38 u.ö.), „Prophet“ (Mk 6,4; Mk 6,15; Mk 8,28), „Sohn Davids“ (Mk 10,47 u.ö.), die alle dem Christus-Titel untergeordnet bleiben. Jesus bestimmt mit seinen Interaktionen diesen zweiten Handlungsbogen. Der Eigenname Jesus ist mit 81 Nennungen das häufigste Nomen im Markusevangelium. Christus hingegen wird nur 7mal verwandt. In der Überschrift ist Christus zum Beinamen verblasst (Mk 1,1). Erst in der zweiten Hälfte des Markusevangeliums wird der Hoheitstitel wieder mehrfach (6mal) in seiner ursprünglichen Bedeutung remetaphorisiert: im Messiasbekenntnis des → Petrus Mk 8,29f; im Trostwort an die Jünger Mk 8,41; im Gespräch über die Davidssohnschaft Mk 12,35; in der Warnung vor falschen Messiassen in der nachösterlichen Zeit Mk 13, 21 und in der Hohenpriesterfrage und der Verspottung in der Passion Mk 14,61f; Mk 15,32.

Vorbereitet wird der Hoheitstitel durch die Verkündigung der angebrochenen Königsherrschaft Gottes (ab Mk 1,15). In Jesus, dem Christus = Messias, ist die Königsherrschaft Gottes bereits angebrochen. Daher kann er auch später in der Passion „Basileus“ = König genannt werden: Mk 15,2.9.12.18.26.32. Die „Basileus“-Stellen aber missverstehen Jesus als machtpolitischen König und machtpolitischen Christus-Messias. Während → Pilatus dieses Missverständnis aufklären will (Mk 15,2.9-12) und doch als Verurteilungsgrund beibehalten muss (Mk 15,26), gehen die Soldaten zum Spott über (Mk 15,18). Die jüdischen Hohenpriester und Schriftgelehrten schließen sich dem Spott an und setzen den Christustitel ausdrücklich mit dem Königstitel gleich (Mk 15,32).

Offen ist die Reichweite des Christus- und Königstitels. Haben die Hoheitstitel nur eine Beziehung zum Alten Testament und zu frühjüdischen Erwartungen oder sind sie zugleich gegen den römischen Kaiser-Anspruch gerichtet? Das Streitgespräch um die Steuermünze erkennt die Finanzhoheit des Kaisers an und stellt ihm gleichzeitig die Hoheit Gottes gegenüber (Mk 12,13-17). Der Evangelist stellt explizit keine Hierarchie auf, sondern überträgt es dem Leser, diese Hierarchie selbst zu entwickeln. Die Hoheitstitel Christus und König weichen einerseits von der alttestamentlichen, frühjüdischen und antiken Erwartung mit der Betonung der Leidensbereitschaft durch die drei Leidensvoraussagen (Mk 8,31.33; Mk 9,30-32; Mk 10,32-34) und das anschließende Leiden ab und setzen andererseits die alttestamentliche und frühjüdische Erfahrung des verfolgten Propheten und leidenden Gerechten fort (Weihs 2003, 453-577). Steht der leidende Christus-König Jesus erst als endzeitlicher Menschensohn-Richter über dem Kaiser oder fordert er schon jetzt zum gewaltlosen Widerstand gegen den Kaiser auf (Myers; Dawson; Ebner)? Die „Vollmacht“ des Menschensohnes Jesus Christus steht schon jetzt über der des Kaisers (Scholtissek), und der Menschensohn urteilt später im Weltgericht über dessen Ausübung seiner Vollmacht (Mk 13,33-37).

Das Evangelium insgesamt handelt nicht nur von Jesus als Objekt, sondern viel umfangreicher von ihm als messianisch handelndem Subjekt. Er erschließt den Hörern die angekommene Königsherrschaft Gottes, die nirgendwo inhaltlich definiert wird, als realistische Erfahrung. Jesus zeigt ihnen den Weg der Umkehr und ermöglicht ihnen den Glauben an das Evangelium, wie er ihn vorbildhaft vorlebt, und gibt ihnen schon jetzt Anteil an der in ihm angebrochenen Königsherrschaft Gottes. Seine Einsetzung zum Sohn Gottes hält er dagegen geheim (Mk 1,9-15); das Geheimhaltungsgebot für sein Christus-Amt erfolgt erst in der Mitte kurz vor dem Schweigegebot für den „Sohn Gottes“ (Mk 8,27-9,11). Das sogenannte → Messiasgeheimnis (Wrede) müsste eigentlich Sohn-Gottes-Geheimnis heißen (Gnilka 1978, 170). Jesus erschließt seinen Mitakteuren öffentlich ab Mk 1,16, und zwar seinen Jüngern, dann dem Volk, danach den sich herausbildenden Gegnern, das Evangelium von der in ihm angekommenen Königsherrschaft Gottes und kann von Jüngern, Volk, z.B. dem unbefugten Wundertäter und den Wohltätern der Jünger (Mk 9,38-41), und Gegnern (Mk 14,61; Mk 15,32) als Christus erkannt werden. Allerdings untersagt er den Jüngern die Propagierung dieses Hoheitstitels vor Ostern, lässt sich aber vom blinden Bettler Bartimäus in → Jericho und von Jüngern und Volk beim Einzug in Jerusalem als wundertätiger Davidssohn preisen (Mk 10,46-11,11). Denn die davidische Weisheit und Wundervollmacht wirken offenkundig in ihm (Mk 6,2). Aber wie bei David und → Salomo kommen die messianischen Vollmachten allein von Gott. Nicht die biologische Abstammung von David, sondern allein die Einsetzung durch Gott macht Jesus zum Christus (Mk 12,35-37). Erst die Nachfolge bis zum Kreuz führt Jünger, Jüngerinnen, Volk und Gegner zur wahren Erkenntnis, dass Jesu Christus-Amt den Dienst und das Sterben für alle einfordert (Mk 10,40-45; Mk 15,39-41). Jesu Identität besteht in der Spannung von Verborgenheit der Gottessohnschaft und Öffentlichkeit seiner hoheitlichen Vollmacht (Dechow 2000, 149-268). Diese Vollmacht bleibt dem Vatergott Israels subordinatianistisch untergeordnet (Mk 13,32). Das Evangelium umfasst zusätzlich zu Einsetzung, Autoritätsbestätigung und Auferweckung alle heilbringenden Handlungen Jesu Christi. Erlösung geschieht nicht nur im Kreuzestod Jesu, sondern der gesamte Weg Jesu war und ist noch immer heilbringend (Mk 1,2; Mk 12,6-11).

6. Jesus Christus im Matthäusevangelium

6.1 Zweistufenchristologie

Die Überschrift des → Matthäusevangeliums lautet: „Buch der Geschichte von Jesus Christus, dem Sohn Davids, dem Sohn Abrahams“ (Mt 1,1). Der Buchtitel hebt mit „Sohn Davids, Sohn Abrahams“ die Verankerung des Hoheitstitels Christus und seines Trägers Jesus innerhalb der davidischen Messiaserwartung und abrahamitischen Bundeszusage heraus. Diese Beziehungsfelder erhalten im Matthäusevangelium eine dominierende Bedeutung.

Auf Jes 7,14 verweist zusätzlich der singuläre Titel → Emmanuel in Mt 1,23a. Der Evangelist erläutert diesen Titel für Leser ohne Hebräisch-Kenntnisse: „das ist übersetzt: mit uns ist Gott“ (Mt 1,23b). Mit Jesus als Abrahams- und Davidssohn findet endgültig die Einwohnung Gottes in Israel und unter den Völkern statt (Frankemölle 1994, 156-159).

Die Leser oder Hörer des Buches vom messianischen Sohn Davids und Sohn Abrahams werden vom Spannungsbogen der Handlung zum nachösterlichen Erkennen und Bekenntnis des erhöhten Christus, Sohnes Gottes und Menschensohnes geführt. Denn das volle Erkennen und Bekenntnis wird erst in der Kreuzigungsszene und in den Ostergeschichten von Gott geschenkt. Erkennen und Bekennen des irdischen Jesus als des Sohnes Gottes und Christus beginnen zwar schon ab dem Anfang in → Galiläa (Mt 4,12-7,29), stehen aber noch unter dem Missverstehen des Leidens (Mt 16,20-23) und unter dem Kleinglauben (Mt 14,30-33). Es entsteht wie im Markusevangelium eine Zweistufenchristologie mit der Spannung von Hoheit und Leiden.

6.2 Christus im Matthäusevangelium

Während Sohn Gottes wie im Markusevangelium eindeutig den göttlichen Beziehungsbereich Jesu anzeigt, verbleibt der Christustitel in der Mehrdeutigkeit des Beinamens, der politischen und weisheitlichen, davidischen Königserwartung, der Erwartung des wundertätigen Freudenbotens nach → Jesaja und der Erwartung der göttlichen, eschatologischen Zeugung. Der Handlungsbogen des Christustitels ist entsprechend facettenreich. Christus schließt als Beiname den Stammbaum ab (Mt 1,16-17). So bildet er mit der Überschrift eine Klammer des Stammbaumes (Mt 1,1-17), der wie Genesis 5,1 in einen Abschnitt der Menschheitsgeschichte einführt.

In der anschließenden Geschichte huldigen weisheitliche Magier aus dem Osten dem neugeborenen König der Juden als dem Christus der Welt (Mt 2,2-4) und eröffnen das politische und weisheitliche Aktionsfeld des Christustitels. Wie im späteren öffentlichen Wirken ist dann der gewaltfreie, weisheitliche Anspruch Jesu der Todesbedrohung durch die Herrschenden ausgesetzt (Mt 2,13-23).

Im Gefängnis hört → Johannes der Täufer vom öffentlichen Auftreten Jesu als den „Werken des Christus“ (Mt 11,2). Voller Ungewissheit fragt er nach und erhält eine indirekte Selbstkennzeichnung Jesu als des wundertätigen, messianischen Freudenbotens nach Tritojesaja (Jes 61,1). Die messianische Linie der Kindheitsgeschichte nach Jesaja (Messias-Immanuel Mt 1,23) wird als Ergänzung zum Davidssohn hoheitsvoll expliziert (Immanuel, Gottesknecht und Freudenbote Mt 11,2-6; Mt 12,15-21). Anschließend bekennt Petrus in der Mitte des Evangeliums Jesus als den Christus (Mt 16,16) und erhält das Schweigegebot, das Sohn Gottes und eschatologischen Christus gemeinsam umfasst und sich auf die Niedrigkeit des Leidens bezieht (Mt 16,20).

Im Gespräch um die Davidssohnschaft trennt Jesus den eschatologischen Messiastitel von der Davids-Genealogie (Mt 22,42-45). Die Titel der Überschrift und des Kindheitsprologes finden eine abschließende Reflexion. Als Davidssohn ist Jesus nicht automatisch der eschatologische Christus. Zum eschatologischen Christus wird Jesus allein durch den Geist (Mt 1,18-25) und die Beauftragung zum Sohn Gottes durch Gott selbst (Mt 3,17).

In der Wehe-Rede konzentriert Jesus exklusiv den weisheitlichen Lehrertitel auf seine Funktion als Christus der Jünger und der nachösterlichen Gemeinde (Mt 23,10). In der Endzeitrede warnt er daher zweimal vor nachösterlichen Pseudomessiassen (Mt 24,5.23f; Mk 13,21). Neben ihm als dem künftigen, auferstandenen Christus kann es keine neuen Messiasse mehr geben. Die nachösterliche Dimension des eschatologischen Christustitels wird deutlicher als im Markusevangelium angedeutet.

Ähnlich wie im Markusevangelium bleibt der Christustitel auf die politische, weisheitliche und wunderwirkende Tätigkeit Jesu bezogen. Stärker als im Markusevangelium stellt er die Kontinuität zur Messiaserwartung Israels her (Mt 1,1.16.17.18; Mt 2,4; Mt 11,2; Mt 16,16 par Mk 8,27f; Mt 22,41-46 par Mk 12,35-37). Deutlicher als bei Markus interpretiert dann Jesus durch sein Auftreten in Hoheit (Mt 11,2-6) und Niedrigkeit den Messiastitel radikal um (Mt 2,4), muss den Jüngern deshalb Schweigen gebieten (Mt 16,20) und die Missverständnisse im Prozess ertragen (Mt 26,63.68; Mt 27,17.22). Seinen Jüngern gibt er wie im Markusevangelium Warnungen für die nachösterliche Zeit mit (Mt 24,5.23) und erweitert gegenüber dem Markusevangelium die eschatologische Herrschaft des auferstandenen Christus um die exklusive Lehrautorität (Mt 23,10). Was bei Markus nur implizit gegeben ist, macht Matthäus explizit. Der Messias Israels ist nicht mehr der politische Leiter Israels. Der eschatologische Christus ist vielmehr der weisheitliche Lehrer und Wundertäter, wie es bereits David und besonders Salomo waren. Als Davidssohn setzt Jesus besonders diese weisheitlichen und wundertätigen Funktionen in Hoheit und Niedrigkeit fort und erweist sich so als künftiger Herrscher des Kosmos. Der aufgrund von Unverständnis Jesus zugesprochene Basileus (Königs)-Titel (Mt 2,2; Mt 21,5; Mt 25,34.40; Mt 27,11.29.37.42) unterstreicht diese Linie.

Die theologische Mitte der Gottesbeziehung Jesu gibt der Christustitel nicht wieder, da er auf dem Interaktionsfeld zwischen Jesus, Israel und den Jüngern verbleibt. Der Handlungsbogen Gottes mit Jesus wird wie bei Markus vom Sohn Gottes Titel beschrieben.

7. Jesus Christus im lukanischen Doppelwerk

Gott ist mit dem Heiligen Geist der verborgene Handlungssouverän. Auf der sichtbaren Ebene der Handlung und Reden allerdings bleibt Jesus mit 56,7% das dominierende Subjekt der Verben (Burridge 1992, 273). Gott handelt durch ihn und alle weiteren Beteiligten seines „Wohlgefallens“ (eudokía, Lk 2,14).

Der markinische göttliche Handlungsbogen bleibt gewahrt. In der zusätzlich vorgeschalteten Kindheitsgeschichte wird zwar der Sohn-Gottes-Titel unterschiedlichen Personen verkündet (Lk 1,32-2,49), danach aber während der öffentlichen → Epiphanie bei der Taufe nur von Jesus gehört und aufgenommen (Lk 3,21f). Nach der zweiten Epiphanie auf dem Berg wird Jesu Gottessohnschaft unter das Leidensgeheimnis gestellt (Lk 9,28-36). Erst aufgrund der Auferweckung können Hoheit und Leiden von der Öffentlichkeit als Einheit verstanden werden. Außerdem zeigt Jesus als Sohn Gottes den anderen Gotteskindern (Lk 3,23-38; Lk 6,35; Lk 20,36; Apg 17,28) den Weg zu Gott.

In der → Apostelgeschichte kommt Sohn Gottes nur zweimal vor und bildet keinen eigenen Handlungsbogen mehr. Sohn Gottes steht in der Verkündigung des Paulus synonym für Christus (Apg 9,20; Apg 13,33).

Gleichzeitig ergibt sich ein christologischer Handlungsbogen. Der Hoheitstitel Christus fällt noch nicht in der Überschrift, sondern wird erst nach der Geburt Jesu von einem Engel verkündet: „Geboren wurde euch heute ein Retter, der ist der Christus, der Herr, in der Stadt Davids“ (Lk 2,11).

Als eschatologischer Christus überbietet Jesus Johannes den Täufer, der vom Volk für den kommenden Christus gehalten wird, diese Erwartung aber zurückweist (Lk 3,15-17). Entsprechend parallelisiert der Evangelist die Kindheitsgeschichten von Johannes und Jesus und lässt nach dem Vergleichsmuster (Synkrisis) der hellenistischen Biographien Jesus den Johannes überbieten (Müller). Nach der Taufe nennt nur der Evangelist hellenistischer Auffassung gemäß Jesu Mannesalter von 30 Jahren als Vorbedingung des öffentlichen Auftretens und hängt den für eine Herrscherbiographie erwünschten, aber nicht erforderlichen Stammbaum an (Lk 3,23a.23b-38). Das Schweigegebot an die Dämonen erhält zusätzlich zum Sohn Gottes den Christustitel (Lk 4,41). Das Christusbekenntnis des Petrus leitet die Schlussphase des galiläischen Teils ein (Lk 9,18-22.23-50). Im Reisebericht fehlen dann die Hoheitstitel Sohn Gottes und Christus. Allerdings steht der absolute Gebrauch von Sohn zentral; Jesus betont mit dem eschatologischen Jubelruf aus Q seine Nähe zu Gott, dem Vater (Lk 10,21f). Erst im Jerusalemer Teil werden dann wieder während der Passion Sohn Gottes und Christus mit Missverständnis ausgesprochen (Lk 22,67-23,39).

In der Apostelgeschichte wird Christus dann zum herausragenden Titel (25mal). Jesus hält als Auferstandener und Erhöhter den Anfang der Königsherrschaft Gottes aufrecht. Jesus erscheint nach seiner Auferstehung als der erhöhte Christus dem apostolischen Zwölferkreis und belehrt sie. Die → Himmelfahrt beendet seine Lehre, aber nicht sein Einwirken auf die Anhänger. Er zeigt sich dem ersten Blutzeugen → Stephanus in einer himmlischen Vision. Er erscheint seinem Verfolger → Saulus und bekehrt ihn. Er gibt in einer Vision dem Jünger Hananias in → Damaskus den Auftrag, Paulus zu heilen. In Jesu Christi Namen vollbringen die Apostel und Zeugen ebenfalls ihre Wunder. Er erscheint Paulus zum zweiten Male beim ersten Jerusalembesuch im → Tempel, zum dritten Male in → Korinth und zum vierten Male während der Gefangenschaft in → Jerusalem. Paulus verkündet abschließend in → Rom die Lehre über Jesus Christus (Apg 28,31). Alle Völker einschließlich Israel können diese Botschaft hören und umkehren.

Die → Erlösung wird wie bei Paulus als Rettung (sotería) bezeichnet (1Thess 1,10; Lk 1,69 u.ö.); Jesus ist der Retter (Lk 2,11). Von den Evangelisten verwendet nur → Lukas die beiden Begriffe Rettung und Retter; nur das → Johannesevangelium führt einmal den Hoheitstitel Retter (Joh 4,42). Außerdem lässt der Evangelist die anderen Erlösungsmetaphern Lösegeld (Mk 10,45 / Mt 20,28) und Sühnopfer / → Sühne aus (Röm 3,25). Nicht ein einzelnes Ereignis allein, sondern der gesamte Lebensweg Jesu bringt die Rettung und Erlösung (Weiser 1993, 144-147).

Der Evangelist behält altertümliche Titel bei wie „Anführer zum Leben“ (Apg 3,15), „Gerechter“ (Lk 23,47; Apg 3,14 u.ö.), „Heiliger“ (Apg 3,14; Mk 1,24) und „Knecht“ (Apg 3,13.26; Apg 4,27). Zum christologischen Handlungsbogen gehören außerdem die Hoheitstitel Menschensohn und Herr = Kyrios. „Prophet“ nimmt eine Hauptrolle ein. Johannes und Jesus sind Propheten ((Lk 1,76; Lk 4,24; Lk 20,6; Lk 24,19). Sie erfüllen die Verheißungen der alttestamentlichen Propheten (Lk 1,70; Lk 4,17 u.ö.). In Jesus als Wundertäter leben besonders die wundertätigen Propheten Elischa und Elija wieder auf (Lk 4,27; Lk 7,16; Lk 9,8.19). Zugleich sind Johannes der Täufer und Jesus die großen Umkehrprediger in Fortführung der alttestamentlichen kritischen Schriftpropheten (Lk 7,26; Lk 16,16; Lk 10,24). Daher erfahren sie auch deren Verfolgungsschicksal (Lk 11,47.49). Der Prophetentod wird Jesus in Jerusalem ereilen (Lk 13,33f). Doch als der verheißene, eschatologische Prophet (Dtn 18,18) bleibt der gekreuzigte Jesus nicht im → Grab, sondern erscheint als der auferweckte Christus seinen Jüngern (Lk 24,13-35.36-53). Gott hat in ihm seine Verheißungen an Israel erfüllt und in seinem Namen die Rettung und Umkehr für alle Völker ermöglicht (Lk 24,46f). Die Spannung zwischen leidendem und hoheitlichem Sohn Gottes, Christus und Prophet ist das fundamentale Paradox des christlichen Glaubens (Lk 24,26.46).

Der „Name“ Jesus gewinnt eine zentrale Bedeutung. Die Jünger und Sympathisanten heilen nicht nur im Namen Jesu Christi wie im Markusevangelium (Mk 9,38-41; Lk 9,49f; Apg 4,10), sondern taufen auf seinen Namen (Apg 8,16; Mt 28,19) und erhalten bei Anrufung seines Namens Rettung (Apg 4,12). „Die Wirkung des Namens ist die spezifisch lukanische Darstellungsform der Präsenz des erhöhten Christus“ (Gnilka 1994, 208).

8. Jesus Christus im Johannesevangelium

Der Christustitel fällt 19mal. Der Prolog schließt mit der erstmaligen Nennung der beiden Namen Jesus und Christus ab (Joh 1,17f).

Jesus Christus überbietet → Mose, indem er das alttestamentliche Gesetz durch die Wahrheit Gottes neu interpretiert. Der Begriff Gnade wird vom Evangelisten im weiteren Evangelium nicht mehr verwandt, weil er sachlich mit → Wahrheit zusammenfällt (Joh 1,14.16 [2mal]).

Es schließt sich ein Disput des Täufers mit den Priestern und Leviten um den wahren Christus und das Selbstverständnis des Täufers an (Joh 1,20b-23). Der Täufer ist trotz der endzeitlichen Wassertaufe nicht der erwartete, endzeitliche Christus (Joh 3,28). Er ist auch nicht der erwartete, endzeitliche Prophet wie Mose (Dtn 18,18) oder Elija (Mal 3,1-24; Mk 1,2), sondern er ist wie bei den Synoptikern die vom Propheten Jesaja erwartete, prophetische Stimme, die den endzeitlichen Freudenboten ankündigt (Jes 40,3; Mk 1,3 par.).

Nach dieser Klärung kann → Andreas als der erste Jünger seinem leiblichen Bruder → Simon das Bekenntnis mitteilen: „Wir haben gefunden den Messias, das ist übersetzt: Christus“ (Joh 1,41b). Der gräzisierte, hebräische Hoheitstitel messías kommt im NT nur im Johannesevangelium vor, und zwar 2mal (Joh 1,41; Joh 4,15). Auch Joh 4,15 erläutert ihn wie hier Joh 1,41b. Der Evangelist betont mit dem hebräischen Fremdwort und seiner Erklärung, dass „die in der Schrift grundgelegte Messiaserwartung sich in Jesus erfüllt“ (Gnilka 1994, 271).

Die Messiaserwartung teilen die Samariter mit den Juden und kommen zum Glauben an Jesus als sotér = Retter der Welt (Joh 4,25.29.42). Der Evangelist spricht nicht von Erlösung, sondern betont die Rettung durch Jesus Christus, dem Sohne Gottes.

Die Juden in Jerusalem dagegen diskutieren am → Laubhüttenfest gegensätzlich die Messianität Jesu (Joh 7,25-44). Einerseits führen die Wunderzeichen zum Glauben: „Von der Volksmenge aber glaubten viele an ihn und sagten: Wird der Christus, wenn er kommt, mehr Zeichen tun als dieser tat?“ (Joh 7,31) Die Wunderzeichen Jesu haben die Erwartung an die Heilung der Schöpfung durch den endzeitlichen Christus erfüllt, der die Königsherrschaft Gottes wieder sichtbar anbrechen lässt.

Allerdings bietet die unklare Herkunft Jesu Anlass für Zweifel (Joh 7,40-43). Die Christuserwartung wird von der Volksmenge in Jerusalem einseitig auf die Davidssohnschaft festgelegt. Obwohl nach Paulus und den Synoptikern diese Erwartung für Jesus genealogisch zutrifft, unterlässt der Evangelist hier eine genealogische Klärung. Denn wie bei den Synoptikern beruht der Christus-Anspruch Jesu nicht auf seiner Zugehörigkeit zur davidischen Großfamilie, sondern allein auf der Einheit mit dem „Vater“. So lässt Jesus die Spaltung, die durch den Unglauben an seine Vaterbeziehung entsteht, zu.

Beim Tempelweihfest in Jerusalem fordern erneut ungläubige Juden Jesus auf, seinen Christusanspruch offen und unmissverständlich nachzuweisen (Joh 10,24f; vgl. Mk 8,11-13 par.). Die Juden, die noch nicht durch die bisherigen Wunderzeichen und Worte zum Glauben gekommen sind, fordern von Jesus noch größere und eindeutigere Wunderbeweise. Jesus dagegen verweist wie bei den Synoptikern auf seine bisherigen Werke. Wundertaten sind keine eindeutigen Beweise, sondern Zeichen (semeíon) für die Einheit Jesu mit dem Vater. Sie müssen als Metaphern „gesehen“ werden, um zum wahren Glauben zu führen (Zimmermann 2006, 176-183). Zu den Werken gehören außerdem nicht nur die Wunder, sondern die gesamten Taten und Reden Jesu. Wenn die Praxis Jesu nicht metaphorisch gesehen wird und keinen Glauben findet, werden die Aussprüche oder Wunder ebenfalls keinen Glauben finden.

Das Bekenntnis zu Jesus, dem Christus, wird für die Synagogenmitglieder zum Grund für den Ausschluss der Bekenner aus der Synagoge; so befürchten die Eltern des geheilten Blinden, wegen des Bekennens Jesu als Heiler ihres blindgeborenen Sohnes aus der Synagoge ausgestoßen zu werden, und vermeiden die Namensnennung Jesu (Joh 9,22). Da aber zu der Zeit Jesu der Tempel noch stand, spielte die Synagogenversammlung in Jerusalem eine untergeordnete Rolle. Die Möglichkeit des Synagogenausschlusses gehört erst in die späte, nachösterliche Phase des Christentums am Ende des 1. Jahrhunderts und wird hier bereits angedeutet.

Dagegen spricht → Marta, die Schwester des verstorbenen → Lazarus, in der Mitte des Johannesevangeliums das Messiasbekenntnis öffentlich aus, das bei den Synoptikern Petrus nur geheim für den Jüngerkreis formuliert: Sie sagt ihm: „Ja, Herr, ich bin zum Glauben gekommen, dass du bist der Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt Kommende“ (Joh 11,27; Mk 8,29 par.).

Der Christustitel wird wie bei der Titulatur des alttestamentlichen Königs mit dem Sohn Gottes-Titel zusammengestellt. Maria, die Schwester Martas, salbt danach, „sechs Tage vor dem Paschafest“, Jesus zum König, zum Christus, und nimmt damit gleichzeitig seine bevorstehende Totensalbung vorweg (Joh 12,1-11). Der Christustitel wird durch diese Erzählung mit narrativer Bildlichkeit remetaphorisiert; der Christustitel entsteht durch die Königssalbung (Zimmermann 2004, 197-218). Dann erfolgt der feierliche Einzug Jesu als König in Jerusalem (Joh 12,12-19; Lk 19,28-38) im Unterschied zum Markus- und Matthäusevangelium, die den Einzug vor die Totensalbung legen und ohne den Königs-Titel belassen (Mk 11,1-10 / Mt 21,1-9