Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: September 2011)

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1.Der Hahn im NT – Eine erste Spurensuche

Im NT begegnen nicht viele Tiere und von Hähnen ist nur an wenigen Stellen die Rede (vgl. den ähnlichen Befund im AT, → Hahn (AT)). Dieses Haus- und Nutztier, das aus Indien und Persien („persischer Vogel“) etwa im 6. / 5. Jh. v. Chr. nach → Palästina kam, spielt neutestamentlich nur im Rahmen der Petrusverleugnung eine Rolle, sein Schrei wird darüber hinaus zur Klassifizierung einer Nachtwache herangezogen.

1.1. Der Hahnenschrei in Mk 13,35

Am Schluss der „Endzeitrede“ Jesu (Mk 13,1-37) betont Mk als einziger der drei → Synoptiker die Ungewissheit, wann der Hausherr zurückkommt, indem er die vier Nachtwachen einzeln aufzählt (Mk 13,35): „Abend“ – „Mitternacht“ – „Hahnenschrei“ (griech. άλεκτοροφωνία alektorophōnia) – „(früher) Morgen“. In welcher Stunde ist der Hausherr bloß zu erwarten? Der Hahn ist hier in seiner klassischen Funktion als „Zeitansager“ angesprochen, der den neuen Tag ankündigt und dessen Ruf den Wechsel von Nacht zu Tag markiert (Plinius, Naturalis historia X,46; Lukrez, De rerum natura IV,711f.). Dieser Übergang wird in der Antike teils mit apotropäischen → Riten, → Gebeten, → Opfern verbunden, teils wird dem Hahnenschrei selbst eine Geister vertreibende Kraft zugesprochen. Mk 13,35 setzt dabei die römische Unterteilung der Nacht in vier Nachtwachen voraus (Plinius, Naturalis historia X,46); der „Hahnenschrei“ bezeichnet ungefähr die Zeitspanne von Mitternacht bis 3 Uhr morgens (dagegen spricht Lk 12,38 nur von der „zweiten“ und „dritten Nachtwache“, was evtl. auf die altisraelitische Einteilung in drei Nachtwachen verweisen könnte, Ri 7,19; Josephus, De bello Judaico V,510). Die implizite Anwesenheit des Hahnes in Mk 13,35 passt auch von daher gut in den durch wiederholte Aufrufe zur Wachsamkeit gekennzeichneten literarischen Kontext (u. a. Mk 13,33.35.37), weil der Hahn als Wächter gerne mit eben diesem Aspekt verbunden wird. Der Hahn mahnt die Menschen, (recht-)zeitig ihr Tagewerk in Angriff zu nehmen, er verhindert, dass die Menschen von der aufgehenden Sonne überrascht werden (Plinius, Naturalis historia X,46).

1.2. Der Hahn im Rahmen der Petrusverleugnung – Der Befund

Die neutestamentliche Erwähnung, die dem Hahn auch kunstgeschichtlich eine bleibende Prominenz eingebracht hat, ist im Rahmen der → Passionstradition zu finden: Ein Hahn spielt bei der Verleugnung Jesu durch → Petrus eine wichtige Rolle. Auf dem Weg vom „Letzten → Abendmahl“ zum → Ölberg (Mk 14,26-31; Mt 26,30-35; Lk 22,31-34; Joh 13,36-38) kündigt Jesus nicht nur das allgemeine Anstoßnehmen (griech. σκανδαλίζω skandalizō) der Jünger an ihm an, sondern sagt Petrus auf dessen enthusiastische Beteuerung seiner Standhaftigkeit auch prophetisch voraus, dass Petrus ihn dreimal verleugnen wird – und zwar bevor der Hahn (griech. άλέκτωρ alektōr) (zweimal – Mk 14,30; siehe die Ergänzung des ersten Hahnenschreis in Mk 14,68) kräht (Mt 26,34; Lk 22,34; Joh 13,38). Und obwohl Petrus seine Treue zu Jesus beschwört, kommt es natürlich, wie von Jesus vorhergesagt: Die dreimalige Verleugnung wird von einem (zweiten – Mk 14,72) Hahnenschrei „gekrönt“ (Mt 26,74; Lk 22,60; Joh 18,27), woraufhin sich Petrus an die Worte Jesu erinnert (nach Lk 22,61 treffen sich außerdem die Blicke von Jesus und Petrus) und (bitterlich – Mt 26,75; Lk 22,62) weint (Mk 14,72).

2. Der Hahn in NT und Umwelt – Mögliche Bedeutungsdimensionen

In der Verleugnung Jesu durch Petrus tritt der Hahn zunächst einmal in seiner oben bereits erwähnten klassischen Funktion auf: Er markiert mit seinem Ruf einen Zeitpunkt, den Übergang von der Nacht – nach den Synoptikern handelt es sich um die Pesach-Nacht (→ Passa / Pessach) – zum neuen Tag. So ist mit der dreimaligen Verleugnung vor dem Hahnenschrei betont, dass Verrat, Gefangennahme, Verhör vor dem Hohen Rat (→ Synhedrion) und Verleugnung komplett in der Nacht stattfinden; mit Mk 15,1 setzt das Geschehen ausdrücklich am Morgen neu an. Der Hahn ist somit einfach „Zeitansager“. Einen Hahn nach der Darstellung der Passionserzählung in → Jerusalem krähen zu hören, kann überraschen, wenn man das rabbinische Verbot der Hühnerhaltung / -züchtung (Reinheitsgründe) in der Heiligen Stadt (Baba Qamma VII,7) bedenkt. Entweder hat sich diese Vorschrift nicht wirklich durchsetzen lassen oder sie ist jüngeren Datums.

Damit der Hahn als Künder des neuen Tages wirken kann, braucht er eine gewisse Einsicht / Klugheit (Hi 38,36 MT), die Fähigkeit (intelligentia) zur Unterscheidung der Zeiten (Plinius, Naturalis historia X,46: Kenntnis der Gestirne) – und genau dieses Tier erinnert Petrus durch seinen Schrei an die Worte Jesu und führt ihn zur Einsicht in sein eigenes Versagen. Im römischen Orakelwesen (→ Orakel) kommt den Hähnen eine nicht unwichtige Rolle zu, vor allem mit Blick auf Kriegshandlungen: Durch ihr Krähen sind sie „Vorausverkündiger aller auf der ganzen Erde errungenen Siege“ (Plinius, Naturalis historia X,49). Dies umso mehr, als nur der siegreiche Hahn kräht (Aristoteles, Historia animalium IV 9 = 536b27f.) – der unterlegene schleicht stumm von dannen. Dazu passt, dass dem Hahn in der Antike Mut und Streitbarkeit / -lust – die Grundlage für den seit Perikles verbreiteten „Volkssport“ Hahnenkampf – zugesprochen werden; der Hahn wird geradezu zum Symbol für Kampf und Sieg (Plinius, Naturalis historia X,47). Sogar den ansonsten unerschrockenen Löwen lehrt der Hahn das Fürchten, und zwar nach antiker Überzeugung durch seinen Kamm (zur antiken Beurteilung des Hahnenkammes als besonders vgl. Aristoteles, Historia animalium II 12 = 504b10-12) und noch mehr durch seinen Schrei (Plinius, Naturalis historia VIII,52; ebd. X,47; Lukrez, De rerum natura IV,711-722). Vor diesem Hintergrund ist zu bedenken, dass es in der → Passion Jesu auch um Niederlagen (Verleugnung durch Petrus) und Siege (ggf. die Widersacher Jesu, die – zumindest für den Moment – triumphieren, wobei sich am Ende Jesus in der Auferstehung als siegreich erweist) geht.

Des Weiteren ist der Hahn im palästinischen Volksglauben Künder und Bringer des Regens („Wetterprophet“, Hi 38,36-38; Rollsiegel aus Kalach / Nimrud, 8. Jh. v. Chr. → Hahn (AT)), doch scheint eine Verbindung mit den durch den Hahnenschrei ausgelösten Tränen des Petrus (Mk 14,72; Mt 26,75; Lk 22,62) weit hergeholt. Als Begleit- bzw. Attributtier einer Gottheit kann der Hahn in der Antike auftreten mit → Ares, Herakles, → Athene, Kybele, Mithras, Asklepios, → Merkur, Apollon – in späterer christlicher Rezeption mit → Christus. Dies scheint im NT keine Rolle zu spielen, ebenso wie die grundsätzlich mit dem Hahn assoziierbaren Aspekte Fruchtbarkeit und Fürsorge.

Bedeutsam für das NT könnte sein, dass der Hahn Symbol für Stolz / Überheblichkeit (Spr 30,31 – in der Rezeption der → LXX ist hier avle,ktwr alektōr zu finden; siehe heute: „eitler Gockel“) ist, ist Petrus doch im Vorfeld der Verleugnung von seiner eigenen Standhaftigkeit mehr als überzeugt. Als Opfertier steht der Hahn nach Plinius hinter keinem anderen zurück (Plinius, Naturalis historia X,49), auch wenn andernorts teils bedauernd ob der eigenen beschränkten finanziellen Möglichkeiten darauf hingewiesen wird, dass ein Hahn gegenüber Rind oder Mastschwein doch eine eher preiswerte Opfervariante darstellt (Herondas, Mimiamben IV,14–17). Als Geschenk unter Freunden waren Hähne in der Antike sehr geschätzt, teils hatte dieses Geschenk erotische Implikationen (nach Aristoteles, Historia animalium I 1 = 488b4-6; VI 9 = 564b10-13 galt der Hahn als „geil / wollüstig“). Einen sprechenden Hahn hat die Antike gemäß Plinius nur einmal gesehen (Plinius, Naturalis historia X,50).

In der späteren christlichen Rezeption findet der Hahn als Vogel des Lichtes (da er Künder des neuen Tages ist) gerne als → Symbol für Christus, für die → Auferstehung oder für das → Jüngste Gericht Verwendung. Mit Blick auf die Petrusepisode kann der Hahn aber auch die heilsame Wirkung der Buße verkörpern und paränetisch (→ Paränese) zur Frömmigkeit mahnen.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff.
  • Der Kleine Pauly, Stuttgart 1964-1975 (Taschenbuchausgabe, München 1979) (s. Huhn/Hahn)
  • Haag, H. (Hg.), Bibel-Lexikon, Einsiedeln, 2. Aufl. 1968
  • Mehling, M. (Hg.), Das große Bibel-Lexikon, Augsburg 1985
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 2. Aufl., Stuttgart u.a. 1992
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2005
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

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