Deutsche Bibelgesellschaft

Galaterbrief

(erstellt: Mai 2016)

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1. Einleitung

Unter den sog. Hauptbriefen (→ Römerbrief, → 1. Korintherbrief / → 2. Korintherbrief, → Galaterbrief) ist der Galaterbrief bei weitem der kürzeste. In der griechischen Textausgabe von Nestle / Aland28 füllt er knapp zwölf Seiten, den textkritischen Apparat inbegriffen, und umfasst damit etwa ein Drittel des 1. Korintherbriefes. Dennoch gehört er zu den inhaltlich gewichtigsten und folgenreichsten Schreiben der paulinischen Korrespondenz. Den Reformatoren galt er neben dem Römerbrief als das theologisch bedeutendste literarische Vermächtnis des Apostels. In einer Tischrede bekennt → Martin Luther: „Epistula ad Galatos ist mein epistelcha, der ich mich vertraut habe. Ist mein Keth von Bor“ (WA.TR 1,69). Diese besondere Hochschätzung resultiert aus der im Galaterbrief erstmals entfalteten → Rechtfertigungslehre. Ihren prägnanten Ausdruck findet sie in dem thetisch verdichteten Basis-Satz: „Der Mensch wird nicht aufgrund von Werken des Gesetzes gerecht gesprochen, sondern (nur) durch den Glauben an Jesus Christus“ (Gal 2,16b.c, vgl. Röm 3,28). Doch was → Paulus als Konsensaussage formuliert („Wir wissen aber: ... “ [Gal 2,16a]), trug den Keim der Kirchenspaltung in sich. Im Streit um das rechte Verständnis der Rechtfertigungslehre, die, so Luther in seinem Galater-Kommentar von 1535, das Ganze der christlichen Lehre enthält und ihr Zentrum bildet (WA 40 / 1, 48,28f), ist die Einheit der abendländischen Christenheit zerbrochen.

Im Brief ergreift Paulus in eigener Sache Partei. Er selbst und seine Evangeliumsverkündigung stehen im Streit. Die diagnostizierte Krisensymptomatik begründet für ihn den Ernst- und Konfliktfall. In → Galatien aktive Fremdmissionare, denen er vorwirft, ein „anderes Evangelium“ (Gal 1,6) zu propagieren, haben in den überwiegend heidenchristlich geprägten Gemeinden erfolgreich Überzeugungsarbeit geleistet. Sie sind bereit, auf deren Linie einzuschwenken. Von alledem erfährt Paulus an seinem jetzigen Aufenthaltsort. Da die räumliche Distanz es nicht gestattet, den Kontrahenten persönlich entgegenzutreten, besitzt er nur die Möglichkeit, brieflich zu intervenieren. Er muss durch das Geschriebene „reden“ und gestaltet daher den Brief als medial inszenierten Sprechakt. Der Konflikt wird in die Sprache verlagert, der Brief wird zum „Kampfbrief“. Er dokumentiert die Entschlossenheit des → Apostels, die galatischen Christen mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln von ihrem Irrweg abzubringen und sie für sich und sein Evangelium zurückzugewinnen.

2. Forschungsgeschichtlicher Überblick

2.1. Authentizität des Briefs

Von der Alten Kirche bis in die frühe Neuzeit war die paulinische Verfasserschaft unumstritten. Bereits → Polykarp von Smyrna (ca. 70-156 [oder 167] n. Chr.) setzte sie voraus (vgl. Polyk 3,2; 9,1; 11,2f mit 3,3a [= Gal 4,26b]; 3,3b [= Gal 6,2]; 5,1a [= Gal 6,7a]). Unter den zehn Paulusbriefen, die → Markion für kanonisch erklärte, rangiert der Galaterbrief an erster Stelle (→ Tertullian, Marc. V 1,9; 21,1). Das älteste Kanonsverzeichnis (Canon Muratori, ca. 200 n. Chr.) ordnet ihn innerhalb der Paulus zugeschriebenen Briefe zwischen dem → Kolosserbrief und → 1. Thessalonicherbrief ein. Erst im 19. Jh. wurde seine Echtheit verschiedentlich angezweifelt, jedoch ohne nachhaltige Wirkung. Gleiches gilt für spätere Versuche, den Galaterbrief entweder ganz oder zu weiten Teilen dem Apostel abzusprechen (McGuire, 1967 / 1968). In der heutigen Forschung ist die Verfasserfrage zugunsten von Paulus entschieden.

2.2. Literarische Integrität

Die literarische Integrität des Galaterbriefes wird von der großen Mehrheit der Ausleger als gegeben vorausgesetzt. Dafür sprechen a) die thematische Kohärenz des brieflichen Gesamtgefüges, b) der einheitliche Situations- und Adressatenbezug, c) die konnektive Struktur der einzelnen Textsegmente, d) die wiederholte Aufnahme leitmotivisch verwendeter Zentralbegriffe, an denen sich die Argumentationslinie orientiert (vgl. nur pistis / Glaube: Gal 1,13; Gal 2,16.20; Gal 3,2.5.7-9.11-12.14.22-26; Gal 5,5-6.22; Gal 6,10; nomos / Gesetz: Gal 2,16; Gal 19.21; Gal 3,2.5.10-13.18-19.21.24; Gal 5,3f; Gal 6,2.13 u.ö.), e) das Geflecht intratextueller Verweisbezüge und schließlich f) die Textüberlieferung. Ältester Textzeuge ist der um 200 n. Chr. zu datierende P46. Seinem Umfang und Wortlaut nach bietet er eine Textform, die bis auf kleinere Abweichungen identisch ist mit der in den modernen kritischen Ausgaben dargebotenen. Es fehlen lediglich neun Verse (Gal 1,9; Gal 2,10f; Gal 3,1; Gal 4,1.19; Gal 5,18f; Gal 6,9). Neuerliche Versuche, den Galaterbrief zu dekomponieren (Witulski, 82-175: 4,8-20 stammt aus einem anderen Brief an die galatischen Gemeinden und ist sekundärer Einschub eines nachpaulinischen Redaktors) oder ihn in seiner vorliegenden Form als das Produkt christlicher Kopisten zu erweisen, auf deren Konto zahlreiche Glossen und Interpolationen gingen (O’Neill, 19-72), haben die Konvergenz von literarischem und textgeschichtlichem Befund gegen sich.

2.3. Aufbau und Struktur

Wie bei Paulus üblich folgen auf den Briefeingang (Gal 1,1-9[10]) das Briefkorpus (Gal 1,11-5,12) und der Briefschluss (Gal 6,11-18). Formal und inhaltlich weisen beide Rahmenstücke markante Besonderheiten auf. Sie spiegeln das angespannte Verhältnis zwischen Briefautor und -empfänger. Dies gilt zunächst für das Präskript (Gal 1,1-5). Im Unterschied zu den sonstigen Homologumena wirkt es auffallend kühl und distanziert. So bleiben die als Mitabsender firmierenden „Brüder“ in V.2a anonym. Auch die Adresse (V.2b) beschränkt sich auf das Nötigste („an die Gemeinden Galatiens“). Ohne Parallele in den übrigen Briefen ist die Erweiterung des Friedensgrußes durch eine traditionelle Dahingabeformel mit anschließender Doxologie (V.4f). Auffällig ist ferner, dass eine Danksagung (Proömium) oder Eulogie fehlt. Statt für den Glaubensstand der Galater zu danken, zeigt Paulus sich im Stil der Entrüstung „verwundert“ über ihre Absatzbewegung hin zu einem „anderen Evangelium“ (V.6). Er stellt jeden unter den Fluch, der ein solches in Wahrheit gar nicht existierendes (V.7) „Evangelium“ verkündigt oder sich darauf einlässt (V.8f, vgl. Gal 5,4).

Das Briefkorpus ist dreigeteilt. Nach einem autobiographischen Rückblick, in dem Paulus die Gottunmittelbarkeit seines Evangeliums darlegt (1,[11-12]13-2,21), entfaltet er die bereits zuvor (Gal 2,15-21) eingebrachte These, Rechtfertigung geschehe allein aus Glauben (Gal 3,1-5,12). Sie wird in mehreren Schritten im Rückgriff auf die Schrift sowie mit Erfahrungs- und Evidenzargumenten begründet (Gal 3,6-14.15-18.19-25.26-29; Gal 4,1-7.8-20.21-31) und anschließend auf ihre ethischen Konsequenzen hin bedacht (Gal 5,13-6,10). Dabei wehrt Paulus dem Missverständnis, die in Christus geschenkte Freiheit vom → Gesetz führe in ein ethisches Vakuum. Vielmehr befähigt sie zu einem „Wandel im Geist“ (Gal 5,16), der sich am Maßstab der Liebe orientiert (Gal 5,13-14.22-23, vgl. Gal 5,6) und gerade so das „Gesetz Christi“ zur Erfüllung bringt (6,2). Zum Schluss lenkt er abermals auf den strittigen Kasus zurück. Unter erneuter Darlegung der eigenen Position setzt er sich noch einmal von den Gegnern ab (Gal 6,12-15). Entgegen der sonstigen Gepflogenheit (vgl. Röm 16,3-15; Röm 16,21-23; 1Kor 16,19-21; 2Kor 13,12; Phil 4,21f; 1Thess 5,26; Phlm 23f) verzichtet er auf Grüße und Grußaufträge. Nach einem konditionierten Friedenszuspruch (V.16), einer letzten Mahnung (V.17) und einem Gnadenwunsch (V.18) mündet der Brief in die versöhnlich klingende Anrede „Brüder“ aus.

Zu den diskutierten Gliederungsvarianten gehört u.a. der Vorschlag, schon hinter Gal 4,31 eine Zäsur zu setzen und den ethischen Teil mit Gal 5,1 („Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Steht nun fest [in der Freiheit] und lasst euch nicht wieder in das Joch der Sklaverei einspannen“.) beginnen zu lassen, statt ihn, wie zumeist angenommen, auf Gal 5,13-6,10 zu begrenzen. Aber vielleicht verbietet sich ein striktes Entweder-oder. Auch in diesem Fall ließe sich Gal 5,1-12 als paränetisch grundierter Übergang verstehen, der mit dem Stichwort „Freiheit“ an Gal 4,31 („Darum, Brüder, sind wir nicht Kinder der Magd, sondern der Freien“) anknüpft (vgl. Gal 2,4) und den letzten Abschnitt des Hauptteils vorbereitet, indem er den Ertrag des zentralen Mittelstücks im Blick auf die galatische Situation rekapituliert.

2.3.1. Rhetorische Analyse

Mit seiner rhetorischen Dispositionsanalyse hat H.D. Betz die Suche nach dem übergreifenden Strukturprinzip in eine neue Richtung gelenkt (Betz, 1988; 1994). Er bestimmt den Galaterbrief als einen apologetischen Brief, der die gattungstypischen Merkmale einer Gerichtsrede (genus iudiciale) aufweist. Paulus ist der Angeklagte, seine Gegner sind die Kläger, die Galater Richter und Geschworene in einem. Im Galaterbrief liegt uns das Plädoyer in eigener Sache vor, nämlich die mit einem brieflichen Rahmen versehene Verteidigungsrede. Eröffnet wird sie durch das zum strittigen Fall hinführende exordium (Gal 1,6-11), das in etwa dem Proömium entspricht. Es folgt die narratio (Gal 1,11-2,14). In ihr wird, analog zum autobiographischen Bericht, der Sachverhalt formuliert. An die propositio (Gal 2,15-21), die den Themasatz eigens herausstellt, schließt sich die Beweisführung (probatio) mit sechs Argumentationsgängen und einem Exkurs an (Gal 3,1-4,31). Der als exhortatio identifizierte Abschnitt Gal 5,1-6,10 spricht Warnungen und Empfehlungen aus. Die peroratio bzw. conclusio (Gal 6,11-18) übernimmt die Funktion des Postskripts. Sie bildet den wirkungsvollen Abschluss der Verteidigungsrede und vergegenwärtigt noch einmal die wichtigsten Punkte.

Aufs Ganze gesehen hat dieses am Regelwerk der griechisch-römischen Rhetorik sich orientierende Analyseverfahren als fruchtbar erwiesen. Problematisch erscheint jedoch die Klassifizierung als „apologetischer Brief“. Ein ethisch-paränetischer Teil hat in dem schulrhetorischen Theoriemodell der Gerichtsrede keinen Platz (→ Apologetik). Apologetische Züge trägt zudem nur die mit dem autobiographischen Bericht konvergierende narratio. Ähnliche Schwierigkeiten bereitet die Zuordnung zu einer der beiden anderen rhetorischen Gattungen. Eine durchgehend zu beobachtende Affinität besteht weder zum Typus der Fest- bzw. Lobrede (genus demonstrativum) noch zu dem der beratenden Rede (genus deliberativum). Die wechselnde Tonlage, der unterschiedliche Sprachgestus und das auf keinen rhetorischen Nenner zu bringende Argumentationsgefälle machen die verbreitete Annahme plausibel, der Galaterbrief vereinige Elemente aller drei Genera.

Methodische Einwände gegen die unterstellte Austauschbarkeit von → Rede und → Brief sind insofern berechtigt, als die bekannten rhetorischen Lehrbücher sich ausschließlich auf den mündlichen Vortrag beziehen und seine Wirkaspekte thematisieren. Von daher versteht sich, dass die im zeitlichen Umkreis des Neuen Testaments anzusiedelnden antiken Rhetoriker, insbesondere Cicero und Quintilian, Brief (epistula) und Rede (oratio) trotz ihrer Verwandtschaft als zwei zu unterscheidende Phänomene menschlicher Kommunikation betrachtet haben und sie auch getrennt behandelt wissen wollten (Cicero, Orat. 64; Ep. ad fam. IX 24,1; Quintilian, Inst. Orat. IX 4,19f). Erst in späterer Zeit mehren sich die Stimmen, die den Unterschied weniger stark betonen, ihn sogar zu nivellieren suchen (Ps.-Libanius, Ep. 528,14). Doch auch ohne ein der Redekunst vergleichbares theoretisches Fundament kann ein Briefschreiber sich an ihren Maximen ausgerichtet haben. Gerade der Galaterbrief zeigt, dass Paulus mit den gängigen rhetorischen termini technici und den Grundregeln ihrer Applikation vertraut war (Classen, 1991). So gesehen spricht prinzipiell nichts dagegen, die an und für Reden entwickelten rhetorischen Kategorien auch auf andere Textsorten wie z.B. Briefe zu übertragen. Der heuristische Wert dieses Interpretationsansatzes für die Erforschung (nicht nur) der paulinischen Literatur steht jedenfalls außer Zweifel.

2.4. Lokalisierung der Adressaten, Abfassungszeit und -ort

Dem Galaterbrief selbst sind keine direkten Informationen zu entnehmen. Er schweigt sich darüber aus, wann, wo und bei welcher Gelegenheit Paulus unter den Galatern missioniert hat. Von allen denkbaren Möglichkeiten, die Briefempfänger zu lokalisieren, kommen ernsthaft nur zwei in Betracht: der südliche Teil der römischen Provincia Galatia (südgalatische Hypothese oder Provinzhypothese) und die weiter nördlich im zentralanatolischen Hochland gelegene, ebenfalls zur Provinz gehörende Landschaft Galatien (nordgalatische Hypothese oder Landschaftshypothese). Innerhalb des dortigen Städtedreiecks Ancyra, Pessinus und Tavium lag das ursprüngliche Siedlungsgebiet der 278 / 277 v. Chr. von Thrakien nach → Kleinasien eingewanderten keltischen Vorfahren der Galater (→ Galatien). Mit beiden Alternativen verbinden sich unterschiedliche Einschätzungen im Blick auf den Verlauf der frühchristlichen Missionsgeschichte und die chronologische Einordnung des Galaterbriefes in das Gesamt der paulinischen Korrespondenz. Vertreter der Provinzhypothese gehen in der Regel davon aus, die Gemeinden seien auf der sog. 1. Missionsreise (Apg 13,4-14,25) – sie wird mehrheitlich vor den Jerusalemer Apostelkonvent (ca. 48 / 49 n. Chr.) datiert – gegründet worden. Wer die Landschaftshypothese bevorzugt, bringt den Gründungsaufenthalt zumeist mit Apg 16,6 in Zusammenhang.

Zugunsten dieser Alternative werden u.a. folgende Argumente angeführt:

1) Die Briefadresse (Gal 1,2) reflektiert den zeitgenössischen Sprachgebrauch und bezieht sich auf die historisch und ethnisch definierte Landschaft „Galatien“. Auch sonst verwendet Paulus im Galaterbrief nur Landschaftsbezeichnungen: „Arabia“ (Gal 1,17; 4,25), „Judäa“ (Gal 1,22), „Syrien“ und „Kilikien“ (Gal 1,21). 2) Die vorwurfsvolle Anrede „O ihr unverständigen Galater“ (Gal 3,1) setzt galatische (= keltische) Herkunft der so Getadelten voraus. 3) Lukas zufolge gelangte Paulus in das „galatische Land“ (Gal Apg 16,6) erst, nachdem er die zuvor erwähnten südgalatischen Städte (Gal 16,1-2.4) verlassen hatte. 4) Der Apostel präsentiert sich als alleiniger Gemeindegründer (Gal 4,12-20), obwohl er die 1. Missionsreise zusammen mit → Barnabas unternahm (Gal Apg 13,1-3.7; Gal 14,12 u.ö.). 5) Zwischen Gal 1,21 und Gal 2,1 findet sich kein Hinweis, Paulus habe sich vor der Apostelkonferenz im provinzgalatischen Süden aufgehalten und dort gemeinsam mit Barnabas die in Apg 13f genannten Gemeinden gegründet (Koch 296-301).

Jeder der beiden Lösungsvorschläge hat Stärken und Schwächen. Träfe die südgalatische Hypothese zu, könnte die Rechtfertigungslehre schon früh zum Bestand der paulinischen Theologie gehört haben, zumal der Galaterbrief sich mehrfach als eine anamnetische Vergegenwärtigung des anfänglich verkündigten Evangeliums zu erkennen gibt (Gal 1,6-9; Gal 3,1; Gal 5,3, vgl. Gal 2,16; Gal 4,13-15.18-19). Denkbar wäre dann eine Datierung noch vor dem 1. Korintherbrief mit Ephesus als Abfassungsort (Theißen, 2007, 103-136). Aber die Provinzhypothese schließt eine Spätdatierung, die bei der Landschaftshypothese zwingend ist, nicht aus, bezieht man das „so schnell“ (Gal 1,6a) auf das Auftreten der Gegner. Darüber hinaus stützt Gal 2,10b („eben dies zu tun habe ich mich auch bemüht“) die Annahme, in Galatien sei die auf dem Apostelkonvent vereinbarte Kollektensammlung bereits durchgeführt worden und ihr Abschluss stehe andernorts unmittelbar bevor (vgl. 1Kor 16,1; 2Kor 8f). Auch die engen theologischen Berührungen und Strukturparallelen im Briefaufbau rücken den Galaterbrief zeitlich in die Nähe des Römerbriefes (vgl. Gal 1,15f mit Röm 1,1-5; Gal 2,15-21 mit Röm 3,19-28; Gal 3,6-25.29 mit Röm 4,1-25; Gal 3,26-28 mit Röm 6,3-5; Gal 4,1-7 mit Röm 8,12-17; Gal 4,21-31 mit Röm 9,6-13; Gal 5,13-15 mit Röm 13,8-10; Gal 5,17 mit Röm 7,15-23; Gal 5,16-26 mit Röm 8,12-16). Mit den Vertretern der Landschaftshypothese ist eine Abfassung um 56 n. Chr. noch in Ephesus oder schon in Makedonien (vgl. Apg 20,1f) gut vorstellbar.

3. Der galatische Konflikt

Der tiefgreifende Konflikt zwischen Paulus und den konkurrierenden Missionaren durchzieht das ganze Schreiben und drückt ihm seinen Stempel auf. Singulär ist die z.T. scharfe Polemik, mit der Paulus auf eine Entwicklung reagiert, die er als bedrohlich empfindet und aus der Ferne aufzuhalten sucht (Sänger, 2016a). Seine begrenzten Möglichkeiten sind ihm bewusst (Gal 4,11.20). Über welche Kanäle und vom wem er schriftlich oder mündlich über den aktuellen Stand der Dinge in den galatischen Gemeinden informiert worden ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Dass seine Beurteilung der Situation von der seiner Gegner abweicht, ist durchaus wahrscheinlich. Auch wird man davon ausgehen können, dass sie bona fide handelten, wenngleich sie ihr ‚Evangelium‘ als einen Gegenentwurf zum paulinischen Evangelium verstanden haben. Ob und inwieweit die im Brief vorausgesetzte Wirklichkeitsannahme den realen Gegebenheiten entspricht, wissen neben seinen Adressaten nur die bei ihnen sich aufhaltenden Konfliktgegner. Ein potentieller Unsicherheitsfaktor, den Paulus zu ignorieren scheint. Was er von seinen Gewährsleuten erfahren hat, deckt sich für ihn mit den tatsächlichen Verhältnissen in Galatien. Freilich gibt es keine belastbaren Indizien, die es nahelegen, er habe die Lage völlig falsch eingeschätzt.

3.1. Vorgeschichte und Anlass

Paulus hat (zusammen mit seinem antiochenischen Missionsgefährten Barnabas?) die Gemeinden während eines Aufenthalts in der römischen Provinz Galatia gegründet. Wann und wo genau, sagt er nicht. Offenbar musste er krankheitshalber – und dann wohl ungeplant – bei ihnen Station machen (4,13f). Seine missionarische Tätigkeit war erfolgreich (Gal 1,6; Gal 4,9; Gal 5,7a). Der Brief richtet sich an eine Mehrzahl von (Haus-)Gemeinden (Gal 1,2) in verschiedenen, aber nicht allzu weit voneinander entfernt gelegenen Ortschaften. Je nach dem, worauf man die relative Zeitangabe „so schnell“ (Gal 1,6a) bezieht, traf dort kurz nach Paulus’ Weggang oder einige Jahre später eine Gruppe von Fremdmissionaren ein. Ihre Zahl wird nicht groß gewesen sein. Paulus spricht von „einigen Leuten“ (τινές tines, Gal 1,7). Sie stellten seine Verkündigung in Frage, griffen ihn aber auch persönlich an, indem sie seine apostolische Legitimität bestritten und Zweifel an seiner Unabhängigkeit schürten. Unter dieser Voraussetzung wird verständlich, warum er gleich eingangs betont, er sei „Apostel nicht von Menschen, auch nicht durch einen (bestimmten) Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater“ (Gal 1,1). Dieser Tenor bestimmt auch den autobiographischen Rechenschaftsbericht (1,[11-12]13-2,21). In ihm präsentiert Paulus sich als von Gott autorisierter Apostel, der keiner menschlichen Instanz verpflichtet ist. Die positive Resonanz der galatischen Christen auf das Programm der von ihm hart Attackierten – er tituliert sie als „Unruhestifter“ (Gal 1,7; Gal 5,10), „Bezauberer“ (Gal 3,1), „Aufhetzer“ (Gal 5,12, vgl. Gal 4,17f), „Verdreher des Evangeliums“ (Gal 1,7) und empfiehlt ihnen, sich selbst kastrieren zu lassen (Gal 5,12) – nötigt Paulus, nun seinerseits gegen sie Position zu beziehen und ihr Ansinnen als mit dem Christusevangelium unvereinbar zu erweisen.

3.2. Hintergrund und theologisches Profil der Fremdmissionare

Obwohl sie anonym bleiben, wird ihr Inkognito zumindest partiell gelüftet. Einen konkreten Hinweis liefert 6,13. Dort bezeichnet Paulus sie wörtlich als „die Beschnittenen“ (οἱ περιτεμνόμενοι / hoi peritemnomenoi). Vom Kontext her ist das griech. Part. Präs. am ehesten kausativ zu verstehen, so dass man zu übersetzen hat „die die Beschneidung fordern“. Ihr zentrales Anliegen wird in Gal 6,12 benannt: Die paganstämmigen Mitglieder der galatischen Gemeinden sollen sich, falls männlichen Geschlechts, beschneiden lassen (vgl. Gal 2,3.7; Gal 5,2-3.6; Gal 6,15).

Auf einen jüdischen Hintergrund der Fremdmissionare deutet auch Gal 4,10: „Ihr (sc. Galater) wollt Tage beobachten und Monate und Zeiten und Jahre“. Im Alten Testament und vor allem in den priesterschriftlichen Teilen des Pentateuchs finden sich detaillierte Angaben über die jährlich zu begehenden kultischen Feste und das Datum, an dem sie zu feiern sind. In Lev 23 werden die entsprechenden Vorschriften einzeln aufgelistet. Der kultische Festkalender gewann in frühjüdischer Zeit zunehmend an Bedeutung. Die Gesetzmäßigkeiten, mit denen die Gestirne und Planeten am Himmel erscheinen und die Zeit einteilen, galt speziell in jüdisch-apokalyptischen Kreisen und der Qumrangemeinschaft als Beleg für die der Welt von Gott eingestiftete Schöpfungsordnung (vgl. äthHen 82,7.9f; 1QM 10,15). Sie spiegelt sich in der → Tora, die Israels Dasein und Leben bestimmt. Es liegt in der Logik dieser Denkfigur, dass schließlich Schöpfungsordnung und Tora miteinander identifiziert werden. Gal 4,10 spielt darauf an. Die Reihe „Tage“, „Monate“, „Zeiten“, „Jahre“ bezieht sich auf eine Form von Gesetzesfrömmigkeit, in der sich das Einhalten der Gebote „mit der gewissenhaften Beachtung der den Kalender bestimmenden Schöpfungsordnung“ (Mußner 301) verbindet.

Der gleiche Sachverhalt ist in Gal 4,9b angesprochen, wo von den schwachen und armen „(Welt-)Elementen“ (στοιχεῖα [τοῦ κόσμου] / stoicheia [tou kosmou], vgl. Gal 4,3; Kol 2,8.20) die Rede ist, denen die Galater, so Paulus, erneut dienen wollen. Entgegen früheren Annahmen sind mit den „(Welt-)Elementen“ sind keine Geister- oder Engelmächte gemeint. Der Ausdruck bezeichnet die vier physikalischen Elemente Feuer, Wasser, Erde, Luft. Gelegentlich wird noch der Äther hinzugerechnet. Nach verbreiteter antiker Anschauung – sie geht auf Empedokles (485 / 484-425 / 430 v. Chr.) zurück – stellen sie die Grundstoffe der Welt und unserer Körper dar. Der Mensch bildet gewissermaßen den Kosmos im Kleinen ab. Die mit den Gottheiten → Zeus, → Hera, → Hades und Nestis gleichgesetzten Elemente kommen ständig zusammen, mischen sich und treten wieder auseinander. Ihre von Neikos, dem Gott des Anstoßens verursachte Trennung droht die sinnlich wahrnehmbare Welt zu zerstören. Damit dies nicht geschieht, müssen die antagonistischen Kräfte erneut ins Gleichgewicht gebracht und zu einem harmonischen Ganzen gefügt werden. Greift Paulus in Gal 4,3.9, wie vielfach vermutet wird, ein Stichwort seiner Kontrahenten auf, kann aus ihrer Sicht die Harmonie der auseinanderdriftenden Weltelemente nur durch das Gesetz und den in ihm verankerten Kult gesichert werden. Toragehorsam und → Festkalender sehen sie nicht allein heilsgeschichtlich, sondern auch kosmologisch und anthropologisch begründet. Auf diese Weise wird der Geltungsanspruch, den sie dem Gesetz zuschreiben, noch zusätzlich spekulativ überhöht (Söding, 1997, 138-142).

Demnach sind es drei Forderungen, mit denen die galatischen Gemeinden konfrontiert werden: Gemäß der Tora sollen sie sich der Beschneidung unterziehen, die Speisegebote einhalten (diese geht aus dem argumentativen Gefälle von Gal 2,11-16 hervor) und den jüdischen Festkalender beachten.

4. Die gegenläufige Interpretation der Abrahamverheißungen

Im Galaterbrief spielt die Abraham-Thematik kaum zufällig eine dominierende Rolle (vgl. Gal 3,6-29; Gal 4,21-31). Sie dürfte von den Gegnern eingebracht worden sein, erschien sie doch geeignet, ihre Position zu stärken: Ohne wie der Erzvater beschnitten zu sein gibt es keinen legitimen Anspruch auf die → Abrahamskindschaft. Mit Paulus waren sie sich zwar in einem wesentlichen Punkt einig: Der Christusglaube ist notwendig, um an den Segensverheißungen teilzuhaben, die Abraham von Gott empfangen hat. Aber für sie ist der Glaube noch keine zureichende Bedingung. Der durch Christus eröffnete Weg zum Heil läuft über die Zugehörigkeit zum Judentum und bleibt daran gebunden. Erst wenn die heidenchristlichen Galater sich der Beschneidung unterzogen haben, sind sie Nachkommen Abrahams und gewinnen sie Anteil an seinem Erbe. In diesem an der Tora orientierten Heilskonzept hebt der Glaube die erwählungsgeschichtlich begründete Differenz zwischen Juden und Nichtjuden weder auf noch wird sie durch ihn gegenstandslos. Während seine Kontrahenten aus der Schrift ableiten, zwischen Christusglaube und Toragehorsam bestehe ein unauflösbares soteriologisches Junktim, hält Paulus – ebenfalls unter Berufung auf die Schrift – an der kriteriologischen Funktion des Glaubens fest. Der für ihn grundlegende Text ist Gen 15,6: „Er (sc. Abraham) glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet“ (Gal 3,6). Paulus interpretiert ihn im Sinne seines Beweisziels, dass allein der Glaube über die Zugehörigkeit zur eschatologischen Heilsgemeinde entscheidet: „Erkennt also: Die aus Glauben (leben), (nur) diese sind Abrahams Kinder“ (Gal 3,7). Anschließend wendet er, wiederum mit Hilfe zweier Schriftzitate (Gen 12,3; Gen 18,18), die aus Gen 15,6 gezogene Schlussfolgerung auf die aktuelle Problemlage in Galatien an: „Die Schrift aber hat vorausgesehen, dass Gott die Heiden aus Glauben gerecht spricht, und dem Abraham das Evangelium im Voraus verkündigt: ‚In dir werden alle Völker gesegnet werden‘. Also werden die aus Glauben (leben) mit dem glaubenden Abraham gesegnet“ (Gal 3,8-9, vgl. Gal 3,14a.26-29). Wenn nun die heidenchristlichen Galater, so das Fazit des Apostels, wie Abraham „glauben“ und durch den Glauben zu Christus gehören, auf den die Verheißungen sich beziehen (Gal 3,16), müssen sie nicht erst Juden werden, um vollgültige Mitglieder des erwählten Gottesvolkes und Verheißungserben (Gal 3,22b.29) zu sein. Auch die Tora in das christologisch-soteriologische Koordinatengefüge von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi zu integrieren, wodurch sie den Rang einer heilsrelevanten Größe erhielte, käme einer Annullierung der → Gnade Gottes gleich (Gal 1,6; Gal 2,21a). In der Konsequenz führte die beabsichtigte Aufwertung der Tora nicht nur zur Relativierung des Christusgeschehens, sondern hätte zwangsläufig dessen Suspendierung zur Folge (Gal 2,21b). An die Stelle des rechtfertigungstheologischen Basis-Satzes, niemand werde „aufgrund von Werken des Gesetzes gerecht gesprochen, sondern ausschließlich durch den Glauben an Jesus Christus“, träte die doppelt strukturierte Aussage: „Der Mensch wird durch den Glauben an Jesus Christus und aufgrund von Werken des Gesetzes gerecht gesprochen“. In dieser durch ein Sowohl-als-auch gekennzeichneten Heilskonzeption, die bestreitet, dass allein der sich der Gnade Gottes und seinem rechtfertigenden Handeln verdankende Glauben zum Leben verhilft (Gal 2,16; Gal 3,11-12.21-22), sieht Paulus die „Wahrheit des Evangeliums“ (Gal 2,5.14, vgl. Gal 5,7) im Kern preisgegeben.

Was er jedoch als „Evangelium“ bezeichnet, nämlich die im Glauben an Jesus Christus gründende, in der Taufe bekräftigte und durch die Begabung mit dem Geist sich als wirkmächtig erweisende Zusage der Gotteskindschaft (Gal 3,2-5.14.22; Gal 4,6), durch die ethnisch, sozial und geschöpflich definierte Identitäten der Vergangenheit angehören (Gal 3,26-28, vgl. Gal 1Kor 12,12f), hat für seine Gegner einen gravierenden Mangel: Es lässt die durch Abraham vermittelte jüdische Signatur vermissen. Sie können sich das Christsein der aus ihrer Sicht heidnischen Galater nur in Kontinuität zu der mit ihm beginnenden Verheißungsgeschichte Gottes mit seinem Volk Israel, d.h. innerhalb der halachisch fixierten Grenzen des Judentums vorstellen. Aus eben diesem Grund lehnen sie das paulinische Evangelium ab.

Der Galaterbrief reflektiert zwei miteinander konkurrierende Heilskonzeptionen hinsichtlich der Funktion, Bedeutung und Begründungsstruktur des Glaubens. Das sie kennzeichnende Spannungsverhältnis tritt in der galatischen Situation offen zutage. Ihr Krisen- und Konfliktpotential resultiert nicht zuletzt daraus, dass sich mit ihnen zwei Identitätskonzepte verbinden, die prinzipiell unvereinbar sind. Für Paulus gewinnt christliche Identität ihr spezifisches und unverwechselbares Profil durch den Christusglauben, was zugleich heißt: Er fungiert als das Differenzmerkmal christlicher Identität. Hingegen zeichnet sich der in Galatien propagierte Alternativentwurf durch ein Wirklichkeitsverständnis aus, demzufolge das – erst später so genannte – Christentum ein Integral des Judentums bildet und daher selbstverständlich gehalten ist, dessen torabasiertes Ethos zu übernehmen. Dieser Fundamentaldissens spiegelt sich in der jeweiligen Argumentation. Erhebt Paulus den Anspruch, in seiner missionarischen Verkündigung und Praxis den exklusiven Charakter des Christusglaubens zur Geltung zu bringen, beanspruchen seine Gegner, durch die angemahnte Erfüllung ihrer Zusatzforderung den Heilsstand der Galater im Sinne des in der Tora Gebotenen zu „vollenden“ (Gal 3,3).

5. Grundlinien der paulinischen Argumentation

Ausgangspunkt und Sinnmitte der im brieflichen Hauptteil ausgezogenen Gedankenlinie ist der Basis-Satz von der Rechtfertigung (Gal 2,16). Die ihn kennzeichnende Antithetik hält sich durch und bestimmt die von Oppositionen geprägte Argumentationsstruktur: Christusevangelium vs. anderes Evangelium (Gal 1,6-7), Gerechtigkeit aufgrund von „Werken des Gesetzes“ vs. Gerechtigkeit aus Glauben an Jesus Christus (Gal 2,16-21; Gal 3,1-14), Versklavung unter das Gesetz vs. Freiheit in Christus (Gal 3,23-4,7; Gal 4,21-31), Vertrauen auf das Fleisch vs. Leben im Geist (Gal 5,13-6,10). Mit der These von Gal 2,16 nimmt Paulus die Antwort vorweg, auf die Gal 3,2 hinsteuert: „Habt ihr den Geist aufgrund von Werken des Gesetzes empfangen oder aus der Predigt des Glaubens?“ (vgl. Gal 3,5b). An Abraham verdeutlicht er zunächst, dass nicht das Tun des Gesetzes, sondern nur der Glaube rechtfertigt (Gal 3,6-9). Dem entspricht das prophetische Zeugnis der Schrift: „Der aus Glauben Gerechte wird leben“ (Gal 3,11b [= Hab 2,4LXX]). Überführender Beweis sind die pneumatischen Erfahrungen der Galater. Ihre Begabung mit dem Geist ist der Segen, der Abraham und seinen Nachkommen verheißen ist. Er wird allen Glaubenden durch Christus, den Nachkomme Abrahams, vermittelt (Gal 3,14). Mit einem aus der Rechtspraxis entlehnten Beispiel stellt Paulus sodann klar (Gal 3,15-18), dass das zwischenzeitlich ergangene Gesetz die früher gegebene Verheißung nicht aufhebt. Auf die nun unvermeidliche Frage nach seiner Funktion geht Gal 3,19-25 ein. Das Gesetz hatte eine zeitlich befristete und begrenzte Aufgabe in der göttlichen Heilsökonomie. Es wurde der Verheißung beigegeben als Aufseher bis zum Kommen Christi (Gal 3,24), sollte aber nie rechtfertigen und Leben bringen (Gal 3,21). Gal 3,26-29 zieht die Quintessenz und formuliert, was zu beweisen war. In ihrer Taufe haben die Galater Christus „angezogen“ (Gal 3,27). Sie gehören seitdem zu ihm und sind folglich „Abrahams Nachkomm(en), Erben gemäß der Verheißung“ (Gal 3,29). Gal 4,1-7 illustriert und präzisiert das zuvor Gesagte mit Hilfe eines Evidenzarguments. Weil sie durch den Glauben Kinder Gottes sind (Gal 3,26) und nicht mehr wie vormals unter Fremdherrschaft stehen (Gal 4,2-3.5), ist der in ihren Herzen wohnende Geist kein anderer als der des Gottessohnes (Gal 4,6), d.h. Christus selbst (Gal 2,20). Nach einer eindringlichen Warnung, nicht hinter das Erreichte zurückzufallen (Gal 4,8-11), und einem Appell, sich an ihre von gegenseitiger Freundschaft geprägte gemeinsame Geschichte zu erinnern (Gal 4,12-20), wird die eingangs aufgerissene Alternative von Glaube und Gesetz (Gal 3,6-9.10-14) noch einmal von der Schrift her begründet (Gal 4,21-31). In allegorischer Ausdeutung der Sara-Hagar-Erzählungen in der → Genesis (Gal 16; 17,15-27; Gal 18,9-15; Gal 21,1-21) schließt Paulus die Adressaten mit → Isaak, dem „Kraft der Verheißung“ (Gal 4,23) und „auf geistliche Weise“ (Gal 4,29) erzeugten Sohn → Abrahams und → Saras kurz. Weil seine Mutter die „Freie“ (Gal 4,23) auch „unsere Mutter“ (Gal 4,26) ist, sind auch „wir“ (= die Gemeinschaft der Christusgläubigen) „Kinder der Freien“ und nicht der Magd → Hagar, die der Sinai-Tora entspricht und wie sie „zur Knechtschaft gebiert“ (Gal 4,24-25). Deshalb gilt für die Galater wie für alle Christusgläubigen: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ (Gal 5,1). Der Vers bildet die Klimax des Briefs. Mit ihm ist (fasst) alles gesagt. Was jetzt noch folgt (Gal 5,13-6,10), ist Anwendung.

6. Schluss und Ausblick

Der Galaterbrief ist eine fulminante Streitschrift. Es erscheint paradox. Um die ekklesiale Einheit mit den Galatern zu bewahren und sie für das Evangelium zurückzugewinnen, beschreitet Paulus einen Weg, der durch schroffe Antithetik, Dissoziation, z.T. aggressive Sprache und bis zur Häme reichende Polemik (Gal 5,12) gekennzeichnet ist. Jedoch endet der Brief, wie er beginnt: mit einem Hoffnungsblick. Am Schluss nimmt Paulus die ersehnte Antwort der Adressaten vorweg und schreibt sie in den Text ein. Stimmen sie in das „→ Amen“ (Gal 6,18) ein und machen es sich zu eigen, bekennen sie sich zur „Wahrheit des Evangeliums“ (Gal 2,5.14) und bleiben, wer sie sind: die christlichen Gemeinden in Galatien (Gal 1,2) und damit seine Geschwister, die wie er Anteil haben am Erbe Abrahams (Gal 3,29; Gal 4,7, vgl. Gal 3,14). Ob Paulus’ Hoffnung getrogen oder ob sie sich erfüllt hat, wissen nur die am Konflikt beteiligten Parteien. Wir wissen es (leider) nicht.

Literaturverzeichnis

1. Kommentare

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