Der apokryphe Brief des Jakobus
Andere Schreibweise: Epistula Jacobi apocrypha; The Apocryphon of James
(erstellt: August 2022)
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1. Überlieferung und literarische Gestalt
Der sogenannte apokryphe Brief des Jakobus (abgekürzt EpJac für Epistula Jacobi apocrypha) ist die, eigentlich titellose, zweite Schrift in Codex I aus dem Handschriftenfund von → Nag Hammadi
Der apokryphe Jakobusbrief wurde ursprünglich sicher auf Griechisch abgefasst; darauf deutet etwa der stehengebliebene griechische Dativ ἑβραίοις (hebraiois) in p. 1,16 hin.
2. Entstehungszeit und Herkunft
Die geographische Herkunft des apokryphen Jakobusbriefes ist letztlich unbekannt. In der Forschung erwogen werden einerseits der syro-palästinische Raum bzw. Kleinasien (Kirchner; Perkins), andererseits Ägypten (Williams; Helderman; van der Vliet). Für die erstgenannte Lokalisation werden die verwendete Spruch- und Gleichnistradition sowie die Hochschätzung des Jakobus ins Feld geführt, für die zweite u.a. die Berührungen mit Motiven in der wahrscheinlich in Ägypten entstandenen → Epistula Apostolorum
Umstritten ist in der Forschung ebenfalls die Datierung des apokryphen Jakobusbriefes. Die Bandbreite reicht von einer Frühdatierung in das 1. Jahrhundert bis zu einer Spätdatierung Ende des 2. / Anfang des 3. Jahrhunderts. Ein Argument für die Frühdatierung ist die Benutzung ähnlicher Traditionen wie in den später kanonisch gewordenen Evangelien, ohne dass eine Abhängigkeit von diesen zu erkennen wäre. Allerdings setzt die Eingangsszene, in der die Jünger nach ihrer Erinnerung die Worte Jesu „zu Büchern ordnen“, die Existenz von (Evangelien-)Schriften voraus sowie deren (pseudonyme) Abfassung durch einzelne Jünger Jesu. Außerdem hat die Schrift als Adressaten bereits „die Kinder“, das heißt die nachapostolische Generation, im Blick. Auch das Zeitschema des apokryphen Jakobusbriefes, die Erscheinung des Offenbarers nach 550 Tagen, deutet auf das Konzept einer abschließenden Offenbarung hin, die frühere Offenbarungen überbieten soll. Eine Entstehung des apokryphen Jakobusbriefes im 2. Jahrhundert n. Chr. ist daher wahrscheinlicher. Eine Datierung des Textes in das 2. Jahrhundert schließt nicht aus, dass der Verfasser des apokryphen Jakobusbriefes ältere Jesustradition verarbeitet hat.
3. Inhalt
Obwohl die ersten Zeilen des Textes stark beschädigt sind, lässt sich das Briefpräskript mit einiger Wahrscheinlichkeit rekonstruieren. Jakobus, der sich noch an anderer Stelle als Autor zu erkennen gibt, ist es, der an eine mit Du angeredete Einzelperson schreibt, deren Name auf -θος (-thos) endet (sofern es sich nicht um den Namen einer Ortsgemeinde handelt, deren Repräsentant angeschrieben würde, wofür allerdings der Platz kaum ausreicht). Als Personenname kommt dann im Grunde nur Kerinthos in Frage, womit am ehesten der bei Irenäus erwähnte judenchristliche Gnostiker (?) des 1. / 2. Jahrhunderts gemeint sein dürfte (vgl. Haer 1,26,1; 3,3,4; 3,11,1). Bei Epiphanius (Haer 28: Gegen die Anhänger Kerinths) erscheint Kerinth als Gegner von Jakobus, → Petrus
Eigentlicher Inhalt des Schreibens ist dann der als Geheimlehre apostrophierte Offenbarungsdialog, der auf eine bereits früher übermittelte Geheimlehre folgt (möglicherweise eine Bezugnahme auf die → Erste Apokalypse des Jakobus
Ein weiteres wichtiges Thema im apokryphen Jakobusbrief ist das Leiden. Dieses wird sehr konkret vorgestellt, was dafür spricht, dass das Leiden hier mehr ist als ein allgemeines theologisches Thema. Vielmehr dürften die Adressaten des Textes wirklich bedroht gewesen sein. Das Leiden ist ebenso unabwendbar, wie es notwendige Durchgangsstation zur Erlösung ist.
Der eigentliche Adressat des Schreibens ist die kommende, nachapostolische, Generation, die „Kinder“;, das Schreiben ist also eine Art Handreichung für ihre Erlösung. Dies zu verdeutlichen ist vermutlich auch der Sinn des allerdings schwer zu übersetzenden Gleichnisses vom Dattelpalmenschößling (p. 7), das den Auftakt bildet zu einer Reihe von Gleichnissen, die teils ausgeführt, teils nur aufgezählt werden.
Abschließend wird Jakobus und Petrus exklusiv eine himmlische Vision gewährt.
4. Theologische Eigenart
Der christliche Charakter des apokryphen Jakobusbriefes ist auf den ersten Blick ersichtlich. An der Realität von → Kreuz und Tod Jesu
Der gnostische Hintergrund des apokryphen Jakobusbriefes offenbart sich erst bei genauerem Hinsehen, auch wenn bereits die gewählte Gattung des Offenbarungsdialogs auf ein gnostisches Milieu schließen lässt. Die Christologie ist mehrstufig. Der apokryphe Jakobusbrief unterscheidet klar zwischen dem Offenbarer, der auch schon früher in Gleichnissen geredet hat und dem es nicht nur nachzueifern gilt, sondern dem zuvorzukommen und den zu übertreffen sogar möglich ist, und dem „Sohn des Heiligen Geistes“, der jenem deutlich übergeordnet ist: „Werdet besser als ich und gleicht so dem Sohn des Heiligen Geistes!“ (EpJac p. 6).
Ein weiterer typischer Topos frühchristlicher Auseinandersetzung ist die Frage nach der weiteren Gültigkeit des Alten Testaments bzw. hier konkret der alttestamentlichen Prophetie (vgl. z.B. Origenes, Commentarius in Johannem II 34,199-201). Der Erwartung fortdauernder Prophetie wird vom Offenbarer mit Hinweis auf die Enthauptung → Johannes des Täufers
Siehe auch
→ Gnosis
Literaturverzeichnis
Textausgaben und Übersetzungen
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Untersuchungen
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- Van der Vliet, J., Spirit and Prophecy in the Epistula Iacobi apocrypha (NHC I,2), in: VigChr 44 (1990), 25-53
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