Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Juli 2023)

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1. Statistik

Der Begriff διαθήκη (Bund, Verfügung, [Heils-]Ordnung, Testament) ist im Neuen Testament unterschiedlich verteilt: von den 33 Belegen finden sich acht bei Paulus (Röm 9,4; Röm 11,27; 1Kor 11,25; 2Kor 3,6.14; Gal 3,15.17; Gal 4,24), einer in den Dt-Paulinen (Eph 2,12), vier in den synoptischen Evangelien (Mt 26,28; Mk 14,24; Lk 1,72; Lk 22,20) zwei in der Apostelgeschichte (Apg 3,25; Apg 7,8), einer in der Offenbarung (Apk 11,19), aber siebzehn im Hebr, d.h. mehr als die Hälfte. Zu diesen siebzehn expliziten Belegen im (Hebr 7,22; 8,6.8.9.10; 9,4.15.16.17.20; 10,16.29; 12,24; 13,20) ist διαθήκη an vier Stellen, nämlich in Hebr 8,7.13; Hebr 9,1.18, implizit zu ergänzen. Damit wäre im Hebr eine Gesamtzahl von 21 erreicht.

An drei Stellen (Röm 9,4; Gal 4,24; Eph 2,12) findet sich der Plural, ansonsten der Singular. Vier Belege (1Kor 11,25; Mt 26,28; Mk 14,24; Lk 22,20) gehören zur Herrenmahltradition. Bei etwa der Hälfte der Belege handelt es sich um Zitate aus dem Alten Testament (vgl. Gräßer, 1985, 8f).

Das Verbum διατίθεμαι (festsetzen, bestimmen, verfügen) ist an sieben Stellen belegt (Lk 22,29 [2x]; Apg 3,25; Hebr 8,10; 9,16.17; 10,16), wovon an fünf Stellen διαθήκη das dazugehörige Objekt bildet. An zwei Stellen (Lk 22,29 [2x]) ist es die Gottesherrschaft (Basileia), die Jesus vom Vater „verfügt/bestimmt/vermacht“ wurde und die er den Jüngern „verfügt/bestimmt/vermacht“ (gegen ein Verständnis i.S. von „vermachen“: Quell, 1935, 106, dafür: Klein, 2006, 671.673; Bovon, 1989, 257.269; anders Wolter, 2008, 710.714: „verleihen“).

2. Sprachlicher Hintergrund

Der Begriff διαθήκη bedeutet im Profangriechischen „Verfügung“, „Festsetzung“, „letztwillige Verfügung = Testament“. Die Aktion der Verfügung geht dabei von einer Seite aus. Es geht nicht um ein zweiseitiges Abkommen. Für eine zweiseitige Vereinbarung würde der Begriff συνθήκη verwendet. In der LXX stellt διαθήκη weitgehend die Übersetzung von hebr. ברית (berȋt) dar, weshalb sich ein Verständnis i.S. von „Bund“ nahelegen könnte. Allerdings wird in der LXX mit διαθήκη nicht nur ברית übersetzt, sondern auch עדות (edut, Satzung, Verordnung), תורה (torah, Tora, Gesetz), דבר (dabar, Wort, Sache), כתוב (katuv, Geschriebenes) und חוק (chok, Bestimmtes, Festgesetztes; vgl. zu den Äquivalenten Quell, 1935, 106f; zur Forschungsgeschichte s. Kreuzer, 2023). In Jesus Sirach findet sich der auffällige Befund, dass für die 23 Belege von διαθήκη innerhalb eines Buches ganz unterschiedliche Bedeutungsinhalte anzutreffen sind (vgl. hierzu Fabry, 2011, 2183; Gesche, 2023).

Die Ausleger der LXX diskutieren die Frage, wie διαθήκη im Deutschen am besten wiederzugeben sei (Rösel, 2023; Rösel, 2011; Schenker, 1999; Kübler, 1934). LXX.D übersetzt im Pentateuch mit „Verfügung“, ansonsten meist mit „Bund“. In seinem jüngsten Beitrag schlägt Martin Rösel vor, διαθήκη in der LXX durch „Bundesverfügung“ oder „Bundessatzung“ wiederzugeben, da weder die Übersetzung mit „Bund“ noch die mit „Testament“ oder „Verfügung“ allein den Wortsinn sachgemäß erfasst.

3. Die Belege im Einzelnen

3.1. Jesusüberlieferung

In der Jesusüberlieferung ist der Begriff διαθήκη außer in den Einsetzungsworten zum Abendmahl nicht belegt. Die Frage, in welcher Form Jesus die Einsetzungsworte gesprochen hat, ist umstritten (vgl. zum Folgenden Kraus, 2014a, 133f). Das Problem wird dadurch verschärft, dass die pln/lkn Tradition vom „neuen Bund“ (vgl. Jer 31(38),31-34) spricht, wohingegen die mk/mt Tradition das Stichwort „Blut des Bundes“ (vgl. Ex 24,8) bietet. Außerdem wird bei Paulus/Lukas der Kelch gedeutet, bei Markus/Matthäus hingegen der Kelchinhalt. Nach der Mehrzahl der Forscher*innen hat das Kelchwort ursprünglich wohl kaum gelautet: Dies (ist) mein Blut, denn der Kelch – und nicht der Inhalt – stand im Zentrum. Die Parallelisierung von „Leib“ und „Blut“ bei Mk/Mt stellt eine sekundäre Angleichung dar. Das Ausgießen des Kelches bei Lk könnte auf hellenistische Trankspenden hinweisen (Klinghardt, 2012; ganz anders Mittmann-Richert, 2008, 120-135).

Ob das Bundesmotiv zum ursprünglichen Bestand gehört hat oder ein theologisches Interpretament der frühen Gemeinde darstellt, wird diskutiert (verneint u.a. bei Becker, 1996, 420; Schröter, 2006, 267f). Nach Theißen/Merz lautete das Kelchwort ursprünglich: Dies ist der neue Bund, wenngleich es in der Jesusüberlieferung keine weiteren Hinweise auf die Thematik des Bundes gibt (Theißen/Merz, 2001, 373). Christian Eberhart vertritt eine Deutung des Motivs vom Bundesblut, die auf ein Weihegeschehen für die Teilnehmenden abhebt. Damit wäre das Problem der Anstößigkeit des Trinkens von Blut für jüdische Ohren beseitigt (Eberhart, 2013, 116-129; vgl. ders., 2023).

3.2. Das Bundesmotiv in der Herrenmahltradition

Auch wenn Jesus die Einsetzungsworte vermutlich ohne einen Bezug zum Bund gesprochen hat, so ist im heutigen Stadium der Überlieferung das Bundesmotiv in der Herrenmahltradition an allen vier Belegstellen vorhanden (1Kor 11,23-26; Mk 14,22-24; Mt 26,26-28; Lk 22,15-20).

3.2.1. Die paulinische Fassung der Herrenmahltradition (1Kor 11,17-34)

Im Kontext von 1Kor 11,17-34 begegnet die älteste Erwähnung der Herrenmahltradition. Es geht dabei um die Gestalt der Mahlfeier in Korinth, mit deren Durchführung Paulus nicht einverstanden ist. Zur Begründung seiner Kritik bietet Paulus eine Überlieferung, die er vom Herrn empfangen hat (zu 1Kor 11,23-25 im Kontext s. Wilk, 2023, 432-440). Nach dem Dankgebet brach Jesus das Brot und teilte es an seine Jünger aus mit den Worten: Dies ist mein Leib für euch. An das Brotwort schließt sich ein Wiederholungsbefehl an: Das tut zu meiner Vergegenwärtigung. Der Kelch wird nach dem Essen gereicht. Das Kelchwort lautet: Dieser Kelch ist die neue διαθήκη in meinem Blut. Auch hier folgt ein Wiederholungsbefehl: Tut dies, sooft ihr trinkt, zu meiner Vergegenwärtigung (zum Stichwort „Vergegenwärtigung“ s. den Mischnatraktat Pesachim 10,4f: Das Volk Israel soll dem geschichtlichen Heilshandeln Gottes beim Exodus gleichzeitig werden). Am Schluss findet sich die Deutung: Denn sooft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt. Durch den zweimaligen Wiederholungsbefehl bei Brot und Kelch sowie die Schlussdeutung werden Entwicklungen liturgischer Art sichtbar. Das Kelchwort bezieht sich auf den Kelch, nicht dessen Inhalt. „Blut“ ist metonymisch aufzufassen und meint Jesu Tod (vgl. Röm 5,9f). Die Formulierung „in meinem Blut“ bedeutet daher, dass die neue διαθήκη durch Jesu Tod in Kraft gesetzt ist. Der Ausdruck neue διαθήκη dürfte sich, auch wenn die Wortfolge sich von der bei Jeremia unterscheidet, auf Jer 31(38),31-34 beziehen, der einzigen Stelle im AT, an der explizit von einer neuen διαθήκη die Rede ist. Dass Paulus auf Jer 31(38) Bezug nimmt, wird dadurch unterstrichen, dass er in 2Kor 6,16 die Bundesformel aufnimmt, wie sie in Jer 31(38),33c vorliegt (Wilk, 2023, 438f). Allerdings ist die Ankündigung einer neuen διαθήκη bei Jeremia nicht mit einem Tod verbunden, weder von Opfertieren, noch von sonst jemandem und auch nicht mit einer Zeichenhandlung oder einem Blutritus (vgl. Eberhart, 2013, 120).

Die Vorstellung eines „neuen/erneuerten Bundes“ begegnet auch in Qumran: CD 6,19; 8,21; 19,33; 20,12, evtl. auch noch in 1QpHab 2,2 (zu den Belegen in der Qumran-Literatur s. Strawn, 2023, und Fabry, 2023).

Die größere Konzeption, innerhalb derer Paulus in 1Kor 11 von der neuen διαθήκη spricht, ist die der Teilhabe (Koinonia). Die das Herrenmahl Feiernden haben Teil an der durch Jesu Tod gestifteten Koinonia (Wilk, 2023, 440f).

Wie ist διαθήκη im Deutschen sachgemäß wiederzugeben? Florian Wilk schlägt vor, von „Bundes-Verfügung“ zu sprechen. Bei der διαθήκη handelt es sich um „eine heilvolle Setzung, mit der Gott ein für alle Mal seinen Heilswillen festgelegt hat (vgl. Gal 3,17). Man kann διαθήκη dann im Anschluss an die LXX passend als ‚Bundes-Verfügung‘ übersetzen. Was sie ihren Empfängern – den Christusgläubigen – im Sinne des Paulus erschließt, ergibt sich aus der Konvergenz zwischen den paulinischen Aussagen zur διαθήκη und denen zur heilvollen Wirkung des Todes Jesu: Sündenvergebung (vgl. Röm 11,27 und 1Kor 15,3), eschatologische Gerechtigkeit (vgl. 2Kor 3,9 und Röm 3,25f; 5,9) sowie ewiges Leben (vgl. 2Kor 3,6 und Röm 5,18). Da dieses Leben aber nach Röm 6,10f in der Gottes- und Christusbeziehung zu führen ist, also auch in der Abkehr von der Sünde, hat diese Verfügung für diejenigen, denen sie heilvoll zukommt, auch verpflichtende Wirkung: Es gilt, ‚dem Herrn zu leben‘ (Röm 14,8, vgl. 2Kor 5,15); denn mit ihm sind die Gläubigen ausweislich des Herrenmahls in eine ‚Gemeinschaft‘ gestellt (vgl. 1Kor 10,16f).“ (Wilk, 2023, 437.)

3.2.2. Die markinische Fassung der Herrenmahltradition (Mk 14,22-24)

Die Herrenmahltradition in Mk 14,22-24 setzt andere Akzente als Paulus in 1Kor 11. Während des Essens nimmt Jesus Brot, spricht die Eulogie, bricht es und gibt es den Jüngern mit den Worten: Nehmt, das ist mein Leib. Das „für euch“ ist nicht enthalten. Hinzugekommen ist die (liturgische) Aufforderung „nehmt“. Das Kelchwort wird dadurch eingeleitet, dass Jesus den Kelch nimmt, das Dankgebet (Eucharistie) spricht, ihn den Jüngern gibt und alle daraus trinken. Danach sagt Jesus: Das ist mein Blut der διαθήκη, das „für die Vielen vergossen“ wird. Daran schließt sich ein Verzichtgelübde an, wonach Jesus vom Gewächs des Weinstocks nicht mehr trinke, bis er es neu trinken werde in der Gottesherrschaft.

Im Kontext des Mk sind die Einsetzungsworte eingebettet in eine Passahmahlfeier am Vorabend des Prozesses und der Kreuzigung Jesu.

Die Formulierung Blut der διαθήκη kann auf zwei atl. Texte Bezug nehmen: Ex 24,8 und Sach 9,11. Hinter für die Vielen vergossen könnte Jes 53,12 stehen, allerdings enthält Jes 53 nicht das Bundesmotiv. Sach 9,11 kann als Rückverweis auf die Sinaitradition verstanden werden. In der rabbinischen Tradition gilt der Beleg als Hinweis auf die Beschneidung (Eberhart, 2013, 121). Dem Bezug zu Ex 24,8 ist daher Priorität einzuräumen. Bei Ex 24,3-8 handelt es sich um einen literarisch zusammengesetzten Text. Für die Interpretation ist jedoch die Endgestalt maßgeblich.

Der darin berichtete Blutritus evoziert ein Weihegeschehen, „welches seine Basis darin hat, dass Blut von Opfertieren als Träger des Tierlebens heilig ist. Durch die Besprengung – also durch physischen Kontakt – mit diesem Opferblut werden die Israeliten von Sünde gereinigt“ (Eberhart, 2013, 122). Die Menschen werden geweiht und haben dann Zugang zu Gott (Ex 24,9f; vgl. Eberhart, 2013, 87f; Kraus, 1991, 240f).

Wendet man diese Logik auf das Kelchwort an, dann bedeutet das: Dem Akt der rituellen Besprengung am Sinai entspricht das Trinken des Weins beim Abendmahl. Die Gemeinde wird durch das Blut der διαθήκη geweiht. Sie wird durch das für die Vielen vergossene Blut gereinigt. Ritualtheoretisch lässt sich schließen: „Wenn durch die Blutapplikationsriten in Ex 24,6-8 ein Verhältnis zwischen Gott und Menschen begründet wird, da diese durch den Kontakt mit dem Blut ‚indexiert‘, also unmittelbar gekennzeichnet werden, dann lässt sich eine solche Interpretation ebenso auf das Trinken des Weins beim Abendmahl anwenden.“ (Eberhart, 2013, 123.)

Διαθήκη wird man in diesem Kontext ebenfalls am besten mit „Bundes-Verfügung“ wiedergeben.

3.2.3. Die matthäische Fassung der Herrenmahltradition (Mt 26,26-28)

Die matthäische Fassung der Herrenmahltradition (Mt 26,26-28) entspricht grundsätzlich der des Mk, enthält jedoch einige Zusätze. Sowohl beim Brotwort als auch beim Kelchwort sind explizite (liturgische) Aufforderungen hinzugekommen: „esst“ bzw. „trinkt daraus“. Das Kelchwort hat Mt modifiziert. Die wichtigste Differenz besteht in dem an das Kelchwort angefügten Zusatz zur Vergebung der Sünden. Mt macht explizit, was bei Mk nur implizit enthalten ist. Sündenvergebung gibt es nach Mt nur über Jesus, weshalb Mt auch die Formulierung in Mk 1,2, wonach Johannes eine Umkehrtaufe zur Vergebung von Sünden „verkündigte“, dahingehend geändert hat, dass Johannes zur Umkehr aufgerufen habe (Mt 3,2).

Den Ausdruck „mein Blut der διαθήκη“ wird man in diesem Kontext ebenfalls am besten mit „mein Blut der Bundes-Verfügung“ wiedergeben.

3.2.4. Die lukanische Fassung der Herrenmahltradition (Lk 22,15-20)

Diese Fassung bei Lk 22,15-20 weist gegenüber Mk und Mt wichtige Unterschiede auf und steht insgesamt näher bei Paulus (s. Synopse bei Wolter, HNT 5, 2008, 703). Lk hat das Mahl explizit in einen Passahrahmen gestellt (Lk 22,15). Das Verzichtgelübde, das bei Mk und Mt am Schluss der Mahlhandlung steht, hat Lk verändert. Am Anfang steht ein Verzichtgelübde bezüglich des Essens des Passahlammes (Lk 22,16). In Lk 22,17 wird von einer ersten Kelchhandlung gesprochen. An sie schließt sich ein zweites Verzichtgelübde an, das sich auf den Wein bezieht (Lk 22,18). Das Brotwort entspricht weitgehend dem in 1Kor 11,24. Das Kelchwort entspricht im ersten Teil (bis auf das ausgelassene „ist“) ganz dem bei Paulus: dieser Kelch ist die neue διαθήκη in meinem Blut. Dann aber hat Lk hinzugefügt: der für euch ausgegossen wird. Die Frage, worauf sich die Aussage bezieht, wird kontrovers diskutiert. Grammatisch kongruiert das Partizip (ausgegossen) mit dem Kelch (τό ist Nominativ oder Akkusativ neutrum, Blut steht im Dativ). Es müsste es sich daher auf den Kelch beziehen. Damit könnte auf eine im griechischen Kontext bei Gemeinschaftsmählern gekannte Trankspende angespielt sein (Klinghardt, 2012). Viele Ausleger gehen dennoch davon aus, dass das Bezugswort trotz der grammatischen Inkongruenz im „Blut“ zu sehen ist (Bovon, 2009, 247; Wolter, 2008, 707; Klein, 2006, 662). Der in 1Kor 11,25 auch beim Kelchwort zu findende Wiederholungsbefehlt fehlt bei Lk.

Biblischer Hintergrund des Kelchwortes bei Lk dürfte wie bei Paulus die Ankündigung einer neuen διαθήκη in Jer 31(38) sein und nicht wie bei Mk und Mt der Bundesschluss am Sinai, Ex 24. Michael Wolter plädiert allerdings dafür, die zwischen Ex 24,8 und Jer 31(38),31-34 als Hintergrund der Überlieferung „häufig konstruierte Antithese … zugunsten einer flexibleren Zuordnung aufzugeben“ (Wolter, 2008, 706), zumal auch im Hebr auf beide Texte Bezug genommen werde (einerseits Hebr 8,8-13; 10,16, andererseits Hebr 9,1.15.18.20). Der Tod Jesu als Sühnetod spielt bei Lk nicht die gleiche Rolle wie bei Mk/Mt. Lk bietet das Dienstlogion (Mk 10,45) in einer anderen Fassung (Lk 22,27). Er kennt zwar das sühnetheologische Verständnis des Todes Jesu (wie sich auch aus Apg 20,28 ergibt, wonach die Ekklesia durch „sein eigenes Blut erkauft“ sei), hat es aber weniger betont als die anderen Evangelisten und Paulus (s. zur Sache Kraus, 2003). Daher scheint es mir fraglich, ob Lk den im Bezug auf Ex 24,8 implizierten Blutritus wirklich im Blick hatte. Vielmehr ist denkbar, dass Lk traditionelle Wendungen aufnimmt, ihnen aber kein eigenständiges Gewicht zumisst.

Wie ist bei Lk der Begriff διαθήκη zu verstehen? Hans Klein votiert dafür, die Übersetzung „Bund“ zu vermeiden und stattdessen von „Bestimmung“, „Verfügung“, „Vermächtnis“ sprechen, zumal der dahinterstehende hebr. Begriff ברית zur Zeit des Neuen Testaments diese Bedeutung nicht mehr gehabt habe. Ob Lk auf Jer 31(38) oder Ex 24 anspielt, hält er für nicht entscheidbar (Klein, 2006, 666 mit Anm. 28). Inhaltlich handelt es sich bei der neuen διαθήκη auch bei Lk um die neue „Bundes-Verfügung“, die durch Jesu Lebenshingabe gestiftet wurde.

3.3. Weitere Belege in den Evangelien und der Apostelgeschichte

Neben den Stellen in der Herrenmahltradition finden sich bei Mk und Mt keine weiteren Belege für διαθήκη. Im Johannesevangelium fehlt der Begriff völlig. Anders ist das bei Lukas.

3.3.1. Lobgesang des Zacharias (Lk 1,68-79)

Im Lobgesang des Zacharias (Lk 1,68-79) wird die Geburt Johannes des Täufers verstanden als Beginn der endzeitlichen Heilsinitiative Gottes. In Lk 1,72f wird Gottes Treue zu seinem Volk Israel angesprochen. Seine Barmherzigkeit (ἔλεος) zeigt sich darin, dass er seiner heiligen διαθήκη gedenkt. Διαθήκη steht hier parallel zu Eid (ὅρκος, Lk 1,73), den Gott unserem Vater Abraham geschworen hat. Atl. Hintergründe finden sich in Gen 17,4.7.21, insbesondere in Gen 22,16-18.

Der Bundesgedanke, der bei Lukas außer hier noch in Apg 3,25; 7,8 vorkommt, ist (außerhalb der Einsetzungsworte) stets mit Abraham verbunden. Διαθήκη meint in Lk 1,72 die eidliche Zusage Gottes an Abraham. Ohne dass auf einen bestimmten atl. Text zurückgegriffen wird, „lässt Lukas damit auch Zacharias die von Gott ergriffene Heilsinitiative mit ihrer christologischen Mitte als Verwirklichung der Bundesverheißungen und als Akt der Bundestreue Gottes interpretieren.“ (Wolter, 2008, 114.)

3.3.2. Apg 3,25

διαθήκη begegnet innerhalb der Rede des Petrus an das Volk (Apg 3,11-26) nach der Heiligung eines Gelähmten (Apg 3,1-11). Die Volksmenge wird angeredet als Söhne der Propheten und der Diatheke, die Gott euren Vätern bestimmt hat. „Söhne der Diatheke“ ist belegt in Ez 30,5 und PsSal 17,15 im Kontext von Gerichtsaussagen. Biblischer Bezug für die Aussage in Apg 3,25 insgesamt ist jedoch die Verheißung an Abraham: Gen 12,3 bzw. Gen 18,18 oder Gen 22,18. In Apg 3,25 ist jedoch weder von allen Stämmen der Erde (Gen 12,3), noch von allen Völkern der Erde (Gen 18,18; 22,18), sondern von alle Familien (πατριαί) der Erde die Rede. In keiner HS der LXX findet sich diese Formulierung. Ob es sich um eine Kompilation des Lukas oder ein Zitat aus dem Gedächtnis handelt, lässt sich nicht entscheiden (vgl. Marguerat, 2022, 166). Das Zitat steht etwas näher bei Gen 22,18, wo es ebenfalls heißt: in deinen Nachkommen sollen gesegnet werden. Aus Gen 22,26 geht hervor, dass dieser Segen, der durch die Auferstehung des Knechtes Gottes realisiert wird (εὐλογοῦντα ist Präsens), den Israeliten zuerst gilt, sofern sie sich von ihren Übeltaten abwenden. Das „zuerst“ impliziert, dass der Segen auch anderen gilt. Inhaltich ist διαθήκη in Apg 3,25 von der Väterverheißung her bestimmt.

3.3.3. Apg 7,8

Der διαθήκη-Begriff begegnet erneut innerhalb einer Rede, der längsten in der Apg, gehalten von Stephanus (Apg 7,1-60). In einem ausgreifenden Geschichtsrückblick zählt Stephanus Etappen der Geschichte des Gottesvolkes auf. Er beginnt mit Abraham, den in Mesopotamien Gottes Befehlt erreichte, aus seinem Land fortzuziehen. In Apg 7,8 wird auf den „Bund der Beschneidung“ Bezug genommen, den Gott dem Abraham nach Gen 17,10 geboten hat. Auffällig ist die Formulierung „und so zeugte er“, so als sei die Zeugung Isaaks eine Folge der durchgeführten Beschneidung. Die Begrifflichkeit διαθήκη περιτομῆς (Bund der Beschneidung) ist weder in der LXX noch in anderer antiker jüdischer Literatur belegt. Vergleichen lässt sich LibAnt 9,13-15, wo die Beschneidung ein „testamentum carnis“ genannt wird (Marguerat, 2022, 282 Anm. 65). In rabbinischer Literatur wird dann „Bund“ (ברית) zur Standardbezeichnung für die Beschneidung (s. Ronis, 2023). Es handelt sich um eine von Gott auferlegte Verpflichtung.

3.4. Paulus

3.4.1. 2Kor 3,6.14

In 2Kor 3,6.14 fällt zweimal das Stichwort διαθήκη. Die Verse gehören in den größeren Zusammenhang einer Apologie des Apostolats (2Kor 2,14-7,3). „2Kor 3,4-18 dient also in erster Linie dazu, den paulinischen Apostolat in seiner besonderen Würde zu erläutern; alle anderen Sinnaspekte sind dieser Ausrichtung zugeordnet“ (Wilk, 2020, 154). Dies will bedacht sein, wenn die Begrifflichkeit διαθήκη in diesem Kontext analysiert wird. Die Auslegung des Abschnittes ist in der Forschung stark umstritten und bereitet den Ausleger*innen große Schwierigkeiten.

In 2Kor 3,2f nennen Paulus und Timotheus die korinthische Gemeinde ein „Empfehlungsschreiben“ für ihren Dienst, einen „Brief Christi“, „eingeschrieben in unsere Herzen, erkannt und gelesen von allen Menschen“. Dieser Brief ist „nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes“ geschrieben. Und das „nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Herzens-Tafeln“ (Übersetzung nach Wilk, 2023, 441). Die letzte Aussage erinnert an Ez 11,19; 36,26f, wo ebenfalls von „fleischernen Herzen“ im Sinn einer Erneuerung des Volkes Gottes die Rede ist und wo auch das Motiv der Geistverleihung eine Rolle spielt.

Paulus betont, dass seine Befähigung zum Dienst für das Evangelium allein von Gott herkomme. In 2Kor 3,6 nennt er sich und seine Mitarbeiter deshalb „Diener einer neuen διαθήκη, nicht des Geschriebenen, sondern des Geistes“.

Im weiteren Verlauf der Argumentation (2Kor 3,7-11.12-18) setzt er seinen Dienst in Beziehung zum „Dienst des Mose“, den er als einen „Todes-Dienst, durch Schriftzeichen Steinen eingemeißelt“ bezeichnet. Doch auch der Dienst des Mose trat „in einem Herrlichkeitsglanz in Erscheinung“, der allerdings im Vergleich mit dem Dienst am Evangelium verblasst (zu den Details des Vergleichs s. Wilk, 2023, 445).

Den Hintergrund der Ausführungen in 2Kor 3,7-11.12-18 bildet Ex 34,29-35, wo davon berichtet wird, dass Mose sein Antlitz bedecken musste, als er vom Berg Sinai und der Begegnung mit Gott herabkam. Nach Ex 34 erfolgt diese Bedeckung, damit der Glanz auf seinem Angesicht nicht profaniert werde. Dies gilt sowohl für die Version des MT als auch für die LXX. Anders als in 2Kor 3,7.13, wonach Mose die Decke auf sein Angesicht legte, weil die Israeliten den Glanz nicht ertragen konnten und weil verhindert werden sollte, dass sie „das Ende des Vergänglichen“ erblickten, steht in Ex 34 nichts davon, dass der Glanz des Mose den Israeliten unerträglich gewesen sei. Nachdem Mose mit ihnen gesprochen hatte, legte er die Decke auf sein Angesicht.

Paulus hat seine Sicht der Dinge jedoch nicht selbst erfunden, sondern steht mit seiner Aussage in einer antik-jüdischen Auslegungstradition: die Steigerung der Furcht zu einem Unvermögen findet sich auch bei Philon (VitMos II/70) und bei Pseudo-Philo (LibAnt 12,1; zur Sache s. Schmeller, 2010, 201 und die dort genannte Literatur).

Paulus interpretiert die Decke so, dass den Israeliten die Vergänglichkeit des Glanzes verborgen bleiben sollte. Dies wird in 2Kor 3,14 dahin weitergesponnen, dass diese Decke „bis zum heutigen Tag“ auf der „Verlesung der alten διαθήκη bleibt und sie erst aufgedeckt wird, wenn sie in Christus beseitigt wird“. Im folgenden Vers wird dann die „alte διαθήκη“ mit „Mose“ gleichgesetzt: „Jedesmal, wenn Mose gelesen wird, liegt bis heute eine Decke auf ihren Herzen“ (2Kor 3,15). Bei der Hinwendung zum Herrn, wird die Decke abgenommen.

Διαθήκη meint in 2Kor 3,6 die „neue Bundesverfügung“, die schon aus 1Kor 11,25 der korinthischen Gemeinde bekannt ist. Sie steht ganz in der Nähe von „Evangelium“, auch wenn sie nicht damit identisch ist. In 2Kor 3,14 werden mit „alter διαθήκη“ aufgrund der Gleichsetzung mit „Mose“ in 2Kor 3,15 metonymisch die Bücher des Mose, die Tora bezeichnet. „An die Stelle des Mose selbst tritt sein literarisches Vermächtnis (vgl. 2Kor 3,15).“ (Schmeller, 2010, 216.) Die „alte διαθήκη“ entspricht der Bundesverfügung vom Sinai, die die Tora repräsentiert. „Was die Israeliten nicht sehen sollen, ist, dass der Mosedienst (und der alte Bund) nur eine Interims- oder Verweisfunktion besitzen, weil sie auf das Christusereignis hin ausgerichtet sind und in diesem erfüllt, d.h. auch: beendet werden.“ (Schmeller, 2010, 214.)

Die Formulierung „alte διαθήκη“ meint in 2Kor 3 noch nicht „Altes Testament“, denn dieses war zur Zeit des Paulus noch nicht abgeschlossen und diese zusammenfassende Bezeichnung gab es noch nicht. Allerdings nimmt die spätere christliche Theologie diese Formulierung des Paulus auf. Im lateinischen Sprachbereich wird dann daraus „testamentum“, was zu den Bezeichnungen „Altes“ bzw. „Neues Testament“ führt.

In der bildenden Kunst haben die Aussagen 2Kor 3,7-18 eine (problematische) Wirkungsgeschichte in den Darstellungen von Synagoga und Ekklesia entfaltet, bei der die Synagoga einen Schleier vor ihren Augen hat, wohingegen die Ekklesia triumphiert (s. Jochum, 1993; zu jüngeren Versuchen, anders mit dem Thema umzugehen s. Wacker, 2018).

3.4.2. Galaterbrief

Im Galaterbrief setzt sich Paulus mit Gegnern auseinander, die von den Gläubigen aus den Völkern erwarten, dass sie sich beschneiden lassen und die rituellen Bestimmungen, die für die Israeliten gelten, einhalten (zu der Problemlage im Gal vgl. Kraus, 1996, 202-254, speziell zum Thema διαθήκη im Galaterbrief s. Herzer, 2023, 465-478). In Gal 3,1-14 bildet die Verheißung an Abraham (Gen 12,3Gal 3,8) die Basis der Argumentation, jedoch so, dass die Bundeszusagen an Abraham aus Gen 15 und nicht aus Gen 17 im Hintergrund stehen. Denn nach Gen 15,6 hat Abraham Gott vertraut und deshalb die Zusage der Rechtfertigung im Stand der Unbeschnittenheit erhalten. Abrahamskinder sind somit diejenigen, die „aus dem Glauben sind“ (Gal 3,7), sie werden „mit dem glaubenden Abraham gesegnet“ (Gal 3,9).

In Gal 3,15-18 führt Paulus ein Beispiel aus dem Rechtsleben ein. Explizit spricht er davon, „auf menschliche Weise“ zu reden (Gal 3,15a). Die rechtsgültige διαθήκη eines Menschen wird nicht aufgehoben oder mit Zusätzen versehen (Gal 3,15b). Eine διαθήκη, der Gott Gültigkeit verliehen hat, wird nicht durch eine gesetzliche Bestimmung, die 430 Jahre später erlassen wurde, außer Kraft gesetzt (Gal 3,17). Das Beispiel dient der theologischen Aussage, dass die Zusage an Abraham durch die Tora nicht aufgehoben oder verändert werden kann.

Paulus verwendet hier den Begriff διαθήκη, wie er auch sonst im hellenistischen Griechisch Verwendung findet, als „letztwillige Verfügung = Testament“. Die Zusage, die Abraham gegeben wurde, versteht er als göttliches Testament, das durch eine spätere Bestimmung nicht aufgehoben wird. Die spätere Bestimmung bildet die Tora, die nach antik-jüdischer Auffassung 430 Jahre nach Abraham erlassen wurde. Die Verheißung wurde Abraham gnadenweise gegeben, sie ist gültig und verträgt keine zusätzlichen Forderungen.

Der Abschnitt Gal 4,21-31 gehört in den größeren Kontext von Gal 3,1-5,12. Nach Gal 3,6-14, wo die Abrahamssohnschaft aufgrund des Glaubens im Zentrum steht, und nach Gal 3,15-4,7, wo es um die zeitliche und theologische Priorität der Verheißung gegenüber dem Gesetz geht, bildet Gal 4,21-31 ein drittes Argument, um die Legitimität der unbeschnittenen Heiden-/Völkerchristen nachzuweisen. Gal 4,21-31 enthält einen Schriftbeweis in Form einer Allegorese. Das Gesetz (die Tora) selbst belegt – nach Paulus – seine Nachordnung gegenüber der Verheißung. Die Verheißungsdiatheke ist der Sinaidiatheke übergeordnet. Paulus spricht davon, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd, der „nach dem Fleisch“ geboren wurde, einen von der Freien, der „durch Verheißung“ geboren wurde. Die Namen Hagar und Ismael bzw. Sarah und Isaak sind jeweils gedanklich zu ergänzen. Diesen Sachverhalt will Paulus „bildlich“, d.h. im übertragenen Sinn verstehen. Die beiden Frauen entsprechen (allegorisch) zwei διαθήκαι (Gal 4,24), die eine der διαθήκη vom Sinai, sie führt in die Knechtschaft, die andere – und es wird nicht explizit genannt, welche Paulus damit meint – führt in die Freiheit. Von Gal 3 her ist die Lage jedoch eindeutig: Das Pendant zur διαθήκη vom Sinai ist jene διαθήκη, die Gott dem Abraham nach Gen 15zugeschworen hat. Es stehen sich also nicht „alter und neuer Bund“, sondern Sinai-διαθήκη und Abraham-διαθήκη einander gegenüber (vgl. Kraus, 1996, 241-245). Die Abraham-διαθήκη wird in der Genesis in zwei Varianten erzählt: Gen 15,1-21 und Gen 17,1-27. Die Beschneidung als Bundeszeichen erhält Abraham nur im Bericht Gen 17, nicht aber in Gen 15. Wie aus Gal 3,6 hervorgeht (= Zitat von Gen 15,6) bezieht sich Paulus in seiner Argumentation nicht auf Gen 17, sondern auf Gen 15,6.

Worauf beziehen sich die die beiden διαθήκαι und wie sind sie zu verstehen? Man darf sich den Blick nicht verstellen: Die Argumentation des Paulus hat etwas Gewaltsames an sich. Die Sinai-διαθήκη wird in diesem Kontext mit Hagar verbunden und repräsentiert das irdische Jerusalem, d.h. das empirische Israel, die Abraham-διαθήκη wird mit Sarah verbunden und repräsentiert „unsere Mutter“, das „obere Jerusalem“, d.h. die Ekklesia (Kraus, 1996, 242f).

3.4.3. Römerbrief

An zwei (herausragenden) Stellen begegnet διαθήκη im Römerbrief, dem wohl letzten Gemeindeschreiben des Apostels: Röm 9,4 und Röm 11,27. Paulus setzt in Röm 9,1-5 mit einer Passage ein, in der er einerseits seinen Schmerz über die Ablehnung des Evangeliums durch die Mehrheit der Israeliten erwähnt, aber andererseits auch die bestehenden Vorzüge Israels aufzählt, die ohne Vergleich sind: Ihnen gehört die „Sohnschaft“ (Israel ist Gottes erstgeborener Sohn, vgl. Ex 4,22; Hos 11,1), ihnen gehört die „Herrlichkeit“ (Gott hat seine „Herrlichkeit“ im Tempel zu Jerusalem wohnen lassen), ihnen gehören die διαθήκαι (was damit gemeint ist, s.u.), ihnen gehört die „Gabe der Tora“ (Gott hat dem Volk Israel seine Weisung offenbart), ihnen gehört der „Gottesdienst“ (sie können Gott wahrhaftig verehren), ihnen gehören die „Verheißungen“ (Gott hat verheißen, sein Volk nie zu verlassen, vgl. z.B. Hos 11,8-11; Jes 41,8-10; 43,1-7; 48,1-11; 55,1-5), ihnen gehören die „Väter“ (um der Väter willen, wird Gott sein Volk retten, vgl. Röm 11,28), aus dem Volk Israel kommt der „Christus dem Fleisch nach“ (also Jesus gemäß seiner irdischen Existenz, vgl. Röm 1,3f). Paulus schließt mit einer Eulogie: „Gott, der über allem ist, sei gelobt in Ewigkeit, Amen.“

Innerhalb dieser Aufzählung der „Vorzüge“ Israels, die jedoch niemals habituell werden, sondern immer in ihrem Rückbezug auf Gott gesehen werden müssen, spricht Paulus von den διαθήκαι. Damit wird an alle Bundesverfügungen Gottes erinnert: mit Abraham, Isaak, Jakob, David, am Sinai, am Horeb usw., von denen in den Schriften Israels die Rede ist. Sie werden hier verstanden als Setzungen Gottes, durch die er sein Volk zu sich in Beziehung gesetzt und es durch die Geschichte geführt hat.

In Röm 11,28-32 schließt der gedankliche Bogen, den Paulus geschlagen hat, ähnlich wie am Beginn in Röm 9,1-5 wieder mit einer spannungsvollen Aussage: einerseits-andererseits. Aus der Perspektive des Evangeliums gesehen, sind sie Feinde, denn sie lehnen das Evangelium ab. Aus der Perspektive der Väter gesehen, sind sie Geliebte Gottes, „denn Gottes Gnadengaben und seine Berufung sind unbereubar“ (Röm 11,29).

In Röm 11,25 hat Paulus den Römern ein „Geheimnis“ mitgeteilt: die Ablehnung des Evangeliums durch die Mehrzahl Israels stellt eine Verhärtung durch Gott dar, damit das Evangelium zuerst den Völkern verkündigt wird, auf dass folglich „ganz Israel“ gerettet wird. Mit einem Mischzitat aus Jes 59,20f; Jer 38(31),33f und Jes 27,9 begründet Paulus seine Erwartung für das Gottesvolk Israel: der Retter wird aus Zion kommen und die Gottlosigkeit von Jakob entfernen. Darin besteht die διαθήκη Gottes für Israel: er wird die Sünden hinwegnehmen.

Διαθήκη meint hier die heilvolle Setzung Gottes, seine Bundesverfügung zum Heil seines Volkes.

3.5. Dt-Paulinen: Eph 2,12

Im Gegenüber zum „Positivkatalog“, den Röm 9,4f über Israel bietet, stellt Eph 2,11f einen „Negativkatalog“ bezüglich der Völker auf (Gräßer, 1985, 26). Sie waren Heiden im Fleisch, Unbeschnittene, fern von Christus, ausgeschlossen aus der Gemeinde Israels (und damit) fremd den Diathekai der Verheißung, ohne Hoffnung, gottlos in der Welt. Nun jedoch „in Christus“ gilt: Ihr, die ihr einst ferne wart, seid nahe geworden durch das Blut Christi. Geschehen konnte dieses Hinzukommen durch das „Blut des Christus“, d.h. durch seinen Tod, der hier als Weihegeschehen zu denken ist. Mit den διαθήκαι τῆς ἐπαγγελίας sind wohl die „Verheißungszusicherungen Gottes“ (Gräßer, 1985, 27) an die Erzväter gemeint, aber auch die an David sowie die prophetischen Verheißungen eines „ewigen Bundes“ (Jes 55,3; Jer 39(32),40 LXX; Ez 37,26; vgl. Ez 34,25). Dass der Eph aufgrund des Singulars ἐπαγγελία nicht an diese Zusagen denken sollte (so Gräßer, 1985, 195, 27), sondern die Verheißung für ihn von vornherein „eine christliche Sinnspitze“ habe (so Gräßer, 1985, 27 im Anschluss an Merklein und Lindemann) scheint mir eine unnötige Antithese, immerhin stehen die Diathekai im Plural. Es ist jedoch richtig, dass im Eph die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Heiden insofern gegenüber Paulus fortgeschritten ist, als es sich um eine ekklesiologische Aufhebung handelt: innerhalb der Ekklesia sind die Unterschiede nicht mehr relevant. Dies wird durch die Schlussverse Eph 2,19-22 deutlich. Die Gemeinde ist nach dem Eph nicht eingefügt in einen neuen Bund, sondern in einen Bau, der zu einem Tempel des Herrn wächst und eine Wohnung Gottes im Geist wird. Das Bild vom „Leib“ (Eph 4,16) ist insofern auch anders ausgerichtet als die Ekklesia als Leib Christi in 1Kor 12. Die Frage nach den Juden, die Jesus ablehnen, scheint sich dem Autor des Eph nicht mehr zu stellen. Aber er kann nicht Theologie treiben, ohne den Bezug auf die Diathekai der Verheißung an die Väter.

3.6. Hebräerbrief

3.6.1. Die Verteilung der Belege

Διαθήκη ist explizit belegt in Hebr 7,22; 8,6.8.9.10; 9,4.15.16.17.20; 10,16.29; 12,24; 13,20; an vier Stellen, nämlich in Hebr 8,7.13; 9,1.18, ist διαθήκη implizit zu ergänzen.

Die übergroße Mehrzahl der Hebr-Belege findet sich im zentralen christologischen Mittelteil (Hebr 7,1-10,18). Erstmals begegnet der Begriff in Hebr 7,22, zweimal ist er im Schlussteil (Hebr 10,19-12,29) belegt (Hebr 10,29; 12,24) und einmal in (dem vermutlich sekundär hinzugekommenen Ergänzungskapitel Hebr 13,20 (zu Hebr 13 s. Kraus, Schriftverwendung, 2022b). Alle übrigen, d.h. 13 bzw. 17 Belege finden sich in Hebr 8,1-10,18, wo es nach der Einführung von Melchisedek in Hebr 7 nun um die „Hauptsache, worüber wir sprechen“ geht.

Das gilt auch für das Verbum: alle Belege finden sich in Hebr 8,1-10,18.

Von den 17 expliziten bzw. 21 Belegen insgesamt stellen sechs Zitate aus dem Alten Testament dar – verteilt auf zwei Texte: Jer 38(31), 31-34 und Ex 24,8, wobei τὸ αἷμα τῆς διαθήκης aus Ex 24 erneut in Hebr 10,29 und Hebr 13,20 aufgenommen wird. In Hebr 9,4 werden zwei atl. termini technici gebraucht: κιβωτὸς τῆς διαθήκης (Bundeslade) und πλάκες τῆς διαθήκης (Tafeln des Bundes). D.h. zehn Belege sind von LXX-Kontexten her geprägt, oder anders gewendet: sieben bzw. elf (von 17 bzw. 21 Belegen) sind vom Autor selbst formuliert. Das zeigt, welches Gewicht der Begriff für den Autor hat.

Zu beachten ist auch, dass der Hebr nicht von der „alten“ und der „neuen Diatheke“ spricht, sondern von der „ersten“ und der „neuen/besseren Diatheke“. Lediglich Hebr 8,13 heißt es, die erste sei „greisenhaft geworden“ (zur Interpretation von διαθήκη im Hebr s. Kraus, 2023; ders., 2014c).

3.6.2. Die Belege im Einzelnen

3.6.2.1. Hebr 7,22 und 8,6

Beim ersten Beleg von διαθήκη in Hebr 7,22 wird Jesus als „Bürge“ einer besseren διαθήκη bezeichnet. Beim Begriff „Bürge“ handelt es sich um einen Rechtsterminus (hapax legomenon im Neuen Testament).

Beim zweiten Beleg von διαθήκη in Hebr 8,6 wird Jesus μεσίτης (meist mit „Mittler“ übersetzt) einer besseren διαθήκη genannt. Der gleiche Begriff μεσίτης begegnet neben Hebr 8,6 auch in Hebr 9,15 und Hebr 12,24; in Hebr 9,15 jedoch mit καινὴ διαθήκη (neue Diatheke) und in Hebr 12,24 mit διαθήκη νέα (neue/frische Diatheke) verbunden. Der Beleg in Hebr 13,20 stellt einen Sonderfall dar, da nur hier die auffällige und umstrittene Formulierung „kraft des Blutes einer ewigen διαθήκη“ gebraucht wird. Die Begrifflichkeit ist somit nicht völlig einheitlich (zur Begrifflichkeit ἔγγυος und μεσίτης s. Kraus, 2016a).

Aus Hebr 7,22 geht hervor, dass der Hebr ἔγγυος als Synonym zu μεσίτης auffasst (Oepke, 1942, 624; Gräßer, 1993, 93). Im Profangriechischen stellt die Ausdrucksweise μεσίτης διαθήκης eine „im hellenistischen Erbrecht […] zwar seltene, aber mögliche Ausdrucksweise“ dar (Oepke, 1942, 624,28f). Das heißt, dass für den Hebr hier die Bedeutung „Garant“ die zutreffende ist.

Jesus ist Bürge bzw. Garant einer (göttlichen) Verfügung, Setzung bzw. Ordnung (s. Sänger, 1981, 110; vgl. Frey, 1986, 287 Fn. 102), also nicht Mittler eines Bundesverhältnisses, auch nicht Mittler zwischen der Welt Gottes und der Menschenwelt. Nach Hebr 9,15-17 ist Jesus als μεσίτης einer καινὴ διαθήκη derjenige, der mit seinem Tod diese διαθήκη in Kraft gesetzt hat (nach Hebr 9,15 ist Jesus der διαθέμενος, der Verfügende).

Jesus ist somit Bürge, Garant und Inaugurator der neuen/besseren Diatheke.

3.6.2.2. Hebr 9,15-22

Die Logik des Textes erschließt sich, wenn man von Hebr 9,22 her argumentiert, der inhaltlich Hebr 9,14 wieder aufnimmt: Ausgangspunkt ist der Tod Jesu. Ansonsten hängen die Aussagen und deshalb ist er auch Mesites einer neuen Diatheke (Hebr 9,15) sowie daher ist auch die erste (erg.: Diatheke) nicht ohne Blut eingeweiht worden in der Luft. Wichtig dabei ist, Hebr 9,22 nicht von einem antiken sog. „Blutkanon“ (Weiß, 1991, 482 Fn. 30; Gräßer, 1993, 186) oder einer „Kultregel“ (Michel, 1966, 321, unter Verweis auf Joma 5a; Menachot 93b; Zebachim 6a; Philon SpecLeg 3,150), sondern vom Tod Jesu her zu verstehen. Bereits Lev 5,11-13, das Sündopfer des Armen, das zur Sühne ohne Blut dargebracht wird, steht einer solchen allgemeingültigen Kultregel entgegen. Weitere atl. und frühjüdische Texte belegen Sühne ohne blutige Opfer: Ex 21,30; 30,12-16; 32,35; Lev 16,21; Num 25,6-13; Dtn 21,1-9; 2Sam 21,1-9; 2Chron 30,18-19; Jes 6,5-7; Mi 6,6-8; Prov 16,6 (= 15,27aLXX); Dan 4,24 (= 4,27LXX/Theod); Tob 12,9; JesSir 3,3; 3,30; 5,6; 16,7; 17,29; 18,12; 18,20; 20,28; 28,5; 31,23 (34,19); 32,5 (35,3); 45,16; auch Abot de-Rabbi Nathan A 4 und der Talmudtraktat Berachot 55a (dazu Kraus, 2022a, 135-159).

Die Aussage, an der alles hängt, lautet: Jesus hat sich durch ewigen Geist Gott als Opfer dargebracht und damit die Gewissen der Glaubenden gereinigt, so dass jetzt vollständige Vergebung (ἄφεσις) möglich ist (Hebr 9,14.22; vgl. Hebr 10,18; zu ἄφεσις s. Bultmann, 1933).

Ob dieses Verständnis auch in Hebr 9,16-17 vorliegt, wird heftig diskutiert. Die Mehrzahl der Ausleger*innen versteht Diatheke hier im Sinn von „letztwilliger Verfügung = Testament“ (vgl. Weiß, 1991, 442; vgl. Gräßer, 1993, 93; Backhaus, 2010, 329f).

Bisweilen wird versucht, διαθήκη in Hebr 9,16.17 nicht im Sinn von Testament zu verstehen (s. die Hinweise bei Weiß, 1991, 478 Fn. 13; zur Diskussion s. Gräßer, 1993, 172-175). In der Tat ist es schwierig, innerhalb weniger Verse einen Denotationswechsel anzunehmen: V.15 Diatheke als Heilsordnung, Hebr 9,16f Diatheke als letztwillige Verfügung, Hebr 9,18ff erneut Diatheke als Heils-/Kultordnung. Dass es dennoch möglich ist, belegen Paulus und Philon. In Gal 3,1ff (ohne dass das Stichwort Diatheke fällt, geht es um den Abrahambund, Gen 12,1-3) und Gen 4,24 steht der biblische Bezug im Hintergrund, also die „Bundesschlüsse“ mit Abraham und derjenige vom Sinai. In Gal 3,15.17 bedeutet διαθήκη jedoch wie im Profangriechischen üblich: „letztwillige Verfügung = Testament“. Auch Philon wechselt ohne speziellen Hinweis zwischen beiden Bedeutungsinhalten hin und her: Mut 51-53 (vgl. Her 313).

Hebr 9,15 spricht davon, dass durch das Eintreten Jesu die Erwählten die Verheißung eines ewigen Erbes erhalten sollen. Mit dem Stichwort κληρονομία (Erbe/Erbschaft) befinden wir uns in einem erbrechtlichen Zusammenhang. Dies könnte den Impuls gegeben haben, den Einschub in Hebr 9,16f zu formulieren: Wo es eine letztwillige Verfügung gibt, ist es notwendig, dass der Tod des Verfügenden beigebracht wird. Denn eine letztwillige Verfügung tritt bei Toten (d.h. beim Eintritt des Todes) in Kraft. Ist sie etwa in Geltung solange der Verfügende (noch) lebt? Mit dem „Verfügenden“ (διαθέμενος) kann hier nur Jesus gemeint sein, denn Gott kann nicht sterben. Es geht also auf jeden Fall um Jesus und seinen Tod. Sieht man Hebr 9,16f als Einschub an, der aufgrund des Stichworts κληρονομία (Erbe/Erbschaft) in Hebr 9,15 formuliert wurde, dann wird damit noch einmal (nach Hebr 9,15) zum Ausdruck gebracht, dass Jesus nicht nur der Bürge und Garant, sondern der Inaugurator der neuen Diatheke ist.

3.6.2.3. Hebr 8,7-13; 10,15-18

Der Autor des Hebr zitiert die Verheißung der neuen διαθήκη aus Jer 38(31),31-34 LXX in Hebr 8,7-13 als Wort Gottes vollständig und erneut in Hebr 10,15-18 ausschnittweise. Das Jer-Zitat in Hebr 8 und seine Wiederaufnahme in Hebr 10,16f bilden damit eine inclusio im zentralen christologischen Mittelteil des Briefes (Backhaus, 2009, 161).

Betont sind im Jer-Zitat in Hebr 8 und Hebr 10 die Gesetze (Plural in Jer-LXX im Unterschied zu Jer-MT, wo Tora im Sing. steht; zum Vergleich von Jer-MT und Jer-LXX s. Finsterbusch, 2023a) im Innern der Menschen, die dazu befähigen, den Willen Gottes zu tun (s. dazu Fuhrmann, 2007, 226).

3.6.2.4. Hebr 10,29; 12,24; 13,20

Hebr 10,29 greift die Rede vom „Bundesblut“ auf. Wer die Erkenntnis der Wahrheit geschmeckt hat und dann vom Glauben ab- und dem Unglauben (ἀπιστία) verfällt, gleicht einem, der Jesus mit Füßen tritt und das Bundesblut verachtet. „Glaube“ ist im Hebr nicht einfach „Vertrauen“, sondern nach 11,1 Teilhabe an einer Wirklichkeit (ὑπόστασις) und Überführtsein (ἔλεγχος) von dem, was unsichtbar ist.

Nach Hebr 12,24 sind die Glaubenden bereits hinzugetreten (Perfekt) zum himmlischen Zion, zu den vollendeten Geistern und zu Jesus, dem Stifter der neuen Diatheke und zum Blut der Besprengung. Διαθήκη meint hier die durch Jesus gestiftete neue Heilsordnung.

Hebr 13,20 bietet eine außergewöhnliche Formulierung: Gott hat Jesus aus den Toten heraufgeführt „kraft des Blutes einer ewigen Diatheke“. Hebr 13 bildet aus diversen Gründen vermutlich einen Anhang an die ursprüngliche Predigt bzw. den Traktat (Kraus, 2023; Lustig, 2022). Nur hier klingt das Thema Auferstehung an, wird aber in einer ungewöhnlichen Formulierung eingebracht. Mit dem Stichwort „ewige Diatheke“ kann Jes 55,3 bzw. Ez 37,26 anklingen. In Jes 55,3 verheißt Gott nach der Katastrophe des Exils, dass er mit dem Volk Israel einen „ewigen Bund“ schließen will, der auf den beständigen Gnadenerweisen an David gründet. Der „ewige Bund“ in Ez 37,26 ist zugleich ein „Bund des Friedens“, wie er in Ez 34,25 auch David verheißen wird (zum Thema Bund bei Ez s. Finsterbusch, 2023b, 121-141).

3.6.3. Zur Funktion der διαθήκη-Vorstellung im Hebr

An sieben bzw. elf Belegen (von 17 bzw. 21) im Hebr hat der Autor das Stichwort selbst eingebracht. Damit wird das erhebliche Gewicht der Vorstellung deutlich. Der Hebr ist die einzige Schrift im Neuen Testament, die eine theologische Konzeption bezüglich Diatheke entwickelt hat.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Begriff διαθήκη bzw. die damit verbundene Vorstellung hat eine ganz spezifische Relevanz: Die Einführung einer neuen, besseren διαθήκη dient (1.) der Begründung des Hohepriestertums Jesu in Überbietung der levitischen Priesterschaft, sie dient (2.) der inhaltlichen Füllung der Befreiung von den Sünden als zentrales Kennzeichen dessen, was aufgrund des Todes Jesu erfolgt. (3.) Um Ps 109,4 LXX in seiner Anwendung auf Jesus zu stützen, wird Jer 38(31) als Schriftbeweis eingeführt, und um die soteriologische Qualität des Hohepriestertums Jesu zu belegen, wird postuliert: er ist es, der die durch Jer angekündigte Verheißung in Kraft setzt.

Die διαθήκη-Vorstellung hat im Hebr insofern eine spezifische Funktion: Jer 38(31) verheißt die Gesetze in Herz und Sinn sowie das Nicht-mehr-Gedenken an die Sünden und begründet damit eine neue διαθήκη, jenseits bzw. nach der älteren (überbotenen), durch welche die levitischen Priester eingesetzt wurden. Der Autor des Hebr verwendet die aus Jer 38 gewonnene διαθήκη-Vorstellung, um seine Hohepriester-Christologie biblisch zu legitimieren.

3.6.4. Zur Semantik der διαθήκη–Vorstellung im Hebr

Wie lässt sich der Begriff διαθήκη im Hebr sachgemäß wiedergeben? Verfügung, Verpflichtung, Setzung betonen die Einseitigkeit der Bestimmung, die durch Gott verordnet bzw. verfügt wird. Die im Hebr zusammen mit διαθήκη verwendeten Verben sind: συντελέομαι, διατίθημι, ποιέω, ἐντελέω, νομοθετέω. Das letzte Verbum νομοθετέω begegnet im NT nur in Hebr 7,11 und Hebr 8,6. In Hebr 7,11 hat das Volk bezüglich des levitischen Priestertums gesetzliche Weisung erhalten, d.h. das levitische Priestertum wurde gesetzlich eingerichtet. In Hebr 8,6 ist es die bessere διαθήκη die aufgrund einer besseren Hoffnung gesetzlich angeordnet wurde. Die bessere διαθήκη hat also in einer besseren Hoffnung ihre verbindliche Grundlage. διαθήκη meint hier nicht nur eine Verfügung oder Verpflichtung, sondern benennt eine Ordnung für das Leben, eine (rechts-)verbindliche Grundlage. Auf dieser grundlegenden Ordnung beruht das gegenwärtige und zukünftige Heil der Menschen. Insofern ist Hans-Friedrich Weiß zuzustimmen, wenn er διαθήκη mit „Heilsordnung“ wiedergibt (so durchgehend in seinem Kommentar: Weiß, 1991), wobei der Gedanke des Heils nicht im Begriff διαθήκη selbst liegt, sondern sich aus dem Kontext ergibt. Für diese bessere bzw. neue „(Heils-)Ordnung“ ist Jesus Bürge und Garant und derjenige, der sie in Kraft setzt, somit deren Inaugurator.

Mit der Überbietung der früheren durch die bessere/neue διαθήκη ist weder das Alte Testament, noch das Judentum noch auch der alte Bund als Chiffre für die Zeit vor Christus gemeint. Der Hebr bietet insofern keine Theologie des „Supersessionism“ (so z.B. Pamela Eisenbaum, JANT 2017, 461f; dies., NTJE, 2022, 493f). Es geht vielmehr ausschließlich um die levitische Kultordnung, die aufgrund ihrer Schwachheit durch eine neue (Heils-)Ordnung ersetzt wird. Und diese Argumentation kann durchaus als innerjüdische Position verstanden werden (vgl. Kraus, 2017, 279-293; ders., 2019, 259‒277).

3.7. Apk 11,19

Das Stichwort διαθήκη begegnet in der Apk nur in der Formulierung „Lade des Bundes“ in Apk 11,19. Diese Stelle steht in der Mitte des Werks. Mit ihr schließt die siebente Trompetenvision. Die Tempeltore stehen offen. Alle Leser*innen „sehen” dort in einer lebhaften Bildbeschreibung (Ekphrasis) das Symbol des Bundes, den Gott für Israel errichtete. Die Unterscheidung alte/neue oder erste/zweite Diatheke gibt es in der Apk nicht. In der Apk gibt es auch keinen „Vorhang vor dem Thron Gottes“, sondern unverstellte Sicht auf das Innere des himmlischen Tempels. „Der Apk zufolge greift der Bund Gottes rettend auf die Menschen aus den Völkern aus (s. den Duktus zu Apk 21,3-4). Der Bund verlangt von den Menschen der Völker zugleich die Abkehr von ihren Göttern, um den einen Gott Israels zu erkennen. Die Wirkungsgeschichte der Apk verengte diesen Akzent oft ekklesiologisch.“ Heute wird versucht, Israeltheologie und Universalismus zusammenzudenken (zur Bundestheologie in der Apk s. Karrer, 2023).

4. Hermeneutische Überlegungen

Die Vorstellung einer von Gott dem Volk Israel gestifteten Diatheke kann als strukturelles Konzept im Judentum bezeichnet werden. Im Neuen Testament gibt es jedoch keine konzise „Bundestheologie“. Das gilt für die Synoptiker mit den wenigen Belegen, aber auch für Paulus: Er hat keine wirkliche Bundestheologie entwickelt, vielmehr finden sich in bestimmten Zusammenhängen bundestheologische Aussagen. Diese sind einer Entwicklung unterworfen. Zunächst gilt ihm die atl. Diatheke als an ihr Ende gekommen (2Kor 3). Im Röm hat er seine Position gewandelt (Röm 9; 11).

Von einem durchgängigen Konzept lässt sich bei den ntl. Autoren am ehesten noch im Hebr sprechen. Doch auch hier ist die Diatheke-Vorstellung in die christologische Reflexion hineingenommen und kein eigenständiges Konzept.

In nach-neutestamentlicher Zeit wird die Diatheke-Thematik insbesondere vom Barnabasbrief (um 130 n.Chr.) und bei Justin Mart. (um 160 n.Chr.) aufgenommen.

Der Barnabasbrief hat allein 13 Belege für Diatheke. Zentrale Bedeutung haben dabei die Passagen Barn 4,6b-8; 13,1-14,9, daneben Barn 6,19 und Barn 9,6-9. Nach Barn hat Israel durch Mose die steinernen Tafeln erhalten, die Barn als eine „Bundesurkunde“ bzw. ein „Bundesdokument“ versteht (s. hierzu Backhaus, 1996, 309). Jedoch hat sich Israel den Götzen zugewandt, weshalb diese Bundesurkunde nie in Kraft trat. Barn verschweigt die Erneuerung, von der Ex 33,7-34,10 sprechen. Die eigentlichen Empfänger einer göttlichen Diatheke sind vielmehr die Christen. Barn kennt die Unterscheidung einer „alten/ersten“ und „neuen“ Diatheke konsequenterweise nicht. Die einzigen „Erben“ göttlicher Zusagen sind die Christen. Israel ist aufgrund des Bundesbruchs „seines Heils endgültig verlustig gegangen“ (Backhaus, 1996, 315). Jörg Ulrich fasst die Lage für Barn so zusammen: Im Barn „werden dem Volk Israel und seinen religiösen Traditionen und Einrichtungen in teils sehr polemischer Weise jegliche Rolle im Heilsplan Gottes abgesprochen und die Patriarchen, Mose und David werden exklusiv als Christusboten reklamiert“ (vgl. Barn 4,6–8; 5,7; 6,8; 9,7; 11,9; 13,7; Ulrich, 2023, 588).

In beiden Apologien Justins begegnet der Begriff Diatheke gar nicht (Ulrich, 2023, 601). Anders ist das in Justins Dialog mit Tryphon. Dort begegnet Diatheke 31mal, jedoch jeweils mit unterschiedlichem Gewicht: An elf Stellen handelt es sich um Schriftzitate (Backhaus, Bund, 1996, 316; zur Konzeption bei Justin s. Ulrich, 2023, 597-618). Es kann trotz des Vorkommens in der gesamten Schrift gleichwohl keine Rede davon sein, dass sich eine einheitliche Bundeskonzeption durch das ganze Werk ziehe (Ulrich, 2023, 592, gegen Backhaus und Haeuser), vielmehr hat die Diatheke-Vorstellung an insbes. drei Stellen eine signifikante Bedeutung: dial. 10,4-12,2; 67,9f.; 121,1-123,9 (Ulrich, 2023, 592).

Jörg Ulrich fasst für Justin zusammen: Die „Diskurse über die διαθήκη [spielen] keine eigenständige Rolle, stellen aber jeweils wichtige und auch integrale Teile weitergehender Auseinandersetzungen dar“ (Ulrich, 2023, 604). „Justin stützt sich auf Jer 38(31),31f., Jes 55,3-5 und Jes 51,4f. als zentrale Belegstellen für seine Position. Die Schriftgemäßheit des neuen Bundes ist Angelpunkt seiner Argumentation, wie ja der ganze Dialog mit Trypho eine Auseinandersetzung um das rechte Verständnis der Schrift ist. Im neuen Bund sieht er ein neues, endgültiges, ewiges Gesetz angekündigt und gegeben, dem kein weiteres mehr folgen wird. Die Gabe des – ganz theozentrisch gedeuteten – neuen Bundes entspricht dem ewigen Heilsplan Gottes, der sich in der temporären Gabe des alten Gesetzes an Israel wie in der Ankündigung des neuen Bundes gezeigt und in der Menschwerdung und im Kreuz Jesu Christi vollendet hat. Deshalb kann Christus selbst als neuer Bund bezeichnet und der neue Bund zum christologischen Titel werden.“ (Ulrich, 2023, 605)

Die Position, wonach der alte Bund gekündigt und Israel seiner Heilsprärogative verlustig gegangen sei, lässt sich durch die gesamte Kirchengeschichte bis ins 20. Jh. hinein verfolgen (zu Wirkungsgeschichte alt- und neutestamentlicher Texte in der Frühen Kirche, in den Apokryphen und bei Hieronymus s. Meiser, 2023; Nicklas, 2023; Schlange-Schöningen, 2023).

Zu einer Neubesinnung und Neuausrichtung christlicher Theologie kam es nach der Shoah. Im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland bedeutete das „Wort zur Judenfrage“ der EKD-Synode in „Berlin/Weißensee“, vom April 1950, eine Wende. In der Röm.-Kath. Kirche läutete das Konzilsdekret „Nostra Aetate“ (1965) die Erneuerung ein (vgl. dazu Rendtorff/Henrix, 1988). Die Rede vom „niemals gekündigten Bund“ oder von der „bleibenden Erwählung Israels als Volk Gottes“ hat sich inzwischen in kirchlichen Verlautbarungen durchgesetzt (vgl. die Dokumente in Henrix/Kraus, 2001) und hat auf jüdischer Seite zu positiven Reaktionen geführt: Die Erklärung „Dabru Emet – Redet Wahrheit“ vom September 2000 (s. Henrix/Kraus, 2001, 974-976) und die Erklärung Orthodoxer Rabbiner zum Christentum vom Dezember 2015 „Den Willen unseres Vaters im Himmel tun: Hin zu einer Partnerschaft zwischen Juden und Christen“ (dazu Ahrens u.a., 2017, 253-258).

Die Möglichkeiten, Bundes-Theologie im systemtisch-theologischen Diskurs sowohl interreligiös als auch welt-ethisch fruchtbar zu machen, untersucht Margit Ernst-Habib (Ernst-Habib, 2023).

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