Apokalypse des Jakobus, Zweite
(erstellt: Mai 2024)
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1. Überlieferung
In Codex V aus dem Handschriftenfund von → Nag Hammadi
Der Titel der Schrift findet sich in p. 44,11f. als Präscriptio unmittelbar unter der gleichlautenden Subscriptio der ersten Jakobusapokalypse. Es ist allerdings denkbar, dass die Schrift außer diesem (sekundären?) Titel noch einen weiteren (ursprünglichen?) Titel hatte, worauf Anfang und Ende der Schrift hindeuten. Der erste Satz lautet: „Dies ist [die] Rede (kopt. šaje), die Jakobus [der] Gerechte in Jerusalem gehalten hat …“, und am allerdings stark beschädigten Ende der Schrift in p. 63,32 findet sich noch „der Logos […]“ (kopt. p-logos), sodass der Titel möglicherweise gelautet hat: Der Logos des Jakobus, was überdies gut zum Hauptinhalt der Schrift passen würde. Der Titel hätte dann am Ende als Subscriptio gestanden und wäre am Anfang in den ersten Satz integriert gewesen (kopt. šaje ist ohne Weiteres als Übersetzung von Logos denkbar). Eine ähnliche Titulatur weist die in Nag-Hamadi-Codex V unmittelbar auf die zweite Apokalypse des Jakobus folgende → Apokalypse des Adam
Aufgrund der von vornherein geringen Qualität des Papyrusmaterials von Codex V weist die zweite Jakobusapokalypse teilweise starke Beschädigungen auf, was den Sinnzusammenhang häufig verunklart. Bei 17 von 20 Seiten der Schrift ist der untere Blattrand weggebrochen. Tendenziell wird der Erhaltungszustand von vorn nach hinten besser.
Wie alle Texte in Nag-Hammadi-Codex V ist auch die zweite Apokalypse des Jakobus im nördlichen koptischen Dialekt Bohairisch geschrieben, der nachträglich oberflächlich sahidisiert wurde (→ Koptisch
2. Aufbau und Inhalt
Die zweite Apokalypse des Jakobus besteht aus zwei vermutlich ursprünglich selbständig überlieferten Teilen, die durch eine Überleitung (p. 61) miteinander verbunden wurden. Der kürzere hintere Teil (p. 61-63) berichtet das Martyrium des → Jakobus
Der erste, längere Teil (p. 44-60) ist ein kunstvoll verschachtelter Erzähltext, dessen Kern eine an Jakobus gerichtete, sehr persönliche Offenbarungsrede Jesu bildet. Diese ist wiederum Bestandteil einer Rede, die Jakobus in Jerusalem gehalten hat, und zwar vor „der Menge der Völker“ (p. 45,20). Innerhalb seiner Rede zitiert Jakobus weitere Jesusworte und berichtet von einer (im erhaltenen Text) zeitlich nicht näher bestimmten (nachösterlichen?) Begegnung mit Jesus im Beisein seiner Mutter. Während dieser Begegnung hält Jesus die Offenbarungsrede, die den Kern der Schrift bildet, außerdem werden die komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Jesus und Jakobus erklärt (s. u.). Die Jakobusrede ist wiederum gerahmt von einem Priesterbericht, den ein gewisser Marim aufgeschrieben hat, der so als Gewährsmann fungiert. Die Erzählsituation setzt das anschließende Martyrium nicht voraus, die Rede des Jakobus in Jerusalem läuft also nicht auf das Martyrium zu. Vielmehr erwähnt die Überleitung eine weitere Rede des Jakobus, in deren Folge Jakobus das Martyrium erleidet.
3. Entstehungszeit und Herkunft
Wegen der herausragenden Rolle des Jakobus als Offenbarungsempfänger und der verarbeiteten Jakobustraditionen wird als mögliche Herkunftsregion der zweiten Jakobusapokalypse meist der syrisch-palästinische Raum erwogen, doch gibt die Schrift selbst keine direkten Hinweise auf ihren Entstehungsort.
Mit der Herstellung von Nag-Hamadi-Codex V um die Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr. ist der Terminus post quem non für die Entstehung der zweiten Apokalypse des Jakobus gegeben. Wegen der mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmenden Übersetzung aus dem Griechischen, der Entstehung der Übersetzung im Norden Ägyptens und ihrer Wanderung nach Süden muss die Schrift jedoch einige Zeit früher entstanden sein. Da eindeutige neutestamentliche Bezüge fehlen, die Schrift sich keiner bestimmten gnostischen Schule zuordnen lässt, obwohl gnostische Theologumena durchaus vorhanden sind, und die Schrift einem eher judenchristlichen Milieu nicht fernsteht, wird vielfach auch eine relativ frühe Entstehungszeit um die Mitte des 2. Jahrhunderts für möglich gehalten (Hedrick; Funk; Kaiser). Auch eine gewisse sprachliche und gedankliche Nähe zum → Johannesevangelium
4. Traditionen und theologische Eigenart
Während in der frühchristlichen Literatur nicht immer klar zwischen → Jakobus
Das vielleicht größte Rätsel der zweiten Jakobusapokalypse sind die verwickelten und in der Jakobustradition singulären Familienverhältnisse, die die Schrift entwirft und die sich letztlich nicht plausibel entwirren lassen. Erschwerend kommt hinzu, dass grundsätzlich mit Textverderbnissen und Übersetzungsfehlern zu rechnen ist, die sich aber angesichts eines einzigen Textzeugen textkritisch nicht immer verifizieren lassen. Hinzu kommen die Lakunen innerhalb des überlieferten Textes. Nimmt man die zweite Jakobusapokalypse beim Wort, ergibt sich folgendes Bild: Die Mutter des Jakobus heißt wahrscheinlich Maria (p. 44,22; erhalten sind nur Reste der letzten beiden Buchstaben), ihr Mann und Vater des Jakobus heißt Theudas. Jesus ist der Bruder des Theudas, jedenfalls sofern kopt. son hier wörtlich gemeint ist und nicht allgemein im Sinne von „Verwandter“ (p. 50,23: pson mpekeiōt pe: „Er ist der Bruder deines Vaters“). Dann wäre Jesus der Onkel des Jakobus. Da es der Schrift allerdings darum geht, die leibliche Bruderschaft des Jakobus zugunsten der geistlichen zu relativieren bzw. neu zu kodieren, wäre die Einführung eines (weiteren) leiblichen Bruders Jesu wenig plausibel. Jesus und Jakobus wiederum sind nach Auskunft der Mutter des Jakobus Milchbrüder, „denn ihr wurdet mit derselben Milch gesäugt“ (p. 50,18f.).
Die Traditionskette läuft über einen namenlosen Priester als Augenzeugen, der als Verwandter des Theudas diesem die Ereignisse mitgeteilt hat, der sie wiederum Marim (kopt. Mareim) berichtet hat, der sie aufschrieb (sofern „Priester“ nicht Apposition zu Marim ist, was grammatisch zwar möglich, inhaltlich aber schwierig ist). Marim als Traditionsgarant ist aus der sonstigen Jakobustradition unbekannt, wie der Name überhaupt ungeläufig ist. Dass Marim uns unbekannt ist, bedeutet freilich nicht notwendigerweise, dass das auch für die Adressatinnen und Adressaten der zweiten Apokalypse des Jakobus gilt. Das Problem würde sich auflösen, wenn man Marim als Verschreibung oder bewusste Änderung von Maria oder Mariam verstehen dürfte (in einem allerdings zweistufigen Prozess: Maria → Marim → Mareim bzw. Mariam → Marim → Mareim). Maria, die Mutter des Jakobus, wird sowohl im Erzählrahmen (Priesterbericht) als auch in der Rede des Jakobus als Handelnde erwähnt; dass sie während der Rede des Jakobus nicht selbst anwesend ist, ihren Inhalt aber von ihrem Mann Theudas erfährt und aufschreibt, ist zumindest vorstellbar. Maria wäre einerseits eine starke Traditionsgarantin, Gründe, sie aus der Tradition zu tilgen, lassen sich andererseits denken.
Der angehängte Martyriumsbericht folgt einerseits der Schilderung Hegesipps (Euseb, h.e. 2,23,4-18), ohne in direkter Linie von ihm abhängig zu sein, und berührt sich andererseits mit dem Bericht des Josephus (ant. 20,9,1). Die detailreiche Ausschmückung der Steinigung greift möglicherweise auf rabbinische Bestimmungen zur Durchführung von Steinigungen zurück. Der Martyriumsbericht selbst trägt keine gnostischen Züge; eine gnostische Interpretation erfährt er erst durch den als Sterbegebet des Jakobus eingefügten gnostischen Aufstiegspsalm, eine Gattung, die sonst vor allem im manichäischen Schrifttum begegnet (vgl. Richter, 113ff.).
Die christlich-gnostische Theologie der zweiten Apokalypse des Jakobus lässt sich zwar keiner bestimmten Schulrichtung zuordnen, die wahre Erkenntnis (Gnosis), die es zu erlangen gilt, ist gleichwohl das bestimmende Thema der Schrift. Als herausragender Mittler dieser Erkenntnis wird der Herrenbruder Jakobus, der Gerechte, etabliert, der zu dieser Erkenntnis aber erst selbst gelangen bzw. durch den Erlöser geführt werden muss. Jakobus fungiert als Türöffner für die in die himmlische Heimat Zurückkehrenden und als Erstling dieser Heimkehr: „Wie du dich als erster bekleidet hast, so bist du auch der erste, der sich entkleiden wird (sc. des irdischen Gewandes der Leiblichkeit). Und du wirst werden, wie du warst, bevor du dich entkleidet hast“. Selbst der demiurgische Schöpfergott wird Jakobus beneiden. Auf ihn wird mehrfach angespielt, u. a. mit dem für gnostische Literatur so typischen Zitat aus Jes 45,21
Der fortschreitende Erkenntnisprozess des Jakobus und die Neubestimmung des Verwandtschaftsverhältnisses vollzieht sich nicht einfach in der Offenbarung bisher verborgener Dinge durch den Erlöser, sondern auch in der physischen Begegnung: „Und er (Jesus) küsste mich, umarmte mich und sagte: Mein Geliebter! Siehe, ich werde dir enthüllen, was [die] Himmel nicht wussten noch ihre Archonten. … [Und] sogleich streckte ich (Jakobus) meine [Hände] aus und fand ihn nicht so, wie ich dachte. Aber danach hörte ich ihn sagen: Verstehe! Und umarme mich! Da verstand ich. Und ich geriet in Furcht und (zugleich) freute ich mich außerordentlich“ (p. 56f.).
→ Gnosis
Literaturverzeichnis
Textausgaben und Übersetzungen
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- Funk, W.-P., The Second Revelation of James, in: Meyer, M. (Hg.), The Nag Hammadi Scriptures. The International Edition, New York 2007, 331-342.
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- Kaiser U.U./Plisch, U.-K., Die (zweite) Apokalypse des Jakobus (NHC V,4), in: Schenke, H.-M./Kaiser, U.U./Bethge, H.-G. (Hgg.), Nag Hammadi Deutsch. NHC I-XIII, Codex Berolinensis 1 und 4, Codex Tchacos 3 und 4. Studienausgabe, Berlin 32013, 311-317.
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Untersuchungen
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