Deutsche Bibelgesellschaft

Amen (NT)

(erstellt: Oktober 2023)

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Das hebräische ’āmen stammt von der ägyptischen Wurzel mn („dauern, bleiben“) ab und wird als formelhafte Partikel bzw. Interjektion verwendet (Seybold 110; → Amen [AT]). Lediglich an 12 Stellen – Wiederholungen abgezogen – ist es im MT belegt. Es kann zunächst simple Zustimmung zum vorher Gesagten signalisieren. Die Königsproklamation Salomos durch David etwa quittieren die eigens herbeigerufenen Zeugen mit Amen (1Kön 1,36). Die Zustimmung zu und den Wunsch der Realisierung des Gesagten, nämlich die Verfluchung von Bundesbrüchigen, drückt der Prophet mit „Amen, Jahwe! (Jer 11,5)“ aus. Im Rahmen eines Fluchübernahmerituals wird ein vom Volk Israel zum Zeichen der Unterordnung gemeinsam gesprochenes Amen imaginiert (Dtn 27,15–26). Im Psalter begegnet dann die (Amen- bzw. →Halleluja-)Amen-Formel als Abschluss von → Doxologien (Ps 41; 72; 89; 106). Gesetzt werden so auch die entscheidenden Gliederungssignale innerhalb der Psalmensammlung(en) (Spieckermann 68–71).

Die Septuaginta übersetzt das hebräische ’āmen meist mit γένοιτο genoito (z.B. Dtn 27,17LXX) und betont damit den Aspekt des Realisierungswunsches. Die inhaltliche Zustimmung zum zuvor Formulierten stellt dagegen die Übersetzung mit ἀληθῶς alēthōs heraus (Jer 28,6MT=Jer 35,6LXX). Erst die später entstandenen LXX-Übersetzungen übernehmen das hebräische ’āmen als Fremdwort. So formuliert das insgesamt zu Hebraismen neigende (Kabiersch 1199–1201) Nehemiabuch: „Und ich schüttelte mein Gewand aus und sagte: So möge Gott jeden Mann ausschütteln aus seinem Haus und seinem Besitz, der diese Abmachung [sc. betreffs der Solidarität mit den Armen] nicht einhält, und so soll er verstoßen und nichtig sein! Und die ganze Versammlung sagte: Amen! (καὶ εἶπεν πᾶσα ἡ ἐκκλησία Αμην kai eipen pasa ē ekklēsia ’Āmen) Und sie lobten den Herrn (Neh 5,13MT=2Esdr 15,13LXX; vgl. ähnlich Neh 8,6MT=2Esdr 18,6LXX)“. Ähnlich feierlich, hier in einem Gebetskontext, soll laut des chronistischen Berichts das Volk auf die Schlussdoxologie des von König David verordneten Lobpsalms antworten: „Und das ganze Volk soll sagen: ‚Amen!‘ (1Chr 16,36).“ Neh und 1Chr reflektieren mit ihren erzählerischen Rückprojektionen sowohl die allgemeine Tendenz zur rituellen Verwendung eines responsorischen

Amen als auch die für die Liturgie des Zweiten Tempels anzunehmende Praxis (s.u. zu Offenb; Jonas 51f). Abgesehen davon begegnet in den Spätschriften ein doppeltes Amen der Eheleute als Ausdruck der individuellen Zueigenmachung des die Ehe von Sara und Tobias besiegelnden Gebets durch den Ehemann (Tob 8,8) sowie die Verwendung von Amen als Abschluss literarischer Einheiten (3Makk 7,23; 4Makk 18,24). An der zuletzt genannten Stelle ist ebenso wie in OrMan 15; OdSal 12,15 die sich etablierende Abfolge Doxologie – Ewigkeitsformel – Amen belegt (Güting 137). In den Qumrantexten schließt die im Rahmen ritueller Vollzüge zu sprechende Amen-Amen-Formel unterschiedliche Aussagen bekräftigend ab (Hamidović). Das responsorische Amen war zweifellos in der frühjüdischen Gebetspraxis weit verbreitet (Ginzberg). Dieser Sachverhalt zeigt sich insbesondere in der Selbstverständlichkeit der Verwendung von Amen in Zusammenkünften von Christusgläubigen der ersten Generation (1Kor 14,16). Gebetsschlüsse aus Doxologie, Ewigkeitsformel und Amen galten als selbstverständlich als Teil des mündlichen Vortrags und wurden daher nicht immer literarisch festgehalten, wie es auch beim Vatergebet in Mt 6,9–13 der Fall war (Seybold 109; Jonas 77).

1. Jesus

In den Jesusbildern der Evangelien begegnet Amen als häufige und breit bezeugte Satzeinleitung Jesu („Amen [doppelt bei Joh], ich sage euch bzw. dir...“; vgl. etwa Mk 3,28; Mt 5,18; Joh 1,51). Auf diese Verwendungsweise entfällt das Gros der 130 Vorkommen von Amen in den ntl. Schriften. (Im EvThom fehlt Amen.) Das Lk variiert an zahlreichen Stellen (z.B. Lk 11,51: „Ja [ναί], ich sage euch...“; vgl. Mt 23,36: „Amen, ich sage euch...“), kennt die Formel aber ebenfalls (vgl. etwa Lk 4,24; aber kein Amen-Beleg in Apg). Parallelen zur nicht-responsorischen Verwendung von Amen am Satzanfang sind kaum erkennbar. Bei TestAbr XX („Gibt es auch einen unerwarteten Tod?... Sagt der Tod: ‚Amen Amen, ich sage dir in Wahrheit Gottes, es gibt 72 Tode...‘“) ist christlicher Einfluss einzukalkulieren (→ Abraham). Am ehesten ist an Jer 28,5f zu denken („Da sprach der Prophet Jeremia zu dem Propheten Hananja in Gegenwart der Priester und des ganzen Volks, die im Hause des HERRN standen, und sagte: Amen! Der HERR tue so; der HERR bestätige dein Wort...“; in der LXX mit ᾿Αληθῶς übersetzt [Jer 35,6LXX]; vgl. auch Jer 11,5 sowie 1Kön 1,36). Einen Einfluss auf die Tradition des jesujanischen Satzanfangs mit Amen dürfte der in der LXX anzutreffende (und auch in der klassischen Gräzität begegnende), ähnlich klingende formelhafte Satzanfang mit ἦ μήν é mēn bzw. εἰ μήν ei mēn ausgeübt haben. Die Anklage der schlechten Hirten in Ez 34,8 etwa („‚So wahr ich lebe‘, sagt der Herr, ‚wahrlich [ei mēn], dafür, dass meine Schafe zur Beute werden...‘“) bietet zusätzlich zur sprachlichen auch eine inhaltliche Parallele zu Joh 10,1–7. Das Fehlen direkter Parallelen legt die Erwägung nahe, den Satzanfang mit „Amen, ich sage euch...“ als originäre „Sprachschöpfung“ (Jeremias 389) Jesu anzusehen. Es könnte an die Stelle der gängigen prophetischen Botenformel „So spricht Jahwe...“ getreten sein und Aspekte des Selbstverständnisses Jesu reflektieren (Theißen/Merz 456; kritisch Berger 18). In der christlichen Gottesdienstsprache blieb das initiale Amen dem Auftakt von Jesusworten vorbehalten. Die liturgische Sprache der Gemeinde machte es sich nicht zu eigen (Jonas 42).

2. Paulus

Wie bereits angedeutet, geben bereits die Paulusbriefe zu erkennen, dass christusgläubige Gruppen Amen als hebräisches Fremdwort in ihrer Gebetspraxis selbstverständlich verwendeten. Im Rahmen seiner Ausführungen zu den Gnadengaben in der Gemeinde formuliert Paulus in 1Kor 14,16: „Wenn du Gott lobst im Geist, wie soll der, der als Unkundiger dabeisteht, das Amen sagen auf dein Dankgebet, da er doch nicht weiß, was du sagst?“ Die rhetorische Frage setzt im Blick auf das Amen Mehreres voraus: Auch in der mehrheitlich aus geborenen Nichtjuden – mit Kontakten zur Synagogengemeinde ist aber zu rechnen (1Kor 1,14; Apg 18,4.8) – bestehenden (1Kor 12,2) Ekklesia in Korinth (1Kor 1,2) wird das responsorische Amen als Ausdruck der Beipflichtung zum Gebet einer anderen Person verwendet. Voraussetzung ist allerdings eine positive ad-hoc-Evaluation des Gebetsinhalts, die nur bei einer verständlichen Äußerung möglich ist. Mit „Unkundiger“ ist ein Gemeindemitglied gemeint, das die Glossolalie nicht versteht (lt. 1Kor 14,17 wird es daher nicht erbaut werden; Zeller 429). Für Paulus sollte offensichtlich jeder und jede Anwesende (in der Lage sein zu) prüfen, ob sie oder er mit dem – frei gestalteten – Gebet einverstanden ist und ins kollektive Amen einstimmen kann. Dieser Praxis liegt der gleiche Gedanke zu Grunde, auf dem auch die im Mishna-Traktat Berachot 8,8 aufgestellte Regel beruht, nämlich erst die gesamte fromme Äußerung einer Person anzuhören und dann zu überlegen, ob mit Amen die Zustimmung erteilt werden kann.

In 2Kor 1,12–2,11 wehrt sich Paulus gegen Vorwürfe, über seine Reisepläne unzuverlässige Äußerungen gemacht zu haben. In diesem Zusammenhang verknüpft seine Argumentation auf den ersten Blick überraschend die Tatsachen (2Kor 1,20), dass sowohl er selbst als auch die Briefadressaten in Christus die göttlichen Verheißungen als erfüllt erkennen (ἐν αὐτῷ τὸ ναί en autō to nai) und dass im Gottesdienst mit Amen in das Lob Gottes eingestimmt wird. Dieses Amen habe Christus gebracht (δι’ αὐτοῦ di‘ hautou), „vermittelt wird dieser Vorgang durch Paulus und seine Mitarbeiter (Schmeller 110)“. Dieser Dignität des apostolischen Dienstes entsprechend könne von Unzuverlässigkeit keine Rede sein. Die begründende Assoziation vom Ja der Verheißungserfüllung zum gottesdienstlichen Amen liegt auf Grund der (sprichwörtlich gewordenen) Nähe beider Partikel nahe (vgl. etwa Lk 11,51par; Offenb 1,7; 22,20). Die Rede von Christus als Art der Personifikation von Ja und Amen bewegt sich in der Nähe der Amen-Christusprädikation in Offenb 3,14 (s.u.; Ostmeyer 74 Anm. 213). Paulus praktiziert nicht nur selbst regelmäßiges Gebet (Phil 1,4 etc.; Frey 62; Ostmeyer 109–111), sondern gestaltet selbst seine briefliche Kommunikation als erweitertes Gespräch mit Gott (Ostmeyer 102f). Daher verwundert es nicht, dass er in seinen Texten das responsorische Amen verwendet (Ostmeyer 73), teils mit vorangestellter Doxologie. Es kann eigenständige Abschnitte beschließen, so etwa gegen oder am Ende des Briefcorpus (Phil 4,20; Röm 15,33; textkritisch unsicher in 1Thess 3,13). Im Gal endet das ausführliche Präskript mit einem Amen (Gal 1,5; s.u.). In Röm 9,5 schließen Eulogie und Amen mit dem vorweggenommenem Lob Gottes (nicht Christi [Wolter 2019, 37–42]) stilgerecht (vgl. Ps 89,53 etc.) den Klagetext Röm 9,1–5 (Wolter 2019, 41). Im Zusammenhang von Röm 9–11 ist er als Frage zu verstehen, deren Beantwortung feierlich mit Doxologie und Amen in Röm 11,36 an ihr Ende kommt (Wolter 2019, 239). Ohne eine gliedernde Zäsur zu markieren begegnet die mit Amen abgeschlossene Dreierfolge in Röm 1,25 (vgl. 2Kor 11,31), konstruiert wie auch in Röm 9,5 mit einem Relativsatz. Die Formel dient hier einer Art Abwehrschwur, mit dessen Hilfe Paulus sich deutlich vom Angesprochenen distanziert (Wolter 2014, 148f).

Lässt sich insgesamt feststellen, dass die brieflichen Doxologien mit Amenformel aus dem gleichen Traditionsreservoir wie die Gottesdienstsprache christusgläubiger Gruppen schöpfen (Jonas 47), begegnet im Gal die Strategie, literarische und performative Ebene im Sinne der Briefpragmatik kurzzuschließen (Sänger 2004/2007). Unter den erhaltenen Paulusbriefen schließt nur der Gal mit einem Amen (Gal 6,18). (Doxologie und Amen in Röm 16,27 gehören sekundär hinzugefügtem Text an [Wolter 2019, 505].) Das Schluss-Amen des Gal ist dabei nicht, wie vorgeschlagen (Güting 153), als sekundärer Zuwachs auszusondern, sondern bildet geradezu die „Pointe“ (Sänger 2004/2007, 134.154) des Schreibens. Bekanntlich weist bereits das Präskript (Gal 1,1–5) etwa im Blick auf das Wortinventar oder das Fehlen eines Proömiums Besonderheiten auf. Sie spiegeln die Brisanz des Streits um die Wahrheit des Evangeliums (Gal 1,6–9; 2,5.14). Im Briefschluss fehlen die sonst üblichen Grüße oder die Aufforderung zum heiligen Kuss. Bedingter Segenswunsch, die Aufforderung zur Zurückhaltung sowie der Gnadenwunsch an die Geschwister rufen eindringlich dazu auf, am zwischen Apostel und Gemeinden Gemeinsamen festzuhalten (Gal 6,16–18). Dabei verweist der Schluss auf das Präskript zurück, nicht zuletzt durch die den Brief rahmenden Friedensund Gnadenwünsche. Indem die Hörerinnen und Hörer während des Verlesens des Briefes den dort (Gal 1,1–5) gemachten Aussagen über die Grundlegung des Evangeliums mit Amen zustimmten, sind sie den ersten Schritt hin auf die Einstimmung auch in das eingeschriebene Schluss-Amen (Gal 6,18) und damit zur Zueigenmachung des Briefanliegens insgesamt gegangen (Sänger 2004/2007, 155f).

3. Nachpaulinische Briefe

In der späteren Briefliteratur begleitet das Amen als fixes Element die Weiterentwicklung der Doxologie. Eph 3,20f erweitert sie gegenüber den Paulusbriefen sowohl ekklesiologisch als auch christologisch: „Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus durch alle Geschlechter von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“ Der in Eph 1,3 beginnende erste Hauptteil wird so feierlich beschlossen (Sellin 298). Die Einbeziehung Christi in die Doxologie findet sich auch in Jud 25 (Paulsen 87); zugleich wird hier – wie im NT sonst nur in Gal 6,18 – der Gesamttext durch ein Schluss-Amen beendet. Hebr 13,20f leitet mit einer – an Gott oder an Christus gerichteten – Doxologie inklusive Amen den Briefschluss ein, der noch Ermahnungen, Aufträge und einen Gnadenwunsch enthält. Ähnlich gestaltet sich 2Tim 4,18–22. Das Amen nach der Doxologie in 1Petr 4,11 markiert dagegen eine Binnenzäsur (Goppelt 292); in 1Tim 1,17 schließt es die autobiographischen Ausführungen des „Paulus“ innerhalb des Abschnitts 1Tim 1,12–20.

4. Johannesoffenbarung

Passend zur reichlichen Verwendung alttestamentlich-frühjüdischer Tradition sowie zum Arrangement aus apokalyptischem, prophetischen, brieflichen und liturgischen Elementen (Labahn 399) begegnet in der Johannesoffenbarung ein häufiger und mehrgestaltiger Amen-Gebrauch. Nach einer Überschrift mit Lese- und Verstehensanweisung (Offenb 1,1–3) beginnt ein ausführlich erweitertes Briefpräskript (1,4–8). In 1,4–7 schließt „Johannes“ an seinen Gnaden- und Friedenswunsch eine mehrgliedrige, an Christus gerichtete Doxologie an, die wie üblich mit Amen abgeschlossen wird. Es folgt ein präsentisch-futurischer Prophetenspruch des Sehers, der die Parusie und ihre Begleitumstände charakterisiert (Offenb 1,7: „Siehe, er kommt mit den Wolken...“). Auch er wird beschlossen, und zwar mit dem Partikelpaar „Ja, Amen“. Bei der Abfolge Prophetenspruch – Amen dürfte es sich um ein im frühchristlichen Spektrum entwickeltes Element der Gottesdienstsprache handeln, für das die mit Amen abgeschlossene Doxologie das Vorbild war (Jonas 61).

Der den Hauptteil der Schrift bildende Reigen von Visionen (Offenb 4,1–22,5) wird von der Thronsaalvision eröffnet (4,1–5,14). Sie gipfelt in Szenen himmlischer Anbetungen. Nach dem „neuen Lied“ (Offenb 5,9) und einer gewaltigen Doxologie der Engelscharen (Offenb 5,11f) zu Ehren des Lammes folgt eine buchstäblich universale, hier simultan an Gott und Christus gerichtete Doxologie mit Ewigkeitsformel (Offenb 5,13). Deutlich markiert wird der Sprecherwechsel: Der Lobpreis wird von den aus Offenb 4,6 bekannten vier Wesen mit Amen beschlossen. Es folgt nur noch die stille Proskynese der Ältesten (Offenb 5,14; vgl. 4,4). Eine ähnliche Szene wird in Offenb 7,9–12 imaginiert. Die Anbetung in Offenb 19,1–7 verwendet bevorzugt Halleluja, das einmal mit Amen kombiniert wird (Offenb 19,4; vgl. Ps 106,48). Anders als die Doxologie-Amen-Belege in den Briefen und in Offenb 1,4–7 lehnen sich die himmlischen Anbetungsszenen mit ihren Wechselchören nicht an Elemente der Liturgie frühchristlicher Gemeinden an, sondern tragen Erinnerungen an die Lobpreispraxis des zerstörten Jerusalemer Tempels in sich (Jonas 48, im Anschluss an Wick 339–344).

Innerhalb des Briefformulars [https://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/neuestestament/offenbarung/] der Sendschreiben (Offb 2,1–3,22) weist jeweils eine Botenformel Christus als Autor der dann folgenden Mitteilungen aus. In ihr erhält er unterschiedliche Prädikate. Der Brief an die Laodizener wird eingeleitet mit „Dies sagt der Amen [ho ’āmen]... (Offenb 3,14)“. Weitere Prädikate werden ergänzt. Herkunft und Verbreitung des Gebrauchs von Amen als Christusnamen sind unbekannt. Die Gottesprädikation in Jes 65,16 in der – in der antiken Rezeptionsgeschichte der Stelle belegten, aber unzutreffenden – Lesart „Gott des Amen“ könnte eine Rolle gespielt haben (Seybold 116f).

In der dialogisch gestalteten Abschlusspassage der Johannesoffenbarung (Offenb 22,6–21) unterstreicht der Erhöhte die Wahrheit des vom Seher Johannes Geschauten und Berichteten und warnt vor Manipulationen daran. Die Schrift demonstriert damit ihren Autoritätsanspruch (Labahn 397). Durch die umfassenden Rückbezüge von Offenb 22,6–21 auf Offenb 1,1–3.4–8 wird der christologische Ertrag der Gesamterzählung deutlich: Christus gehört auf die Seite Gottes, sein und Gottes ‚Kommen‘ sind ein und dasselbe (Sänger 2005/2007, 358–369). Pointiert sichert Christus am Ende die baldige Parusie zu. Auf die Zusage antwortet die in den Text eingeschriebene Gemeinde zunächst bekräftigend mit Amen und fügt dann den der frühchristlichen (insb. eucharistischen) Liturgie entliehenen Bittruf „Komm, Herr Jesus“ hinzu (Offenb 22,20; vgl. 1Kor 11,26; 16,22; Mt 6,10; Did 10,6). Wie bereits in Offenb 1,6f sollen die tatsächlichen Hörerinnen und Hörer im Rahmen der gottesdienstlichen Verlesung hier einstimmen (Labahn 410f).

5. Ausblick

Während ein Amen als Textschluss (vgl. 3Makk 7,23; 4Makk 18,24) in den ntl. Schriften nur in Gal 6,18; Jud 25 als authentisch anzusehen ist (s.o.), weisen Teile der handschriftlichen Überlieferung Tendenzen zur Hinzufügung von doxologischen Schlüssen mit Schluss-Amen auf (Güting 133f). Die charakteristische Amen-Einleitung von Jesusworten (s.o.) ist in zahlreichen nicht kanonisierten Schriften belegt (Berger 131–146). Beispielsweise spricht die Himmelsstimme in ActThom 158 (3. Jh.) „Amen, fürchte dich nicht, glaube nur!“ und moduliert damit Mk 5,36par im Sinne des bekannten Jesus-Gestus.

Der → Erste Clemensbrief verwendet analog zum in ntl. Schriften begegnenden Gebrauch mehrfach Amen als Abschluss von Doxologien (vgl. 1Clem 20,12; 32,4 etc.). Auch das umfangreiche Fürbittengebet in 1Clem 59,2–61,3 endet mit einer auch christologisch erweiterten Doxologie mit Amen-Schluss (vgl. Jud 25; Röm 16,27 [sekundär]). Die → Didache reguliert im Rahmen eines liturgischen Abschnitts (Did 7–10) auch gottesdienstliche wie private Gebete. Auffälligerweise bleiben alle Schlusdoxologien ohne Amen, auch die des Vatergebets (Did 8,2; vgl. Mt 6,13). Das responsorische bzw. konkludierende Amen galt auch hier als sich von selbst ergebend. Ohne vorangehende Doxologie schließt das eucharistische Dankgebet in Did 10,6 mit Amen; vermutlich fungiert es als Gliederungssignal (Jonas 88). Amen begegnet als selbstverständlicher Gebetsschluss in einer Reihe weiterer Texte, so etwa in MartPol 14,3;15,1 („Als er das Amen hinaufgesandt und das Gebet vollendet hatte, zündeten die dafür zuständigen Menschen das Feuer an“); vgl. auch TA 3f.6– 8.21.25.31. Im Vergleich zwischen der griechischen Version des Martyrium des Petrus (ActPetr 39f) und dem lateinischem Martyrium beati Petri a Lino episcopo conscriptum (XVf) zeigt sich die Gleichberechtigung unterschiedlicher Praktiken im gottesdienstlichen Kontext: Entweder endet der Gebetsvortrag mit Amen und die Gemeinde wiederholt es oder das responsorische Amen bleibt ganz der Gemeinde vorbehalten (Jonas 92).

Amen spielt eine wichtige Rolle im außergewöhnlichen Tanzhymnus der Johannesakten (ActJoh 94– 96) innerhalb des Offenbarungsberichts des „Johannes“. Jesus leitet ihn vor seiner Auslieferung folgendermaßen ein: „Er befahl uns nun, einen Kreis zu bilden, indem wir einander an den Händen hielten, trat er selber in die Mitte und sagte: ‚Respondiert mir mit Amen!‘ Er begann also einen Hymnus zu singen und zu sagen: ‚Ehre sei dir Vater!‘ Und wir bildeten einen Kreis und respondierten ihm mit Amen. ‚Ehre sei dir, Logos! Ehre sei dir, Gnade!‘ – ‚Amen‘ (ActJoh 94)“. Es folgen 26 weitere Ich-Aussagen Jesu unterschiedlicher Ausrichtung, nicht mehr alle doxologisch wie zu Beginn. Sie werden jeweils mantraartig mit Amen beantwortet (z.B. „‚Fliehen will ich und bleiben will ich‘ – ‚Amen‘ [ActJoh 95]“). Es folgt dann eine längere durchgehende Gebetspassage, die mit einer Doxologie (auffälligerweise ohne Ewigkeitsformel) und Amen endet.

Das später allgemein übliche Amen als Abschluss einer Predigt ist im 2. Jh. bei Meliton von Sardis belegt (De passa 105). In seiner Beschreibung der christlichen Gottesdienste erläutert der Apologet Justin (Apol 65.67): „Darauf [sc. nach dem Eucharistiegebet und dem Heiligem Kuss] werden dem Vorsteher der Brüder Brot und ein Becher mit Wasser und Wein gebracht; der nimmt es und sendet Lob und Preis dem Allvater durch den Namen des Sohnes und des Heiligen Geistes empor und spricht eine lange Danksagung dafür, dass wir dieser Gaben von ihm gewürdigt worden sind. Ist er mit den Gebeten und mit der Danksagung zu Ende, so gibt das ganze Volk seine Zustimmung mit dem Worte ‚Amen‘.“ Letzteres wird übersetzt („Dieses Amen bedeutet in der hebräischen Sprache soviel wie: Es geschehe! [Apol 65]“), um Inhalte und Hintergründe des Rituals vollständig offenzulegen (Lindemann 906).

Dass angesichts der häufigen Verwendung eines hebräischen Fremdworts der Magie-Vorwurf nicht fernlag, illustrieren (spätere) Papyri, in denen Amen als Teil privater Frömmigkeitsäußerungen begegnet. So heißt es auf einem Amulett für ein Haus und seine Bewohner (4./5. Jh.): „… bewahr dieses Haus samt seinen Bewohnern vor allem Übel, vor aller Neidsucht der Luftgeister und bösem Blick der Menschen … Schütze mich, Herr, leiblicher Sohn Davids, geboren von der hl. Jungfrau Maria, heiliger, höchster Gott, aus dem hl. Geist. Preis dir, himmlischer König. Amen, A † 0, Chr(istus), A † O . Fisch (PGrM 3 Preisendanz II 210f).“ Gemäß einem weiteren Papyrus spielte Amen auch im Kontext von Fluchübernahmen und -androhungen eine Rolle: „Ich beschwöre euch alle, die ihr vor Solomon den Eid geleistet habt: nicht schädigt einen Menschen, nicht im Feuer, nicht [im Wasser] tut ihm übel, durch den Eid fürchtend das Amen und das Halleluia und das Evangelium des

Herrn, der gelitten hat um uns, der Menschen willen (PgrM 10 Preisendanz II 218f).“ Die rabbinische Literatur thematisiert mehrfach den Umgang mit Amen in deskriptiver wie präskriptiver Absicht. So heißt es im Zusammenhang mit der Beschreibung der Synagoge Alexandrias, in der Mitte stehe eine Holztribüne, von welcher nach jeder Benediktion ein Tuch geschwenkt werde als Zeichen für die Amen-Antwort (Tosefta, Sukka 4,4). Die Auskunft, im Jerusalemer Tempel sei Amen nicht die gebräuchliche liturgische Antwort gewesen, dürfte weniger historisch als vielmehr im Sinne einer Abgrenzung von einer umfassenden christlichen Amen-Verwendung zu verstehen sein (Talmud-Traktat Taantih [16b]). Das Tosefta-Traktat Megilla (3,16) plädiert dafür, dass der Vortrag einer Benediktion nicht mit Amen enden, sondern vielmehr der Antwortcharakter auf Seiten der Hörerschaft gestärkt werden solle. Offenbar waren analog zur altkirchlichen Praxis beide Modelle verbreitet. Den Aspekt der inhaltlichen Zustimmung eines Amen im Außenkontakt betont das Mishna-Traktat Berachot (8,8): Spreche ein Israelit den Segen, antworte man getrost mit Amen; sei es ein Samaritaner, höre man den gesamten Segen an und überlege, ob man mit Amen beipflichte. Im Islam ist āmīn ein wichtiger Gebetsschluss (Akasoy).

Literatur

Lexikonartikel

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Abbildungen

Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz) und ihrem Präsidenten Othmar Keel.

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