Amen (NT)
(erstellt: Oktober 2023)
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Das hebräische ’āmen stammt von der ägyptischen Wurzel mn („dauern, bleiben“) ab und wird als formelhafte Partikel bzw. Interjektion verwendet (Seybold 110; → Amen [AT]
Die Septuaginta übersetzt das hebräische ’āmen meist mit γένοιτο genoito (z.B. Dtn 27,17LXX) und betont damit den Aspekt des Realisierungswunsches. Die inhaltliche Zustimmung zum zuvor Formulierten stellt dagegen die Übersetzung mit ἀληθῶς alēthōs heraus (Jer 28,6MT=Jer 35,6LXX). Erst die später entstandenen LXX-Übersetzungen übernehmen das hebräische ’āmen als Fremdwort. So formuliert das insgesamt zu Hebraismen neigende (Kabiersch 1199–1201) Nehemiabuch: „Und ich schüttelte mein Gewand aus und sagte: So möge Gott jeden Mann ausschütteln aus seinem Haus und seinem Besitz, der diese Abmachung [sc. betreffs der Solidarität mit den Armen] nicht einhält, und so soll er verstoßen und nichtig sein! Und die ganze Versammlung sagte: Amen! (καὶ εἶπεν πᾶσα ἡ ἐκκλησία Αμην kai eipen pasa ē ekklēsia ’Āmen) Und sie lobten den Herrn (Neh 5,13MT=2Esdr 15,13LXX; vgl. ähnlich Neh 8,6MT=2Esdr 18,6LXX)“. Ähnlich feierlich, hier in einem Gebetskontext, soll laut des chronistischen Berichts das Volk auf die Schlussdoxologie des von König David verordneten Lobpsalms antworten: „Und das ganze Volk soll sagen: ‚Amen!‘ (1Chr 16,36
Amen als auch die für die Liturgie des Zweiten Tempels anzunehmende Praxis (s.u. zu Offenb; Jonas 51f). Abgesehen davon begegnet in den Spätschriften ein doppeltes Amen der Eheleute als Ausdruck der individuellen Zueigenmachung des die Ehe von Sara und Tobias besiegelnden Gebets durch den Ehemann (Tob 8,8
1. Jesus
In den Jesusbildern der Evangelien begegnet Amen als häufige und breit bezeugte Satzeinleitung Jesu („Amen [doppelt bei Joh], ich sage euch bzw. dir...“; vgl. etwa Mk 3,28
2. Paulus
Wie bereits angedeutet, geben bereits die Paulusbriefe zu erkennen, dass christusgläubige Gruppen Amen als hebräisches Fremdwort in ihrer Gebetspraxis selbstverständlich verwendeten. Im Rahmen seiner Ausführungen zu den Gnadengaben in der Gemeinde formuliert Paulus in 1Kor 14,16
In 2Kor 1,12–2,11
Lässt sich insgesamt feststellen, dass die brieflichen Doxologien mit Amenformel aus dem gleichen Traditionsreservoir wie die Gottesdienstsprache christusgläubiger Gruppen schöpfen (Jonas 47), begegnet im Gal die Strategie, literarische und performative Ebene im Sinne der Briefpragmatik kurzzuschließen (Sänger 2004/2007). Unter den erhaltenen Paulusbriefen schließt nur der Gal mit einem Amen (Gal 6,18
3. Nachpaulinische Briefe
In der späteren Briefliteratur begleitet das Amen als fixes Element die Weiterentwicklung der Doxologie. Eph 3,20f
4. Johannesoffenbarung
Passend zur reichlichen Verwendung alttestamentlich-frühjüdischer Tradition sowie zum Arrangement aus apokalyptischem, prophetischen, brieflichen und liturgischen Elementen (Labahn 399) begegnet in der Johannesoffenbarung ein häufiger und mehrgestaltiger Amen-Gebrauch. Nach einer Überschrift mit Lese- und Verstehensanweisung (Offenb 1,1–3
Der den Hauptteil der Schrift bildende Reigen von Visionen (Offenb 4,1–22,5
Innerhalb des Briefformulars [https://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/neuestestament/offenbarung/] der Sendschreiben (Offb 2,1–3,22
In der dialogisch gestalteten Abschlusspassage der Johannesoffenbarung (Offenb 22,6–21
5. Ausblick
Während ein Amen als Textschluss (vgl. 3Makk 7,23
Der → Erste Clemensbrief verwendet analog zum in ntl. Schriften begegnenden Gebrauch mehrfach Amen als Abschluss von Doxologien (vgl. 1Clem 20,12; 32,4 etc.). Auch das umfangreiche Fürbittengebet in 1Clem 59,2–61,3 endet mit einer auch christologisch erweiterten Doxologie mit Amen-Schluss (vgl. Jud 25; Röm 16,27 [sekundär]). Die → Didache reguliert im Rahmen eines liturgischen Abschnitts (Did 7–10) auch gottesdienstliche wie private Gebete. Auffälligerweise bleiben alle Schlusdoxologien ohne Amen, auch die des Vatergebets (Did 8,2; vgl. Mt 6,13
Amen spielt eine wichtige Rolle im außergewöhnlichen Tanzhymnus der Johannesakten (ActJoh 94– 96) innerhalb des Offenbarungsberichts des „Johannes“. Jesus leitet ihn vor seiner Auslieferung folgendermaßen ein: „Er befahl uns nun, einen Kreis zu bilden, indem wir einander an den Händen hielten, trat er selber in die Mitte und sagte: ‚Respondiert mir mit Amen!‘ Er begann also einen Hymnus zu singen und zu sagen: ‚Ehre sei dir Vater!‘ Und wir bildeten einen Kreis und respondierten ihm mit Amen. ‚Ehre sei dir, Logos! Ehre sei dir, Gnade!‘ – ‚Amen‘ (ActJoh 94)“. Es folgen 26 weitere Ich-Aussagen Jesu unterschiedlicher Ausrichtung, nicht mehr alle doxologisch wie zu Beginn. Sie werden jeweils mantraartig mit Amen beantwortet (z.B. „‚Fliehen will ich und bleiben will ich‘ – ‚Amen‘ [ActJoh 95]“). Es folgt dann eine längere durchgehende Gebetspassage, die mit einer Doxologie (auffälligerweise ohne Ewigkeitsformel) und Amen endet.
Das später allgemein übliche Amen als Abschluss einer Predigt ist im 2. Jh. bei Meliton von Sardis belegt (De passa 105). In seiner Beschreibung der christlichen Gottesdienste erläutert der Apologet Justin (Apol 65.67): „Darauf [sc. nach dem Eucharistiegebet und dem Heiligem Kuss] werden dem Vorsteher der Brüder Brot und ein Becher mit Wasser und Wein gebracht; der nimmt es und sendet Lob und Preis dem Allvater durch den Namen des Sohnes und des Heiligen Geistes empor und spricht eine lange Danksagung dafür, dass wir dieser Gaben von ihm gewürdigt worden sind. Ist er mit den Gebeten und mit der Danksagung zu Ende, so gibt das ganze Volk seine Zustimmung mit dem Worte ‚Amen‘.“ Letzteres wird übersetzt („Dieses Amen bedeutet in der hebräischen Sprache soviel wie: Es geschehe! [Apol 65]“), um Inhalte und Hintergründe des Rituals vollständig offenzulegen (Lindemann 906).
Dass angesichts der häufigen Verwendung eines hebräischen Fremdworts der Magie-Vorwurf nicht fernlag, illustrieren (spätere) Papyri, in denen Amen als Teil privater Frömmigkeitsäußerungen begegnet. So heißt es auf einem Amulett für ein Haus und seine Bewohner (4./5. Jh.): „… bewahr dieses Haus samt seinen Bewohnern vor allem Übel, vor aller Neidsucht der Luftgeister und bösem Blick der Menschen … Schütze mich, Herr, leiblicher Sohn Davids, geboren von der hl. Jungfrau Maria, heiliger, höchster Gott, aus dem hl. Geist. Preis dir, himmlischer König. Amen, A † 0, Chr(istus), A † O . Fisch (PGrM 3 Preisendanz II 210f).“ Gemäß einem weiteren Papyrus spielte Amen auch im Kontext von Fluchübernahmen und -androhungen eine Rolle: „Ich beschwöre euch alle, die ihr vor Solomon den Eid geleistet habt: nicht schädigt einen Menschen, nicht im Feuer, nicht [im Wasser] tut ihm übel, durch den Eid fürchtend das Amen und das Halleluia und das Evangelium des
Herrn, der gelitten hat um uns, der Menschen willen (PgrM 10 Preisendanz II 218f).“ Die rabbinische Literatur thematisiert mehrfach den Umgang mit Amen in deskriptiver wie präskriptiver Absicht. So heißt es im Zusammenhang mit der Beschreibung der Synagoge Alexandrias, in der Mitte stehe eine Holztribüne, von welcher nach jeder Benediktion ein Tuch geschwenkt werde als Zeichen für die Amen-Antwort (Tosefta, Sukka 4,4). Die Auskunft, im Jerusalemer Tempel sei Amen nicht die gebräuchliche liturgische Antwort gewesen, dürfte weniger historisch als vielmehr im Sinne einer Abgrenzung von einer umfassenden christlichen Amen-Verwendung zu verstehen sein (Talmud-Traktat Taantih [16b]). Das Tosefta-Traktat Megilla (3,16) plädiert dafür, dass der Vortrag einer Benediktion nicht mit Amen enden, sondern vielmehr der Antwortcharakter auf Seiten der Hörerschaft gestärkt werden solle. Offenbar waren analog zur altkirchlichen Praxis beide Modelle verbreitet. Den Aspekt der inhaltlichen Zustimmung eines Amen im Außenkontakt betont das Mishna-Traktat Berachot (8,8): Spreche ein Israelit den Segen, antworte man getrost mit Amen; sei es ein Samaritaner, höre man den gesamten Segen an und überlege, ob man mit Amen beipflichte. Im Islam ist āmīn ein wichtiger Gebetsschluss (Akasoy).
Literatur
Lexikonartikel
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