Deutsche Bibelgesellschaft

Akten des Andreas und Matthias in der Stadt der Anthropophagen

(erstellt: Februar 2016)

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1. Einleitung

Mit dem Titel „Akten des Andreas und Matthias“ wird heutzutage eine Reihe von Erzählungen über die Abenteuer der → ApostelAndreas und Matthias bezeichnet. Die Erzählungen sind in teilweise voneinander abweichenden schriftlichen Fassungen überliefert und liegen in mehreren Sprachen vor. Insofern handelt es sich nicht um einen fixierten „Text“, sondern um eine dynamische narrative Story, die immer wieder in Variationen neu erzählt wurde, was sich dann auch in die schriftlichen Fixierungen niedergeschlagen hat.

2. Aufbau und Inhalt

Hier wird der Inhalt einer Fassung der Andreas-Matthias-Story kurz dargestellt. Der folgende Inhaltsüberblick folgt der von Bonnet und MacDonald edierten Manuskripte (Bonnet, 1959; MacDonald, 1990).

Nach Jesu Auferstehung wird der Apostel Matthias durch das Los bestimmt, zu einer Stadt von Menschenfressern (Anthropophagen) zu gehen, um dort Jesus zu verkündigen (1). Die Einwohner der Stadt nehmen ihn aber gefangen und beabsichtigen, ihn zu fressen. Auf seine → Gebete hin verspricht ihm Jesus, Andreas zu senden, um ihn zu retten (2-3).

Schließlich erscheint Jesus Andreas und schickt ihn in die Stadt der Anthropophagen (4). Andreas steigt mit seinen Jüngern in ein → Boot; der Steuermann ist Jesus, der vom Apostel nicht erkannt wird (5). Während der Fahrt stellt der Steuermann dem Andreas einige Fragen über Jesus (10-11). Warum hätten die → Juden damals gesagt, Jesus sei Mensch und kein Gott? Habe er dann keine Zeichen getan? Andreas reagiert, indem er von den damaligen → Wundern Jesu berichtet (vgl. die jetzt kanonischen → Evangelien). In vielen Fassungen der AAndMatt (vgl. MacDonald, 1990, 46-47; Hilhorst and Lalleman, 2000, 4), erzählt Andreas an dieser Stelle auch von einem besonders faszinierenden Zeichen, das Jesus vor seinen Jüngern und den → Hohepriestern gewirkt habe (11-15): in einem heidnischen Tempel habe Jesus eine Sphinx-Figur aufgefordert, den Priestern seine Göttlichkeit zu beweisen. Daraufhin habe die Sphinx zu reden begonnen und erklärt, dass er der Gott sei, der die Menschen geschaffen habe, der Gott, den → Abraham, → Isaak und → Jakob gekannt hätten. Danach befahl Jesus der Sphinx, sie solle die drei → Patriarchen rufen, um ihre Aussage zu bestätigen. Trotz dieser Zeichen hätten die Hohepriester allerdings nicht geglaubt, dass Jesus Gott sei.

Nach diesem Gespräch schläft Andreas ein und wird von → Engeln zur Stadt der Menschenfresser gebracht (16). Dort befreit er Matthias und die anderen Gefangenen (19-21). Er verhindert, dass die Anthropophagen Leichen, alte Leute und Kinder verzehren (22-23) und lässt sich auf die Anweisung Jesu hin widerstandslos durch die Einwohner der Stadt festnehmen (24-25). Während er durch die Stadt geschleift wird, wachsen an den Stellen, wo sein Fleisch und sein Haar herunterfallen, Obstbäume. Später erscheint Jesus dem Andreas im Gefängnis und heilt seine Wunden (29).

Andreas fordert eine Statue auf, Wasser auszugießen, woraufhin sowohl die Einwohner der Stadt als auch deren Tiere ertrinken (29-30). Als diejenigen, die noch am Leben sind, Reue zeigen, lässt Andreas auch die → Toten auferstehen. Die Henker und ein alter Mann, der vorher seine eigenen Kinder den anderen Anthropophagen übergeben hat, um sich selbst zu retten, werden dabei vorübergehend in einen Abgrund heruntergezogen (31-32).

Nachdem eine Kirche gebaut wurde und viele getauft wurden, verlässt Andreas die Stadt, obwohl ihn die neuen Jesusanhänger anflehen, noch länger zu bleiben (32). Die Erzählung endet damit, dass Jesus Andreas zurückschickt (33).

3. Christologie und Charakterisierung

Zu den faszinierenden Aspekten der oben zusammengefassten Andreas-Matthias-Erzählung gehört die Darstellung des Jesus, Andreas und → Satans.

3.1. Jesusbild

In der Sphinx-Szene wird Jesus direkt mit dem Gott des „Alten Testaments“ identifiziert (11-15). Er wird als Schöpfer dargestellt, den Abraham, Isaak und Jakob gekannt haben und (in lateinischen Fassungen) der dem → Volk in der → Wüste Wasser gegeben hat. Eine solch direkte Identifizierung Jesu mit dem Schöpfergott und dem Gott des → Volks Israel tritt im → Neuen Testament nicht auf.

Auch in anderen Szenen wird die Göttlichkeit Jesu hervorgehoben. Im Gespräch zwischen Andreas und dem Steuermann wird diese mit dem Wirken irdischer Wunder begründet, sowie in der weiteren Erzählung durch dessen Fähigkeit, in verschiedenen Gestalten zu erscheinen.

Ferner ist der Jesus der AAndMatt nicht nur eine Erinnerungsfigur aus der Vergangenheit, sondern ein lebendiger Charakter, der persönlich an der Handlung teilnimmt. Er erscheint seinen Aposteln in variierenden Gestalten, um sie zu ermutigen und Anweisungen zu erteilen (3, 4, 5, 18, 24, 29, 33). Durch derartige Szenen werden mehrere Aspekte, die den Charakter Jesu beschreiben, in den Vordergrund gerückt: Jesus ist zu jeder Zeit bei den Seinen und verlässt sie auch in schwierigen Situationen nicht, und in der Erzählung bestimmt Jesus den Gang der Ereignisse.

3.2. Andreasbild

Andreas wird als gehorsamer Apostel dargestellt, der Anweisungen Jesu stets befolgt. Am deutlichsten kommt dies in der Szene zum Tragen, in der Andreas sein Leiden annimmt und erträgt (24-28). Obwohl Andreas die Macht gegeben wäre, dieses Leiden zu vermeiden, nimmt er es dennoch auf sich, weil Jesus es von ihm so forderte. Insofern wird Andreas als ein wahrer → Nachfolger Jesu vorgestellt, da er wie Jesus selbst auch freiwillig gelitten hat (18).

Obwohl Andreas nur als Mensch dargestellt wird (4), kann er mehrere strafende und heilende Wunder wirken (29-32). Zu seiner Rolle als Apostel gehört zudem die Erzählung von Jesu Worten und Taten (8-15), sowie das Bauen einer Kirche für die inzwischen bekehrten Einwohner der Stadt (32). Andreas erfüllt somit die Aufgaben eines Apostels, auch wenn seiner Figur die Schwäche des Jähzorns anhaftet (33).

3.3. Satansbild

Als Gegenspieler des Andreas tritt der → Satan auf. Er erscheint in der Gestalt eines alten Mannes und versucht die Bewohner der Stadt zum Mord an Andreas anzutreiben (24). Dabei wird die Ohnmacht des Satans hervorgehoben. Denn er selbst kann Andreas nicht sehen, sondern lediglich seine Stimme hören. Als er später seinen → Dämonen befiehlt, Andreas zu töten, gelingt auch dies nicht, weil die Dämonen vor dem auf der Stirn angebrachten → Siegel bzw. Kreuzzeichen des Andreas zurückschrecken (27). Die Tatsache, dass Andreas und die Heiligen dem Satan unsichtbar sind, dient wohl der Ermutigung der intendierten LeserInnen. Weil sie Jesus gehören, können der Teufel und seine Diener nicht Hand an sie legen. Die bösen Mächte können zwar (nicht-christliche) Menschen zu unmenschlichen Taten wie Kannibalismus antreiben (20) und die Anhänger Jesu verspotten (26), ihnen jedoch nichts antun.

4. Fassungen

Über die Jahrhunderte haben Erzählungen, in denen der Apostel Andreas seinen Kollegen Matthias rettet, eine weite Verbreitung gefunden. Die Story ist oft überarbeitet worden und ist jetzt in mehreren teilweise voneinander abweichenden Variationen bekannt. Die frühesten schriftlichen Andreas-Matthias-Erzählungen waren wohl auf Griechisch geschrieben. Fassungen im Lateinischen, Koptischen, Arabischen, Äthiopischen, Armenischen, Syrischen und Angelsächsischen sind auch bekannt (Prieur, 1989, 142-44). Aus dem 10. bis 16. Jh. sind mehrere griechische Handschriften (→ Bibeltext / Textkritik) bezeugt (Bonnet, 1959, xix). Zudem existieren prosaische und dichterische lateinische Fassungen (Blatt, 1930).

Ein Merkmal, das zahlreiche Fassungen voneinander unterscheidet, ist der Name der Stadt. In den meisten griechischen Manuskripten, die die oben zusammengefasste Fassung der Story bezeugen, wird kein Stadtname angegeben. In verwandten griechischen Erzählungen wie bspw. dem Martyrium Matthaei, sowie in lateinischen und angelsächsischen Variationen wird die Stadt auf sehr unterschiedliche Weise bezeichnet. Es treten Namen wie Mermedonia, Myrmidona, Myrnē, Myrmēkē, Smyrmēnē, Smyrna und weitere Varianten von diesen auf (MacDonald, 1990, 7-8.65-66). Die unterschiedliche Namensverwendung deutet wohl darauf hin, dass die Ausgangsvariante(n) des Namens nicht lokalisierbar waren und man manchmal versucht hat, die Stadt mit einem Ort in der realen Welt zu identifizieren (bspw. → Smyrna, Sinope, → Skythien; (vgl. Gutschmid, 1864, 392-95; MacDonald, 1990, 8-10; Prieur, 1989, 68-72). Es ist jedoch durchaus plausibel, die Stadt als eine zunächst fiktionale Erfindung zu betrachten.

5. Verhältnis zu den Andreasakten und Datierung

Eine sehr kurze lateinische Fassung der Andreas-Matthias-Story steht am Anfang eines von Gregor, dem Bischof von Tours, im späten 6. Jh. niedergeschrieben Werks, das eine Reihe von kurzen Andreaserzählungen enthält (Edition: Bonnet, 1885, 827ff; MacDonald, 1990; vgl. Klauck, 2005, 147). Dies wirft die Frage auf, ob die frühesten schriftlichen Fassungen der Andreas-Matthias-Story schon Bestandteil längerer Erzählungen über Andreas waren, in denen auch sein Märtyrertod (→ Märtyrer) geschildert wurde. Einige in späterer Zeit entstandenen Werke, die sowohl die die Andreas-Matthias-Story als auch andere Andreaserzählungen erwähnen, könnten die Hypothese stützen (MacDonald, 1990, 20.23-27). Ferner bleiben Ankündigungen in einigen Fassungen der Andreas-Matthias-Story am Ende der Episode unerfüllt. In einigen Versionen bspw. verspricht Andreas später zur Stadt zurückzukommen und mehrere Menschen aus dem → Hades heraufzuholen (31). Von solch einer Rückkehr wird jedoch nichts mehr berichtet. Es stellt sich also die Frage, ob das Ende der Erzählung der frühesten Fassungen verloren ging (Lipsius, 1883, 553; MacDonald, 1990, 16-19; Roig Lanzillotta, 2007, 53). Eine solche narrative Kohärenz ist jedoch nicht unbedingt zu erwarten. Zudem wäre es noch unklar, wie diese frühesten Erzählungen sich fortsetzten, und ob sie das → Martyrium des Andreas schilderten (vgl. Flamion, 1911, 272).

Gegen ein frühes enges Verhältnis zwischen der Andreas-Matthias-Story und den anderen von Gregors Werk bekannten Andreaserzählungen können Unterschiede in Themen und Figurenkonstellation genannt werden. Letztere sagen nichts über Matthias, und weichen von den vorhandenen Fassungen der Andreas-Matthias-Story auch auf andere Weise ab (Hilhorst and Lalleman, 2000; Prieur, 1989, 32-35).

Letztendlich sind allerdings keine dieser Argumente entscheidend. Zum einen hätte Gregor oder ein früherer Vorgänger Andreaserzählungen von unterschiedlichen Quellen zusammenstellen können. Die Tatsache, dass sich diese Erzählungen manchmal in demselben Werk wiederfinden, deutet nur darauf hin, dass sie bereits im 6. Jh. und wohl schon früher zusammen im Umlauf waren, nicht jedoch, dass dies von Anfang an so der Fall war (vgl. Prieur, Semeia, 28). Ferner sind stilistische und thematische Unterschiede zwischen den vorhandenen Fassungen der Andreas-Matthias-Story und anderen Andreaserzählungen für die Frage nach den frühesten Fassungen nur von begrenzter Bedeutung. Diese Erzählungen wurden immer wieder überarbeitet, was eine Rekonstruktion der „frühesten“ Formen unmöglich macht. Die stilistischen Unterschiede hätten auch während des Überlieferungsprozesses entstehen können.

Eine zufriedenstellende Lösung dieses Dilemmas wird nicht erreicht werden, es sei denn, dass neue Handschriften etwa aus dem 3. Jh. entdeckt werden. Jedenfalls muss bei der Interpretation der Erzählungen berücksichtigt werden, dass die noch vorhandenen Handschriften (→ Bibeltext / Textkritik) der Andreas-Matthias-Story eine sogenannte "früheste" Fassung nicht direkt wiedergeben (Lipsius, 1883, 557; vgl. MacDonald, 1986, 15).

Wie die obige Diskussion zeigt, ist die Frage nach der Datierung der einzelnen Fassungen der Andreas-Matthias-Story kompliziert. Eine Andreas-Matthias-Erzählung musste spätestens im 6. Jh. (d.h. vor Gregor) in schriftlicher Form existieren. Ob diese Erzählung alle Elemente der oben zusammengefassten Fassung der Story enthielt bleibt allerdings unklar (Roig Lanzillotta, 2006). Die unterschiedlichen Fassungen der Story sind jedenfalls einzeln zu datieren.

Literaturverzeichnis

1. Textausgaben und Übersetzungen

  • Blatt, F., 1930, Die lateinischen Bearbeitungen der Acta Andreae et Matthiae apud anthropophagos, Giessen. (Lateinische Textausgabe)
  • Bonnet, M., 1959 (1898), Acta Apostolorum Apocrypha, Band 2,1, Darmstadt, xix-xxiv.65-116. (Griechische Textausgabe)
  • Bonnet, M., 1885, Liber de miraculis beati Andreae apostoli, in: Monumenta Germaniae historica. Scriptores rerum Merovingicarum, Band 1,2, Hannover, 821-46 (Lateinische Textausgabe)
  • MacDonald, D.R., 1990, The Acts of Andrew and the Acts of Andrew and Matthias in the City of the Cannibals (Texts and Translations 33, Christian Apocrypha 1), Atlanta. (Textausgabe und englische Übersetzung)
  • MacDonald, D.R., 2005, The Acts of Andrew (Early Christian Apocrypha 1) Salem. (Englische Übersetzung)
  • Prieur, J.-M., 2005, Actes d’André et Matthias, in: P. Geoltrain / J.-D. Kaestli (Hgg.), Écrits apocryphes chrétiens, Band 2, Paris, 485-519. (Französische Übersetzung)

2. Weitere Literatur

  • Baumler, E.B., 1985, Andrew in the City of the Cannibals. A Comparative Study of the Latin, Greek, and Old English Texts, PhD-Dissertation, University of Kansas
  • Flamion, J., 1911, Les Actes Apocryphes de l’Apôtre André. Les Actes d’André et de Mathias, de Pierre et d’André et les textes apparentés, Louvain
  • Gutschmid, A. von, 1864, Die Königsnamen in den apokryphen Apostelgeschichten. Ein Beitrag zur Kenntniss des geschichtlichen Romans, in: Rheinisches Museum für Philologie 19, 161-183, 380-401
  • Hilhorst, A. / Lalleman, P.J., 2000, The Acts of Andrew and Matthias. Is It Part of the Original Acts of Andrew? in: J.N. Bremmer (Hg.), The Apocryphal Acts of Andrew (Studies on the Apocryphal Acts of the Apostles 5), Leuven, 1-14
  • Klauck, H.-J., 2005, Apokryphe Apostelakten, Stuttgart, 147-49
  • Lipsius, R.A., 1883, Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden. Ein Beitrag zur altchristlichen Literaturgeschichte, Braunschweig, 546-557.586-587.598-601
  • MacDonald, D.R., 1986, The Acts of Andrew and Matthias and the Acts of Andrew, in: Semeia 38, 9-26.35-39
  • MacDonald, D.R., 1994, Christianizing Homer. The Odyssey, Plato, and the Acts of Andrew, New York
  • Nicklas, T., 2007. Zaubertränke, sprechende Statuen und eine Gefangenenbefreiung. Magie und Wunder in den Akten des Andreas und Matthias, in: Annali di storia dell' esegesi 24, 485-500
  • Prieur, J.-M., 1986, Response, in: Semeia 38, 27-33
  • Prieur, J.-M. (Hg.), 1989, Acta Andreae (CChrSA 5), Turnhout
  • Reinach, S., 1904, Les apôtres chez les anthropopages, in: Revue d’histoire et de la littérature religieuse 9, 305-20
  • Roig Lanzillotta, L., 2006, Cannibals, Myrmidonians, Sinopeans, or Jews? The Five Versions of the Acts of Andrew and Matthias and Their Sources, in: M. Labahn / B. Peerbolte (Hgg.), Wonders Never Cease. The Purpose of Narrating Miracle Stories in the New Testament and Its Religious Environment (LNTS 288), London, 221-43
  • Roig Lanzillotta, L., 2007, Acta Andreae Apocrypha. A New Perspective on the Nature, Intention and Significance of the Primitive Text (Cahiers d’orientalisme 26), Geneva
  • de Santos Otero, A., 19895, Acta Andreae et Matthiae apud anthropophagos, in: W. Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen, Band 2, Tübingen, 399-403

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