Deutsche Bibelgesellschaft

Serubbabel

(erstellt: November 2013)

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Serubbabel war ein Abkömmling der Davidischen Dynastie und in frühnachexilischer Zeit (Ende 6. Jh. v. Chr.) beim Wiederaufbau Jerusalems eine Führungspersönlichkeit, von der das → Esra-Nehemia-Buch sowie die Bücher der Propheten → Haggai und → Sacharja ein unterschiedliches Bild entwerfen. Er wird mit der Rückführung von Exulanten aus Babylonien in Verbindung gebracht, gilt zusammen mit → Jeschua als Verantwortlicher für den Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels und kann sogar als königlich-messianischer Herrscher propagiert werden.

1. Name

Der Name Serubbabel (זְרֻבָּבֶל Zərubāvæl) stellt vermutlich eine Hebraisierung des akkadisch gut belegten Namens zēr-bābili „Spross Babels“ dar. Meist wird angenommen, dass der Name auf seinen Geburtsort Babel hinweise. In der Erzählung von einer Symbolhandlung in Sach 6,9-14 ist mit dem (messianischen) „Spross“ (צֶמַח ṣæmaḥ; s.u. 2.3.) sehr wahrscheinlich Serubbabel, der „Spross Babels“, gemeint.

Der Name wird in der → Septuaginta mit Zoροβαβελ Zorobabel wiedergegeben (s. auch Sir 49,11f. [Lutherbibel: Sir 49,13f.]), in der Vulgata mit Zorobabel.

2. Die biblische Figur

Serubbabel wird in der Hebräischen Bibel 22-mal erwähnt, in der Septuaginta 34-mal. Im Neuen Testament erscheint Serubbabel nur in den Stammbäumen Jesu als davidischer Vorfahre (Mt 1,12f.; Lk 3,27). Er ist der letzte im Alten Testament genannte Spross der Davidischen Dynastie. Im Einzelnen wissen die biblischen Bücher Unterschiedliches über Serubbabel zu berichten.

2.1. Im Esra-Nehemia-Buch

Im Esra-Nehemia-Buch wird Serubbabel als Enkel → Jojachins, des letzten legitimen Königs des Südreichs eingeführt. Dabei wird er als Sohn → Schealtiëls (Esr 3,2.8; Esr 5,2; Neh 12,1) oder ohne Nennung des Vaters (Esr 2,2; Esr 4,2.3; Neh 7,7; Neh 12,47) vorgestellt. Vor allem verbindet sich mit ihm die Organisation des Wiederaufbaus des Tempels, die von großen Schwierigkeiten begleitet war (Esr 3,1-4,5; Esr 5,1f.; Esr 6,7):

2.1.1. Rückführung der Exulanten. In der Liste der Heimkehrer (Esr 2,2; Neh 7,7; → Rückwandererliste) erscheint Serubbabel über die einleitende Formulierung „(alle), die mit Serubbabel kamen…“ als die Figur, die die Rückkehr der Exulanten anführte. Die Rückführung der Exulanten geschah demnach zur Zeit Darius’ I. Diese Darstellung steht in einem gewissen Widerspruch zu Aussagen in Esr 1,7-11; Esr 5,14-15, nach denen → Scheschbazzar bereits zur Zeit Kyros’ II. (538 v. Chr.) die erste Rückwanderungswelle angeführt haben soll bzw. als persischer Kommissar für die Rückführung eingesetzt war (s.u. 3.2.).

2.1.2. Wiederaufbau des Tempels. Zusammen mit → Jeschua (יֵשׁוּעַ ješûa‘), dem im babylonischen Exil geborenen und aus priesterlicher Linie stammenden Sohn des Jozadak (Esr 3,2; Esr 5,2; Esr 10,18; vgl. 1Chr 5,40f.), soll Serubbabel den Tempelbau vorangetrieben haben. Dies steht in einer gewissen Spannung zur Zuschreibung der Grundsteinlegung des Tempels an Scheschbazzar, von der rückblickend in Esr 5,16 berichtet wird (s.u. 3.2.).

Nach Esr 4,1ff. kommt es im Anschluss an die Grundsteinlegung des Tempels zum Widerstand gegen den Tempelbau: Eine unspezifisch als „Gegner Judas und Benjamins“ bezeichnete Gruppe (Esr 4,1) möchte sich an der Restaurierung des Tempels beteiligen. Dieses Gesuch wird aber von Serubbabel abgelehnt: Der königliche Auftrag zur Tempelrestauration (Esr 1,1ff.; → Kyros II.; → Kyrosedikt) beziehe sich nur auf die Jerusalemer Kultgemeinde (Esr 4,3). In der Folge kommt es zu fortgesetzten Widerständen gegen den Tempelbau (in der stark ideologischen Darstellung des Esra-Nehemia-Buchs zieht sich dieser Widerstand bis in die Regierungszeit Artaxerxes I. [456-424/23 v. Chr.]; Esr 4,6-23). Deshalb ruhen die Arbeiten am Tempel zunächst und können erst im 2. Jahr Darius’ I. (522/21-486 v. Chr.) fortgesetzt und beendet werden (Esr 4,24; Esr 5-6).

Der in Esr 6,7 von König Darius I. bestimmte persische Beamte (פֶּחָה pæḥāh) für den Tempelbaus, der dort allerdings unbenannt bleibt, wird in der Regel mit Serubbabel in Verbindung gebracht. Dies könnte bedeuten, dass Serubbabel in der Jerusalemer Gemeinde eine offizielle Funktion hatte. Vielleicht war er Statthalter der persischen Provinz Jehud (s.u. 3.3.), zumindest aber eine Art Sonderkommissar (Donner; Alt), der von der persischen Regierung mit der Tempelrestauration betraut war.

Auffällig ist, dass der Tempelbau in der Erzählung Esr 1-6 zwar vollendet wird, dass Serubbabel als Hauptfigur im entsprechenden Bericht Esr 6,13-22 jedoch nicht mehr auftaucht. Sein Schicksal bleibt unklar und bietet Anlass für eine Vielzahl von Spekulationen.

2.2. In den Chronikbüchern

In den → Chronikbüchern erscheint Serubbabel nur in den genealogischen Aufzählungen. Nach 1Chr 3,19 ist als Vater Serubbabels allerdings nicht Schealtiël (Esra-Nehemia-Buch; Haggai; Sacharja), sondern dessen Bruder Pedaja anzusehen (zum Problem und Lösungsansätzen Rothenbusch 2007, 219; dort weiterführende Literatur).

2.3. In den Büchern Haggai und Sacharja

Wie im Esra-Nehemia-Buch gilt Serubbabel auch bei → Haggai und → Sacharja als Sohn Schealtiëls sowie Enkel Jojachins (Hag 1,1.12.14; Hag 2,2.23) und damit als Spross aus dem Hause Davids. Die Nennung des Vaters fehlt in Hag 2,4.21 (in V. 21 findet sie sich in der LXX) und Sach 4,6.7.9.10.

Bei Haggai wird Serubbabel als offizieller Amtsträger (פֶּחָה pæḥāh) der persischer Provinz Jehud bezeichnet (Hag 1,1.14; Hag 2,2.21; s.u. 3.2.)

2.3.1. Serubbabel und Joschua. Die prophetische Überlieferung, die in den Büchern Haggai und Sacharja ihren Niederschlag findet, stellt die Rolle Serubbabels im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau des Tempels in besonderer Weise heraus (Hag 1,1.7-15; Hag 2,4; Sach 4,6-10). Wie im Esra-Nehemia-Buch tritt Serubbabel dabei nicht alleine auf, sondern bildet mit Joschua (יְהוֹשֻׁעַ jəhôšua‘; im Esra-Nehemia-Buch: Jeschua) eine Doppelführung. Joschua wird (anders als im Esra-Nehemia-Buch) deutlich als Hoherpriester (הַכֹּהֵן הַגָּדוֹל hakkohen haggᾱdôl) qualifiziert (Sach 6,11) und so zum Ahnherrn der Hohenpriester in nachexilischer Zeit.

2.3.2. Serubbabel als davidisch-messianischer Herrscher und der Wiederaufbau des Tempels. Zugleich wird in beiden Prophetenbüchern die Königsdesignation Serubbabels als davidisch-messianischer Herrscher stark akzentuiert: Serubbabel wird als Anwärter auf den Thron seiner Vorfahren aus dem Haus Davids stilisiert (vgl. Hag 2,20-23; Sach 4,6-14; Sach 6,9-14; ausführlich Rothenbusch 2007; Rothenbusch 2012, 106f). Das letzte Wort des Propheten Haggai ergeht über Serubbabel (Hag 2,20-23) und stellt ihn deutlich in den Zusammenhang messianischer Enderwartungen.

In Hag 2,20-23, Sach 4 wie auch in Sach 6,9-14 wird die messianische Akzentuierung mit seiner entscheidenden Rolle beim Tempelbau in Verbindung gebracht:

Serubbabel wird vom Propheten Haggai am Tag der Grundsteinlegung des Tempels dessen künftige Königsherrschaft angesagt (Hag 2,15-19). Ferner wird Serubbabel in der Weissagung am Ende des Haggaibuchs (Hag 2,20-23) metaphorisch mit dem „Siegelring“ Gottes gleichgesetzt (Hag 2,23). Dieses Bild nimmt Jer 22,24 auf und annulliert damit → Jeremias Gerichtswort über die Davidischen Dynastie. Als Siegelring wird Serubbabel zum Stellvertreter Gottes und zum legitimen davidisch-messianischen Herrscher Judas (ausführlicher zum Folgenden samt Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur: Rothenbusch 2007; vgl. noch Rothenbusch 2012, 106f):

In der fünften Vision Sacharjas (Sach 4) spielen vom Kontext her die beiden → Ölbäume auf die beiden (mit Öl) Gesalbten Akteure Joschua und Serubbebal an (→ Jeschua). Die eingeschobene Kommentierung (Sach 4,6-10a) verbindet den Messias Serubbabel mit dem Tempelbau: Serubbabel habe den Grundstein des Tempels gelegt, weshalb er auch den Aufbau erleben und die Schwierigkeiten um den Tempelwiederaufbau bewältigen werde.

In Sach 6,9-14 wird eine Symbolhandlung Sacharjas berichtet, aus deren Deutewort ersichtlich wird, dass der Hohepriester Joschua stellvertretend für einen nicht namentlich genannten „Spross“ (Sach 6,12: „ein Mann, Spross ist sein Name“) ein königliches Amt bekleiden soll (Sach 6,12f.). Der „Spross“ solle derjenige sein, der den Tempel baut. Rothenbusch konnte zeigen, dass an dieser Stelle auch die Natanverheißung (2Sam 7; → Natan) aufgegriffen wird (Rothenbusch 2007). Der „Spross“ wird damit als König davidischer Provenienz charakterisiert und chiffriert ist mit ziemlicher Sicherheit der Davidide Serubbabel gemeint (mit Rothenbusch 2012, 106). Die Identifizierung wird möglich über ein raffiniertes Wortspiel mit dem Namen „Serubbabel“ (akkadisch: Zēr-Bābili), worin die Metapher vom „Davidspross“ den akkadischen Namensbestandteil zēru „Same / Spross“ aufgreift.

3. Zur historischen Person

3.1. Zu den Problemen der historischen Erschließung

Serubbabel ist außerbiblisch nicht belegt. Seine Historizität wird allerdings in der Regel nicht in Frage gestellt.

Methodisch ist es äußerst wichtig, die Verschiedenheit der biblischen Überlieferungen bei Haggai und Sacharja sowie im Esra-Nehemia-Buch wahrzunehmen und unabhängig voneinander zu betrachten. Mehrheitlich werden in der Forschung die vermeintlich älteren und authentischen Quellen der Haggai / Sacharja-Überlieferung bevorzugt, um die historische Person Serubbabel zu erschließen. Das so gewonnene Grundgerüst wird dann mit Notizen aus dem Esra-Nehemia-Buch angereichert bzw. in einen kritischen Diskurs gebracht. Durch diese Art der Harmonisierung gehen die theologischen Profile und unterschiedlichen Textpragmatiken der biblischen Bücher verloren, die sie in Bezug auf die Akzentuierung der Person Serubbabel besitzen (s.u. 4.). Theologische Profilierungen können auf diese Weise zu vorschnell als historische Traditionen bzw. authentische Erinnerungen aufgefasst werden.

Mit Recht hat Kratz zudem darauf hingewiesen, dass bei der üblich gewordenen Bevorzugung der prophetischen Tradition für die historische Rekonstruktion der Biographie Serubbabels den redaktionellen Prozessen der prophetischen Literatur zu wenig Beachtung geschenkt wird (Kratz 2004, bes. 79). Eine genaue Analyse der Überlieferungsschichten nötigt dazu, klar zwischen historischen und literarischen „Propheten“ zu unterscheiden und die Angaben über Serubbabel entsprechend differenziert zu betrachten. In seinem 2004 publizierten Aufsatz über Serubbabel und Joschua konnte Kratz überzeugend herausarbeiten, dass ein Großteil der Angaben zu Serubbabel (wie auch zu Joschua) redaktionell sind (Kratz 2004). Der historische Wert der Haggai / Sacharja-Überlieferung wird damit erheblich relativiert. Zwar wird man für die historische Rekonstruktion auf die Angaben der Tradition bzw. der Prophetenredaktion angewiesen bleiben, doch lässt sich nur schwer ausmachen, inwieweit diese Traditionen historisch zuverlässige Daten bieten. Im Folgenden einige Orientierungspunkte für eine historische Rekonstruktion der Person Serubbabel:

3.2. Serubbabels Identifikation mit Scheschbazzar?

Weil im Esra-Nehemia-Buch sowohl Scheschbazzar (zur Zeit Kyros II.) als auch Serubbabel (zur Zeit Darius I.) mit der Rückführung der Exulanten sowie dem Tempelaufbau in Verbindung gebracht werden (s.o. 2.1.), wurde in der älteren Forschung häufig eine Identität beider Figuren postuliert (vgl. etwa Bertheau 1862, 24; Schrader 1867, 478.480; van Hoonacker 1901, 7-10; ders., 1892, 42-46). Anlass für diese Identifizierung gab vor allem das Fehlen Scheschbazzars in der Liste der heimgekehrten Exulanten in Esr 2 / Neh 7, wo die Gruppe der Rückkehrer allerdings durch (den unvermittelt auftretenden) Serubbabel angeführt wird.

Doch werden die meisten Schwierigkeiten mit der Identifizierung nicht beseitigt. Schon die regelmäßige Erwähnung der Führungsspitze Serubbabel und Jeschua hat bei Scheschbazzar keine Parallele. Auch die Vermutung, dass dieselbe historische Person zwei Namen hatte (Scheschbazzar als offizieller, Serubbabel als gebräuchlicher Name; Lust 1987; ähnlich Saebø 1989, 174-177), ist nicht nur äußerst hypothetisch, sondern der Gebrauch eines doppelten babylonischen Namens ist auch unüblich (Japhet 1982, 91; Kessler 2002, 64-66). Ferner erklärt die These nicht den Wechsel im Namensgebrauch in Esr 1-6. Die Spannungen lassen sich letztlich wohl nur überlieferungsgeschichtlich klären (ausführlicher zum Problem Rothenbusch 2012, bes. 82f). Eine historische Identität beider Personen ist folglich unwahrscheinlich.

3.3. Serubbabel als persischer Amtsträger (פֶּחָה)

Nach der Darstellung von Haggai / Sacharja soll Serubbabel als offizieller persischer Amtsträger in der Provinz Jehud tätig (פֶּחָה pæḥāh) und somit in offiziellem, d.h. königlichen Auftrag mit der Restauration Judas betraut gewesen sein. Interessanterweise qualifiziert die Esra-Nehemia-Tradition ihn an keiner Stelle explizit als Amtsperson, wohl aber betrachtet sie ihn als Leitungspersönlichkeit in der Aufbauphase der neuen Jerusalemer Kultgemeinde. Von Serubbabel ist nicht bekannt, wann genau er in die Provinz Jehud kam und mit welchem Auftrag er dort agieren sollte.

Welche genaue Amtsfunktion Serubbabel innehatte, ist nicht mit Sicherheit auszumachen. Einige Problemanzeigen im Folgenden:

1. Ob Serubbabel tatsächlich das Amt eines „Statthalters“ innehatte, ist nicht so sicher auszumachen, wie es mitunter in der gegenwärtigen Forschung geschieht. Einen sicheren Beleg für einen Statthalter der persischen Provinz Jehud bietet erst die Erwähnung → Bogoas in den Papyri von → Elephantine (Porten / Yardeni, Textbook of Aramaic Documents A4,7,1/4.8,1 und 4,9,1). Dort wird ein Bittgesuch Jedanjas, seiner Kollegen und der Priesterschaft an den Statthalter von Juda gerichtet, Juda möge doch den um 410 v. Chr. zerstörten Tempelaufbau in Elephantine unterstützen.

2. Der Ausdruck פֶּחָה pæḥāh ist in seiner Bedeutung recht unspezifisch und kann einen Amtsträger auf jeder Stufe der Verwaltungshierarchie bezeichnen (s. Fleishman 1995, 82; Hieke 2005, 110, Rothenbusch 2012, 105 Anm. 105).

3. In diesem Zusammenhang stellt sich zudem die Frage nach dem administrativen Status der persischen Provinz Jehud in frühnachexilischer Zeit. Deutet man Serubbabels Amt als das eines Statthalters (eventuell muss dann Scheschbazzar als sein Amtsvorgänger angesehen werden; dieser wird als Vorgänger Serubbabels und „Fürst für Judas“ [Esr 1,8] charakterisiert), müsste es sich bei Juda schon zu Beginn der Perserzeit um eine selbstständige Provinz gehandelt haben. Der Provinzstatus Jehuds zur frühen Perserzeit ist aber nach heutigem Kenntnisstand nicht mit Sicherheit festzumachen und wird durchaus kontrovers diskutiert (vgl. den Überblick bei Berlejung 2006, 155f sowie Frevel 2008, 679). In Bezug auf Serubbabels Bedeutung als davidischer Herrscher und seine Titulatur wird z.B. diskutiert, ob Jehud in frühpersischer Zeit den Status eines Vasallenkönigtums hatte (so etwa Niehr 1999) oder eine eigenständige Provinz war (eventuell mit Kontinuität zu einem vermuteten eigenständigen Status im babylonischen Verwaltungssystem; Schaper 2000, 201.205; Grabbe 2004 und viele andere). Ein historischer Bezug zur Figur Serubbabel ist nicht ausgeschlossen, muss aber mangels externer Belege spekulativ bleiben.

4. Will man die Eigenständigkeit der Provinz Jehud in der frühen Perserzeit nicht postulieren, erfolgt häufig eine Einengung der Bedeutung des Begriffes פֶּחָה pæḥāh auf einen bestimmten, klar umrissenen Aufgabenbereich Serubbabels: So wird Serubbabel von → Albrecht Alt als „Repatriierungskommissar“ (Alt 1964, 335) und von Herbert Donner „Sonderbevollmächtigter“ (des Königs für den Tempelbau) bzw. als „Sonderbeauftragter der persischen Zentralregierung“ (Donner 2008, 443f) bezeichnet. Diese Überlegungen finden wenig Rückhalt in den Texten, die ja gerade Serubbabels zentrale Rolle für den Wiederaufbauprozess herausstellen.

3.4. Serubbabel und der Tempelbau

Im Esra-Nehemia-Buch wie in Haggai / Sacharja wird Serubbabels zentrale Rolle beim Wiederaufbau des Tempels betont, was historisch nicht unplausibel zu sein scheint. Im Rahmen von Forschungshypothesen, die die sog. aramäische Quelle (Esr 4,8*-6,16*) als ursprünglichen Teil des Esra-Nehemia-Buches ansehen, wurde häufig jedoch darauf hingewiesen, dass Serubbabel in den vermutlich ältesten Textabschnitten des Esra-Nehemia-Buches (Esr 5,3-6,16) überhaupt nicht mit dem Tempelbau in Verbindung gebracht wird. Die Verknüpfung geschehe wohl erst auf einer jungen Stufe der Redaktion, die auch den Zusammenhang mit der priesterlichen Figur Jeschua herstelle (Rothenbusch 2007, 219, dort mit weiterer Literatur). Folgerichtig wird dann auch vermutet, dass es sich bei der Erwähnung des namenlosen persischen Beamten in Esr 6,7 um einen kontextuellen Ausgleich gegenüber der aramäischen, als ursprünglich angesehenen Erzählung 5,3-6,15 handeln könne (etwa Rudolph 1949, 56). Dieser Ausgleich wolle nachträglich Serubbabel mit der Tempelrestauration verknüpfen.

4. Serubbabel als Messiasfigur

Die Prophetenbücher Haggai und Sacharja haben in ihrer Darstellung des Tempelaufbaus ein deutlich politisch ambitioniertes Profil, in das sich die Darstellung Serubbabels sehr gut einfügt: Dort wird er als davidischer Herrscher mit messianischen Zügen inszeniert, als höchster und offizieller politischer Akteur ausgewiesen („Statthalter Judas“), der an der Seite des Hohenpriesters (als Repräsentant der religiösen Ordnung) den Tempel wieder aufbaut (Sauer 1967; Seybold 1989). Der Tempelaufbau bekommt hier eine religiöse wie politische Dimension für das Schicksal „Israels.“ Das persische Großkönigtum erscheint lediglich Rand im chronologischen Gerüst der beiden Bücher.

Die Verknüpfung der messianischen Attribute mit dem Tempelbau ist nicht ungewöhnlich: In der Vorstellung des Alten Testaments und des Alten Orients ist der König für den Bau des Tempels, dessen Verwaltung und den Kult zuständig (Lux 2005, 154; Lux 2002). Deshalb werden die messianischen Figuren im Alten Testament auch regelmäßig durch Tempelbaumaßnahmen als solche legitimiert (vgl. David, Salomo, und Serubbabel in Hag 2,20-23). Haggai und Sacharja spitzen somit die messianische Endzeiterwartung dramatisch zu: Serubbabel, der politische und religiöse Führer der Jerusalemer Kultgemeinde, wird das Gottesvolk wieder zu seiner Selbstständigkeit führen. Es mag sein, dass beide Propheten Serubbabel damals in ihrem politischen Programm als endzeitliche Figur etablieren wollten (Seybold 1989 u.v.a.), doch bleibt der Vorbehalt, dass die Zeichnung der Figur Serubbabel als Werk redaktioneller Arbeit anzusehen ist (Kratz 2004).

Völlig anders die Darstellung im Esra-Nehemia-Buch: Dort ist diese messianische Perspektive nicht vorhanden. Serubbabel wird dort als Hauptakteur des Tempelbaus stilisiert, doch fehlen sowohl die politischen (keine Amtsträgerbezeichnung Serubbabels) wie religiösen Konnotationen der Person. Zudem lässt sich die davidische Abstammung Serubbabels nur über die Filiation – und das auf dem Umweg über 1Chr 3,19 (s.o. 2.2.) – erschließen.

Dies könnte in der theologisch-ideologischen Konzeption des Esra-Nehemia-Buches begründet liegen, die den persischen Großkönig de facto als messianische Figur stilisiert, hinter der Serubbabel (literarisch / theologisch) zurücktreten muss: Das Esra-Nehemia-Buch entwirft das Bild einer von königlichen Gnaden restituierten, eingesetzten und protegierten Tora-Gemeinde am Jerusalemer Heiligtum. Nur die auf diese Weise theologisch qualifizierte Jerusalemer Kultgemeinde wird mit dem theologisch (nicht rein politisch) verstandenen Terminus „Israel“ bezeichnet. Garant dieser Gemeinschaftsbildung ist das persische Großkönigtum. Auch die Neugründung des Heiligtums und damit das religiöse Zentrum des als Diaspora-Gemeinde definierten „Israel“ wird deutlich wie in keinem andere biblischen Buch explizit auf die Anordnung des Perserkönigs Kyros bezogen (etwa Esr 1,1ff.; Esr 5,13-18). Kyros erscheint faktisch als Tempelbauer innerhalb des Esra-Nehemia-Buches. Dies legitimiert den persischen Großkönig als messianische Figur, die im Auftrag Gottes die Israel-Gemeinde protegiert.

Dies passt zur Stilisierung des „Messias Kyros“ in den → Chronikbüchern und bei → Deuterojesaja. Zum Bild vom Messias als Tempelbauer kommen in Jes 44,28 das Bild und der Titel „Hirte“, die auf Kyros angewendet werden, und alttestamentlich auch mit der Versorgung des Heiligtums in Verbindung stehen (Ps 78,68-72 und Ez 37,24-28; vgl. 2Sam 5,2; 2Sam 7,7). Hirtenbild wie Hirtentitel werden im Alten Testament nur auf David, seine messianischen Nachkommen und Gott appliziert (Hamp 1949, 7-20). Das Hirtenbild entspricht dabei der altorientalischen Herrschaftssymbolik, die mit ihm der umfassenden Fürsorge für Untertanen („Herde“) Ausdruck gibt (Kratz 1991, 86-91). Zugleich liegt die Bildapplikation auch im Namen selbst begründet: Der elamitische Ausdruck kuraš (altpersisch: kūruš; Kyros) bezeichnet den „Hirten.“ Der „Name“ Kyros ist somit schon ein messianischer Titel, was den biblischen Tradenten die theologische Arbeit mit der Figur des Kyros sicherlich erleichterte. In Jes 45,1 wird Kyros zudem explizit als „Messias“ (מָשִׁיחַ „Gesalbter“) bezeichnet (zum Ganzen s. auch Diebner, 2011).

Kyros wird damit faktisch in die Nachfolge der Davididen gestellt und im Esra-Nehemia-Buch als Tempelbauer inszeniert, der in göttlichem Auftrag (vgl. auch 2Chr 36,23) das Heiligtum erbauen darf.

Wenn es zutreffend ist, dass diese Vorstellungen im Hintergrund des Esra-Nehemia-Buchs stehen, lässt sich begründen, warum die Figur Serubbabels nicht mit messianischen Attributen ausgestattet werden kann: Er wird zugunsten der Figurenzeichnung des Kyros lediglich als ausführendes Organ des Großkönigs dargestellt und handelt in jedem Detail im Auftrag des Messias Kyros. Dies unterstreichen die königlichen Erlasse von Kyros II. und Darius I., die narrativ als (sehr wahrscheinlich fiktive) Quellen präsentiert werden. Hierzu passt, dass Serubbabel beim eigentlichen Tempelbau und dessen Vollendung (Esr 6,13-22) nicht mehr erwähnt wird und aus der Erzählung kommentarlos verschwindet: Kyros baut das zentrale Heiligtum in Jerusalem und wird damit als Messias legitimiert. Serubbabels offizieller Amtsstatus wird wahrscheinlich nicht expliziert, weil er nicht als quasi politische Autorität (wie in Haggai / Sacharja) neben dem Großkönig stehen soll.

Literaturverzeichnis

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