Deutsche Bibelgesellschaft

Scheschbazar

Andere Schreibweise: Scheschbazzar; Sheshbazzar (engl.)

(erstellt: April 2019)

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Scheschbazar war ein Judäer der frühnachexilischen Zeit (spätes 6. Jh.), der nach Aussagen im Buch Esra, die von den → Babyloniern verschleppten Gerätschaften des Jerusalemer Tempels aus dem → Exil zurückgebracht und in Jerusalem die Grundsteinlegung des Tempels organisiert hat. Zudem könnte er ein leitendes Amt innegehabt haben.

1. Name

Die Bedeutung des Namens Scheschbazar (hebr. שֵׁשְׁבַּצַּר Šešbaṣṣar) ist unklar, weshalb man ihn aus anderen Sprachen hergeleitet hat, z.B. aus dem Babylonischen: šamaš-ab-usur „Samas beschütze den Vater“ (Hutter 2001, 472) oder Šin-bal-usur „Sin schütze den Sohn“ (Meyer 1965, 77).

Seit Eduard Meyer gibt es immer wieder Versuche, Scheschbazar als Sohn → Jojachins auszuweisen (Meyer 1965, 75-79). Man bezieht sich dabei auch auf Schenazzar, einen in 1Chr 3,18 erwähnten Sohn Jojachins, und versucht die unterschiedlichen Namen zu harmonisieren.

Daneben hat man vermutet, dass Scheschbazar und → Serubbabel dieselbe Person meinen, wobei die Namen in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet werden (vgl. Sæbø 1989).

In der → Septuaginta wird der Name meist Σασαβασαρ Sasabasar geschrieben, zahlreiche Handschriften weichen davon aber ab.

2. Biblische Figur

Die biblische Figur des Scheschbazar tritt an zwei Stellen des → Esra-Buches auf (Esr 1,8.11; Esr 5,14-16). Esr 1,11 liest sich so, als zöge er an der Spitze der Rückkehrer zurück nach Jerusalem. Auffälligerweise fehlt er in den → Rückkehrerlisten (Esr 2,1f.), wo man ihn eigentlich erwartet hätte. Ihm wird in Esr 1,8 der Titel „Fürst von Juda“ (הַנָּשִׂיא לִיהוּדָה) beigelegt, in Esr 5,14 hingegen die Bezeichnung „Statthalter“ (פֶּחָה).

Insgesamt erhält Scheschbazar zwei Aufgaben: Zuerst werden ihm von → Kyros (vermittels seines Schatzmeisters Mitredat) die Geräte des Tempels ausgehändigt und vorgezählt (Esr 1,8), damit er sie nach Jerusalem bringen kann (Esr 5,14f.). Diese Aufgabe fällt nach Esr 7,19 allerdings → Esra zu. Außerdem soll Scheschbazar die Geräte im Tempel bzw. an der Stelle, an der das Haus Gottes wieder aufgebaut werden soll, ablegen (Esr 5,15). Bis hierhin scheint es, als wären für die Grundsteinlegung und den Tempelbau andere als Scheschbazar zuständig. Nach Esr 5,16 soll er aber selbst die Fundamente des Tempels gelegt haben. Mit ihm werden also die Rückführung der Tempelgeräte und die Anfänge des Tempelbaus verbunden, nicht aber der eigentliche Bau oder die Fertigstellung des Tempels.

3. Literarkritische Erwägungen

Beide Abschnitte, in denen von Scheschbazar die Rede ist, stammen offenkundig von verschiedenen Verfassern, da die Unterschiede anders nicht zu erklären sind (zur Entstehung des Esra-Buches siehe → Esra-Nehemia-Buch). Am plausibelsten scheint es, dass Esr 5 der gebende und Esr 1 der nehmende Text war.

In Esr 1,8 gibt es zwischen Kyros und Scheschbazar noch eine Zwischenperson: Mitredat. Außerdem fehlt dort eine Tempelbau-Notiz. Diese fehlende Notiz kann entweder damit erklärt werden, dass man in Esr 1,8.11 einen Widerspruch zur Rolle Serubbabels und Jeschuas in Esr 3,8 zu vermeiden suchte oder dass die Grundsteinlegung in Esr 5,15f. ein Zusatz von späterer Hand ist. In diesem Fall wäre die Grundsteinlegung – redaktionsgeschichtlich gesehen – nach Esr 1,8.11, aber vor Esr 3,8 eingefügt worden. Allerdings erklärt sich dann nicht, warum man nicht – wie in Esr 5,15f. – auch in Esr 1,8.11 eine Tempelbaunotiz eingefügt hat. So hat die erste Erklärung die größere Wahrscheinlichkeit für sich: Man hat die Grundsteinlegung Scheschbazars in Esr 1,8.11 nicht übernommen, um dem Tempel mit Serubbabel und Jeschua andere Gründungsväter zu geben (vgl. Bortz 2018, 101.179; ganz anders Heckl 2016, 134).

4. Die historische Gestalt Scheschbazars

4.1. Der Titel „Statthalter“ (פֶּחָה)

Die beiden unterschiedlichen Titel, die Scheschbazar erhält – „Fürst von Juda“ (הַנָּשִׂיא לִיהוּדָה) und „Statthalter“ (פֶּחָה) –, bedürfen beide der Erklärung. Man kann in „Fürst von Juda“ die Bestrebung erkennen, dem aramäischen Titel „Statthalter“ (פֶּחָה) ein hebräisches Gegenstück zu geben (vgl. Japhet 1986, 98), oder ihn als „archaisierende[n] Titel“ verstehen (Gunneweg 1985, 48). Jedenfalls findet sich die Bezeichnung הַנָּשִׂיא hannāśî’ „der Fürst“ mehrfach bei → Ezechiel.

Der Statthalter-Titel wirft hingegen die Frage auf, ob das eroberte Juda damals tatsächlich schon eine eigene persische → Provinz gewesen ist. Wäre dies der Fall, wäre Scheschbazar möglicherweise der erste Statthalter der Provinz Juda (so Japhet 1986, 98; Bortz 2018, 103-105) gewesen. Ansonsten wäre er nur „ein Kommissar mit persischem Auftrag“ (Gunneweg 1985, 49) gewesen. Die Quellenlage erlaubt bisher kein abschließendes Urteil in dieser Frage.

4.2. Historizität Scheschbazars

In der Forschung geht man davon aus, dass Scheschbazar eine historische Gestalt ist. Die wenigen Angaben im Esra-Buch, die unterschiedlichen Titel und die möglichen Identifikationen mit anderen biblischen Gestalten wie Serubbabel oder Schenazzar erschweren das Urteil erheblich. Ob er die Tempelgeräte nach Jerusalem gebracht hat, ob er die Fundamente des Tempels gelegt hat, ob er Statthalter einer Provinz Juda war – dies alles bleibt mit großen Unsicherheiten behaftet.

Auf jeden Fall scheint Scheschbazar keine Erfindung des Esra-Buches zu sein, sondern eine – etwas undeutliche – Erinnerung an eine historische Gestalt zu bewahren (vgl. Gunneweg 1985, 48; Kratz 2013, 105).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006

2. Weitere Literatur

  • Bortz, A.M., 2018, Identität und Kontinuität. Form und Funktion der Rückkehrerliste Esr 2 (BZAW 512), Berlin / New York
  • Gunneweg, A.H.J., 1985, Esra. Mit einer Zeittafel von A. Jepsen (KAT XIX/1), Gütersloh
  • Heckl, R., 2016, Neuanfang und Kontinuität in Jerusalem. Studien zu den hermeneutischen Strategien im Esra-Nehemia-Buch (FAT 104), Tübingen
  • Hutter, M., 2001, Art. Scheschbazzar, in: Neues Bibel-Lexikon, Bd. 3, Zürich u.a., 472
  • Japhet, S., 1986, Sheshbazzar and Zerubbabel. Against the Background of the Historical and Religious Tendencies of Ezra-Nehemia, ZAW 98, 66-98
  • Kratz, R.G., 2013, Statthalter, Hohepriester und Schreiber im perserzeitlichen Juda, in: ders., Das Judentum im Zeitalter des Zweiten Tempels (FAT 42), 2. Aufl., Tübingen, 93-119
  • Meyer, E., 1965, Die Entstehung des Judentums. Eine historische Untersuchung (1896). Julius Wellhausen und meine Schrift „Die Entstehung des Judentums“ (1897), Nachdruck: Hildesheim
  • Sæbø, M., 1989, The Relation of Sheshbazzar and Zerubbabel – Reconsidered, SEÅ 54, 168-177

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