Deutsche Bibelgesellschaft

Andere Schreibweise: Jefta; Jephta; Jephtha; Jiftach; Jiphtach; Jephthah (engl.)

(erstellt: Februar 2005)

Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/11695/

1. Der Name Jeftah

Jeftah 1
Der Name Jeftah, hebr. Jiftāch (יִפְתָּח), eine Kurzform von Jiftach-el oder Jiftach-ja, bedeutet „er (scil. die Gottheit) möge öffnen“ oder „hat geöffnet“. „Öffnen“ ist dabei kaum im Sinne von „erretten“ zu verstehen (so allerdings Grünwaldt, BBKL), denn anders als beim → Gideon-Komplex (vgl. bes. Ri 6,9.14-15.36-37; Ri 7,2.7) ist das Errettungsmotiv für den Jeftah-Zyklus nicht prägend. Eher dürfte sich Jiftach auf den Mutterschoß beziehen (vgl. Gen 29,31; Gen 30,22). Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen typischen, auf Empfängnis und Geburt bezogenen Wunsch- oder Dankesnamen, bei dem das theophore (= die Gottheit repräsentierende) Element ausgefallen ist.

2. Jeftah im Richterbuch

Jeftah gehört zu den großen militärischen Anführern, den charismatischen Helden, des alttestamentlichen Richterbuchs. Er begegnet uns dort zugleich als Protagonist eines umfangreichen Erzählzyklus’ (Ri 10,6-12,6) und als Vertreter der sog. ‚kleinen‘ Richter (Ri 12,7). Das jetzige Kompositionsgefüge erweckt den Eindruck, dass Jeftah sich durch sein erfolgreiches militärisches Eintreten für → Gilead zunächst zum Anführer seiner Heimatgegend aufschwingt, um dann schließlich bis zum kleinen Richter aufzusteigen.

2.1. Inhalt und Aufbau des Jeftah-Zyklus

Jeftah 2

Dem Erzählkomplex über Jeftah ist ein umfangreiches geschichtstheologisches Präludium vorangestellt (Ri 10,6-16), das einen Deutehorizont für das nachfolgende Erzählmaterial anbietet und die Jeftah-Episode in einen größeren Zusammenhang einordnet. Sodann wird Jeftah vorgestellt als der uneheliche, von einer → Hure geborene Sohn Gileads, des wirklichen oder erdachten Namengebers einer transjordanischen Bevölkerungsgruppe, die in der gleichlautenden Landschaft angesiedelt ist. Von seinen Halbbrüdern aus der Heimat verdrängt, sammelt Jeftah im Land Tob eine Freischärlertruppe um sich. Als später das Gebiet Gileads von den → Ammonitern bedroht wird, besinnt man sich auf Jeftahs kriegerisches Talent. Die Ältesten versprechen, ihn zum „Oberhaupt von Gilead in Krieg und Frieden“ (Thiel, 149) zu machen, wenn er die Bedrohung abwendet (Ri 10,17-11,11). Als Jeftahs Versuch, mit dem König der Ammoniter zu verhandeln, scheitert (Ri 11,12-28), kommt es schließlich zum Kampf, bei dem Jeftah von seiner eigenen Truppe, den Gileaditern und möglicherweise zusätzlich von Hilfskontingenten aus Manasse unterstützt wird (Ri 11,29). Jeftah legt das Gelübde ab, JHWH im Falle eines Sieges das Lebewesen als Brandopfer darzubringen, das ihm bei seiner Rückkehr als erstes begegnet (Ri 11,30-34).

Jeftah 1

Das Schicksal will es dann, dass dies sein einziges Kind, eine Tochter, ist, die dann tatsächlich als Brandopfer dargebracht wird (Ri 11,34-40). Nach diesen Vorgängen schildert die biblische Darstellung noch einen Konflikt zwischen Jeftah und dem Stamm Ephraim, der angeblich beim Ammoniterkrieg übergangen worden sein soll. Ephraims Versuch, Jeftah zur Rechenschaft zu ziehen, scheitert jedoch und führt die sprichwörtliche → Schibboleth-Szene herbei, die in einem Massaker der Gileaditer an den Ephraimiten gipfelt (Ri 12,1-6). Darauf folgt die Notiz, die Jeftah unter die kleinen Richter einreiht (Ri 12,7).

2.2. Entstehung des Jeftah-Zyklus

Im Jeftah-Zyklus sind mehrere Schichten zu unterscheiden. Wortwahl und Gedankenführung der geschichtstheologischen Vorrede des Jeftah-Zyklus verweisen eindeutig auf deuteronomistische Verfasserschaft. Die primärdeuteronomistische Einleitung (Ri 10,6-10a*) wurde später in Ri 10,10b-16 von sekundärdeuteronomistischer Hand noch breiter ausgestaltet (ähnlich Nentel, 123-125). Deuteronomistischen Ursprungs ist außerdem die sog. ›Beugeformel‹ in Ri 11,33b. Sonst lassen sich kaum Spuren deuteronomistischer Redaktionstätigkeit nachweisen. Ziemlich jung ist der Großteil der Verhandlung Jeftahs mit dem Ammoniterkönig in Ri 11,12-28. Altes Material dürfte der Abschnitt, der sich leicht als schriftgelehrte Pentateuchexegese zu erkennen gibt, nur in den Versen Ri 11,12.24.28 bewahrt haben. Die übrige Rede findet hinsichtlich ihrer apologetischen Tendenz Entsprechungen in Ri 12,2-3, zwei Versen aus der Schibboleth-Szene, die zum selben sekundären Stratum gehören.

Entgegen einer in der Forschung weit verbreiteten Ansicht (vgl. Richter, 555; Guillaume, 259) steht der Jeftah-Zyklus redaktionsgeschichtlich betrachtet prinzipiell auf keiner anderen Stufe als die vorangehenden Richtererzählungen. Vielmehr ist auch hier zwischen alter Überlieferung und den Anteilen eines vorexilischen Verfassers aus der Zeit der Jehuiden (ab ca. 841 v. Chr.) zu unterscheiden, der den Jeftah-Stoff allerdings in einer schon stark ausgeformten Gestalt übernommen hat. Die Spuren dieses Autors finden sich ebenfalls in den Erzählzusammenhängen aus Ri 3,12-30 (Ehud); Ri 4,1-24 (→ Debora und → Barak) und Ri 6,1-8,35 (→ Gideon). Er hat die ursprünglich lokal begrenzten Geschehnisse um Gilead und Jeftah als Erster mit der Größe ›Israel‹ in Verbindung gebracht (Ri 10,17-18; Ri 11,5a), ein bestimmtes Konzept des JHWH-Krieges in die Schilderung einfließen lassen (Ri 11,9aβ.30b.32b; Ri 12,6b) und schließlich die ehedem selbständige Schibboleth-Überlieferung (Ri 12,4b-6a), deren Kern den offenbar sehr schmerzhaften Ablöseprozess Gileads von Ephraim zum Gegenstand hat, auf Jeftah bezogen (Ri 12,1.4a), um ihr auf diese Weise einen Platz im Rahmen eines größeren literarischen Zusammenhangs anzuweisen (vgl. Scherer, 308-310).

Die älteste Jeftah-Überlieferung umfasst demgegenüber Jeftahs Aufstieg zum Haupt von Gilead, seinen siegreichen Kampf gegen die Ammoniter, in Verbindung damit wahrscheinlich außerdem sein Gelübde (Ri 11,30a.31) sowie die Opferung seiner Tochter, die jetzt in Ri 11,34-40 in literarisch ausgestalteter Form vorliegt.

Dass Jeftah in Ri 12,7 als ‚kleiner‘ Richter figuriert, kann auf historisch zuverlässiger Erinnerung beruhen und bezeugt eine einflussreiche Tätigkeit Jeftahs, die womöglich wirklich über die Grenzen Gileads hinausreichte. Dagegen ist es mit Sicherheit auf die exilisch-nachexilische Editionstätigkeit der Deuteronomisten zurückzuführen, wenn der Jeftah-Komplex jetzt in die Liste der ‚kleinen‘ Richter (Ri 10,1-5; Ri 12,7-15) eingebettet ist. Auf diese Weise wollen die Deuteronomisten die ‚großen‘ und ‚kleinen‘ Richter miteinander identifizieren.

Jeftah gehört zu den großen militärischen Anführern, den charismatischen Helden, des alttestamentlichen → Richterbuchs. Er begegnet uns dort zugleich als Protagonist eines umfangreichen Erzählzyklus (Ri 10,6-12,6) und als Vertreter der sog. ‚kleinen‘ Richter (Ri 12,7). Das jetzige Kompositionsgefüge erweckt den Eindruck, dass Jeftah sich durch sein erfolgreiches militärisches Eintreten für Gilead zunächst zum Anführer seiner Heimatgegend aufschwingt, um dann schließlich bis zum kleinen Richter aufzusteigen.

3. Jeftah opfert seine Tochter

3.1. Zum Verständnis der Erzählung

Bei der Interpretation von Ri 11,34-40 sollte vor allem das Verhalten der beiden zentralen Figuren berücksichtigt werden. Jeftah stimmt beim Anblick seiner Tochter, die ihm im Siegesreigen entgegeneilt (V. 34), ein großes Lamento an (V. 35), bei dem er sich wie das Opfer der Tochter gebärdet: „Ach, meine Tochter, du beugst mich tief, und gerade du bist unter denen, die mich ins Unglück stürzen!“ Die Tochter reagiert darauf äußerst gefasst und betont, dass der Vater sich durch sein Gelübde selbst, nicht etwa sie ihn mit ihrem Siegesreigen in seine verzweifelte Lage gestoßen hat. Darin steckt implizit eine Kritik an der Darstellungsweise des Vaters (vgl. Groß, 282-289). Die Tochter stellt sich der Einlösung des Gelübdes nicht in den Weg, äußert aber selbstbewusst eine letzte Bitte und verbringt die Zeit vor dem verfrühten Ende ihres ohne Heirat und Mutterschaft unerfüllten Lebens distanziert vom Vater mit ihren Freundinnen.

Jeftah 3

Gleichwohl hat Jeftahs Klage nichts künstlich Aufgesetztes an sich, sondern kann bei aller Egozentrik des Protagonisten als spontaner Ausdruck seines tief empfundenen Leids verstanden werden. Das tu quoque filia („auch du, meine Tochter“), das er seinem einzigen Kind entgegenruft, ist nicht so sehr ein apologetischer Vorwurf an die Adresse der Tochter als vielmehr ein Aufschrei der Verzweiflung gegenüber dem Schicksal. Er hat zwar diese grässliche Möglichkeit einkalkuliert, aber gewiss nicht herbeigesehnt. Nun ist die Katastrophe des Worst-Case-Szenarios Wirklichkeit geworden. Darin kulminiert die Tragik eines ganzen Werdegangs, denn immer schon hat ein Schatten auf Jeftahs Leben und Wirken gelegen, der sich nun zum schwarzen Abgrund verdunkelt. Anders als Barak (vgl. Ri 4,4-9) und Gideon (vgl. Ri 6,11-24) wurde Jeftah nicht von einer Prophetin oder einem Boten JHWHs berufen, sondern von den Gileaditern engagiert, die ihn zuvor wegen des Makels seiner Geburt verstoßen hatten (Ri 11,2-3). Ungleich stärker als bei den Gestalten, die Jeftah im Richterbuch vorangehen, verquickt sich bei ihm die Erfüllung seines Auftrags mit dem Versuch, seinem eigenen Lebensgeschick eine günstige Wendung zu geben. Er will vom Outlaw und Underdog zum angesehenen Anführer werden (Ri 11,9-10). Doch die Mission, die ihm den Weg dazu eröffnen soll, erweist sich als schwieriger als erwartet. Der Versuch, die Angelegenheit diplomatisch zu erledigen, scheitert (Ri 11,12-28). Es wird ernst. Mit seinem Gelübde setzt Jeftah alles auf eine Karte, um – ähnlich wie unter vergleichbaren Umständen der König von Moab – das Unmögliche möglich zu machen. Und das Vorhaben gelingt. Doch dann ist es ausgerechnet die Tochter, die dem Gelübde verfällt. Sie repräsentiert einen Bereich seines Lebens, der nicht von Ablehnung und Kampf geprägt war. Deshalb trifft ihn der Schlag des Schicksals gerade an dieser Stelle am härtesten, und deshalb ruft er bei ihrem Anblick: „Gerade du bist unter denen, die mich ins Unglück stürzen!“ Er muss sein Liebstes geben, um den Preis für die Verwirklichung seiner ehrgeizigen Pläne zu bezahlen, und sofort stellt sich der Eindruck ein, dass dieser Preis zu hoch ist, weil Jeftah zwar sein Ziel erreicht, aber die Möglichkeit eines gesegneten Lebens für immer verliert. Kaum zufällig endet daher der Jeftah-Zyklus mit einer düsteren Perspektive. Die grausige Schibboleth-Szene (Ri 12,1-6) ist die letzte Episode, die von Jeftah berichtet wird. In auffälligem Gegensatz zu Gideon (vgl. Ri 8,30.32) erfahren wir nichts über Jeftahs künftiges kinderreiches und gesegnetes Leben oder über einen ‚guten Tod‘ in hohem Alter. Das Land erlebt unter seiner Leitung nicht wie sonst üblich eine vierzigjährige Ruhephase (vgl. Ri 3,11; Ri 5,31b; Ri 8,28). Jeftah bleibt lediglich eine sechsjährige Richtertätigkeit (Ri 12,7). Seine Wirksamkeit ist damit die kürzeste, von der im Richterbuch berichtet wird. Literarhistorisch hängt diese Zahl natürlich mit der Vorgabe der Liste zusammen (Ri 10,1-5; Ri 12,7-15). Trotzdem ist der dadurch hervorgerufene Eindruck auf der Ebene der Endgestalt des Textes bezeichnend.

In der alttestamentlichen Forschung ist man z.T. bestrebt, Gelübde und Opfer vom übrigen Jeftah-Zyklus abzusondern. So betrachtet Römer die betreffenden Elemente des Textes als späten, postdeuteronomistischen Nachtrag, der alle Züge einer hellenistisch beeinflussten Tragödie an sich trage (vgl. Römer, 27-38). Dass Tragik nur unter hellenistischer Einwirkung denkbar ist, wird man freilich bezweifeln dürfen. Neef denkt an einen spätdeuteronomistischen Zusatz zur Warnung vor leichtfertigem Umgang mit Gelübden (vgl. Neef, 1999, 206-217). In der Tat erweist sich Jeftahs Gelübde als irreversibel und im letzten, tödlichen Sinne fatal. Ein Beweis für späte Textentstehung ist damit meines Erachtens jedoch nicht gegeben. Jeftahs Gelöbnis wirkt im Kontext des Zyklus nämlich keineswegs wie ein Fremdkörper; und Gelübde und Opfer machen mit ihrer anstößigen Problematik eher einen archaischen als einen jungen und fiktiven Eindruck. Schwierigkeiten bereitet nur die ätiologische Notiz in Ri 11,39bβ.40, in der sich vielleicht ein alter, auf kanaanäische Wurzeln zurückgehender Brauch niedergeschlagen hat. Die Erzählsubstanz ist jedoch kaum aus der Notiz herausgesponnen, da sich beides teilweise deutlich disparat zueinander verhält. Man wird statt dessen davon ausgehen dürfen, dass die Notiz sekundär an die Schilderung in Ri 11,34-39abα angehängt wurde, um die Darstellung als Ätiologie für einen Vorgang in Anspruch zu nehmen, der ursprünglich in einen anderen Kontext gehört. Außerdem konnte man so eine „abschließende Aufwertung der Tochter“ (Groß, 289) erreichen, deren Schicksal nicht der Vergessenheit anheimgegeben ist, sondern rituell vergegenwärtigt wird.

In der Erzählökonomie des Zyklus nimmt das Gelübde eine wichtige Funktion wahr, weil es eine plausible Erklärung für Jeftahs Erfolg trotz des misslungenen Verhandlungsversuchs mit den Ammonitern (Ri 11,12.24.28) liefert. Jeftah hat mit der Territorialautorität des Gottes JHWH gedroht. Nachdem die Ammoniter davon unbeeindruckt bleiben, ist Jeftah nun wirklich auf die Mithilfe dieses Gottes angewiesen. Sein Gelöbnis, das, um das mindeste zu sagen, auf jeden Fall die Opferung eines Menschen einkalkuliert (vgl. Seifert, 181; Groß, 273f.), soll JHWH zum Einschreiten motivieren.

3.2. Religionsgeschichtliche und intertextuelle Aspekte

Das Problem der religionsgeschichtlichen Realität von → Menschenopfern, deren Faktizität früher ganz selbstverständlich für unterschiedliche Kulturkreise vorausgesetzt wurde, ist inzwischen heftig umstritten. Als alltäglichen, regelmäßig vollzogenen Brauch, als „part of a generally accepted practice“ (Soggin, 217), kann man das Menschenopfer, insbesondere das Kinderopfer, kaum mehr betrachten. Archäologische Indizien, die man als unwiderlegliche Indizien für Menschenopfer zu interpretieren pflegte, lassen sich auch auf andere Weise deuten (vgl. etwa Rind, 14-16). So dürften Überreste von Kinderleichen häufig genug als Relikte altersspezifischer Nekropolen anzusprechen sein, die keinen unmittelbaren Rückschluss auf bestimmte Opferpraktiken erlauben. Auf der anderen Seite kann man nicht kategorisch ausschließen, dass es in besonderen Notlagen gelegentlich doch zur Opferung von Kindern gekommen ist. Die Erzählung von Jeftah und seiner Tochter setzt dies jedenfalls voraus (vgl. Groß, 274).

Eine Bestätigung dafür liefert z.B. die Verzweiflungstat des Königs von Moab, von der in 2Kön 3,26-27 berichtet wird. Hier liegt die motivgeschichtlich engste Entsprechung zu Jeftahs Opferung seiner einzigen Tochter vor. In militärisch bedrängter Lage bringt ebenfalls ein Menschenopfer die entscheidende Wende. Die Streitkräfte Israels, Judas und Edoms haben den König von Moab geschlagen und in seiner Stadt Kir-Heres eingeschlossen. Nachdem ein letzter Versuch, der Katastrophe durch einen Ausfall zu entgehen, gescheitert ist, opfert der König seinen erstgeborenen Sohn, den Thronprätendenten. Sogleich trifft der Zorn → Kemoschs, des ‚Nationalgottes‘ der Moabiter, auf das antimoabitische Koalitionsheer und zwingt es zum Rückzug (vgl. Burns, 187-194).

Ein weiterer wichtiger, zugleich besonders prominenter Bezugstext für Ri 11,34-40 liegt innerhalb des Alten Testaments mit der Erzählung von der Bindung → Isaaks durch → Abraham in Gen 22,1-14 vor. Allerdings sind die Assoziationen, die sich hier ergeben, überwiegend antitypischer Natur. Der Aspektreichtum von Gen 22,1-14 verbietet es, die Intention des Textes auf eine einzige Facette festzulegen. Dass das Motiv des Menschenopfers dort gar keine Rolle spielt, wird man freilich nicht ernsthaft behaupten wollen. Im eklatanten Gegensatz zur Opferung der Tochter Jeftahs spielt der Gott Israels im Kontext der Bindung Isaaks einen aktiven Part und durchbricht das Geschehen an der entscheidenden Stelle. Während im Kontext der Perikope durchweg „Elohim“ gebraucht wird, ist es nach Gen 22,11 der „Bote JHWHs“, der das Opfer verhindert. So erscheint das Menschenopfer zwar als extreme gottesdienstliche Möglichkeit, die jedoch für Abraham und seinen Sohn aufgrund der Initiative JHWHs bzw. seines Boten nicht zur Wirklichkeit zu werden braucht. Die Stätte der Bindung erhält in Gen 22,14 von Abraham den Namen „JHWH ersieht sich“, weil JHWH sich dort selbst ein Opfer ausersehen hat – und zwar nicht Isaak, sondern einen Widder. In diesem Sinne kann man in Gen 22,1-14 neben vielem anderen durchaus ein „stellvertretendes Durchleiden der Aufhebung von Menschenopfern“ (Seebass, 197) wahrnehmen. Gerade dazu kommt es in Ri 11,34-40 jedoch nicht, wo vielmehr ausdrücklich festgehalten wird, dass Jeftah das Opfer tatsächlich durchführt (Ri 11,39) und das Verhängnis schließlich seinen Lauf nimmt. Ein expliziter Hinweis darauf, wie das Geschehen von Seiten JHWHs beurteilt wird, erfolgt dabei bezeichnenderweise an keine Stelle.

3.3. Zur Wirkungsgeschichte

Jeftahs Gelübde und die Opferung seiner Tochter haben nicht nur die moderne exegetische Fachdiskussion in herausragendem Maße angeregt, sondern auch im rabbinischen Schrifttum (vgl. Houtman, 59-70; Rottzoll / Rottzoll, 210-230), in der Musik (bes. bei Händel; vgl. dazu Bartelmus, 106-127), sowie in Kunst und Literatur ihre Spuren hinterlassen. Dem Abscheu und Widerwillen, das die biblische Schilderung auf der einen Seite hervorruft, steht dabei auf der anderen Seite die besondere Betonung von Jeftahs Entsetzen über sein eigenes Gelübde gegenüber, als dessen weit reichende, schicksalhafte Konsequenzen offenbar werden. Weit verbreitet ist in der exegetischen Tradition das verfehlte Bemühen, Jeftah und seinen Gott apologetisch zu entlasten (dagegen Groß, 274 mit Anm. 4). Bis in die Gegenwart hinein wird immer wieder auf die widerspruchslose Ergebenheit der Tochter verwiesen, die sich dem Wunsch ihres Vater fügt, ja ihn sogar in seinem Entschluss bestärkt (vgl. Seifert, 122f.). Letzteres spielt z.B. in Feuchtwangers Roman „Jefta und seine Tochter“ eine wesentliche Rolle, wobei es dort aus der Perspektive der Tochter sogar zu einer weitgehenden Identifikation des Vaters mit JHWH kommt. Die Opferung stellt in diesem Zusammenhang eine durch den Vater vermittelte Vereinigung mit der Gottheit dar (vgl. Feuchtwanger, 240f.). Eine unvoreingenommene Textwahrnehmung führt freilich zu der Erkenntnis, dass die Tochter, die sich weder gegen den Vater noch gegen die Gottheit auflehnt, gleichwohl deutlich in Distanz zu ihrem Vater tritt und die Rolle, der sie nicht entgehen kann, mit würdevollem Selbstbewusstsein spielt (vgl. Groß, 282-289).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998ff.
  • Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 2. Aufl., Leiden 1999
  • Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Internet-Artikel http://bautz.de/bbkl/j/Jefta.shtml

2. Weitere Literatur

  • Bartelmus, R., 1995, Jephtha – Anmerkungen eines Exegeten zu G.F. Händels musikalisch-theologischer Deutung einer »entlegenen« alttestamentlichen Tradition, ThZ 51, 106-127
  • Burns, J.B., 1990, Why Did the Besieging Army Withdraw? (II Reg 3,27): ZAW 102, 187-194
  • Feuchtwanger, L., 1957 (1996), Jefta und seine Tochter. Roman, Berlin
  • Groß, W., 2004, Jiftachs Tochter, in: F.-L. Hossfeld / L. Schwienhorst-Schönberger (Hgg.), Das Manna fällt auch heute noch. Beiträge zur Geschichte und Theologie des Alten, Ersten Testaments (FS E. Zenger; HBS 44), Freiburg / Basel / Wien, 273-293
  • Guillaume, Ph., 2004, Waiting for Josiah. The Judges (JSOT.S 385), London / New York, 144-155.259-261
  • Houtman, C., 2003, Die Bewertung eines Menschenopfers. Die Geschichte von Jefta und seiner Tochter in früher Auslegung: BN 117, 59-70
  • Neef, H.-D., 1995, Ephraim. Studien zur Geschichte des Stammes Ephraim von der Landnahme bis zur frühen Königszeit (BZAW 238), Berlin / New York
  • Neef, H.-D., 1999, Jephta und seine Tochter (Jdc XI 29-40), VT 49, 206-217
  • Nentel, J., 2000, Trägerschaft und Intentionen des deuteronomistischen Geschichtswerks. Untersuchungen zu den Reflexionsreden Jos 1; 23; 24; 1 Sam 12 und 1 Kön 8 (BZAW 297), Berlin / New York
  • Richter, W., 1966, Die Überlieferungen um Jephtah. Ri 10,17-12,6, Bib. 47, 485-556
  • Rind, M.M., 2. Aufl. 1998, Menschenopfer. Vom Kult der Grausamkeit, Regensburg
  • Römer, Th.C., 1998, Why Would the Deuteronomists Tell about the Sacrifice of Jephthah’s Daughter?, JSOT 77, 27-38
  • Rottzoll, A. / Rottzoll, D.U., 2003, Die Erzählung von Jiftach und seiner Tochter (Jdc 11,30-40) in der mittelalterlich-jüdischen und historisch-kritischen Bibelexegese, ZAW 115, 210-230
  • Scherer, A., 2005, Überlieferungen von Religion und Krieg. Exegetische und religionsgeschichtliche Untersuchungen zu Richter 3-8 und verwandten Texten (WMANT 105), Neukirchen-Vluyn
  • Seebass, H., 1997, Genesis II. Vätergeschichte I (11,27-22,24), Neukirchen-Vluyn
  • Seifert, E., 1997, Tochter und Vater im Alten Testament. Eine ideologiekritische Untersuchung zur Verfügungsgewalt von Vätern über ihre Töchter (Neukirchener Theologische Dissertationen und Habilitationen 9), Neukirchen-Vluyn, 121-126.180-183
  • Soggin, J.A., 2. Aufl. 1987, Judges. A Commentary (OTL), London, 201-222
  • Thiel, W., 2. Aufl. 1985, Die soziale Entwicklung Israels in vorstaatlicher Zeit, Neukirchen-Vluyn, 148f.

Abbildungsverzeichnis

  • Jeftah (Fresko im Katharinenkloster auf dem Sinai; 6. Jh.).
  • Jeftahs Tochter begrüßt das siegreiche Heer (Miniatur in der Weltchronik des Rudolf von Ems; 13. Jh.).
  • Jeftah tötet seine Tochter (Bild des Eichstätter Malers Johann Michael Baader; 18. Jh.).

PDF-Archiv

Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:

Abbildungen

Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz) und ihrem Präsidenten Othmar Keel.

VG Wort Zählmarke
Deutsche Bibelgesellschaftv.4.24.4
Folgen Sie uns auf: