Gottesvolk (AT)
(erstellt: Mai 2012)
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→ Volk
1. Terminologische Vorbemerkungen
Für „Volk“ gibt es im Alten Testament die Lexeme עַם ‘am und גּוֹי gôj. Während עַם ‘am ursprünglich ein Verwandtschaftsbegriff ist, der zunächst für den Ahn oder Vaterbruder bzw. die entsprechende Abstammungsgemeinschaft („Verwandtschaft / Familie / Sippe“) steht und dann auch die Bedeutung „Volk“ annehmen kann (vgl. Lipiński, 184f.), hat der Ausdruck גּוֹי gôj stärker politische und territoriale Konnotationen, womit er dem heutigen Begriff „Nation“ näherkommt. Zwar können beide Begriffe gelegentlich synonym verwendet werden (vgl. Ps 33,12
Die Bedeutung „Gottesvolk“ ist aber im Alten Testament vor allem dort gegeben, wo das Wort עַם ‘am in der Constr.-Verbindung עַם יהוה ‘am Jhwh „Volk JHWHs“ (nie גּוֹי יהוה gôj Jhwh; nur zweimal עַם אֱלֺהִים ‘am ’älohîm „Volk Gottes“ [2Sam 14,13
Wo das Wort עַם ‘am „Sippe / Volk“ auf JHWH bezogen ist, steht im Hintergrund der Gedanke einer Familienzugehörigkeit zwischen dem Gott JHWH und seinem Volk Israel, das als „Gottesfamilie“ (Procksch, 503) in einer besonderen Beziehung zu JHWH steht. Die Bezeichnungen Israels als „Söhne / Kinder“ (vgl. Jes 1,2f
2. Staatsvolk und Gottesvolk
Die Frage, wann und wo nach biblischer Darstellung das Volk Israel als Gottesvolk konstituiert wird, ist anhand der Terminologie schnell zu beantworten: Als „mein Volk“ (עַמִי ‘amî) wird Israel von JHWH erstmals im Zusammenhang der Befreiung aus Ägypten angesprochen (Ex 3,7
Welche Faktoren vor der Entstehung der Kleinstaaten Israel und Juda seit dem 10. und 9. Jh. v. Chr. für ein ethnisches Zusammengehörigkeitsbewusstsein der nachmaligen Israeliten und Judäer leitend waren, ist angesichts fehlender Quellen schwer zu sagen (vgl. Kessler, 60-62), doch zeigen einige Belege für עַם יהוה ‘am Jhwh („Volk JHWHs“), die eindeutig auf das Nordreich Israel zu beziehen sind (vgl. 1Kön 14,7
Im Hintergrund der natürlichen Zugehörigkeit des Gottes JHWH zu seinem Staatsvolk Israel steht ein im Alten Orient geläufiges Gotteskonzept, bei dem die höchste Gottheit des Pantheons als Staats- und Dynastiegott verehrt wird, der zu seinem Land in einer besonderen, sein Wohl und Wehe bestimmenden Beziehung steht (→ Gottesbild
3. Gottesvolk im Alten Testament
Der Ausdruck עַם יהוה ‘am Jhwh in der Bedeutung „Gottesvolk“ spielt in der nach 722 und 587 v. Chr. entstandenen alttestamentlichen Literatur eine wichtige Rolle, wobei unterschiedliche Akzente gesetzt werden. Strittig ist zunächst die Frage, ab wann und auf welcher Grundlage Israel das Gottesvolk ist, später kommt die Frage hinzu, wer überhaupt zu diesem Volk gehört.
3.1. Die Moseerzählung
Nach der nichtpriesterschriftlichen Moseerzählung aus dem 7. Jh. v. Chr. (vgl. Gertz) befreit JHWH Israel aus der ägyptischen Knechtschaft, weil es sein „Volk“ bzw. seine „Verwandtschaft“ (עַם ‘am) ist (vgl. Ex 3,7
Während die Familienzugehörigkeit Israels zu JHWH hier schlicht vorausgesetzt wird, drücken deuteronomistische und priesterschriftliche Konzepte die Konstituierung Israels als „Gottesvolk“ (עַם יהוה ‘am Jhwh) mittels der Bundesformel aus, wobei „[d]as Moment des Eintretens oder Werdens [sc. des Gottesvolks] … das entscheidend Neue [ist]“ (Lohfink, 298).
3.2. Das Deuteronomium
Im deuteronomistisch redigierten → Deuteronomium
Im sog. Moselied begegnet in einem der jüngsten Texte des Deuteronomiums die Vorstellung, dass allein das Volk Israel JHWHs „Erbteil“ ist, während die übrigen Völker anderen (dem Gott JHWH als dem „Höchsten“ [V. 7] unterstellten) göttlichen Wesen (LXX: „Engeln“) als Erbe zugeteilt sind (Dtn 32,7-9
3.3. Die Priesterschrift
In der priesterschriftlichen Darstellung verheißt JHWH vor dem Auszug aus Ägypten, dass er die „Söhne Israels“ für sich zum „Volk“ nehmen und er für sie zum Gott werden wolle (Ex 6,7
3.4. Prophetische Perspektiven
In der prophetischen Literatur der exilisch-nachexilischen Zeit kennzeichnet der Ausdruck „Volk JHWHs“ (עַם יהוה ‘am Jhwh) im Kontext der Bundesformel einen „Neuanfang in der Heilsgeschichte“ (Lohfink, 303; vgl. Jer 31,33
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
2. Weitere Literatur
- Blum, E., 1995, Volk oder Kultgemeinde? Zum Bild des nachexilischen Judentums in der alttestamentlichen Wissenschaft, KuI 10, 24-42
- Fuhs, H.F., 1987, Heiliges Volk Gottes, in: J. Schreiner (Hg.), Unterwegs zur Kirche. Alttestamentliche Konzeptionen (QD 110), Freiburg im Breisgau, 143-167
- Gertz, J.C., 2002, Mose und die Anfänge der jüdischen Religion, ZThK 99, 3-20
- Groß, W., 1987, Israels Hoffnung auf die Erneuerung des Staates, in: J. Schreiner (Hg.), Unterwegs zur Kirche. Alttestamentliche Konzeptionen (QD 110), Freiburg im Breisgau, 87-122
- Kessler, R., 2006, Sozialgeschichte des alten Israel. Eine Einführung, Darmstadt
- Kratz, R.G., 2000, Israel als Staat und als Volk, ZThK 97, 1-17
- Levin, C., 2011, Das Gottesvolk im Alten Testament, in: C. Albrecht (Hg.), Kirche (Themen der Theologie 1), Tübingen, 7-35
- Lipiński, E., 1989, Art. עַם ‘am, in: ThWAT, Bd. VI, Stuttgart u.a., 177-194
- Lohfink, N., 1971, Beobachtungen zur Geschichte des Ausdrucks עַם יהוה, in: H.W. Wolff (Hg.), Probleme biblischer Theologie (FS G. v. Rad), München, 275-305
- Perlitt, L., 1994, „Ein einzig Volk von Brüdern“. Zur deuteronomischen Herkunft der biblischen Bezeichnung „Bruder“, in: ders., Deuteronomium-Studien (FAT 8), Tübingen, 50-73
- Preuß, H.D., 1991, Theologie des Alten Testaments, Band 1: JHWHs erwählendes und verpflichtendes Handeln, Stuttgart u.a.
- Procksch, O., 1950, Theologie des Alten Testaments, Gütersloh
- Rad, G. von, 1973, Das Gottesvolk im Deuteronomium, in: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament, Band II (ThB 48), München, 9-108
- Rendtorff, R., 1995, Die „Bundesformel“. Eine exegetisch-theologische Untersuchung (SBS 160), Stuttgart
- Rost, L., 1965, Die Bezeichnungen für Land und Volk im Alten Testament, in: ders., Das Kleine Credo und andere Studien zum Alten Testament, Heidelberg, 76-101
- Schmidt, W.H., 1998, „Volk“ Gottes. Einsichten des Alten Testaments, in: K. Wengst u.a. (Hgg.), Ja und nein. Christliche Theologie im Angesicht Israels (FS W. Schrage), 211-222
- Smend, R., 1986, Die Bundesformel, in: ders., Die Mitte des Alten Testaments (BevTh 99), 11-39
- Waschke, E.-J., 2001, Ein Volk aus vielen Völkern. Die Frage nach Israel als die Frage nach dem Bekenntnis seiner Erwählung, in: ders., Der Gesalbte. Studien zur alttestamentlichen Theologie (BZAW 306), Berlin / New York, 235-252
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